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English Essays

Ann Patchett – These Precious Days

CN dieses Buch: Krankheit, Tod, Sterben, Trauer, Krebs, Drogen (Pilze)
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Vorab-Notiz: Da mir die Ausstellungsberichte von Jana in ihrem Zuckerbäckerei-Blog immer so gut gefallen, schließe ich am Ende dieses Posts einen Bericht über meinen Besuch im Technischen Museum Wien an.


Without ever meaning to, my father taught me at a very early age to give up on the idea of approval. I wish I could bottle that freedom now and give it to every young writer I meet, with an extra bottle for the women. I would give them the ability both to love and not to care.

In dieser Essay-Sammlung setzt sich die Autorin Ann Patchett mit unterschiedlichen menschlichen Themen auseinander. Im ersten Essay beschreibt sie das Verhältnis zu ihren drei „Vätern“, gemeint sind damit die drei Partner ihrer Mutter in serieller Monogamie. Im obigen Zitat ist ihr biologischer Vater gemeint, der ihr in jungen Jahren eine wichtige Freiheit vermittelt hat, um die ich sie nur beneiden kann. Andere Texte befassen sich mit der Vergänglichkeit alles Lebenden, dem Hineinwachsen in das eigene Leben und dem Geben und Nehmen zwischen Personen (und wie Nehmen und Geben nicht immer proportional zueinander sind, sondern oft geben sich Personen gegenseitig etwas, obwohl beide glauben, nur zu nehmen).

People want you to want what they want. If you want the same things they want, then their want is validated. If you don’t want the same things, your lack of wanting can, to certain people, come across as judgement. […] Does my choice not to have children mean I judge your choices, your children? That I think my life is in some way superior? It does not.

Besonders berührt hat mich der mehrteilige Essay, in dem sie ihre Erfahrungen als kinderlose Frau beschreibt. Die neugierigen Fragen, wann es denn für sie so weit sein soll. Die wohl gemeinten Ratschläge, dass sie es wohl später bereuen würde, keine Kinder bekommen zu haben. Die Annahmen, ein Buchprojekt, ein Hund, ein Unternehmen wären ein Ersatz für ein Kind; ein bemitleidenswerter Versuch, eine Leerstelle zu füllen, die jede Person, die mit einem Uterus geboren wurde, irgendwo in sich haben muss. Und sie hat auch noch eine Erklärung für dieses „Unverständnis“ gefunden, das im obigen Zitat angerissen wird. Menschen fühlen sich wohler, wenn wir ihre Wünsche, Hoffnungen und Ziele mit ihnen teilen. Wenn wir diese nicht teilen, kann das als Urteil missverstanden werden, als Abwertung ihrer eigenen Wünsche. So oft ist mir das begegnet, wenn es darum geht, was Menschen essen wollen. So oft habe ich erlebt, dass sich omnivor ernährende Menschen sich allein durch die Anwesenheit einer vegan lebenden Person kritisiert fühlen. Es könnte alles so einfach sein, wenn wir einfach hinnehmen könnten, dass es sich eben nicht um eine Abwertung der eigenen Lebensentscheidungen handelt, sondern einfach nur darum, etwas anderes zu wollen.


Hauptgebäude des Technischen Museums Wien mit großem Schriftzug und Säulen vor leicht bewölktem Himmel

Leider ist die Ausstellung Foodprints im Technischen Museum Wien nun schon vorbei. Ich habe es gerade in der letzten Woche noch hin geschafft. Die Ausstellung macht es sich zum Ziel, unserem Essen auf die Spur zu kommen: Wo kommt es her, wo geht es hin, wer ist in der Herstellung beteiligt, wie wird es verpackt? Sechs verschiedene Stationen, die in unterschiedlichen Farben in Gitterboxelementen zusammengefasst sind, beleuchten dabei unterschiedliche Aspekte der Nahrungsmittelproduktion.

Eingangsbereich zur Ausstellung Foodprints, Schritzug Foodprints in Leuchtbuchstaben über einem aus Gitterboxen zusammengestellten Tor, das mit Detailaufnahmen von Nahrungsmitteln dekoriert ist

Essen ist Kultur und Technik, menschliches Grundbedürfnis und Lebensstil, Ausdruck von Überfluss und Lebensfreude, Ressource und Ressourcenverbrauch. Wie heute gegessen wird, beeinflusst die Welt von morgen.

