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Roman

Lida Winiewicz – Späte Gegend

CN: Gewalt, Armut, Krieg, Verarbeitung von Tieren


Man hat ja nicht viel verlangt, Arbeiten, Essen, gesund sein, sonst nichts, aber mir kommt vor, das ist gar nicht „nichts“, das ist viel, und die wenigsten Menschen kriegen’s.

Wieder mal ein Buch, das mir wegen eines Literatur-Geocaches zugeflogen ist. Bei diesem Rätsel hatte ich länger gebraucht, bis ich die Autorin ausfindig machen konnte, und das obwohl mir der Name bekannt war, weil sie vor einigen 22 (!) Jahren bei den Stockerauer Festspielen mitgewirkt hat. Damals (2001!) schrieb Lida Winiewicz Libretto und Songtexte für die Eigenproduktion Time Out, eine moderne Adaption des Klassikers Cyrano de Bergerac.

In diesem Buch hingegen erzählt sie die Lebensgeschichte einer einfachen Frau. Bereits als Kleinkind muss sie auf dem Bauernhof ihrer Eltern mithelfen („Knöpferlnähen war Kleinkinderarbeit“), die Schule muss sie früh abbrechen, weil ihre Arbeitskraft gebraucht wird, um die Familie zu erhalten. Sie erzählt von ihren ersten Dienststellen, wo sie als Saudirn unterkommt, unmenschliche Arbeitsbedingungen und schlechte Behandlung durch die Wirtin ertragen muss. Die jetzt alte Frau, die die Geschichte im Rückblick erzählt, ist jedoch nicht verbittert über ihren Lebensverlauf. Sie nahm damals und nimmt noch heute ihr Los mehr oder weniger als gegeben hin.

Immer wieder betont sie, was sie damals alles „nicht verstanden“ hat: Die Menstruation zum Beispiel traf sie völlig unvorbereitet, nahezu atemlos erzählt sie, dass sie erst Jahre später von ihrem Ehemann aufgeklärt wurde. Aber nicht nur Wissen über den eigenen Körper, auch Vorgänge in der Welt außerhalb ihres Bauernhofs bzw. ihres Dorfs bleiben ihr stets ein Rätsel.

Wir haben uns nicht gefreut, obwohl wir fast nichts gewusst haben über den Hitler, außer dass er aus Braunau war, dass er die Juden nicht gemocht hat und dass es Krieg geben wird. Warum, haben wir nicht verstanden, und es hat uns keiner erklärt.

Aus meiner heutigen privilegierten Sicht erscheint mir dieses Leben, dass noch vor gar nicht so langer Zeit Alltag für viele Frauen auf dem Land war, wenig lebenswert. Harte Arbeit und oft nichtmal Butter aufs Brot. Und wenn ich an die vielen Kinder weltweit denke, die heute in Armut leben und sich irgendwie durchschlagen müssen, dann wird mir überhaupt ganz anders … es ist unsere Aufgabe, den Reichtum der Welt so zu verteilen, dass alle ein menschenwürdiges Leben führen können. (Hier schleicht sich schon das Buch ein, das ich im nächsten Post besprechen werde …)

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Erfahrungsbericht

Britta Redweik – Unter drei Augen

CN: Die Autorin stellt jedem Kapitel eine Angabe der in diesem Kapitel thematisierten Krankheit(en) voran und ergänzt diese mit Triggerwarnungen. Diese Triggerwarnungen gebe ich hier gesammelt als Content Notice wieder:

Behindertenfeindlichkeit/Ableismus, Mobbing, Klaustrophobie, Verletzung, Blut, körperliche Gewalt, Alkoholmissbrauch, Depression, Stigmatisierung, Krankenhaus, Sexismus, Suizidgedanken


Kürzlich habe ich auf meinem Mastodon-Account nach Leseempfehlungen zu bestimmten Kriterien gefragt (die Sammlung der Empfehlungen ist in Arbeit, ich möchte mir alle Empfehlungen ansehen und etwas dazu schreiben) und dabei ist mir eingefallen, dass ich kürzlich einer Empfehlung von skalabyrinth folgend ein eBook heruntergeladen hatte, dass meinen Kriterien eigentlich vollumfänglich entspricht. Britta Redweik beschreibt in ihrem gratis auf BookRix erhältlichen Buch ihr Leben mit unterschiedlichen Behinderungen und Krankheiten und den gesellschaftlichen Konsequenzen mit denen sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation konfrontiert ist.

