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Krimi Roman

Barbara Wimmer – Jagd im Wiener Netz

CN dieses Buch: Mord, Bedrohung, Gift
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»Sie haben anscheinend keine Ahnung, wie leicht es ist, Menschen über das Internet zu manipulieren! Es funktioniert hervorragend! Ich musste an den jeweiligen Tagen, an denen ich die Mails verschickt hatte, nur noch warten, bis sich die Dose mit den Kapseln bewegt hatte, und Bill hat sich darum gekümmert, dass jemand die Zettel auf den Leichen platziert.«

Der zweite Kriminalroman meiner Freundin Barbara Wimmer wurde kürzlich im Gmeiner Verlag veröffentlicht. Ihren ersten Roman Tödlicher Crash habe ich leider noch nicht gelesen, kann ich mir jetzt nach diesem Buch aber sehr gut vorstellen.

Die Journalistin Stefanie Laudon wird in diesem Buch selbst zur Zielscheibe eines Mörders. Während der Recherchen über einen Mord stößt sie nicht nur auf eine zweite Leiche sondern auch auf Scoring-Programme, mit denen ihr Dienstgeber sie und ihre Kolleg:innen überwacht. Das Buch spielt im Jahr 2028 und enthält auch geschickte Rückblicke auf die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen. Die oben genannten Scoring-Programme sind in Form von Predictive Policing, Kreditscoring oder Social Scoring bereits heute Realität.

Der Krimi befasst sich also auf unterhaltsame Weise mit brandaktuellen Themen und rückt Perspektiven in den Mittelpunkt, die im Mediendiskurs über Datenschutz und Überwachung entweder selten oder gar nicht vorkommen. Neben der oben bereits genannten Überwachung von Mitarbeiter:innen durch Algorithmen wird auch das Recht auf Reparatur (Right to Repair) anhand einer vernetzten Melkmaschine auf einem Bauernhof thematisiert. Die Forderung danach, dass Nutzer:innen das Recht haben sollten, Produkte, die sie rechtmäßig erworben haben, selbständig zu warten oder bezahlbare und faire Reparaturdienste zu erhalten, wird seit einigen Jahren immer wieder erwähnt, da sie auch in höchstem Maße mit Ressourcenverschwendung und Klimawandel im Zusammenhang steht.

Die zahlreichen Hinweise auf die Wiener Hacking-Szene machen vermutlich hauptsächlich denjenigen Spaß, die selbst Bezüge zu dieser Gemeinschaft haben. Aber auch am traditionellen Wiener Lokalkolorit wird keinesfalls gespart. Somit liegt hier ein spannender Kriminalfall vor, der gleichzeitig mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen verknüpft ist, und diese auf unterhaltsame Weise an die Leser:in bringt. Meine Empfehlung.

Disclaimer: Ich bin mit der Autorin befreundet und habe das Buch geschenkt bekommen. Dass meine Meinung davon komplett unbeeinflusst bleibt, kann ich nicht garantieren. Wie meine anderen Posts ist dies jedoch keine Werbung, sondern meine subjektive in Worte gefasste Meinung.

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English Essays

Rebecca Solnit – A Field Guide to Getting Lost

CN dieses Buch: Drogenmissbrauch, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Hund, Abschied


In Benjamin’s terms, to be lost is to be fully present, and to be fully present is to be capable of being in uncertainty and mystery. And one does not get lost but loses oneself, with the implication that it is a conscious choice, a chosen surrender, a psychic state achievable through geography.

Essays von Rebecca Solnit gehen irgendwie immer tiefer als die anderer Autor:innen. Der Titel dieses Buches wirft alleine schon Fragen auf: Was ist gemeint mit getting lost / verloren gehen / verschwinden / sich verlieren? Warum ist eine Anleitung nötig, um diesen Zustand der Verlorenheit zu erreichen? Warum ist dieser Zustand überhaupt erstrebenswert? Diesen Fragen widmet sich unter anderem der erste Essay, aus dem das obige und untenstehende Zitat stammen. Nach Walter Benjamin ist der Zustand der Verlorenheit auch ein Zustand der vollständigen Präsenz, für den sich der Mensch auch bewusst entscheiden muss. Diese Beschreibung macht deutlich, dass der hier gemeinte Zustand der Verlorenheit keine realen Erfahrungen wie das Sich-Verlaufen in einer unbekannten Gegend meint. Gemeint ist hingegen ein Geisteszustand, der nur durch bewusstes Sich-Verlieren herbeigerufen werden kann. Der Definition dieses Zustands folgt die Frage, wie wir ihn erreichen können, um in diesem Zustand dann die Möglichkeit zu neuen Erkenntnissen zu finden.

The question then is how to get lost. Never to get lost is not to live, not to know how to get lost brings you to destruction, and somewhere in the terra incognita in between lies a life of discovery.

Die weiteren Essays befassen sich mit verschiedenen Themen, die diesem Zustand verwandt sind.

  • Der Verlust der eigenen Identität in anderen Kulturen, worunter Menschen leiden, die einen Wechsel zwischen Kulturen (zumeist unfreiwillig) absolviert haben und wie diese Veränderungen eine Distanz schaffen gleichzeitig zur Herkunftskultur, aber auch zur neuen Lebenswelt.
  • Das Bedürfnis von Nähe und Distanz, das sich bei den meisten Menschen im Verlauf der Lebensspanne verändert (Kinder brauchen viel Nähe, ältere Menschen mehr Distanz).

The blue of distance comes with time, with the discovery of melancholy, of loss, the texture of longing, of the complexity of the terrain we traverse, and with the years of travel.

