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Bildband Sachbuch

Ernst Lauermann, Wolfgang Maresch – Seinerzeit in Stockerau

CN: Weltkrieg, Holocaust, Antisemitismus


Das zweite Buch über meine Heimatstadt (über das erste habe ich hier geschrieben) ist aus einer Facebook-Gruppe entstanden, die während der Lockdowns in der Corona-Pandemie gegründet worden war. Es beinhaltet Bilder und Geschichten aus den Jahren 1930 bis 1990, eine Zeitspanne, die sich am Ende schon mit meiner Lebenszeit überschneidet. Dementsprechend kann ich mich tatsächlich an manche der erwähnten verblichenen Gaststätten oder Geschäfte noch erinnern (zB an die Spielwarenhandlung Falk, die zu Weihnachten immer eine Modelleisenbahn im Schaufenster hatte, die durch Knopfdruck von außen gestartet werden konnte). Etwas traurig bin ich immer noch, dass die Bäckerei / Greißlerei Schwarz, in der ich als Schulkind oft meine Jause gekauft bekam, nicht erwähnt ist.

Bestätigt fand ich meine Vermutung aus dem ersten Post, dass die Bahnlinie von Wien Richtung Nordwesten lange in Stockerau endete. Wikipedia weiß, dass ab 27. Mai 1979 die Strecke bis Hollabrunn befahren wurde. Davor endete die S3-Strecke in Stockerau.

Köstlich amüsiert habe ich mich schon beim ersten Durchblättern des Buchs über die abgedruckte Speisekarte des Gasthofs „Zum Goldenen Schwan“. Darauf wird zum Beispiel die Speise „Garniertes Ei o.Schinkenrolle“ um 7 Schilling angeboten. Schinkenrolle habe ich als Kind nach dem Hallenbadbesuch im Hallenbadrestaurant gern gegessen. Das teuerste Gericht auf der überschaubaren Karte ist „1/2 Backhuhn m. gem. Salat“ um 30 Schilling. Erstaunt hat mich, dass auf dieser Speisekarte aus den 1970er-Jahren bereits „Thunfisch garniert“ angeboten wird. Neben den Mehlspeisen ist das einzige vegetarische Gericht auf der Karte „Champignons gebacken m. Sauce Tartar“ um 19 Schilling – ganz schön teuer im Vergleich zum „Rindsgulyas“ um 14 Schilling (dabei sind allerdings keine Beilagen verzeichnet).

Mit den Stockerauer Festspielen verbindet mich eine eigene Geschichte. Im Rahmen eines Schulprojekts führte ich gemeinsam mit zwei Freundinnen an einem Abend eine Befragung der Gäste der Stockerauer Festspiele durch. Das war vermutlich das erste Mal in meinem Leben, das ich auf einer Bühne stand und in ein Mikrofon sprechen sollte. Die Ergebnisse der Befragung waren jedoch ein Erfolg und wir wurden auch ausgezeichnet benotet für unseren Einsatz. (In diesem Jahr wurde übrigens „The King & I“ unter der Intendanz von Alfons Haider gespielt.) Aus dem Buch habe ich erfahren, dass die Stockerauer Festspiele 1964 unter Otto Kroneder mit der Aufführung von „Jeanne oder Die Lerche“ erstmals dokumentiert sind.

im Vordergrund ein reich mit Gold verzierter Mann in einem roten Gewand mit kurzen Hosen, im Hintergrund hält eine Dame in einem ausladenden weißen Kleid ein offenes Buch vor sich
Szenenfoto aus „The King & I“, im Vordergrund Alfons Haider als König von Siam, dahinter liest die Darstellerin der Anna aus einem Buch vor

Mehr Trivia:

  • Erwähnt wird im Buch auch ein Auftritt von Drahdiwaberl und Falco am 19. Dezember 1981 in der Diskothek der Familie Gehnal. Auf dem dazugehörigen Plakat wird ein „Super – Show – Spektakel der Gruppe Dradiwaberl mit Falko“ (sic!) angekündigt. Vermerkt ist mit einem Stern außerdem „* Der Kommissar“.
  • Neu war mir auch, dass der Brunnen neben dem Rathaus im Jahr 1953 als Erinnerung an den alten Stockerauer Hafen errichtet wurde. Den Brunnen habe ich mir vorher noch nie genauer angesehen, ich hätte nicht sagen können, was für eine Figur da drauf steht.
Brunnen vor dem Rathaus, auf einem Steinsockel steht eine Person mit Umhang im Bug eines Bootes, der Bug ist von steinernen Wellen umkranzt
Donaubrunnen oder Schifferbrunnen, 1953 zur Erinnerung an den alten Stockerauer Donauhafen errichtet
  • „In Stockerau gibt es 60 registrierte Sportvereine.“
  • Die Texte, die in diesem Buch recht ausführlich sind und auch viele Zeitzeug:innen-Berichte enthalten, zeichnen sich stellenweise durch eine äußerst blumige Sprache aus:

Der Abriss [des alten Bahnhofsgebäudes] und der darauffolgende Neubau können als Werk von Kulturhunnen und Asphaltbarbaren bezeichnet werden.