Bereits von Geburt an fehlt der Autorin ein Auge. Als Kind erlebt sie bereits den Aufwand, der damit verbunden ist, denn ein Glasauge muss (nicht nur bei Kindern) alle paar Monate erneuert werden und ist teuer. Sie beschreibt auch ausführlich, wie die Anpassung und Herstellung von Glasaugen funktioniert, ein Einblick, den vermutlich die wenigsten Menschen haben.

Aus ihrer Schulzeit berichtet sie von grausamen Mobbingerfahrungen, nicht nur durch Mitschüler:innen sondern auch durch Lehrkräfte. Wegen ihrer Skoliose kann sie nur eingeschränkt am Sportunterricht teilnehmen, wird jedoch trotzdem der Beurteilung unterworfen. (Noten für den Sportunterricht gehören meiner Meinung nach abgeschafft. Ja, ich war auch ein Kind, das immer zuletzt in die Mannschaft gewählt wurde.) Am Beispiel eines Korsetts, das sie wegen der Skoliose jahrelang tragen muss, erläutert sie auch ihre zunehmende Angst vor medizinischen Untersuchungen und Behandlungen. Viel zu oft unterwirft sie sich diesen nur, weil ihre Angst vor den drohenden Konsequenzen größer ist als ihre Angst vor den Behandlungen.

In ihren Exkursen über Behinderung in Deutschland sammelt Britta Redweik auch Fakten zum Beispiel über die Berechnung von Graden der Behinderung und dementsprechender Stufen finanzieller Unterstützung. Sie beschreibt ihre eigenen frustrierenden Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt, wo sie feststellen muss, dass selbst bei Stellenangeboten, die angeblich geeignet sein sollen für Menschen mit Einschränkungen, in der Praxis weder ausreichend Verständnis noch tatsächliche Flexibilität im Arbeitsalltag vorhanden ist. Sie erläutert ausführlich, warum es für behinderte Menschen so schwierig ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Gesetze, die dabei helfen sollen, machen es leider oft erst recht schwer:

Man wird seltener eingestellt, weil man schwerer zu kündigen ist und mehr Anspruch auf Urlaub hat, aber auch wahrscheinlicher mal ausfällt.

Im Hinblick auf die mediale Repräsentation behinderter Menschen wünscht sich die Autorin, dass die Behinderungen auch in der Geschichte wichtig sein soll: „Entweder eine Botschaft über ,Schaut mal, ich schreib total inklusiv‘ hinaus haben, oder die Handlung oder Charakterentwicklung vorantreiben.“ Auf den nächsten Seiten beschreibt sie, dass ihr „echte Repräsentation“ wichtig ist, die „Einblick in das Leben des entsprechenden diversen Charakters“ gibt „und nicht nur zur Quotenerfüllung oder um sich tolerant zu fühlen“ dient.

Nur durch formal belegbare Qualifikationen kann ich beweisen, dass ich Leistung erbringen kann.

Aus der Sicht einer behinderten Person ist die Leistungsgesellschaft noch schlimmer zu ertragen. Aber auch die Erlangung der im obigen Zitat erwähnten Qualifikationen (wie zum Beispiel ein Universitätsabschluss) ist für behinderte Menschen mit massiven Hürden verbunden. Auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten einiges in dieser Hinsicht getan haben sollte, ist unsere Gesellschaft von echter Barrierefreiheit weit entfernt. Menschen mit Behinderungen und ihre Lebenswelt werden zumeist nicht mitgedacht. Wenn Accessibility (Zugänglichkeit) überhaupt eine Rolle spielt, wird sie zumeist erst im Nachhinein in ein bestehendes System integriert. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass oft genug nötige Veränderungen nicht mehr oder nur mit sehr großem finanziellem Aufwand möglich sind. Leider trifft das auch auf staatliche Stellen zu. Diese Mehrfachbelastung führt nicht selten dazu, dass behinderte Menschen zusätzlich unter Depression leiden.

[…], denn der Staat hat mir endgültig klar gemacht, dass er mich nicht will. Dass er mich nicht nur nicht gebrauchen kann, sondern es ihm auch egal ist, ob ich menschenwürdig lebe oder nicht.

