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English Memoir Sachbuch

Anna Sale – Let’s Talk About Hard Things

CN dieses Buch: Tod, Krankheit, sexuelle Handlungen
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Die letzten Wochen hatte der Wahnsinn wieder mal ziemliche Saison. Mein Lebensrhythmus wurde mehrere Wochen am Stück völlig durcheinander gewirbelt. Wieder mal hätte ich woanders sein sollen und musste kurzfristig umplanen. Diesmal hatte ich selbst Covid. Milder Verlauf, freitesten nach 5 Tagen Absonderung. Diskussion mit der Stornoversicherung noch im Gange. Gleichzeitig scheint in diesen Wochen der Rest des Winters vergangen zu sein. Endlich beginnt der Frühling, auf den ich schon so lange warte.

Obwohl ich nicht schlimm krank war, konnte ich die Absonderung praktisch für gar nichts nützen. Halbherzige Versuche, in der Wohnung Dinge zu erledigen, die kaum zu irgendwas führten. Wie im ersten Lockdown. Plötzlich unendlich Zeit im eigenen Zuhause und trotzdem irgendwie wie gelähmt. Als die Absonderung dann vorbei war, folgten noch einige Tage bleierne Müdigkeit. Für immer mit dieser Zeit verbunden: die TV-Mini-Serien Little Fires Everywhere (gelesen vor etwas mehr als einem Jahr, TV-Umsetzung ausgezeichnet) und Nine Perfect Strangers (gelesen letzten Sommer, TV-Umsetzung in Ordnung).


Den Podcast Death, Sex & Money bekam ich vor einigen Jahren empfohlen und verfolge ihn seitdem kontinuierlich. Jetzt hat Podcast-Host Anna Sale ein Buch geschrieben und da ich mir vorstellen kann, dieses Buch auch anderen Personen weiter zu reichen, habe ich das Hardcover bestellt.

Wie der Podcast dreht sich auch das Buch um existentielle Themen: wie leben wir unser Leben, wie treffen wir Entscheidungen, wie verhandeln wir unterschiedliche Wünsche und Ziele mit den Menschen, mit denen wir unser Leben teilen? Die im Titel angedeuteten schwierigen Konversationen drehen sich neben den auch im Titel des Podcasts bereits aufgezählten Themen zusätzlich um Familie und Identität. Gerade beim Thema Identität reflektiert sie intensiv über ihre eigenen Privilegien, die ihr eine bestimmte Weltsicht nahelegen. Es geht dabei darum, dass etwa Menschen, die von sich selbst behaupten, sie würden keine Hautfarben sehen, damit gleichzeitig negieren, dass es überhaupt Unterschiede gibt. Sie leugnen dadurch, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft unterschiedlich behandelt werden. Der folgende Absatz erläutert kurz diese Dissonanz zwischen dem eigenen Selbstbild und dem, wie Menschen von der Gesellschaft wahrgenommen werden:

For people who are used to fitting in – like, say, a straight, white, financially stable, married mom, albeit one from West Virginia – how you identify and how you are identified can feel one and the same. That is, you are missing a dimension of consciousness, so that when you do feel yourself profiled or categorized or summed up in a way that doesn’t feel authentic to your own self-concept, it feels wrong and unfamiliar. What it really is, though, is a way the world works that you haven’t been forced to notice.

Eine interessante Wiederbegegnung gab es für mich auch mit dem Konzept „radical acceptance“. Dabei geht es eben nicht darum, alles einfach mit uns geschehen zu lassen, sondern zu erkennen, dass wir manche Situationen einfach nicht ändern können. Anstatt sich am Ärger oder der Frustration über diese Situation festzuklammern, können wir diese Gefühle stattdessen loslassen und uns praktisch mit der Situation auseinandersetzen.

The radical part of radical acceptance is key, because it’s not just acceptance. Danielle is not telling studends to just concede or surrender. Instead, it’s learning to say, Even if I don’t like this, or I think it is unjust, I have to deal with this reality.

