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Roman

Colson Whitehead – The Underground Railroad

And destroy that what needs to be destroyed. To lift up the lesser races. If not lift up, subjugate. And if not subjugate, exterminate. Our destiny by divine prescription – the American imperative.

Dieser Roman gibt tiefe Einblicke in das Leben der Sklaven im Süden der USA im 17. und 18. Jahrhundert. Die Protagonistin Cora flieht von der Baumwollplantage, auf der sie geboren wurde und ihr gesamtes bisheriges Leben verbracht hat. Sie ergreift trotz großer Gefahr die Chance auf ein freies Leben. Ihr Weg ist lange und von vielen Rückschlägen und Demütigungen geprägt. Am Ende des Buches ist sie noch immer auf dem Weg.

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Der Leser lernt sowohl die Sicht der Sklaven kennen, die bereits auf der Plantage geboren wurden und kein freies Leben kennen, als auch die der Gegner der Sklaverei, die teilweise ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um Menschen die Freiheit zu ermöglichen und sie vor Misshandlung und Mord zu schützen.

Cora hat in einem ihrer Verstecke viel Zeit, sich mit Büchern auseinanderzusetzen und über die Ungerechtigkeit der Welt nachzudenken. Dem Autor ist es gelungen, ihre Weltsicht einzufangen, ohne ausschließlich zu moralisieren. Interessant ist auch die Perspektive des Sklavenjägers (siehe Zitat oben), die auch die Meinung vieler Sklavenhalter widerspiegelt. Teilweise schmerzt es fast, die Beschreibungen der damals weit verbreiteten Rassenlehre und damit der Vorstellung von mehr oder weniger wertigen Menschen zu lesen. Es ist auch erschreckend (und notwendig), sich bewusst zu machen, dass auch heute noch eine Klassengesellschaft existiert, in der manche Menschen als wertvoller erachtet werden als andere. Die Idee der Chancengleichheit für alle ist nach wie vor eine Illusion oder ein nobles Wunschbild.

Helfen kann hierbei nur der Gedanke, dass jede und jeder auch an einem anderen Ort, in einer anderen Kultur, unter anderen Umständen geboren werden hätte können. Wir haben uns unseren Platz im Leben nicht nur selbst erarbeitet, wir haben Startvoraussetzungen mitbekommen, die rein vom Zufall bestimmt sind. Für diese Startvoraussetzungen sollten wir dankbar sein und jene unterstützen, die mit weniger Vorteilen ins Leben gestartet sind. Gerade Menschen, die aus einem anderen Land zu uns kommen, die in einem Land geboren wurden, in dem Krieg herrscht und in dem sie kein gutes Leben führen können, sollten alle Chancen bekommen, die ihnen bisher versagt wurden. Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf ein gutes Leben. Jede und jeder.

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Roman

Estelle Laure – But then I came back

For all the bad days you could ever have, there will be other beautiful days. Don’t you want to stick around and see where the adventure leads?

Dieses Zitat stammt eigentlich nicht direkt aus dem Buch sondern aus dem am Ende angeschlossenen Interview mit der Autorin, in dem sie erklärt, warum sie sich überhaupt mit dem Thema Nahtoderfahrung auseinandersetzen wollte. Die Frage ist berechtigt, schließlich ist es sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen eine aufreibende und prägende Erfahrung. Wissenschaftlich ist dieser Bereich wenig erforscht, da es kaum Möglichkeiten gibt, eine solche Situation unter Laborbedingungen zu untersuchen. Es gibt wenig Erkenntnisse darüber, warum manche Menschen aus einem Koma wieder erwachen und andere nicht. Gerade die Erfahrungen von Menschen in so einer Situation lassen sich schwer dokumentieren, da sie in höchstem Maße subjektiv sind. Menschen, die aus einem Koma erwachen, sind oft beeinträchtigt, zumindest zu Beginn, auch wenn sie später vielleicht ihre Kräfte vollständig wiedererlangen.