Die Gründe dafür sind leider vielfältig und schwer zu betiteln. Britta Redweik schreibt selbst, dass jede behinderte Person eine andere Art von Unterstützung braucht und das Richtige für die eine Person sogar das völlig Falsche für eine andere Person sein kann. Eindeutig ist aber, dass Entscheidungsträger:innen zumeist über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheiden, ohne tatsächlichen Einblick in deren Bedürfnisse zu haben. Allzuoft ohne die Betroffenen auch zur zu FRAGEN:

NIEMAND, der nicht mindestens einmal die Woche miterlebt, wie schwer das Leben mit Behinderung ist, sollte sich anmaßen dürfen, für uns zu entscheiden.

In diesem Sinne möchte ich wirklich jeder Person die Lektüre dieses Buchs ans Herz legen. Selbst wenn ihr mit einer anderen Behinderung lebt, kann euch dieses Buch konkrete Einblicke geben, die euch bisher vielleicht verborgen geblieben sind. Wenn ihr selbst keine Behinderung habt, dann natürlich erst recht. Schaut über euren Tellerrand und versucht, in eurem Arbeits- und Freizeitalltag darauf zu achten, wo Barrieren für behinderte Menschen vorhanden sind und wie ihr diese vielleicht abbauen könnt. Die Autorin gibt euch dafür noch einen ganz persönlichen Grund mit: Die meisten behinderten Menschen sind höheren Alters. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass ihr später in eurem Leben selbst zu diesen behinderten Menschen gehören werdet.

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Roman

Josef Haslinger – Opernball

CN: Terrorismus, Mord, Gewalt, sexuelle Gewalt, Ermordung von Angehörigen, Suizid, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Holocaust, Konzentrationslager, Krieg, graphische Beschreibungen von Kriegsverbrechen, Rassismus


Zu diesem Buch hat mich wiederum ein Literatur-Geocache geführt. Allerdings hab ich nach den ersten 100 Seiten dann mit Sicherheit feststellen können, dass ich zwar den richtigen Autor hatte, aber das falsche Buch. Da war ich dann aber schon mittendrin in der Geschichte …

Die Content Notice von oben möchte ich nochmal ergänzen: Einige Passagen in diesem Buch haben mich sehr mitgenommen. Das passiert mir nicht oft, ich habe in meinem Arbeitsalltag auch hin und wieder mit medizinischen Fotos aus dem realen Leben zu tun und kann mir diese mit leichtem Ekel ansehen und dann wieder vergessen. Bei sehr gewalttätigen Szenen in Filmen oder Serien schaue ich lieber weg, tatsächlich sind aber die Begleitgeräusche meistens schlimmer als die Bilder. Bei Büchern hatte ich das in meiner Erinnerung nur äußerst selten, das Einzige, das mir jetzt spontan einfällt, ist A Clockwork Orange. Ganz so schlimm war es in diesem Buch nicht, aber in einigen Szenen werden sehr bildhaft Gewalttaten beschrieben, das will sich vielleicht nicht jede Leser:in zumuten.

Da das Buch schon mit den sterbenden Menschen in der Oper beginnt, ist es kein Spoiler, zu verraten, worum es in dem Buch geht: Der Opernball, ein traditionelles Wiener Ereignis mit vielen internationalen Gästen, wird Ziel eines Terrorismusanschlags mit Giftgas. Erzählt wird das Buch aus der Sicht eines Journalisten, der bei diesem Anschlag aus dem außerhalb der Oper stehenden Regiewagen hilflos zusehen muss, wie sein Sohn als Kameramann in der Oper hinter der Kamera stirbt. Seine persönliche Betroffenheit führt zum Versuch, die Hintergründe des Anschlags aufzuklären. Seine Perspektive wechselt sich ab mit der eines Polizisten, der die gewaltvollen Demonstrationen rund um die Oper vor und während des Opernballs schildert, und der des einzigen Terroristen, der den Anschlag überlebt hat. Alle diese Perspektiven enthalten grausame Details.