Zum Abschluss des Buchs relativiert die Autorin die Bedeutung von Gesprächen über schwierige Themen und gibt ihnen gleichzeitig eine klare Aufgabe. Gespräche allein lösen noch keine Probleme. Sie können zu mehr Verständnis und Verbindung zwischen den Menschen führen, sie können Klarheit schaffen. Durch Gespräche können wir versuchen, einander näher zu kommen und die essentiellen Gefühle des Lebens mit anderen Menschen aufzuarbeiten. Diese Gefühle gehen durch die Gespräche vielleicht nicht weg. Aber Gefühle auszusprechen, ihnen einen Namen zu geben und sie zuzulassen kann ein erster Schritt zum Frieden mit diesen Gefühlen sein.

But let me remind you that you are not starting a hard conversation to immediately resolve the intractable. Hard conversations offer you solace and pull you out of isolation. They let you voice truths you’d only half known, and listen to stories that you’d otherwise miss. They deepen connection and understanding. But they do not fix hard things. […] Rather, the goal is to try. When you start the conversation, you are taking responsibility to create more clarity than there was before. Healing and resolution may follow, but they only happen well after initial words have been aired and heard.

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English Roman

Cormac McCarthy – The Road

CN dieses Buch: Gewalt, Sterben, Tod, Mord
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Even now some part of him wished they’d never found this refuge. Some part of him always wished it to be over.

Von den Dystopien hab ich jetzt echt mal genug. In diesem Buch sind ein namenloser Mann und sein namenloser Sohn auf einer Straße unterwegs in den Süden. Eine Apokalypse unbekannter Quelle scheint das Land heimgesucht zu haben, nur wenige Menschen sind unterwegs, Lebensmittel sind knapp und schwer zu finden. Im Süden erhoffen sich die beiden Reisenden eigentlich nur wärmeres Wetter. Im Norden wird ihnen die Kälte das Leben bald unmöglich machen.

Ich musste das Buch zwischenzeitlich pausieren und dann in Sprints fertig lesen, weil ich mich nicht erinnern kann, jemals ein Buch so voller Verzweiflung und Resignation gelesen zu haben. Jeder einzelne Tag, jede einzelne Stunde, jeder einzelne Handgriff scheint für die beiden Reisenden eine einzige Qual zu sein. Wie aus obigem Zitat zu entnehmen ist, ist selbst das Entdecken eines Luftschutzkellers mit Massen an Vorräten kein wirklicher Grund zur Freude. Das Ende hab ich mir die ganze Zeit nicht vorstellen können. Und wusste dann auch nicht, was mir das Buch eigentlich sagen wollte.

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English Roman

Louise Erdrich – Future Home of the Living God

CN dieses Buch: Mord, Abtreibung, Totgeburt, Sucht
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The first thing that happens at the end of the world is that we don’t know what is happening.

Irgendwie sind die Bücher gerade zu kurz. Gerade, als ich mich endlich halbwegs mit dieser seltsamen Welt vertraut gemacht hatte, war die Geschichte schon wieder zu Ende. Und was für ein Ende auch noch …

Louise Erdrich beschreibt eine nordamerikanische Gesellschaft, die von einer Art umgekehrter Evolution bedroht ist. Was genau passiert, wird immer nur angedeutet. Diese Andeutungen gehen in die Richtung, dass neu geborene Kinder einen evolutionären Rückschritt aufweisen. Die Protagonist:innen bekommen Maßnahmen mit, die von der Regierung verordnet werden, wozu unter anderem gehört, dass jede schwangere Frau in Gewahrsam genommen wird, um den Schwangerschafts- und Geburtsvorgang zu kontrollieren. Diese Zwangsmaßnahmen werden zunehmend verstärkt.

In dieser Welt ist die Protagonistin Cedar unerwartet schwanger und will ihr Baby unter allen Umständen beschützen. Als Nebenstrang der Geschichte werden Stück für Stück die komplizierten Familienverhältnisse der adoptierten Cedar enthüllt. Ihre Abstammung von den nativen Ojibwe ist dabei ein entscheidender Faktor. Der Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter wird zum Stressfaktor für die Beziehung zu ihrer Adoptivmutter.

