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Roman

Arto Paasilinna – Das Jahr des Hasen

CN: Gewalt, Gewalt gegen Tiere (Jagd), Rassismus, Waldbrand, Geburt (bei einer Kuh), Alkoholmissbrauch


Ein weiteres Buch, das mir über die Verbindung meiner beiden Hobbies Lesen und Geocaching zugeflogen ist. Mit diesem Buch konnte ich sogar zwei Mystery Geocaches lösen, wobei einer davon sich deutlich entfernt befindet, bis ich dort hin komme, kann es also noch einige Zeit dauern.

Die Geschichte beginnt damit, dass der Protagonist Vatanen mit seinem Kollegen im Auto unterwegs ist. Es kommt zu einem Zusammenstoß mit einem Hasen. Dieser Moment löst in Vatanen eine spontane Abkehr von seinem bisherigen Leben aus. Er kümmert sich um den verletzten Hasen und bricht gegen den Widerstand seiner Ehefrau und seines Chefs alle Verbindungen ab. Das folgende Jahr verbringt er als Vagabund und Gelegenheitsarbeiter auf Wanderschaft und erlebt dabei allerhand absurde Geschichten:

  • Ein fanatischer Anhänger der „wahren finnischen Religion“ stiehlt den Hasen, um ihn zu opfern.
  • Ein Rabe erweist sich als aggressiver Fressfeind, der immer neue Wege findet, um Vatanens Vorräte zu stehlen, bis dieser schließlich zu drastischen Maßnahmen greift.
  • Vatanen gerät in die Gesellschaft einer Delegation, die auch ausländische Gäste beinhaltet. Der Hase wird dabei zum Objekt des Interesses einer schwedischen Besucherin. Bis zu dem Moment, als sie Hasenkötel in ihrem Suppenteller findet.
  • Seine Wanderschaft endet nach langer Verfolgung eines räuberischen Bären (der eine Leidenschaft für Tomatenketchup hat) in Russland, wo er wegen diverser Verbrechen festgenommen wird. Wie Captain Ahab jagt Vatanen auf Skiern tagelang hinter dem Bären her, ohne sich um irgendetwas anderes zu kümmern.

Interessant fand ich neben den Beschreibungen der für mich unbekannten Landschaften auch den Hinweis auf eine finnische Ur-Religion, hier als „Fennismus“ bezeichnet. Die deutsche Wikipedia hat dazu keinen Eintrag und auch sonst konnte ich zu diesem Wort kaum etwas finden. Bei meiner diesbezüglichen Recherche stieß ich zuallererst auf Johan Vilhelm Snellman, finnischer Philosoph und Politiker, der sich für die finnische Währungsunabhängigkeit und die Anerkennung des Finnischen als Amtssprache einsetzte. Weiter zurück in die Vergangenheit las ich, dass Finnland lange unter schwedischer Regentschaft stand, bis sich 1809 die russische Armee durchsetzte und Finnland fortan unter russischer Herrschaft stand. Diese endete erst 1918, als Russland unter Lenin die Unabhängigkeit von Finnland anerkannte.

Auch die beschriebene Gegend interessierte mich sehr, besonders gegen Ende, wo russische Städte wie Kandalaksha (der Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia ist sehr kurz, beinhaltet aber ein Foto der Bahnstation) und Arkhangelsk (Hafenstadt am Weißen Meer) erwähnt werden.

Mir gefällt sehr, dass ich mich durch das Lesen eines Buchs animiert fühle, die beschriebenen Landschaften und Orte nach zu recherchieren und dabei sogar noch etwas über die Geschichte des Landes aufschnappe. In dieser Richtung wird es demnächst einen weiteren Post geben. Ich habe nämlich in der Bücherei herum gestöbert und bin dabei wieder mal im Bereich der Reiseliteratur gelandet. Mehr dazu in einem späteren Post.