  • In eine weitere Runde ging die Recherche zur ersten Ampel in Stockerau. In diesem Buch wird nämlich erzählt, dass am 3. September 1960 die erste Verkehrsampel am „Scharfen Eck“ in Betrieb genommen wurde. Das stellt einen Kontrast dar zu den Informationen, die ich im Rahmen meines Textes zum ersten Stockerau-Buch zum Kreisverkehr am Wimmer-Eck recherchiert hatte. Als dieser nämlich 2020 die dortige Ampel ersetzte, hieß es in vielen Artikeln, das wäre die älteste Ampelregelung Niederösterreichs gewesen. Belege für das eine oder andere konnte ich nach wie vor nicht auftreiben. Vielleicht finde ich in diesem Zuge noch heraus, wie so ein Stadtarchiv funktioniert …
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Bildband Sachbuch

Maria-Andrea Riedler – Das alte Stockerau

CN: –


Kürzlich habe ich selbst einen Geocache versteckt und veröffentlicht, es soll der Start einer neuen Reihe werden. Im Zuge dessen kommt es hier erstmals zu einer umgekehrten Verknüpfung meiner beiden Hobbies Lesen und Geocaching: Ich habe mir Bücher ausgeliehen, um für zukünftige Geocaches meiner Reihe zu recherchieren. Dabei verschlug es mich in eine Abteilung der Hauptbücherei, deren Existenz mir nicht mal bewusst war: es gibt Abteilungen mit Büchern zu allen Bundesländern Österreichs und in der Abteilung zu Niederösterreich fand ich neben vielen Büchern über die Wachau und andere bekannte Gegenden tatsächlich auch zwei Bücher über meine Heimatstadt Stockerau. Mit dem ersten befassen wir uns in diesem Post.

das Konvikt in Stockerau, ein gelbes Haus mit weißen Verzierungen, rechts halten zwei Hände ein Buch ins Bild, auf dem dasselbe Gebäude zu sehen ist
Das Konvikt in Stockerau, zwischen 1894 und 1896 als Schülerheim errichtet, heute als Internatsgebäude für die Berufsschule für KFZ-Technik genutzt.

Das Buch besteht hauptsächlich aus alten Stadtansichten, die damals als Ansichtskarten produziert wurden. Jedes Bild ist mit einem kurzen Text versehen, am Anfang des Buchs befindet sich ein Geleitwort des zum Zeitpunkt der Erscheinung (2016) amtierenden Bürgermeisters Helmut Laab und eine Chronik mit wichtigen Daten der Stadt. Das Geleitwort möchte ich deshalb erwähnen, weil ich durch weiterführende Recherche eine bei mir seit ewig falsch abgespeicherte Information korrigieren konnte: Der Stockerauer Kirchturm ist tatsächlich der höchste von Niederösterreich (Platz 9 in der Liste der höchsten Sakralgebäude Österreichs, ich hatte immer gedacht, es wäre der Zweithöchste) und Mariazell liegt in der Steiermark.

Stadtansicht von Stockerau mit zwei Kirchtürmen und einem markanten Gebäude mit Kuppel am rechten Bildrand, im Vordergrund ein Buch, das eine alte Ansicht desselben Orts zeigt, auf dem diese drei Gebäude erkennbar sind
Stockerau, Kreuzung von Hauptstraße, Stögergasse und Grafendorferstraße, heute geregelt als Kreisverkehr mit einem Brunnen in der Mitte

Der Kirchturm ist tatsächlich ein weithin sichtbares Gebäude, das viele Stadtpanoramen entscheidend prägt (damals wie heute). Die Ansicht von der Eduard-Rösch-Straße aus mit den beiden Kirchtürmen und dem markanten Gebäude, das in meiner Jugend noch das Café Wimmer war und heute einen Optikfachbetrieb beherbergt, ist heute wieder etwas näher an die Ansicht von damals gerückt. Seit 2020 regelt hier ein Kreisverkehr statt einer Ampel den Verkehr, was unter anderem deshalb interessant ist, weil es sich um die „älteste Ampelregelung Niederösterreichs“ gehandelt haben soll (eindeutige Belege dafür konnte ich nicht auftreiben).

Es gibt aber auch viele andere Gebäude, die schon mehr als 100 Jahre bestehen. Zusammen mit dem Fotografen habe ich bereits einige dieser Gebäude besucht und deren heutige Ansicht mit der im Buch dargestellten verglichen. Der Fotograf machte mich außerdem darauf aufmerksam, dass die im Buch abgebildeten Ansichtskarten großteils wohl hand-coloriert sind, also eine Schwarz-Weiß-Fotografie, auf die nachher Farbe aufgemalt wurde. Im Zuge weiterführender Recherche hat der Fotograf dann die Ansichtskarten-Datenbank der Österreichischen Nationalbibliothek gefunden, die auch Material zu Stockerau enthält.

