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Roman

Verena Rossbacher – Mon Chéri und unsere demolierten Seelen

CN: Erwähnung sexueller Handlungen (keine grafischen Beschreibungen), Erwähnung von rassistischen Produktnamen in der Vergangenheit, Depression, Tod eines Elternteils, Krankheit (Krebs), Sterben, Tod, Erwähnung von Krieg und Konzentrationslagern


  • Dieses Buch hab ich mir aufgrund der Empfehlung der lieben Sonja auf die Leseliste gesetzt. Und ich kann mich ihrer kurzen Bewertung („Lesen! Super! Aber bitte nicht vorher die Buchbeschreibung lesen.“) nur vollinhaltlich anschließen.
  • Wir sind vermutlich die Zielgruppe, bei denen dieses Buch besonders gut ankommt: Menschen, die in den 80ern bzw. 90ern aufgewachsen sind und bei der Erwähnung von Inspektor Gadget oder Mixtapes nostalgisch warme Gefühle entwickeln. Das letzte Mal hatte ich sowas bei Minigolf Paradiso von Alexandra Tobor erlebt.

Das waren die Achtzigerjahre. […] Klingt, als wäre das hundert Jahre her, was? Aber ich bin dabei gewesen! Es war kurz nach dem Mittelalter und ich war mittendrin!

  • Neben diesen Nostalgieeffekten zeichnet sich das Buch aber auch noch durch eine unfassbar sympathische Protagonistin aus: Selbstironisch, ständig am Stolpern, mäßig erfolgreich in allen ihren Lebensbemühungen. Gleichzeitig geht sie aber mit einer scheinbaren Leichtigkeit durchs Leben, die sich im Verlauf der Geschichte nur noch steigert. Beispielhaft seien hier ihre Versuche, ein passables Selfie zu erstellen, genannt, die beinahe ins Comichafte abgleiten, aber trotzdem nie herablassend oder verzweifelt wirken.
  • Ein zentrales Motiv ist ihre Freundschaft mit Herrn Schabowski, dessen Postengel-Service sie aufgrund ihrer Angst, die Post zu öffnen, in Anspruch nimmt. Aus dieser Geschäftsbeziehung entwickelt sich im Laufe der Geschichte eine tiefe Freundschaft, die für beide Beteiligten das Leben entscheidend verändert.
  • Natürlich kommen auch zwischenmenschliche Beziehungen abseits von Freundschaft (oder darüber hinaus) nicht zu kurz. Eine der besten Szenen des Buchs (Achtung, Spoiler): Die Protagonistin lädt die drei Männer, mit denen sie vor Kurzem körperlich intim war, zu einem gemeinsamen Abend bei sich ein, um allen dreien gleichzeitig reinen Wein einzuschenken. Dazu kommt es an diesem Abend jedoch nicht, weil die gemeinsame Begeisterung für das Instrument zur Gründung eines Ukulelenorchesters führt.
  • Implizit werden auch traditionelle Lebensmodelle hinterfragt, indem sich die Protagonistin einfach nicht zwingen lässt, irgendetwas auf eine bestimmte Art und Weise zu machen. Sie findet ihren eigenen Weg, auch wenn der manchmal Hindernisse und Rückschläge beinhalten mag.

Ich spürte, dass Stück für Stück diese Vorstellungen, wie etwas zu sein hatte, abfielen, und ich fühlte mich gut damit, ich fühlte mich befreit.

Das Buch wurde 2022 mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet.

Eine wunderbare Geschichte, humorvoll, feinfühlig und alles andere als oberflächlich. Große Empfehlung.

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Roman

Jörg Mauthe – Die große Hitze

CN: Das Buch enthält Beschreibungen bzw. Bezeichnungen von kleinwüchsigen Menschen, die als ableistisch verstanden werden können. In meinen Augen sind diese wie der gesamte Rest des Buchs rein satirisch gemeint, ich möchte dennoch darauf hinweisen.


Wieder mal ein Buch für einen Geocache und vielleicht das beste Buch, das mir jemals durch einen Geocache zugelaufen ist. Ich habe mich so dermaßen amüsiert! Der Unterhaltungswert ist sicher sehr individuell, schon außerhalb von Österreich dürfte wohl vieles an satirischem Wert verloren gehen. Aber für mich war’s genial!