Es wird somit das Thema Mutterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Was bedeutet Mutterschaft für die Entwicklung unserer Gesellschaft, was passiert mit der Welt, wenn das empfindliche Gleichgewicht der menschlichen Fortpflanzung aus der Balance gerät? Wozu sind Menschen fähig, wenn sie denken, nur ihr Weg könnte die Menschen und die Welt retten? Wozu sind (werdende) Mütter bereit, um ihr (ungeborenes) Kind zu schützen?

Es ist eine Dystopie, die in ihrem Fokus auf Schwangerschaft und Mutterschaft und dem autoritären Umgang mit einer aus den Fugen geratenen Welt an The Handmaid’s Tale erinnert. Dazu trägt auch die Erzählung in Form eines Tagebuchs bei, das Cedar an ihr ungeborenes Kind schreibt. Ein Buch, das viele Fragen offen lässt. Kein Buch für dunkle Tage. Und ganz sicher kein Buch für Menschen, die selbst ein Kind erwarten.

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English Roman

Ragnar Jonasson – The Girl Who Died

CN dieses Buch: Mord, Selbstmord, Tod, Depression
CN dieser Post: Tod


But the only option was to confront her fears, confront these horrible nightmares, by going downstairs to the dining room and reassuring herself once and for all that there was nobody there.

Woher dieses Buch auf meine Liste kam, weiß ich absolut nicht mehr. Erzählt wird auf zwei Ebenen, die sich am Ende zusammenfügen. Die mit ihrem Leben in Reykjavik unzufriedene Una bewirbt sich für einen Lehrauftrag „am Ende der Welt“ – einen winzigen Fischerdorf an der Küste. Erst vor Ort erfährt sie, dass sie nur zwei Schülerinnen zu unterrichten haben wird.

Von den Einheimischen, die eine eingeschworene Gemeinschaft bilden, wird sie unterschiedlich aufgenommen. Auf Umwegen erfährt sie schließlich, dass in ihrer Mansardenwohnung vor vielen Jahren ein Kind gestorben ist, das als Geist herumspuken soll. Erst nach dieser Enthüllung machen einige nächtliche Erlebnisse für Una Sinn. Überschattet wird diese Geschichte jedoch durch den sehr realen Tod einer von Unas Schülerinnen während des Weihnachtskonzerts.

Der Schauplatz am Ende der Welt, die interessant gezeichneten Charaktere und das Zusammenfügen der beiden parallelen Geschichten gegen Ende sind die Pluspunkte dieses Romans. Irgendwie blieb bei mir am Ende dann aber doch eher ein bitterer Nachgeschmack.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Jan Grue – I Live a Life Like Yours

CN dieses Buch: Krankheit
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At some point or another I stopped thinking about myself as someone who needed repairing.

In diesem extrem persönlichen Memoir erzählt der Autor aus seinem Leben mit einer körperlichen Behinderung. In seiner Kindheit wurde er mit einer Art Myopathie diagnostiziert, eine progressive Erkrankung, die ihm kein normales Leben ermöglichen soll. Entgegen der Erwartungen der Ärzt:innen entwickelt er sich gut und wird von seinen Eltern in jeder Hinsicht gefördert. Die Teile, in denen er vom Kampf seiner Eltern mit dem Sozialamt um Unterstützungsleistungen berichtet, zeigen deutlich, dass selbst in einem reichen und fortschrittlichen Land wie Norwegen die Bürokratie oft über die Menschlichkeit siegt.

It required more hours of hard work, more effort, than I could have anticipated, but I continued banging my head against the wall until the wall finally gave way. On the inside was another wall. This is how labyrinths are built, after all.

Weiters erinnerte mich seine Beschreibung von den ausführlichen Planungen für eine Reise mit einem Rollstuhl daran, wie ich einmal am Berliner Hauptbahnhof etwa 20 Minuten eine Tür blockierte, damit der Zug nicht abfahren konnte, bis für die Dame im Elektrorollstuhl der (vorab bestellte) Rollstuhllift herangeschafft wurde. Sie hatte das sehr gelassen hingenommen. Obwohl sie ihre Reisepläne im Voraus bekannt geben müsse, passiere sowas häufig. Da ich ja selbst gerne möglichst detailliert plane, macht mich allein die Vorstellung, ich hätte alles im Voraus geplant und dann würden sich die Verkehrsbetriebe einfach nicht kümmern, ziemlich wütend.

