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Roman

Selja Ahava – Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

CN dieses Buch: Andeutung sexueller Handlungen, Demenz, Sterben, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Demenz


Jemand schlich ihr hinterher, leise und unabweislich, und aß Stücke ihres Gedächtnisses auf. Wo Stücke fehlten, wurden Steine hineingestopft, und dann wurden die Löcher zugenäht. Darum kollerte und klapperte es in ihr, sie fühlte sich ausgehöhlt.

Dieses Buch habe ich in der Reihe finnische Literatur-Geocaches gefunden. Interessant ist bei diesen Büchern immer, dass ich vorher absolut keine Ahnung habe, was mich eigentlich erwartet. Bisher (Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen, Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer) war es immer interessant und auch irgendwie besonders.

Das zeichnet auch dieses Buch aus. Da ich die ersten drei Antworten für den Literatur-Geocache gleich mal überlesen habe (bei diesen Literatur-Geocaches passiert mir das häufiger, weil die Formulierungen so gewählt sind, dass sich nicht einfach nach den Antworten suchen lässt), durfte ich auch den Beginn zum Abschluss nochmal lesen, was einige Klarheit in die Geschichte gebracht hat.

Protagonistin Anna erzählt aus ihrem Leben, vom Leben mit ihrem Mann Antti auf der Insel, vom Leben nach seinem unerwarteten Unfalltod, von der Einsamkeit und Trauer, von der Demenz, die schließlich Stück für Stück ihr Gedächtnis und ihre Erinnerungen auffrisst. Die Demenz wird nicht nur aus der Perspektive der betroffenen Person erzählt, sie wird auch in der Sprunghaftigkeit der Episoden, dem Wechsel zwischen Erinnerung und (scheinbarer) Gegenwart verdeutlicht. Was zu Beginn des Buches verwirrend wirkt, löst sich gegen Ende auf: gerade diese Verwirrung ist es, die in der Struktur des Textes zum Ausdruck kommen soll. Somit lässt die Autorin die Leser:in selbst erleben, wie sich die Verwirrung und der Verlust des eigenen Lebens anfühlen können.

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English Roman

Liane Moriarty – The Last Anniversary

CN dieses Buch: post-partale Depression, sexuelle Handlungen, suizidale Gedanken, Vergewaltigung
CN dieser Post: –


Every day is a gift, Jake. Of course sometimes it’s a really horrible gift that you don’t want.

Liane Moriarty schreibt immer schöne Familiengeschichten. Bei dieser ist mir allerdings unangenehm aufgefallen, wie sehr sie auf Beziehungsstereotypen beruht. Viele Probleme in diesem Buch hätten sich erst gar nicht ergeben, wenn Monogamie nicht der Beziehungsstandard wäre. Nichtsdestotrotz ist die spät enthüllte Familiengeschichte eine Freude, die Charaktere sind fein gezeichnet und zwischen den Zeilen fehlen auch die Hinweise auf soziale oder mentale Probleme (hier im Vordergrund: post-partale Depression) nicht. Alles in allem also ein unterhaltsamer Roman mit Basis.

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English Roman

Yoko Ogawa – The Memory Police

CN dieses Buch: Missbrauch, Vergewaltigung
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And even if a memory disappears completely, the heart retains something. A slight tremor or pain, some bit of joy, a tear.

Die namenlose Protagonistin lebt auf einer Insel, auf der das Verschwinden von alltäglichen Dingen von einem auf den anderen Tag zur Gewohnheit gehört. Wenn ein Gegenstand verschwindet, müssen alle seine Instanzen vernichtet werden. Als beispielsweise die Kalender verschwinden, verbrennen die Bewohner:innen im Garten alle ihre Kalender. Die Bevölkerung verliert dann auch umgehend ihre Erinnerung an diesen Gegenstand. Außer diejenigen, die immun gegen das Vergessen sind … diese Menschen werden dann wiederum von der titelgebenden Memory Police abgeholt. Was mit ihnen passiert, wird niemals klar …

You have to stop worrying about things like that. The disappearances are beyond our control. They have nothing to do with us.

