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English Erfahrungsbericht Reise

Alice Morrison – Walking With Nomads

  1. 1.000 Books in the Fridge!
  2. Heutige Buchbesprechung.
  3. Bericht zur Ausstellung „Deaf Journey“ im Volkskundemuseum Wien.

Screenshotausschnitt einer Webseite, Text Published (1,000)

Das ist der tausendste veröffentlichte Post auf diesem Blog! Seit dem 26. November 2007 habe ich also mehr als 1.000 Bücher gelesen (nicht alle wurden hier veröffentlicht, es sind aber kaum mehr als 10 Bücher, die ich aus persönlichen Gründen nicht öffentlich dokumentiert habe). 1.000 Bücher in 17 Jahren, das fühlt sich für mich gleichzeitig viel und wenig an. Erinnert mich an den Moment, als mir als Kind klar wurde, dass ich niemals alle Bücher in unserer damaligen kleinen Stadtbücherei lesen werde können. Heute wird noch sehr viel mehr veröffentlicht, durch eBooks, Audio-Books (nicht mein Medium, aber für viele Menschen sehr wichtig) und Self-Publishing können Bücher veröffentlicht werden, für die es sonst keinen Markt gäbe. Diesen Nischen möchte ich in den nächsten 1.000 Posts auch mehr Aufmerksamkeit schenken. Es werden weiterhin viele Krimis vorkommen, weil ich die zur Entspannung und Unterhaltung einfach gern lese. Memoirs (Geschichten aus dem echten Leben, von realen Personen, Blicke in andere Lebenswelten) haben mich in den letzten Jahren auch sehr interessiert (wie sich an der heutigen Buchbesprechung auch zeigt). Ich möchte aber auch in mir bislang verborgene Ecken vordringen.

Meine Mutter erzählt gerne, dass sie sich sehr gefreut hat, als ich endlich in die Schule gehen durfte, weil sie mir immer so viel vorlesen musste. Da war sie froh, als ich dann selbst lesen lernte. (Vor-)Lesen hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, es ist mein längstes und wichtigstes Hobby. Das Lesen erlaubt mir, über den Tellerrand meiner eigenen kleinen Welt zu schauen, es gibt mir Anregungen über andere Lebensentwürfe und -modelle, es lässt mich aber auch aus meiner eigenen Welt aussteigen, wenn die gerade nicht so freundlich zu mir ist. Hoffentlich werde ich darauf niemals verzichten müssen.


I feel better for knowing I am not suffering alone. The thing is, though, on this kind of adventure, you have to keep going. You have to keep walking no matter how you feel or what the circumstances are. […] It is an endless, excruciating lesson in patience.

Beim letzten Besuch im Lieblingsbuchgeschäft in Berlin habe ich in einer Ecke ein Regal entdeckt, das vielleicht neu ist oder mir vorher noch nie aufgefallen war. Daraus fischte ich dieses ganz besondere Buch: ein Travel Memoir, das in drei Expeditionen durch Marokko führt. Die Autorin Alice Morrison begibt sich mit drei Guides und sechs Kamelen auf monatelange Wanderungen durch die unterschiedlichen Landschaften von Marokko.

Das obige Zitat drückt ziemlich gut aus, wie sich die Vorstellung einer solchen Expedition für mich anfühlt. Tägliches Gehen von 20 und mehr Kilometern, in extremer Hitze, tägliches Ein- und Auspacken der gesamten Ausrüstung, eingeschränkter Zugang zu frischem Wasser und großteils keinerlei Zugang zu Hygieneeinrichtungen: bleiben wir ehrlich, so eine Reise würde ich niemals machen wollen.

Umso bereichernder finde ich es, darüber zu lesen, das andere Menschen solche Erfahrungen machen. Wie bei so ziemlich jeder Reise sind die oben erwähnten Strapazen natürlich nur die Negativ-Seite. Auf der Positiv-Seite berichtet Alice Morrison von der Kameradschaft, die sie innerhalb ihrer Karawane erlebt, vom herzlichen Willkommen, das sie nahezu überall erwartet, von den atemberaubenden Landschaften, die sie durchwandert und den aufregenden Entdeckungen, die sie in der wenig besiedelten Gegend macht. Als sie kurz vor dem Ende ihrer dritten Expedition selbst Dinosaurier-Spuren entdeckt, ist sie eins mit sich und der Natur:

The drop below me is sheer and there are buzzards overhead. The world is a perfect place. I am here on this mountain, searching for these messages from the past, etched into nature, and I take time to just enjoy the excitement and wonder that I feel. The tiredness and discomforts fade away […]. None of it matters; what matters is to do what you can where you are and to fully live the great moments, like these ones, that come along in every life.

Selbst die ganze Welt zu bereisen, ist den wenigsten Menschen möglich und aufgrund der aktuellen Klimakrise auch nichts mehr, was angestrebt werden kann. Durch Bücher um die ganze Welt zu reisen ist da nicht nur bequemer und günstiger, sondern auch besser für die Umwelt. So wird’s hier weitergehen, danke an alle, die bis hierher gelesen haben.


Im Volkskundemuseum Wien ist noch bis inkl. Sonntag, 29. September 2024, die Ausstellung „Deaf Journey“ zu sehen. Im Rahmen der dritten Hacktours hat eine Gruppe an interessierten Menschen die Ausstellung am 15. September besucht. Durch die Ausstellung wurden wir geführt von Kurationsperson Oliver Suchanek (es/es, they/them). Die Führung wurde in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) abgehalten und durch Dolmetschung (finanziert durch Spenden und unterstützt durch den C3W) in österreichische Lautsprache übersetzt. Die Ausstellung ist ein Projekt des Vereins Gebärdenverse, der sich seit 2o23 „für die Verbindung der hörenden und der gehörlosen Community“ einsetzt.

Schriftzug, in schwarzer Farbe auf eine Wand über einer Tür gemalt: „Identität – die Kunst sich selbst zu verstehen“

Der Untertitel „Der Weg zur Identität“ spannt einen Bogen über die Werke der sieben beteiligten Künstler:innen. Damit soll jedoch nicht eine gehörlose Identität suggeriert werden. Jede der beteiligten Personen hat ihre eigene Reise absolviert, um dort anzukommen, wo sie sich jetzt befindet. Die Reise ist damit auch nicht zu Ende, sie ist ein Prozess, in dem sich immer wieder neue Wege auftun.