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Roman

Rosa Liksom – Abteil Nr. 6

CN: Alkoholmissbrauch, sexuelle Belästigung, Rassismus, Prostitution


Letzte Woche ergab sich eine Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher in die Hauptbücherei. Mangels Vorbereitung suchte ich in meiner Liste an Literaturgeocaches so lange, bis ich zwei Bücher gefunden hatte, die aktuell in der Hauptbücherei verfügbar waren.

Dieses Buch las ich gleich am nächsten Abend in einem Rutsch zu Ende. In einem Zug der transsibirischen Eisenbahn teilen sich eine namenlose junge Frau und ein namenloser Mann ein Zugabteil. Während der Mann immer wieder mehr oder weniger unangenehme Geschichten aus seinem Leben erzählt, erfährt die Leser:in über die junge Frau beinahe nichts. Nur schemenhafte Rückblenden geben Einblicke in ihr Leben in der Zeit vor der Abfahrt des Zuges.

Obwohl sich der Mann teilweise extremst ekelhaft verhält und die junge Frau auch belästigt, nutzen die beiden die Pausen des Zuges in den größeren Bahnhöfen für gemeinsame Ausflüge. Die junge Frau scheint nicht zu wissen, was sie mit sich allein anfangen soll. Sie lässt sich ziellos treiben, scheinbar ohne eigenen Willen. Bis zum Schluss erfährt die Leser:in nicht, warum sie sich eigentlich auf dieser Reise befindet, die im Buch im mongolischen Ulan-Bator endet (das eigentlich nicht auf der Strecke der transsibirischen Eisenbahn Eisenbahn liegt).

Der Schluss bietet eine Art Ausblick, aber keine Auflösung. Da es sich hier aber irgendwie um ein Road Movie im Zug handelt und die Beschreibungen der abgelegenen Gegenden sehr spannend sind, fühlte ich mich ausgezeichnet unterhalten.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Jan Grue – I Live a Life Like Yours

CN dieses Buch: Krankheit
CN dieser Post: –


At some point or another I stopped thinking about myself as someone who needed repairing.

In diesem extrem persönlichen Memoir erzählt der Autor aus seinem Leben mit einer körperlichen Behinderung. In seiner Kindheit wurde er mit einer Art Myopathie diagnostiziert, eine progressive Erkrankung, die ihm kein normales Leben ermöglichen soll. Entgegen der Erwartungen der Ärzt:innen entwickelt er sich gut und wird von seinen Eltern in jeder Hinsicht gefördert. Die Teile, in denen er vom Kampf seiner Eltern mit dem Sozialamt um Unterstützungsleistungen berichtet, zeigen deutlich, dass selbst in einem reichen und fortschrittlichen Land wie Norwegen die Bürokratie oft über die Menschlichkeit siegt.

It required more hours of hard work, more effort, than I could have anticipated, but I continued banging my head against the wall until the wall finally gave way. On the inside was another wall. This is how labyrinths are built, after all.

Weiters erinnerte mich seine Beschreibung von den ausführlichen Planungen für eine Reise mit einem Rollstuhl daran, wie ich einmal am Berliner Hauptbahnhof etwa 20 Minuten eine Tür blockierte, damit der Zug nicht abfahren konnte, bis für die Dame im Elektrorollstuhl der (vorab bestellte) Rollstuhllift herangeschafft wurde. Sie hatte das sehr gelassen hingenommen. Obwohl sie ihre Reisepläne im Voraus bekannt geben müsse, passiere sowas häufig. Da ich ja selbst gerne möglichst detailliert plane, macht mich allein die Vorstellung, ich hätte alles im Voraus geplant und dann würden sich die Verkehrsbetriebe einfach nicht kümmern, ziemlich wütend.

We don’t notice it until we are made aware of it, but then shame enters the picture. Shame over not being like the others. The shame of standing out, the shame of being a nuisance.

