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English Krimi Roman

Walter Mosley – Devil in a Blue Dress

Randnotiz: Nach der Buchbesprechung findet ihr einen umfangreichen Bericht zu den aktuellen Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe mit vielen Fotos.


CN (für Buch und Text zum Buch): Alkoholkonsum, Rassismus, Polizeigewalt, Mord, sexuelle Handlungen, sexueller Kindesmissbrauch, Erwähnung des 2. Weltkriegs (inkl. Holocaust, Antisemitismus, KZ-Überlebende)


But if he got a whiff of that thirty thousand dollars I knew that nothing would hold him back. He would have killed me for that much money.

In diesem Jahr hab ich mir einen Anlauf auf mehr Kreativität in meinem Alltag zum Vorsatz genommen. Das funktioniert mit wechselndem Erfolg. Da aber dazu gehört, dass ich einfach nicht aufhöre, auch wenn es mal eine Zeit lang nicht so gut klappt, ist das Projekt Experiment nach wie vor am Laufen.

Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Recherche über das Leben in Los Angeles in den 1950er-Jahren gelesen. Das hat sehr gut funktioniert, ich habe viele Hinweise notieren können, in welche Richtungen ich weiter recherchieren kann. Und meine allererste Kernfrage (würde eine Frau im Alter von 22 Jahren mit einem Job in den Paramount Studios ein eigenes Auto gehabt haben?) konnte ich auch schon mit ziemlich guter Sicherheit beantworten: Ja, sie muss wohl ein Auto gehabt haben, sonst hätte sie diese Arbeit nicht machen können. Mosley schreibt in seinem Buch auch ganz deutlich, dass im damaligen L.A. jeder Weg mit dem Auto zurückgelegt wurde.

Neben den Rechercheergebnissen fand ich in diesem Roman eine interessante Hauptfigur vor: Easy Rawlins, schwarz, Kriegsveteran, Eigentümer eines kleinen Hauses (mit Hypothek natürlich), der versehentlich in die zwielichtige Gesellschaft gerät, aus der er sich nach seinem Umzug von Houston nach Los Angeles eigentlich fernhalten wollte.

Sehr verblüfft stellte ich erst nach der Lektüre fest, dass dieses Buch erst 1990 veröffentlicht wurde und der Autor nicht nur noch lebt, sondern auch für September 2025 ein weiteres Buch der Reihe angekündigt ist. Eine Krimiserie reizt mich ja immer sehr und jetzt habe ich auch noch Recherche als zusätzlichen Grund … es gibt jedoch auch noch andere literarische Kandidaten für diese Zeit und über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sollte ich mich eher in Non-Fiction informieren. Es gibt jedenfalls noch sehr viel zu lesen und lernen.


Während meines Besuchs der #gpn23 in Karlsruhe hatte ich auch die Gelegenheit, mir die aktuellen Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) anzusehen. Drei thematisch sehr unterschiedliche Ausstellungsbereiche ringen aktuell um die Aufmerksamkeit der Besucher:innen. Ich habe im dritten Stock begonnen und werde im Folgenden die Ausstellungen auch von oben nach unten beschreiben.

zkm_gameplay – the next level

Pixelbild eines Geists aus dem Computerspiel Pac-Man, das Bild ist hauptsächlich schwarz, die Konturen des Geists bestehen aus unterschiedlichen Blautönen, die Augen schauen nach links, bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass das Bild aus einzelnen Buchstaben von Computertastaturen zusammengesetzt ist
Blue Guy (2020), Peter Schönwandt

Am Beginn werden die Besucher:innen von einem der Pac-Man-Geister begrüßt, ein Kunstwerk von Peter Schönwandt, das aus 4.339 Tastenkappen von Computertastaturen besteht. In weiterer Folge sind verschiedene Spielekonsolen aus den 1980ern und 1990ern zu sehen. An mehreren Stationen können auch ältere sowie neuere Spiele ausprobiert werden, angefangen von Commodore 64 und Atari über verschiedene Generationen von Nintendo– und Sega-Konsolen bis zu neueren Spielen wie Journey. Die Ausstellung zeichnet passend zum Thema mit verschiedenen Levels die Entwicklung der Computerspiele nach. Ein Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen Eingabemethoden, die sich in den letzten 50 Jahren konstant weiter entwickelt haben.

