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English Roman

David Levithan – Someday

What I’m learning is that the heart has the capacity to love so many people. I used to think I had to give that capacity to just one person, and never hold back any love for myself. But how wrong I was.

Nach Every day und Another day, in dem der Autor die Geschichte des Kennenlernens von Rhiannon und A aus beider Perspektive beschreibt, folgt mit Someday eine Fortsetzung, die überraschenderweise noch mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet.

Am Ende der beiden vorhergehenden Bücher hat A sich entschlossen, den Kontakt zu Rhiannon abzubrechen. Natürlich können sie einander nicht vergessen und nehmen schließlich den Kontakt wieder auf. Beide erkennen, dass ihre Beziehung zu Beginn darunter gelitten hat, dass sie sich nicht in gewöhnliche Beziehungskonzepte pressen lässt. Wenn die bekannten Beziehungsmuster nicht zu passen scheinen, kann eine Beziehung nicht erfolgreich sein, das denken sowohl A als auch Rhiannon. In diesem Buch definieren Rhiannon und A ihre Beziehung neu: Sie muss nicht exklusiv sein. Sie muss nicht den gängigen Vorstellungen einer lebenslangen Beziehung entsprechen. Sie muss nicht einer klassischen Beziehungsentwicklungslinie (mir fällt leider wirklich keine bessere deutsche Version für relationship escalator ein) folgen. All diese Ansprüche haben eine Beziehung zuvor verhindert. In dieser Fortsetzung konzentrieren sich beide darauf, was sie einander geben können, was sie zusammen haben können und daraus entsteht etwas völlig Neues. Das Sprengen von gesellschaftlichen Vorstellungen und Rahmenbedingungen und Schaffen von Räumen für eigene Ideen abseits der gängigen Normalitätsfolien schafft Möglichkeiten, die zuvor undenkbar waren. Diese ermutigenden Botschaften zwischen den Zeilen sind eine der besonderen Leistungen des Autors.

But if it becomes normal for us – that’s good. That’s all we can ask for.

Zumindest so spannend wie der Beziehungsaspekt war für mich die Tatsache, dass nun auch andere Personen wie A zu Wort kommen. Dadurch wird die Perspektive auf die Frage, was eine Person ausmacht, erneut erweitert. Die körperwandernden Personen beschreiben ähnliche aber zugleich vollkommen unterschiedliche Erfahrungen. Worauf es ankommt, ist wie die Person mit einer Situation umgeht. Täglich treffen wir Entscheidungen, die sich nicht nur auf uns selbst, sondern auch auf andere Personen auswirken. Ob wir dabei hauptsächlich auf unseren eigenen Vorteil schauen oder auf das Wohl anderer Menschen oder sogar auf das große Ganze – das macht in meinen Augen einen wesentlichen Aspekt der Persönlichkeit aus.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch kurz das Konzept Body neutrality erwähnen, das sich im weitesten Sinn auch im Text verorten lässt. Bei diesem Gegenkonzept zu Body positivity geht es nicht darum, den eigenen Körper um jeden Preis schön zu finden, sondern darum, dass es auf den Körper nicht so ankommt: der Mensch im Körper ist wichtiger als wie der Körper aussieht. Das Hadern mit dem eigenen Körper lässt sich im Allgemeinen nicht von einem Tag auf den anderen (und vielleicht überhaupt nie) vollständig ablegen. Aber der Gedanke, sich von der Doppelbelastung, den eigenen Körper perfektionieren und gleichzeitig den unperfekten Körper lieben zu müssen, verabschieden zu können, kann nicht oft genug geteilt werden.

But the whole point of love is to write your own version of normal.

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English Roman

Leni Zumas – The Listeners

Das Weglegen eines Buches ist mir ja ein vollkommen fremdes Konzept. Aber bei diesem hat es echt lange gebraucht, bis ich halbwegs ein Gefühl dafür bekommen hab. Bei 20% (auf dem Kindle gelesen) hatte ich immer noch das Gefühl, dass ich keine Ahnung habe, wer die Protagonistin ist und warum es ihr in ihrem Leben so geht, wie es ihr geht.