Richtig schmerzhaft wird seine Geschichte, wenn er von den überraschten Gesichtern erzählt, die er erntet, wenn er von seinem Job, seiner Frau, seinem Kind spricht. Dass Menschen nicht mal in Betracht ziehen, dass er ein derart normales Leben führen könnte. Als Mensch, der aufgrund einer Muskelschwäche nur wenige Schritte gehen kann und daher einen Rollstuhl benötigt. Dass die Menschen automatisch davon ausgehen, sein Leben müsste durch seine Behinderung so eingeschränkt sein, dass ein Job und eine Familie außerhalb des Möglichen liegen.

But it’s good to say it, to say to yourself, I don’t have to do this, I don’t have to try to push in where there’s no way in, to try carving out a space where there is none.

Seine Reflexionen reichen vom Schamgefühl, anders zu sein, selbst eine Behinderung für andere Menschen darzustellen, Unterstützung zu brauchen, bis zur Erkenntnis, dass es sich nicht immer lohnt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Wenn du bereits als Kind lernst, dass deine Eltern ständig kämpfen müssen, um dir ein normales Leben zu ermöglichen, dann willst du dich auch selbst nicht einschränken lassen. Alles muss möglich gemacht werden. Bei manchen Hürden lohnt sich der Kampf aber einfach nicht. Letztendlich muss sich jede:r von uns selbst entscheiden, wofür wir kämpfen wollen. Manche müssen mehr kämpfen als andere.

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Roman

David Lagercrantz – Vernichtung

Im dritten Fortsetzungsteil um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist wird das Tempo noch einmal deutlich angezogen. Schon auf den ersten 50 Seiten kommt es zur Konfrontation zwischen den Schwestern Lisbeth und Camilla, die natürlich noch zu keinem Ergebnis führt, da liegen dann noch einige Seiten und Geheimnisse dazwischen.

Was mir beim Wiederlesen von Stieg Larsson aufgefallen war, konnte ich in kleinerem Ausmaß auch bei David Lagercrantz feststellen: Bezugnahme auf aktuelle Geräte, Technologien bzw. Medienereignisse verorten das Buch deutlich in seiner Zeit. In diesem Roman spielen etwa Trollfabriken und Fake News eine Rolle. Den Verweis auf Pizzagate hab ich überhaupt nur wegen Reply All verstanden. Wäre interessant, zu wissen, ob Leser*innen in einigen Jahren damit überhaupt noch etwas anfangen können. Jedenfalls hat der Autor auch hier geschickt Geschichten miteinander verwoben und eine spannende Fortsetzung geschaffen.

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English Erfahrungsbericht

Antonia Bolingbroke-Kent – Tuk-Tuk to the Road

We know that one day we will return to North West China and will then have the time and the energy to spend a full day exploring the caves and their Buddhist art.

Als ich Antonia Bolingbroke-Kent im FM4-Interview-Podcast über ihre Reise per Tuk-Tuk erzählen hörte, wollte ich mehr darüber wissen und setzte mir das genannte Buch auf die Leseliste. Am Anfang dieser Pandemie dachte ich mir dann, wenn ich selbst nicht reisen kann, kann ich wenigstens übers Reisen lesen. Tatsächlich waren es dann drei Etappen, in denen ich die Tuk-Tuk-Reise von Thailand nach Brighton, die im Herbst 2006 stattgefunden hat, verfolgte.

Suicide may seem like a selfish choice, but suicidal people are not cowards and to judge someone’s actions when you don’t know their feelings is wrong.

Wer (wie ich) nur einen Reisebericht erwartet, wird positiv und negativ überrascht. Auf der positiven Seite beinhaltet das Buch auch sehr viele Informationen darüber, wie so eine Reise mit dem Ziel, Spenden für einen guten Zweck (in diesem Fall die Mental-Health-Organisation Mind) zu sammeln, überhaupt organisiert werden kann. Ohne Sponsoren und ausführliche Unterstützung wäre so eine Reise kaum machbar. Auf der negativen Seite ist das Buch wenig mehr als eine Sammlung der Blog Posts, die die beiden Tuk-Tuker Ants und Jo während ihrer Reise verfasst haben.