Das Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Prozess des Zurückkommens. Damit meine ich jedoch nicht den Vorgang des Erwachens sondern den des Zurückfindens ins Leben. Die Protagonistin Eden hat nach einem Unfall einen Monat im Koma gelegen. Anschließend muss sie nicht nur Stück für Stück ihre körperlichen Kräfte zurück gewinnen, auch ihre Seele muss sich mit ihrer neuen Lebenssituation zurecht finden. Sie stellt ihr bisheriges Leben in Frage, fühlt sich ziellos und kämpft mit der essentiellen Frage, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Das Koma und das Wiedererwachen bildet für sie eine existentielle Zäsur in ihrem Leben. Doch gerade diese Zwangspause und die lange Zeit der Rekonvaleszenz danach geben ihr schließlich eine Klarheit, die sie ohne dieses Ereignis möglicherweise niemals oder erst viel später in ihrem Leben erreichen hätte können. Eine Hymne an das Leben.

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Roman

Leni Zumas – Red Clocks

All the doors have closed.

The ones, at least, she tried to open.

Die Autorin beschreibt in diesem Roman 4 Frauen, die sich auf die eine oder andere Weise mit dem Kinder wollen, bekommen, nicht bekommen wollen oder haben auseinandersetzen. Das Buch erzählt aus diesen unterschiedlichen Perspektiven und spart dabei auch nicht aus, wie sich die 4 Frauen gegenseitig betrachten und be- oder verurteilen.

Eine Single-Frau über 40, die sich verzweifelt ein Kind wünscht, aber erfährt, dass sie an einer Krankheit leidet, die es für sie nahezu unmöglich macht, ohne IVF ein Kind zu empfangen. Eine Frau, die zwei Kinder hat und unter der Last ihrer lieblosen Ehe zu zerbrechen droht. Schon allein diese Kombination bietet Konfliktpotential. Die Frau, die bereits Kinder hat, wünscht sich nichts sehnlicher als Zeit für sich selbst, Zeit, in der sie sich auf sich selbst konzentrieren kann. Das dringende Streben einer kinderlosen Frau, die genau diese Möglichkeit hat, erscheint ihr unsinnig, wenn nicht sogar falsch. Warum seine Freiheit aufgeben, um sein Leben der Kinderaufzucht zu widmen? Auch die Frage, ob ein Kind zwei Elternteile haben sollte, ob das Streben einer alleinstehenden Frau nach einem Kind überhaupt moralisch vertretbar ist, wird intensiv untersucht.

Ein junges Mädchen wird schwanger und kurz darauf von ihrem Freund verlassen. Ihren Eltern will sie nichts erzählen, das Kind möchte sie nicht bekommen. Sie zweifelt jedoch: sie selbst wurde als Baby zur Adoption freigegeben, ihre Eltern sind nicht ihre leiblichen Eltern. Soll sie das Kind bekommen? Wenn sie es nicht bekommt, verhindert sie damit das Glück einer anderen Familie? Die vierte Frau lebt als Einsiedlerin im Wald und wird von den Einheimischen als „Kräuterweiblein“ konsultiert. Das Mädchen wendet sich zuerst an sie mit der Bitte um eine Kräutermischung gegen die Schwangerschaft. Ohne jedoch zu wissen, dass zwischen den beiden eine besondere Verbindung besteht.

Die Autorin lässt alle ihre Figuren an ihren Schwierigkeiten wachsen und gibt Hoffnung, dass auch in scheinbar ausweglosen Situationen eine Lösung und ein Weiterleben möglich sind. Sie bewertet nicht und lässt alle diese Lebensentwürfe gleichberechtigt nebeneinander existieren. Frauen können Kinder bekommen oder nicht, sie können entscheiden, ob sie diese aufziehen wollen oder nicht. Sie beschreibt alle ihre Protagonistinnen als vollwertige Personen mit Stärken und Schwächen und der Kraft, Entscheidungen zu treffen. Und erschafft damit Vorbilder für unterschiedliche Lebenslagen.

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Roman

Katherine Dunn – Geek Love

Jeder Versuch, diese Geschichte in kürzere Worte zu fassen, als exakt die Worte, die das Buch lang ist, muss unweigerlich scheitern. Mehr Einleitung sollte es hier nicht brauchen.