Blick in den Ausstellungsraum, im Vordergrund blau gefärbte Station aus Gitterboxen, die sich mit der Haltbarkeit von Lebensmitteln beschäftigt

mehrere Kühlschränke aus verschiedenen Epochen, innerhalb der Kühlschränke sind andere Methoden der Kühlung von Lebensmitteln ausgestellt

Bei jeder Station können die Besucher:innen eine beim Eingang erhältliche Karte in einen von drei Einkaufskörben legen, um am Ende der Ausstellung eine Auswertung über die von ihnen getroffenen Einkaufsentscheidungen zu bekommen. Diese wird auf einem Kassenzettel ausgedruckt und soll bewusst machen, wie unsere Einkaufsentscheidungen sich auf die Produktion von Nahrungsmitteln und alles, was damit zusammenhängt, auswirken.

ein Bildschirm, auf dem drei Sorten von Paradeisern/Tomaten abgebildet sind, darunter drei Einkaufskörbe, in denen Besucher:innen ihre Karten ablegen können, um eine Einkaufsentscheidung zu treffen

Interessant fand ich auch eine Schautafel, die erklärt, warum Kinder oft für sie neues Essen ablehnen.

Die Zunge von Kleinkindern ist doppelt so empfindlich wie die von Erwachsenen, vor allem gegenüber Bitterem und Saurem. Bitter und sauer können nämlich auf Giftiges, Verdorbenes oder Unreifes hindeuten.

Unbekannter Geschmack wird daher aus Sicherheitsgründen erstmal abgelehnt. Erst nach etwa acht bis zehn Wiederholungen wird ein neues Nahrungsmittel als bekömmlich anerkannt.

Im Geschmackslabor konnten unter anderem verschiedene Sorten von Raucharoma olfaktorisch miteinander verglichen werden.

Nach der Foodprints-Ausstellung schaute ich mir auch noch den Maker Space im Museum an, in dem Kinder und Jugendliche sich an 3D-Druckern, Laser Cuttern, Stickmaschinen und anderen Bastelobjekten ausprobieren können.

Visualisierung neuronaler Netze, links werden aus einem Panel mit 20 Leuchtelementen Kabel zusammengefasst, die rechts zu einer Codierung kombiniert werden, die außerhalb des Bildes zu einem Ergebnis führt

Die Ausstellung über Künstliche Intelligenz ist noch bis Oktober 2022 zu sehen. Architektonisch ist die Ausstellung in einem Turm über mehrere Etagen innerhalb eines hohen Saals des Museums eingebettet. Die Ausstellung hinterfragt generell, was künstliche Intelligenz eigentlich ist und was sie kann. Neben einer Visualisierung von neuronalen Netzen und einem Einblick in die Entwicklung der technologischen Grundlagen für künstliche Intelligenz werden auch Roboter in unterschiedlichen Entwicklungsstadien gezeigt. Besucher:innen können auch selbst ausprobieren und beobachten, wie eine künstliche Intelligenz die Erkennung von unterschiedlichen Tierbildern lernt. Hinterfragt wird außerdem, ob von künstlicher Intelligenz erschaffene Kunstwerke – wie zum Beispiel von einem Computer komponierte Musikstücke – überhaupt einen künstlerischen Wert haben. Umgekehrt kann hinterfragt werden, ob es überhaupt noch Menschen braucht, um Kunst zu erschaffen.

Als Einstieg in dieses Thema erfüllt die Ausstellung ihren Zweck, geht jedoch nicht weiter in die Tiefe.

Die Dauerausstellung Medien.Welten im Obergeschoss sowie die Sammlung über Musikinstrumente habe ich dann nur noch kurz besucht. Buchdruck, Telefon, Rohrpost, verschiedene andere Kommunikationsmethoden werden hier in ihrer Entwicklung nachgezeichnet. Die Klaviere und Orgelinstrumente befinden sich in einem sehr stillen, klimatisierten Saal, dessen Akustik sich wie ein Sarg anfühlt. Außerdem konnte ich in der Musiksammlung auch auf einem Theremin spielen.

Wer das komplette Programm des Technischen Museums sehen will, muss sich dafür mehrere Tage Zeit nehmen, eine Jahreskarte kann sich dafür durchaus auszahlen. Ich war nach zwei Stunden nur mehr bedingt und nach drei Stunden gar nicht mehr aufnahmefähig und es hätte noch viel mehr zu sehen gegeben.

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Erfahrungsbericht Ratgeber

Chris Guillebeau – Die Kunst, anders zu leben

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In diesem Buch erklärt der Autor seinen persönlichen Ansatz, um ein Leben abseits der Konformität zu führen. Er erzählt Geschichten von anderen Menschen, die ihr Leben auf den Kopf gestellt haben, um ihren Träumen zu folgen, versucht, seine Leser:innen zu motivieren, ihren eigenen Weg zu gehen und gibt Tipps, wie sich Interessierte aus den Fesseln ihres „gewöhnlichen“ Lebens befreien können.

