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English Erfahrungsbericht Memoir

Abi Morgan – This Is Not A Pity Memoir

CN dieses Buch: Krankheit, Koma, Suizid, Krebs, Alkoholmissbrauch
(Anmerkung: Ereignisse der letzten Jahre wie die Covid19-Pandemie oder die Ermordung von George Floyd werden im letzten Teil des Buchs erwähnt)
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But we are not all right, we are so far from all right. We are this broken family.

Es ist bedrückend, was Menschen alles zustoßen kann. Und beeindruckend, wie sie trotzdem weiter machen. Die Autorin führt die Leser:innen durch Jahre voller Ungewissheit. Sie lässt uns teilhaben an den Momenten der Hoffnung, an denen sie sich festklammert, spart aber auch die Momente der Verzweiflung nicht aus, in denen sie nicht mehr weiter weiß und aufgeben als eine reale Alternative erscheint.

And I am reminded that alongside the ghost of you, the ghost of us, there is the ghost of our past life.

Das Buch beschreibt Jahre, in denen sich für diese Familie Krise an Krise reiht. Und dabei sind die letzten Jahre nur eine Randnotiz. Erfüllt ist es jedoch auch von der Dankbarkeit für all die Unterstützung, die sie durch Familie und Freunde erfahren hat. Für all die Menschen, die uns ein wenig Last abnehmen, wenn wir sie nicht mehr allein tragen können. Unfassbar traurig und unfassbar hoffnungsvoll. 

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Krimi Roman Thriller

Ursula Poznanski – Vanitas. Schwarz wie Erde

CN dieses Buch: Tod, Totschlag, Gewalt, Sehbehinderung (Hinweis: ich habe das Buch vor über einer Woche zu Ende gelesen und erinnere mich nicht mehr an alle Details, es ist jedenfalls ein Krimi/Thriller mit entsprechendem Gewaltaufkommen)
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Auf dieses Buch bin ich durch einen Literatur-Geocache gestoßen und es hat mir sehr gut gefallen. Die Geschichte weist einige überraschende Wendungen auf, zwei parallel laufende Kriminalfälle werden miteinander verknüpft bis zum finalen Cliffhanger, der auf die beiden Fortsetzungen verweist, die zum Glück auch in der Onleihe erhältlich sind und die ich mir demnächst vornehmen werde.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Jan Grue – I Live a Life Like Yours

CN dieses Buch: Krankheit
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At some point or another I stopped thinking about myself as someone who needed repairing.

In diesem extrem persönlichen Memoir erzählt der Autor aus seinem Leben mit einer körperlichen Behinderung. In seiner Kindheit wurde er mit einer Art Myopathie diagnostiziert, eine progressive Erkrankung, die ihm kein normales Leben ermöglichen soll. Entgegen der Erwartungen der Ärzt:innen entwickelt er sich gut und wird von seinen Eltern in jeder Hinsicht gefördert. Die Teile, in denen er vom Kampf seiner Eltern mit dem Sozialamt um Unterstützungsleistungen berichtet, zeigen deutlich, dass selbst in einem reichen und fortschrittlichen Land wie Norwegen die Bürokratie oft über die Menschlichkeit siegt.

It required more hours of hard work, more effort, than I could have anticipated, but I continued banging my head against the wall until the wall finally gave way. On the inside was another wall. This is how labyrinths are built, after all.

Weiters erinnerte mich seine Beschreibung von den ausführlichen Planungen für eine Reise mit einem Rollstuhl daran, wie ich einmal am Berliner Hauptbahnhof etwa 20 Minuten eine Tür blockierte, damit der Zug nicht abfahren konnte, bis für die Dame im Elektrorollstuhl der (vorab bestellte) Rollstuhllift herangeschafft wurde. Sie hatte das sehr gelassen hingenommen. Obwohl sie ihre Reisepläne im Voraus bekannt geben müsse, passiere sowas häufig. Da ich ja selbst gerne möglichst detailliert plane, macht mich allein die Vorstellung, ich hätte alles im Voraus geplant und dann würden sich die Verkehrsbetriebe einfach nicht kümmern, ziemlich wütend.

We don’t notice it until we are made aware of it, but then shame enters the picture. Shame over not being like the others. The shame of standing out, the shame of being a nuisance.