We don’t notice it until we are made aware of it, but then shame enters the picture. Shame over not being like the others. The shame of standing out, the shame of being a nuisance.

Richtig schmerzhaft wird seine Geschichte, wenn er von den überraschten Gesichtern erzählt, die er erntet, wenn er von seinem Job, seiner Frau, seinem Kind spricht. Dass Menschen nicht mal in Betracht ziehen, dass er ein derart normales Leben führen könnte. Als Mensch, der aufgrund einer Muskelschwäche nur wenige Schritte gehen kann und daher einen Rollstuhl benötigt. Dass die Menschen automatisch davon ausgehen, sein Leben müsste durch seine Behinderung so eingeschränkt sein, dass ein Job und eine Familie außerhalb des Möglichen liegen.

But it’s good to say it, to say to yourself, I don’t have to do this, I don’t have to try to push in where there’s no way in, to try carving out a space where there is none.

Seine Reflexionen reichen vom Schamgefühl, anders zu sein, selbst eine Behinderung für andere Menschen darzustellen, Unterstützung zu brauchen, bis zur Erkenntnis, dass es sich nicht immer lohnt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Wenn du bereits als Kind lernst, dass deine Eltern ständig kämpfen müssen, um dir ein normales Leben zu ermöglichen, dann willst du dich auch selbst nicht einschränken lassen. Alles muss möglich gemacht werden. Bei manchen Hürden lohnt sich der Kampf aber einfach nicht. Letztendlich muss sich jede:r von uns selbst entscheiden, wofür wir kämpfen wollen. Manche müssen mehr kämpfen als andere.

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English Roman

Mary Adkins – When You Read This

CN dieses Buch: tödliche Krankheit (Krebs), Sterben, Alkoholismus, Sucht
CN dieser Post: tödliche Krankheit (Krebs), Sterben


I’m not sure I believe in regret. Everyone has regret, but that doesn’t mean the choices we made were mistakes, or that we even could have acted differently. It just means we look back and feel like we could have.

Kürzlich habe ich entdeckt, dass die OverDrive eLibrary auch randomisiert Bücher anzeigen kann. Da ich mich gerade mit keinem der verfügbaren Werke aus meiner Liste anfreunden konnte, zog ich diesen Joker und stieß dabei auf dieses Buch. Zuerst angesprochen haben mich natürlich das Cover und der Titel. Der Beschreibungstext tat dann das Übrige dazu.

Trotz der traurigen Grundprämisse – Protagonistin Iris erhält im Alter von 33 Jahren eine erschütternde Krebsdiagnose mit der Prognose weniger verbleibender Monate bis zu ihrem Tod – bespricht der Roman die daraus resultierenden Themen mit einer Leichtigkeit, die jedoch nicht ins Groteske abgleitet. Das alles wird in Form von E-Mails, Textnachrichten und Blog Posts erzählt, die zwischen den Hinterbliebenen (Iris’ Schwester Jade, Iris’ Mutter, Iris’ Boss Smith, Iris’ Partner Richie) und weiteren Personen (Smiths Hipster-Intern Carl, Smiths gegenwärtige oder prospektive Kundschaften) bzw. Unternehmen (Dating Website, Online Therapie) verschickt werden. Selten habe ich so gelacht über die E-Mail einer Pizza-Lieferung. Aus dem Kontext heraus sagt diese kurze E-Mail einfach viel mehr aus, als tatsächlich in den Wörtern steht.

We’ll be at your door in 45 minutes or less! Click here to track your pizza!

Menschen, die sich gerade selbst in einem Trauerprozess befinden, finden sich vielleicht zu sehr in einzelnen Situationen wieder. Je nach persönlicher Betroffenheit und Lebenssituation kann das hilfreich oder schmerzhaft sein. Das muss jede:r für sich selbst entscheiden.

