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Arto Paasilinna – Das Jahr des Hasen

CN: Gewalt, Gewalt gegen Tiere (Jagd), Rassismus, Waldbrand, Geburt (bei einer Kuh), Alkoholmissbrauch


Ein weiteres Buch, das mir über die Verbindung meiner beiden Hobbies Lesen und Geocaching zugeflogen ist. Mit diesem Buch konnte ich sogar zwei Mystery Geocaches lösen, wobei einer davon sich deutlich entfernt befindet, bis ich dort hin komme, kann es also noch einige Zeit dauern.

Die Geschichte beginnt damit, dass der Protagonist Vatanen mit seinem Kollegen im Auto unterwegs ist. Es kommt zu einem Zusammenstoß mit einem Hasen. Dieser Moment löst in Vatanen eine spontane Abkehr von seinem bisherigen Leben aus. Er kümmert sich um den verletzten Hasen und bricht gegen den Widerstand seiner Ehefrau und seines Chefs alle Verbindungen ab. Das folgende Jahr verbringt er als Vagabund und Gelegenheitsarbeiter auf Wanderschaft und erlebt dabei allerhand absurde Geschichten:

  • Ein fanatischer Anhänger der „wahren finnischen Religion“ stiehlt den Hasen, um ihn zu opfern.
  • Ein Rabe erweist sich als aggressiver Fressfeind, der immer neue Wege findet, um Vatanens Vorräte zu stehlen, bis dieser schließlich zu drastischen Maßnahmen greift.
  • Vatanen gerät in die Gesellschaft einer Delegation, die auch ausländische Gäste beinhaltet. Der Hase wird dabei zum Objekt des Interesses einer schwedischen Besucherin. Bis zu dem Moment, als sie Hasenkötel in ihrem Suppenteller findet.
  • Seine Wanderschaft endet nach langer Verfolgung eines räuberischen Bären (der eine Leidenschaft für Tomatenketchup hat) in Russland, wo er wegen diverser Verbrechen festgenommen wird. Wie Captain Ahab jagt Vatanen auf Skiern tagelang hinter dem Bären her, ohne sich um irgendetwas anderes zu kümmern.

Interessant fand ich neben den Beschreibungen der für mich unbekannten Landschaften auch den Hinweis auf eine finnische Ur-Religion, hier als „Fennismus“ bezeichnet. Die deutsche Wikipedia hat dazu keinen Eintrag und auch sonst konnte ich zu diesem Wort kaum etwas finden. Bei meiner diesbezüglichen Recherche stieß ich zuallererst auf Johan Vilhelm Snellman, finnischer Philosoph und Politiker, der sich für die finnische Währungsunabhängigkeit und die Anerkennung des Finnischen als Amtssprache einsetzte. Weiter zurück in die Vergangenheit las ich, dass Finnland lange unter schwedischer Regentschaft stand, bis sich 1809 die russische Armee durchsetzte und Finnland fortan unter russischer Herrschaft stand. Diese endete erst 1918, als Russland unter Lenin die Unabhängigkeit von Finnland anerkannte.

Auch die beschriebene Gegend interessierte mich sehr, besonders gegen Ende, wo russische Städte wie Kandalaksha (der Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia ist sehr kurz, beinhaltet aber ein Foto der Bahnstation) und Arkhangelsk (Hafenstadt am Weißen Meer) erwähnt werden.

Mir gefällt sehr, dass ich mich durch das Lesen eines Buchs animiert fühle, die beschriebenen Landschaften und Orte nach zu recherchieren und dabei sogar noch etwas über die Geschichte des Landes aufschnappe. In dieser Richtung wird es demnächst einen weiteren Post geben. Ich habe nämlich in der Bücherei herum gestöbert und bin dabei wieder mal im Bereich der Reiseliteratur gelandet. Mehr dazu in einem späteren Post.

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Tuomas Kyrö – Der Grantige

CN: Alter, Krankheit


Ein weiterer Beitrag aus der Reihe Literatur-Geocache, den ich recht amüsant fand. Ich habe die Granteleien eines alten weißen Mannes in Finnland an einem Abend durchgelesen. Obwohl viel des Grants auf das reine Altern zurückzuführen ist, scheinen zwischen den Zeilen weiche Züge durch.