Der Journalist erzählt von der Vergangenheit seines Vaters, der bei der Befreiuung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen dabei war und Fotos vom unaussprechlichen Leid hütet, das er damals erlebt hat. In seiner Arbeit als Kriegsberichterstatter wurde der Journalist selbst Zeuge von unfasslicher Grausamkeit. Erschreckend dabei ist außerdem, wie kühl er von diesen Erlebnissen berichtet, wie er mehr an seine Geschichte und an die Bilder denkt, als an die Menschen, die die Opfer dieser Grausamkeit sind.

Der Polizist erzählt von den Aggressionen, die Polizisten (von Polizist:innen ist nur in Nebensätzen und abwertend die Rede) während Demonstrationseinsätzen empfinden und wie sich die Einsatzkräfte gegenseitig aufstacheln, um im Chaos nicht die Nerven zu verlieren. Dabei werden die Demonstrierenden entmenschlicht, um das gewaltvolle Vorgehen gegen sie zu rechtfertigen.

Der Terrorist (im Buch genannt: der Ingenieur) erzählt, wie es zu dem Anschlag kam. Wie sich die Gruppe bildete, wie aus zuerst harmlosen Saufgelagen Gewalttaten gegen Ausländer:innen werden, wie ein Brandanschlag geplant und durchgeführt wird. Dabei ist deutlich zu verfolgen, wie der Ingenieur, der zwar schon zu Beginn eine deutlich menschenfeindliche Einstellung zur Schau trägt, radikalisiert wird, wie er sich dem Sektenführer unterwirft, wie dessen religiöses Gehabe keinen Widerspruch duldet und sich der Ingenieur als der Auserwählte fühlt, der den anderen Mitgliedern der Gruppe vorgezogen wird.

Der Roman ist im Jahr 1995 erschienen, das ist aber (abgesehen von der Abwesenheit von Smartphones) kaum spürbar. All dieser Hass ist in unserer Gesellschaft heute genau so präsent wie damals. Gerade deshalb ist dieses Buch vielleicht aktueller, als ich es mir wünschen würde.

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Roman

Julia Armfield – Our Wives Under The Sea

CN: Anxiety, Suizid, Trauma


The ocean, I had to remind myself, was a place I felt safe and thinking about the ocean was the method by which I felt safest.

Leider wurde dieser Blog Post durch die insgesamte Überforderung der letzten Woche verschleppt. Gerade habe ich mir nochmal die Empfehlung für dieses Buch durchgelesen, um herauszufinden, was mich daran so interessiert hat. So würde ich das Buch ganz und gar nicht beschreiben … und dann passt es vielleicht wieder doch:

Leah is a marine biologist who is used to undersea expeditions, but when she and her colleagues embark on what should be a routine field excursion, their vessel sinks and they are stuck at the bottom of the ocean for months. When Leah finally gets free and returns home to her worried and loving wife, Miri, she is changed. The woman Miri once loved is now comprised of silence, darkness, and weight, refusing to reveal what happened under the water, turning inward and away from Miri. Our Wives Under the Sea meditates on whether it is possible to share the full truth of our hearts with others, what it means to leave, and most of all, what it means to stay. –JH (Lithub)

Das Buch wird zum großen Teil erzählt von der zurückgebliebenen Miri, die ihre Frau Leah vermisst und von der Organisation, die diese Forschung betreibt, keinerlei verwertbare Informationen erhält. Kurze Zwischenteile werden aus Leahs Perspektive erzählt, daraus erfahren die Leser:innen, was Miri bis zum Ende des Buchs nicht weiß: Leah, Jelka und Matteo sind auf ihrem Forschungstrip damit konfrontiert, dass plötzlich alle Steuerungsmechanismen ihres U-Boots ausfallen. Das Gefährt sinkt zum Meeresboden. Die drei Forscher:innen können aufgrund der Vorräte und des Wasser- und Luftfiltersystems monatelang in dieser Situation ausharren. Aber wie sollen sie gerettet werden? Sie befinden sich in einer Tiefe, die nur von wenigen Gefährten überhaupt erreicht werden kann. Und wie sollen sie gefunden werden, wenn sie nicht kommunizieren können?

The comms went out before the system died, like they switched us off externally. We know all this, we know this.