  • Viele andere Künstler:innen werden zitiert, etwa Yves Klein, der sich in seinem künstlerischen Schaffen so intensiv mit der Farbe Blau befasst hat, dass er schließlich den von ihm erschaffenen Blauton unter dem Namen Namen International Klein Blue (IKB, =PB29, =CI 77007) patentieren ließ. Blau beschreibt Solnit als Farbe, die das Immaterielle und Entfernte symbolisiert und damit immer eine Distanz zwischen Künstler:in und Betrachter:in herstellt.

Andere Essays befassen sich mit dem Gefühl der Freiheit, den weißen, unerforschten Flecken auf Landkarten (terra incognita) oder der Bedeutung von Gebäuden (und wie sie manchmal zu lost places werden). Im Großen und Ganzen will die Autorin jedoch den Leser:innnen Mut machen, sich auch auf unbekanntes Terrain zu begeben, die eigenen Grenzen zu überschreiten und Risiken einzugehen. Weil wir auch verlieren, wenn wir nichts tun.

But fear of making mistakes can itself become a huge mistake, one that prevents you from living, for life is risky and anything less is already loss.


Hund Melly steht im Abendlicht auf einem Feldweg

Wir verabschieden uns von unserem geliebten Flauschmonster Melly. Nach Monaten der Krankheit wurde unsere Prinzessin am 20. September 2022 von ihrem Leiden erlöst. Unsere  wird immer in unseren Herzen bleiben.

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Roman

Selja Ahava – Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

CN dieses Buch: Andeutung sexueller Handlungen, Demenz, Sterben, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Demenz


Jemand schlich ihr hinterher, leise und unabweislich, und aß Stücke ihres Gedächtnisses auf. Wo Stücke fehlten, wurden Steine hineingestopft, und dann wurden die Löcher zugenäht. Darum kollerte und klapperte es in ihr, sie fühlte sich ausgehöhlt.

Dieses Buch habe ich in der Reihe finnische Literatur-Geocaches gefunden. Interessant ist bei diesen Büchern immer, dass ich vorher absolut keine Ahnung habe, was mich eigentlich erwartet. Bisher (Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen, Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer) war es immer interessant und auch irgendwie besonders.

Das zeichnet auch dieses Buch aus. Da ich die ersten drei Antworten für den Literatur-Geocache gleich mal überlesen habe (bei diesen Literatur-Geocaches passiert mir das häufiger, weil die Formulierungen so gewählt sind, dass sich nicht einfach nach den Antworten suchen lässt), durfte ich auch den Beginn zum Abschluss nochmal lesen, was einige Klarheit in die Geschichte gebracht hat.

Protagonistin Anna erzählt aus ihrem Leben, vom Leben mit ihrem Mann Antti auf der Insel, vom Leben nach seinem unerwarteten Unfalltod, von der Einsamkeit und Trauer, von der Demenz, die schließlich Stück für Stück ihr Gedächtnis und ihre Erinnerungen auffrisst. Die Demenz wird nicht nur aus der Perspektive der betroffenen Person erzählt, sie wird auch in der Sprunghaftigkeit der Episoden, dem Wechsel zwischen Erinnerung und (scheinbarer) Gegenwart verdeutlicht. Was zu Beginn des Buches verwirrend wirkt, löst sich gegen Ende auf: gerade diese Verwirrung ist es, die in der Struktur des Textes zum Ausdruck kommen soll. Somit lässt die Autorin die Leser:in selbst erleben, wie sich die Verwirrung und der Verlust des eigenen Lebens anfühlen können.

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Erfahrungsbericht Memoir

Julia Berger – Ein Jahr in Tokyo. Reise in den Alltag

CN dieses Buch: –
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Als ich das letzte Mal in der Hauptbücherei war, lockten mich spontan die Regale mit Reiseliteratur. Nachdem ich einige Bücher aus dem Regal gezogen und nach kurzer Inspektion wieder zurückgestellt hatte, entschloss ich mich schließlich für diesen Japan-Bericht. Die Erwähnung des Alltags im Untertitel ließ mich hoffen, tiefere Einsichten in die fremde Kultur zu erhalten. Solche, die sich nur dann ergeben können, wenn Menschen längerfristig in einer fremden Kultur leben und tatsächlich darin Fuß fassen wollen.

Wie die Autorin (und anhand ihres Berichts auch ich) erfahren musste, ist das in Japan besonders schwierig. Selbst mit den Sprachkenntnissen, die sie sich bereits vor der Reise angeeignet hatte, waren ihr organisatorische Aktivitäten wie das Anmieten einer Wohnung nur durch Unterstützung von Einheimischen möglich. Diese Kontakte sind deutlich geprägt von der unterschiedlichen Mentalität der Autorin und ihrer japanischen Bekanntschaften. Sie erzählt von einer Arbeitsmoral, die keinen Platz mehr lässt für andere Aktivitäten; die das Denken dermaßen vereinnahmt, dass kein Platz mehr bleibt für irgendetwas anderes außer die anstehende Prüfung oder Beförderung. Dieser Fokus auf ein Ziel kann natürlich einerseits als bewundernswert und andererseits als übertrieben angesehen werden. Doch das Bewusstsein über die „Pflichten gegenüber Land, Arbeitgeber und Familie“ ist ein zentraler Bestandteil der japanischen Kultur und Gesellschaft.

Generell fand ich diesen Reisebericht leider eher langweilig. Vielleicht ist es gerade die „Reise in den Alltag“, die den Spannungsfaktor rausnimmt. Fürs Erste halte ich mich jetzt wieder an meine lange Liste an Büchern, die ich aus diversen Quellen zusammengesammelt habe. Sicher finde ich auch da wieder was, was meine Reiselust etwas befriedigt.

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Roman

Vicki Baum – Vor Rehen wird gewarnt

CN dieses Buch: Tod, Sterben, Krankheit, Feuer, Mordversuch
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[…] Übrigens ist niemand ganz normal, und was heißt das überhaupt: normal sein? Normalität ist ein willkürlicher Begriff, und wir wissen weniger davon als über die Entfernung zwischen den Planeten oder die Abweichung der Lichtstrahlen. Normalität lässt sich nicht abmessen, weil sie nichts Absolutes ist, sondern nur eine Konvention.