Der Grantige empört sich über das verschwenderische Leben der heutigen Jugend und deren Bequemlichkeit, die ihm zeit seines Lebens nicht vergönnt war und die er sich heute selbst nicht vergönnt. Und er grantelt über den Verlust seiner Selbstbestimmung, weil ihm aufgrund mangelnder Reaktionsfähigkeit der Führerschein abgenommen wird und der Sohn ihn mittels eines Mobiltelefons „überwachen“ will. Wir sehen aber auch einen alten einsamen Mann, der im Pflegeheim die Hände seiner (mutmaßlich dementen) Frau hält.

Vom Leben bleibt einem nichts und man kann nicht daraus mitnehmen. Wenn man das begreift, steigt der Wert auch dieser gewöhnlichen Minute gewaltig, sage ich euch. Aber ein Mann kann nicht mehr tun, als er tun kann.

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Roman

Katja Kettu – Die Unbezwingbare

CN dieses Buch: Gewalt gegen Menschen, Kinder, Tiere; sexuelle Handlungen, Masturbation; sexueller Missbrauch von Kindern, Krankheit (Krebs, Demenz, Neurosyphilis, Typhus), Zwangssterilisation, Totgeburt, Rassismus
CN dieser Post: –


Ich war verdutzt, weil mir der Gedanke, dass ich mich hier auf meinem eigenen Land befand, gar nicht gekommen war. Dass ich überhaupt irgendwelches Land hätte, von dem ich fortgehen und auf das ich zurückkehren könnte.

Dieses Buch erzählt eine Geschichte von zwei unterdrückten Minderheiten: die indigene Bevölkerung im Ojibwe-Reservat in Minnesota und die finnischen Migrant:innen, die sich in derselben Gegend niederlassen. Beide Gruppen werden von der weißen Mehrheit diskriminiert und nicht als menschlich angesehen bzw. behandelt. Die erwachsene Lempi kehrt in das Reservat zurück, in dem sie als Tochter einer Ojibwe-Mutter und eines finnischen Vaters aufgewachsen ist. Ihre Mutter Rose ist auf mysteriöse Weise verschwunden, als Lempi acht Jahre alt war. Ihr Vater leidet nun an Demenz und steht unter Verdacht, am Verschwinden einer Jugendlichen beteiligt zu sein. Lempi kehrt in ihr Heimatland zurück aus der christlichen Gemeinde, in der sie sich gewissermaßen versteckt, um sich nicht mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen. Doch die Rückkehr reißt alte Wunden auf. Das Verschwinden von Rose wird jedoch nicht durch Detektivarbeit aufgeklärt sondern durch eine scheinbar natürliche Wendung der Ereignisse. Lempi ist nicht bewusst auf der Suche nach ihrer Vergangenheit. Die Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln ergibt sich fast gegen ihren Willen, sie kann sich jedoch dem Sog der Fragen nach den Ereignissen ihrer Kindheit auch nicht entziehen.

Es ist ein grausames Buch, das in vieler Weise aufzeigt, mit welcher Gewalt und unmenschlicher Behandlung sich unterdrückte Minderheiten konfrontiert sehen. Es ist gleichzeitig auch ein hoffungsvolles Buch, in dem Lempi ihre Vergangenheit nicht nur aufklärt, sondern darin auch eine neue Basis für ihre eigene Zukunft findet.

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Mikko Rimminen – Der Tag der roten Nase

CN dieses Buch: Alkoholmissbrauch, Verletzung der Nase, Unfalltod eines Jugendlichen, Trauer
CN dieser Post: –


Protagonistin Irma verschreibst sich selbst eine Zwangskur gegen ihre Einsamkeit und soziale Unsicherheit. Als vermeintliche Marktforscherin klingelt sie an fremden Türen, um in Kommunikation mit anderen Menschen zu kommen. Der Text lässt die Leser:innen direkt in ihren Kopf schauen und die Panik fühlen, die in ihr aufsteigt, ihr die Zunge lähmt und gerade in schwierigen Situationen alles (scheinbar) noch schlimmer macht. Der Großteil davon spielt sich allerdings tatsächlich nur in ihrem Kopf ab. Als Leser:in wusste ich aber bis zum Schluss nicht, dass sie sich all die negativen Reaktionen ihrer Mitmenschen eigentlich nur einbildet bzw. selbst vormacht. Tatsächlich wiederholt sich hauptsächlich die Frage „Ist mit Ihnen alles okay?“. Mehr Gedanken über ihr oft schräges Verhalten machen sich die meisten Menschen gar nicht. Eine schöne Erinnerung daran, dass wir uns über unsere persönlichen Eigenheiten nicht so viele Gedanken machen sollten. Alle anderen machen sich nämlich auch nur Gedanken über ihre eigenen Eigenheiten und nicht über unsere.