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English Krimi

Louise Penny – A Trick of the Light

CN dieses Buch: Mord, Gewalt, Alkoholismus, Abhängigkeit
CN dieser Post: Mord


“But isn’t that more growth than change? Like harmonics, but the note remains the same.”
“Just a variation on a theme?” asked Myrna, interested. “Not really change?” She considered. “I think that’s often the case. Most people grow but they don’t become totally different people.”

In diesem Buch steckt sehr viel mehr drin als nur ein Kriminalfall. Viele tief gehende Fragen. Wie (sehr) können sich Menschen verändern? Bleiben wir dieselben, die wir immer waren, nur in anderen Variationen, erzeugt durch die Erlebnisse, die wir haben? (It’s the challenges we face, that make us who we are?)

You know that, and I know that. He even knows that. But what we know and what we feel can be two different things.

Claras große Ausstellung stellt auch ihre Beziehung zu ihrem Mann Peter in Frage. Als ob die Leiche in ihrem Garten nicht genug wäre, um ihren großen Tag zu verderben. Aber nicht nur Clara und Peter kämpfen mit ihren eigenen Dämonen. Auch die Beziehung zwischen Gamache und Beauvoir erhält Ecken und Kanten.

Gestern hab ich entdeckt, dass zwei Bände in der Overdrive eLibrary fehlen. Wie kann das eigentlich sein? Was ergibt das für einen Sinn, bitte? Mein Bedürfnis nach Vollständigkeit findet das inakzeptabel.

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English Roman

Marie Benedict – The Other Einstein

CN dieses Buch: –
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I had tried my hardest to become his ideal, no matter the toll it took on my studies.

Dieser Roman ist eine fiktionalisierte Erzählung über das Leben von Mileva Marić. Sie war die erste Serbin und eine der ersten Frauen, die ein Mathematik- und Physikstudium absolvierte. Am Polytechnikum in Zürich lernte sie Albert Einstein kennen und wurde später seine erste Ehefrau. Das Buch hält sich in vielen Details an die Fakten, die auch im Wikipedia-Artikel zu Mileva Marić nachzulesen sind. Es erzählt aus der Perspektive von Mileva selbst, die als eine der ersten Frauen in einer Männer-Domäne um Respekt kämpft, jedoch von den Realitäten der damaligen Gesellschaft immer wieder eingeholt wird.

Die Autorin betont in der Author’s Note: „the book is, first and foremost, fiction“. Und gerade deshalb hätte ich mir vielleicht eher eine alternative Version dieser Geschichte gewünscht, in der Mileva sich aus den Fesseln der Gesellschaft befreit und einen anderen Weg einschlägt.

Die von ihrem Vater zu einer selbständigen und willensstarken Frau erzogene Mileva lässt sich von Albert Einstein und seinen progressiven Fantasien vom gemeinsamen Bohème-Leben (hier mit einem Fokus auf die Fortschrittlichkeit der Partnerschaft) schließlich zur Überschreitung der gesellschaftlichen Grenzen verführen und wird prompt mit einer ungewollten Schwangerschaft gestraft. Der Kindsvater lässt sie im Stich. („But Albert never came.“) Nicht nur in Bezug auf die Schwangerschaft, sondern in weiterer Folge auch indem er selbst die Lorbeeren für ihre Leistungen einstreift und ihre Beiträge zu seinen Theorien marginalisiert („What does it matter, Dollie? Aren’t we Ein Stein? One stone?“). Die stolze Mileva will einen anderen Weg für sich und ihr Kind suchen, doch die Mutter besteht darauf, dass Mileva alles tun muss, um die Heirat mit dem abwesenden Albert zu ermöglichen. Selbst wenn sie dafür ihr eigenes Kind zurücklassen muss („Listen to me, Mitza. Do you remember our conversation about making a proper family for Lieserl?“).

Besonders bitter erscheint ein fiktives Gespräch, dass Mileva mit der erfolgreichen Physikerin Marie Curie führt. Diese führt aus, wie ihr Ehemann Pierre Curie ihre Forschung förderte und sie auch in den damals üblichen Männerclubs stets verteidigte und unterstützte. Genau das, was sich Mileva von ihrem eigenen Partner gewünscht hätte und das Gegenteil von dem, was sie bekommen hat.