Das Buch wurde 1974 veröffentlicht und ist trotzdem aktueller denn je. Es lässt sich einordnen ins Genre climate fiction, das es damals natürlich noch nicht gab. Jörg Mauthe beschreibt ein Österreich, indem aufgrund großer Hitze und zunehmendem Wassermangel die Gesellschaft Stück für Stück auseinanderzubrechen droht. Sein Protagonist Legationsrat Dr. Tuzzi nimmt seine Rolle und seine Aufgaben als Beamter in einem interministeriellen Komitee sehr ernst. Als er den Auftrag zugewiesen bekommt, in den österreichischen Bergen nach Zwergen zu suchen, weil die ja wissen müssten, wo in den Bergen es noch Wasser gibt, nimmt er diesen Auftrag mit all seiner Beamtenehrfurcht an und begibt sich auf die Suche.

Während im ersten Teil die satirische Beschreibung der österreichischen Beamtentätigkeit sowie der Auswirkungen der Klimaveränderungen auf das alltägliche Leben in der Großstadt für Unterhaltung sorgen, ist es im zweiten Teil der eindeutige Absturz in die Absurdität der Zwergensuche (und der sich anschließenden Verhandlungen). Ganz große Empfehlung!

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Roman

Beate Maly – Tod am Semmering

CN dieses Buch: Mord, Gift, Waffe, Krankheit, Suizid, Krieg, Tod eines Kindes, Alkoholmissbrauch
CN dieser Post: –


Wieder mal eine Krimiserie, die mir über einen Geocache zugeflogen ist. Da wollte ich natürlich mit dem ersten Buch der Reihe anfangen und jetzt steht ein Geocaching-Ausflug auf den Semmering an … das hab ich jetzt davon.

Allerdings bin ich noch unsicher, ob ich die Reihe überhaupt weiter lesen möchte. Ja, sie ist total süß, die neugierige Protagonistin Ernestine Kirsch, Lehrerin im Ruhestand, die nicht mehr loslassen kann, wenn sie irgendwo ein Geheimnis auch nur wittert. Ja, ich hatte zwar einen vagen Verdacht, der auch in die richtige Richtung ging, aber ich hatte die Auflösung des Kriminalfalls nicht kommen sehen. Ja, es ist ein absolutes einfaches Lesevergnügen und für meinen Winterurlaub war es ausgezeichnet. Aber ob ich davon mehr lesen möchte, das weiß ich noch nicht. Vielleicht im nächsten Urlaub wieder.

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Sachbuch

Roman Sandgruber – Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses

CN dieses Buch: Holocaust, Krieg, Krankheit, Tod
CN dieser Post: –


Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt gibt es kein besseres Mittel als das Geld. Geld ist Schmiermittel und Geld ist Information. Ein Informationsvorsprung, damals mit Brieftauben und verschlüsselter Briefpost, dann mit Telegrafie und Telefon, heute mit Internet und Kryptografie, kann Geld bedeuten und viel Geld bringen.

Geschichte generell ist ja leider einer meiner Schwachpunkte. Natürlich habe ich in der Schule grob mitbekommen, was sich in den letzten hundert Jahren so getan hat. Zusätzlich habe ich noch ein paar Kenntnisse über bestimmte Epochen erworben, weil ich mich für bestimmte Personen interessiert habe (zB Kaiserin Elisabeth oder Wolfgang Amadeus Mozart). Größere bzw. langfristigere Zusammenhänge ergeben sich daraus aber nahezu gar nicht.

Gerade habe ich aus Interesse alle Posts aus diesem Blog aus der Kategorie Sachbuch durchgeschaut. Häufungen gibt es bei den Themengruppen Medien/Design/Fotografie, Theater/Musik, Selbsthilfe/Persönlichkeit und – für mich unerwartet – Religion. Geschichte hingegen kommt praktisch nicht vor.

Passend zu diesen Fakten habe ich zu diesem Buch auch nur gegriffen, weil es mit einem Literatur-Geocache in Verbindung steht. Als ich es in der Bücherei aus dem Regal genommen hatte, hätte ich es mir beinahe anders überlegt: ein Hardcover mit über 500 Seiten, definitiv kein Buch zum Herumtragen. Nun bin ich aber froh, dass ich mir die Mühe des Heimtragens gemacht habe, es war insgesamt schon sehr interessant.