Thematisiert werden unterschiedlichste Diskriminierungserfahrungen, mit denen gehörlose Menschen im Alltag immer wieder konfrontiert sind (Audismus). Künstlerin Cecilia Göbl (sie/ihr, she/her) thematisiert diese in ihren Acrylbildern zum Beispiel mit häufigen Vorurteilen, die gehörlose Menschen von Aktivitäten (wie zum Beispiel dem Autofahren) ausschließen. Auf einem anderen Bild zeigt sie, wie Gebärdensprache nicht nur Menschen verbindet. Selbst Kleinkinder, die (noch) nicht sprechen können, sind in der Lage, einfache Gebärden zu erlernen und sich so auszudrücken. Auch Hunde verstehen Handzeichen/Gebärden. Mit ihren Bildern möchte Cecilia Göbl auch zeigen, dass die Gebärdensprache nicht nur ein Hilfsmittel ist, sie erlaubt eine unmögliche Ausdrucksvielfalt. Ein Zitat von ihr aus dem Ausstellungskatalog:

Mit Gebärdensprache kann ich offen ausdrucken und aus Seele gebärden. Einfach mal ich zu sein.

Mir gefällt besonders ihr Bild „Be Unique“. Es zeigt zwei glückliche gebärdende Menschen, gemalt in Rot-Gelb-Orange-Tönen in einer Menge an grau-schwarzen Menschen, die allesamt keine Gesichtszüge haben.

ein Bild an der Wand zeigt zwei glückliche gebärdende Menschen, gemalt in Rot-Gelb-Orange-Tönen in einer Menge an grau-schwarzen Menschen, die allesamt keine Gesichtszüge haben

Ein zentrales Werk in der Ausstellung von Künstler Marko Lalic (er/ihm, he/him) ist ein zweiteiliges Bild, das die unterschiedlichen Facetten der hörenden und der gehörlosen Welt thematisiert. Seine hörende Welt ist von Stress, Unverständnis und misslungener Konversation geprägt, während in seiner gehörlosen Welt Menschen Ruhe haben und sich besser konzentrieren können, weil sie nicht von den vielen Alltagsgeräuschen abgelenkt und überfordert werden. Ein Detail des Bilds zeigt die Silhouette einer Person, die einem Hund gegenübersteht und diesem die Gebärde für das Wort „Sitz(en)“ zeigt.zwei Bilder an der Wand, auf dem linken ist zentral eine Person zu sehen, die sich die Ohren zuhält, darum kleinere Szenen, die allesamt stressig und unangenehm wirken, auf dem rechten Bild ist in der Mitte eine Person zu sehen, die offensichtlich entspannt ist, rundherum Szenen aus dem gehörlosen LebenTerezia Pristacova (sie/ihr, she/her) erweitert die Ausstellung um Videoinhalte. Als schwerhörige Person kann sie „Musik genießen und starke emotionale Bindung zu Musik aufbauen“. In ihren Kunstwerken verbindet sie Tanz mit Gebärdensprache.

Für Franz Steinbrecher (er/ihm, he/him) war die Ankunft „in einer neuen Welt ohne Sprachbarrieren (ÖGS) […] ein neuer Zugang zu Wissen“ nach einem „langen steinigen Weg mit vielen Missverständnisse und Verwirrungen, Einbahnen sowie Abhängigkeiten vom Umfeld.“ Kurationsperson Oliver Suchanek erklärte uns, dass das von Franz Steinbrecher gestaltete Wandbild in der aktuellen Ausstellung eine Fortsetzung eines Bildes darstellt, das er für eine frühere Ausstellung (Deaf Gain) gestaltet hat. Auf dem aktuellen Wandbild ist ein Astronaut im Sprung zu sehen, der zwischen zwei Hälften einer zerbrechenden Welt seine Arme nach dem großen, lebendigeren Teil ausstreckt. Dort fliegen Schmetterlinge, bunte Hände zeigen Gebärden, es weht die Flagge der Gehörlosen (Deaf flag). Sein Bild drückt seinen Wunsch aus, sich von der hörenden Welt mehr und mehr zu lösen, um sich in der gehörlosen Welt richtig entfalten zu können.

Wandbild, ein Astronaut im Sprung, der zwischen zwei Hälften einer zerbrechenden Welt seine Arme nach dem großen, lebendigeren Teil ausstreckt

Lily Emmalie Marek (sie/ihr, she/her) nimmt in ihren Werken Bezug auf die oben angesprochene „gehörlose Identität“. Sie ermöglicht den gehörlosen und schwerhörigen Menschen ein Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl. Gleichzeitig ist aber jede Identität anders zusammen gesetzt und die Individualität der einzelnen Personen geht nicht verloren. Auf einem Tisch sind Bilder ausgelegt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Person zeigen. Die Besucher:innen können nun versuchen, die Bilder in eine Reihenfolge zu bringen und danach überprüfen, ob sie mit der von der Künstlerin vorgesehenen Reihenfolge überein stimmen.

Auf einem Tisch sind Bilder ausgelegt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Person zeigen. Die Bilder zeigen jeweils den Kopf einer Person, mit zusätzlichen Symbolen oder Schriftzügen. Auf einem Bild ist der Mund der Person mit zwei Pflastern kreuzweise verklebt, auf einem anderen Bild steht im Bereich des Gesichts „You are your home“

Gabriel Manasch (er/ihm, he/him) arbeitet für seine Kunstwerke mit unterschiedlichen Materialien. Auffällig ist etwa eine Skulptur, die mittels 3D-Drucker entstanden ist. Sie verbindet die Gebärden für die Worte Schmetterling und Schildkröte. Die Skulptur verweist darauf, dass dies oft die ersten Gebärden sind, die Personen sich merken, wie uns Oliver Suchanek erzählt. Beide Tiere werden teilweise auch von der Gehörlosen-Community als Symbole verwendet. Für Gabriel Manasch ist Gebärdensprache auch ein Ausdruck der Kultur und Gemeinschaft der Gehörlosen-Community. Zwei wiederkehrende Motive in den Werken in der Ausstellung sind (gebärdende) Hände und der Baum als Symbol für Wachstum. Ein Bild von Marko Lalic zeigt eine Hand, aus deren Fingern ein Baum wächst.

eine 3D-gedruckte Skulptur aus grünem Filament, es sind vier Hände, die die Gebärden für Schildkröte und Schmetterling zeigen