Choose Your Filter!

zwei Reihen mit jeweils vier hochformatigen Bildern nebeneinander, zentrales Objekt ist jeweils der Kopf eines Dinosauriers, die Augen sind mit einem Balken mit dem Text „http://“ verdeckt, die Farben wechseln zwischen schwarz, weiß, schrillem gelb und pink, teilweise enthalten die Bilder auch zusätzlich Graffiti-Texte
Artzilla Siebdrucke (2009), Tobias Leingruber in Zusammenarbeit mit Seckel, DosenDave, Ewok

Im selben Stockwerk beschäftigt sich die Ausstellung Choose your filter! mit Browser Art seit den Anfängen des World Wide Web. Verschiedene Künstler:innen haben zum Beispiel Browser-Erweiterungen programmiert, die Webseiten anders interpretieren, als sie ursprünglich gedacht wurden. Zu sehen sind etwa verschiedene Varianten der Browser-Erweiterung Abstract Browsing von Raphaël Rozendaal. Diese Erweiterung ersetzt „die Elemente einer Webseite, also Texte, Bilder oder Videos, durch farbige Rechtecke“. Verschiedene Farbkombinationen wechseln nach dem Zufallsprinzip. Rozendaal wählt auch gezielt Kompositionen aus und überträgt sie in großformatige Textilwerke (Tapisserien). Diese ziehen in einer Ausstellung, in der viel auf Computerbildschirmen stattfindet, automatisch den Blick auf sich.

großformatiges Textilwerk, abstrakte Darstellung einer Browserseite mit Rechtecken in verschiedenen Farben, zu erkennen ist nur die Struktur der Webseite in drei nebeneinander liegenden Spalten, die jeweils eine Aufzählung mit einem quadratischen Symbol und daneben rechteckigen verschiedener Länge enthalten
Abstract Browsing (2014–2022), Raphaël Rozendaal

See You. Begegnungen mit der Kunsthalle Karlsruhe

Das mittlere Geschoss des Ausstellungsbereichs bietet einen Einblick in die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, die aktuell wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Der Rundgang durch die Sammlung beginnt mit vielen sakralen Werken aus der Zeit etwa ab 1500. Altarbilder zeigen etwa Christus am Kreuz oder Maria mit dem Kind.

Blick in den Ausstellungsraum, an der hinteren Wand hängt ein dreitiliges Altarbild mit offenen Flügeln, in der Mitte die Kreuzigungsszene, rechts davon ein Bild in einem Säulenrahmen

Einige Werke, die mich beeindruckt haben:

Die Melancholie im Garten des Lebens von Mathis Gerung (1558): Allein vor einem weißen Vorhang hängt dieses Bild, das gleichzeitig an Bruegel und an moderne Wimmelbilder erinnert. Ich nahm mir Zeit, die vielen verschiedenen Menschengruppen und Tiere zu betrachten: üppige nackte Damen in einem Badebecken ohne Wasser, Ritter in Prachtkleidung, die im Begriff sind, aufeinander einzustechen, neben zwei Gauklern sitzt ein weißer Hund, einen Tanzbär habe ich entdeckt, viele Pferde sind ebenfalls zu sehen. Aus dem Ausstellungstext:

Gedankenverlorenes, törichtes Treiben beherrscht die Szenen im »Garten des Lebens«. In dessen Mitte kauert die Melancholie und sinnt schwermütig dem Sinn menschlichen Tuns nach. Das Werk ist ein einzigartiges Zeugnis für die Alltags-, Mentalitäts-, Sozial- und Kulturgeschichte des mittleren 16. Jahrhunderts.

ein brauner Bilderrahmen, das Bild zeigt verschiedene Gegenstände, die von einem roten Band an einer schwarzen Tafel gehalten werden, die Gegenstände (Feder, Schere, Brieföffner, Kette mit Medaillon, rotes Notizbuch, Brief, Kamm) wirken real, obwohl sie nur gemalt sind
Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten (1627–1678)

Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten (1627–1678): Diese hyperrealistisch (Trompe-l’œil) wirkende Abbildung einer Sammlung von Alltagsgegenständen hat meinen Blick sofort auf sich gezogen. Die dreidimensional wirkende Darstellung in harmonisierenden Farbtönen von crème, rot, ocker und braun ließ mich an meine eigene Pinwand denken, an der ich über das Jahr hinweg Fotos und Erinnerungsstücke sammle. Aus dem Ausstellungstext:

Täuschend echt anmutende Objekte sind hier dargestellt. Ihre Auswahl ist alles andere als beliebig. Einige weisen, wie ein Selbstbildnis, auf den Künstler selbst hin. Die Kette mit dem Porträt Kaiser Ferdinands III. ist Samuel van Hoogstratens Markenzeichen. Er gilt als Begründer des damals wie heute beliebten Genres der gemalten Steckbretter.

