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English Krimi Roman

Walter Mosley – Devil in a Blue Dress

Randnotiz: Nach der Buchbesprechung findet ihr einen umfangreichen Bericht zu den aktuellen Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe mit vielen Fotos.


CN (für Buch und Text zum Buch): Alkoholkonsum, Rassismus, Polizeigewalt, Mord, sexuelle Handlungen, sexueller Kindesmissbrauch, Erwähnung des 2. Weltkriegs (inkl. Holocaust, Antisemitismus, KZ-Überlebende)


But if he got a whiff of that thirty thousand dollars I knew that nothing would hold him back. He would have killed me for that much money.

In diesem Jahr hab ich mir einen Anlauf auf mehr Kreativität in meinem Alltag zum Vorsatz genommen. Das funktioniert mit wechselndem Erfolg. Da aber dazu gehört, dass ich einfach nicht aufhöre, auch wenn es mal eine Zeit lang nicht so gut klappt, ist das Projekt Experiment nach wie vor am Laufen.

Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Recherche über das Leben in Los Angeles in den 1950er-Jahren gelesen. Das hat sehr gut funktioniert, ich habe viele Hinweise notieren können, in welche Richtungen ich weiter recherchieren kann. Und meine allererste Kernfrage (würde eine Frau im Alter von 22 Jahren mit einem Job in den Paramount Studios ein eigenes Auto gehabt haben?) konnte ich auch schon mit ziemlich guter Sicherheit beantworten: Ja, sie muss wohl ein Auto gehabt haben, sonst hätte sie diese Arbeit nicht machen können. Mosley schreibt in seinem Buch auch ganz deutlich, dass im damaligen L.A. jeder Weg mit dem Auto zurückgelegt wurde.

Neben den Rechercheergebnissen fand ich in diesem Roman eine interessante Hauptfigur vor: Easy Rawlins, schwarz, Kriegsveteran, Eigentümer eines kleinen Hauses (mit Hypothek natürlich), der versehentlich in die zwielichtige Gesellschaft gerät, aus der er sich nach seinem Umzug von Houston nach Los Angeles eigentlich fernhalten wollte.

Sehr verblüfft stellte ich erst nach der Lektüre fest, dass dieses Buch erst 1990 veröffentlicht wurde und der Autor nicht nur noch lebt, sondern auch für September 2025 ein weiteres Buch der Reihe angekündigt ist. Eine Krimiserie reizt mich ja immer sehr und jetzt habe ich auch noch Recherche als zusätzlichen Grund … es gibt jedoch auch noch andere literarische Kandidaten für diese Zeit und über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sollte ich mich eher in Non-Fiction informieren. Es gibt jedenfalls noch sehr viel zu lesen und lernen.


Während meines Besuchs der #gpn23 in Karlsruhe hatte ich auch die Gelegenheit, mir die aktuellen Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) anzusehen. Drei thematisch sehr unterschiedliche Ausstellungsbereiche ringen aktuell um die Aufmerksamkeit der Besucher:innen. Ich habe im dritten Stock begonnen und werde im Folgenden die Ausstellungen auch von oben nach unten beschreiben.

zkm_gameplay – the next level

Pixelbild eines Geists aus dem Computerspiel Pac-Man, das Bild ist hauptsächlich schwarz, die Konturen des Geists bestehen aus unterschiedlichen Blautönen, die Augen schauen nach links, bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass das Bild aus einzelnen Buchstaben von Computertastaturen zusammengesetzt ist
Blue Guy (2020), Peter Schönwandt

Am Beginn werden die Besucher:innen von einem der Pac-Man-Geister begrüßt, ein Kunstwerk von Peter Schönwandt, das aus 4.339 Tastenkappen von Computertastaturen besteht. In weiterer Folge sind verschiedene Spielekonsolen aus den 1980ern und 1990ern zu sehen. An mehreren Stationen können auch ältere sowie neuere Spiele ausprobiert werden, angefangen von Commodore 64 und Atari über verschiedene Generationen von Nintendo– und Sega-Konsolen bis zu neueren Spielen wie Journey. Die Ausstellung zeichnet passend zum Thema mit verschiedenen Levels die Entwicklung der Computerspiele nach. Ein Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen Eingabemethoden, die sich in den letzten 50 Jahren konstant weiter entwickelt haben.