Was zuerst wie eine sehr seltsame Dystopie wirkt, bekommt schnell das Gefühl eines totalitären Regimes. Wer für das Verschwinden der Dinge und Erinnerungen verantwortlich ist, ist unklar. Die Memory Police ist jedoch eine eindeutig inquisitorisch wirkende Behörde, gegen die jeder Widerstand zwecklos ist. Im obigen Zitat wird das sehr verdeutlicht. Die Bevölkerung kann sich einreden, machtlos zu sein: „Du kannst daran nichts ändern. Wir haben über das Verschwinden der Dinge keine Kontrolle. Was hier passiert, hat nichts mit uns zu tun.“ Und natürlich hat es immer mit allem zu tun …

A great mountain of books was already burning, sending sparks high into the night sky.

Als schließlich die Romane verschwinden, verliert die Protagonistin nicht nur ihren Beruf, sondern mit dem Verschwinden der Geschichten auch einen wesentlichen Teil ihres Selbst. Die Beschreibung der brennenden Bücherberge erinnert beunruhigend an die Bücherverbrennung 1933 in Deutschland oder die literarische Umsetzung in Fahrenheit 451. Erinnert fühlte ich mich außerdem an eine ähnlich dystopische Geschichte: Emmi Itäranta – Der Geschmack von Wasser.

Die Protagonistin schreibt jedoch heimlich weiter an ihrem Roman. In dieser Geschichte zeichnet sich parallel weiter das Verschwinden ab. Im Roman verliert die Hauptfigur Stück für Stück ihre Sinne. Sie wird eingesperrt von einem Menschen, der früher mal ihr Partner war und durch den Verlust ihrer Sinne verliert sie sich immer mehr selbst. Hier zeichnet sich der Prozess des Verschwindens auf einer anderen Ebene ab.

Unsere Erinnerungen machen uns zu dem, was wir sind. Sind wir noch wir selbst, wenn wir unsere Erinnerungen Stück für Stück verlieren? Was bleibt von uns, wenn uns immer mehr weg genommen wird?

It’s the challenges we face, that make us who we are.

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Erfahrungsbericht Memoir

Torre DeRoche – Love with a Chance of Drowning

CN dieses Buch: –
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You’ll never feel a hundred percent ready. You just have to go.

Wenn mich jetzt mal wieder die Reiselust packt, dann greife ich meistens zu einem der vielen Reisebücher, die ich auf meiner Liste gesammelt habe. In diesem Buch beschreibt die Autorin, wie sie ihren Partner Ivan kennenlernt, der gerade eine ausgedehnte Segeltour im Südpazifik vorbereitet. Obwohl sie mit dem Segeln bisher keine Berührung hatte und auch die Seekrankheit sie sehr plagt, entschließt sie sich schließlich zum Sprung ins kalte Wasser: Sie wird Ivan auf seinem Trip begleiten.

I did it! It seems so hard to believe. All of the pain, discomfort, and torture it took to get here is beginning to face. I faced my greatest fears and I’m still alive. The buzz of this accomplishment brings on a deeply satisfied joy that I’ve never felt before. Even if I never go to sea again, I can keep this sense of empowerment for life.

In vieler Hinsicht geht es immer wieder um die Frage, welche Risiken wollen wir im Leben eingehen. Wie gut können oder müssen wir uns vorbereiten? Und wann ist es Zeit, endlich los zu segeln und darauf zu vertrauen, dass sich für alle auftretenden Probleme immer eine Lösung finden wird?

“You’re here for a good time, not for a long time.” I’ve tried to remind myself of this more than once out on the ocean.