Jahn-Turnhalle, erbaut 1884, davor halten zwei Hände ein Buch ins Bild, auf dem dasselbe Gebäude zu sehen ist
Automobilmuseum Stockerau, erbaut 1884 als Jahn-Turnhalle

Andere interessante Erkenntnisse:

alte Ansichtskarte mit einem Stadtpanorama von Stockerau mit dem Turm der Stadtpfarrkirche, im Vordergrund die Häuserzeile der Pampichlerstraße
Panorama mit Pfarrkirche, Stockerau, 275m Seehöhe, N.-O e., Pampichlerstraße Quelle: Österreichische Nationalbibliothek http://data.onb.ac.at/AKON/AK046_248
  • Stockerau hat eine Vergangenheit als Industriestadt, die Maschinenfabrik Heid war mir schon in meiner Kindheit ein Begriff. Einen Überblick über diese Industrievergangenheit bietet unter anderem der Adventure Lab Cache Industriestadt Stockerau.
  • Die heutige evangelische Pfarrkirche war zu Beginn eine Synagoge. „1938 wurde die Synagoge der evangelischen Gemeinde zur Religionsausübung zugewiesen, entsprechend umgestaltet und in Lutherkirche umbenannt.“
eckiges Kirchengebäude mit Turm in der Mitte, über dem Haupteingang ein großes Holzkreuz, links vor der Kirche steht ein Straßenschild mit dem Namen „Friedensplatz“ in mehreren Sprachen
Lutherkirche in Stockerau, erbaut ursprünglich als Synagoge
  • Auf allen Bildern von Straßen und Plätzen in der Stadt fällt eines deutlich ins Auge: keine Autos! Auf einem Bild des Sparkassaplatzes gehen kreuz und quer Menschen spazieren, eine Aufteilung in Straße/Parkplätze/Fußgänger:innenwege gibt es nicht. Dasselbe gilt für die Aufnahmen vom Rathausplatz (der heute hauptsächlich als Parkplatz genutzt wird). Nur einzelne Pferdefuhrwerke sind auf den Bildern zu sehen.
alte Postkartenansicht, Rathautplatz in Stockerau mit Dreifaltigkeitssäule, heute ist dieser Platz ein Parkplatz, damals kein einziges Auto zu sehen
Rathaus mit Dreifaltigkeitssäule, Stockerau, N.-Oe. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek http://data.onb.ac.at/AKON/AK021_121
  • Auf einem Bild ist deutlich ersichtlich, dass Stockerau 1913 einen schiffbaren Donauarm hatte. Es gab in Stockerau einen Donauhafen direkt neben dem heutigen Bahnhof! Ein Bild aus dem Jahr 1930 zeigt die heute an den Eisenbahngleisen endende Brücke (die Gleise dürften damals nicht über Stockerau hinaus geführt haben) mit einem Mauthäuschen.

Brücke mit Bögen links und rechts, die Brücke endet an Eisenbahngleisen, im Hintergrund ist der Kirchturm von Stockerau zu sehen, vorne hält eine Hand ein Buch in das Bild, in dem zwei alte Ansichten der Brücke zu sehen sind

Das zweite Buch zu Stockerau beschäftigt sich mit dem Zeitraum 1930–1960. Bin schon gespannt, ob es mich auch so lange beschäftigt wie dieses.

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Roman

Josef Haslinger – Jachymov

CN: politische Gewalt, Folter, Tod durch Krankheit, Krieg


Weil ich es anders gerade nicht schaffe, kommt nach langer Zeit wieder mal ein Post im Telegrammstil:

  • Der Autor verarbeitet ein Stück Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts in Romanform. Ich will ihm nicht unterstellen, dass er sich damit der exakten Recherche entziehen wollte, es sind jede Menge Details im Buch enthalten, die vermutlich (?) stimmen, die sich überprüfen lassen sollten.
  • Erzählt wird die Familiengeschichte einer Person, die nur die Tänzerin genannt wird bzw. eigentlich die Geschichte ihres Vaters, der als Eishockey-Spieler in der tschechoslowakischen Nationalmannschaft große Popularität erlangte und dann Opfer der politischen Wirren dieser Zeit wurde.
  • Während seiner Zwangsarbeit in den Uranminen im Lager Jáchymov erleidet er Verstrahlungen, die schließlich zu seinem frühen Tod führen. Die Tänzerin verarbeitet diese Geschichte ihres Vaters auf Betreiben des Verlegers Anselm Findeisen. Sein Charakter bleibt blass, für mich ergab die Rahmenhandlung keinen weiteren Sinn.
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Sachbuch

Roman Sandgruber – Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses

CN dieses Buch: Holocaust, Krieg, Krankheit, Tod
CN dieser Post: –


Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt gibt es kein besseres Mittel als das Geld. Geld ist Schmiermittel und Geld ist Information. Ein Informationsvorsprung, damals mit Brieftauben und verschlüsselter Briefpost, dann mit Telegrafie und Telefon, heute mit Internet und Kryptografie, kann Geld bedeuten und viel Geld bringen.

Geschichte generell ist ja leider einer meiner Schwachpunkte. Natürlich habe ich in der Schule grob mitbekommen, was sich in den letzten hundert Jahren so getan hat. Zusätzlich habe ich noch ein paar Kenntnisse über bestimmte Epochen erworben, weil ich mich für bestimmte Personen interessiert habe (zB Kaiserin Elisabeth oder Wolfgang Amadeus Mozart). Größere bzw. langfristigere Zusammenhänge ergeben sich daraus aber nahezu gar nicht.

Gerade habe ich aus Interesse alle Posts aus diesem Blog aus der Kategorie Sachbuch durchgeschaut. Häufungen gibt es bei den Themengruppen Medien/Design/Fotografie, Theater/Musik, Selbsthilfe/Persönlichkeit und – für mich unerwartet – Religion. Geschichte hingegen kommt praktisch nicht vor.