Wie sich später herausstellte, war das bis zu einem gewissen Grad Teil des Konzepts. Das Buch erzählt in großteils sehr kurzen Episoden (teilweise weniger als eine Kindle-Seite) in unterschiedlichen Zeitebenen die Beziehung zwischen Quinn, ihren Geschwistern, ihren Freunden, ihren Partnern, ihren Eltern. Prägendes Element ist der Tod ihrer Schwester, an dem sie sich schuldig fühlt und über den in der Familie nicht gesprochen wird. Während die anderen Erzählstränge großteils offen bleiben (wie es im Leben eben auch so oft ist), findet die Trauer um die verlorene Schwester in gewisser Weise ein Ventil. Das führt das Buch zu einem gewissermaßen versöhnlichen Ende, wobei jedoch der Leserin eigentlich klar ist, dass es für Quinn erst der Anfang ist. Der Anfang zu einem selbstbestimmten Leben.

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English Roman

David Levithan – Love Is the Higher Law

This, I think, is how people survive: Even when horrible things have been done to us, we can still find gratitude in one another.

Auch wenn ein Buch über die Auswirkungen von 9/11 auf den ersten Blick eher deprimierend ausfallen sollte, gelingt es dem Autor, die Perspektive auf positive Bereiche zu richten. Die negativen Auswirkungen wie der „Krieg gegen den Terror“ und die dafür notwendige Aufrüstung sind weithin bekannt. David Levithan hingegen lässt seine jugendlichen Protagonisten dorthin schauen, wo Menschen Trost finden und sich gegenseitig Trost spenden, unabhängig davon, wo sie herkommen, wo sie hingehen oder welche Hautfarbe sie haben. Er lässt sie zweifeln – aber nicht verzweifeln – an der Unberechenbarkeit des menschlichen Handelns und an der Ungewissheit des Lebens, die uns daran hindern könnte, überhaupt morgens aufzustehen, wäre unser Gehirn nicht in der Lage, auf aktuell anstehendes praktisches Handeln zu fokussieren. Auch im Angesicht des Undenkbaren geht das Leben weiter. Irgendwie.

We keep waiting for the next attack, and then we go and make the next attack. … Now I still want to know what I can do. It’s never enough, and it feels like nothing.

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English Roman

Adam Haslett – Imagine Me Gone

If you think of memory not just as looking back but as being aware of time and how it passes and what the passage of it feels like, then there is something about being in motion that does cause it.

Dieser Roman thematisiert psychische Krankheit und wie sie sich nicht nur auf die betroffene Person sondern auch auf die Angehörigen auswirkt am Beispiel einer Familie. Die Betroffenen sind hier zuerst der Vater und später der älteste Sohn. Die Mutter hat zuerst mit der Krankheit ihres Partners zu kämpfen, sie trägt die Last auf ihren Schultern, die Familie zusammenzuhalten und macht es sich zur Aufgabe, die Kinder vor der Realität der nicht näher bezeichneten Krankheit des Vaters zu beschützen. Die Kinder bekommen natürlich trotzdem mit, dass etwas nicht stimmt und suchen sich ihre eigenen Wege, um mit dem abwesenden Vater klarzukommen.

Während Celia und Alec ihren Weg finden, wird Michael im Erwachsenenalter selbst von Angstzuständen und Panikattacken gequält. Seine Familie wünscht sich einerseits, dass es ihm besser geht, findet aber andererseits keine Möglichkeit, ihn zu verstehen und tatsächlich zu unterstützen. Die medikamentöse Behandlung bringt immer nur kurze Phasen der Linderung, bis sich der Körper an das Medikament gewöhnt. Der verwirrte Geisteszustand und die verzerrte Wahrnehmung von Michael werden durch ein ausführliches Therapieprotokoll verdeutlicht.