Oliver Suchanek (es/es, they/them) hat sich in seinen Werken für diese Ausstellung damit befasst, wie die Gebärdensprache für es eine andere Ausdrucksmöglichkeit ermöglicht. Es thematisiert aber auch, wie das audistische Verhalten der Mehrheitsgesellschaft bei gehörlosen Menschen zu einem Deaf Burnout führen kann. Oliver erzählte uns, wie viel Energie die Anpassung an die hörende Welt im Alltag kostet. zwei Bilder an der Band, oben eine Person, deren Hände zu brennen scheinen, in der Mitte in gelber Farbe auf schwarzem Grund der Text „DEAF BURNOUT“, darunter ein Bild, in der die Silhouette einer Person unter einem Wald aus Wurzeln steht, eine Hand ist nach oben gestreckt und scheint wie ein Licht die Dunkelheit zu erhellenEinen wichtigen Brückenschlag versucht die Ausstellung auch in Richtung anderer marginalisierter Gruppen. Die in der Ausstellung gezeigten Bilder stehen teilweise auch als taktile Version aus dem 3D-Drucker zum Anfassen bereit. Dies soll auch blinden Besucher:innen ermöglichen, die Bilder zu erfahren.

zwei Bilder nebeneinander, beide zeigen eine Person, die das Wort Licht(er) gebärdet, links als Bild, rechts als 3D-gedruckte taktile Version zum Anfassen

Die Ausstellung „Deaf Journey“ ist im Volkskundemuseum Wien noch bis inkl. Sonntag, 29. September 2024, zu sehen. Es gibt noch zwei Termine für Führungen mit Dolmetsch in Deutsch:

  • 23.9. 18 Uhr: Führungsangebot mit Dolmetsch in Deutsch
  • 29.9. 14 Uhr Führungsangebot mit Dolmetsch in Deutsch

Die Ausstellung bietet verschiedene Perspektiven auf die Entwicklung einer gehörlosen Identität und zeigt viele Schwierigkeiten auf, mit denen gehörlose und schwerhörige Menschen im Alltag konfrontiert sind. Ein Besuch mit Führung ist sehr zu empfehlen.

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English Krimi Roman

Laura Lippman – Lady in the Lake

CN: Gewalt, Mord, sexuelle Handlungen, Drogenmissbrauch, Erwähnung von Schwangerschaftsabbruch und Fehlgeburt


Nach der heutigen Buchbesprechung folgt ein Bericht über meinen Besuch im Modellpark Berlin-Brandenburg.

The world kept telling her to look away, to pay no attention to an age-old system, in which men thrived and inconvenient women disappeared.

Ein Roman, der wie für eine Serienumsetzung geschrieben scheint (kein Wunder, dass AppleTV+ das schon gemacht hat). Das Setting in den 1960er-Jahren im US-amerikanischen Baltimore erlaubt ein Eintauchen in eine andere Zeit, sowohl modisch als auch mit dem Set-Design. Nachdem ich mir den Trailer angesehen habe, bin ich mir aber nicht mehr sicher, wieviel die Serie mit der Romanvorlage tatsächlich gemeinsam hat …

Das Buch beginnt mit der jüdischen Hausfrau Madeline Schwartz, die nach einem von vielen weiteren Abendessen, das sie für ihren Ehemann und spontan geladene Gäste ausrichtet, beschließt, ihren Ehemann zu verlassen. Im Buch wirkt das völlig gefühllos, wobei das auch zur Identität von Madeline (Maddie) zu passen scheint, die generell eher kalt und berechnend wirkt.

Als sie zufällig zur Zeugin in einem Mordfall wird, nutzt sie die Gelegenheit, um sich mit mehr oder weniger sauberen Winkelzügen in die Zeitungsredaktion des Star einzuschleusen. Dafür nutzt sie den guten Willen des Mordverdächtigen, der ihre Briefe beantwortet, die sie dann später nutzt, um daraus in der Zeitung Kapital zu schlagen.

In vieler Hinsicht wirkt Maddie wie eine hilflose Möchtegern-Ermittlerin, die Spuren nachläuft, um sich interessant, beliebt und wertgeschätzt zu machen. Dabei dreht sie sich die Situationen auch so hin, dass es für sie moralisch passt, auch dann, wenn sie dabei offensichtlich anderen schadet. Das macht sie zu einer wenig sympathischen Person, die die erhoffte Karriere über alles stellt.

Die Erzählstruktur des Buchs ist zu Anfang so, dass sich Kapitel aus der Perspektive von Maddie abwechseln mit Kapiteln, die aus der Perspektive von anderen Menschen geschrieben sind, die jeweils gerade mit Maddie Kontakt hatten. Dazwischen gestreut sind die Statements der titelgebenden Lady in the Lake: Eine schwarze junge Frau namens Cleo Sherwood, die zu Beginn als vermisst gilt und später zum Ziel Maddies weiterer Ermittlungen wird. Dabei scheucht Maddie nicht nur Cleos Familie und frühere Bekannte auf, sie bringt sich auch selbst in gefährliche Situationen.

Mich verwundert gerade sehr, wie massiv die nicht mal drei Minuten Trailer meinen Blick auf die Geschichte, die ich gerade gelesen habe, verändert haben. Natürlich ist so eine verdichtete Darstellung in einem Trailer nicht zu vergleichen mit der tatsächlichen Mini-Serie (oder der Buchvorlage), es scheint aber doch ein wesentlich größerer Fokus auf Cleo gelegt zu werden, die im Buch zwar zur Sprache kommt, im Trailer aber deutlich mehr Präsenz einnimmt. Dass das eBook jetzt mit dem Cover der Serie in der OverDrive eLibrary steht, gefällt mir auch nicht so wirklich. Ich hätte lieber das Original-Cover des Buchs dort gesehen.


Bei meinem letzten Berlin-Besuch kam es endlich dazu, dass wir den Modellpark Berlin-Brandenburg besichtigten. Entdeckt hatten wir den Park schon im August 2020, als wir die Feldbahn im FEZ besuchten. Dann hatte ich das Tab ewig lange offen, bis es irgendwann einem Crash zum Opfer fiel. Als ich nun erfreut feststellte, dass wir den Modellpark auch mit Hund besuchen können, gab es kein Halten mehr.

Detailaufnahme eines Modells, erkennbar an der gigantischen Pflanze, im Vordergrund sitzen Personen auf Bänken, sie schauen auf einen Teich, im Hintergrund sind zwei weiße Türme eines Schlosses auf einer Insel zu sehen
Modell von Schloss Pfaueninsel

Laut Webseite sind im Modellpark über 80 Modelle zu sehen, der aktuelle Lageplan enthält 66 Objekte, von denen manche aus mehreren einzelnen Modellen bestehen. Vor Ort konnten wir leider nicht alle sehen. Wo laut Lageplan ein Modell sein sollte, war teilweise nur eine Form im Rasen erahnbar, wo das Modell wohl zuvor gestanden hat (zum Beispiel das Zeiss Grossplanetarium). Da die Modelle alle der Witterung ausgesetzt sind, ist es logisch, dass viel Wartung nötig ist, das zeigt sich auch deutlich an manchen der vorhandenen Modelle. Oft sind Regenrinnen abgebrochen oder Teile des Dachs fehlen (ersichtlich zum Beispiel auf dem untenstehenden Foto des Modells der Zitadelle Spandau). Die Versuchung, Kleinteile als Souvenir mitzunehmen, war bei mir groß, ich konnte gerade noch widerstehen.