Passend zu diesen Fakten habe ich zu diesem Buch auch nur gegriffen, weil es mit einem Literatur-Geocache in Verbindung steht. Als ich es in der Bücherei aus dem Regal genommen hatte, hätte ich es mir beinahe anders überlegt: ein Hardcover mit über 500 Seiten, definitiv kein Buch zum Herumtragen. Nun bin ich aber froh, dass ich mir die Mühe des Heimtragens gemacht habe, es war insgesamt schon sehr interessant.

Die Geschichte der Rothschild-Familie beginnt im 18. Jahrhundert und wird bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts verfolgt, als die Wiener Linie der Rothschilds mangels männlicher Nachkommen endete. Von der Frankfurter Judengasse aus arbeitet sich Mayer Amschel Rothschild empor, sein Sohn Salomon Mayer Rothschild begründet die Wiener Linie und die Wiener Privatbank Rothschild und bleibt in engem Kontakt mit seinen Brüdern, die in Frankfurt, London, Italien und Paris leben und arbeiten. Die Familiengeschichte hier im Detail nachzuzeichnen wäre kaum sinnvoll, ich möchte aber ein paar geschichtliche Highlights herausgreifen:

  • Nathaniel Rothschild besaß eine Sommervilla auf der Hohen Warte, zugehörig zur Gemeinde Reichenau. Diese wollte er in eine Stiftung für Tuberkulosekranke umwandeln, was der beliebten Fremdenverkehrsgemeinde gar nicht recht war. Ein Zitat aus einer Zeitung gibt deutlich wieder, wie zu Ende des 19. Jahrhunderts mit Kranken umgegangen wurde. Die gute Luft soll bitte den gestressten Stadtmenschen vorbehalten bleiben und die Kranken will man schon gar nicht sehen. Auch dass der unerwünschte Anblick kranker Menschen in dem Bericht VOR der Ansteckungsgefahr genannt wird, spricht Bände:

[…] dass gesunde Menschen oder solche, die zur Stärkung ihrer vom Stadtleben etwas mitgenommenen Nerven eine Sommerfrische aufsuchen, sich nicht eine solche wählen werden, wo ihnen auf Schritt und Tritt der peinvolle Anblick mitleidserregendster Krankheitsformen geboten wird und ihnen durch die Luftströmung eventuell Tuberkelkeime zugeführt werden […]

  • Eine Verbindung zu meinem früheren Interesse an Kaiserin Elisabeth ergab sich ebenfalls. Es wird berichtet, dass die Kaiserin am Tag vor ihrer Ermordung bei Caroline Julie Rothschild in ihrer Villa am Genfer See zu Gast war:

Man besichtigte die Kunstschätze und den weltberühmten Park mit den herrlichen Orchideenhäusern, Volieren und Aquarien. Gräfin Sztáray, die Hofdame der Kaiserin, berichtete später, Elisabeth habe schon lange keinen so hellen, wolkenlosen Tag wie diesen 9. September gehabt.

  • Der bereits oben erwähnte Nathaniel Rothschild war neben seinen wirtschaftlichen und karitativen Aktivitäten auch an Sport interessiert und 1894 an der Gründung des First Vienna Football Clubs beteiligt. Die Vereinsfarben Blau und Gelb, in denen noch heute gespielt wird, wurden anhand des rothschildschen Familienwappens gewählt.

Dennoch gilt er als der wichtigste Geburtshelfer des österreichischen Fußballs. Die Gründung des First Vienna Football Clubs, heute einfach „Vienna“, erfolgte am 22. August 1894 im Gasthaus „Zur schönen Aussicht“. Baron Nathaniel und sein Zentraldirektor Julius Schuster waren persönlich anwesend.

Das Buch wurde 2019 für den Preis Wissenschaftsbuch des Jahres nominiert. Obwohl sich der Autor sehr eng an die Quellen hält (das Quellenverzeichnis listet über 1.138 Verweise auf), ist das Buch flüssig zu lesen und lässt die Geschichte weniger staubig wirken, als sie sich von außen vielleicht anfühlen mag. Die vielen Fotos tragen dazu bei, einen Eindruck von den beschriebenen Epochen zu bekommen, in denen die Rothschild-Familie gelebt hat. Zum Final des Geocaches habe ich bereits eine Vermutung. Aber diese Geschichte wird vielleicht später auf einem anderen Blog erzählt ;-)

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English Jugend Roman

Lois Lowry – Gathering Blue

CN dieses Buch: Tod, Sterben
CN dieser Post: –


Suddenly  Kira knew that although her door was unlocked, she was not really free. Her life was limited to these things and this work.

Meta: Gerade ist mir wieder aufgefallen, dass die Linsen, durch die wir unsere Buchauswahl treffen, einen großen Einfluss darauf haben, welche Bücher wir auswählen. Hin und wieder blättere ich durch die Neuerscheinungen oder die populären Bücher in der OverDrive eLibrary und da muss mir irgendwie Lois Lowry entgegen gesprungen sein. Obwohl in meiner Papierausgabe von The Giver bereits am Ende des Buches angegeben war, dass es sich um ein Quartett handelt, muss ich das übersehen haben. In der Anzeige der OverDrive eLibrary war allerdings der Vermerk #1 in Series nicht zu übersehen. Mir ist auch aufgefallen, dass ich in letzter Zeit hauptsächlich auf englisch gelesen habe. Der Komfort der OverDrive eLibrary hat mich ziemlich im Griff. Ich versuch jetzt, bewusst auch zu den Altlasten zu greifen, die schon ewig auf dem Regal der ungelesenen Bücher stehen (San Miguel war auch eins von denen).