Ausschnitt eines Gemäldes mit vier unterschiedlich gestalteten Muschelgehäusen, die Farbgebung ist dominiert von perlmutt, schimmernden Rosa-, Braun- und Silber-Tönen
Ausschnitt aus „Stillleben mit Blumen und Goldpokalen“ von Clara Peeters (1612)

Stillleben mit Blumen und Goldpokalen von Clara Peeters (1612): Mir war bisher nicht bewusst, dass Stillleben, die nicht aus Blumen und Obst bestehen, einen derartigen Reiz auf mich ausüben könnten. Auf diesem Bild sind mir die Muscheln rechts unten aufgefallen. Jede der vier Muscheln hat eine andere Form und Färbung, die Darstellung ist unglaublich detailliert: Der rosa schillernde Farbrand der vordersten Muschel, der Lichtschimmer auf der zweiten Muschel, der Schwung des schwarz-silber gemusterten Gehäuses ganz hinten. Erst das Lesen des Beschreibungstexts machte mich darauf aufmerksam, dass in den Details des rechten Pokals die Spiegelung der Künstlerin zu sehen ist:

Alle Objekte sind übersichtlich auf einer Tischplatte arrangiert: Viele davon konnte man in barocken Kunstkammern finden. Plastisch, präzise und mit ihrem individuellen stofflichen Charakter hat Clara Peeters, eine frühe Vertreterin der Stilllebenmalerei, sie wiedergegeben. Sich selbst hat sie in den Spiegelungen des rechten Pokals verewigt.

Skulptur aus Bronze, auf einem Pferd reitet eine nackte weibliche Gestalt, sie trägt einen Kriegshelm und hat die rechte Hand mit dem Speer nach hinten gestreckt, mit der linken Hand drückt sie den Kopf des Pferdes zur Seite, damit der Speer freie Bahn haben wird
Reitende Amazone, den Speer schleudernd von Franz von Stuck (entworfen 1897, gegossen nach 1905)

Reitende Amazone, den Speer schleudernd von Franz von Stuck (entworfen 1897, gegossen nach 1905): Zwischen den Gemälden sind im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder auch Skulpturen zu sehen. Auf mehreren Sockeln wurden aus Bronze gegossene Skulpturen von Franz von Stuck gezeigt. Speziell bei dieser Skulptur einer weiblichen Gestalt auf einem Pferd fiel mir ins Auge, wie detailreich die Körper der Frau und des Pferds gestaltet sind. Auf dem Foto ist nicht zu erkennen, wie klein diese Skulptur ist (64,5 x 46,6 x 17,3 cm), sie steht auf einem Sockel, um auf Augenhöhe betrachtet werden zu können. Umso bemerkenswerter erscheint es mir, wie detailreich die Anatomie von Pferd und Reiterin nachgebildet wurde.

Blick in den modernen Teil der Ausstellung, links ein modernes Bild in einem schlichten Rahmen neben einer Skulptur, die einem Kaktus ähnelt, dahinter im Raum eine Reihe an Bildern in dekorativen Goldrahmen, rechts im Vordergrund ebenfalls ein Bild in einem dekorativen Goldrahmen, daneben eine Skulptur eines menschlichen Körpers ohne Kopf

Außerdem ins Auge gefallen sind mir

Wenn ihr euch für diese Ausstellung interessiert, aber nicht die Gelegenheit habt, nach Karlsruhe zu kommen, dann empfehle ich euch die Touren auf der Webseite der Kunsthalle Karlsruhe. Eine Kombination aus Text, Bild und Audio lässt euch die Ausstellung aus verschiedenen thematischen Blickwinkeln erleben.

The Story That Never Ends – Die Sammlung des ZKM

Schon etwas erschöpft und mit Eindrücken überflutet gelangte ich wieder ins Erdgeschoss des Ausstellungsbereichs, in dem sich die aktuelle Dauerausstellung des ZKMs The Story That Never Ends speziell weiblichen und feministischen Perspektiven der Medienkunst widmet.

Skulptur aus sechs Monitoren, die kreisförmig um ein Zentrum angeordnet sind, die Mitte hat Ähnlichkeit mit einem Autoreifen ohne den Gummi, sie besteht aus Metall und ist mit koreanischen Schriftzeichen verziert, auf den Bildschirmen ist eine abstrakte Darstellung von Linien zu sehen
Canopus aus der Serie Planetarium (1990) von Nam June Paik

Die gezeigten Werke beinhalten Fotocollagen (zB die Serie „Phantom Limb“ von Lynn Hershman Leeson, in der sie weibliche Körper mit Technik verschmilzt), abstrakte Malerei, futuristisch wirkende Skulpturen (zB Canopus von Nam June Paik, in dem er „seine Vorstellungen von einem global zirkulierenden Bilderstrom“ durch das Medium Video sichtbar machte) und analytische Videokunst, die wie viele andere Objekte die gesellschaftlichen Auswirkungen des Massenmediums Fernsehen und dessen Einfluss auf die politischen Verhältnisse kritisch betrachten.