Das Buch erzählt auf zwei Zeitebenen die Geschichte der Familie Binewski, die als [Zirkus|Karneval|Freak Show] durch die USA reist. Die Eltern Al und Lil – beide als Normalos geboren. Die Kinder – jedes auf seine eigene Art besonders, im Sinne von nicht der Norm entsprechend. Die Vorzeichen sind hier umgekehrt: Besonders zu sein bedeutet herausragend, Normalsterbliche werden bedauert, die Binewski-Kinder haben kaum Kontakt zu Menschen außerhalb ihrer kleinen Welt.

Daraus resultiert auch ein besonderes Moralverständnis. Die Binewski-Kinder wetteifern um die Gunst des Publikums und der Eltern. Sie haben nur einander und das Publikum. Arturo, der älteste Bruder – geboren ohne Arme und Beine und als Aqua Boy berühmt geworden – entwickelt sich Stück für Stück zum Diktator, der seine Geschwister tyrannisiert und seinen eigenen Kult gründet. Eine Religion für Menschen, die so sein wollen wie er. Also ohne Arme und Beine. Abhängig von der Hilfe anderer.

Eines der Elemente, das diesen Roman gleichzeitig so furchterregend und spannend macht, ist die Leichtigkeit, mit der schlimmste Körperverletzungen als normal beschrieben und nicht hinterfragt werden. Experimente an menschlichen Körpern gehören zum Alltag. Der Familienzusammenhalt steht über allem. Bis zu dem Tag, als das Maß voll ist und der jüngste Bruder explodiert …

Ein besonderes Buch, mehr kann ich nicht sagen. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich auf diese schräge Welt einlassen konnte. Es ist notwendig, aber gleichzeitig schwierig und schmerzhaft, die vermeintliche Normalität hinter sich zu lassen und die veränderten Gesetze einer anderen Gesellschaft zu akzeptieren. Normalität ist immer das, was der Einzelne kennt. Normalität ist das Gegenteil des Unbekannten.

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Roman

Rabih Alameddine – The Angel of History

And Satan said, “Forgetting is as integral to memory as death is to life.“

Dieser Post wird ausnahmsweise wieder ein paar Metainformationen enthalten und das nicht nur, weil ich darüber hinwegtäuschen will, dass ich mit diesem Buch nicht besonders viel anfangen konnte. Während des Lesens war ich irgendwie immer gespannt, welche Katastrophe im Leben des Protagonisten Jacob sich als Nächstes entfalten würde. Am Ende war mir die Auflösung aber dann zu einfach.

You can’t forget if you don’t remember, and you can’t remember without forgetting.

Satan und der Tod setzen sich auf einen Tee zusammen, um das Schicksal von Jacob zu besprechen, an dem sie beide aus irgendeinem Grund einen Narren gefressen haben. Der titelgebende Engel der Geschichte (oder eigentlich eher der Erinnerung) ist dabei der Teufel selbst, der Jacob wieder auf seinen (?) Weg zurückführen will. Im Verlauf dieser Gespräche wird nicht nur Jacobs schwierige Kindheit im Yemen und in Ägypten enthüllt sondern auch seine Schwierigkeiten, als erwachsener Mann in der amerikanischen Gay Community anzukommen und schließlich mit dem Tod seines Lebenspartners und 5 seiner engsten Freunde umzugehen. Obwohl das Schicksal von Jacob eigentlich zu Tränen rühren müsste, fühlte ich mich unbeteiligt. Vielleicht liegt es an dem gesellschaftlich verankerten Vorurteil, dass aus einem Mann mit Jacobs Vergangenheit gar nichts anderes werden kann als das, was er geworden ist. Kann ein Mensch über seine Vergangenheit hinauswachsen, darf ein Mensch seine Vergangenheit hinter sich lassen, ohne dabei sich selbst zu verlieren? Satan bringt es auf den Punkt: Es gibt einen Moment, an dem ein Mensch sich entscheiden muss, sich entweder anzupassen oder ausgestoßen zu werden.