Detailaufnahme eines Modells, Haupteingang zu einem Gebäude aus Ziegeln in unterschiedlichen Rot- und Brauntönen, der Eingang hat eine Ziehbrücke und einen Weg dorthin, rundherum symbolisiert Schotter vermutlich eine Wasserfläche, über dem Eingang ein schmaler Balkon mit einem großen dekorativen Relief
Modell der Zitadelle Spandau

Die Modelle sind allesamt Gebäude, Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten aus Berlin und dem umliegenden Land Brandenburg. Den meisten Berlin-Besucher:innen dürften die Siegessäule, das Brandenburger Tor und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Begriff sein. Spannender für uns war als Foto Opportunity allerdings das Modell des Frankfurter Tors bzw. der Karl-Marx-Allee, da der Fotograf in der Gegend wohnt. Dem Fotografen fiel außerdem auf, was nicht im Modellpark zu sehen war: ein Modell des Fernsehturms am Alexanderplatz.

Modell des Frankfurter Tors, zwei Gebäude mit Türmen im Vordergrund, in der Mitte zwischen den Türmen steht eine Person, die Türme überragen gerade die Person, neben der Person sitzt ein schwarzbrauner Hund, der Hund schaut hinauf zur Person, die Person hat das Gesicht dem Hund zugewandt und die Hände vor den Hüften verschränkt
Modell des Frankfurter Tors
Überblick über eine Modellanlage, im Vordergrund ein Teich mit rosa blühenden Seerosen, im Hintergrund ein Schloss umgeben von einem Park
Modell von Schloss Rheinsberg

Viele (eigentlich alle?) der Modelle aus dem Land Brandenburg waren mir allerdings komplett unbekannt. Dabei sind einige Schlösser wie zum Beispiel das Schloss Rheinsberg, neben dessen Modell ein Teich mit Seerosen angelegt ist oder das Schloss Oranienburg mit Orangerie. Hier sind Rosenbüsche neben den Gebäuden gepflanzt, zentral ist das Eingangsportal zum Schlossgarten, das ich gleich aus mehreren Perspektiven fotografiert habe, wie auf den nächsten beiden Fotos zu sehen ist.

Detailaufnahme eines Modells, Haupteingang zum Schlosspark, ein Metalltor zwischen zwei Säulen, die ausschweifend dekoriert und von zwei weiblich anmutenden Statuen gekrönt sind, hinter dem Tor ist ein blühender Rosenbusch und ein weißes Gebäude mit Ziegeldach zu erahnen, im Vordergrund zeigen hohe Gräser, dass es sich eben um ein Modell handelt, sonst wäre beinahe eine Verwechslung möglich
Modell Schloss Oranienburg, Haupteingang zum Schlosspark
Detailaufnahme eines Modells, Haupteingang zum Schlosspark, ein Metalltor zwischen zwei Säulen, hinter dem Tor steht ein schwarzbrauner Hund, seine Zunge hängt heraus und er schaut aufmerksam in die Kamera, der Hund wirkt gigantisch im Vergleich zum Modell, es sieht aus, als würde der Hund das Tor überragen
Modell Schloss Oranienburg, Haupteingang zum Schlosspark

Als Modellbahn-begeisterte Person hatte ich natürlich besondere Freude mit den bewegten Modellen im Park. Ein ICE durchfährt eine Landschaft mit mehreren Modellen, ein älteres Zugmodell ist zwischen Modellen aus der Gegend Zehdenick, Dannenwalde und Fürstenberg, Bredereiche unterwegs. Leider konnte ich von den einzelnen Modellen in diesen Bereichen keine Beschreibungen finden, im Lageplan sind sie nur als Gruppe verzeichnet. Vor Ort waren neben den Modellen Beschreibungstafeln angebracht (die meisten davon durch die Sonne sehr ausgebleicht und oft nicht eindeutig den Modellen zuzuordnen), leider hab ich mich darauf verlassen, das alles nachträglich recherchieren zu können, was leider nicht funktioniert.

Alt-Text für Video: Bild aus der Bodenperspektive, links und rechts ein Gebäude, dazwischen schlängelt sich eine rote Modellbahn durchs Bild, sie besteht aus einer Lokomotive, einem Frachtwaggon und einem Waggon, in dem blau gekleidete Personen sitzen

Exkurs: Ich versuche noch, die Videos ordentlich mit Alt-Text einzubinden, auf die Schnelle habe ich das gerade leider nicht geschafft.

Alt-Text für Video: Modell einer U-Bahn-Strecke mit zwei Gleisen, zuerst fährt auf dem rechten Gleis ein Wagen aus einem Tunnel auf die Kamera zu, kurz darauf auf dem linken Gleis wiederum ein einzelner Wagen, dieser auf dem linken Gleis scheint sich gefährlich zur Seite zu neigen, das Gleis fällt auf einer Seite etwas ab.

Als wir beim Frühstück den Tagesablauf planten, meinte der Fotograf noch, wir würden wohl eh nicht so lange im Modellpark sein. Da hat er sich natürlich getäuscht, wir haben sicher über drei Stunden dort verbracht, obwohl alle Modelle in der Sonne liegen und es trotz der moderaten Temperaturen in der Sonne ganz schön heiß war. Gegen Ende unseres Rundgangs waren wir alle drei schön durch erhitzt.

vor dem Modell eines Rathauses, ein Ziegelbau mit vielen dekorierten Fenster inkl. einem Rosettenglasfenster und einem spitzen Turm darauf (es wirkt beinahe wie eine Kirche) liegt ein schwarzbrauner Hund, die Ohren reichen bis zum ersten Stock hinaus, die Zunge hängt aus dem Mund, der Hund liegt im Schatten des Modells, von rechts oben scheint deutlich sichtbar die Sonne ins Bild
Modell des Rathauses Berlin Lichtenberg
Modell eines Ziegelgebäudes mit hohen runden Fenstern und einem Türmchen, links dahinter ein Teich mit darin wachsendem Schilf
Modell „Altes Wasserwerk Friedrichshagen“
Überblicksaufnahme eines Modells, das eine Kathedrale darstellt, die Kirche wird von seitlich hinten betrachtet, also der Altarraum mit einem eigenen Glockenturm steht im Vordergrund, das Haupteingangsportal ist von der Position des Fotos aus nicht zu sehen, die Kirche besteht aus einem gigantischen Mittelschiff mit einer seitlichen 8-eckigen Kapelle, dem Altarraum und dem großen Glockenturm über dem Eingangsportal
Modell der Klosterkirche Neuzelle