Informationen zu den Ausstellungen und Veranstaltungen findet ihr auf der Webseite des ZKM.

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English Essays Memoir

Lena Dunham – Not That Kind of Girl

CN: Gaslighting, Misogynie, sexuelle Handlungen, Diät, OCD, Depression, Anxiety, Erwähnung von Suizid, Vergewaltigung


But I am a girl with a keen interest in having it all, and what follows are hopeful dispatches from the frontlines of that struggle.

Eines der Bücher, die sich am Längsten auf meiner Merkliste in der Libby-App befinden, habe ich nun mal gelesen. Da weiß ich dann schon nicht mehr, warum es überhaupt auf dieser Liste steht (in der Libby-App kann ich mir dazu leider keine Anmerkungen machen; in der anderen Liste, die ich nur unregelmäßig pflege, weil sie eh viel zu lang ist, habe ich dazu auch nichts gefunden). Ich vermute den Lila Podcast als Anknüpfungspunkt, da wurde die Autorin in mehreren Episoden erwähnt.

Der Untertitel „a young woman tells you what she’s ‘learned’“ deutet auf einen Lernprozess hin. Es handelt sich jedoch um einen impliziten Lernprozess, beinahe mehr einen Sozialisationsprozess, in dem die Autorin gelernt hat, wie die Gesellschaft mit jungen Frauen wie ihr umgeht.

„You can’t please everyone,“ my grandmother always said.
Yes, you can, I thought. If you just work hard enough.

Sie erzählt in thematisch gruppierten Essays von ihren Erfahrungen hinsichtlich Liebe, Freundschaft, Sex und Arbeit, von ihrem Umgang mit dem eigenen Körper und wie dieser Umgang massiv von den von außen auf junge Frauen einprasselnden Erwartungen beeinflusst wurde. Sie spart nicht mit peinlichen Situationen, von denen wir vermutlich als junge Menschen mit wenig Erfahrung alle einige erlebt haben dürften. Sie beschreibt die Situationen, die sie erlebt hat, wie zum Beispiel den Polizisten, der ihr nahelegt, dass sie doch nicht so nett zu dem Mann sein hätte sollen, der ihr nun nachstellt und sie bedroht. Kaum ein (anti-)feministisches Klischee wird ausgelassen, die Kritik bleibt jedoch zumeist zwischen den Zeilen stehen. Sie nimmt ihre eigenen (früheren) Annahmen über die Gesellschaft aufs Korn, ohne sie konkret zu widerlegen. Dadurch bleibt das Buch unterhaltsam, ohne zu sehr auf die Zehen zu treten. (Obwohl es laut Wikipedia doch einigen Menschen auf die Zehen getreten ist.)

I was a working woman. I deserved kisses. I deserved to be treated like a piece of meat but also respected for my intellect.

Vielleicht hätte ich mir etwas anderes erwartet? Erwartungshaltungen sind ja immer problematisch. Mehr Kritik, mehr Hilfestellungen für junge Frauen, mehr Anregungen für gesellschaftlichen Fortschritt, der die geschlechtlichen Ungleichheiten verringert?

Dazu ist das Buch aber nicht angetreten. Der Untertitel sagt es deutlich: eine junge Frau erzählt uns, was sie gelernt hat. Es kann nicht auch noch ihre Aufgabe sein, uns zu erklären, wie wir die Gesellschaft zu verbessern haben.

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English Roman

Brit Bennett – The Vanishing Half

CN dieses Buch: Rassismus, Tod eines Elternteils, Gewalt, Lynchmord, Beziehungsgewalt, Gaslighting, Mobbing, Prostitution, sexueller Missbrauch
CN dieser Post: Erwähnung von Rassismus und Beziehungsgewalt (keine grafischen Beschreibungen)


That was the problem: you could never love two people the exact same way.

Dieses Buch erzählt die Geschichte zweier Schwestern, Zwillinge, die als Kinder unzertrennlich sind und deren Leben als Erwachsene sich in völlig unterschiedliche Richtungen entwickeln. Ihre Kindheit ist geprägt vom Aufwachsen in einer Kleinstadt, in der eigentlich alle farbig sind, aber der Grad der Dunkelheit der Haut einer Familie den gesellschaftlichen Status bestimmt. Desirée und Stella wünschen sich nichts mehr, als aus der Ödnis und Engstirnigkeit der Kleinstadt auszubrechen.

