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Erfahrungsbericht Sachbuch

Natasha Lunn – Conversations on Love

Kürzlich Vor viel zu langer Zeit habe ich auf meinem Mastodon-Account nach Leseempfehlungen gefragt:

Ich würde gern mehr lesen:
* von Selfpublishing-Autor:innen
* über nicht-traditionelle Lebensformate/Lebensumstände (Polyamorie, queer, trans, adhd/autism, disabled)
* Memoir, real-life-stories, persönliche Erfahrungen

Die gesammelten Empfehlungen findet ihr weiter unten nach der heutigen Buchrezension.


CN: Fehlgeburt, Tod von nahestehenden Personen, Trauer


[…] love is a lifelong project, a story that we can’t skip to the end of. How lucky are we, to know we will never finish it? Because there is never a final page, only a series of beginnings.

Die Autorin unternimmt eine Reise durch die verschiedenen Formen der Liebe, die uns im Verlauf unseres Lebens begegnen (können). Sie führt Interviews mit Menschen über unterschiedliche Beziehungsformen (nicht im Polyamory oder No-Mono-Sinn, sondern einfach die unterschiedlichen Formen der Beziehungen, die wir mit anderen Menschen haben können, wie mit Eltern, Geschwistern, Partner:innen, Freund:innen, …) und untersucht dabei implizit auch die verschiedenen Rollen, die wir in diesen Beziehungen annehmen können.

We have this romantic ideal that we will find ‘The One’, a soulmate, a one and only. And in this romantic union, we believe that we are also ‘The One’ for our partner. We believe we are unique, irreplacable and indispensible.

Im Rückblick auf ihre früheren Versuche, romantische Liebe zu finden, geht die Autorin auch kritisch mit ihrem jüngeren Selbst ins Gericht. Sie hinterfragt, warum wir romantischen Beziehungen so viel mehr Wert geben als Freundschaften? In Polyamorie-Thematik kommt diese Frage üblicherweise in der Form: Warum soll ich mehrere Freundschaften haben können, aber nicht mehrere romantische Partnerschaften? Beides geht jedoch in eine ähnliche Richtung: Warum bewerten wir Freundschaften anders als romantische Partnerschaften?

Sie kommt zu dem Schluss, dass es eine Falle sein kann, romantische Liebe als die Lösung unserer Probleme zu sehen. Zu oft klammern wir uns an Illusionen, wir verlieben uns nicht in die Person, die vor uns steht, sondern in unsere Vorstellung von dieser Person. Ein anderes wiederkehrendes Thema ist der kapitalistische Druck, unter dem wir in der westlichen Welt heute täglich stehen: Die Werbung suggeriert uns, dass wir immer noch mehr, immer noch etwas Besseres haben könnten. Das kann unbewusst dazu führen, dass wir nie zufrieden sind mit dem Leben, mit der Partnerschaft, die wir jetzt gerade haben.

Im Zusammenhang mit ihrem Wunsch nach Elternschaft, der zuerst zu einer Fehlgeburt führt, gehen die späteren Kapitel des Buchs sehr in Richtung Trauer und was der Verlust von geliebten Menschen bedeuten kann. Mehrere Dinge passieren gleichzeitig oder ineinander verwoben:

  • Die Liebe für die verstorbene Person geht nicht weg.
  • Die Trauer um den Verlust der Person begleitet uns unser weiteres Leben lang.
  • Oft ist es nicht nur die Trauer um diese Person, sondern um ein Stück unserer eigenen Identität, das wir mit dieser Person verloren haben.

How do you mourn the loss of a future you never really had?

Die traurige Realität ist, dass wir niemals völlig über Trauer hinweg kommen. Wir lernen nur, damit zu leben.

Ich habe unzählige Zitate mehr aus diesem Buch heraus geschrieben. Aber ich glaube, jede:r sollte es selbst lesen, um sich das herauszuholen, was zu seinem eigenen aktuellen Leben, zur aktuellen Liebes- und Beziehungssituation passt. Wenn ihr gerade selbst mit dem (unerfüllten) Wunsch nach Elternschaft ringt, ist das vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, dann könnte euch das Buch zu nahe gehen.