Vorerst ist unklar, ob eine Verbindung zwischen der Welt von The Giver und der Welt in diesem Roman besteht. Kann das eine eine Vergangenheit oder Zukunft des anderen sein? Ich hoffe sehr, dass sich das in den weiteren Büchern noch auflöst … ohne eine Verbindung zwischen den Welten wäre es wohl kaum als Quartett zu bezeichnen?

Jedenfalls hat es die Leserin auch hier mit einer eher dystopischen Welt zu tun, in der „beschädigte“ Menschen kein Lebensrecht haben und in der mit Zähnen und Klauen um jeden Vorteil gekämpft wird. Die Oberen schüren Angst vor den Bestien im Wald, um die Bewohner*innen im Zaum zu halten. Frauen ist es bei Strafe verboten, lesen zu lernen. Die Geschichte dieser Gesellschaft wird allein durch einen Gesang bewahrt, den ein speziell dafür ausgebildeter Sänger einmal im Jahr bei einer großen Versammlung vorführt.

Der Plot Twist am Ende hat mich dann nur mäßig überrascht, irgendwie war der Pfad schon deutlich zu erkennen. Der Kapitelauszug des nächsten Bandes am Ende lässt hoffen, dass wir erfahren, was die Zukunft dieser Gemeinschaft bringen wird.

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Roman

Lilian Faschinger – Wiener Passion

Dieses war das dritte Werk, das ich für einen Literatur-Geocache benötigte. Schon beim Herausnehmen des dicken Hardcover-Bandes aus dem Regal der Bücherei-Zweigstelle habe ich innerlich gestöhnt, einerseits, weil die Bücher gerade noch in den Rucksack passten und andererseits, weil ich mir unsicher war, wie ich mit einem so langen Werk in der mir inzwischen bekannten geschwurbelten Ausdrucksweise der Autorin zurecht kommen würde.

Die Geschichte wird aus drei Ich-Perspektiven heraus entwickelt. Die zwei zeitgenössischen Ich-Stimmen Magnolia Brown und Josef Horvath lernen sich im Wien der Jetzt-Zeit (das Buch ist 1999 erschienen, also eher die damalige Jetzt-Zeit) kennen. Magnolia ist nach Wien gekommen, um ihre Gesangskünste zu verbessern und etwas über Anna Freud zu lernen, die sie in einem geplanten Broadway-Musical darstellen soll. Sie lebt bei ihrer Tante und findet in einer Truhe ein Heft, in dem Rosa Havelka (geborene Tichy) ihre Lebensgeschichte erzählt. Rosa kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Wien, die Zeitspanne ihrer Lebensgeschichte umfasst unter anderem den Tod des Kronprinzen Rudolf sowie der Kaiserin Elisabeth.

Obwohl die oben bereits erwähnte, sehr umfangreiche Ausdrucksweise der Autorin die Geschichte etwas sperrig macht, versteckt sich in diesem Roman ein Familienepos, das mehrere Generationen umfasst. Gerade die Unterscheidung der Ich-Stimmen hat mir am Anfang Schwierigkeiten bereitet und nebenbei hatte ich ja immer noch die Fragen im Kopf, die für das Geocache-Rätsel zu beantworten waren. Das erfreuliche Ergebnis war jedoch überraschend: Trotz einiger Unsicherheiten bei den Antworten (sowohl in diesem als auch in einem anderen der drei Werke, die das Rätsel umfasste), konnte ich die korrekten Antworten bereits im ersten Versuch ermitteln. Jetzt geht es an die Feldarbeit. Einerseits muss natürlich die Cache Location aufgesucht werden und andererseits steht damit auch der nächste Ausflug in eine Bücherei-Zweigstelle bevor, um Material für das nächste Literatur-Rätsel zu sammeln.

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Roman

Alberto Manguel – Eine Geschichte der Neugierde

Für jedes neue literarische Unternehmen existiert bereits ein Modell, und unsere Bibliotheken erinnern uns ständig daran, dass es absolute Originalität nicht gibt.

Dieses Buch lag jetzt monatelang neben meinem Bett. Das lag zum einen daran, dass es so dick ist und daher nicht zum Lesen unterwegs taugt und zum anderen daran, dass die einzelnen Kapitel in sich abgeschlossen sind und in einem Stück gelesen werden sollten, um den Faden nicht zu verlieren. Der Autor beschäftigt sich in diesem Buch mit den essentiellen Fragen des Lebens und versucht anhand Dantes „Göttlicher Komödie“ diese zu beantworten oder zumindest den Nebel um diese Antworten soweit zu lichten, dass sich ein Teil des Weges aufzeigt.

Dantes Commedia mag nur die Vision eines einzelnen Mannes sein, dennoch ist sie von geradezu universeller Gültigkeit. Dantes intimste Erfahrungen, seine Überzeugungen, sein Zweifel und seine Furcht, sein Verständnis von Ehre und sozialer Verpflichtung entstammen einer Welt, die nicht von ihm kreiert wurde. Sie entstanden in einem Universum, das von einem Gott geschaffen wurde, dessen Wege nicht hinterfragt werden können.