Auf der einen Seite ist diese Reise natürlich ein unvorstellbares Abenteuer. Auf der anderen Seite kann ich mir selbst nicht vorstellen, dermaßen nur auf der Durchreise zu sein und kaum Zeit zu haben, um die durchfahrenen Regionen auch tatsächlich zu erleben. Ich würde mehr sehen wollen, nicht nur vorbeifahren. Dies zeigt sich besonders deutlich auf den letzten Stationen der Reise, als die beiden in der letzten Woche von Krakow in Polen über Prag, Köln und Brüssel nach Brighton reisen. Jede einzelne dieser Städte hätte einen Aufenthalt von zumindest mehreren Tagen verdient und auf jede Gegend, die sie davor durchfahren haben, trifft das vermutlich in ähnlichem wenn nicht sogar größerem Ausmaß zu.

Eine gewisse Extrovertiertheit gehört ohne Zweifel auch dazu, weshalb ich mir sicher bin, so eine Reise selbst niemals machen zu wollen. Aber es war trotzdem eine interessante Lektüre.

We never event meant to go to Yekaterinburg, let alone stay there for four days, but as Ivan, quoting Voltaire said: ,Everything happens for a reason.’

Echt jetzt, Voltaire war das?

 

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Roman

Julia Phillips – Disappearing Earth

Von diesem Buch habe ich zuerst auf Lithub gelesen und später hat mich im Buchgeschäft das Cover angesprungen. Die Berge, der blau-violette Verlauf, das Schneegestöber und dann die beiden kleinen schwarzen Figuren unten in der Ecke – einfach großartig.

Die Geschichte spielt auf der russischen Halbinsel Kamtschatka. Viel ferner und fremder könnte ein Ort für mich nicht sein. Knapp über 300.000 Menschen leben auf der Halbinsel, mehr als die Hälfte davon in der Hauptstadt der Region Petropawlowsk-Kamtschatski. Dieses beeindruckende Foto zeigt die Stadt vor dem Vulkan Korjakskaja Sopka. Die Szenerie findet immer wieder Ausdruck in den Beschreibungen des Wechsels der Jahreszeiten. Die Geschehnisse erstrecken sich über den Verlauf eines Jahres und über die gesamte Halbinsel. Einige Protagonist*innen sind Angehörige der nomadischen Stämme, die in der russischen Tundra leben.

Im ersten Kapitel wird die Leser*in Zeug*in der Entführung zweier Mädchen, Alyona und Sophia Golosovskaya. Die weiteren Kapitel beschreiben Geschehnisse im auf die Entführung folgenden Jahr und werden jeweils aus der Perspektive einer anderen Frau erzählt. Die Entführung kommt dabei immer in der einen oder anderen Form zur Sprache. Die Perspektiven auf die Leben, Schwierigkeiten und Emotionen der Frauen könnten auch für sich allein stehen. Durch das Verweben der Einzelschicksale mit der Entführung und den Verbindungen zwischen den Personen (in jeder Geschichte taucht eine Person auf, die die Leser*in bereits aus einem anderen Kontext kennt) entsteht daraus jedoch ein vernetztes Gesamtkunstwerk.

Valentina Nikolaevna, die wegen einer hartnäckigen Hautveränderung zum Arzt geht und direkt zur Operation in die Klinik geschickt wird. Ksyusha, die während ihrer Fernbeziehung zu Ruslan einen anderen Mann kennenlernt, der sie in einer völlig unbekannten Art und Weise berührt. Natasha, deren Schwester vier Jahre vor der Entführung der beiden Mädchen verschwunden ist; die Polizei stellt jedoch keine Verbindung her, da Lilia zum Zeitpunkt ihres Verschwindens bereits älter war. Revmira, deren Mann bei einem Unfall stirbt. Oksana, deren Hund wegen einer Unachtsamkeit ihres Arbeitskollegen verloren geht. All diese Geschichten zeigen Frauen mit unterschiedlichen Lebensumständen und verschiedenen Stadien ihres Lebens. Alle jedoch befinden sich offensichtlich oder unterschwellig in einer Phase der Unsicherheit. Das spurlose Verschwinden spiegelt sich immer wieder zwischen den Zeilen wider. Ein großartiges Buch.