Abschließend möchte ich noch einige der interviewten Personen aufzählen, viele von ihnen haben selbst Bücher veröffentlicht, die ich auch schon gelesen und beschrieben habe, alle sehr empfehlenswert:


Kürzlich Vor viel zu langer Zeit habe ich auf meinem Mastodon-Account nach Leseempfehlungen gefragt:

Ich würde gern mehr lesen:
* von Selfpublishing-Autor:innen
* über nicht-traditionelle Lebensformate/Lebensumstände (Polyamorie, queer, trans, adhd/autism, disabled)
* Memoir, real-life-stories, persönliche Erfahrungen

Und ich habe eine Flut an Empfehlungen bekommen! Ursprünglich habe ich versucht, mir jede Empfehlung zumindest oberflächlich anzusehen, um sie einordnen zu können. Da ich das aber 6 Monate danach noch immer nicht geschafft habe, veröffentliche ich hier eine vollständige Liste aller Empfehlungen, teils mit mehr oder weniger Background, je nachdem, wie es mir möglich war.

Die Genre-Zuordnungen sind von mir und beruhen nicht auf den Texten bzw. Meinungen der empfehlenden Personen (außer wenn konkret als „Zitat“ ausgewiesen). Ich hätte das gerne alles genauer gemacht, aber dann wäre dieser Post wohl nie fertig geworden … daher sind hier teilweise mehr oder weniger Infos verfügbar, gegebenenfalls werde ich später noch welche ergänzen, wenn ich mich mit den Empfehlungen näher befasst habe.

Sachbücher

Emilia RoigDas Ende der Ehe: Über dieses Buch habe ich bereits im Lila Podcast gehört (Empfehlung, ich fand die Episode interessant). Es ist ein Sachbuch und hinterfragt, wie die Institution der Ehe gesellschaftliche Strukturen tradiert und Geschlechterrollen normiert.

Leena Simon – Digitale Mündigkeit: Dieses Buch habe ich tatsächlich schon im Regal der ungelesenen Bücher stehen, weil ich letztes Jahr dachte, ich würde es für eine Hausarbeit benötigen, die ich dann aber aus Gründen nicht geschrieben habe. Das Sachbuch hinterfragt Chancen und Risiken der Digitalisierung, erklärt den bildungswissenschaftlichen Begriff der Mündigkeit und seine Bedeutung für Freiheit und Demokratie in unserem digitalisierten Zeitalter.

Tanja Kollodzieyski beschäftigt sich mit Ableismus

Durchgeschüttelt und auf den Kopf gestellt von Petra Lachinger

Hannah C. Rosenblatt

Romane (verschiedener Genres)

Self-Publishing-Autorin Anni Bürkl schreibt Krimireihen mit Schauplätzen im Ausseer Land sowie in Wien, unterhaltsame Literatur, aber auch Zeitgeschichte. Wir sind auf Mastodon miteinander bekannt, ich habe kürzlich zwei ihrer Bücher „testgelesen“. Ihre Reihe „Haus der Freundinnen“ bestehend aus drei Büchern habe ich mir auf die Leseliste gesetzt.

Self-Publishing-Autorin Nike Leonhard schreibt Fantastik: „rachsüchtige Geister, zweifelhafte Heilige, betrügerische Vampire, verärgerte Dryaden und ähnliches. Liebe und Romantik kommen vor, sind aber nur ein Aspekt von vielen“.

Maike Claußnitzer (@ardeija@literatur.social) ist als Übersetzerin tätig und schreibt selbst historische Fantasy in Form von Romanen und Geschichten. In ihrem Roman Tricontium (Leseprobe, PDF) versuchen eine Richterin, ein Hauptmann und ein Dieb die Hintergründe eines Spukgeschehens aufzuklären. Dieses Buch habe ich auf meine Wunschliste gesetzt und bin gespannt darauf.

Amalia Zeichnerin (@amalia12@mastodon.social) schreibt viktorianische Krimis, Phantastik und Romance und zeichnet Fantasylandkarten und Charakterportraits. Ihre Landkarten sind wunderschön, ihr könnt Beispiele unter diesem Link sehen. Speziell ihre Reihe „Hexen in Hamburg“ („eine Mischung aus Urban Fantasy, Cosy Mystery und magischem Realismus“) wurde mehrfach empfohlen und ich werde auf jeden Fall mal reinlesen.