Letztendlich versuchen alle drei Geschwister, in ihrem Leben etwas zu finden, das ihnen zurückgibt, was sie an ihrem Vater verloren haben. Die Geschichte findet auch hier einen Mittelweg, um zu illustrieren, dass enge Beziehungen einerseits essentiell für die geistige Gesundheit und das persönliche Wachstum sind, aber andererseits auch nicht als Heilmittel für psychische Krankheiten dienen können. Diese trocken formulierte Botschaft versteckt sich zwischen den Zeilen dieser anrührend, aber nicht kitschig verfassten Familiengeschichte.

Depending on the hour, the insight either maddens or clarifies, sending you into despair, or clearing your vision by releasing you from the bonds of hope.

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English Krimi Roman

Alan Bradley – The Sweetness at the Bottom of the Pie

Leider ist schon über eine Woche vergangen, seit ich dieses Buch zu Ende gelesen habe, aus Urlaubsgründen habe ich es bisher nicht geschafft, diesen Blog Post zu schreiben. Der Autor hat mit Flavia de Luce eine sehr starke Figur erschaffen: ein 11-jähriges Mädchen, das sich leidenschaftlich mit Chemie beschäftigt und dabei auch vor dem Lippenstift ihrer Schwester nicht Halt macht, voller Neugierde und ohne Furcht, Grenzen zu überschreiten. Als Flavia im Familiengarten der de Luces eine Leiche findet und kurz darauf ihr Vater deshalb verhaftet wird, versucht Flavia, selbst dem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Dabei stößt sie immer wieder auf den ermittelnden Inspektor, findet aber auch jede Menge Details, die selbst dem aufmerksamsten Ermittler entgehen können. Im Großen und Ganzen eine spannende Geschichte, wenn auch manche Passagen etwas gestrafft werden hätten können. Es handelt sich um eine Serie, es gäbe also noch einige weitere Flavia-Mysteries zu lesen, wobei ich noch nicht sicher bin, ob ich darauf zurückgreifen werde.

Es folgt ein Exkurs zum Thema Amazon Prime: Kürzlich wurde im Rahmen einer Runde die Frage in den Raum geworfen, „wer leistet sich denn nicht Amazon Prime?“. Meine Antwort machte mich umgehend zum Außenseiter. Darauf folgte die Frage, ob ich denn nicht so oft bestellen würde. Nur eine Woche später legte in einer anderen Runde eine Person eine Art Geständnis ab: „Ich lade keine Fotos zu Google hoch, ich bin nicht auf Facebook, aber eine Firma hat mich total im Griff: Amazon.“ Es folgte eine Diskussion über die Alternativlosigkeit von Amazon.

Mir geht es an dieser Stelle nicht darum, jemanden wegen seines Amazon Prime Accounts oder irgendeines anderen Konsumverhaltens zu verurteilen. Es gibt jede Menge Gründe dafür, warum Amazon so beliebt ist. Die am häufigsten genannten sind Kosten und Bequemlichkeit. Im direkten Preisvergleich sind Produkte bei Amazon meist billiger zu haben als im lokalen Geschäft oder bei anderen Versandhändlern. Die Auswahl ist so groß, dass es einfacher ist, alles bei Amazon zu bestellen, als Accounts bei verschiedenen Diensten zu pflegen. Mit Amazon Prime erfolgt die Lieferung oft schon einen Tag nach der Bestellung.