Gute Zitate über den (von mir verhassten) Begriff Normalität finden sich an den überraschendsten Stellen. In diesem Zitat sticht für mich hervor, dass Normalität nichts Absolutes ist. Was als normal verstanden wird, hat sich über die Zeit immer wieder verändert. Es geht hier nur darum, was als Mehrheitsmeinung oder Mehrheitshandlung in der Gesellschaft angesehen wird.

Davon lässt sich schon überleiten zu dem, was ich an diesem Roman so erstaunlich finde: Obwohl die Erstveröffentlichung bereits über 70 Jahre zurück liegt (1951), fühlt sich der Roman erstaunlich aktuell an. Obwohl es an Rollenklischees der beschriebenen Epoche nicht mangelt, werden diese nicht ausgeschlachtet, sondern auf einer subtilen Ebene zwischen den Zeilen in Frage gestellt. Schon allein die Hauptfigur Ann Ambros, die vor keiner hinterhältigen Aktion zurückscheut, um ihre persönlichen Ziele zu verfolgen, ist ein sehr spezieller Frauentyp, der mit den Konventionen (der sogenannten Normalität) der damaligen Zeit bricht. Neben ihr stechen auch andere Frauenfiguren deutlich heraus: Stieftochter Joy, die sich schließlich durch einen gewalttätigen Kraftakt aus ihrer verzweifelten Lage zu befreien versucht oder Pianistin Mausi, die ihr Leben der Kunst widmet und sich mit Ann verbündet, um ihrerseits ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Wieder mal ein Buch, das mir über einen Literatur-Geocache zugeflogen ist. (Ausnahmsweise erlaube ich mir hier, den auch zu verlinken, weil der Titel des Geocaches ohnehin schon den Titel des Buches verrät.) Das Final liegt innerhalb des Wiener Zentralfriedhofs, auf dessen Besuch ich mich schon seit Längerem wieder freue.


Blick in die Ausstellung Hot Questions. Cold Storage. Links eine rote Wand, auf der Texte und Bilder zu sehen sind, mittig sind die hinteren Bereiche der Ausstellung in Blautönen zu sehen, rechts ein orangefarbenes Regal mit verschiedenen Architekturmodellen in Glaskästen

Als wir letztens für die Ausstellung Serious Fun. Architektur und Spiele im Architekturzentrum Wien waren, haben wir uns dann auch noch die neue Schausammlung Hot Questions. Cold Storage. angesehen. Die farbliche Gestaltung und die inhaltliche Einteilung in sieben Fragen hat mich sehr an die Aufmachung der Foodprints-Ausstellung im Technischen Museum Wien erinnert. Vielleicht ist das gerade ein Trend in der Ausstellungslandschaft?

Ausstellungsraum, links eine Art Tunnel aus blauen und violetten Wänden, in die Wand ist eine Wasserinstallation mit sichtbaren Blasen eingebaut, rechts Blick in die hinteren Bereiche der Ausstellung

Die „heißen Fragen“ aus dem Titel der Ausstellung bewegen sich in den Bereichen „Wie entsteht Architektur?“, „Wie wollen wir leben?“ und „Wer macht Stadt?“. Diesen Fragen wird nicht „linear und enzyklopädisch, sondern fragmentarisch mit Lücken und Brüchen“ nachgegangen. Die Sammlung will damit Zukunftsszenarien in den Vordergrund rücken und anhand der Fülle von Wissensbeständen im Depot Lösungsansätze aufzeigen.

Erwartungsgemäß sind viele Architekturmodelle zu sehen. Ein großer Teil stellt Stadtarchitektur dar, also zB Gemeindebauten und Stadtteile, die bewusst umgestaltet wurden, um den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Gefallen haben mir aber auch die aus Lego gebauten Modelle von den Prachtbauten der Wiener Ringstraße (zB Parlament und Staatsoper). Besonderen Spaß hatte ich am Holzmodell einer Sommertheaterbühne, die dicht in einen Stadtteil hinein gebaut ist. Ich hatte sie sofort erkannt als die Bühne des Sommertheaters in Haag.

Besonders interessant fand ich auch den Vergleich von Bodenprofilen von Walter Fitz. In zwei nebeneinander stehenden Glaskästen kann versiegelter Stadtboden mit einem landwirtschaftlichen Bodenprofil verglichen werden, der Unterschied ist enorm. Diese Visualisierung des immer wieder in den Medien zu hörenden Begriffs Bodenversiegelung fand ich sehr einleuchtend. Ausstellungsdisplay in einer Nische mit halbkreisförmigem Fenster darüber, vor einem roten Vorhang ist ein Architekturmodell eines Wiener Gasometers und daneben ein Vergleich von Bodenprofilen zu sehenIm hinteren Bereich der Ausstellung wird von der Vergangenheit in die Zukunft geblickt. Mit einem Rückblick auf die durch das Jahr 1968 eingeleitete Umweltdebatte und die darauf basierend entstandenen Utopien wird übergeleitet zu Innovationen, die uns heute im Bezug auf die Klimakrise beschäftigen. Ein bewegtes Exponat stellt dabei das Objekt Splitterwerk von Mark Blaschitz, Edith Hemmrich und Josef Roschitz dar:

In vertikalen Sonnenkonversionslamellen aus Glas, die mit wässrigem Nährmedium gefüllt sind, entsteht in der SolarLeaf-Lamelle aus CO2 und Sonnenlicht Algen-Biomasse; gleichzeitig wird ein solarthermischer Effekt erzielt, da die Sonnenstrahlung das wässrige Medium erwärmt. Beide Energieträger werden über ein Kreislaufsystem in die Technikzentrale des Gebäudes geleitet und dort über einen Wärmetauscher bzw. einen Algenabscheider entnommen.