Sanguen Demonis von @anna_zabini (diesen Account scheint Anna aufgegeben zu haben) klingt für mich auch sehr spannend, spielt in Wien und wird vom Verlag als Dark/Urban Fantasy LGBTQIA+ Roman beschrieben. Eine Leseprobe gibt es auf der Webseite des Verlags. 

Derselben Person gefiel auch „Knochenblumen welken nicht“ von Eleanor Bardilac (das Buch ist bei den großen Onlinehändler:innen zu finden). Aus dem Verlagstext:

Das erfrischend andersartige Fantasy-Debüt von SERAPH-Gewinnerin Eleanor Bardilac begeistert mit vielschichtigen Charakteren, einer packenden Story und einer detailreichen Götterwelt.

Die Fortsetzung „Knochenasche rottet nicht“ ist im Ohne Ohren Verlag erschienen.

Mehrmals empfohlen wurde Judith Vogt (@Atalante), speziell ihre Werke Anarchie Déco und Schildmaid. Schildmaid wird als eine „moderne Interpretation nordischer Sagen“ beschrieben und spielt in einem Wikinger-Milieu. Über Schildmaid schrieb eine andere Person:

Das hat die schönste trans Repräsentation, die ich bisher in einem Fantasytitel gelesen habe.

Anarchie Déco spielt im Berlin der 1920er-Jahre, jedoch inklusive magischer Elemente, die diese Epoche in ein anderes Licht rücken. Beides klingt für mich sehr spannend, ich verfolge auch die Serie von Volker Kutscher, die im Berlin dieser Zeit spielt, mit großem Interesse. Auf ihrer Webseite finden sich neben Romanen und Hörspielen auch Rollenspiele.

Ace in Space

So ziemlich alle meine Kriterien dürfte Romy Wächter erfüllen, sie wurde mehrmals empfohlen, in ihrem Mastodon-Profil schreibt sie:

Meine #queer.en Werke behandeln u. a. die Themen #Autismus #BDSM #Liebe #Asexualität #Polyamorie #Partnerschaftsgewalt #Depression #Psychologie #MentalHealth #Suizidalität #Feminismus

Die Trilogie klingt für mich so spannend, dass ich eigentlich sofort loslesen möchte (aber dann würde dieser Post niemals fertig … ihr wisst schon …):

Vor dem Hintergrund eines Kriminalfalls entspinnt sich mit Paranuit ein queerer Entwicklungsroman von hoher erzählerischer Dichte, in dem sich erotische, spannende und psychologische Elemente ineinanderfügen. Minutiös und dialogverliebt wird die Entstehung zwischenmenschlicher Beziehungsgeflechte abgebildet.

Lana Harper – ‘Payback’s a Witch’ und die anderen Romane der Reihe

Gennadi Ratson – Dunkel am Ende des Lichts

Ifleria-Reihe von Effie Calvin („Prinzessinnen, die Prinzessinen heiraten, Drachen und viel Fantasy-Content“)

die Bücher von Vicorva

Die Haptik der Wände von @skalabyrinth (muss ich mir unbedingt anschauen, ich war begeistert von Wenn es nicht passiert)

Maschinenmacht von E. V. Ring

Akwaeke Emezi: „Pet mit gebärdendem trans Teen als Hauptperson, The Death of Vivek Oji, Freshwater und You made a Fool of Death with your Beauty

Lieselotte Luft

Verschiedenes

Queer*Welten: Mastodon, Website, Verlag

Queer*Welten ist ein alle sechs Monate erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Zine, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kurzgeschichten, Gedichte, Illustrationen und Essaybeiträge zu veröffentlichen, die marginalisierte Erfahrungen und die Geschichten Marginalisierter in einem phantastischen Rahmen sichtbar zu machen.

Poetry von Justin Chin, z.B. “Gutted” (Englisch)

Eva Maria Wohlfahrter hat auf ihrem Bl0g Gespräche mit schwer traumatisierten Menschen veröffentlicht.