Die Geschichte der Rothschild-Familie beginnt im 18. Jahrhundert und wird bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts verfolgt, als die Wiener Linie der Rothschilds mangels männlicher Nachkommen endete. Von der Frankfurter Judengasse aus arbeitet sich Mayer Amschel Rothschild empor, sein Sohn Salomon Mayer Rothschild begründet die Wiener Linie und die Wiener Privatbank Rothschild und bleibt in engem Kontakt mit seinen Brüdern, die in Frankfurt, London, Italien und Paris leben und arbeiten. Die Familiengeschichte hier im Detail nachzuzeichnen wäre kaum sinnvoll, ich möchte aber ein paar geschichtliche Highlights herausgreifen:

  • Nathaniel Rothschild besaß eine Sommervilla auf der Hohen Warte, zugehörig zur Gemeinde Reichenau. Diese wollte er in eine Stiftung für Tuberkulosekranke umwandeln, was der beliebten Fremdenverkehrsgemeinde gar nicht recht war. Ein Zitat aus einer Zeitung gibt deutlich wieder, wie zu Ende des 19. Jahrhunderts mit Kranken umgegangen wurde. Die gute Luft soll bitte den gestressten Stadtmenschen vorbehalten bleiben und die Kranken will man schon gar nicht sehen. Auch dass der unerwünschte Anblick kranker Menschen in dem Bericht VOR der Ansteckungsgefahr genannt wird, spricht Bände:

[…] dass gesunde Menschen oder solche, die zur Stärkung ihrer vom Stadtleben etwas mitgenommenen Nerven eine Sommerfrische aufsuchen, sich nicht eine solche wählen werden, wo ihnen auf Schritt und Tritt der peinvolle Anblick mitleidserregendster Krankheitsformen geboten wird und ihnen durch die Luftströmung eventuell Tuberkelkeime zugeführt werden […]

  • Eine Verbindung zu meinem früheren Interesse an Kaiserin Elisabeth ergab sich ebenfalls. Es wird berichtet, dass die Kaiserin am Tag vor ihrer Ermordung bei Caroline Julie Rothschild in ihrer Villa am Genfer See zu Gast war:

Man besichtigte die Kunstschätze und den weltberühmten Park mit den herrlichen Orchideenhäusern, Volieren und Aquarien. Gräfin Sztáray, die Hofdame der Kaiserin, berichtete später, Elisabeth habe schon lange keinen so hellen, wolkenlosen Tag wie diesen 9. September gehabt.

  • Der bereits oben erwähnte Nathaniel Rothschild war neben seinen wirtschaftlichen und karitativen Aktivitäten auch an Sport interessiert und 1894 an der Gründung des First Vienna Football Clubs beteiligt. Die Vereinsfarben Blau und Gelb, in denen noch heute gespielt wird, wurden anhand des rothschildschen Familienwappens gewählt.

Dennoch gilt er als der wichtigste Geburtshelfer des österreichischen Fußballs. Die Gründung des First Vienna Football Clubs, heute einfach „Vienna“, erfolgte am 22. August 1894 im Gasthaus „Zur schönen Aussicht“. Baron Nathaniel und sein Zentraldirektor Julius Schuster waren persönlich anwesend.

Das Buch wurde 2019 für den Preis Wissenschaftsbuch des Jahres nominiert. Obwohl sich der Autor sehr eng an die Quellen hält (das Quellenverzeichnis listet über 1.138 Verweise auf), ist das Buch flüssig zu lesen und lässt die Geschichte weniger staubig wirken, als sie sich von außen vielleicht anfühlen mag. Die vielen Fotos tragen dazu bei, einen Eindruck von den beschriebenen Epochen zu bekommen, in denen die Rothschild-Familie gelebt hat. Zum Final des Geocaches habe ich bereits eine Vermutung. Aber diese Geschichte wird vielleicht später auf einem anderen Blog erzählt ;-)

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Roman

Renate Welsh – Die alte Johanna

CN dieses Buch: Alter, Sterben
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Die Leute sagen, eine Mutter liebt alle ihre Kinder gleich. So ein Unsinn. Wie kann sie alle Kinder gleich lieben, wenn doch jedes anders ist? Da muss sie doch auch jedes anders lieben, gleich stark, aber anders.