Projekt Splitterwerk, Sonnenkonversionslamellen aus Glas, darin eine grün gefärbte Flüssigkeit, in regelmäßigen Abständen steigen aus dem unteren Bereich Luftblasen nach oben aufEin hellblau gestalteter Bereich ganz hinten im Raum beschäftigt sich mit Architektur im Bildungsbereich. Die Anerkennung der Kindheit als autonomer Lebensabschnitt im ausgehenden 18. Jahrhundert erforderte die Entwicklung von spezifischen Räumen in Bautypologien wie Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Waisenhäusern. In architektonischen Veränderungen drückten sich auch soziale Öffnungsprozesse aus. Gerade in der Gestaltung von öffentlichen Gebäuden wie Schulen wurden immer wieder Innovationsschübe und gesellschaftliche Entwicklungen deutlich. Dies wird in mehreren Displays, die sich mit Schularchitektur beschäftigen, nachvollzogen.

Unten das Modell eines Schulgebäudes, darüber Schwarz-Weiß-Fotos von Schulgebäuden aus unterschiedlichen Epochen an einer hellblau gefärbten Wand

Das Fragmentarische der Ausstellung war mir bereits beim Durchgehen aufgefallen, meine Begleitung und ich waren uns jedoch beide nicht sicher, welche Funktion im Rahmen der Wissensvermittlung diese Ausstellung von einzelnen Aspekten ohne sichtbaren Zusammenhang erfüllen soll. Generell haben mir aber beide Ausstellungen im Architekturzentrum Wien trotz einiger Kritikpunkte gut gefallen. Den Sinn-Hintergrund des Objekts auf dem abschließenden Foto habe ich leider nicht notiert, der Grenzstein hat mir einfach gefallen.

Grenzstein auf einer Steinplattform mit der Aufschrift „Grenzzone – In Stein gemeißelt“

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English Roman

Liane Moriarty – The Husband’s Secret

CN dieses Buch: Mord, (Unfall-)Tod eines Kindes, sexuelle Handlungen, Trauer
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Sometimes there was the pure, primal pain of grief; and other times there was anger, the frantic desire to claw and hit and kill; and sometimes, like right now, there was just this ordinary, dull sensation, settling itself softly, suffocatingly over her like a heavy fog.

Bisher hatte ich mit Liane Moriarty (Big Little Lies, Nine Perfect Strangers) eigentlich immer große Freude. Mit diesem Buch war ich allerdings eher unzufrieden. Warum das so ist, kann ich ohne Spoiler nicht erklären, wer das also nicht lesen will, scrollt gerne ein paar Absätze runter bis zum Ausstellungsbericht.

Das titelgebende Geheimnis ist die Frage nach dem Mörder einer jungen Frau. Verdächtig sind gleich mehrere Personen, die Ermittlung wurde längst eingestellt. Die Mutter der ermordeten Janie trauert verständlicherweise nach wie vor um sie, während das Leben an der Schule, an der sie arbeitet, naturgemäß weiter geht. Einzelne Verdachtsmomente lenken in verschiedene Richtungen. Die Enthüllung führt dazu, dass eine grundsolide Vorstadtmutter ihre Vorstellung der eigenen Gutartigkeit hinterfragen muss. Wozu sind wir bereit, wenn es um das Wohl unserer eigenen Familie geht? Was sind die Fragen, die wir uns stellen, wenn unser Leben auf den Kopf gestellt wird und wir nicht mehr ignorieren können, dass wir unwissentlich mit einer Lüge gelebt haben?

Was mich vor allem gestört hat, war die Auflösung. Durch die schwerwiegende Verletzung des eigenen Kindes scheint der Schuldige ausreichend gestraft zu sein, um selbst der Mutter der ermordeten Tochter eine Art Gerechtigkeitsgefühl zu verschaffen. Dieser ganze Zusammenhang fühlt sich für mich wie eine Art schicksalhaftes „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ an. Die Familie des Schuldigen hat bezahlt, womit seine Schuld implizit als gesühnt wahrgenommen wird. Mit dieser Art Auflösung fühle ich mich in keinster Weise wohl.


Eingangsbereich der Ausstellung Serious Fun, Überblick, links ein Holzhaus in Spielplatzgröße, rechts eine weiße Wand in der von hinten beleuchtete Screenshots zu sehen sind

Die Ausstellung Serious Fun. Architektur und Spiele im Architekturzentrum Wien hatte ich mir irgendwann im Frühjahr vorgemerkt und dann ging der Sommer vorbei und auf einmal waren auch hier die letzten Tage angebrochen (die Ausstellung war bis 5. September zu sehen).

Die Ausstellung „Serious Fun“ zeigt und hinterfragt Architekturspiele. Sie lädt zum Staunen, Spielen und Nachdenken ein.

Eingangsbereich der Ausstellung Serious Fun, Detailaufnahme, im Vordergrund ein Brettspiel, bei dem auf quadratischen Karten auf dem Tisch Türme in unterschiedlichen Farben und Größen aufgebaut sind

Die Ausstellung betrachtet das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Im Eingangsbereich werden die Besucher:innen von einer Sammlung an Brettspielen begrüßt, die sich mit Architektur befassen bzw. deren Spielprinzip in irgendeiner Form auf Architektur beruht. Kunstobjekte stellen die Bedeutung der Architektur von Puppenhäusern infrage oder bauen ein rein akustisches Haus, das die unterschiedlichen Zimmer durch Geräusche definiert.