Der Modellpark ist liebevoll gestaltet und betreut, es gibt Spielmöglichkeiten für Kinder, viele – auch schattige – Sitzgelegenheiten, einen Miet-Trolley (um kleinere Kinder durch den Park zu transportieren), einen Souvenir-Shop und auch fürs leibliche Wohl wird gesorgt. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es für die Besucher:innen nur eine öffentliche Toilette außerhalb des Modellparks gibt. Für die sind 50 Cent Gebühr fällig. Besucher:innen des Modellparks können einen Chip bekommen, um die Toilette gratis zu nutzen, das ist jedoch nicht sehr transparent kommuniziert. Da wäre es schön, wenn es im Modellpark wenigstens ein Öklo oder sowas gäbe. Die Eintrittspreise sind sehr moderat (aktuell Erwachsene: 5,50€, Kinder bis 6 Jahre frei, Kinder von 7 bis 18 Jahre: 2,50€, es gibt noch weitere Ermäßigungen für bestimmte Personengruppen). Die Anreise kann sich je nachdem, von wo in Berlin ihr herkommen wollt, etwas mühsam gestalten, ist es aber in meinen Augen auf jeden Fall wert. Wenn ihr euch irgendwie für Modellbau interessiert (oder einfach nur ein paar lustige Fotos machen wollt), kann ich den Modellpark wärmstens empfehlen.

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Roman

Hannu Raittila – Canal Grande

CN: Alkoholmissbrauch, Andeutung sexueller Handlungen


Ein dem Leben völlig entfremdetes wissenschaftliches Erkenntnisinteresse führt einen solchen Wissenschaftler dazu, sogar den eigenen Tod interessiert zu betrachten.

Ein weiterer Ausflug in die finnische Literatur, angestoßen durch einen weiteren Literatur-Geocache. Eine Gruppe von Expert:innen aus Finnland besucht Venedig. Über den Zweck dieser Reise herrschen unter den Beteiligten unterschiedliche Annahmen vor. Der Ingenieur Marrasjärvi fühlt sich berufen, die Strömungen der Kanäle und der Lagune zu untersuchen, um so herauszufinden, wie Venedig vor dem Versinken gerettet werden kann. Dabei stets an seiner Seite steht der wackere Dozent Heikkilä, der aus kunsthistorischer Sicht auf die Stadt – und das gesamte Leben – blickt. Kulturrätin Snell sieht ihre Aufgabe hauptsächlich darin, in Italien die finnische Lebensart bekannter zu machen (unter anderem verschenkt sie praktikables finnisches Geschirr, mit dem die Italiener:innen nichts anfangen können). Vierter im Bunde ist Saraspää, der eigentlich nur von Bar zu Bar taumelt und generell nur seine eigenen Ziele (die allerdings der Leser:in verborgen bleiben) verfolgt.

Unterhaltsam ist das hauptsächlich deshalb, weil die geradlinige finnische Lebensart mit der italienischen Leichtigkeit immer wieder in Konfrontation gerät. Des Öfteren fragt sich der Ingenieur, wie denn hier jemals etwas zustande gebracht werden kann und warum sich die Italiener:innen nicht ein Beispiel am skandinavischen Vorbild nehmen. Eine großartige Szene ist auch, als Marrasjärvi und Heikkilä verhaftet werden, weil die vom Ingenieur angebrachten Strömungsmesser für Terrorismus gehalten werden. Im Rahmen der Aufklärung dieses Missverständnis muss unverhältnismäßig viel Espresso aus winzigen Tassen getrunken werden, was aus der Sicht des Ingenieurs völlige Zeitverschwendung darstellt.

Ich fühlte mich erinnert an Die große Hitze, einen Roman, der die österreichische Bürokratie aufs Korn nimmt und köstlich parodiert. Ein literarisches Werk finnischer Herkunft, das Kulturdifferenzen als Grundlage nimmt und darauf aufbauend eine interessante Geschichte konstruiert.

Jeder vernünftige Mensch begreife, dass das Leben unmöglich wäre, wenn man die Gesetze wörtlich nähme.

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English Roman

Kate Mosse – The Taxidermist’s Daughter

CN: Unfall, Krankheit, Gedächtnisverlust, Konservieren toter Tiere, Mord


The belief that in death, beauty could be found. The belief that through the act of preservation, a new kind of life was promised. Immortal, perfect, brillant, in the face of the shifting and decaying world.

Nach meiner Meinung ist das nicht ihr bestes Werk, also genau genommen ziemlich schwach im Vergleich zu den anderen, die ich bisher gelesen habe. Mit Connie Gifford gibt es wieder eine starke weibliche Hauptfigur, die sich nicht von den im damaligen Großbritannien für Frauen geltenden ungeschriebenen Regeln aufhalten lässt. Trotz ihres Gedächtnisverlusts aufgrund eines Unfalls, den sie als Kind erlitten hat, kümmert sie sich um ihren Vater, hält dessen Werkstatt und Geschäft aufrecht und führt natürlich auch den Haushalt, wie es sich für eine Dame in ihrer Stellung gehört. Über der Bergung einer Leiche verliebt sie sich Hals über Kopf in Harry, der ihr bei dieser schweren Aufgabe zufällig zur Seite steht.

Der Plot um das lange zurückliegende Verbrechen, das zu Connies Unfall geführt hat, ist in weiten Teilen gut ausgeführt, weist aber in anderen Teilen deutliche Schwächen auf. Die dramatischen Wetterverhältnisse im letzten Teil der Geschichte dienen als eine Art Deus ex machina, um Täter:innen, Opfer und Bewesie verschwinden zu lassen, was wiederum den verbleibenden Mitwisser:innen ermöglicht, ihr Leben in einem Epilog glücklich weiterzuführen.

Ich empfehle Das verlorene Labyrinth.