Das obige Zitat kann in meinen Augen sowohl ein Argument für eine solche Reise sein als auch dagegen. Wenn ich auf See die ganze Zeit seekrank bin, ist das wohl kaum eine gute Zeit … Da stellt sich dann wieder die Frage, ob die guten Momente – diese Highlights des Ankommens an einem traumhaften Strand – die Strapazen aufwiegen, die notwendig waren, um dorthin zu kommen. Monatelange Abwesenheit von Freund*innen und Familie geht einher mit der ersehnten Abgeschiedenheit von den Katastrophen der Gesellschaft. Abwesenheit von der Zivilisation bedeutet auch Einschränkungen in der Ernährung (mangels Kühlmöglichkeit auf dem Boot können die beiden frisches Obst und Gemüse immer nur vor Anker konsumieren, wenn es überhaupt zu bekommen ist).

Ich frage mich immer wieder, welche Arten von Reisen ich wohl noch machen werde, wenn das die Situation wieder erlaubt. Ein Segeltrip durch den Südpazifik wird eher nicht dabei sein.

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Roman

T. C. Boyle – San Miguel

CN dieses Buch: Krieg, Vergewaltigung, sexuelle Handlungen, Suizid
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Irgendwie bin ich in diese Geschichte, die sich hauptsächlich um den Schauplatz – die Insel San Miguel vor der Küste von Kalifornien – dreht, nicht so recht reingekommen. Erzählt wird aus der Sicht von drei Frauen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf der Insel leben. Irritiert hat mich einerseits die Nähe der ersten beiden Frauen und dann der große Sprung eine Generation weiter.

Vielleicht ist es aber auch das Gefühl der Einsamkeit, das uns im Alltag aktuell so viel beschäftigt, dass ich mich damit nicht auch noch in der Lektüre auseinandersetzen wollte. Mir blieben die handelnden Protagonist*innen seltsam fremd. Ein Nähegefühl war nicht wahrnehmbar. Die Gefahr des einsamen Lebens auf einer Insel ohne Kontaktmöglichkeit und Unterstützung eines Systems blieb auf Distanz.

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Erfahrungsbericht Essays

Alain de Botton – The Art of Travel

Die einzige Auslandsreise dieses Sommers führte mich nach Berlin (im Nachtzug in einem Einzelabteil, um das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten). Das Mittagessen des letzten Tages nutzten wir für einen Spaziergang zu einem meiner liebsten Buchgeschäfte: Shakespeare & Sons. Neben den ausgezeichneten Bagels finde ich dort immer wieder Bücher, die ich entweder extra bestellen müsste (zB Tiny Beautiful Things oder Are You My Mother?) oder die sonst überhaupt nicht meinen Weg kreuzen würden, wie zum Beispiel dieses Werk. Spannende Essay Collections bilden überhaupt einen Schwerpunkt ihres Programms, The Lonely City habe ich ebenfalls dort gekauft. Die Verbindung passt, denn in The Lonely City wird ein Gemälde von Edward Hopper ausführlich analysiert und Edward Hopper spielt auch in Alain de Bottons Reisebetrachtungen eine Rolle.

It is perhaps sad books that best console us when we are sad, and to lonely service stations that we should drive when there is no one for us to hold or love.

Viele von Edward Hoppers Gemälden zeigen einsame Menschen an einsamen Orten. Viele haben auch einen Reisebezug. Der Autor analysiert die Hintergründe einiger Bilder, wie etwa Automat (1927). Eine Frau sitzt an einem Kaffeetisch in einem scheinbar leeren Lokal vor einem großen Glasfenster, draußen ist es sichtbar dunkel. Ihre Kleidung lässt annehmen, dass es außerdem kalt ist. Sie wirkt isoliert an einem öffentlichen Ort. Ein ähnlicher Effekt lässt sich auch in Compartment C, Car 293 (1938) beobachten. Die Reisende sitzt allein in ihrem Zugabteil. Obwohl draußen noch Landschaft in der Dämmerung zu erahnen ist, scheint sie jedoch in ihre Lektüre versunken zu sein und damit gleichwohl isoliert und distanziert in diesem an sich öffentlichen Zugabteil.

The present might be compared to a long-winded film from which memory and anticipation select photographic highlights. […] My layers of experience settled into a compact and well-defined narrative: I became a man who had flown from London and checked into this hotel.