Andere Architekturspiele sind nicht nur zum Spaß gedacht, sondern dienen auch zur Planung bzw. Simulation von Entwicklungen in der Stadtplanung, zB das Schul-Visionenspiel der Hans Sauer Stiftung. Andere Displays erzählen von Projekten, in denen Architekturspiele wie zB das weltweit sehr erfolgreiche Minecraft benutzt werden, um realen Raum mit den Bewohner:innen umzugestalten.

Blick von oben auf eine horizontale Spielfläche, das 2D Spielbrett stellt eine Landkarte eines Gebiets dar, darauf sind Holzklötze in unterschiedlichen Größen und Farben platziert

Einige Objekte können auch von den Besucher:innen ausprobiert werden. Leider werden die Spiele kaum erklärt. Beim ersten Objekt, das ich ausprobiert habe, bin ich nach wenigen Klicks gescheitert, weil mir das User Interface auf dem Tablet nicht klar wurde. Beim zweiten Objekt (Delft Campus Game, ich finde dazu keinen sinnvollen Link) habe ich mir mehr Zeit genommen, um das Spielprinzip zu verstehen: Als Spieler:in vertrete ich eine Gruppe von Studierenden, die gegenüber anderen Gruppen (Immobilienbesitzer, lokale Unternehmen, etc.) mittels Wertungen von Entscheidungen und Platzierung eigener Assets ihre Meinungen zur Campus-Entwicklung ausdrücken soll. Als ich mir das sorgfältig überlegt hatte, musste ich feststellen, dass ich die auf der Spielfläche platzierten Spielsteine nun auf dem angeschlossenen Tablet nochmal digital eingeben müsste, um eine Auswertung meiner Entscheidungen zu sehen. Die Navigation auf dem Tablet war allerdings so klein und unhandlich, dass mir schnell die Lust darauf verging.

Screenshot aus dem Spiel Nova Alea, auf einer quadratischen 3D-Fläche wachsen Häuser unterschiedlicher Formen und Größen heraus, über einem schwebt ein rosa Würfel, dies ist sozusagen der Mauszeiger, mit dem die Spieler:innen den Spielverlauf beeinflussen

Weiters versuchte ich mich an dem Objekt Nova Alea von Paolo Pedercini. Es soll als Kritik an der Immobilienspekulation, dem Streben nach endlosem Wachstum und der Niederschlagung des Widerstands gegen diese Mechanismen verstanden werden. Als Spieler:in klicke ich auf unterschiedliche Hochhäuser, um sie zu den richtigen Zeitpunkten zu kaufen oder zu verkaufen. Auch nach einigen Minuten waren mir die Spielprinzipien nicht klar und eine Anleitung fehlte vollständig.

zwei Ansichten des Spiels Rezone, links das Spiel mit den Anleitungskarten im Vordergrund, dahinter der Monitor, der die Spielfläche digital abbildet, rechts eine Frontalansicht des Spiels mit dem Abschlussbildschirm, auf dem 3 von 6 Projekten als FAILED und weitere 3 als REZONED markiert sind

Richtig viel Zeit verbrachte ich dann mit dem Spiel Rezone. Ziel ist es, Ressourcen in Form von Blöcken in verschiedenen Stadtteilen zu verteilen, und zwar so, dass alle Stadtteile ausreichend Ressourcen erhalten, um zu florieren. Beim zweiten Versuch hatte ich immerhin kapiert, wie das Spiel funktioniert, aber auch beim dritten gelang es mir leider nicht, mehr als drei Zonen am Leben zu erhalten. Von allen Spielen, die es zum Ausprobieren gab, war dieses in meinen Augen am besten zugänglich. Meine Begleitung stellte aber auch fest, dass das Auflegen der Spieleanleitung auf die Spielanleitung die Interpretation des Kamerabildes beeinflussen kann. Außerdem war die reale Spielfläche um 90 Grad versetzt zum Bild auf dem Monitor angeordnet, was auch zusätzliche Konzentration verlangte.

Überblick über den Ausstellungsraum Serious Fun, oben mittig eine Leinwand, auf der ein brennendes Haus zu sehen ist, rechts im Vordergrund ein deutlich gealtertes Puppenhaus, dahinter sind weitere Ausstellungsstücke zu erahnenAlles in allem war die Ausstellung schon sehr interessant, obwohl ich es wirklich schade fand, dass die interaktiven Objekte nicht besser erklärt und zugänglich gemacht wurden. Mit etwas mehr Fokus auf die Nutzbarkeit der interaktiven Teile könnten hier deutlich mehr Menschen erreicht werden. Für mich war das der erste Besuch im Architekturmuseum, daher kann ich schlecht beurteilen, ob die Ausstellung vielleicht für Menschen, die mehr Architekturbackground haben, andere Aspekte bereit hält. Wenn die Ausstellung allerdings an die Gesamtbevölkerung gerichtet ist, dann wäre deutlich mehr Erklärungsaufwand sinnvoll gewesen.

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English Essays

Ann Patchett – These Precious Days

CN dieses Buch: Krankheit, Tod, Sterben, Trauer, Krebs, Drogen (Pilze)
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Vorab-Notiz: Da mir die Ausstellungsberichte von Jana in ihrem Zuckerbäckerei-Blog immer so gut gefallen, schließe ich am Ende dieses Posts einen Bericht über meinen Besuch im Technischen Museum Wien an.


Without ever meaning to, my father taught me at a very early age to give up on the idea of approval. I wish I could bottle that freedom now and give it to every young writer I meet, with an extra bottle for the women. I would give them the ability both to love and not to care.

In dieser Essay-Sammlung setzt sich die Autorin Ann Patchett mit unterschiedlichen menschlichen Themen auseinander. Im ersten Essay beschreibt sie das Verhältnis zu ihren drei „Vätern“, gemeint sind damit die drei Partner ihrer Mutter in serieller Monogamie. Im obigen Zitat ist ihr biologischer Vater gemeint, der ihr in jungen Jahren eine wichtige Freiheit vermittelt hat, um die ich sie nur beneiden kann. Andere Texte befassen sich mit der Vergänglichkeit alles Lebenden, dem Hineinwachsen in das eigene Leben und dem Geben und Nehmen zwischen Personen (und wie Nehmen und Geben nicht immer proportional zueinander sind, sondern oft geben sich Personen gegenseitig etwas, obwohl beide glauben, nur zu nehmen).