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English Roman

Ashley Herring Blake – Astrid Parker Doesn’t Fail

CN: sexuelle Handlungen, Erwähnung einer überlebten Krebserkrankung


Die Fortsetzung von Delilah Green Doesn’t Care. Aufgehoben für den Moment, wo ich sie brauche und auch dieses Mal hat mich Ashley Herring Blake nicht enttäuscht. In meinen jüngeren Jahren (es war offensichtlich vor dem Start dieses Blogs) habe ich tatsächlich auch romantische Romane gelesen z.B. von Danielle Steel oder Susan Elizabeth Phillips. Damals™ war das natürlich alles streng heterosexuell: Frau trifft Mann in einer unwahrscheinlichen Situation, am Anfang können sie sich nicht leiden, am Ende sind sie verheiratet. Dieser Enemies-to-Lovers-Trope funktioniert jedoch auch in einem queeren Setting, wie Ashley Herring Blake hier eindrucksvoll verdeutlicht.

(Ich habe gerade unverhältnismäßig viel Zeit damit verbracht, nach einer Serie zu suchen, die ein ähnliches Modell aufweist, wie es die Autorin dieser Buchreihe anwendet: es war eine Serie aus drei Bänden, in der jeweils eine von drei Schwestern in so einem Enemies-to-Lovers-Setting die große Liebe findet. Da ich jedoch nicht mehr weiß, wer diese Serie geschrieben hat und ich sie vermutlich auf deutsch gelesen habe, konnte ich sie bis dato nicht auftreiben.)

Eine nach diesem Muster erzählte Geschichte könnte oberflächlich und langweilig sein, ist es aber hier nicht im Geringsten. Die beiden Hauptprotagonist:innen verlieben sich nicht nur, sie stehen beide an einem Moment ihres Lebens, an dem sie sich fragen müssen, was sie eigentlich vom Leben wollen, was ihnen wichtig ist. Wie sie das herausfinden, ist Teil der Liebesgeschichte, die nicht zuletzt von der Mutter der Titelfigur, die bereits im ersten Roman eine Nebenrolle gespielt hat, sabotiert wird. Richtig super würde ich es ja finden, wenn diese steife und karriereorientierte Isabel Parker-Green auch noch die Hauptrolle in einem zukünftigen queeren Liebesroman spielen würde. Denn auch ältere Menschen können ihre Queerness noch entdecken. Immerhin verändert sich auch das Mutter-Tochter-Verhältnis im Verlauf der Geschichte, ohne die Leser:in mit einer einfachen Lösung zu beleidigen.

Den Hintergrund der Geschichte bildet die Renovierung eines alten Hotels, das im Rahmen einer Fernseh-Show ein Make-Over erhalten soll. Für alle Beteiligten steht viel auf dem Spiel, Astrid erhofft sich durch die Publicity neue Aufträge für ihre Design-Firma, Jordan will das Familienhotel vor dem Verkauf retten. Es gibt also jede Menge Konfliktpotential, das den Fortgang der Liebesgeschichte verzögert und somit glaubwürdig(er) macht. Für mich ausgezeichnete Unterhaltung im queeren Romance-Genre, wie schon letztes Jahr finde ich schön, dass es solche Geschichten nun auch mit queeren Charakteren gibt. Diese Charaktere sind hier übrigens nicht das Beiwerk wie es der „schwule Freund“ in Filmen und Romanen lange war. Sie sind einfach natürlich queer ohne dass dieser Fakt sie zu etwas Besonderem macht. Queerness gehört zum Leben dazu und ist in diesen Romanen etwas ganz Normales, was ich durchaus erfrischend finde.

Randnotiz: Das Einzige, was ich nicht herausfinden konnte, ist der Grund, warum Jordans Ex-Frau Meredith überhaupt wieder auf der Bildfläche auftaucht. Vielleicht habe ich das aber auch einfach überlesen.

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Fantasy Roman Science Fiction

skye gänseblum – Die Träume sind kaputt

CN: Depression, Krankheit, Erwähnung von ableistischen Diskriminierungen, sexuellem Missbrauch und Gewalt, Mord


Ich habe keine Ahnung, seit wann meine Träume nicht mehr meine waren. Vielleicht war es schon immer so und ich hab es erst später gemerkt, aber ehrlich gesagt kommt es mir nicht so vor.

Also zuerst möchte ich sagen, dass das ein ganz besonderes Buch ist. Eine kurze Beschreibung ist aus meiner Sicht nicht möglich oder zumindest nicht aussagekräftig. Ich werde versuchen, auf die Inhalte einzugehen, die mir besonders herausragend erscheinen, möchte aber trotzdem die Kurzbeschreibung zitieren, die der nichtbinäre Autor skye gänseblum selbst seinem Buch gegeben hat:

Es ist Cripplepunk Science Fantasy mit Umgangssprache und Neopronomen. Chronisch kranke Hauptcharaktere, Queerness, Behinderung, Freundschaft und Abenteuer.

Im Zentrum stehen die Protagonist:innen Tuniriam [sier] und Otogo [sie], die sich erst im Verlauf der Geschichte kennenlernen. Aus ihren beiden Perspektiven wird erzählt, wie sie und ihre Freund:innen dem Spuk um die kaputten Träume auf die Spur kommen. Denn Tuniriam und Otogo leiden unter derselben chronischen Krankheit: Schlafen bringt ihnen keine Erholung, da sie im Schlaf in der Traumwelt herumwandeln und dabei auch in die Träume anderer Menschen eindringen können. Im Wachzustand müssen sie sich vom Schlaf erholen und im Schlaf vom Wachzustand. Das führt dazu, dass sie ständig müde sind und im Alltag Unterstützung benötigen.

Tuniriam erhält diese Unterstützung von der Familie, oder zumindest von Teilen dieser Familie. Tuniriams Mutter hingegen verkörpert einen sehr ableistischen Charakter, sie hält Tuniriam ständig vor, dass sier ja nichts zum Haushalt beiträgt und sich doch einfach mal zusammenreißen soll.

Otogo ist bei Pflegeeltern aufgewachsen und schließlich in einem Heim gelandet, wo ihre Traumerkrankung durch die vielen Alpträume der anderen Bewohner:innen noch verschlimmert wird. Erst als sie vom Investigativjournalisten Rob aus dem Heim entführt (bzw. gerettet) wird, bekommt sie die Chance, ihren Schlaf-Wach-Rhythmus selbst zu regulieren und so eine Art Pacing (Energiemanagement wie zB als Therapie für ME/CFS) hinzubekommen, das ihr das Leben erleichtert bzw. in gewisser Weise erst ermöglicht.

Die Erkenntnis, dass beide dieselbe Krankheit haben, die ihnen einerseits ermöglicht, in den Träumen anderer Menschen auch Dinge zu verändern, aber eben dazu führt, dass sie ständig müde sind, verändert einiges für die beiden. Stück für Stück finden sie durch Unterhaltungen miteinander und mit anderen Traumwesen mehr über sich und ihre Situation heraus. Diese Traumwesen sind zumeist nicht das, was sie zu sein scheinen, das müssen Otogo und Tuniriam aber erst auf die harte Tour herausfinden.