Mir war der Name Mileva Marić nicht völlig unbekannt, weil im Rahmen einer Veranstaltung, an deren Organisation ich beteiligt war, alle Räume nach bekannten Frauen in der Wissenschaft benannt wurden (das vollständige PDF der Raumbeschilderung ist im Wiki unter Design zu finden). Daher hatte ich mich gefreut, ein Buch über ihr Leben zu finden, fiktionalisiert oder nicht. Vermutlich war es mir in Wirklichkeit zu nahe an der Realität, mit der Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts konfrontiert waren.

Raumschild SE 125 Mileva Marić
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English Roman

Benjamin Alire Sáenz – Aristotle and Dante Dive into the Waters of the World

CN dieses Buch: tödliche Krankheit (AIDS), Rassismus, Tod
CN dieser Post: tödliche Krankheit (AIDS)


Love was a torch you carried to lead you out of darkness. Love took you out of exile and carried you to a country called Belonging.

Der erste Teil erzählte, wie sich Aristotle und Dante kennenlernen. In diesem zweiten Teil müssen sie lernen, dass ihre Geschichte gerade erst begonnen hat und dass zwischen dem Glück und der Liebe auch so mancher spitze Stein den Weg verstellt. Dass es unterschiedliche Wege gibt, Liebe zu leben und auszudrücken. Dass manchmal das Loslassen der eigentliche Ausdruck der Liebe ist.

Das Buch ist vollgepackt mit feministischer und anti-rassistischer Kritik, die für die Zeit der Handlung (Ende der 1980er) oft zu fortschrittlich wirkt. Die AIDS-Epidemie in Amerika wird ebenso thematisiert, wie die rassistischen Vorurteile gegenüber Amerikaner:innen mexikanischer Abstammung in der texanischen Grenzstadt El Paso.

Randnotiz: Auf Lithub lese ich immer wieder von Personen oder Organisationen (speziell in den USA, gibt es aber sicher auch in anderen Nationen), die Bücher, die ihnen nicht passen, aus Schulen oder Bibliotheken verbannen wollen. Aktuelles Beispiel: A Mississippi mayor is withholding $110,000 from libraries until they ban ‘homosexual materials.’ Da ich annehme, dass es auch bei dieser queeren Coming-of-Age-Story Menschen gibt, die sowas aus der Welt verbannen wollen, möchte ich an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass es wichtig ist, dass sich Jugendliche in ihrer eigenen Identität repräsentiert fühlen können. Das sollte eigentlich eh klar sein, aber ist es wohl immer noch nicht: Keine Person ändert ihre sexuelle Identität wegen eines Buchs. Was solche Geschichten jedoch machen können, ist, zu zeigen, dass wir mit unseren Eigenheiten nicht allein sind. Dass wir nicht schlecht sind, wenn wir nicht dem entsprechen, was üblich ist. Dass diese oder jene Eigenheit nur ein Teil von uns ist, der nicht unsere Persönlichkeit definiert. Im folgenden Zitat habe ich eine wichtige Erleuchtung in meiner fortdauernden Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit der Norm(-alität) gefunden:

It’s not weird. I suppose it’s unusual in that something like that doesn’t happen very often.

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English Sachbuch

Helen Scales – The Brilliant Abyss

CN dieses Buch: –
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Dieses Buch ist mir versehentlich unter gekommen. Auf meine Liste hatte ich tatsächlich ein anderes zum selben Thema geschrieben (Below the Edge of Darkness: A Memoir of Exploring Light and Life in the Deep Sea) und als ich dieses Buch dann in der Liste der Neuerscheinungen in der OverDrive Library sah, kam es zu einer folgenschweren Verwechslung. Wobei die Folge wohl eher sein dürfte, dass ich beide Bücher lesen werde, weil das Thema einfach sehr interessant ist.