Die Uhren bleiben stehen, die drei wissen längst nicht mehr, wie viel Zeit schon vergangen ist, seit die Steuerung ausgefallen ist. Sie leben in einer Eintönigkeit von Essen, Trinken und Schlafen, die immer deutlichere Spuren hinterlässt. Der Verdacht, dieser technische Fehler könnte von der Organisation absichtlich herbeigeführt worden zu sein, um an ihnen zu experimentieren, kann nicht bestätigt werden. Jedoch weist auch Miris Kommunikation nach Leahs Rückkehr, wo es um Therapien und Versicherungen geht, deutlich daraufhin, dass hier vieles nicht in Ordnung ist.

Nach monatelanger Abwesenheit ist Leah zurück bei Miri. Aber sie ist nicht mehr dieselbe Leah (Miri: my Leah). Sie ist abwesend, kann über das Erlebte nicht sprechen, scheint sich auch kaum noch an die Zeit vor ihrem Aufenthalt auf dem Meeresboden zu erinnern. Das Erlebte steht wie eine Mauer zwischen Miri und Leah. Während Miri versucht, die Verbindung aufrecht zu erhalten, scheint Leah Stück für Stück zu verschwinden.

Erwähnen möchte ich auch, dass die lesbische Beziehung von Miri und Leah hier in keiner Form zum Thema wird. Es ist einfach eine Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen. Es sollte nicht notwendig sein, das hervorzuheben, es ist mir jedoch trotzdem wichtig.

Ein Fazit fällt mir schwer. Bildet euch eure eigene Meinung.

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Roman

Kathleen Glasgow – Girl in Pieces

CN: Das dürfte das erste Mal sein, dass ich ein Buch in der Hand halte, das bereits eine Inhaltswarnung mitbringt:

This book contains material which some readers may find distressing, including discussions of self-harm (cutting), depression, sexual and physical assault, rape, violence, alcoholism, drug use, and suicide.


“Everyone has that moment, I think, the moment when something so … momentous happens that it rips your very being into small pieces. And then you have to stop. For a long time, you gather your pieces. And it takes such a very long time, not to fit them back together, but to assemble them in a new way, not necessarily a better way. More, a way you can live with until you know for certain that this piece should go there, and that one there.”

Während ich einen Anfang für diesen Text suche, geht mir immer wieder der Text auf dem Cover durch den Kopf, ein Blurb von Nicola Yoon: “A haunting, beautiful and necessary book”. Diese Geschichte tut weh, sie nimmt mit, sie hinterlässt Spuren. Autorin Kathleen Glasgow lässt ihre Protagonistin Charlotte durch die Hölle gehen. Mehr als einmal.

Die Erzählstruktur spiegelt in gewisser Weise Charlottes aktuellen mentalen Zustand wieder. Das Buch beginnt mit kurzen „Kapiteln“, teilweise nur eine halbe Seite, die illustrieren, wie Charlotte immer wieder nur kurz und desorientiert aus ihrem Traumazustand aufwacht. Sie findet sich in einer Klinik wieder, zusammen mit anderen Mädchen, die sich wie Charlotte selbst verletzen. Die Kapitel werden länger (und später wieder kürzer), im selben Maß wie sich Charlottes Zustand verändert.

Kurz vor ihrer überstürzten Entlassung aus der Klinik nimmt Charlotte mit einem früheren Freund Kontakt auf. Er lädt sie nach Tucson ein, wo sie vorübergehend in seiner Wohnung leben kann. Charlotte hat keine anderen Möglichkeiten. Stück für Stück erkämpft sie sich in Tucson ein neues Leben. In Rückblenden erfährt die Leser:in von Charlottes Vergangenheit, von all den grausamen und zerstörenden Dingen, die dazu geführt haben, dass Charlotte nach einem Suizidversuch in der Klinik gelandet ist.

Schließlich findet Charlotte auch Zugang zu ihrem künstlerischen Ich, das in all dem Chaos ihres Lebens keine Möglichkeit zur Entfaltung hatte. Verschiedene Mentor:innen ermutigen sie, sich nicht nur mit der Technik ihres Zeichnens, sondern auch mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen. In ihrer Kunst lernt sie, auszudrücken, was sie früher nur durch Selbstverletzung aus ihrem Körper und ihrer Seele entlassen konnte.