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Krimi

Wolf Haas – Brennerova

„So ist das Leben.“
„Sellerie!“ Der Tätowierer hat das so pseudofranzösisch auf der letzten Silbe betont, dass sein Lachen in einen kleinen Hustenanfall übergegangen ist.

Tja, wie war das nochmal mit dem Lesen rein zum Vergnügen? Ja, ein Vergnügen ist es natürlich, dem pensionierten Brenner zu folgen, wie er sich wieder mal ungewollt einen Fall eintritt, der eigentlich kein Fall ist oder der sich zumindest nicht auf klassische Weise lösen lässt. Irgendwie bin ich erst ab der Hälfte so richtig reingekommen, aber das ist ja bei Krimis oft so, dass es erst dann interessant wird, wenn der Fall so weit aufgebaut ist, dass sich die ersten interessanten Wendungen ergeben. Die zweite Hälfte hält jedenfalls ausreichend Überraschungen bereit, dass man sich gut unterhalten fühlen darf. Mehr ist es halt dann aber auch nicht.

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Roman

Milan Kundera – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Es ist unmöglich zu überprüfen, welche Entscheidung die richtige ist, weil es keine Vergleiche gibt. Man erlebt alles unmittelbar, zum ersten Mal und ohne Vorbereitung. Wie ein Schauspieler, der auf die Bühne kommt, ohne vorher je geprobt zu haben. Was aber kann das Leben wert sein, wenn die erste Probe für das Leben schon das Leben selber ist?

Vor Jahren hatte ich dieses Buch schon einmal gelesen, meine Freundin D. war damals total begeistert davon. Ich erinnere mich noch, dass ich der Geschichte nicht viel abgewinnen konnte, an Näheres erinnere ich mich erwartungsgemäß nicht, dies lag natürlich lange vor dem Beginn meiner Lesenotizen. Heute stelle ich mir vor, dass ich damals die vielen unterschiedlichen Schichten, die dieses Buch untersucht und freilegt, nicht verstehen konnte. Speziell der politische Teil, die Frage nach der Freiheit, dass war mir als junger Mensch bestimmt zu weit weg, um es verstehen zu können. Nun hat mir der liebe Z. dieses Buch zukommen lassen, da er seine eigenen Bestände ausgemistet hat. Eine gute Gelegenheit für eine Neubetrachtung ca. 15 Jahre später.

Wir alle halten es für undenkbar, dass die Liebe unseres Lebens etwas Leichtes, etwas Gewichtloses sein könnte; wir stellen uns vor, dass unsere Liebe ist, was sie sein muss, dass ohne sie unser Leben nicht unser Leben wäre.

Der erste Teil beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Teresa und Tomas. Obwohl von Anfang an klar ist, dass Tomas nebenbei mit anderen Frauen schläft und Teresa darunter leidet, wachsen die beiden zusammen. Tiefenpsychologische Betrachtungen über Teresas Kindheit und das Verhältnis zur Mutter sowie Tomas Beziehung zur Fotografin Sabina erlauben einen Einblick, wie die Beziehung funktioniert (oder manchmal auch nicht funktioniert). Teresas Mutter wird als schamlose Bauersfrau dargestellt und für Teresas gestörtes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper verantwortlich gemacht. Teresa selbst wiederum macht ihren Körper für Tomas Seitensprünge verantwortlich. Ihre Argumentation: Wäre ihr Körper gut genug, bräuchte Tomas keine anderen Frauen. Ihre Alpträume beschreiben diesen inneren Konflikt aus einem weiteren Blickwinkel.

Teresa hatte vor kurzer Zeit erst festgestellt, dass es nicht unangenehm war, von Karenin am neuen Tag begrüßt zu werden. Für ihn war das Aufwachen ein Moment vollkommenen Glücks: naiv und töricht wunderte er sich, wieder auf der Welt zu sein und freute sich aufrichtig.