Was wollen wir wissen?

Unsere heutigen Bildungssysteme tun im Großen und Ganzen so, als wäre das unvermeidliche Scheitern keine notwendige Etappe auf dem Weg zur Erkenntnis. Weil sie nur noch an messbarer Effizienz und finanziellem Profit interessiert sind, ermutigen unsere Bildungsinstitutionen die ihnen anvertrauten Jugendlichen nicht mehr zum Denken um des Denkens willen oder zum zweckfreien Gebrauch der Einbildungskraft.

In diesem Kapitel geht der Autor nicht nur der Frage nach, was Wissen und Erkenntnis überhaupt ist und wie wir uns jemals eines Wissens sicher sein können, sondern er untersucht auch die Bedeutung der Frage an sich. Das Lesen und Erzählen von Geschichten ist genauso ein Ausdruck von Neugierde, wir suchen in Geschichten Antworten auf Fragen, die wir (noch) nicht formulieren können, die aber in unserem Selbst schlummern und unsere täglichen Entscheidungen beeinflussen. Die Neugierde kann uns einerseits antreiben, nach Antworten zu suchen, aber auch an verbotene oder gefährliche Orte führen. Als Beispiel wird hier unter anderem die Geschichte von Pandora aus der griechischen Mythologie angeführt.

Das Scheitern ist tatsächlich ein integraler Bestandteil jeder künstlerischen oder wissenschaftlichen Bemühung. Die Kunst muss sich selbst aufgrund ihres Scheiterns immer neu erfinden, genau wie die Wissenschaften am meisten durch Fehler lernen.

Wer bin ich?

Unsere Identität scheint davon abzuhängen, was andere von uns halten. Heute starren wir in die Bildschirme unserer elektronischen Geräte wie Narziss, der in seine Quelle blickt. Wir hoffen in unserer Identität versichert oder bestärkt zu werden, jedoch nicht von der uns unmittelbar umgebenden Umwelt oder den Vorgängen in unserem Innenleben, sondern durch die allzu oft belanglosen Posts anderer, die unsere Existenz virtuell registrieren und deren Vorhandensein wir im Gegenzug bestätigen.

Auf seiner Reise durch die Kreise der Hölle und des Läuterungsbergs soll Dante nicht nur die Seelen der anderen erkennen lernen, sondern auch seine eigene. Die Frage danach, was unsere Identität bestimmt, konnte von der Wissenschaft nach wie vor nicht beantwortet werden. Der Essentialismus beispielsweise behauptet, dass soziale Kategorien biologisch fundiert sind und daher robust gegenüber situativen Einflüssen. Daraus leitet sich eine Bestimmung der Identität überwiegend durch das genetische Material ab. Der Mensch entwickelt sich jedoch immer in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und die Einflüsse dieser Umwelt wiederum werden von jedem Menschen abhängig von seinen genetischen Vorgaben und aber auch seinen bisherigen Erfahrungen unterschiedlich verarbeitet. Es gibt keinen „fertigen“ Zustand der Identität, diese verändert sich im Lebensverlauf und ist damit etwas Fluides, das nicht an einem Punkt der Entwicklung festgehalten oder dokumentiert werden kann.

Bis zu einem gewissen Grad sind wir vielleicht jemand, von dem wir einst glaubten, es zu sein, der uns nun aber verlorengegangen ist.

In einem gewissen Sinne muss das auch so sein und ist gut so. Vor einigen Tagen habe ich im Gespräch mit Freundinnen von einer Änderung meiner Einstellung zu einem bestimmten Thema erzählt. Vor einigen Jahren war ich mir dieser Problematik schlicht nicht bewusst und falls ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich wohl befunden, dass ich daran sowieso nichts ändern kann. Auf der einen Seite bin ich natürlich der selbe Mensch, der ich vor 15 Jahren war. Auf der anderen Seite sehe ich nun aber viele Dinge klarer oder anders, habe dazu gelernt, habe meine Meinung(en) hinterfragt und teilweise auch revidiert. Dieser Entwicklungsprozess verändert unsere Einstellung zu unserer Umwelt, jedoch nicht den Kern unserer Identität, wenn wir annehmen, dass der Kern unserer Identität bereits genetisch vor unserer Geburt festgelegt wurde.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus unseren Handlungen?

Nach Oppenheimers Ansicht ergaben sich aus diesen erschütternden Konsequenzen nicht zwangsläufig Grenzen für die Neugierde selbst, allerdings durchaus für die Zwecke, für die die Neugierde instrumentalisiert werden kann.

J. Robert Oppenheimer war als Koordinator des Manhattan-Projekts für den Bau der Atombombe verantwortlich. Dem obigen Zitat geht eine Analyse von Oppenheimers Neugierde voraus, „die ihn dazu trieb, selbst den fundamentalen, atomaren Aufbau des Universums zu hinterfragen“. Die Konsequenzen seiner Neugierde, die sich unter anderem in der Zerstörung von Hiroshima und im Leid von einer ungezählten Menge an Menschen äußerten, musste er vor sich selbst rechtfertigen.