Gelesen habe ich dieses Buch über das nicht mehr ganz neue Angebot der Overdrive eLibrary. Zumindest für mich neu war aber die neue Libby App, die am iOS-Gerät den Zugriff auf die Overdrive eLibrary erlaubt und die alte Overdrive App ersetzt. Das große Plus dabei: es ist kein Adobe Digital Editions Account mehr notwendig, das Buch kann ohne weitere DRM-Querelen direkt in der Libby App gelesen werden. Will man hingegen auf dem Desktop (nur am Mac getestet) das ePub herunterladen, wird weiterhin Adobe Digital Editions verlangt (siehe Screenshot). Warum ich die Verwendung dieses DRM-Systems so fragwürdig und für eine Bücherei unangebracht halte, habe ich in diesem Post beschrieben und gerade schockiert festgestellt, dass das bereits über 3 Jahre her ist.

Screenshot of a dialog box with the following text: Device Compatibility Notice: The Adobe Digital Editions is required for this format on your current device. Confirm. Cancel.Die Lese-Experience mit der Libby App ist nicht 100% optimal, am Ende des Buches hatte ich ein interessantes Phänomen, dass das Buch auf einmal etwa 20 Seiten mehr anzeigte als zuvor, diese waren jedoch alle leer. Das ist dann eher ärgerlich, nicht zu wissen, ob da vielleicht noch etwas stünde oder ob das Buch tatsächlich zu Ende ist. Nach einem Neustart und ein bißchen Durchklicken durch die Kapitel war dann plötzlich die vorherige Seitenzahl wieder hergestellt. Natürlich weiß ich nicht, ob es sich dabei um einen Einzelfall handelt, es könnte auch ein Fehler in diesem speziellen Buch sein.

Ein kleines Manko ist die nicht durchgängige Verwendung der Wish List im Web Interface und in der Libby App. In der App kann ich Bücher mit Tags versehen und mir so einen Stack an Büchern anlegen, die ich gerne lesen möchte, ich kann jedoch nicht auf die Wish List zugreifen, die ich im Web Interface angelegt habe, weil das Browsen der Titel dort deutlich schneller geht als in der iOS-App.

Noch eine großartige Innovation: die Software erlaubt nun, das eBook vorzeitig zurückzugeben. Da digitale Lizenzen aus rechtlichen Gründen nur von einer bestimmten Zahl an Personen zur gleichen Zeit geliehen werden können, ist dies natürlich von Vorteil, wenn ein Buch sehr gefragt ist. Dass es sich dabei nur um eine geringe Linderung handelt für ein an und für sich in Lizenzverhandlungen zu lösendes Problem, lassen wir hier mal außen vor.

Empfehlung an dieser Stelle für die Overdrive eLibrary, die mit ihrem Angebot an englischer Literatur zumindest für mich eine Lücke abdeckt und mit der neuen iOS-App das Lesen am Applegerät wieder möglich und benutzbar macht.

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English Roman

Stephen King – Under The Dome

Dieser monumentale Roman hat mich tatsächlich nicht so lange beschäftigt, wie ich ursprünglich befürchtet hatte. Das Wetter lädt dann doch eher zu langen Leseabenden im Bett ein und so absolvierte ich die zweite Hälfte dieses Wälzers an einigen Abenden innerhalb einer Woche.

Eine mysteriöse unsichtbare Barriere schneidet von einem Moment auf den anderen die Stadt Chesters Mill von ihrer Umgebung ab. Schon das Erscheinen des Domes sorgt für eine unüberschaubare Anzahl von Todesfällen. In den folgenden Tagen (die Gesamtzeit der Geschehnisse beschränkt sich auf weniger als eine Woche) spitzt sich die Situation in der Kleinstadt in rasendem Tempo zu. Ein Stadtverantwortlicher (hierzulande wohl mit einem Vizebürgermeister vergleichbar) entpuppt sich als Kopf eines Drogenkartells, der vor nichts zurückschreckt, um einerseits seine Machenschaften nicht auffliegen zu lassen und andererseits seine Macht über die Stadt nicht nur zu erhalten sondern auf diktatorische Ausmaße zu vergrößern. Dazu bedient er sich des manipulierbaren Polizeichefs und vergrößert die exekutiven Kräfte um wenig qualifizierte Jugendliche, die mit Gewalt und Einschüchterung die Stadtbewohner im Zaum halten sollen. Seine Gegner sind weniger zahlreich, aber sie verbünden sich und holen zum Gegenschlag aus. Das alles während sich die Versorgungssituation mit Lebensmitteln, Strom und anderen Gütern in der abgeschnittenen Stadt zunehmend verschlechtert.