People want you to want what they want. If you want the same things they want, then their want is validated. If you don’t want the same things, your lack of wanting can, to certain people, come across as judgement. […] Does my choice not to have children mean I judge your choices, your children? That I think my life is in some way superior? It does not.

Besonders berührt hat mich der mehrteilige Essay, in dem sie ihre Erfahrungen als kinderlose Frau beschreibt. Die neugierigen Fragen, wann es denn für sie so weit sein soll. Die wohl gemeinten Ratschläge, dass sie es wohl später bereuen würde, keine Kinder bekommen zu haben. Die Annahmen, ein Buchprojekt, ein Hund, ein Unternehmen wären ein Ersatz für ein Kind; ein bemitleidenswerter Versuch, eine Leerstelle zu füllen, die jede Person, die mit einem Uterus geboren wurde, irgendwo in sich haben muss. Und sie hat auch noch eine Erklärung für dieses „Unverständnis“ gefunden, das im obigen Zitat angerissen wird. Menschen fühlen sich wohler, wenn wir ihre Wünsche, Hoffnungen und Ziele mit ihnen teilen. Wenn wir diese nicht teilen, kann das als Urteil missverstanden werden, als Abwertung ihrer eigenen Wünsche. So oft ist mir das begegnet, wenn es darum geht, was Menschen essen wollen. So oft habe ich erlebt, dass sich omnivor ernährende Menschen sich allein durch die Anwesenheit einer vegan lebenden Person kritisiert fühlen. Es könnte alles so einfach sein, wenn wir einfach hinnehmen könnten, dass es sich eben nicht um eine Abwertung der eigenen Lebensentscheidungen handelt, sondern einfach nur darum, etwas anderes zu wollen.


Hauptgebäude des Technischen Museums Wien mit großem Schriftzug und Säulen vor leicht bewölktem Himmel

Leider ist die Ausstellung Foodprints im Technischen Museum Wien nun schon vorbei. Ich habe es gerade in der letzten Woche noch hin geschafft. Die Ausstellung macht es sich zum Ziel, unserem Essen auf die Spur zu kommen: Wo kommt es her, wo geht es hin, wer ist in der Herstellung beteiligt, wie wird es verpackt? Sechs verschiedene Stationen, die in unterschiedlichen Farben in Gitterboxelementen zusammengefasst sind, beleuchten dabei unterschiedliche Aspekte der Nahrungsmittelproduktion.

Eingangsbereich zur Ausstellung Foodprints, Schritzug Foodprints in Leuchtbuchstaben über einem aus Gitterboxen zusammengestellten Tor, das mit Detailaufnahmen von Nahrungsmitteln dekoriert ist

Essen ist Kultur und Technik, menschliches Grundbedürfnis und Lebensstil, Ausdruck von Überfluss und Lebensfreude, Ressource und Ressourcenverbrauch. Wie heute gegessen wird, beeinflusst die Welt von morgen.

Blick in den Ausstellungsraum, im Vordergrund blau gefärbte Station aus Gitterboxen, die sich mit der Haltbarkeit von Lebensmitteln beschäftigt

mehrere Kühlschränke aus verschiedenen Epochen, innerhalb der Kühlschränke sind andere Methoden der Kühlung von Lebensmitteln ausgestellt

Bei jeder Station können die Besucher:innen eine beim Eingang erhältliche Karte in einen von drei Einkaufskörben legen, um am Ende der Ausstellung eine Auswertung über die von ihnen getroffenen Einkaufsentscheidungen zu bekommen. Diese wird auf einem Kassenzettel ausgedruckt und soll bewusst machen, wie unsere Einkaufsentscheidungen sich auf die Produktion von Nahrungsmitteln und alles, was damit zusammenhängt, auswirken.

ein Bildschirm, auf dem drei Sorten von Paradeisern/Tomaten abgebildet sind, darunter drei Einkaufskörbe, in denen Besucher:innen ihre Karten ablegen können, um eine Einkaufsentscheidung zu treffen

Interessant fand ich auch eine Schautafel, die erklärt, warum Kinder oft für sie neues Essen ablehnen.

Die Zunge von Kleinkindern ist doppelt so empfindlich wie die von Erwachsenen, vor allem gegenüber Bitterem und Saurem. Bitter und sauer können nämlich auf Giftiges, Verdorbenes oder Unreifes hindeuten.

Unbekannter Geschmack wird daher aus Sicherheitsgründen erstmal abgelehnt. Erst nach etwa acht bis zehn Wiederholungen wird ein neues Nahrungsmittel als bekömmlich anerkannt.

Im Geschmackslabor konnten unter anderem verschiedene Sorten von Raucharoma olfaktorisch miteinander verglichen werden.

Nach der Foodprints-Ausstellung schaute ich mir auch noch den Maker Space im Museum an, in dem Kinder und Jugendliche sich an 3D-Druckern, Laser Cuttern, Stickmaschinen und anderen Bastelobjekten ausprobieren können.