Es gibt allerdings auch jede Menge Gründe, warum Amazon problematisch ist. Ein paar davon möchte ich hier aufzählen:

  • Marktmacht: Amazon hat eine Marktmacht erreicht, mit der kleinere Unternehmen nicht mehr mithalten können. Das ermöglicht ihnen, die Preise weiter zu drücken und damit anderen Unternehmen die Existenzgrundlage zu entziehen.
  • Ausbeutung der Mitarbeiter: Wie oben bereits genannt, bietet Amazon im Vergleich oft den günstigsten Preis. Dies geht jedoch auf Kosten der Mitarbeiter. Eine Beschreibung der katastrophalen Arbeitsbedingungen in einem Amazon-Versandlager gibt es sogar als Buch. Extrem niedrige Kosten sind im Allgemeinen mit einer Ausbeutung der Produzierenden bzw. der Mitarbeiter verbunden.
  • Schädigung der lokalen Geschäfte: Geschäfte in kleinen und mittleren Städten brauchen eine kritische Masse an Kunden, um ihr Geschäft aufrechterhalten zu können. Große Konzerne können Schwankungen zwischen Standorten besser ausgleichen, lokale Einzelgeschäfte sind abhängig von ihren regelmäßigen Kunden. Langfristig wirkt sich dies auch auf das Stadtbild aus: Geschäftslokale stehen leer oder werden von Filialen großer Textilketten übernommen, das individuelle Flair der Stadtkerne geht verloren.
  • Umweltschäden durch Verpackung und Transport: Auch wenn Amazon hauptsächlich Kartonverpackungen verschickt, muss dieser Karton produziert und recyclet werden. Der Großteil der Amazon-Verpackungen wird einmal verwendet und anschließend entsorgt. Das erhöht auch die Kosten für die Müllabfuhr. Amazon-Pakete müssen ausgeliefert werden. Dies geschieht im Allgemeinen per Klein-LKW. Mehr Amazon-Lieferungen sorgen also auch für mehr Abgase und mehr Feinstaub.
  • Persönliche Daten: Amazon Prime verleitet dazu, mehr zu konsumieren. Je mehr der oder die Einzelne bei Amazon bestellt, umso mehr Daten kann Amazon sammeln und daraus Persönlichkeitsprofile erstellen. Diese Daten werden auf jeden Fall für personalisierte Werbung genutzt. Wofür Amazon sie noch nutzt, das wissen wir nicht. Wer hat die allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen? Ob Amazon diese Daten an Dritte verkauft, kann vom Einzelnen nicht nachgeprüft werden. Amazon besitzt alle eure persönlichen Daten inklusive eurer Wohnadresse und auch eurer Büroadresse, wenn ihr euch dorthin liefern lasst. Amazon weiß, wo ihr wohnt, arbeitet und wieviele Personen in welchem Alter in eurem Haushalt leben. Amazon kennt eure Vorlieben, eure Interessen und die Hobbies, die ihr wieder aufgegeben habt. Amazon hat aufgrund eures Konsumprofils ein exaktes Persönlichkeitsprofil von euch.

Das Wort Alternativlosigkeit ist bereits gefallen. Mir sind natürlich die meisten Anwendungsfälle nicht bekannt, es gibt jedoch IMMER Alternativen. Diese sind zumeist nicht so bequem, erfordern etwas mehr Aufwand und Recherche und oft dauert die Lieferung oder Abholung auch länger. Aber es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen und nach anderen Möglichkeiten zu suchen und den eigenen Horizont zu erweitern. Wer lokal zu Fuß in Geschäften einkauft, unterstützt nicht nur die lokale Wirtschaft (Arbeitsplätze!), sondern tut auch noch etwas für die eigene Gesundheit (Bewegung!) und die Umwelt (weniger Abgase!).

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English Fantasy Roman

James Dashner – The Maze Runner

Dieses Buch bzw. diese Serie steht schon seit Jahren auf meiner Liste, stammt vermutlich aus der Ecke problemsofabooknerd, wo es leider in letzter Zeit nicht viel Neues gibt. Die Overdrive eLibrary hat es nun möglich gemacht und ich habe das erste Buch an 4 Abenden durchgelesen.