Choose Your Filter!

zwei Reihen mit jeweils vier hochformatigen Bildern nebeneinander, zentrales Objekt ist jeweils der Kopf eines Dinosauriers, die Augen sind mit einem Balken mit dem Text „http://“ verdeckt, die Farben wechseln zwischen schwarz, weiß, schrillem gelb und pink, teilweise enthalten die Bilder auch zusätzlich Graffiti-Texte
Artzilla Siebdrucke (2009), Tobias Leingruber in Zusammenarbeit mit Seckel, DosenDave, Ewok

Im selben Stockwerk beschäftigt sich die Ausstellung Choose your filter! mit Browser Art seit den Anfängen des World Wide Web. Verschiedene Künstler:innen haben zum Beispiel Browser-Erweiterungen programmiert, die Webseiten anders interpretieren, als sie ursprünglich gedacht wurden. Zu sehen sind etwa verschiedene Varianten der Browser-Erweiterung Abstract Browsing von Raphaël Rozendaal. Diese Erweiterung ersetzt „die Elemente einer Webseite, also Texte, Bilder oder Videos, durch farbige Rechtecke“. Verschiedene Farbkombinationen wechseln nach dem Zufallsprinzip. Rozendaal wählt auch gezielt Kompositionen aus und überträgt sie in großformatige Textilwerke (Tapisserien). Diese ziehen in einer Ausstellung, in der viel auf Computerbildschirmen stattfindet, automatisch den Blick auf sich.

großformatiges Textilwerk, abstrakte Darstellung einer Browserseite mit Rechtecken in verschiedenen Farben, zu erkennen ist nur die Struktur der Webseite in drei nebeneinander liegenden Spalten, die jeweils eine Aufzählung mit einem quadratischen Symbol und daneben rechteckigen verschiedener Länge enthalten
Abstract Browsing (2014–2022), Raphaël Rozendaal

See You. Begegnungen mit der Kunsthalle Karlsruhe

Das mittlere Geschoss des Ausstellungsbereichs bietet einen Einblick in die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, die aktuell wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Der Rundgang durch die Sammlung beginnt mit vielen sakralen Werken aus der Zeit etwa ab 1500. Altarbilder zeigen etwa Christus am Kreuz oder Maria mit dem Kind.

Blick in den Ausstellungsraum, an der hinteren Wand hängt ein dreitiliges Altarbild mit offenen Flügeln, in der Mitte die Kreuzigungsszene, rechts davon ein Bild in einem Säulenrahmen

Einige Werke, die mich beeindruckt haben:

Die Melancholie im Garten des Lebens von Mathis Gerung (1558): Allein vor einem weißen Vorhang hängt dieses Bild, das gleichzeitig an Bruegel und an moderne Wimmelbilder erinnert. Ich nahm mir Zeit, die vielen verschiedenen Menschengruppen und Tiere zu betrachten: üppige nackte Damen in einem Badebecken ohne Wasser, Ritter in Prachtkleidung, die im Begriff sind, aufeinander einzustechen, neben zwei Gauklern sitzt ein weißer Hund, einen Tanzbär habe ich entdeckt, viele Pferde sind ebenfalls zu sehen. Aus dem Ausstellungstext:

Gedankenverlorenes, törichtes Treiben beherrscht die Szenen im »Garten des Lebens«. In dessen Mitte kauert die Melancholie und sinnt schwermütig dem Sinn menschlichen Tuns nach. Das Werk ist ein einzigartiges Zeugnis für die Alltags-, Mentalitäts-, Sozial- und Kulturgeschichte des mittleren 16. Jahrhunderts.

ein brauner Bilderrahmen, das Bild zeigt verschiedene Gegenstände, die von einem roten Band an einer schwarzen Tafel gehalten werden, die Gegenstände (Feder, Schere, Brieföffner, Kette mit Medaillon, rotes Notizbuch, Brief, Kamm) wirken real, obwohl sie nur gemalt sind
Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten (1627–1678)

Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten (1627–1678): Diese hyperrealistisch (Trompe-l’œil) wirkende Abbildung einer Sammlung von Alltagsgegenständen hat meinen Blick sofort auf sich gezogen. Die dreidimensional wirkende Darstellung in harmonisierenden Farbtönen von crème, rot, ocker und braun ließ mich an meine eigene Pinwand denken, an der ich über das Jahr hinweg Fotos und Erinnerungsstücke sammle. Aus dem Ausstellungstext:

Täuschend echt anmutende Objekte sind hier dargestellt. Ihre Auswahl ist alles andere als beliebig. Einige weisen, wie ein Selbstbildnis, auf den Künstler selbst hin. Die Kette mit dem Porträt Kaiser Ferdinands III. ist Samuel van Hoogstratens Markenzeichen. Er gilt als Begründer des damals wie heute beliebten Genres der gemalten Steckbretter.