Visualisierung neuronaler Netze, links werden aus einem Panel mit 20 Leuchtelementen Kabel zusammengefasst, die rechts zu einer Codierung kombiniert werden, die außerhalb des Bildes zu einem Ergebnis führt

Die Ausstellung über Künstliche Intelligenz ist noch bis Oktober 2022 zu sehen. Architektonisch ist die Ausstellung in einem Turm über mehrere Etagen innerhalb eines hohen Saals des Museums eingebettet. Die Ausstellung hinterfragt generell, was künstliche Intelligenz eigentlich ist und was sie kann. Neben einer Visualisierung von neuronalen Netzen und einem Einblick in die Entwicklung der technologischen Grundlagen für künstliche Intelligenz werden auch Roboter in unterschiedlichen Entwicklungsstadien gezeigt. Besucher:innen können auch selbst ausprobieren und beobachten, wie eine künstliche Intelligenz die Erkennung von unterschiedlichen Tierbildern lernt. Hinterfragt wird außerdem, ob von künstlicher Intelligenz erschaffene Kunstwerke – wie zum Beispiel von einem Computer komponierte Musikstücke – überhaupt einen künstlerischen Wert haben. Umgekehrt kann hinterfragt werden, ob es überhaupt noch Menschen braucht, um Kunst zu erschaffen.

Als Einstieg in dieses Thema erfüllt die Ausstellung ihren Zweck, geht jedoch nicht weiter in die Tiefe.

Die Dauerausstellung Medien.Welten im Obergeschoss sowie die Sammlung über Musikinstrumente habe ich dann nur noch kurz besucht. Buchdruck, Telefon, Rohrpost, verschiedene andere Kommunikationsmethoden werden hier in ihrer Entwicklung nachgezeichnet. Die Klaviere und Orgelinstrumente befinden sich in einem sehr stillen, klimatisierten Saal, dessen Akustik sich wie ein Sarg anfühlt. Außerdem konnte ich in der Musiksammlung auch auf einem Theremin spielen.

Wer das komplette Programm des Technischen Museums sehen will, muss sich dafür mehrere Tage Zeit nehmen, eine Jahreskarte kann sich dafür durchaus auszahlen. Ich war nach zwei Stunden nur mehr bedingt und nach drei Stunden gar nicht mehr aufnahmefähig und es hätte noch viel mehr zu sehen gegeben.

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Roman

Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen

CN dieses Buch: Tod eines Kindes während des Geburtsvorgangs (graphische Beschreibung), Sterben, Tod, Suizidversuch, Suizid,  Fehlgeburt, Krebs, Krieg
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Ein nach Österreich zugewanderter Finne hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von Literatur-Geocaches finnischsprachigen Autor:innen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Nach Finnisches Feuer ist dieses Buch das Zweite, auf das ich durch diese Geocache-Serie gestoßen bin.

Zu Beginn haben mich die verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven etwas verwirrt, aber mit zunehmendem Fortgang der Geschichte wird das besser. Es fügen sich mit den unterschiedlichen Perspektiven auf bestimmte Ereignisse Erkenntnisse zusammen. Erzählt wird die Geschichte einer finnischen Familie mit nicht-traditionellem Familienmodell über insgesamt 100 Jahre. Während Hebamme Maria mit ihrer ledig geborenen Tochter Lahja erstaunlich gut zurecht kommt angesichts der Ungewöhnlichkeit dieser Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts, leidet Lahja selbst als erwachsene Frau unter der zunehmenden Entfremdung von ihrem Ehemann Onni, dem wiederum seine homosexuellen Neigungen, die in dieser Epoche kriminalisiert und als Krankheit betrachtet wurden, schwer zu schaffen machen. Die Blindheit der gemeinsamen Tochter Helena wird als schwerer Schicksalsschlag wahr genommen, das Mädchen erkämpft sich jedoch Stück für Stück mehr Unabhängigkeit.

Über den Titel und ob er zur Geschichte passt, denke ich immer noch nach. Einerseits kreuzen sich immer wieder die Wege der Familienmitglieder im gemeinsam bewohnten großen Haus. Andererseits verlaufen doch viele der beschriebenen Lebensabschnitte einfach parallel, ohne sich zu kreuzen. Aber daraus lässt sich wohl kein Titel ableiten. Für den Cache fehlen mir übrigens noch drei Antworten, die ich überlesen habe. Also werde ich noch weiter Zeit mit diesem Werk verbringen dürfen.

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Krimi Roman

Thomas Raab – Der Metzger geht fremd

CN dieses Buch: Mord, Gewalt, Abtrennen von Körperteilen, Andeutung von Vergewaltigung und Missbrauch von Minderjährigen, Feuer
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Die größten Enttäuschungen und Dramen finden innerhalb der Familie statt. Dort, wo Menschen unter der Gnade eines erfolgreichen Zeugungsakts das Recht verstehen, hinter verschlossenen Türen mit dem entstandenen Leben tun und lassen zu können, was sie wollen. Genau dort erweist sich für das entstandene Leben der erfolgreich vorangegangene Zeugungsakt nicht immer als Gnade.

Für den Urlaub wollte ich mir mal eine eindeutig leichte Lektüre vornehmen, die auch in kleinen Häppchen und mit Unterbrechungen konsumiert werden kann. Da hatte ich mich bei diesem Krimi allerdings etwas verschätzt. Es dreht sich nämlich um ein sehr komplexes Familiengebilde, das der Restaurator Willibald Adrian Metzger und seine auf Kur weilende Danjela Djurkovic Schritt für Schritt aufklären. Davon sind die beteiligten Familienmitglieder alles andere als begeistert. Verschollen geglaubte Brüder und Schwestern tauchen schließlich wieder auf; der vom diktatorischen Großvater verbreitete Hass vergiftet nahezu alle Beziehungen innerhalb der Familie.

Erzählt wird all das in dem gewohnten Metzger-Tempo. Höhepunkte sind die Schwärmerei über eine Biedermeier-Esszimmer-Garnitur, Metzgers Begegnung mit der Bauerstochter Franzi und die tierische Beteiligung an den Geschehnissen (Danjelas Hund Edgar sowie zwei Schwarzspitzenriffhaie geben den Ereignissen unerwartete Wendungen.) Die Haie haben auch das letzte Wort: In den letzten Zeilen des Romans wird im Gespräch über ein paar Zehen die letzte unklare Vaterschaft innerhalb des komplexen Familiengebildes aufklärt.

