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Sachbuch

Dava Sobel, William J. H. Andrewes – Längengrad

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Die Feststellung der Geokoordinaten, an denen wir uns gerade befinden, ist heutzutage in unseren Smartphones verbaut. Wir verwenden sie selbstverständlich bei jeder Adressanfrage an unser Telefon und bei jeder Planung einer Fortbewegung. Unser Smartphone kennt anhand von GPS-Koordinaten (und WLAN-Identifier) die Orte, an denen wir uns häufig aufhalten und kann uns an Aufgaben erinnern, die nur an einem bestimmten Ort ausgeführt werden können (Georeminder).

Die Geokoordinaten und ihre Bestimmung haben eine wechselhafte Geschichte hinter sich. In diesem reichlich illustrierten Band erzählen die Autor:innen die Entwicklung der Seenavigation, die von Astronomen und Uhrmachern (ja, allesamt männlich) gleichermaßen geprägt wurde.

  • Galileo Galilei (1564–1642) entdeckte 1610 drei Jupitermonde, die er später zur Bestimmung des Längenunterschieds zwischen zwei Orten zu benutzen versuchte. Diese Methode der Monddistanzen wurde von vielen Wissenschaftlern verfeinert und sollte noch einige Jahrhunderte die Navigation entscheidend prägen.
  • Gemma Frisius (1508–1555) erdachte 1530 als Erster, dass eine ausreichend genaue mechanische Uhr zur Längengradbestimmung genutzt werden konnte. Bis zur Entwicklung dieser „ausreichend genauen Uhren“ vergingen jedoch noch Jahrhunderte.
  • Der zentrale Charakter der Geschichte der Lösung des Längengradproblems ist jedoch der Uhrmacher John Harrison (1693–1776). Harrison baute Zeit seines Lebens vier Schiffsuhren (H-1 bis H-4 genannt), die auf See die Zeit wesentlich genauer anzeigten als alle bisher bekannten Zeitmesser. Diese Genauigkeit erreichte er zum Beispiel durch die Erfindung des Rostpendels, das verhinderte, dass Temperaturschwankungen die Länge des Pendelstabs einer Pendeluhr verändern (und damit die Messung der Uhrzeit beeinflussen). Er verwendete für sein Rostpendel Stahl- und Messingstäbe, die unterschiedlich auf sich verändernde Temperaturen reagieren und damit die Veränderung der Länge des Pendels ausgleichen können. Das Rostpendel ist übrigens nach dem Grillrost benannt, dem es mit seinen parallel angeordneten Stäben ähnelt. John Harrison widmete sein Leben der Lösung des Längengradproblems und wurde dabei bis ins hohe Alter von den Mitgliedern der Längenkomission schikaniert. Den 1714 ausgelobten Preis für die Lösung bekam er nie zugesprochen.
  • John Hadley (1682–1744) leistete einen wesentlichen Beitrag zur Messung der Monddistanz sowie der Messung der Höhe der Sonne, des Mondes oder eines Sterns über dem Horizont auf See. Der von ihm erfundene Spiegelquadrant erleichterte wesentlich die Bestimmung von Distanzen auf See. Der Hadley’sche Quadrant bildete den Vorläufer des Sextanten, wie er heute noch zur Seenavigation verwendet werden kann.

Aus dem Quadranten entwickelte sich rasch ein noch genaueres Gerät, der Sextant, der mit einem Teleskop und einer größeren Meßskala ausgestattet war. Diese Verbesserungen erlaubten es, die sich ständig wandelnden Entfernungen zwischen Mond und Sonne beziehungsweise Mond und Sternen nach Einbruch der Dunkelheit exakt zu bestimmen.

Die Erstausgabe dieses Buchs erschien bereits 1998, wie mir im letzten Kapitel auffiel, wo erstmals der Begriff GPS verwendet wird. Dort heißt es noch, dass aus Sicherheitsgründen die Genauigkeit der Positionsbestimmung auf 100 Meter beschränkt würde. Diese künstliche Ungenauigkeit wurde am 2. Mai 2000 (in der Geocaching-Community auch bekannt als Blue Switch Day) abgeschaltet. Dadurch erlebte GPS einen Aufschwung in der Nutzung für Fahrzeugnavigation und in weiterer Folge auch in der Verbreitung GPS-basierter Spiele wie Geocaching.

Hervorheben möchte ich auch noch diese Anekdote:

In der Folge wurde der Ausdruck »den Längengrad finden« zum Synonym für ein aussichtsloses Unterfangen. »Die Länge« war ein so populäres Gesprächsthema und eine so beliebte Pointe von Witzen, daß der Begriff sogar in die zeitgenössische Literatur einging. In Gullivers Reisen beispielsweise soll der gute Kapitän Lemuel Gulliver erzählen, wie er sich das Leben als unsterblicher Struldbrug vorstellt. Er antwortet, er würde mit Vergnügen die Wiederkehr der Kometen beobachten, würde verfolgen, wie aus großen Flüssen seichte Bäche werden, und er würde »die Entdeckung des Längengrades, des Perpetuum mobile, der Universalmedizin und viele andere bedeutende Entdeckungen erleben, die zur größten Vollkommenheit gelangt sind«.

Im Buch wird immer wieder erwähnt, welche Stücke der damaligen Zeit im National Maritime Museum bzw. im Royal Observatory in London zu sehen sind (etwa die von John Harrison konstruierten Uhren H-1 bis H-4). Nach der Lektüre dieses mitreißend aufbereiteten Buchs wäre es natürlich noch mehr Freude, die Artefakte aus dieser Zeit tatsächlich im Museum sehen zu können.