Mit den späteren Kapiteln habe ich mir zunehmend schwerer getan. Ein dünner Handlungsfaden verbindet Sabina mit Franz. Franz hält sich für einen Gelehrten und beteiligt sich an einem Protestmarsch. Anhand der Intellektuellen, Fotografen, Filmstars wird der (Nicht-)Unterschied zwischen kommunistischem und amerikanischem Kitsch erläutert.

Dieses Lied rührt Sabina, doch nimmt sie ihre eigene Rührung nicht ernst. Sie weiß nur zu gut, dass dieses Lied eine schöne Lüge ist. Und in dem Moment, da der Kitsch als Lüge entlarvt wird, gerät er in den Kontext des Nicht-Kitsches. Er verliert seine autoritäre Macht und ist rührend wie jede andere menschliche Schwäche.

Immer wieder bereitet Kundera scheine scharfsinnigen Schlussfolgerungen über die Natur des Menschen und seine widersprüchlichen Gefühle mit ausgefeilten Gleichnissen vor. Oft kommt dann eine Pointe um die Ecke, mit der absolut nicht zu rechnen war. Es ist geschickt geschrieben und gerade beim Lesen der ersten Kapitel hat es mich mitgerissen, wie Teresa und Tomas nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander sein können. Doch letztlich ist diese Beziehung eine Anhäufung von Unverständnis und unbefriedigten Bedürfnissen. Sind langfristige Beziehungen zum Scheitern verurteilt? Franz trennt sich von seiner Frau Marie-Claude. Sabine trennt sich von Franz. Teresa und Tomas trennen sich nicht und trotzdem ist ihre Beziehung über lange Jahre immer wieder gescheitert. Der versöhnliche Schlussmoment kann auch als Kitsch verstanden werden.

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Klassiker Roman

Jaroslav Hasek – Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk

Kirche Russland (c) Yarik Mishin/SXC

Die Hauptsache is, den Moment abpassen, wenn so ein hoher Herr vorübergeht. Wie zum Beispiel, wenn Sie sich noch an den Herrn Lucheni erinnern, der, was unsre selige Elisabeth mit der Feile erstochen hat. Er is mit ihr spazierengegangen. Dann traun Sie noch jemandem. Seit der Zeit geht keine Kaiserin mehr spazieren.

Ich bezweifle mal stark, dass es mir gelingt, über den Schwejk etwas zu schreiben, was nicht schon mal geschrieben wurde. Der tapfere Soldat, der vom Arzt zwar für „blöd“ aber trotzdem kriegstauglich erklärt wird, erzählt abwechselnd Geschichten und bringt sich selbst in welche. Damit bringt er nicht nur seine Vorgesetzten bei der Armee regelmäßig in Rage. Besonders leidgeplagt ist hier Oberleutnant Lukasch, dem Schwejk als „Putzfleck“ assistiert. Lukasch hat Schwejk im Kartenspiel vom Feldkuraten gewonnen. Obwohl Schwejk dem Oberleutnant treuherzigste Dienste leistet, geht er auf der Reise nach Budweis verloren und landet schließlich im Arrest.

Der Wachtmeister blickte Schwejk freundlich an, der ruhig und würdig sagte: „Und ich geh doch nach Budweis.“ Das war mehr als Galileis: „Und sie bewegt sich doch!“ Denn dieser muss dies offenbar sehr zornig gesagt haben.

So mancher originelle Geselle findet sich in dieser österreichischen Armee. Im Arrest lernt Schwejk den Einjährigfreiwilligen Marek kennen, der uns im letzten Buch als Geschichtsschreiber wieder begegnet, wo er epische Siegesgeschichten für alle Offiziersassistenten sowie deren Vorgesetzte entwirft. Ständig leidend ist der gefräßige Baloun, der seinem Offizier Teile der Menage entwendet und doch niemals satt wird. Sein natürlicher Gegenspieler ist damit der Koch Juradja, der Baloun ständig im Blick behalten muss, will er selbst die Verteilung der knappen Fleischstücke befehligen.