Thomas wacht in einem dunklen Raum auf, sein Gedächtnis ist teilweise verschwunden, er kann sich an die prinzipielle Funktionsweise der Welt erinnern, aber an keine Personen im Detail. Er weiß noch, dass Kinder Eltern haben, hat aber keine Erinnerung an seine eigenen Eltern. Er landet in einer Art Festung, in der bereits etwa 60 andere Jungen leben. Die Festung ist umschlossen von einem Irrgarten, den die Jungen bereits seit 2 Jahren zu entschlüsseln versuchen. Bevölkert wird dieser von gefährlichen Kreaturen, die während des Tages zumeist verschwunden bleiben, des Nachts aber in großer Zahl auftreten. Die Türen der Festung schließen sich am Abend selbsttätig, wer draußen bleibt, steht dem sicheren Tod gegenüber.

Thomas bleibt keine Zeit, sich an das neue Leben zu gewöhnen, die Ereignisse überschlagen sich in rasendem Tempo. Am Tag nach seiner Ankunft landet ein Mädchen in ihrer Mitte, das das baldige Ende verkündet und Thomas vage bekannt vorkommt. Der Druck steigt, als die Türen sich nachts nicht mehr schließen und die Jugendlichen den gefährlichen Kreaturen schutzlos ausgeliefert sind. Das Rätsel des Irrgartens muss gelöst werden.

Das Ende des Buches erinnert vage an The Hunger Games. Dem drohenden Tod im Irrgarten sind Thomas, Teresa und einige andere entkommen, doch die Welt außerhalb ist ebenfalls aus den Fugen geraten. Damit geht es im zweiten Teil der Serie weiter. Es handelt sich um ein fesselndes Stück YA Literatur, das zeigt, wie Menschen in ausweglosen Situationen über sich hinauswachsen.

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English Roman

Stephen King – Under The Dome

Dieser monumentale Roman hat mich tatsächlich nicht so lange beschäftigt, wie ich ursprünglich befürchtet hatte. Das Wetter lädt dann doch eher zu langen Leseabenden im Bett ein und so absolvierte ich die zweite Hälfte dieses Wälzers an einigen Abenden innerhalb einer Woche.

Eine mysteriöse unsichtbare Barriere schneidet von einem Moment auf den anderen die Stadt Chesters Mill von ihrer Umgebung ab. Schon das Erscheinen des Domes sorgt für eine unüberschaubare Anzahl von Todesfällen. In den folgenden Tagen (die Gesamtzeit der Geschehnisse beschränkt sich auf weniger als eine Woche) spitzt sich die Situation in der Kleinstadt in rasendem Tempo zu. Ein Stadtverantwortlicher (hierzulande wohl mit einem Vizebürgermeister vergleichbar) entpuppt sich als Kopf eines Drogenkartells, der vor nichts zurückschreckt, um einerseits seine Machenschaften nicht auffliegen zu lassen und andererseits seine Macht über die Stadt nicht nur zu erhalten sondern auf diktatorische Ausmaße zu vergrößern. Dazu bedient er sich des manipulierbaren Polizeichefs und vergrößert die exekutiven Kräfte um wenig qualifizierte Jugendliche, die mit Gewalt und Einschüchterung die Stadtbewohner im Zaum halten sollen. Seine Gegner sind weniger zahlreich, aber sie verbünden sich und holen zum Gegenschlag aus. Das alles während sich die Versorgungssituation mit Lebensmitteln, Strom und anderen Gütern in der abgeschnittenen Stadt zunehmend verschlechtert.

Die Geschichte zeigt exexmplarisch, wie sich in einer vom Rechtsstaat abgeschnittenen Gesellschaft in kürzester Zeit diktatorische Prinzipien, der Ruf nach einem starken Mann und Lynchjustiz ausbreiten können. Mit dem Verweis auf die Notsituation wird die Aufhebung aller in der Verfassung garantierten Rechte und sogar der Menschenrechte legitimiert. Die geschilderte Situation ist natürlich extrem und unrealistisch, aber ein Katastrophenzustand kann in der Realität bereits durch einen lokal begrenzten Terroranschlag ausgelöst werden. Diese Mechanismen sind real, sie konnten in den vergangenen Jahrzehnten in mehreren Ländern beobachtet werden.