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English Erfahrungsbericht Essays

Jeanette Winterson – Art Objects. Essays on Ecstasy and Effrontery

CN dieses Buch: Erwähnung von suizidalen Gedanken und Suizid, Andeutung von sexuellen Handlungen
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Dieses Buch habe ich bei Shakespeare and Sons in Berlin gefunden. Die Kombination der Autorinnenschaft von Jeanette Winterson (ich habe von ihr bereits Why Be Happy When You Could Be Normal? und Frankisstein gelesen) und des Buchtitels hat mich sofort zugreifen lassen. Später musste ich feststellen, dass mich das Lesen dieser Texte ganz schön herausforderte. Insgesamt drei Anläufe hat es gebraucht, bis ich einmal bis zum Ende gekommen bin und einen weiteren Durchgang bis ich auch tatsächlich in der Lage war, etwas darüber zu schreiben.

Im ersten Text leitet sie her, wie sie begonnen hat, sich mit visueller Kunst zu beschäftigen. Als Autorin waren ihr Worte, Sätze und Geschichten nicht fremd, mit Bildern jedoch wusste sie nichts anzufangen. Dieses Fehlen der Auseinandersetzung mit visueller Kunst bildet den Ausgangspunkt für ein Hinterfragen der Kunst an sich, der Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Arten von Kunst, dem Unterschied zwischen Kunst und Medien, den Voraussetzungen für das Entstehen von Kunst und vielen anderen Fragen rund um dieses Thema …

Struggling against the limitations we place upon our minds is our own imaginative capacity, a recognition of an inner life often at odds with the external figurings we spend so much energy supporting. When we let ourselves respond to poetry, to music, to pictures, we are clearing a space where new stories can root, in effect we are clearing a space for new stories about ourselves.

Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem, was in entsprechenden Kreisen als literarischer Kanon (Kanon der Literatur auf Wikipedia) bezeichnet wird: Werke und Autor:innen, die scheinbar außerhalb jeden Zweifels stehen, deren künstlerischer Wert unbestritten ist; ein edler Kreis, in den nur die scheinbar Besten aufgenommen werden. Selbstverständlich war dies lange ein Kreis, der ausschließlich männlichen Personen vorbehalten war. Virginia Woolf argumentierte dahingehend, dass Frauen ihre Kreativität mehr ausleben könnten, wenn sie zumindest einen Teil der Privilegien genießen würden, die in dieser Epoche männlichen Personen vorbehalten waren:

Hox is a racing word: it means to hamstring a horse not so brutally that she can’t walk but cleverly so that she can’t run. Society hoxes women and pretends that God, Nature or the genepool designed them lame.

Ein Text befasst sich mit Büchern als Sammlerstücke. Signierte Erstausgaben nehmen hier einen besonderen Stellenwert ein, den ich nicht ganz nachvollziehen kann. Die Argumentation, ein antikes Buch kaufen zu wollen, damit es nicht im Glaskasten einer Ausstellung landet, ist mir ebenfalls unverständlich. Mir haben die Glaskästen voller Bücher im abgedunkelten und temperierten Untergeschoss der British Library sehr gefallen.

Blick in den Ausstellungsraum der Sir John Ritblat Gallery, gedämpftes Licht, schwarze Kästen, die mir Glas verkleidet sind, in diesen befinden sich wertvolle alte Bücher
Blick in den Ausstellungsraum der Sir John Ritblat Gallery in der British Library in London

Never lie. Never say that something has moved you if you are still in the same place. You can pick up a book but a book can throw you across the room. A book can move you from a comfortable armchair to a rocky place where the sea is. A book can separate you from your husband, your wife, your children, all that you are. It can heal you out of a lifetime of pain. Books are kinetic, and like all huge forces, need to be handled with care.

Als sich als lesbisch identifizierende Autorin kritisiert Jeanette Winterson auch die Tatsache, dass sexuelle Orientierungen in Bewertungen von künstlerischen Werken herangezogen werden. Sinngemäß schreibt sie: warum werde ich als lesbische Autorin wahr genommen? Warum nicht als Lesbe, die schreibt? Sie kritisiert dabei die Wertigkeit, die dem (zugewiesenen) Geschlecht und der sexuellen Orientierung beigemessen wird. Denn eigentlich sollte die Kunst unabhängig von diesen Attributen gesehen und bewertet werden.

Die wichtigste Aussage für mich in diesem Buch ist folgender Komplex:

Art is the realisation of complex emotion. […] Complex emotion often follows some major event in our lives; sex, falling in love, birth, death, are the commonest and in each of these potencies are strong taboos. The striking loneliness of the individual when confronted with these large happenings that we all share, is a loneliness of displacement. […] Art offers the challenge we desire but also the shape we need when our own world seems most shapeless. The formal beauty of art is threat and relief to the formless neutrality of unrealised life.

Für mich ergibt sich daraus einerseits, dass künstlerische Werke oft aus lebensverändernden Zuständen entstehen. Gleichzeitig kann uns die Rezeption von künstlerischen Werken aber auch helfen, diese lebensverändernden Zustände anzunehmen. Kunst kann uns herausfordern, kann uns Erfahrungen aufzeigen, die wir selbst nicht gemacht haben oder nicht machen können. Sie kann unsere Perspektiven erweitern und uns aber auch Trost spenden in den Momenten, in denen wir uns zutiefst allein fühlen. Sie kann uns zeigen, dass andere Menschen Ähnliches erlebt oder gefühlt haben; sie kann uns aber auch Einblicke ermöglichen in Lebensbereiche, die uns aus dem einen oder anderen Grund immer verschlossen bleiben werden.