Die Geschichte zeigt exexmplarisch, wie sich in einer vom Rechtsstaat abgeschnittenen Gesellschaft in kürzester Zeit diktatorische Prinzipien, der Ruf nach einem starken Mann und Lynchjustiz ausbreiten können. Mit dem Verweis auf die Notsituation wird die Aufhebung aller in der Verfassung garantierten Rechte und sogar der Menschenrechte legitimiert. Die geschilderte Situation ist natürlich extrem und unrealistisch, aber ein Katastrophenzustand kann in der Realität bereits durch einen lokal begrenzten Terroranschlag ausgelöst werden. Diese Mechanismen sind real, sie konnten in den vergangenen Jahrzehnten in mehreren Ländern beobachtet werden.

Das zentrale Element, das diesen Roman so schwer zu verdauen macht, ist die Ausweglosigkeit. Die unter dem Dome Eingeschlossenen haben keine Möglichkeit, die Situation zu verlassen. Sie müssen irgendwie mit der Situation klar kommen, so schlimm sie auch noch werden sollte, es gibt für sie buchstäblich keinen Ausweg. Diese Ausweglosigkeit, auch Hilflosigkeit, hat mich im ersten Drittel nach einer furchtbaren Szene das Buch für mehrere Tage weglegen lassen.

Kürzlich habe ich diesen Lithub-Artikel gelesen, in dem sich ein Autor mit den unterschiedlichen Niveauvorstellungen von Genreliteratur und „ernsthafter“ Literatur befasst. Er beschreibt seinen Versuch, sich vom Unterhaltungselement der Genreliteratur zu befreien und endet mit einem Plädoyer für Bücher, die die Leserin gleichzeitig unterhalten, aber ihr auch etwas zum Mitnehmen anbieten. Für mich ist Under The Dome ein hervorragendes Beispiel für solche Literatur. Allein schon die Umsetzung der Geschichte als TV-Serie zeigt deutlich, dass es sich um Unterhaltung handelt. Gleichzeitig macht sie aber auch den Leser aufmerksam, sie lädt ein, gesellschaftliche Veränderungen zu hinterfragen und Entwicklungen in Richtung eines Polizeistaats zu erkennen und diesen zu widersprechen. Die Geschichte zeigt auch einige Fehler auf, die man als Einzelner dabei machen kann: sich selbst überschätzen, Entscheidungen und Handlungen übereilen, sich allein dem Negativen stellen wollen. Erst in dem Moment, in dem sich „die Guten“ zusammenschließen und gemeinsam „dem Bösen“ entgegentreten, zeichnet sich eine mögliche Wende ab. Auch ein deutliches Plädoyer gegen den privaten Waffenbesitz lässt sich herauslesen. Alles in allem also Unterhaltung auf hohem Niveau und gleichzeitig ein gesellschaftspolitisches Statement.

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Roman

Thomas Glavinic – Das bin doch ich

„Mein Gott, mit dir ist ja nicht zu reden! Bist du denn überhaupt nicht neurotisch?“ – „Nicht, dass ich wüsste.“

Dieser Roman (gut, dass es groß auf dem Titel steht …) spielt in erster Linie mit der Frage, ob sich der Autor tatsächlich selbst beschreibt. Das Buch ist aus der Ich-Perspektive erzählt, der Protagonist ist ein durchschnittlich erfolgreicher Autor namens Thomas Glavinic, der dem Erscheinen seines nächsten Buches entgegenfiebert. Er beneidet seinen Freund Daniel Kehlmann, dessen Buch sich zum Bestseller entwickelt hat, versinkt regelmäßig in Selbstzweifeln und vermutet in jedem Zwicken einer Körperstelle eine Krankheit. Diese Alltagschwierigkeiten und seine anderen Verhaltensauffälligkeiten ertränkt er in unüberschaubaren Mengen Alkohol. Für manchen Leser mag die Auflistung von bekannten Namen und die Beschreibung von Lesungen, Buchparties und anderen Festlichkeiten schon aufwiegen, dass sich die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der unterschiedlichen Episoden nicht beantworten lässt. Für mich war das inhaltlich und stilistisch etwas zu wenig.