Das zentrale Element, das diesen Roman so schwer zu verdauen macht, ist die Ausweglosigkeit. Die unter dem Dome Eingeschlossenen haben keine Möglichkeit, die Situation zu verlassen. Sie müssen irgendwie mit der Situation klar kommen, so schlimm sie auch noch werden sollte, es gibt für sie buchstäblich keinen Ausweg. Diese Ausweglosigkeit, auch Hilflosigkeit, hat mich im ersten Drittel nach einer furchtbaren Szene das Buch für mehrere Tage weglegen lassen.

Kürzlich habe ich diesen Lithub-Artikel gelesen, in dem sich ein Autor mit den unterschiedlichen Niveauvorstellungen von Genreliteratur und „ernsthafter“ Literatur befasst. Er beschreibt seinen Versuch, sich vom Unterhaltungselement der Genreliteratur zu befreien und endet mit einem Plädoyer für Bücher, die die Leserin gleichzeitig unterhalten, aber ihr auch etwas zum Mitnehmen anbieten. Für mich ist Under The Dome ein hervorragendes Beispiel für solche Literatur. Allein schon die Umsetzung der Geschichte als TV-Serie zeigt deutlich, dass es sich um Unterhaltung handelt. Gleichzeitig macht sie aber auch den Leser aufmerksam, sie lädt ein, gesellschaftliche Veränderungen zu hinterfragen und Entwicklungen in Richtung eines Polizeistaats zu erkennen und diesen zu widersprechen. Die Geschichte zeigt auch einige Fehler auf, die man als Einzelner dabei machen kann: sich selbst überschätzen, Entscheidungen und Handlungen übereilen, sich allein dem Negativen stellen wollen. Erst in dem Moment, in dem sich „die Guten“ zusammenschließen und gemeinsam „dem Bösen“ entgegentreten, zeichnet sich eine mögliche Wende ab. Auch ein deutliches Plädoyer gegen den privaten Waffenbesitz lässt sich herauslesen. Alles in allem also Unterhaltung auf hohem Niveau und gleichzeitig ein gesellschaftspolitisches Statement.

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English Roman

James Salter – All That Is

He loved her for not only what she was but what she might be, the idea that she might be otherwise did not occur to him or did not matter. Why would it occur? When you love you see a future according to your dreams.

Ohne wirkliche Kaufabsicht spazierte ich zum Zeitvertreib am Flughafen Hamburg vor dem Rückflug in die Buchhandlung. Die Frauenromane, die Fantasyromane, nichts konnte mich interessieren, doch schließlich stand ich vor dem Regal mit englischsprachigen Büchern und damit war mein Interesse geweckt. Mitch Albom hat sich als im Original angenehmer zu lesen erwiesen, beim Stundenzähler hatte ich mich eher gelangweilt (obwohl es auch an der Geschichte gelegen haben mag). Außerdem hatte mich der Titel All That Is angesprungen. Er klingt deterministisch, endgültig, man möchte wissen, was denn nun alles ist. Endgültig zum Kauf überzeugt hatte mich dann die John Irving Review auf dem rückseitigen Cover.

Die Erwartungen wurden teilweise erfüllt. Die Hauptfigur Philip Bowman hat auf einem amerikanischen Kriegsschiff in der japanischen See gedient. Er kehrt zurück nach Amerika und versucht, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken, einen Job zu finden, zu heiraten. Seine erste Ehe erweist sich als Fehler, hier sieht der Leser den Protagonisten ins Unglück rennen. Immer wieder erzählt der Autor die Geschichten von Personen, die mit Philip Bowman irgendwie in Kontakt stehen. Auch in diesen Nebenhandlungen sehen wir zumeist traurige, einsame Menschen, die Verluste erleiden müssen und sich davon mehr oder weniger erholen.