Kurzgeschichte „LichtTraum“ von I. L. Villiam: „Lunarpunk, möglicherweise Slice of Life“

Quellen / Listen

Libreture ist eine Sammlung von Webseiten, wo es DRM-freie Bücher, Comics oder Magazine zum Download gibt. Zuerst hat mich die Aufmachung etwas überfordert. Am ehesten hilft aber die Suche nach einem Genre weiter, wie auch ganz oben auf der Seite empfohlen wird. Mit Suchbegriffen wie „sci-fi“, „speculative fiction“ oder „cozy crime“ findet ihr hier am ehesten, was euch interessieren könnte. Ich habe mir ein paar der verlinkten Webseiten angesehen, darunter waren:

  • Silver Sprocket: „independent publisher championing socially conscious and independently produced comic books, graphic novels, and related arts.“ Im Online-Store findet ihr Comics + Zines, T-Shirts, Patches, Sticker, Music und Pins.
  • Qindrie Press: an independent comics publisher based in Edinburgh, Scotland, founded by comic creator Eve Greenwood in 2020. Die Werke gibt es jeweils als Buch oder als PDF-Download zu erwerben, wobei die PDF-Downloads sehr günstig sind. Ins Auge gestochen ist mir When I Was Me: Moments of Gender Euphoria (PDF-Download: 4 GBP).
  • Morgana Best: „writes cozy mysteries packed to the brim with compelling plots, quirky characters, and a furry friend or two“. Sie schreibt Serien, also für alle, die gerne binge-lesen, es gibt genug Material. Außerdem enthält ihre Webseite süße Tierfotos ;-)

Weiters wurde empfohlen die Buchliste: „Phantastik mit Diversität“ gepflegt von Amalia Zeichnerin von 2019–2022. Es handelt sich um ein Google Doc, in dem mittels Suchfunktion bequem nach verschiedenen Queer-Themen gesucht werden kann.

Literaturliste zu Progressiver Phantastik fürs Brecht-Haus von Judith Vogt

Und hier noch eine Quelle, die ich mir selbst vor Kurzem in die Bookmarks gespeichert habe: Möchtegern hat in ihrem Autorinnenblog über queere Buchbegegnungen beschrieben. 

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Sachbuch

The Art of the American Musical – Edited by Jackson R. Bryer and Richard A. Davison

Das Thema Musical beschäftigt mich inzwischen seit etwa 20 Jahren. Gelesen habe ich zu diesem Thema seit Längerem nichts mehr, dieses Buch mit Interviews habe ich seit zwei Jahren im Regal stehen (habe extra nachgeschaut, wann ich es gekauft hatte) und irgendwie hat mich der schlichte schwarze Einband etwas abgeschreckt. Das Lesen gestaltet sich wegen des steifen Hardcover-Einbands tatsächlich etwas mühsam, der Inhalt jedoch hat mich sofort gefangen genommen.

In der schnelllebigen (Musik-)Theaterwelt sind zehn Jahre eine lange Zeit, diese Interviewsammlung wurde 2005 veröffentlicht. Die Fragen sind jedoch geschickt formuliert und entlocken den Interviewten durchaus Statements, die auch über Jahre hinweg Bestand haben. Etwa Stephen Flaherty erklärt auf die Frage, ob es nicht frustrierend sei, von Theaterkritikern, die eigentlich keine musikalische Expertise haben, Kritik für seine Kompositionen entgegennehmen zu müssen, dass es eigentlich mehr darauf ankommt, ob man seine eigenen Ideen verfolgt hat und das Beste daraus gemacht hat. Und falls das nicht gelungen sein sollte, kann man noch immer daraus lernen.

Ultimately, it comes down to you as an artist sitting with yourself and being honest about what you’re trying to achieve and whether you’ve achieved it or not – and if you haven’t how you can build upon that and learn from it.

(Stephen Flaherty)

Jason Robert Brown erzählt unter anderem darüber, wie er bewertet, welches Material Musicalpotential hat. Wenn die Krise, die Emotion, das Gefühl der Figur nicht groß genug, nicht episch genug ist, dann wirkt ein Song fehlplatziert und übertrieben und wird vom Publikum potentiell nicht ernst genommen.

Singing, ultimately, magnifies everything you’re feeling; when you sing it, it becomes epic.