Letzten Samstag verschleppte ich den Fotografen zur Ausstellung Unseen Places im KunstHausWien (nur noch bis 19. Februar 2023). In dieser Retrospektive werden verschiedene Projekte des Fotografen Gregor Sailer gezeigt. Er beschäftigt sich schon seit Längerem mit „Architekturen, die auf politische, militärische oder wirtschaftliche Aspekte der Gegenwart verweisen“ (alles unter Anführungszeichen sind Zitate aus dem Ausstellungstext). Dafür begibt er sich an Orte, die normalerweise nicht zugänglich sind und nimmt dafür große Strapazen und immensen Aufwand in Kauf. In einem Ausstellungstisch sind auch Dokumente und Tagebuchaufzeichnungen zu sehen, die einen Einblick erlauben in die Schwierigkeiten, die mit diesen Projekten verbunden sind/waren.

Gleich neben dem Eingang und der einleitenden Erklärung der Retrospektive beginnt die Ausstellung mit dem Projekt The Potemkin Village (2015–2017). „In sieben Ländern fotografierte [Gregor Sailer] Scheinarchitekturen, Kulissenbauten und illusionistische Modelldörfer“, darunter zB rudimentäre Stadtstrukturen für militärische Übungszwecke. Diese Bilder fand ich gleichzeitig verstörend und interessant, weil sie eine halbfertige Welt zeigen. Die Architekturen sind jedoch nicht halb zerstört, wie es vielleicht in einem Kriegsgebiet wäre, sondern einfach nur halb gebaut oder überhaupt nur als Kulissen aufgestellt. Auf den detailreichen Fotos eines amerikanischen Militärübungsplatzes ist etwa ein arabisch beschriftetes Lebensmittelgeschäft, eine Moschee oder ein Brunnen zu sehen. Die vollkommene Menschenleere verleiht den Bildern eine Unwirklichkeit, ich konnte mir vorstellen, dass die Menschen hier aufgrund einer Katastrophe alle verschwunden sind. Es wirkt teilweise wie der Schauplatz eines Science-Fiction-Romans.

Blick in den Ausstellungsraum, links eine Collage aus 4x5 Bildern aus der Serie The Potemkin Village, hinten ein wandfüllender Blick in einen U-Bahn-Schacht aus der Reihe Subspace

Das Projekt Closed Cities (2009–2012) ermöglicht Einblicke in spektakuläre Orte:

  • Mirny, Jakutien, Russland. „Stadt am Rande eines gigantischen Tagebaulochs, sämtliche Gebäude auf Pfählen im Permafrost errichtet“. Das beeindruckende Foto zeigt einen verschneiten Krater, in dem nach Diamanten geschürft wird. Am Horizont dahinter ist schemenhaft durch den Nebel die Stadt zu erkennen.
  • Die Flüchtlingsstädte Dakhla, Escuela 27 Febrero, Rabouni und Smara, West-Sahara. Etwa 200.000 Menschen leben in dieser „lebensfeindlichsten Region der Sahara“. Ohne Hilfe von außen wären diese Städte nicht überlebensfähig. Die Bilder zeigen die Leere der Wüste, ein einsames Fußballtor unter der sengenden Sonne.
  • Chuquicamata, Atacama, Chile. Größte Tagebaumine der Welt. 2008 wurden 35.000 Einwohner:innen wegen „untragbarer Lebensbedingungen“ zwangsumgesiedelt. „Die Stadt verschwindet unter Abräumhalden. Umliegende Landschaft auf Jahrzehnte verseucht aufgrund jahrelanger Entsorgung hochgiftiger Abwässer direkt in die Wüste.“ Für die Arbeiter:innen wurde zB. ein Stadion errichtet, das leer im heißen Wüstenstand glüht.
  • Ras Laffan, Katar, Mittlerer Osten. Etwa 100.000 Einwohner (ausschließlich Männer) arbeiten in dieser Siedlung am größten Gasfeld der Erde (persischer Golf). Die Bilder zeigen gespenstische rot beleuchtete Konstruktionen aus Rohren und Tanks. Ein optisch harter Kontrast zu den oben beschriebenen Orten und Bildern, die sich durch Helligkeit und Weite auszeichnen.
  • Nordelta, Argentinien. Einen wahren Kontrastpunkt zu den obigen Örtlichkeiten bildet die Gated Town Nordelta in Argentinien im Norden von Buenos Aires. Hier leben reiche Menschen in einer künstlich geschaffenen Umgebung.