An dieser Lebensphilosophie finde ich das eine oder andere problematisch:

  • Allem voran finde ich diese Prahlerei, wie sich mit einem geschickten System von Round-the-World-Tickets und Vielfliegermeilen die Kosten des Reisens reduzieren lassen, unangenehm und nicht mehr zeitgemäß. Das Buch stammt aus dem Jahr 2010, wo vermutlich den meisten von uns die klimaschädlichen Auswirkungen von Flugreisen noch nicht so sehr bewusst waren wie heute. Dennoch dürfte schon damals klar gewesen sein, dass ein solches Jet-Set-Leben in irgendeiner Form auf Kosten anderer Menschen und der Umwelt geht.
  • Wie viele andere dieser Menschen, die damit angeben, ein nicht-konformes Leben zu führen, geht auch Chris Guillebeau davon aus, dass jeder Mensch davon leben kann, sein Leben im Internet zu veröffentlichen und sich dadurch selbst zur Marke zu machen. Das kann jedoch nur für wenige funktionieren und geht wiederum auf Kosten derer, die keine Möglichkeit haben, aus ihrem Leben einfach auszusteigen.
  • Damit einher geht die Annahme, dass Menschen, die von einem Ausstieg träumen, ihn aber nicht verwirklichen, einfach nicht genug Mumm haben, zu ängstlich sind, um waghalsige Entscheidungen zu treffen, kurz gesagt: selbst Schuld haben an ihrem Unglück. Das fühlt sich für mich sehr nach victim blaming an.

Sicher ist es ein schöner Traum, von jedem Ort der Welt aus arbeiten zu können, die eigene Arbeitstätigkeit nicht als Arbeit zu empfinden (ins gleiche Horn stößt auch Tim Ferris mit seiner 4-hour Workweek), alle Länder der Welt zu bereisen, sinnlose Arbeit aus dem eigenen Leben zu verbannen und so weiter. Und doch hat mich dieses Buch nicht inspiriert zurück gelassen, sondern eher genervt. Worauf der Autor natürlich antworten würde, dass ich einfach nur frustriert bin, weil ich es selbst nicht schaffe, aus meinem gewöhnlichen Leben auszubrechen. So what?

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English Memoir Sachbuch

Anna Sale – Let’s Talk About Hard Things

CN dieses Buch: Tod, Krankheit, sexuelle Handlungen
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Die letzten Wochen hatte der Wahnsinn wieder mal ziemliche Saison. Mein Lebensrhythmus wurde mehrere Wochen am Stück völlig durcheinander gewirbelt. Wieder mal hätte ich woanders sein sollen und musste kurzfristig umplanen. Diesmal hatte ich selbst Covid. Milder Verlauf, freitesten nach 5 Tagen Absonderung. Diskussion mit der Stornoversicherung noch im Gange. Gleichzeitig scheint in diesen Wochen der Rest des Winters vergangen zu sein. Endlich beginnt der Frühling, auf den ich schon so lange warte.

Obwohl ich nicht schlimm krank war, konnte ich die Absonderung praktisch für gar nichts nützen. Halbherzige Versuche, in der Wohnung Dinge zu erledigen, die kaum zu irgendwas führten. Wie im ersten Lockdown. Plötzlich unendlich Zeit im eigenen Zuhause und trotzdem irgendwie wie gelähmt. Als die Absonderung dann vorbei war, folgten noch einige Tage bleierne Müdigkeit. Für immer mit dieser Zeit verbunden: die TV-Mini-Serien Little Fires Everywhere (gelesen vor etwas mehr als einem Jahr, TV-Umsetzung ausgezeichnet) und Nine Perfect Strangers (gelesen letzten Sommer, TV-Umsetzung in Ordnung).


Den Podcast Death, Sex & Money bekam ich vor einigen Jahren empfohlen und verfolge ihn seitdem kontinuierlich. Jetzt hat Podcast-Host Anna Sale ein Buch geschrieben und da ich mir vorstellen kann, dieses Buch auch anderen Personen weiter zu reichen, habe ich das Hardcover bestellt.