Helen Scales beschäftigt sich in diesem Sachbuch mit den Tiefen des Ozeans. Der tief gelegene Meeresgrund wird als letzte Wildnis auf unserem Planeten beschrieben (the last frontier), als von Menschen weitgehend unberührte Natur, in der sich Lebewesen tummeln, wie wir sie uns kaum vorstellen können. Manche von uns haben vielleicht ein Bild von einem Tiefsee-Anglerfisch im Kopf. Viele andere Lebewesen in der Tiefsee sind jedoch viel kleiner und weniger bedrohlich, aber deshalb nicht weniger interessant. Das Buch erzählt von knochenfressenden Bakterien, die auf Walkarkassen leben, biolumeniszenten Mikroorganismen, die bei Nacht aus der Twilight-Zone an die Oberfläche schwimmen, um sich zu ernähren; von Quallen und anderen Arten, die aufgrund ihrer körperlichen Fragilität schwierig zu fangen und zu studieren sind und von den Gefahren, die diesen Ökosystemen drohen.

After specimens have been brought up from the deep, microbiologists take mashed extracts and test them to see whether they might halt cancers or neurodegenerative diseases, or to see if they kill specific pathogens, such as those that cause malaria and tuberculosis.

Besonders interessant fand ich auch das Kapitel, das sich mit der Nutzung von Tiefseeorganismen in der medizinischen Forschung beschäftigt. Neu entdeckte Arten werden im Labor daraufhin getestet, ob ihre genetischen Codes gegen bekannte Krankheiten wirksam sein könnten.

‘The MSC doesn’t certify sustainable fisheries, it certifies managed fisheries.’ The two, as Le Manach points out, are not necessarily the same. […] Nothing prevents a fishery from picking a certifier that has a good track record in giving favourable outcomes, which creates an incentive for certifying agencies to leniently interpret the MSC’s standards. The certifier gets paid; the fishery gets its eco-label.

Informativ fand ich auch die detaillierten Einblicke in die Organisationen, die sich mit dem Schutz und der Regulierung des Meeres befassen. Noch nie gehört hatte ich etwa von der International Seabed Authority. Das MSC-Siegel (Marine Stewardship Council) wiederum kenne ich von den gefrorenen Fischprodukten im Supermarkt, habe mich aber noch nicht im Detail damit beschäftigt, was dieses eigentlich konkret aussagt. Die Autorin hat diesbezüglich mit Expert:innen gesprochen und unterschiedliche Perspektiven beleuchtet. Die Problematik dabei ist, dass ein Gütesiegel nur so gut sein kann, wie die Standards, nach denen es vergeben wird. Wenn diese Standards bei der Zertifizierung dann noch lasch interpretiert werden, dann bleibt von dem gut gemeinten Hintergrundgedanken in der Praxis nicht mehr viel übrig. Gütesiegel können daher eigentlich nur das Gewissen beruhigen, entbinden uns aber nicht von der Verantwortung, uns selbst darüber zu informieren, welche Arten von Überfischung betroffen oder bedroht sind.

Leider musste ich beim Lesen dieses Buchs feststellen, dass die Libby-App bei einem Sachbuch dieser Art an ihre Grenzen stößt.

  • Der Inhalt verweist auf Fußnoten und Quellen, beides ist mit Hochzahlen markiert, somit kann die Leserin nicht unterscheiden, ob die aktuelle Zahl nun auf eine Fußnote oder auf eine Quelle verlinkt.
  • Die Zahlen verlinken auf die jeweiligen Seiten mit der Zusatzinformation, jedoch sind sie teilweise unfassbar schwer zu treffen. Selbst in der größten Schrifteinstellung brauchte ich manchmal mehrere Versuche, bis ich die Zahl so antippen konnte, dass auch tatsächlich der erwünschte Effekt eintritt.
  • Das Buch beinhaltet auch Abbildungen von Tiefseetieren, darauf bin ich jedoch nur aus Zufall gestoßen. Auf die Abbildungen wird nicht verwiesen und auch nicht verlinkt, sie sind allesamt am Ende des Buchs nach den Quellen versammelt und gehen somit komplett unter.

Bei Romanen sehe ich eigentlich schon lange keinen Grund mehr, diese auf Papier zu lesen. Bei Sachbüchern schaut die Lage aus unter anderem den oben genannten Gründen dann doch noch anders aus.