Als die beiden Mädchen schließlich ohne großes Aufhebens die Stadt verlassen (und ihre verwitwete Mutter allein zurücklassen), teilen sich ihre Wege. Stella stellt fest, dass sie in der Großstadt New Orleans mit ihrer helleren Haut als weiß wahrgenommen wird, wenn sie sich entsprechend benimmt (passing). Was als Experiment beginnt, wird schließlich zu ihrem neuen Leben. Das sie nur weiterführen kann, wenn sie ihre Familie zurücklässt, verleugnet und eine ganz andere Person wird.

Desirée heiratet einen Mann, der sie misshandelt und den sie schließlich verlässt (nach einer langen Zeit, in der sie sich mit all den Ausreden, die einer Frau von der Gesellschaft nahe gelegt werden, wenn sie von ihrem Partner misshandelt wird, auseinandersetzen muss [sie hat einen Fehler gemacht; sie könnte sich doch mehr bemühen; kein Wunder, dass er wütend geworden ist]).

When you married someone, you promised to love every person he would be. He promised to love every person she had been.

Die Töchter der beiden Schwestern leben dementsprechend ebenfalls vollkommen unterschiedliche Leben. Desirées Tochter Jude wächst als sehr dunkelhäutiges Kind mit ähnlichen Diskriminierungen auf, wie sie ihre Mutter und Tante als Kinder erlebt haben. Stellas Tochter Kennedy ist blond und hellhäutig und wächst als weiße Tochter eines gut situierten Anwalts mit allen entsprechenden Privilegien auf. Durch eine Kette von Zufällen kreuzen sich die Wege der Töchter, was zu einem Aufbrechen von Konflikten führt, die beide Familien erschüttern.

People thought that being one of a kind made you special. No, it just made you lonely. What was special was belonging with someone else.

Neben dem Thema passing as white kommt passing auch noch in einem Gender-Zusammenhang vor. Judes Partner Reese ist ein Trans-Mann, der wie Stella seine Heimat und Familie verlassen hat, um ein anderer Mensch zu werden. Während die Oberfläche ähnlich aussieht, zeigen die Gefühle der beiden aber vollkommen unterschiedliche Seiten: Reese ist sich seiner selbst sicher, er weiß genau, wer er ist und musste aus seinem bisherigen Leben ausbrechen, um eben sein zu können, wer er ist. Stella hingegen lebt in der ständigen Angst, ihre Lüge, ihr Schauspiel könnte aufgedeckt werden. Mir hat gefallen, wie Reese als Trans-Charakter in dieser Geschichte angenommen wird. Die Beziehung zwischen Reese und Jude ist natürlich nicht frei von Spannungen, aber insgesamt ist sie neben der späten Beziehung von Desirée und Early in meinen Augen die gesundeste Beziehung in der ganzen Geschichte. Von solchen Beziehungen, in denen transsexuelle Menschen einfach als Menschen leben, würde ich gerne mehr lesen.

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Sachbuch

Susan Orlean – The Library Book

The library is a gathering pool of narratives and of the people who come to find them. It is where we can glimpse immortality; in the library, we can live forever.

Schon der Titel lässt erahnen, dass es sich bei diesem Werk um eine Liebeserklärung an die Institution Bibliothek (Library) handelt. Die Autorin erzählt jedoch nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen, sondern nimmt diese zum Anlass, tief in das Thema einzutauchen.

My mother imbued me with a love of libraries. The reason why I finally embraced this book project – wanted, and then needed, to write – was my realization that I was losing her.

Ein wichtiger Handlungsstrang ist der Brand der Los Angeles Public Library im Jahr 1986. Die Autorin beleuchtet in tiefgehenden Recherchen den Zustand der Bibliothek vor und nach dem Brand, lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und webt ein dichtes Netz, das zum Ziel hat, Licht auf das Feuer und die darauf folgenden Aufbauarbeiten zu werfen. Die Brandursache konnte niemals vollständig geklärt werden. Ein Verdächtiger wurde festgenommen, vor Gericht gestellt und aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt. Die Lebensgeschichte dieses mutmaßlichen Brandstifters nimmt ebenfalls eine wichtige Rolle im Buch ein. Aus den Recherchen der Autorin lässt sich schließen, dass der junge Mann eher zufällig mit dem Brand in der Bibliothek in Zusammenhang kam und sich der auf ihn fallende Verdacht hauptsächlich wegen seiner ständig wechselnden Aussagen erhärtete. Obwohl das Gerichtsverfahren mit einem Freispruch endete, beeinflusste die öffentliche Wahrnehmung seiner Verbindung mit dem Bibliotheksbrand sein weiteres Leben.