Richtig schmerzhaft wird seine Geschichte, wenn er von den überraschten Gesichtern erzählt, die er erntet, wenn er von seinem Job, seiner Frau, seinem Kind spricht. Dass Menschen nicht mal in Betracht ziehen, dass er ein derart normales Leben führen könnte. Als Mensch, der aufgrund einer Muskelschwäche nur wenige Schritte gehen kann und daher einen Rollstuhl benötigt. Dass die Menschen automatisch davon ausgehen, sein Leben müsste durch seine Behinderung so eingeschränkt sein, dass ein Job und eine Familie außerhalb des Möglichen liegen.

But it’s good to say it, to say to yourself, I don’t have to do this, I don’t have to try to push in where there’s no way in, to try carving out a space where there is none.

Seine Reflexionen reichen vom Schamgefühl, anders zu sein, selbst eine Behinderung für andere Menschen darzustellen, Unterstützung zu brauchen, bis zur Erkenntnis, dass es sich nicht immer lohnt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Wenn du bereits als Kind lernst, dass deine Eltern ständig kämpfen müssen, um dir ein normales Leben zu ermöglichen, dann willst du dich auch selbst nicht einschränken lassen. Alles muss möglich gemacht werden. Bei manchen Hürden lohnt sich der Kampf aber einfach nicht. Letztendlich muss sich jede:r von uns selbst entscheiden, wofür wir kämpfen wollen. Manche müssen mehr kämpfen als andere.

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English Roman

Graeme Simsion – The Rosie Result

CN dieses Buch: –
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I had observed that neurotypicals criticized autistic people for lacking empathy – towards them – but seldom made any effort to improve their own empathy towards autistic people.

Im dritten Buch um Rosie und Don geht es primär um ihren 10-jährigen Sohn Hudson, der selbst einige unkonventionelle Verhaltensweisen entwickelt und daher Schwierigkeiten in der Schule bekommt. Anhand dieser Ausgangslage wird viel über den Umgang mit Minderheiten generell und über die Einstufung von Asperger (und anderen Autismus-Formen) als Behinderung erklärt.

In the past, I had wished the world was different, but assumed that it was my responsibility to fit in.

Don setzt sich mit seinen eigenen Erfahrungen als Kind und Jugendlicher auseinander und möchte seinem Sohn die harten Lernwege zur Integration in die Gesellschaft erleichtern. Letztendlich darf er erkennen, dass es weder seine noch Hudsons Aufgabe ist, sich anzupassen, um besser in die Gesellschaft zu passen.

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Roman

Marjana Gaponenko – Das letzte Rennen

CN dieses Buch: Verstümmelung (durch Unfall), Behinderung, Suizid, Demenz
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„[…] hier auf Erden haben wir unsere menschlichen Möglichkeiten erschöpft. Mit bloßer Vermehrung wird das Leben auch keinen tieferen Sinn bekommen, meine Liebe, täusche dich nicht. Es wird nicht besser.“

Irgendwie weiß ich nach wie vor nicht so ganz, was ich mit dieser Geschichte anfangen soll. Der Ich-Erzähler Kaspar, ein junger Mann aus gutem Hause mit finanziellem Background, lässt sich durchs Leben treiben und findet weder Sinn noch Motivation, irgendwas Ernsthaftes mit sich und seinem Leben anzufangen. Seine Bekanntschaften mit Frauen spielen sich auf der Ebene absurder romantischer Verknalltheit ab. Der Plan, am Pferdehof des Vaters ein Reittherapiezentrum für Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen aufzubauen, bekommt akut eine andere Bedeutung, als Kaspar bei einem Unfall mit der Pferdekutsche beide Arme verliert.

Aber was wollte sie damit wirklich sagen? Die Menschheit habe ihre Möglichkeiten erschöpft? Was ist mit meinen Möglichkeiten? Was ist mit mir?

Die Angst, dass der demenzkranke Vater sein Vermögen einer jungen, rumänischen Krankenschwester vererben könnte, die den Vater seit dem Kutschenunfall begleitet, wirkt sich ebenfalls ungünstig auf die Motivation aus. Der Unfall und die Veränderung seines Lebens danach macht ihm jedoch bewusst, welche Möglichkeiten er in seinem Leben vor dem Unfall nicht genützt zu haben scheint. Und welche ihm gleichzeitig immer noch offen stehen.

 

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English Jugend Roman

Lois Lowry – Messenger

CN dieses Buch: Sterben, Tod
CN dieser Post: Covid19, Verweise auf aktuelle Ereignisse (nur im letzten Absatz)


The Museum held the remains of a broken sled in a glass case, and the inscription explained that it had been Leader’s arrival vehicle.