All dies geschieht in einer Welt, die von unserer fast soweit entfernt ist, wie die Traumwelt, in der Tuniriam und Otogo ihre Abenteuer erleben. Es werden aber auch immer wieder die gesellschaftlichen Parallelen aufgezeigt. Es handelt sich um eine Gesellschaft, in der das Leistungsprinzip eine Rolle spielt, in der Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Gegebenheiten nicht so viel leisten können, als weniger wertvoll betrachtet werden.

Einfach nur krank sein und weiterleben war für ihn nicht okay, weil dann belastet man ja die Gesellschaft oder so.

Auch das Streben nach größtmöglicher Normalität, das in unserer heutigen Gesellschaft vielen Menschen das Leben so schwer macht, spielt eine Rolle. Menschen, die in das Schema nicht reinpassen, werden versteckt bzw. es wird ihnen unmöglich gemacht, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Die ganze Idee dahinter ist, dass die Unterschiede zwischen den Leuten weggelöscht werden sollen, damit alle perfekt sind. Es gibt so einen Bereich, der als normal angesehen wird, und wer da nicht reinpasst, wird halt trotzdem reingequetscht.

Es werden viele Aspekte angesprochen, die im Leben von behinderten Menschen allgegenwärtig sind. Das geschieht allerdings nicht mit dem Holzhammer oder dem erhobenen Zeigefinger. Es wird einfach erzählt, wie es den behinderten Charakteren im Alltag ergeht, was ihnen das Leben schwer macht und wie sie versuchen, damit umzugehen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Reisen an entfernte Orte für manche Menschen allein aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation undenkbar sind:

Diese Bekanntschaften pflegte ich allerdings nur halbherzig, da es mich zu sehr deprimierte, dass ich niemals die Gesundheit oder das Geld für eine Reise an einen anderen Ort haben würde.

Einen einzigen Kritikpunkt kann ich nicht verschweigen: Das Ende des bösen Traumgeists geht mit einer sehr gewaltvollen Szene einher, wobei eine Person, die bislang nur am Rande aufgetreten ist, aus reinem Pech in die (buchstäbliche) Schusslinie gerät. Als Auflösung der Geschichte finde ich es gerechtfertigt, ich kann nur nicht ganz nachvollziehen, warum es dermaßen gewaltvoll geschehen musste. Gerade in einem Buch, das vor der Thematisierung von Gewalt und Missbrauch nicht zurückschreckt, aber diesen zuvor niemals im Detail graphisch beschrieben hat, hat mich diese Szene einfach sehr überrascht und ich finde sie passt nicht ganz zum Rest.

Im Ganzen möchte ich dieses Buch sehr herzlich empfehlen. Es bietet die Möglichkeit, Einblicke in eine Lebenswelt zu bekommen, die den meisten Menschen verschlossen ist und auch viel zu oft gar nicht gesehen werden will. Die Charaktere repräsentieren Persönlichkeiten und Eigenschaften, die in der Literatur noch immer wenig vertreten sind. Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch viel Aufmerksamkeit bekommt und hoffentlich bei dem einen oder der anderen Leser:in einen Denkprozess auslöst. Das Buch ist bei BOD und auch auf anderen Plattformen erhältlich.

Disclaimer: Ich habe dieses Buch vor der Veröffentlichung als Rezensionsexemplar erhalten. Es ist kein Geld geflossen und wie immer lest ihr hier ausschließlich meine persönliche Meinung zum Buch. 

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Roman

Jessika Westen – Dance or Die

CN: Es handelt sich um die fiktionalisierte Erzählung eines Ereignisses, das in der Realität stattgefunden hat. Für mich waren daher die beschriebenen Gefühle und Erlebnisse der Protagonist:innen noch näher, als wenn die Geschichte komplett erfunden wäre. Enthalten sind Beschreibungen folgender Themengebiete: Mobbing, Panikattacken, gewaltsamer Tod, Trauer, Hilflosigkeit, Verletzungen, Massenpanik.


Das unbeschwerte Lachen einer ganzen Partygeneration war verschwunden.

Auf Mastodon unter dem Hashtag #2024reads war mir dieses Buch aufgefallen und da es in der Onleihe verfügbar war, griff ich gleich zu. Nicht nur einmal hab ich später meine Sensationslust verflucht. Ich kann mich an die Medienberichte von der Loveparade 2010 in Duisburg erinnern, da ich aber selbst eher auf Rock-Festivals zu finden bin war, hat es mich damals nicht näher berührt. Also jedenfalls nicht so nah, dass ich irgendjemanden gekannt hätte, der dabei gewesen ist.

Das Buch erzählt anhand der Erlebnisse fiktionalisierter Personen das Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven. Zentral sind dabei drei Personen:

  • die Journalistin Emma, die selbst schon auf mehreren Loveparades als Teilnehmerin dabei war und nun vom Bahnhof aus über das Geschehen im Fernsehen berichten soll, worüber sie zu Beginn enttäuscht ist, weil sie lieber direkt vom Veranstaltungsgelände aus berichtet hätte,
  • der Rettungssanitäter René, der als ausgebildete Einsatzkraft auf der Loveparade Dienst tut und mit einer völlig unerwarteten Ausnahmesituation konfrontiert wird und
  • das Mädchen Katty, die mit ihrer Freund:innengruppe die Loveparade besuchen will und direkt im Zentrum der Katastrophe landet.

Der Text wird immer wieder von Funksprüchen unterbrochen, die als Instrument dienen, um die Entwicklung der Lage auf dem Veranstaltungsgelände zu erläutern und die Unfähigkeit der Veranstalter:innen und der Sicherheitskräfte zeigen, die dazu führt, dass es schließlich durch die Konzentration zu vieler Menschen in einem zu engen Zugangsbereich zur Veranstaltung zu einer Massenpanik kommt.

Neben den oben genannten drei Hauptpersonen kommen auch Kattys Eltern und Freund:innen zu Wort; gerade zum Ende hin ergibt sich daraus noch ein größerer Pool an Gefühlen, die durch so ein dramatisches Ereignis ausgelöst werden können. Unglauben, Trauer, Hilflosigkeit, die Angst, selbst mit Schuld zu haben sind nur einige der Emotionen, die bei den Protagonist:innen auftreten.

Mehr als einmal musste ich das Buch am Abend weglegen, um die vom Buch erzeugten Bilder in meinem Kopf nicht in meine Träume mitzunehmen. Es ist ein trauriges und wichtiges Buch, das hoffentlich allen Menschen, die an der Organisation von Veranstaltungen beteiligt sind, einen Ansporn gibt, die Sicherheit der Teilnehmenden über alles zu stellen.