Irgendwie konnte ich für Philip Bowman keine Sympathie entwickeln. Weder als naiver junger Mann, noch als abgeklärter, desillusionierter Dandy tut er mir in seinem Unglück leid. Vielleicht war mir hier die englische Sprache im Weg und ich konnte deshalb die emotionalen Höhepunkte nicht ausreichend wahrnehmen.

Das erste Buch des Jahres. Wenn es so weitergeht, schaut das schlecht aus für die 2015 Reading Challenge.

Reading Challenge: A book set in a different country

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English Roman

Robin Sloan – Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore

“Magic is not the only power in this world,” the old mage said gently, handing the horn back to its royal owner. “Griffo made an instrument so perfect that even the dead must rise to hear its call. He made it with his hands, without spells or dragon-songs. I wish that I could do the same.”

Es könnte kein passenderes Buch für diesen Anlass geben: Am heutigen Tag vereint sich der 400. Post auf diesem Blog mit dem 7. Geburtstag desselben. Am 26. November 2007 erschien der erste Post, damals noch auf meinem last.fm Profil (inzwischen gelöscht). Damals hätte ich vermutlich nicht gedacht, dass ich so lange dranbleiben würde, über (fast) jedes Buch, das ich gelesen habe, einen Text zu schreiben. Ja, ich habe über die Jahre einige Bücher ausgelassen, teilweise, weil mir meine Meinung dazu zu privat ist, um sie öffentlich zu teilwen, teilweise, weil ich dem Buch / Autor / Thema nicht noch mehr Öffentlichkeit schenken wollte.

With each new mega-project she describes, I feel myself shrink smaller and smaller. How can you stay interested in anything – or anyone – for long when the whole world is your canvas?

Eine warmherzige Empfehlung kann ich jedoch für Mr. Penumbra aussprechen. Empfehlungen aus der Ecke problems of a book nerd sind meistens eine Lesefreude, aber dieses Buch übertrifft vielleicht nicht alles, aber einiges.

Clay stolpert auf der Suche nach einem Job in Mr. Penumbras Buchhandlung und findet sich überraschend schnell als Nachtverkäufer hinter dem Tresen (gibt es dafür ein österreichisches Wort?) wieder. Natürlich ist nachts im Buchgeschäft nicht viel zu tun, auch wenn Clay nach und nach die etwas seltsamen Besucher kennenlernt, die nichts kaufen, sondern sich aus den hinteren Regalen Bücher ausleihen. Aus Langeweile beginnt er, das Buchgeschäft auf seinem Laptop in 3D nachzubauen. Gemeinsam mit der aufstrebenden Google-Mitarbeiterin Kat löst er mehr zufällig ein Rätsel, das ihn auf die Spur einer geheimen Gemeinschaft bringt. Seit Jahrhunderten sind deren Mitglieder mit der Entschlüsselung des Buches eines Aldus Manutius, der Zeitgenosse von Gutenberg gewesen sein soll, beschäftigt. Das Buch soll den Schlüssel des Lebens enthalten. Clay und Kat nehmen die Herausforderung an, den Code mit modernen Mitteln zu knacken.

Meine Zusammenfassung ist wie so oft viel langweiliger als die tatsächliche Geschichte, weil das Buch einfach so nett geschrieben ist. Clay hat jede Menge Freunde mit seltsamen Hobbies wie etwa sein Mitbewohner Matt, der als Ausstatter beim Film arbeitet und außergewöhnliche Talente im Herstellen von Requisiten (oder gefälschten Büchern) aufweist. Jedes Kapitel bringt ein neues Puzzle hervor, für das Clay und seine Freunde nach etwas Drehen und Wenden und manchmal auch ein paar Schritten rückwärts eine Lösung finden.

Wird der Code am Ende geknackt? Die Antwort ist wie so oft: Ja und Nein! Aber die Reise dahin ist jede Minute wert!

There is no immortality that is not built on friendship and work done with care. All the secrets of the world worth knowing are hiding in plain sight.

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English Roman

David Benioff – City of Thieves

They have decided nothing can kill them but God himself, and they don’t even believe in him.