Er blickte dabei so sehnsüchtig auf die beiden Rucksäcke seines Oberleutnants wie ein von allen verlassenes Hündchen, das hungrig ist wie ein Wolf, vor der Tür eines Selcherladens sitzt und den Geruch kochenden Selchfleischs spürt.

Schwejks Kompanie erreicht die Front nie. Da Schwejk sogar aus der österreichischen Kriegsgefangenschaft (!) sogar mit nicht mal einem blauen Auge davonkommt, kann er sich leicht einen Weltkrieg herbeiwünschen.

„Das möcht nicht mal dafür stehn, Krieg zu führen“, sagte Schwejk nachdrücklich. „Wenn schon Krieg, so solls ein ordentlicher Krieg sein. Ich wer entschieden nicht früher von Frieden reden, solang wir nicht in Moskau und in Petersburg sind. Das steht doch nicht dafür, wenns schon einen Weltkrieg gibt, nur hinter den Grenzen herumzustänkern. …“

Es soll nicht verschwiegen werden, dass ich da jetzt doch relativ lange gebraucht hab, weil Schwejks ewige Geschichtenerzählerei letztendlich auch den Leser bei längerem Genuss mal nervt. Ich erinnere mich auch dunkel an eine Schultheateraufführung, als Lektüre ist es für jüngere Menschen keinesfalls geeignet. Als kleine Häppchen genossen können Schwejks Abenteuer jedoch zwischendurch durchaus erfreuen. Und es hinterlässt natürlich das zufriedenstellende Gefühl, ein Kulturgut genossen zu haben.

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Klassiker Roman

Nikolaj Gogol – Die toten Seelen

Verschiebebahnhof Wien made with CAM+

Überall kreuzt die strahlende Freude lustig all die Leiden, aus denen sich unser Leben zusammenflicht, so wie manchmal eine glänzende Equipage mit goldenem Geschirr, bildschönen Pferden und blitzendem Fensterglas plötzlich unerwartet an einem entlegenen armen Dörfchen vorüberjagt, das nichts kennt außer dem Bauernwagen: lange noch stehen die Bauern mit offenen Mündern da, die Mützen in den Händen, obwohl die wunderbare Equipage längst davongefahren und den Blicken entschwunden ist.

Ein russischer Klassiker. Meine Begegnung mit Anna Karenina ist schon ein paar Jahre her und fand auch unter denkbar ungünstigen Bedingungen statt (aber immerhin weiß ich jetzt, dass ich zwei Wochen herumliegen an einem Strand nichtmal mit Anna Karenina ertrage), aber der Gogol kann da so ganz und gar nicht mithalten. Epische Breite haben sie durchaus gemeinsam und wenn man nach dem Punkt sucht, muss man ganz schön lange suchen.

„Was heißt hier Unschuld! Ich habe sie solche Dinge reden hören, dass ich es, ehrlich gesagt, nicht einmal über mich bringe, sie zu wiederholen.“

Ganz am Ende, wenn man den Punkt gefunden hat, dann ist es natürlich eine klare Kritik am Kapitalismus und am Streben nach Reichtum, der „Held“ Tschitschikow muss erkennen, dass all sein eisernes Sparen, seine dunklen Machenschaften ihm nicht das erhoffte Ergebnis bringen. In epischer Breite beschreibt Gogol auch die herrschende Korruption im russischen Beamtenstaat, man kann bloß den Kopf schütteln, wenn man sich die Beamtenschaft an ihren Schreibtischen vorstellt, wie sie auf das Flattern von Geldscheinen lauschen.

Wie aus einem Rausch erwachten sie und sahen voller Entsetzen, was sie angerichtet hatten. Der Staatsrat ergab sich nach russischer Gewohnheit aus Verzweiflung dem Trunk, der Kollegienrat aber ließ sich nicht unterkriegen.