Verlassene Orte sind jedoch nicht nur in entlegenen Gegenden zu finden. Auch Österreich hat so manchen Lost Place zu entdecken. Im Projekt The Box (2014–2015) fotografierte Gregor Sailer in einem Stollen eines ehemaligen Bergwerks in Schwaz (Tirol). Im Zweiten Weltkrieg wurde hier von Zwangsarbeiter:innen das weltweit erste Kampfflugzeug mit Stahltriebwerkstechnologie produziert. „Die so genannte Messerschmitthalle liegt heute ohne jegliche Infrastruktur in absoluter Dunkelheit.“ Um hier überhaupt fotografieren zu können, musste ein spezielles Beleuchtungskonzept entwickelt werden. Das Ergebnis sind großformatige, dunkle Schwarz-Weiß-Fotos, die in ihrer kalten, harten Klarheit erahnen lassen, welchen unmenschlichen Bedingungen die Zwangsarbeiter:innen damals ausgesetzt gewesen sein müssen.

Blick in den Ausstellungsraum, die Wände sind blau verkleidet, darauf sind helle Bilder zu sehen, zentral im Raum steht eine einzelne Bank auf dem Holzboden

Das aktuellste Projekt ist The Polar Silkroad (2017–2022). Aus dieser Serie stammt auch das Titelfoto der Ausstellung, das mich auf dem Plakat in seinen Bann gezogen hat. Es zeigt eine militärische Station der Norwegian Armed Forces, Andøya, Norway. Das Gebäude verschwindet beinahe im Nebel, links davon ist ein Berggipfel zu erahnen. Zentraler Blickfang ist eine Art runder Spiegel in der Mitte des Bildes, die gelbliche Färbung sticht aus dem ansonsten weiß-grau-blau (je nach Entwicklung und Lichteinfall, das Bild in der Ausstellung ist deutlich weißer als das auf dem Plakat) gehaltenen Bild deutlich heraus.

Auch ein zweites Bild aus dieser Serie hat mich sehr beeindruckt. Es zeigt die Royal-Air-Force-Basis in Fylingdales in Großbritannien. Im Vordergrund ist von Rauhreif bedecktes Gras zu sehen, dahinter erscheint ein beleuchteter Zaun aus dem Nebel, der das Bild prägt. Erst bei längerer Betrachtung werden die Kanten des Gebäudes im Nebel erkennbar. Ein scheinbar langweiliges Bild, das aber viel in sich birgt. Dieses Bild ist auf der Webseite leider nicht enthalten, daher kann ich es nicht extra verlinken.

Bilder aus den einzelnen Projekten sind auf der Webseite von Gregor Sailer zu sehen, ich habe sie jeweils beim Projekttitel extra verlinkt.

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Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen

CN dieses Buch: Tod eines Kindes während des Geburtsvorgangs (graphische Beschreibung), Sterben, Tod, Suizidversuch, Suizid,  Fehlgeburt, Krebs, Krieg
CN dieser Post: –


Ein nach Österreich zugewanderter Finne hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von Literatur-Geocaches finnischsprachigen Autor:innen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Nach Finnisches Feuer ist dieses Buch das Zweite, auf das ich durch diese Geocache-Serie gestoßen bin.