Ausschnitt eines Gemäldes mit vier unterschiedlich gestalteten Muschelgehäusen, die Farbgebung ist dominiert von perlmutt, schimmernden Rosa-, Braun- und Silber-Tönen
Ausschnitt aus „Stillleben mit Blumen und Goldpokalen“ von Clara Peeters (1612)

Stillleben mit Blumen und Goldpokalen von Clara Peeters (1612): Mir war bisher nicht bewusst, dass Stillleben, die nicht aus Blumen und Obst bestehen, einen derartigen Reiz auf mich ausüben könnten. Auf diesem Bild sind mir die Muscheln rechts unten aufgefallen. Jede der vier Muscheln hat eine andere Form und Färbung, die Darstellung ist unglaublich detailliert: Der rosa schillernde Farbrand der vordersten Muschel, der Lichtschimmer auf der zweiten Muschel, der Schwung des schwarz-silber gemusterten Gehäuses ganz hinten. Erst das Lesen des Beschreibungstexts machte mich darauf aufmerksam, dass in den Details des rechten Pokals die Spiegelung der Künstlerin zu sehen ist:

Alle Objekte sind übersichtlich auf einer Tischplatte arrangiert: Viele davon konnte man in barocken Kunstkammern finden. Plastisch, präzise und mit ihrem individuellen stofflichen Charakter hat Clara Peeters, eine frühe Vertreterin der Stilllebenmalerei, sie wiedergegeben. Sich selbst hat sie in den Spiegelungen des rechten Pokals verewigt.

Skulptur aus Bronze, auf einem Pferd reitet eine nackte weibliche Gestalt, sie trägt einen Kriegshelm und hat die rechte Hand mit dem Speer nach hinten gestreckt, mit der linken Hand drückt sie den Kopf des Pferdes zur Seite, damit der Speer freie Bahn haben wird
Reitende Amazone, den Speer schleudernd von Franz von Stuck (entworfen 1897, gegossen nach 1905)

Reitende Amazone, den Speer schleudernd von Franz von Stuck (entworfen 1897, gegossen nach 1905): Zwischen den Gemälden sind im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder auch Skulpturen zu sehen. Auf mehreren Sockeln wurden aus Bronze gegossene Skulpturen von Franz von Stuck gezeigt. Speziell bei dieser Skulptur einer weiblichen Gestalt auf einem Pferd fiel mir ins Auge, wie detailreich die Körper der Frau und des Pferds gestaltet sind. Auf dem Foto ist nicht zu erkennen, wie klein diese Skulptur ist (64,5 x 46,6 x 17,3 cm), sie steht auf einem Sockel, um auf Augenhöhe betrachtet werden zu können. Umso bemerkenswerter erscheint es mir, wie detailreich die Anatomie von Pferd und Reiterin nachgebildet wurde.

Blick in den modernen Teil der Ausstellung, links ein modernes Bild in einem schlichten Rahmen neben einer Skulptur, die einem Kaktus ähnelt, dahinter im Raum eine Reihe an Bildern in dekorativen Goldrahmen, rechts im Vordergrund ebenfalls ein Bild in einem dekorativen Goldrahmen, daneben eine Skulptur eines menschlichen Körpers ohne Kopf

Außerdem ins Auge gefallen sind mir

Wenn ihr euch für diese Ausstellung interessiert, aber nicht die Gelegenheit habt, nach Karlsruhe zu kommen, dann empfehle ich euch die Touren auf der Webseite der Kunsthalle Karlsruhe. Eine Kombination aus Text, Bild und Audio lässt euch die Ausstellung aus verschiedenen thematischen Blickwinkeln erleben.

The Story That Never Ends – Die Sammlung des ZKM

Schon etwas erschöpft und mit Eindrücken überflutet gelangte ich wieder ins Erdgeschoss des Ausstellungsbereichs, in dem sich die aktuelle Dauerausstellung des ZKMs The Story That Never Ends speziell weiblichen und feministischen Perspektiven der Medienkunst widmet.