Ich weiß nicht, wem ich dieses Buch empfehlen soll (und wem nicht). Mich hat es extrem berührt und ich habe das Gefühl, vielleicht ein Stück mehr zu verstehen, was Menschen dazu bringen kann, sich selbst zu verletzen. Gleichzeitig ist es in all seiner Grausamkeit ein hoffnungsvolles Buch. Charlotte ist bereits zu Beginn des Buchs an einem Tiefpunkt angelangt. Sie kämpft sich mühsam weiter. Und sammelt Stück für Stück die Teile ihres zerbrochenen Ichs wieder ein. Um schließlich ein neues Ich daraus zu schaffen. Das Buch zeigt, dass dies möglich ist, auch wenn es noch so unmöglich aussieht.

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Roman

Jörg Mauthe – Die große Hitze

CN: Das Buch enthält Beschreibungen bzw. Bezeichnungen von kleinwüchsigen Menschen, die als ableistisch verstanden werden können. In meinen Augen sind diese wie der gesamte Rest des Buchs rein satirisch gemeint, ich möchte dennoch darauf hinweisen.


Wieder mal ein Buch für einen Geocache und vielleicht das beste Buch, das mir jemals durch einen Geocache zugelaufen ist. Ich habe mich so dermaßen amüsiert! Der Unterhaltungswert ist sicher sehr individuell, schon außerhalb von Österreich dürfte wohl vieles an satirischem Wert verloren gehen. Aber für mich war’s genial!

Das Buch wurde 1974 veröffentlicht und ist trotzdem aktueller denn je. Es lässt sich einordnen ins Genre climate fiction, das es damals natürlich noch nicht gab. Jörg Mauthe beschreibt ein Österreich, indem aufgrund großer Hitze und zunehmendem Wassermangel die Gesellschaft Stück für Stück auseinanderzubrechen droht. Sein Protagonist Legationsrat Dr. Tuzzi nimmt seine Rolle und seine Aufgaben als Beamter in einem interministeriellen Komitee sehr ernst. Als er den Auftrag zugewiesen bekommt, in den österreichischen Bergen nach Zwergen zu suchen, weil die ja wissen müssten, wo in den Bergen es noch Wasser gibt, nimmt er diesen Auftrag mit all seiner Beamtenehrfurcht an und begibt sich auf die Suche.

Während im ersten Teil die satirische Beschreibung der österreichischen Beamtentätigkeit sowie der Auswirkungen der Klimaveränderungen auf das alltägliche Leben in der Großstadt für Unterhaltung sorgen, ist es im zweiten Teil der eindeutige Absturz in die Absurdität der Zwergensuche (und der sich anschließenden Verhandlungen). Ganz große Empfehlung!

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Roman

Sally Rooney – Beautiful World, Where Are You?

CN: Nervenzusammenbruch, Krankheit, Krankenhaus, sexuelle Handlungen, Masturbation, Pornografie, Suizidgedanken, Drogenmissbrauch, Depression


Perhaps they didn’t know themselves, and these were questions without fixed answers, and the work of making meaning was still going on.

Irgendwie weiß ich noch immer nicht, was ich über dieses Buch schreiben soll. Es hat mich nicht wirklich gefangen. Keine:r der Protagonist:innen hat mich wirklich interessiert, es war mir einfach ziemlich egal, was mit Ihnen passiert. Wenn ich mich an die beiden vorhergehenden Bücher der Autorin zurück erinnere (Normal People, Conversations With Friends), dann könnte ich schreiben, dass die dort schon vorhandenen Aspekte, die mir nicht so gut gefallen haben (übertriebenes Selbstmitleid von privilegierten Personen, intensives Philosophieren über Ideen wie zB political conservatism ohne daraus irgendwelche Handlungen abzuleiten, eine gewisse Abgehobenheit von der Welt), in diesem Buch vermehrt auftreten, während die anderen Aspekte in den Hintergrund treten.

In Conversations With Friends wird eine konfliktreiche Polybeziehung beschrieben, hier wird Bisexualität angedeutet, aber nicht wirklich ausgelebt, eine nicht-exklusive Beziehung wird erwähnt, aber sofort beendet. Als Beweis der Zuneigung. (Was?)

Normal People hat mich zu einer (weiteren) Auseinandersetzung mit dem Normalitätsbegriff angeregt. Und jetzt weiß ich weder, was ich über dieses Buch schreiben soll, noch, was es mir eigentlich sagen wollte.