(Jason Robert Brown)

In seinem Interview fand ich auch sehr interessant, wie er den Prozess des Orchestrierens beschreibt. Im Musicalbereich ist es oft so, dass der Komponist zwar die Melodien der Musiknummern schreibt, diese jedoch von jemand anderem für Orchester umgesetzt werden. Er erzählt, dass der Orchestrator aus einer Palette (ich nehme an an Instrumenten bzw. Stilmitteln) auswählt und somit den endgültigen Sound sehr prägt. Auch zum Thema Tony Awards nimmt sich Jason Robert Brown kein Blatt vor den Mund. Er spricht von einer Gruppe von Mitgliedern der Tony Award Jury, die Tourneeproduzenten sind und ihre Tony Award Votings zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen. Für den Erfolg einer US-Tournee ist ein Tony Award ein unverzichtbares Marketinginstrument.

Arthur Laurents erzählt im Gespräch über drei fatale Probleme, die bei einem seiner Projekte zu einem Misserfolg geführt haben (und er bezieht sich dabei sowohl auf finanziellen, künstlerischen als auch persönlichen Misserfolg). Als seinen ersten Fehler bezeichnet er, das Projekt nur gemacht zu haben, weil der Produzent ein guter Freund von ihm war. Er zieht daraus die Lehre, dass es künstlerisch falsch ist, ein Projekt ausschließlich eines Gefallens wegen zu verfolgen. Sein zweiter Fehler: obwohl er lange vor der Premiere erkannte, dass es nicht funktionieren würde, zog er sich nicht aus dem Projekt zurück („I am very tenacious, I won’t quit“). Ich kann das sehr gut nachvollziehen.

The third thing is the most important of all. I didn’t care deeply about the material, and if you don’t care about anything that you’re doing creatively, you’re a fool to go on with it. It takes so much time and so much hard work that if in the end it fails, you have to be able to say, “I don’t care. I’m proud of it.”

(Arthur Laurents)

Im einem weiteren sehr interessanten Abschnitt beschäftigt sich Arthur Laurents mit dem Thema „Aktualisierung“ von Stücken. In der heutigen Zeit sehen wir immer öfter moderne Versionen der West Side Story (die ja selbst damals schon eine moderne Version der Romeo-und-Julia-Geschichte war). Laurents meint nun, man darf nicht die Geschichte aus ihrer Zeit nehmen, aber man kann den Schauspielern (bzw. ihren Rollen) eine andere Einstellung geben und damit das Gesamtbild beeinflussen:

You can’t remove a piece from the period in which it was written, but you can induce a kind of sophistication in the attitude. But I didn’t change the material; I changed the attitude of the actors. For example, in Gypsy, with the first scene where the man and the woman meet: The way I did it this time is I said to them, “Instantly, they want to go to bed together.” And that was very clear in the way they played it. You couldn’t have done that in the fifties. People didn’t go to bed; they had twin beds.

(Arthur Laurents)

Eine ähnliche Geschichte erzählt auch Charles Strouse über sein Stück Applause. Bei einer Liebesgeschichte stellt sich oft am Ende die Frage, kommt das Paar wieder zusammen oder trennen sie sich endgültig. In diesem Zusammenhang fällt mir auch My Fair Lady ein, wo im Originalstück Pygmalion von George Bernard Shaw Eliza am Ende den Professor verlässt. In der Musicalversion kommt sie jedoch zumeist zurück und bring dem Professor demütig die Pantoffeln, die sie ihm in einer früheren Szene wutentbrannt entgegen geschleudert hat. Laut Charles Strouse kann die richtige Antwort auch mit dem aktuellen Empfinden des Publikums zu dieser Zeit zusammenhängen:

We wrote the ending two ways. The original ending to Applause was that the great star says to her fiancé, “Sorry. The theater is what I love,” and dumps him. That was very true to life and very true to Bacall herself and that kind of person who is so committed. When the show started to work, the audience liked it but didn’t love it. We said, “Let’s try the sentimental ending.” So we tried the sentimental ending, which is she gets back with her fiancé and gives up the theater and gives her part to Eve. The audience leaped to its feet. It says a lot about America in the 1970s. With the revival we’re planning, we’re going to go back to the original ending. Everybody now feels very strongly that giving up th theater for love is not what a woman who is impelled to be a great star necessarily would do.