In diesem Buch beschreibt die Autorin das Leben der Johanna aus ihrem früheren Werk, jedoch aus der Sicht der gealterten Johanna, die als Großmutter auf ihre Familie und ihr Leben zurück blickt. Als alte Frau hadert sie einerseits mit dem Verlust ihrer Selbständigkeit, gerade ist sie bei der Tochter eingezogen, weil das Leben alleine zu schwer für sie wurde. Ausruhen soll sie sich, damit kommt Johanna, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet hat, jedoch nur schwer klar. Sie denkt zurück an ihre Zeit als junge Frau, als sie als ledig geborene Dirn auf einem Bauernhof arbeiten musste. Als sie später als junge Mutter wegen ihrer achtköpfigen Kinderschar schief angeschaut wurde. Ihr abgeklärter Blick auf das Leben ist ein harter Kontrast zur jungen Johanna, die zwar gescheit, aber naiv durchs Leben geht. Aus dem jungen Mädchen ist eine alte Frau geworden, die immer noch nicht verstehen kann (oder will), warum die Gesellschaft so ist, wie sie ist. Das Alter hat ihr Weisheit und Gelassenheit geschenkt, sie jedoch nicht von den Fragen abgekoppelt, die sie schon als junge Frau heimlich beschäftigt haben. Warum werden Menschen unterschiedlich behandelt? Was kann ein Kind dafür, dass es ledig geboren wurde? Dass es überhaupt geboren wurde? Was wird aus den unerfüllten Träumen, wenn das Alter die Erfüllung dieser Träume mit jedem Tag unmöglicher macht? Was bleibt dem alten Menschen noch, der nur noch auf sein Leben zurückblicken kann?

Konnte man wirklich beschließen zu lieben? War es möglich, eine Liebe lebendig zu halten, wenn der Mensch, den man liebte, ein anderer geworden war, wenn an ihm nichts mehr liebenswert war?

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Roman

Renate Welsh – Johanna

CN dieses Buch: Nationalsozialismus, Gewalt
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Da hat mich gerade wieder das Literaturcache-Fieber gepackt, daher habe ich auch dieses Buch gelesen. Sonst wüsste ich nicht, warum ich dazu greifen hätte sollen. Das Buch erzählt die Geschichte der ledig geborenen Johanna, die als Dirn auf einem Bauernhof arbeiten muss, obwohl sie eigentlich Schneiderin werden wollte. Zeitlich ist die Geschichte in der Zeit des Aufstiegs des Nationalsozialismus zu verorten. Johanna versteht zwar die Konflikte zwischen den Bauern und den armen Arbeitern nicht, beobachtet aber aufmerksam. Jegliche Beschreibung auf einer politischen Ebene bleibt jedoch oberflächlich. Auf die Fortsetzung „Die alte Johanna“ bin ich jetzt aber trotzdem gespannt. Wie die alte Johanna nun auf diese Zeit zurück blickt, stelle ich mir spannender vor, als die beschränkte Weltsicht der jungen Johanna.

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Erfahrungsbericht Erzählung

Peter Handke – Wunschloses Unglück

Selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bißchen unglücklich.

Ein Geocaching-Literatur-Rätsel stieß mich auf Peter Handke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass seinerzeit im Deutsch-Unterricht eine(r) meiner SchulkolegInnen ein Referat darüber gehalten hat, erinnern konnte ich mich jedoch nur mehr daran, dass Handke darin vom Leben seiner Mutter erzählt.

Fein säuberlich schickte sie ihm eine beglaubigte Testamentskopie per eingeschriebenem Brief, noch am selben Abend beging sie Selbstmord durch eine Überdosis Tabletten. Auf den ersten Seiten geht Peter Handke darauf ein, dass das Aufschreiben der Geschichte für ihn auch therapeutische Wirkung hat, im weiteren Verlauf schreibt er einmal auch über die Schwierigkeit, die richtigen Formulierungen zu finden, die aber die Geschichte keinesfalls verfälschen dürfen. Eine schwierige Aufgabe, wenn man über lange zurückliegende Geschehnisse schreibt, die man selbst gar nicht oder nur sehr peripher (als kleines Kind) erlebt bzw. wahrgenommen hat.