Ich denke über das Buch nach, dass ich am Nachmittag gelesen habe. Wie so oft, wenn ich getrunken habe, beginne ich allerhand selbstquälerische und von Selbstmitleid nicht gänzlich freie Fragen aufzuwerfen: Mache ich möglicherweise den gleichen Fehler wie so viele andere Schriftsteller, überschätze ich mich? Bin ich in Wahrheit ein durchschnittlich begabter, leichtgewichtiger Autor, der nie imstande sein wird, ein Meisterwerk zu schreiben, ebenso wie er nie imstande sein wird zu erkennen, was in Wahrheit sein Niveau ist? Das Talent, das ich angeblich habe – ein Irrtum?

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Roman Science Fiction

Vernor Vinge – Das Ende des Regenbogens

Die Empfehlung für dieses Buch stammt aus einem Artikel, der sich mit dem Erfolg von Pokémon Go und den dabei relevanten Faktoren zwischen Spiel und Realität auseinandersetzt. Aus dieser Quelle habe ich bereits Cory Doctorows For the Win gelesen.

In Das Ende des Regenbogens entwirft der Autor eine veränderte Welt im Jahr 2025. Die Medizin hat immense Fortschritte gemacht, viele bislang als unheilbar geltende Krankheiten können nun therapiert werden. Zumindest bei den Menschen, die auf die jeweilige Therapie ansprechen. Die Interaktion zwischen den Menschen und Institutionen ist aber trotz der vielen technologischen Entwicklungen kaum verändert. Kurznachrichten können nun direkt „telepathisch“ verschickt werden und werden von den intelligenten Kontaktlinsen den Empfängern direkt im Blickfeld angezeigt. Interessant ist auch die Beschreibung des Verkehrskonzepts: Niemand besitzt ein eigenes Auto, auf den Straßen fahren Autos herum, die bei Bedarf gerufen werden können und den Nutzer ohne dessen Mitwirkung an seinen Bestimmungsort bringen.

Der Autor konzentriert sich sehr auf die Perspektive der „Technologieverlierer“. Der Protagonist Robert Gu kann nach etwa 20 Jahren Demenz von Alzheimer geheilt werden, die Therapie verjüngt auch seinen Körper und gibt ihm das Aussehen eines Teenagers. Was Robert Gu allerdings verloren hat, ist seine Fähigkeit, Poesie zu erschaffen, und dieser Fähigkeit trauert er dermaßen nach, dass er beinahe alles tun würde, um sie wieder zu erlangen. Seine Ex-Frau Lena gehört zu den Verlierern der modernen Medizin. Sie sitzt von Osteoporose gebeugt im Rollstuhl, hat sich jedoch den modernen technologischen Möglichkeiten angepasst und nimmt per Wearable am Geschehen teil. Auch junge Menschen kommen nicht vollständig mit den modernen Technologien klar, obwohl sie damit aufwachsen. Je nach Begabung gibt es auch unter ihnen Technologieverlierer, die die höheren Ebenen der Technik nicht zu meistern imstande sind.

Besonders gut gefallen hat mir, dass in dieser Utopie oder Dystopie (nach meiner Meinung ist das hier und in vielen anderen Zukunftsromanen nicht ganz klar) alle Protagonisten keinen Überblick über die Lage haben. Jeder sieht nur seinen eigenen Ausschnitt der Welt, und versucht, sich darauf einen Reim zu machen. Selbst der teilweise allmächtig erscheinende Rabbit – eine Figur, die immer nur als virtuelle Präsenz in der Gestalt eines Kaninchens auftritt –, stellt schließlich fest, dass er nicht alle seine Marionetten steuern kann, denn jeder von ihnen hat seine eigene Agenda.