(Charles Strouse)

Über Stephen Sondheim habe ich bereits eine umfangreiche Biographie gelesen. Im Interview erklärt er unter anderem, warum seine Stücke stets außerhalb der Norm stehen, warum keines seiner Werke mit seinen anderen oder denjenigen anderer Künstler vergleichbar ist:

I think you should frighten yourself. You should try to wade into territory you haven’t waded into before. That doesn’t necessarily have to be new musical territory; it can be a new approach to the show or to the way of telling a story.

(Stephen Sondheim)

Autor George C. Wolfe beschreibt einen völlig anderen Ansatz, mit Geschichten umzugehen. Für ihn dreht sich alles um einen perfekten Moment, um den herum dann der „Rest“ der Geschichte Stück für Stück gebaut wird. Jede Szene muss darauf geprüft werden, ob sie auch mit dem perfekten Moment mithalten kann.

If you can locate a perfect moment or the moment that is close to perfect in a play, that gives you the rules for every single thing that comes before and follows after. I have very specific kinds of analytical skills – only because I’ve had so many wonderful experiences in working with so many smart people – that enable me to go to that moment and say, “Does this scene over there have the same integrity, truth, buoyancy, depth, and outrageousness as this perfect scene?” It’s important to have not just an intuitive sense, but also a craft like understanding of how it’s all connected.

(George C. Wolfe)

Ein kleiner Wermutstropfen: unter den 20 Interviewten sind nur 4 Frauen. Trotzdem alles in allem ein sehr aufschlussreiches Buch, aus dem man viel über den amerikanischen Musicalprozess und die Entstehungsgeschichten von Musicals lernen kann.

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Sachbuch

Michael Haller – Das Interview

Mikrofon(c)xptakis/SXC

Als Erstes sollte sich der Interviewer fragen: Was ist mein Thema: Ist es der abzuklärende oder zu kommentierende Sachverhalt, ist es die Person mit ihren Denkweisen und Handlungen – oder ist es eine in Bezug auf das andere?

Mit vielen Beispielen aus der Praxis versucht Michael Haller seiner theoretischen Abhandlung zum Thema „Interview“ einen spannenden Touch zu geben. Für mich als Österreicherin waren die ausführlichen Beschreibungen zum großen Spiegel-Interview tatsächlich neu. Allerdings muss man schon sagen, dass das Werk in seiner vierten Auflage schon etwas Staub angesetzt hat.

Haller versucht die Unterschiede zwischen den Medien Print, Fernsehen und Radio herauszuarbeiten und beschreibt die unterschiedlichen Aspekte der Interviewformen. Da ich selbst noch bisweilen Interviews durchführe und mir Tipps für die eigene Interviewpraxis erhofft habe, war ich jedoch etwas enttäuscht. Haller beschreibt zumindest ein Problem, das mir aus meiner Arbeit bekannt ist:

Schriftliche Interviews vermeiden: Amts- und Würdenträger, vor allem Staatspersonen und Potentaten verlangen mitunter, dass ihnen die ausformulierten Fragen im Voraus schriftlich zugestellt werden. Da befindet sich der Interviewer in einem Dilemma: Verweigert er dieses Begehren, muss er mit einer Rückweisung seiner Interviewbitte rechnen; geht er darauf ein, kommt kein Gespräch, sondern nur eine schriftlich geführte Fragebeantwortung zustande.

Eine Lösung für dieses Problem hat er jedoch nicht anzubieten. Sein Vorschlag, dem Interviewpartner nur eine „Themenliste“ anstatt einer „Fragenliste“ zukommen zu lassen, dürfte bei so manchem Bürgermeister nicht weiterhelfen. Oft bestehen diese überhaupt auf schriftlicher Beantwortung der Fragen per E-Mail, ein Problem, das in Hallers Universum scheinbar noch nicht existierte.

Wer sich für die Geschichte des Interviews und Beispiele aus der – etwas älteren – Praxis erwärmen kann, wird an diesem Werk zumindest kurzfristiges Vergnügen finden, als Hilfe für die praktische Durchführung ist es bestenfalls für Anfänger geeignet.