People think of libraries as the safest and most open places in society. Setting them on fire is like announcing that nothing, and nowhere, is safe. The deepest effect of burning books is emotional.

Beleuchtet wird aber auch die Rolle der Bibliothek in den vergangenen Jahrhunderten bis zum heutigen Tag. Bibliotheken sind offene Orte, sie bieten Platz für Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und anderen persönlichen Merkmalen. Sie sind Orte des Wissens und des Lernens, der Ruhe, aber auch der Gemeinschaft. Die Autorin begleitet viele Menschen, die in der Los Angeles Public Libary arbeiten, durch ihren Arbeitsalltag und beschreibt die Begegnungen mit den BesucherInnen der Bibliothek und die vielen anderen angebotenen Aktivitäten wie zum Beispiel Story Times für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen oder Sprachkurse. Im letzten Kapitel berichtet die Autorin von einem Besuch beim Marktführer im Bereich Online-Verleih-Systeme Overdrive. Die letzten Jahrzehnte haben bereits gezeigt, dass Bibliotheken durch das Internet nicht aussterben werden. Genau genommen sind sie wichtiger denn je. Neue Technologien vereinfachen den Zugang, machen jedoch die traditionellen Funktionen von Bibliotheken nicht obsolet.

Als Beispiel möchte ich noch ein Detail hervorheben, das mich persönlich begeistert hat. Das historische Gebäude der Los Angeles Public Library wurde von Bertram Goodhue geplant. Im Buch beschreibt die Autorin in mehreren Absätzen seinen Ansatz, dass ein Gebäude eine Geschichte erzählen sollte. Seine Form, seine Kunst, Ornamente, alle Elemente zusammen sollten wie ein Buch gelesen werden können und die Geschichte darüber erzählen, was in dem Gebäude passiert. In meinen Augen ist das ein wunderbarer, fachübergreifender Zugang, der Architektur von reiner Zweckmäßigkeit auf eine künstlerische Ebene hebt. Bertram Goodhue war jedoch nicht nur Architekt, sondern hat unter anderem auch die Schriftart Cheltenham erschaffen.

It declares that all these stories matter, and so does every effort to create something that connects us to one another, and to our past and to what is still to come.

EDIT [20. Dezember 2019]: Es gibt eine Podcast-Episode von The Maris Review, in der Susan Orlean über die Geschichte des Buches spricht und unter anderem erzählt, warum ein Feuer in einer Bibliothek in Los Angeles eine besondere Bedeutung hat (mit Verweisen auf die aktuellen Waldbrände). Via Lithub.

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Roman

Douglas Coupland – Miss Wyoming

“I never thought of it that way. Yes. No. You mean, there’s some other way to live?”

Dieses Buch weckt wieder meine Neigung, mehr über die Geschichte zu schreiben, wie es dazu gekommen ist, dass ich es gekauft habe, anstatt über das Buch selbst. In diesem Fall liegt es an der Unmöglichkeit, den Inhalt zu beschreiben, der komplex und komplex erzählt ist.

Auf den ersten Seiten treffen sich Susan und John in einem Restaurant irgendwo in Kalifornien. Das erste Kapitel erzählt ihre Begegnung und ihr erstes Gespräch, das unter anderem das Zitat ganz oben enthält. Die weiteren Kapitel sind jeweils Rückblenden in die Vergangenheit der beiden Protagonisten und erzählen unter anderem von Susans Kindheit als von ihrer ehrgeizigen Mutter auf Erfolg gedrillte Schönheitskönigin, Johns Ausstieg aus dem Filmbusiness und seine anschließende Zeit auf der Straße und eine Episode aus Johns Kindheit, die beispielhaft einen Blick auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit werfen lässt:

The year he spent in bed was certainly the longest of his life. When he was older and met other people who had accomplished great things during their stints on earth, he found that invariably, somewhere in their early youth, they had felt the experience of death or incapacity burned into them so deeply that ever afterward they gambled with all their chips, said fuck it, went for broke in the sound knowledge that wasting life is probably the biggest sin of all.

Die Rückblenden sind kompliziert verwoben und gehen an einem Punkt in die Gegenwart über. John versucht Susan zu erreichen, doch sie scheint verschollen, worauf er sich mit Hilfe des Videoverleih-Angestellten Ryan und dessen Nerd-Freundin Vanessa (ein Charakter, der zugleich übertrieben klischeebehaftet und liebenswert ist) auf die Suche nach ihr macht. Susan selbst ist auf der Suche nach jemand anderem.