Zu Beginn haben mich die verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven etwas verwirrt, aber mit zunehmendem Fortgang der Geschichte wird das besser. Es fügen sich mit den unterschiedlichen Perspektiven auf bestimmte Ereignisse Erkenntnisse zusammen. Erzählt wird die Geschichte einer finnischen Familie mit nicht-traditionellem Familienmodell über insgesamt 100 Jahre. Während Hebamme Maria mit ihrer ledig geborenen Tochter Lahja erstaunlich gut zurecht kommt angesichts der Ungewöhnlichkeit dieser Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts, leidet Lahja selbst als erwachsene Frau unter der zunehmenden Entfremdung von ihrem Ehemann Onni, dem wiederum seine homosexuellen Neigungen, die in dieser Epoche kriminalisiert und als Krankheit betrachtet wurden, schwer zu schaffen machen. Die Blindheit der gemeinsamen Tochter Helena wird als schwerer Schicksalsschlag wahr genommen, das Mädchen erkämpft sich jedoch Stück für Stück mehr Unabhängigkeit.

Über den Titel und ob er zur Geschichte passt, denke ich immer noch nach. Einerseits kreuzen sich immer wieder die Wege der Familienmitglieder im gemeinsam bewohnten großen Haus. Andererseits verlaufen doch viele der beschriebenen Lebensabschnitte einfach parallel, ohne sich zu kreuzen. Aber daraus lässt sich wohl kein Titel ableiten. Für den Cache fehlen mir übrigens noch drei Antworten, die ich überlesen habe. Also werde ich noch weiter Zeit mit diesem Werk verbringen dürfen.

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Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer

CN dieses Buch: Mord, Sucht, sexuelle Handlungen, Geschlechtsteile
CN dieser Post: –


Auf dieses Buch bin ich mittels eines Literatur-Geocaches gestoßen und es war wirklich eine Entdeckung. Als ich beim Recherchieren über die Autorin Johanna Sinisalo las, das sie mit Finnish Weird eine eigene Literaturgattung geschaffen haben soll, war ich gleichzeitig gespannt, was mich da erwarten würde und in Befürchtung, ich würde nichts davon verstehen.

Die Geschichte beginnt schon mit einem Knalleffekt, es bleibt also kein Zweifel daran, dass dieses Buch in einer anderen Welt spielt. Und gleichzeitig ist es eine europäische Welt, in der Finnland sich als Wohlfahrtsstaat mit einer Art Kastensystem von den so genannten Hedonistenstaaten und Verfallsdemokratien abgrenzt. Alkohol, Tabak und andere Genussmittel sind verboten. Unter anderem wird auch Capsaicin, also Chili in unterschiedlichen Aggregatzuständen (frisch, Mehl, eingelegt im Glas, etc.) als Droge illegal angebaut und gehandelt.

Ein weiteres gesellschaftskritisches Element ist die Einteilung der Menschen in jene, die sich fortpflanzen dürfen und jene, die dafür laut den Regeln der Gesellschaft nicht „geeignet“ sind. Spätestens im Alter von zwei Jahren werden Kinder von einer Kommission geprüft, um ihr „endgültiges Geschlecht“ festzulegen. Ein Betrug bei dieser Prüfung ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Gesellschaftsordnung.

Das Buch wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Hauptperson ist Vanna/Vera (sie wird im ganzen Buch abwechselnd mit beiden Namen bezeichnet, denn Vera ist ihr Geburtsname, den sie als festgelegte Femifrau Eloi nicht mehr benutzen darf, weil der Buchstabe R in Namen den männlichen Maskos vorbehalten ist). Sie schreibt zu Beginn Briefe an ihre verlorene Schwester Manna/Mira, deren Schicksal ungewiss ist. Vanna/Veras Partner Jare trägt ebenfalls seine Perspektive in verschiedenen Szenen bei. Unterbrochen werden diese persönlichen Erzählungen von Werbetexten, Geschichten aus Zeitschriften oder Auszügen aus (vermeintlich) wissenschaftlichen Abhandlungen, in denen dann über die Erziehung und Zucht des weiblichen Teils der Bevölkerung referiert wird. Gerade diese Zwischentexte zeichnen ein sehr deutliches Bild von dieser Gesellschaft, in der den Menschen sehr unterschiedliche Werte zugeschrieben werden und in der sie mit den mit ihrem Geschlecht verbundenen Rollen gefangen sind.

Irgendwie verfolgen mich die Dystopien gerade. Ein wesentlicher Auslöser für die Wahl dieses Buchs war auch, dass ich gerade ein anderes begonnen habe, dass mich so dermaßen runterzieht, dass ich es buchstäblich nicht weiterlesen wollte. Dafür brauche ich wohl mehr Zeit und etwas Abwechslung dazwischen. Ich habe es aber noch nicht aufgegeben.