Es wird ohne Spoiler nicht gehen, aber ich verspreche, nur in einer Weise zu spoilern, die mich nicht davon abgehalten hätte, die Serie weiterzulesen. Die Frage, die ich mir nach Gathering Blue gestellt hatte, hat sich aufgelöst: Ja, die Welten hängen zeitlich und räumlich zusammen. Das dritte Buch der Serie verknüpft die beiden vorhergehenden miteinander und führt Personen zusammen.

Ein zentraler Aspekt, der in Gathering Blue bereits thematisiert wurde, wird hier noch verdeutlicht: Menschen mit Behinderungen sind vollständig und perfekt, wie sie sind, sie müssen nicht geheilt werden. Konfrontiert mit der Möglichkeit, ihr verdrehtes Bein geheilt zu bekommen, lehnt Kira ab. Das Bein ist wie ihr ganzer Körper ein Teil ihrer Persönlichkeit.

In der Petition, Village gegenüber Neuankömmlingen zu verschließen, lässt sich auch die Flüchtlingskrise wiederfinden. Die Menschen, die in Sicherheit und Gemeinschaft leben, haben vergessen, dass sie selbst früher als Ausgestoßene hier aufgenommen wurden. Sie wollen ihren Reichtum nicht mehr teilen, „es ist nicht genug für alle da“, ist ihre Argumentation. „Wir haben keinen Platz für diese fremden Kinder, die nicht mal unsere Sprache sprechen, in unseren Schulen.“

Mir blutet das Herz, wenn ich an die Flüchtlingslager in Griechenland denke. Es ist ja nicht nur diese Krankheit, die unsere Gesellschaft bedroht, es war ja vorher schon so, dass immer argumentiert wurde, „wir können nicht alle retten, das Boot ist voll“, Abschreckungsmaßnahmen und so weiter. Und jetzt sehen wir auch noch, wie sich Menschen in Machtpositionen bei der Impfung vordrängen. An manchen Tagen frage ich mich schon, wo das noch alles hinführen soll. Gibt es überhaupt noch Hoffnung für unsere Gesellschaft?

He gave himself to it willingly, traded himself for all that he loved and valued, and felt free.

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Erfahrungsbericht

Clay Byars – Will and I

The zygote is what we call the cell created by the sperm and egg, when they join. So, it’s postfertilization. It divides, in the case of twins, but before it divides, it exists there in the womb as an entity, the original zygote, the product of the man and the woman. There was a moment before Will and I split apart that we were literally one being.

Immer wieder spült mir Lithub interessante Bücher entgegen, der Artikel ist schon beinahe ein Jahr alt. Ich hatte das Buch zuerst auf der Liste, dann in einem Einkaufsschub für den Kindle gekauft und bei meiner letzten Reise begonnen.

Clay Byars beschreibt in seiner autobiographischen Erzählung, wie er sich nach einem schweren Unfall Stück für Stück ins Leben zurückkämpfen musste. Alle Beziehungen, die er vor dem Unfall hatte – seine Eltern, sein Zwillingsbruder Will, seine Schwester, seine Freunde – sind von seinem neuen Leben mit Behinderung beeinflusst.

I don’t know what I wrote that night, but I know that it was the beginning of a new life, one in which I would no longer try to talk myself out of reality.

Er beschreibt aber nicht nur seine Transformation sondern auch, was ihm dabei geholfen hat: das Schreiben. Die schreibende Auseinandersetzung – eine Tätigkeit, die er trotz seiner körperlichen Einschränkungen ohne Hilfe ausüben konnte – hilft ihm, das Trauma zu verarbeiten.

Our twinship wasn’t broken, but it was redefined, physically and in ways that were harder to pin down.

Einen wichtigen Punkt bildet auch die Auseinandersetzung mit seinem Bruder. Vor seinem Unfall waren sich die beiden in vielen Punkten ähnlich, lebten ein überschaubar ähnliches Leben mit Schule und Freunden. Nach dem Unfall lebte Will dieses Leben weiter, während Clay damit beschäftigt war, sein Leben neu zu erlernen. Zwischen den Zeilen schwingt immer wieder die Frage mit, was gewesen wäre, wenn nicht er selbst sondern sein Bruder in diesem Unfall beinahe getötet worden wäre. Eine Frage, die letztendlich nicht beantwortet werden kann.