Dass diese Woche drei Konzerte von Taylor Swift in Wien wegen Terrorismusgefahr abgesagt wurden, ist ein Zufall, der aber vielleicht bewusst machen kann, dass es eben um das Leben jeder einzelnen Person geht.

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English Roman

Emma Straub – This Time Tomorrow

CN: Krankheit und Tod eines Elternteils, Trauer (möglicherweise noch mehr, das ich leider nicht rekonstruieren kann)


It was the worst fact of parenthood, that what you did mattered so much more than anything you said.

Auch dieser Post wurde leider verschleppt und wird deshalb oberflächlicher ausfallen müssen, als ich es mir wünschen würde. Wie schon im vorherigen Buch/Post geht es auch hier um das Thema Zeitreisen, allerdings in einem deutlich anderen Setting.

Die Protagonistin wacht am Morgen nach ihrem 40. Geburtstag nach einem Abend mit zu vielen alkoholischen Getränken in ihrem Jugendzimmer auf und stellt fest, dass sie wieder 16 Jahre alt ist. Ihr Vater, den sie noch am Vortag im Krankenhaus besucht hat, sitzt am Frühstückstisch und gratuliert ihr zum Geburtstag.

Was zuerst nach einer Geschichte klingt, wie sie Material für sehr schlechte Filmkomödien sein könnte, wird von der Autorin verwandelt in eine Meditation über den Lauf der Zeit und die Entscheidungen, die unseren Lebensverlauf prägen. Was sind die Dinge, die uns wirklich wichtig sind in unserem Leben? Was wäre passiert, wenn wir in dieser einen Situation anders entschieden hätten? Wären wir wirklich glücklicher als wir es gerade sind?

Obwohl die Protagonistin alles Mögliche ausprobieren darf, um diese Fragen zu beantworten, liegt die Antwort dann doch woanders. Wir müssen nicht durch die Zeit reisen, um herauszufinden, was in unserem Leben wirklich wichtig ist.

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Roman

Emily St. John Mandel – Sea of Tranquility

CN: Pandemie, Suizid eines Familienmitglieds (möglicherweise noch mehr, das ich leider nicht rekonstruieren kann)


What is time travel if not a security problem?

Leider kann ich diesem großartigen Buch aufgrund Verschleppung des Posts wegen massiver Überlastung in unterschiedlichen Bereichen nicht mit einer Beschreibung gerecht werden, die ihm eigentlich zustünde.

Stattdessen möchte ich sagen: es hat einen guten Grund, warum dieses Buch so lange nicht verfügbar war in der Overdrive eLibrary, warum immer wochenlange Vormerkungen vorlagen und ich jetzt einfach schnell zugegriffen habe, als es einmal zu haben war.

Einziger Ausschlussgrund, um dieses Buch nicht zu lesen: Wenn du mit dem Konzept der Zeitreise grundsätzlich nichts anfangen kannst. Wenn dir diese Vorstellung aber in irgendeiner Weise interessant erscheint und du dich irgendwann mal gefragt hast, was du selbst tun würdest, wenn du vor der Entscheidung stehst, die Vergangenheit zu verändern, dann lies dieses Buch, du wirst es nicht bereuen. Große Empfehlung von mir. 

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English Essays Memoir

Lena Dunham – Not That Kind of Girl

CN: Gaslighting, Misogynie, sexuelle Handlungen, Diät, OCD, Depression, Anxiety, Erwähnung von Suizid, Vergewaltigung


But I am a girl with a keen interest in having it all, and what follows are hopeful dispatches from the frontlines of that struggle.

Eines der Bücher, die sich am Längsten auf meiner Merkliste in der Libby-App befinden, habe ich nun mal gelesen. Da weiß ich dann schon nicht mehr, warum es überhaupt auf dieser Liste steht (in der Libby-App kann ich mir dazu leider keine Anmerkungen machen; in der anderen Liste, die ich nur unregelmäßig pflege, weil sie eh viel zu lang ist, habe ich dazu auch nichts gefunden). Ich vermute den Lila Podcast als Anknüpfungspunkt, da wurde die Autorin in mehreren Episoden erwähnt.

Der Untertitel „a young woman tells you what she’s ‘learned’“ deutet auf einen Lernprozess hin. Es handelt sich jedoch um einen impliziten Lernprozess, beinahe mehr einen Sozialisationsprozess, in dem die Autorin gelernt hat, wie die Gesellschaft mit jungen Frauen wie ihr umgeht.

„You can’t please everyone,“ my grandmother always said.
Yes, you can, I thought. If you just work hard enough.

Sie erzählt in thematisch gruppierten Essays von ihren Erfahrungen hinsichtlich Liebe, Freundschaft, Sex und Arbeit, von ihrem Umgang mit dem eigenen Körper und wie dieser Umgang massiv von den von außen auf junge Frauen einprasselnden Erwartungen beeinflusst wurde. Sie spart nicht mit peinlichen Situationen, von denen wir vermutlich als junge Menschen mit wenig Erfahrung alle einige erlebt haben dürften. Sie beschreibt die Situationen, die sie erlebt hat, wie zum Beispiel den Polizisten, der ihr nahelegt, dass sie doch nicht so nett zu dem Mann sein hätte sollen, der ihr nun nachstellt und sie bedroht. Kaum ein (anti-)feministisches Klischee wird ausgelassen, die Kritik bleibt jedoch zumeist zwischen den Zeilen stehen. Sie nimmt ihre eigenen (früheren) Annahmen über die Gesellschaft aufs Korn, ohne sie konkret zu widerlegen. Dadurch bleibt das Buch unterhaltsam, ohne zu sehr auf die Zehen zu treten. (Obwohl es laut Wikipedia doch einigen Menschen auf die Zehen getreten ist.)

I was a working woman. I deserved kisses. I deserved to be treated like a piece of meat but also respected for my intellect.

Vielleicht hätte ich mir etwas anderes erwartet? Erwartungshaltungen sind ja immer problematisch. Mehr Kritik, mehr Hilfestellungen für junge Frauen, mehr Anregungen für gesellschaftlichen Fortschritt, der die geschlechtlichen Ungleichheiten verringert?

Dazu ist das Buch aber nicht angetreten. Der Untertitel sagt es deutlich: eine junge Frau erzählt uns, was sie gelernt hat. Es kann nicht auch noch ihre Aufgabe sein, uns zu erklären, wie wir die Gesellschaft zu verbessern haben.