Der Einstieg gestaltet sich wie so oft bei zukünftigen Welten etwas schwierig, aber nach den ersten 100 Seiten hat sich auch der Leser in der modernen Welt zurecht gefunden. Das Buch stammt aus dem Jahr 2007, viele der vom Autor damals visualisierten technologischen Entwicklungen haben inzwischen deutliche Fortschritte erreicht. Er beschreibt unter anderem eine große Demonstration, in der zwei verfeindete Lager in einer virtuellen Überlagerung gegeneinander um die Herrschaft über die Zukunft einer Bibliothek (und das Überleben der echten Bücher!) kämpfen. Der Kampf findet rein virtuell statt, vergleichbar mit einer World of Warcraft-Schlacht, ohne Netzwerkausfälle müsste dabei niemand zu Schaden kommen. Gleichzeitig ist jedoch der amerikanische Geheimdienst mit seiner Masse an Analysten bereit, jederzeit eine Nuklearwaffe auf die Demonstranten zu richten, sollte die Lage außer Kontrolle geraten.

Zum Abschluss noch ein motivierendes Zitat, das in jeder Zeit und Lebenslage gelten kann:

Es gibt immer einen Weg. Ihr, jeder Einzelne von euch, habt irgendwelche besonderen Joker. Nutzt sie. Findet heraus, was euch von den anderen unterscheidet und euch besser macht. Sobald ihr das tut, könnt ihr anderen helfen, und andere werden bereit sein, im Gegenzug euch zu helfen. Kurz gesagt, künstliche Glücksfälle entstehen nicht einfach. Verdammt, ihr müsst sie erschaffen.

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Krimi Roman

Volker Kutscher – Märzgefallene

„Mein Gott, Charly! Du kannst doch nicht den ganzen Tag Trübsal blasen, nur weil jetzt die Nazis regieren. Das ist doch nur Politik! Das Leben geht weiter!“

Schon am Beginn von Volker Kutschers Krimireihe im Berlin der 1920er Jahre hatte ich erwartet, dass es mit der Machtübernahme der Nazionalsozialisten richtig interessant werden würde. Gerade jetzt ist es auch wichtig, diesen Roman zu lesen und zu empfehlen. Er zeigt nämlich sehr deutlich auf, was sich viele Menschen heutzutage nicht mehr vorstellen oder erklären können: wie hat es dazu kommen können, dass die Nationalsozialisten mit all ihrer Grausamkeit so schnell an so viel Macht kamen und kaum jemand etwas dagegen unternommen hat?

Am Beginn dieses Romans ist Hitler bereits Reichskanzler, es steht jedoch eine Wahl bevor, von der viele erwarten, dass die Nationalsozialisten dabei deutliche Verluste hinnehmen werden müssen. Der Wahlkampf wird jedoch von systematischen Erpressungs- und Einschüchterungsmaßnahmen der SA begleitet. Widerstand wird mundtot gemacht, es breitet sich eine Stimmung aus, in dem Arbeitskollegen nicht mehr über ihre politische Einstellung sprechen, weil sie Angst haben, der Kollege könnte ein Anhänger des Nationalsozialismus sein. Diese Anfänge lassen sich aktuell in Österreich beobachten. Es ist kein Zufall, wenn Innenminister Herbert Kickl in vollem Bewusstsein über die brisante Wortwahl davon spricht, Asylbewerber „konzentriert“ unterbringen zu wollen. Damit provoziert er systematisch Widerspruch und gewinnt somit einen guten Überblick über seine Gegner. Dies können er und seine Partei nun weiter nutzen, um die unliebsamen Gegenstimmen gezielt zu bekämpfen.

Die besondere Leistung in diesem Roman ist, dass es dem Autor gelingt, die unterschiedlichen Standpunkte und Reaktionen der betroffenen Personen darzulegen. Sein Kommissar Rath hat als (zumindest auf dem Papier katholischer) Kriminalpolizist nichts zu befürchten und will sich seinen Alltag nicht von Politik verderben lassen. Er gehört zu jenen, die davon überzeugt sind, dass diese Situation vorbeigehen wird und es sich nicht lohnt, sich überhaupt darüber aufzuregen. Diese Einstellung muss er jedoch bis zum Ende des Romans zumindest stückweise revidieren. Seine Verlobte Charly hingegen ist von der NSDAP, deren Politikern und Maßnahmen von Beginn an angewidert. In ihrer Abteilung wird sie damit beauftragt, jugendliche Banden zu verhören, um angebliche Kommunisten zu entlarven. Die Hitler-Verehrung ihrer Kollegin und Vorgesetzten kann Charly nicht verstehen. Sie entscheidet sich schließlich für den Ausstieg aus dem Polizeidienst, da sie für einen Staat in diesem Zustand nicht mehr arbeiten will.

Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. Weil der Staat, für den sie arbeitete, sich nach und nach in ein missgestaltetes Ungeheuer verwandelt hatte, das nur noch in wenigen Äußerlichkeiten an die deutsche Republik erinnerte, entstellt wie die vielen Kriegsversehrten, die auf Berlins Straßen bettelten.

Der tatsächliche Kriminalfall gerät unter dem Druck der politischen Veränderung in den Hintergrund. Dabei spart der Autor auch diesmal nicht mit Leichen und auch nicht mit Mördern, ohne zu spoilern kann ich nur verraten, dass die Spannung bis zum letzten Moment aufrechterhalten bleibt.

Mitnehmen lässt sich der Rat, nicht die Augen zu verschließen, wenn sich politische Veränderungen ankündigen. Es ist wichtig, dass jeder Einzelne die Augen offen hält, mit seinen Mitmenschen spricht (und damit meine ich persönlich und nicht im Internet) und menschlich fragwürdige Haltungen auch zur Diskussion stellt. Eine menschenwürdige Politik ist das Mindeste, was wir von unserer Regierung einfordern sollten.

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Roman

Ashley Shelby – South Pole Station

Who needed a mirror when the only thing reflected was loss after loss?

Die Protagonistin Cooper kämpft mit dem Selbstmord ihres Bruders und ihrem Leben allgemein. Sie bewirbt sich für ein Kunststipendium für einen Aufenthalt auf der Wissenschaftsstation am Südpol. Dort findet sie ein interessantes Soziotop aus Ingenieuren, Wissenschaftlern und anderen Künstlern vor. Es entspinnt sich eine Entwicklung auf unterschiedlichen Ebenen, in Rückblenden werden auch die Geschichten erzählt, die andere Bewohner auf die Forschungsstation gebracht haben. Darin enthüllen sich die verschiedenen Motive, die Menschen haben können, um sich für ein Leben in einer derart unwirtlichen Umgebung zu entscheiden.

Der Roman ist deshalb so spannend, weil es der Autorin gelungen ist, nicht nur auf die emotionalen Entwicklungen zu fokussieren, sondern auch zu erklären, warum viele gesellschaftliche Prozesse so funktionieren, wie sie es tun. Ein Klimawandel-Skeptiker kommt ebenfalls auf die Forschungsstation und wird von allen „ernsthaften“ Wissenschaftlern gemobbt. In seiner Vorgeschichte werden dann auch die politischen Hintergründe aufgedeckt, die ihn zu dem gemacht haben, was er geworden ist: ein Wissenschaftler, der sich kaufen lässt, weil ihm keine andere Wahl mehr geblieben ist.

Die Autorin erklärt auch viele Bezüge, die nicht auf der Hand liegen, ohne dabei überheblich zu wirken. Ein Wissenschaftler beschreibt Kunst als einfach: man müsse nur ein Subjekt präsentieren und dann ein Statement dazu machen. Viele selbst ernannte Künstler handhaben das vermutlich tatsächlich so und die Frage bleibt offen, woran sich dann „echte“ Kunst überhaupt noch erkennen lässt. Sie untersucht aber auch die Motive eines weiteren Forschers, der sich auf eine Theorie konzentriert, die von seinen Kollegen angezweifelt wird, jedoch auf wissenschaftliche Art und nicht auf der persönlichen Ebene, auf der dem Klimawandelskeptiker begegnet wird. Hier lässt sich auch der Unterschied zwischen Glauben und Wissen analysieren. So lange eine wissenschaftliche Theorie unbewiesen ist (also entweder bewiesen oder widerlegt), stellt sie kein Wissen dar. Kann sie deshalb wie eine religiöse Glaubensfrage behandelt werden?

„I don’t believe it“, he said. „That’s not how science works. But I find it compelling enough to devote my life to it.

Nachtrag: Eine aktuelle Podcast-Folge zum Thema Klimawandel hat Tim Pritlove beim Forschergeist veröffentlicht.