Die Reise beginnt bereits in der Vorbereitung, in der Antizipation, in der Erwartung der Erlebnisse, zu denen die Reise uns führen soll. Im obigen Zitat beschreibt der Autor, dass sowohl die Erwartungen als auch die Erinnerungen an eine Reise jeweils nur einzelne Momentaufnahmen beinhalten, während die Gegenwart, das tatsächliche Erleben, einen Fluss darstellt. Der Fluss beinhaltet nicht nur Highlights, sondern eben auch die alltäglichen Momente, das Banale, das uns an unseren Urlaubsort begleitet.

Curiosity might be pictured as being made up of chains of small questions extending outwards, sometimes over huge distances, from a central hub composed of a few blunt, large questions. […] The blunt large questions become connected to smaller, apparently esoteric ones.

Ein Kapitel befasst sich mit den unterschiedlichen Gründen für Reisen. Alexander von Humboldt verreiste, um jede kleinste Pflanze zu katalogisieren, sein Interesse, seine Neugier kannten kaum Grenzen. Heutige Touristen lassen sich oft von Bussen zu den bekannten Sehenswürdigkeiten bringen, ohne den Ort, den sie besuchen, tatsächlich zu sehen. Wenn ich mir nur die Sehenswürdigkeiten ansehen wollte, dann könnte ich das bequem von zuhause aus tun. Viele Fotos im Internet werden besser sein, als ich sie selbst jemals machen könnte. Wir verreisen aber nicht nur der Sehenswürdigkeiten wegen, sondern wegen des Gefühls. Wir hoffen, uns an einem anderen Ort als anderer Mensch zu fühlen, unsere alltäglichen Sorgen zumindest für den Zeitraum des Aufenthalts hinter uns lassen zu können und uns mit anderen – scheinbar wichtigeren – Fragen auseinanderzusetzen.

And yet De Maistre’s work springs from a profound and suggestive insight: that the pleasure we derive from journeys is perhaps dependent more on the mindset with which we travel than on the destination we travel to.

Im letzten Kapitel stellt der Autor schließlich die Frage, wie wir an unsere gewohnte Umgebung mit den Augen einer Reisenden herantreten können. Gerade jetzt, wo das Reisen so schwierig bis unmöglich geworden ist, könnten wir massiv davon profitieren, wenn es uns gelänge, unsere gewohnte Umgebung mit neuen Augen zu betrachten. Schon im Frühjahr habe ich mich beim Spazierengehen in der Heimatstadt gelangweilt, immer wieder dieselben Wege, immer wieder dieselben Ärgernisse (zB die unübersichtliche Bahnunterführung, die den kürzesten Weg in die Au darstellt). Weitere Wochen später habe ich angefangen, die Häuser auf den gewohnten Wegen ausführlicher zu betrachten und habe Unmengen an interessanten Fenstern gefunden. Dieser Blick ins Detail ist vielleicht sogar nur in einer bekannten Umgebung möglich, weil eine unvertraute Umgebung von den Details ablenkt.

Wie schon Tuk-Tuk to the Road, so habe ich auch dieses Buch hergenommen, um mir das eigene Leid an all den nicht gemachten Reisen dieses Jahr etwas zu lindern. Und trotzdem starre ich manchmal immer noch sehnsüchtig die Karte an der Wand an und träume davon, in einen Zug zu springen und an irgendeine Küste zu fahren. Irgendwann in der Zukunft wird sicher auch das wieder möglich sein. Und bis dahin müssen wir das Beste herausholen aus unserer Gegenwart im Fluss, an die wir später auch nur noch Momentaufnahmen als Erinnerung haben werden.

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Roman

Madeline Miller – Circe

Rage and grief, thwarted desire, lust, self-pity: these are emotions gods know well. Buit guilt and shame, remorse, ambivalence, those are foreign countries to our kind, which must be learned stone by stone.