Die Frage nach den Konsequenzen von Handlungen und der Verantwortung der Wissenschaft wird unter anderem auch in Friedrich Dürrenmatts Komödie Die Physiker behandelt. Das Stück wird vom 24. bis 27. April und 30. Mai bis 1. Juni 2019 vom Theater Delphin in Wien gezeigt, einer herzliche Empfehlung von meiner Seite.

Was ist Wahrheit?

Wenn alles vorherbestimmt wäre, könne sündhaftes Verhalten nicht als falsch oder richtig gewertet werden, und auch der Zorn wäre dann nur eine mechanische Reaktion auf ein bereits vorherbestimmtes Ereignis.

Der Glaube daran, dass alles vorherbestimmt ist, hat sich für mich immer schon wie eine Ausrede angefühlt. Es nimmt den Menschen aus der Verantwortung, über sein Handeln und seine Entscheidungen reflektieren und die Konsequenzen bedenken zu müssen (siehe oben bei Oppenheimer). Der freie Wille und die Möglichkeit der Reflektion und der Einsicht sind das, was den Menschen von Tieren und Robotern unterscheidet. Wir haben die Pflicht, diese Fähigkeiten auch zu nutzen und daraus nicht nur wissenschaftliches Wissen zu generieren sondern auch über dessen Nutzung und die Konsequenzen nachzudenken.

Randnotiz: Heute protestiert Wikipedia gegen die geplante europäische Urheberrechtsreform mit einer 24-stündigen Abschaltung.

Nach Abstimmung der Wikipedia-Gemeinschaft wird die Online-Enzyklopädie am Donnerstag, 21. März 2019 aus Protest gegen Teile der EU-Urheberrechtsreform abgeschaltet. Wikimedia Österreich unterstützt den Protest der Community und hat darüber hinaus zusammen mit anderen netzpolitischen Organisationen ein Statement erarbeitet, das am 14. März 2019 veröffentlicht wurde.

Aus diesem Grund enthält dieser Beitrag mit Ausnahme derjenigen zum Theater Delphin und zum Wikipedia-Protestaufruf keine externen Links. Informationen zu weiteren geplanten Protesten gibt es bei Save The Internet.

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Erfahrungsbericht Erzählung

Peter Handke – Wunschloses Unglück

Selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bißchen unglücklich.

Ein Geocaching-Literatur-Rätsel stieß mich auf Peter Handke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass seinerzeit im Deutsch-Unterricht eine(r) meiner SchulkolegInnen ein Referat darüber gehalten hat, erinnern konnte ich mich jedoch nur mehr daran, dass Handke darin vom Leben seiner Mutter erzählt.

Fein säuberlich schickte sie ihm eine beglaubigte Testamentskopie per eingeschriebenem Brief, noch am selben Abend beging sie Selbstmord durch eine Überdosis Tabletten. Auf den ersten Seiten geht Peter Handke darauf ein, dass das Aufschreiben der Geschichte für ihn auch therapeutische Wirkung hat, im weiteren Verlauf schreibt er einmal auch über die Schwierigkeit, die richtigen Formulierungen zu finden, die aber die Geschichte keinesfalls verfälschen dürfen. Eine schwierige Aufgabe, wenn man über lange zurückliegende Geschehnisse schreibt, die man selbst gar nicht oder nur sehr peripher (als kleines Kind) erlebt bzw. wahrgenommen hat.

Aufwachsen in der Großfamilie auf dem Land, keine eigenen Bedürfnisse haben dürfen, keine Möglichkeiten. Dem neugierigen Mädchen wird vom Großvater der Wunsch etwas zu lernen, einfach nur irgendwas abgeschlagen, immer wieder vom Tisch gewischt. Bis sie mit 15 Jahren schließlich geht und sich im Tourismus vom Stubenmädchen aus hocharbeitet. Der Anschluss an Deutschland und bald darauf der Krieg kommt dazwischen, eine erste Liebe, eine schnelle Schwangerschaft, Heirat mit einem anderen, den sie jedoch nicht liebt (das Kind braucht einen Vater). Der Krieg trennt die Familie, erst 1948 kehrt die Mutter in ihr Heimatdorf zurück, weitere Kinder folgen. Ausscheren ist auf dem Dorf nicht gern gesehen:

Spontan zu leben – am Werktag Spazierengehen, sich ein zweites Mal verlieben, als Frau allein im Gasthaus einen Schnaps trinken–, das hieß schon, eine Art von Unwesen treiben; „spontan“ stimmte man höchstens in einen Gesang ein oder forderte einander zum Tanz auf.

Schließlich leidet sie unter immer stärkeren Kopfschmerzen, jeder tägliche Handgriff wird zur Qual. Sie stößt sich an Ecken und Kanten, erinnert sich an nichts mehr, verirrt sich beim Spazierengehen, verliert jedes Zeit- und Ortsgefühl. Aus heutiger Sicht würde man wohl eine akute Depression diagnostizieren, damals vermutete der Arzt einen eingeklemmten Nerv. Sie wird schließlich von einem Nervenarzt behandelt, eine Zeitlang geht es ihr besser. Doch wie es weiter vorn im Buch heißt, wusste sie wohl, dass ihre Zukunft bereits vorbei war.

Auf den letzten Seiten versammelt der Autor Erinnerungen, Anekdoten, Reflexionen, jetzt ist er nicht mehr der Erzähler, jetzt erinnert er sich an die Frau, die seine Mutter war. Ein schmerzhaftes, persönliches Buch.