Aufwachsen in der Großfamilie auf dem Land, keine eigenen Bedürfnisse haben dürfen, keine Möglichkeiten. Dem neugierigen Mädchen wird vom Großvater der Wunsch etwas zu lernen, einfach nur irgendwas abgeschlagen, immer wieder vom Tisch gewischt. Bis sie mit 15 Jahren schließlich geht und sich im Tourismus vom Stubenmädchen aus hocharbeitet. Der Anschluss an Deutschland und bald darauf der Krieg kommt dazwischen, eine erste Liebe, eine schnelle Schwangerschaft, Heirat mit einem anderen, den sie jedoch nicht liebt (das Kind braucht einen Vater). Der Krieg trennt die Familie, erst 1948 kehrt die Mutter in ihr Heimatdorf zurück, weitere Kinder folgen. Ausscheren ist auf dem Dorf nicht gern gesehen:

Spontan zu leben – am Werktag Spazierengehen, sich ein zweites Mal verlieben, als Frau allein im Gasthaus einen Schnaps trinken–, das hieß schon, eine Art von Unwesen treiben; „spontan“ stimmte man höchstens in einen Gesang ein oder forderte einander zum Tanz auf.

Schließlich leidet sie unter immer stärkeren Kopfschmerzen, jeder tägliche Handgriff wird zur Qual. Sie stößt sich an Ecken und Kanten, erinnert sich an nichts mehr, verirrt sich beim Spazierengehen, verliert jedes Zeit- und Ortsgefühl. Aus heutiger Sicht würde man wohl eine akute Depression diagnostizieren, damals vermutete der Arzt einen eingeklemmten Nerv. Sie wird schließlich von einem Nervenarzt behandelt, eine Zeitlang geht es ihr besser. Doch wie es weiter vorn im Buch heißt, wusste sie wohl, dass ihre Zukunft bereits vorbei war.

Auf den letzten Seiten versammelt der Autor Erinnerungen, Anekdoten, Reflexionen, jetzt ist er nicht mehr der Erzähler, jetzt erinnert er sich an die Frau, die seine Mutter war. Ein schmerzhaftes, persönliches Buch.

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Roman

Xaver Bayer – Weiter

Dabei sind gerade die Grenzen eines Computerspiels so verführerisch. Wo die Grafik zu Ende ist, schlummert das Essentielle. Dort beginnt es für mich interessant zu werden. Aber noch mehr faszinieren mich Spiele, die keine Grenze haben, wissen Sie, was ich meine? Da gibt es kein Ende der Illusion.

Eines dieser Bücher, das schon so lange auf meiner Liste steht, dass ich echt nicht mehr ansatzweise weiß, wo das hergekommen ist. Die Geschichte liest sich recht flüssig, wie schon der Titel sagt, geht es immer weiter.

Der Protagonist schreibt für eine Zeitschrift über Computerspiele. Gleich zu Anfang des Buches stiehlt er einen mittelalterlichen Faustkeil aus dem Urgeschichtemuseum in Asparn. Schon zu diesem Zeitpunkt könnte einem klar werden, dass mit ihm nicht alles stimmt. Auf den folgenden Seiten erzählt er von einem Moment in seinem Leben, der alles verändert hat, von dem an auf einmal alles sich anders angefühlt hat und irgendwie keinen Sinn mehr ergibt. Ziellos fährt er nun mit dem Faustkeil in der Manteltasche durch die Gegend, besucht das Haus seiner Großeltern, wo er seinen Bruder vorfindet, und philosophiert dabei ständig über Computerspiele und deren Parallelen zum richtigen Leben. In Brno soll er einen Entwickler interviewen, dieser lässt sich jedoch entschuldigen, der Protagonist lässt sich weitertreiben und landet mit der Schwester des Entwicklers im Nachtleben.

Der finale Showdown am Staatzer Berg lässt Raum für Interpretationen. Während für mich eindeutig klar war, dass der Protagonist seit Langem an Depressionen leidet und der konsumierte Drogencocktail ihn endgültig zum Zusammenbruch geführt hat, liest man nichts davon in anderen Rezensionen. Da wird eher krampfhaft nach Metaphern gesucht und die Präzision der Sprache gelobt. Womit ich zum Abschluss noch auf einen Tweet von Dejan Mihajlović verweisen möchte, der wunderbar zum Ausdruck bringt, warum nicht jedes geschriebene Wort mit symbolischer Bedeutung aufgeladen sein muss.