Skulptur aus sechs Monitoren, die kreisförmig um ein Zentrum angeordnet sind, die Mitte hat Ähnlichkeit mit einem Autoreifen ohne den Gummi, sie besteht aus Metall und ist mit koreanischen Schriftzeichen verziert, auf den Bildschirmen ist eine abstrakte Darstellung von Linien zu sehen
Canopus aus der Serie Planetarium (1990) von Nam June Paik

Die gezeigten Werke beinhalten Fotocollagen (zB die Serie „Phantom Limb“ von Lynn Hershman Leeson, in der sie weibliche Körper mit Technik verschmilzt), abstrakte Malerei, futuristisch wirkende Skulpturen (zB Canopus von Nam June Paik, in dem er „seine Vorstellungen von einem global zirkulierenden Bilderstrom“ durch das Medium Video sichtbar machte) und analytische Videokunst, die wie viele andere Objekte die gesellschaftlichen Auswirkungen des Massenmediums Fernsehen und dessen Einfluss auf die politischen Verhältnisse kritisch betrachten.

Informationen zu den Ausstellungen und Veranstaltungen findet ihr auf der Webseite des ZKM.

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Roman

Barbara Kadletz – Im Ruin

CN: Trauer, Verlust eines geliebten Menschen, Drogenmissbrauch, Krankheit, Krebs, sexuelle Handlungen


»Zeitpunkt«. Es war ganz einfach. Er musste bloß den Zeitpunkt finden. Den Moment, in dem er seine Leichtigkeit verloren hatte. Und wenn er den Moment dann erwischt hatte, würde sich bestimmt alles auflösen.

Letztens war ich endlich mal wieder in der Hauptbücherei. Meine Merkliste wird ständig länger, daher ging ich diesmal gleich mit 6 Büchern nach Hause. Das eine oder andere hat eventuell was mit Geocaching zu tun, diesmal sogar von zwei verschiedenen Seiten. Aber dazu mehr in einem späteren Post …

Auf dieses Buch war ich also auch durch einen Literatur-Geocache gestoßen. Ich hatte es lange auf der Merkliste, bisher war es immer entliehen. Zurecht, wie sich herausstellte, es ist ein ganz wunderbares Buch. Das titelgebende Lokal „Im Ruin“ ist für die Wirtin Katharina ein Zufluchtsort, in dem sie sich mehr zuhause fühlt als in ihrer Wohnung, wo sie hauptsächlich zum Schlafen hingeht. In ihrem Lokal verbringt sie die Zeit mit ihrer Freundin Sabina, die ebenfalls dort arbeitet, und ihren Stammgästen, zu denen sich schließlich der geheimnisvolle Ari (zuerst 19-Uhr-Mann genannt) gesellt.

In Rückblenden wird erzählt, wie Katharina das Ruin gemeinsam mit ihrem früheren Partner David gegründet hat. Sein Tod durch Lungenkrebs hat Katharina tief getroffen. Bis sie jedoch erkennt, dass sie das Ruin zu einem Mausoleum gemacht hat, in dem der Geist von David die Gegenwart verdrängt, vergeht einige Zeit.

Die vielen Anspielungen auf lokale Besonderheiten in Favoriten (wie zum Beispiel das Amalienbad oder der Böhmische Prater) verorten die Geschichte, die vielen popkulturellen Zitate aus Literatur und Musik geben einen zeitlichen Hintergrund und lockern die traurigen Momente der Geschichte auf.

Eine einfache „Lösung“, um über den Verlust eines geliebten Menschen hinwegzukommen, gibt es nicht, das macht auch dieses Buch klar. Es zeigt aber einige Wege auf, die nicht zum Ziel führen und warnt damit davor, die Gegenwart und Zukunft unter der Vergangenheit zu begraben. Während Katharina eine deutliche Entwicklung durchmacht, bleibt unklar, was sich durch die Freundschaft für Ari verändert hat. Sowohl seine Lebenskrise als auch deren Entwicklung sind deutlich schwammiger beschrieben als jene von Katharina. So bleibt auch am Ende offen, wie es für ihn weitergeht (zumindest im privaten Bereich). In diesem Sinne ist es ein Buch der Möglichkeiten. Möglichkeiten, die sich erst auftun, wenn wir die Vergangenheit vergangen sein lassen können – vergangen, nicht vergessen.