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Roman

Jojo Moyes – Ein ganzes halbes Jahr

Es ist einfach diese Sache, die man am Muttersein erst versteht, wenn man eine ist: Man sieht nicht den erwachsenen Mann vor sich – den unrasierten, stinkenden, rechthaberischen Sprössling –, mit seinen Strafzetteln, ungenutzten Schuhen und einem komplizierten Liebesleben. Sondern man sieht all die Menschen, die er je war, in einem.

Ein spontaner Kindle-Buch-Kauf ließ mich zu diesem Roman aus der aktuellen Bestenliste greifen. Ich gestehe: ich hoffte wiederum auf einen belanglosen Liebesroman (das Cover schaut aber auch dermaßen schmetterlingsmäßig verliebt aus …) Natürlich kam es wiederum anders. Schnell wurde mir klar, dass hier ernste Themen behandelt werden. Auf eine gute und verständliche Art.

Louisa hat schon genug eigene Probleme. Sie unterstützt ihre Eltern und ihre alleinerziehende Schwester durch ihr Einkommen im Café. Als sie diesen Job überraschend verliert, steht sie hilflos da. Keine Ausbildung, kein Job in ihrer Kleinstadt, den sie machen könnte. Doch dann wird sie von der reichen Mrs. Traynor als eine Art Gesellschafterin für ihren Sohn eingestellt. Will sitzt seit einem schweren Unfall im Rollstuhl und kann sich kaum noch bewegen, muss rund um die Uhr betreut werden. Und hat jeden Lebenswillen verloren. Nach einem schwierigen Start finden die beiden einen Zugang zueinander. Bis Louisa zufällig mitbekommt, dass Will bereits einen Termin in einem Zentrum für Sterbehilfe hat. 6 Monate hat er seiner Familie versprochen, zu warten.

Es war, als hätte sich alles verschoben, sei zersplittert und hätte sich zu einem anderen Muster zusammengefügt, das ich kaum wiedererkannte.

Es ist der lockere Ton, die Klassenunterschiede, der Zynismus, mit dem Will und Louisa die Welt betrachten, der das Buch nicht in die Traurigkeit und die Aussichtslosigkeit ihrer beider Situation abgleiten lässt.

Bei den Hochzeiten, zu denen ich normalerweise ging, mussten die Familien der Braut und des Bräutigams getrennt sitzen, weil die Gefahr zu groß war, dass sonst jemand gegen Bewährungsauflagen verstieß.

Louisa stellt sich schließlich der Aufgabe, Will von seinem Plan abzubringen. Will selbst findet eine Beschäftigung darin, Louise herauszufordern. Dass sie ihre Stadt nie verlassen hat und ziellos durchs Leben geht, kann er nicht akzeptieren. Sie schließen Freundschaft. Louisa hat Hoffnung, Will findet stückweise wieder Gefallen am Leben und scheint sich besser und aktiver zu fühlen.

Zum ersten Mal in meinem Leben versuchte ich, nicht über die Zukunft nachzudenken. Ich versuchte einfach nur zu sein, die Empfindungen dieses Abends durch meinen Körper wandern zu lassen.

Mich hat sehr berührt, wie einfühlsam die Autorin Louisas Unsicherheit beschreibt. Sie fragt sich ständig, ob sie wohl das Richtige tut. Obwohl sie eine selbstbewusste Person mit ausgefallenem Kleidungsstil ist (die Bienenstrumpfhosen sind ein wundervolles Symbol), zweifelt sie ständig an sich selbst. An ihrer Persönlichkeit, an ihren Fähigkeiten, ob sie das Richtige tut. Eine Antwort erhält sie natürlich nicht. Denn man kann bekanntlich nie wissen, ob man das Richtige tut. Man kann nur tun, was man im Moment für das Richtige hält und hoffen, dass es das Richtige war oder dass es sich später irgendwie korrigieren lässt.

Richtig gepackt hat mich die Geschichte aber erst gegen Ende. Doch dann bin ich einen ganzen Tag lang im Büro gesessen mit dem Gedanken, „ich will in mein Buch zurück“. Es gab noch einen anderen Gedanken, der mich an diesem Tag gepackt hielt, aber er war bei weitem nicht so hartnäckig, wie die Frage, wie es mit Louisa und Will weitergehen wird. Es ist schwierig, einen Abschlusssatz zu finden, der nichts über das Ende verrät. Daher muss ich mit einer Plattitüde schließen: Es gibt Hoffnung. Auch in den dunkelsten Momenten unseres Lebens.

Du sollst ein unerschrockenes Leben führen. Fordere dich heraus.