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Roman

Vea Kaiser – Makarionissi

Mit ihrem ersten Roman Blasmusikpop wurde Vea Kaiser einem größeren Publikum bekannt, mich hat das jedoch nicht interessiert, bis sie anlässlich der Veröffentlichung ihres zweiten Romans Makarionissi bei Claudia Stöckl im Frühstück bei mir zu Gast war. Dort hat sie erzählt, wie sie sich als attraktive Frau, die ihre Reize auch nicht verstecken will, teilweise bemühen muss, um in der Verlags- und Geschäftswelt ernst genommen zu werden.

Mit diesem Roman hat sie nun eine Familiengeschichte im Stil klassischer Heldensagen geschaffen, die einzelnen Kapital werden als Gesänge bezeichnet, Heldin und Held erleben eine wilde Irrfahrt durch die Welt und das Leben im Allgemeinen. Eleni und Lefti werden in einem griechischen Bergdorf an der albanischen Grenze geboren, ihre Familien haben bereits vor Elenis Geburt geplant, dass Cousin und Cousine später heiraten sollen, um das Familienvermögen zu erhalten. Doch Eleni hat nichts anderes im Sinn, als eine Amazone zu werden, eine Heldin, eine große Politikerin will sie werden, heiraten passt da gar nicht dazu.

Ein Abriss über die Familiengeschichte würde zu aufwändig, der Stammbaum auf den ersten Seiten wurde nicht umsonst aufgezeichnet. Am Ende (oder eigentlich schon auf dem Weg) erweist sich der Roman als so echt wie das Leben selbst: unvorhersehbar. Oft führt auch ein zuerst als falsch betrachteter Weg an ein Ziel, von dem man vorher noch gar nichts wusste. Manchmal erweisen sich scheinbare Katastrophen später als Glücksfall. So lange man sich selbst treu bleibt, kann man eigentlich nichts falsch machen. (Und aus den meisten Büchern kann man genau das herauslesen, was man gerade braucht.)

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Roman

Margarita Kinstner – Die Schmetterlingsfängerin

Ich war eine, die sich nirgendwo zu Hause fühlte, das machte mich frei, aber was bedeutet schon Freiheit? Ich wollte kein Schiff besteigen, ich wollte nach Hause, immer schon wollte ich einfach nur nach Hause, und nie wusste ich, wo dieses Zuhause eigentlich war.

Katja steht kurz vor einer großen Veränderung in ihrem Leben. Sie wird mit ihrem Partner Danijel, von dem sie ein Kind erwartet, nach Sarajevo ziehen, wo er einen Job als Arzt in einer Klinik angenommen hat. Während Katja ihre Zelte in Wien abbricht, beginnt sie, nach ihren eigenen Wurzeln zu suchen. Stück für Stück wird die Familiengeschichte aufgedeckt, sie fährt in die Steiermark, in den Ort, in dem sie einen Großteil ihrer Kindheit bei der Mutter ihres Vaters verbrachte. Sowohl mit ihrer Mutter (eine Karrierefrau, die sich mit dem Muttersein nur schwer anfreunden konnte) als auch mit ihrem Vater (eine Künstlerpersönlichkeit mit wankelmütigem Lebenswandel) verbindet sie kein klassisches Eltern-Kind-Verhältnis. Die Bezugsperson ihrer Kindheit war die Oma väterlicherseits.

Wie ich es so zusammenfasse, klingt es für mich beinahe spannender, als ich es beim Lesen empfunden habe. Möglicherweise waren meine Erwartungen auch zu hoch, weil ich so riesige Freude an Margarita Kinstners Debüt Mittelstadtrauschen hatte. Könnte ich unbeeinflusst urteilen, hätte mir dieser Roman wahrscheinlich besser gefallen. Trotz allem eine hoffnungsvolle Familiengeschichte, die bewusst machen kann, dass unsere Herkunft zwar unsere Entwicklung beeinflusst, aber nicht unser Leben bestimmen muss. Jeder entscheidet für sich selbst, wo seine persönliche Reise hingeht.

„… Das mit der Kunst ist wie mit dem nackten Kaiser. Jeder sieht den Nackten, aber keiner will als Erster zugeben, dass er dumm ist. In dem Moment, in dem du deine Kunst teilst, verliert sie ihren Wahrheitscharakter. Das ist wie mit deinen Gefühlen. Sobald du sie zu beschreiben versuchst, verfälscht du sie schon. Sieh dir den nackten Kaiser an, Katja. Erst, wenn du den wahrnimmst, hast du verstanden.“

Reading Challenge: A book published this year