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Erfahrungsbericht

Katia Mann – Meine ungeschriebenen Memoiren

Statt frei zu erfinden, stützte Thomas Mann sich am liebsten auf Wirklichkeit. Er fand lieber, als dass er erfand, Schauplätze, Grundzüge von Personen und vieles mehr. Er eignete sich das Gegebene an, durchdrang es auf seine Weise, beseelte es, wie er es nannte, mit seinem Künstlertum.

Ganz ehrlich, zu diesem Buch hätte ich sicher nicht gegriffen, hätte nicht die Reading Challenge nach Memoiren verlangt. Kürzlich war ich im Carla Nord, um ein paar übrig gebliebene Sachen zu spenden und wollte dort „einen kurzen Blick“ in die Bücherabteilung werfen. Genau. Stellt sich raus, die Bücherabteilung ist in so einer Art Container, der an die große Lagerhalle dran gebaut ist. Zwischen den Regalen fließt das Sonnenlicht durch den Raum und Reihe um Reihe stehen dort Bücher aller Kategorien. Es hat länger gedauert. Und ich habe nur die Romane und die englischen Bücher durchgeschaut, die anderen Kategorien nur im Vorbeigehen gestreift.

Natürlich hatten wir im Deutschunterricht irgendwann die Buddenbrooks besprochen und vermutlich auch den Zauberberg. Trotzdem verbinde ich nichts mit Thomas Mann, seine Familiengeschichte war mir deshalb völlig neu. Katia Mann beschreibt in Gesprächen (aufgezeichnet von Elisabeth Plessen und Katias und Thomas Sohn Michael) ihre Lebenszeit, ihre Beziehung zu Thomas Mann (zumeist wird er mit vollem Namen genannt, nur an wenigen Stellen nennt sie ihn Tommy) und zu ihren Kindern. Interessant fand ich speziell die Passagen, wo es um die politischen Verflechtungen diverser historischer Zeitgenossen ging. Ihre Charakterisierungen von Persönlichkeiten aus der Kunst sprühen vor Witz (etwa die wenig charmante aber ausgefeilte Beschreibung von Alma Mahler-Werfel). Sie beschreibt eine Parallelgesellschaft unter den Emigranten, in der neben freundschaftlichen Gefühlen oft Neid und Missgunst stehen. Ein Zeitdokument.

Reading Challenge: A memoir

NOTE: Das ist übrigens der Moment, wo ich mir eingestehen muss, dass sich das dieses Jahr nicht mehr ausgehen wird. Interessant, dass es mir gerade in diesem Jahr nicht gelungen ist, den Schnitt von einem Buch pro Woche aufrecht zu erhalten. War in diesem Jahr noch weniger Zeit als im Jahr davor? Wo kommt die ganze Zeit hin?

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Roman

Nicole Krauss – Die Geschichte der Liebe

Nachdem sie weg war, brach die Welt zusammen. Kein Jude war mehr sicher. Es gab Gerüchte über unfassbare Dinge, und weil wir sie nicht fassen konnten, glaubten wir sie nicht, bis wir keine Wahl mehr hatten und es zu spät war.

Obwohl einer der Alternativtitel für das Buch im Buch „Wörter für alles“ lautet, fehlen mir beinahe die Worte, um zu beschreiben, wie sehr mir dieser Roman gefallen hat. Ich werde drei bis fünf Exemplare kaufen müssen, um sie an alle zu verschenken, denen das auch gefallen könnte.

Das Buch beginnt und endet mit Leo Gursky, polnischer Jude, als Junge überlebte er die ersten Überfälle der Nazis auf sein Heimatdorf Slonim, später konnte er nach Amerika flüchten. Seine Gedanken sind immer bei Alma, in die er verliebt ist, die bereits vor ihm nach Amerika auswandern konnte. Als er sie schließlich findet, ist sie mit einem anderen verheiratet.

Auf einer weiteren Zeitebene lernen wir Alma Singer kennen. Ihr Vater ist vor Jahren gestorben, ihr Bruder erinnert sich kaum noch an ihn und sucht Zuflucht in intensiv gelebtem jüdischem Glauben, er hält sich für einen möglichen nächsten Messias. Almas Mutter ist in ihrer Arbeit versunken und existiert nur als Schatten ihrer selbst, bis sie von einem Unbekannten den Auftrag erhält, „Die Geschichte der Liebe“ zu übersetzen. Das Buch, das sie von Almas Vater geschenkt bekommen hat.

Jeder zusätzliche Hinweis auf den kunstvoll verschlungenen Inhalt würde zu viel verraten. Ganz grob erinnert die Storyline (jüdischer Hintergrund, Verlust der Familie, Suche nach den verloren geglaubten Verwandten) an ein Buch, das ich letztes Jahr gelesen habe: Solange am Himmel Sterne stehen. Im Vergleich dazu fehlen hier der Zuckerguss und die Sterne, dafür sind die Charaktere fein gezeichnet und jeder lose Faden führt am Ende zu einem perfekten Ganzen. Definitiv die bessere Geschichte. Eben die Geschichte der Liebe. Leseempfehlung.

Reading Challenge: A book that was originally written in a different language
(Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel „The History of Love“ bei W.W. Norton & Company, New York)