Eine wunderschöne Geschichte, gewoben aus dem Stoff der griechischen Götter- und Heldensagen. Viel gelobt und auf allen Bestsellerlisten des letzten Jahres und zuletzt wieder mal in einem Podcast empfohlen (eigentlich im Rahmen einer Werbeeinschaltung für einen bekannten Hörbuchhändler).

Die Leserin erlebt Circe, die Zauberin der griechischen Mythologie, von ihrem Vater Helios dazu verbannt, allein auf einer Insel zu leben. Aufgewachsen ist sie im Palast ihres Vaters zwischen Göttern und Halbgöttern, ihr wahres Selbst entdeckt sie jedoch im Laufe der Jahrhunderte auf ihrer Insel. Die Einsamkeit prägt ihr Weltbild und entfernt sie schließlich immer mehr von ihrer göttlichen Herkunft, den grausamen Launen der Götter, die mit den Sterblichen spielen, um sich die Zeit zu vertreiben.

I stared into the horizon until my eyes blurred, hoping for some fishermen, some cargo, even a shipwreck. There was nothing.

Bei vielen besonders guten Romanen fällt es mir schwer, zu beschreiben, warum sie eigentlich so gut sind. Circe macht eine Entwicklung durch, sie zweifelt an sich selbst und wächst über sich hinaus. Besonders eindringlich beschreibt die Autorin die Freuden und Sorgen der Mutterschaft. Das Ende habe ich so nicht kommen sehen und es ist perfekt. Das ist etwas, was nur in sehr wenigen Romanen gelingt.

He does not mean that it does not hurt. He does not mean that we are not frightened. Only that: we are here. This is what it means to swim the tide, to walk the earth and feel it touch your feet. This is what it means to be alive.

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English Roman

Rory Powers – Wilder Girls

Sometimes if I close my eye, I forget what’s changed. And Raxter isn’t a rush of gunpowder and hunger anymore. It’s boredom, an idleness burrowing deep.

Während einer globalen Pandemie ein Buch zu lesen, in dem eine Gruppe von Mädchen und Frauen wegen einer mysteriösen Krankheit auf einer Insel in Quarantäne um ihr Leben kämpft, mag bei manchen ein eher ungutes Gefühl auslösen. Für mich kam dieses Gefühl aber eigentlich erst am Ende des Buchs, wozu ich leider nicht mehr schreiben kann, ohne den Spaß am Lesen zu verderben.

Die Krankheit verläuft in Schüben und lässt die Mädchen mit körperlichen Veränderungen (ein zugeschwollenes Auge, eine zweite Wirbelsäule, Hautveränderungen) zurück. Auch Tiere und Pflanzen sind betroffen, eine „Wildheit“ scheint von allem Infizierten Besitz zu ergreifen.

Die Mädchen klammern sich an ihre Erinnerungen, an die wenigen Momente, in denen sie (nie genug) zu essen haben und die Gemeinschaft, die sie trotz aller Entbehrungen zusammenhält. Schon als Hetty zum ersten Mal auf die Suche nach Byatt geht, frage ich mich, was sie denn wohl tun wollen, wenn Hetty Byatt findet. Eine Flucht von der Insel erscheint aussichtslos, ein Überleben außerhalb der vor den Tieren schützenden Mauern der Schule ebenso. Die Autorin lässt ihre drei Protagonistinnen Fehler machen, aber auch auf unterschiedliche Art über sich hinaus wachsen.

Die Geschichte endet mit der quälenden Unsicherheit der Zukunft, die wir alle in den letzten Monaten schmerzlich kennengelernt haben.

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English Fantasy Jugend Roman

Ransom Riggs – Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children

An einem dieser Abende, die wir während Corona gemeinsam online im Mumble verbrachten, wurde viel über Filme und Bücher gesprochen. Ich ließ mir erklären, was das weinende Baby am Ende von Harry Potter darstellen soll (eigentlich eh naheliegend, aber irgendwie war ich von selbst nicht drauf gekommen). In diesem Gespräch wurde mir von einer lieben Freundin dann als Folgelektüre Ransom Riggs empfohlen.