“Randy, look at me, okay? It’s all lies, Randy. All of it. Not just me. Chris. Them. Whoever. Everybody. Everything you read. It’s all just crap and distortions. All of it. Lies. That’s what makes the lies you spread so funny, Randy. They’re honest lies.”

Zwischen den Zeilen versteckt sich jede Menge geschickt formulierte Kritik an der Unterhaltungsgesellschaft und der Industrie, die sie füttert. Susans Karriere als Schönheitskönigin, ihr anschließender kurzfristiger Erfolg im TV-Business, Johns frustrierter Ausstieg aus eben dieser Branche sind deutliche Wegweiser aus der (Fernseh-)Welt der Lügen hinein ins wirkliche Leben.

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Roman

T Cooper – Some of the parts

You spend your whole life getting hurt, and out of it you hope for some grade somewhere in all that hurt. But Charlie just got more hurt. A death sentence not too far off from his life sentence. Or maybe it was all the same. I didn’t know, because nobody told me anything.

In diesem Roman lernen wir vier Protagonisten kennen, die alle Teil einer Familie im erweiterten Sinn sind oder werden. Alle diese Menschen sind auf eine Art und Weise „beschädigt“ und wissen nicht so recht, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen sollen oder wie es damit weitergehen soll. Beziehungen zerbrechen oder sind schon seit langem zerbrochen, hängen den Betroffenen aber noch ewig nach. Alle Charaktere leiden an Unsicherheiten, die oft auch körperliche Schwächen als Ursachen haben.

This was her world, not one she had to fit herself into.

Die Quintessenz könnte sein: wir sind alle irgendwie fehlerhaft, aber trotzdem können wir Menschen finden, die uns so annehmen, wie wir sind. Es dauert recht lange, bis sich diese Lebensweisheit herauskristallisiert, aber bis dahin hat man sich längst in die farbenfroh gezeichneten Protagonisten verliebt.

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Roman

Sara Gruen – Das Affenhaus

Von Sara Gruen hatte ich 2011 begeistert Wasser für die Elefanten gelesen, später auch den Film gesehen, der nach meinem Gefühl den Zirkuszauber des Buches nicht ganz einfangen konnte. Ähnlich ging es mir mit dem Affenhaus.

Hauptpersonen sind der Journalist John Thigpen und die Forscherin Isabel Duncan. Kurz nach Johns Besuch bei Isabel und ihrer Bonobo-Familie wird deren Forschungslabor (erforscht werden die Sprachfähigkeiten der Bonobos) in die Luft gesprengt und Isabel selbst schwer verletzt. Noch während Isabel im Krankenhaus liegt, werden die Affen an einen geheimen Investor verkauft. Wochen später tauchen sie in einer Reality Show namens Affenhaus wieder auf. Isabel versucht gemeinsam mit ihrer Assistentin Celia, die Affen aus dem Haus zu befreien. Auch John Thigpen ist hinter den Affen her, um die Hintergründe aufzudecken und landet schließlich auch wenig überraschend den großen Coup.

Achtung, es folgt ein Spoiler. Es ist mir in diesem Fall nicht möglich, meine Meinung zu diesem Buch zu beschreiben, ohne massiv die Entwicklung vorwegzunehmen.

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Die Autorin hat erfolgreich der Versuchung widerstanden, Isabel und John zu einem Liebespaar werden zu lassen. Die zarten Annäherungen bleiben es auch, obwohl Isabel sich von ihrem Verlobten trennt und John mit seiner Frau Amanda einige Krisen durchzustehen hat, bleibt die naheliegende Liebesaffäre aus. Damit hebt sich das Buch neben der gut recherchierten Geschichte der Sprachforschung mit Affen erfrischend von klassischer Frauen-Liebes-Literatur ab.

Dagegen spricht jedoch die eingestreute Episode, in der John meint, ein 17-jähriger Junge mit seltenem Nachnamen entspränge möglicherweise einer betrunkenen Jugend-Episode mit einer Frau desselben Nachnamens. Das ist wiederum so weit hergeholt, dass man John für diese lächerliche Aktion einen Polster an den Kopf schmeißen möchte. Da sich die anschließende darauf basierende Eifersuchtsepisode so schnell auflöst und auch problemlos rein auf Johns Bekanntschaft mit der Stripperin Ivanka beruhen hätte können, wäre dieser „Seitensprung“ verzichtbar gewesen.