Allem anderen voran sei gesagt: es heißt immer wieder, das wichtigste Element für einen guten Film (oder ein gutes Theaterstück oder ein gutes Musical) ist ein gutes Buch. Die Story muss stimmen. Ohne eine gute Story kann man noch so viel Glitzer und Licht und Effekte drauf werfen, es wird niemals ein gutes Endprodukt rauskommen. Hier stimmt die Geschichte. Sie ist so großartig, dass das Fehlen jeglichen Glitzers (bzw. das Ignorierend des Glitzers im Angesicht von Hunger und Entbehrung) die Geschichte eher noch besser macht. Warum mein Eingangszitat so wichtig ist, wird man erst erkennen können, wenn man die Geschichte zu Ende gelesen hat. Es wird schwierig werden, nicht zu spoilern.

I’ve always envied people who sleep easily. Their brains must be cleaner, the floorboards of the skull well swept, all the little monsters closed up in a steamer trunk at the foot of the bed.

Lev lebt mit seinen Freunden in der belagerten und beschossenen Stadt Leningrad. Es gibt kaum noch essen, der Schwarzmarkt blüht. Als eines Nachts ein toter deutscher Soldat mittels Fallschirm in ihrer Straße landet, wird Lev verhaftet und landet in einer Zelle mit dem vermeintlich desertierten Soldaten Kolya. Anstatt erschossen zu werden, erhalten sie vom General die Aufgabe, für die Hochzeit seiner Tochter ein Dutzend Eier zu beschaffen. Ein Ding der Unmöglichkeit in der ausgehungerten Stadt.

„What’s the second thing you asked for?” –
“Hm?” –
“You said if I win, first he sets us free. So what’s the second thing you asked for?”
He looked down at me, his eyebrows tilted toward each other, incredulous that I could not guess.
“Isn’t it obvious? A dozen eggs.”

Ihr Weg führt sie auf den Schwarzmarkt, in die Arme von Kannibalen, aufs Land zu den Rebellen und schließlich in die Arme der deutschen Besetzer. Womit fast schon zu viel gesagt ist. Natürlich ist es eine Geschichte von Auszehrung, von Hunger, von Krieg, von Brutalität und Grausamkeit. Aber sie enthält dermaßen viel Witz und Lebensfreude, das der Leser an den Buchstaben hängt. Ein Roman für alle. Ein frühes Highlight des Lesejahrs 2014.

There is a place beyond hunger, beyond fatigue, where time no longer seems to move and the body’s misery no longer seems fully your own.

RANDNOTIZ: Es dürfte inzwischen zu spät sein, dass diese Folge noch im Podcast Verzeichnis zu haben ist. Im Ö3 Frühstück bei mir vom 5. Jänner 2014 erzählt Skisprungtrainer Alexander Pointer von der Depressionserkrankung seines Sohnes, er selbst hatte ebenfalls mit einer Depression zu kämpfen. Claudia Stöckl verharmlost in diesem Interview mehrmals diese ernsthafte Krankheit mit den Begriffen „schwermütig“ bzw. „es ging ihm nicht gut“. Ihre gesamte Haltung zu diesem Thema klingt danach, als ob es sich um eine kurzfristige Verstimmung handelt, wie ein Schnupfen, der mit Medikamenten zwar leichter zu ertragen ist, aber sowieso nach einer Woche wieder verschwindet. Gerade im Mainstream-Radio wäre es wichtig, diese Krankheit deutlich als solche zu bezeichnen. In vielen Fällen sind Medikamente der einzige Ausweg. Noch immer wird die Depression tabuisiert, Betroffene und Angehörige werden diskriminiert, trauen sich nicht, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Ich empfehle allen, die wissen wollen, wie sich eine Depression anfühlt und wie schwer der Heilungsprozess sein kann, das Buch Mängelexemplar von Sarah Kuttner. Rat für Betroffene und Angehörige gibt es zum Beispiel bei Nein zur Depression.