Der Beginn schleppt sich etwas dahin, obwohl im Nachhinein betrachtet die langwierige Einleitung vermutlich nötig ist, um die Entscheidungen zu rechtfertigen, die Protagonist Jacob später treffen wird. Schwierigkeiten hatte ich irgendwie auch mit dem Wechsel zwischen den beiden Zeiten/Welten, im Allgemeinen ist es mir bei Fantasy-Romanen lieber, wenn sie von Anfang an in einer Welt spielen, die mit der realen Welt nichts zu tun hat (wie zum Beispiel in Tolkiens Mittelerde).

Als sich in der zweiten Hälfte dann die Hinweise, die Jacob von seinem Großvater erhalten hat und mit denen er zuerst nichts anzufangen weiß, in Gewissheiten wandeln und zu einem sinnvollen Bild zusammenfügen, war ich dann aber doch gefangen. Die illustrierenden Fotos, die der Geschichte beigefügt sind und teilweise als Inspiration dienten (wie ein Interview mit dem Autor im Anhang des Buchs erklärt), verorten nicht nur in einer Zeit, sondern machen die Figuren auch lebendiger. Auf den zweiten Teil bin ich schon gespannt.

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Kurzgeschichten Roman

Tove Jansson – Fair Play

In fact, it felt good having things unfinished, a little as if she had just moved in and didn’t have to take the thing so seriously.

Beim Lesen dieses Buchs wurde mir wieder einmal klar, wie wenig ich mit dem Konzept der Kunst bzw. der Rolle der Künstler*innen anfangen kann. Mein persönliches Arbeiten ist geprägt von dem Wunsch, Dinge zu erledigen, To-Dos abzuhaken und das soll in der effizientesten Weise wie möglich geschehen. Der künstlerische Ansatz, der in diesem Buch (und im obigen Zitat) beschrieben ist, ist ein mir völlig fremdes Konzept. Ich fühle mich immer unwohl angesichts der vielen halbfertigen Dinge, die sich für mich wie unerledigt anfühlen. Es fällt mir schwer, angefangene Projekte als Möglichkeiten zu sehen, als Konzepte, die sich noch entwickeln können, die mehr Zeit erfordern. Zeit meint in diesem Fall nicht Arbeitszeit, die gefunden und in das Projekt investiert werden muss und dann ist das Projekt irgendwann erledigt, sondern Entwicklungszeit, um andere Inspirationen zu finden, die dann das Konzept verfeinern und ein klareres Bild von einer zuerst diffusen Idee ergeben.

This novel is about creativity from the very start – about how you take a day, the same as all the other old one-after-the-other days, and make it really new and fresh, no matter what age you are, what life you’re in.

Das Buch beschreibt in kurzen Geschichten die Beziehung von Mari und Jonna, Freundinnen, Partnerinnen (?), die zusammen leben und jede für sich künstlerisch arbeiten. Das beinhaltet so vieles, das in wenigen Worten beschrieben wird, die unheimlich viel Raum für Interpretation lassen.

Mari sat down and wrote. When she was done, she went into the studio and asked if she could read it aloud.

Manche dieser Geschichten lassen so viel Raum, dass ich für das, was zwischen den beiden Protagonistinnen passiert, keine Erklärung finden konnte. Das obige Zitat stammt aus einer Geschichte, in der Mari über einem schwierigen Brief brütet. Eine Frau fragt sie nach dem Sinn des Lebens und Mari weiß nicht, was sie antworten soll. Nun könnte die Geschichte die verschiedenen Sinnmöglichkeiten, die uns das Leben anbietet, untersuchen; sie zeigt uns aber stattdessen, dass es Momente gibt, in denen eine Beziehung frustrierend sein kann, in denen die Menschen, die uns am nächsten stehen, uns gewissermaßen mit unseren Problemen und Entscheidungen allein lassen. Laut der Einleitung sind Liebe und Arbeit die großen Themen der Autorin. Beides beinhaltet schwierige und frustrierende Momente und gleichzeitig so viel Potential, das wir an manchen Tagen ausschöpfen können und an anderen nicht.