Im Ganzen kann ich das Buch trotzdem nur empfehlen. Nach meinem Empfinden kommt es an Wasser für die Elefanten nicht heran, jedoch spürt man in vielen Szenen dieselbe Herkunft. Gerade die Nebenhandlungen und -figuren sind ebenso detailreich gezeichnet und mit ausgeprägten Charaktereigenschaften versehen, die nicht nur vorhersagbar sind. Gleiches gilt für die Affenfamilie, die in Gebärdensprache mit ihren Betreuern kommunizieren. Angenehmes Lesevergnügen.

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Roman

James Frey – Strahlend schöner Morgen

Kleine Fruechte in Madrid

Irgendwann wird man es herausfinden, das weiß sie, und sie weiß auch, dass danach in ihrem Leben nichts mehr so sein wird wie zuvor.

Zu Anfang gestaltet sich diese Sammlung von „Lebensgeschichten“ etwas sperrig. In jedem Kapitel lernt man neue Personen kennen, manche von ihnen wird der Leser wiedersehen, andere nicht. Unterbrochen sind die Kapitel jeweils von Fakten zur Geschichte Los Angeles, wie sich aus einer kleinen Siedlung der gigantische Moloch entwickelt hat, der Los Angeles heute ist. Stück für Stück verfolgt der Leser die Geschichten von Dylan und Maddie, dem Obdachlosen Old Man Joe, dem Filmstar Amberton und nicht zuletzt der aufmunternden Liebesgeschichte von Esparanza, die sich von einem verschüchterten Mädchen ohne Selbstbewusstsein zu einer starken Frau entwickelt.

Andere Kapitel handeln von Personen, die wir nicht näher kennenlernen, erfolglose Schauspieler ohne Nachnamen, die sich seit Jahren in anderen Berufen ihr Geld verdienen, während sie auf den großen Durchbruch warten. Oder Soldaten im Militärkrankenhaus, die aus dem Krieg mit unterschiedlichsten Traumata zurückgekehrt sind. Ein sehr langes Kapitel widmet der Autor dem aussichtslosen Leben der Gangmitglieder und deren Familien. Zunehmend atemlos verfolgt man als Leser die Hoffnungslosigkeit, die dort herrschen muss, wo bereits 10-Jährige durch ein Gangabzeichen zu Tod, Mord und/oder Gefängnis verurteilt werden. Der Vater tot oder im Gefängnis, größere Brüder geraten auf die schiefe Bahn, kleinere Brüder eifern ihnen nach und die Statistiken zeigen den Ausstieg als absolute Ausnahme.

Joe hält sie hoch, sagt: Auf ein super Leben, das beste Leben. Er nimmt einen tiefen Schluck, schaudert.

Der Titel „Strahlend schöner Morgen“ gehört zur Geschichte des Obdachlosen Old Man Joe, der seine Tage bettelnd auf der Promenade zubringt, bis er genügend Geld für zwei Flaschen Chablis hat. Die vertrinkt er des Abends, um sich nach ein paar Stunden Schlaf am Strand den Sonnenaufgang anzusehen. Als er seinen gewohnten Trott durchbricht, um dem Mädchen Beatrice zu helfen, muss Joe lernen, dass aus guten Absichten Katastrophen werden können. Aber die Sonne geht trotzdem jeden Tag über Los Angeles auf. Und zum Schluss schließt sich sogar der Kreis, der diese faszinierende Stadt mit dem scheinbar nicht so großartigen Rest der Welt verbindet: Hier ist es möglich.

Ja, manche träumen von Scheinwerferlicht und Ruhm, doch es sind wenige im Vergleich zu jenen, die von einem Ort träumen, der sie akzeptiert, sie ernährt und zu dem erblühen lässt, was sie werden wollen, Blume oder Giftpflanze, der ihnen erlaubt zu brüllen, zu verleumden, zu beten, zu betteln, zu diskutieren, zu handeln, zu kaufen, zu verkaufen, zu stehlen, zu geben, zu nehmen und das zu sein, was immer sie sein wollen, denn hier ist es möglich, hier ist es möglich.

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Roman Unterhaltung

Carly Philipps – Verliebt, skandalös und sexy

Und noch einmal Carly Philipps … Hatte ich aufs Frequency mitgenommen, da ist man meist nur zu wenig Gehirnaktivität fähig und dazu sei gesagt, ist Carly Philipps immer perfekt. Und angesichts der Wetterlage war es auch gut, dass ich das Buch mit hatte, ich hatte den ersten Teil der Geschichte noch am Festival durchgelesen.

Der Rest hat mich dann so gelangweilt, dass ich mich beinahe quälen musste. Es ist ein Drama mit den Frauenromanen.