Natürlich kann ich nicht vollständig ausschließen, dass ich die Metaebene einfach nicht verstanden habe. Dementsprechend kann ich nur sagen, dass dieses Buch meine Erwartungen leider nicht im Geringsten erfüllt hat.

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Krimi Roman

Fritz Lehner – Seestadt

CN: Mord, Gewalt, Geschwurbel


Ein wegen Totschlags verurteilter Mörder (ja, genau so meine ich das) wird mit Fußfessel auf Bewährung entlassen und fristet nun ein neues geregeltes Leben als „Aura-Chirurg“ im neuen Wiener Stadtviertel Seestadt. Kundschaft für seine Aura-Chirurgie findet er genug in der Bevölkerung des neuen Stadtteils, der sich angeblich über einem früheren Kriegsschauplatz befindet. Das Herumschneiden in der Aura seiner Patient:innen ist ihm jedoch bald nicht mehr genug. Der Fund eines Bajonetts kombiniert mit einer Idee für das perfekte Alibi gibt den Ausschlag zur neuen Mordserie, die die Seestadt erschüttern wird …

Viel Lokalkolorit, von dem ich sicher nach nur wenigen Besuchen (zB 2015) in der Seestadt nicht alles verstanden habe. Die Erzählung aus der Perspektive des Mörders lässt unter anderem die anderen zwielichtigen Gestalten der Geschichte normal wirken, geradeso als wären die Opfer die eigentlichen Fremdkörper in der Seestadt. Ein amüsanter Krimi für Menschen, die sowas mögen.

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Kinder

Tove Jansson – Winter im Mumintal

CN: Tod eines Tieres

Mumin schloss die Augen und dachte: Wie verschieden alle doch sind.

Kinderbücher sind auf diesem Blog ja höchst selten vertreten. Hier ist der Hintergrund, wie so manche:r vielleicht bereits vermutet, ein Geocache. Also verbrachte ich etwas Zeit im Mumintal mit den interessanten Figuren, die Autorin Tove Jansson sich ausgedacht und auch in Zeichnungen illustriert hat. Mumin sollte ja eigentlich Winterschlaf halten, wacht aber zu früh auf und lernt dann die anderen Wesen kennen, die im Winter im Mumintal so herumlaufen.

Im skandinavischen Raum sind die Mumins wohl so bekannt wie hierzulande in meiner Kindheit die Barbapapas oder die Fraggles. Mir sind sie hier zum ersten Mal begegnet.

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Roman

Rosa Liksom – Abteil Nr. 6

CN: Alkoholmissbrauch, sexuelle Belästigung, Rassismus, Prostitution


Letzte Woche ergab sich eine Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher in die Hauptbücherei. Mangels Vorbereitung suchte ich in meiner Liste an Literaturgeocaches so lange, bis ich zwei Bücher gefunden hatte, die aktuell in der Hauptbücherei verfügbar waren.

Dieses Buch las ich gleich am nächsten Abend in einem Rutsch zu Ende. In einem Zug der transsibirischen Eisenbahn teilen sich eine namenlose junge Frau und ein namenloser Mann ein Zugabteil. Während der Mann immer wieder mehr oder weniger unangenehme Geschichten aus seinem Leben erzählt, erfährt die Leser:in über die junge Frau beinahe nichts. Nur schemenhafte Rückblenden geben Einblicke in ihr Leben in der Zeit vor der Abfahrt des Zuges.

Obwohl sich der Mann teilweise extremst ekelhaft verhält und die junge Frau auch belästigt, nutzen die beiden die Pausen des Zuges in den größeren Bahnhöfen für gemeinsame Ausflüge. Die junge Frau scheint nicht zu wissen, was sie mit sich allein anfangen soll. Sie lässt sich ziellos treiben, scheinbar ohne eigenen Willen. Bis zum Schluss erfährt die Leser:in nicht, warum sie sich eigentlich auf dieser Reise befindet, die im Buch im mongolischen Ulan-Bator endet (das eigentlich nicht auf der Strecke der transsibirischen Eisenbahn Eisenbahn liegt).

Der Schluss bietet eine Art Ausblick, aber keine Auflösung. Da es sich hier aber irgendwie um ein Road Movie im Zug handelt und die Beschreibungen der abgelegenen Gegenden sehr spannend sind, fühlte ich mich ausgezeichnet unterhalten.