Wie der Podcast dreht sich auch das Buch um existentielle Themen: wie leben wir unser Leben, wie treffen wir Entscheidungen, wie verhandeln wir unterschiedliche Wünsche und Ziele mit den Menschen, mit denen wir unser Leben teilen? Die im Titel angedeuteten schwierigen Konversationen drehen sich neben den auch im Titel des Podcasts bereits aufgezählten Themen zusätzlich um Familie und Identität. Gerade beim Thema Identität reflektiert sie intensiv über ihre eigenen Privilegien, die ihr eine bestimmte Weltsicht nahelegen. Es geht dabei darum, dass etwa Menschen, die von sich selbst behaupten, sie würden keine Hautfarben sehen, damit gleichzeitig negieren, dass es überhaupt Unterschiede gibt. Sie leugnen dadurch, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft unterschiedlich behandelt werden. Der folgende Absatz erläutert kurz diese Dissonanz zwischen dem eigenen Selbstbild und dem, wie Menschen von der Gesellschaft wahrgenommen werden:

For people who are used to fitting in – like, say, a straight, white, financially stable, married mom, albeit one from West Virginia – how you identify and how you are identified can feel one and the same. That is, you are missing a dimension of consciousness, so that when you do feel yourself profiled or categorized or summed up in a way that doesn’t feel authentic to your own self-concept, it feels wrong and unfamiliar. What it really is, though, is a way the world works that you haven’t been forced to notice.

Eine interessante Wiederbegegnung gab es für mich auch mit dem Konzept „radical acceptance“. Dabei geht es eben nicht darum, alles einfach mit uns geschehen zu lassen, sondern zu erkennen, dass wir manche Situationen einfach nicht ändern können. Anstatt sich am Ärger oder der Frustration über diese Situation festzuklammern, können wir diese Gefühle stattdessen loslassen und uns praktisch mit der Situation auseinandersetzen.

The radical part of radical acceptance is key, because it’s not just acceptance. Danielle is not telling studends to just concede or surrender. Instead, it’s learning to say, Even if I don’t like this, or I think it is unjust, I have to deal with this reality.

Zum Abschluss des Buchs relativiert die Autorin die Bedeutung von Gesprächen über schwierige Themen und gibt ihnen gleichzeitig eine klare Aufgabe. Gespräche allein lösen noch keine Probleme. Sie können zu mehr Verständnis und Verbindung zwischen den Menschen führen, sie können Klarheit schaffen. Durch Gespräche können wir versuchen, einander näher zu kommen und die essentiellen Gefühle des Lebens mit anderen Menschen aufzuarbeiten. Diese Gefühle gehen durch die Gespräche vielleicht nicht weg. Aber Gefühle auszusprechen, ihnen einen Namen zu geben und sie zuzulassen kann ein erster Schritt zum Frieden mit diesen Gefühlen sein.

But let me remind you that you are not starting a hard conversation to immediately resolve the intractable. Hard conversations offer you solace and pull you out of isolation. They let you voice truths you’d only half known, and listen to stories that you’d otherwise miss. They deepen connection and understanding. But they do not fix hard things. […] Rather, the goal is to try. When you start the conversation, you are taking responsibility to create more clarity than there was before. Healing and resolution may follow, but they only happen well after initial words have been aired and heard.

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English Erfahrungsbericht

Matt Haig – Reasons to Stay Alive

CN dieses Buch: psychische Erkrankungen, Depression, Suizid, Selbstverletzung
CN dieser Post: psychische Erkrankungen, Depression, Suizid


In diesem Buch erzählt der Autor von seiner eigenen Zeit der Krankheit. Scheinbar von einem Tag auf den anderen plagen ihn Panikattacken und eine massive Depression, die ihm Stück für Stück allen Lebenswillen nimmt. Dass dieses Buch existiert, ist schon mal ein ausreichender Beweis dafür, dass eine solche Krankheit auch überwunden bzw. überlebt werden kann. Vorausgesetzt, sie wird ernst genommen. Unterstützung durch nahestehende Menschen ist natürlich ebenfalls essentiell.

Aus seiner eigenen Erfahrung berichtet der Autor von typischen Reaktionen, Gedanken, Erlebnissen, in denen sich vermutlich viele Menschen, die von ähnlichen Krankheiten betroffen sind oder waren, wiederfinden. Ich möchte ein paar Beispiele herausgreifen, von denen ich denke, dass sie für Menschen, die nicht in dieser Situation sind oder waren, schwer nachvollziehbar sind. Für das Verständnis der Krankheit sind sie jedoch extrem wichtig:

But with depression and anxiety the pain isn’t something you think about because it is thought. You are not your back but you are your thoughts. 

Psychische Erkrankungen sind unsichtbar. Der Vergleich mit einem gebrochenen Bein drängt sich auf. Jede:r kann sehen, dass da ein Gips am Bein hängt, dass die Person in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt ist, möglicherweise Schmerzen hat, dass diese Person Hilfe braucht. Depression ist von außen nicht sichtbar. Und der betroffene Mensch kann sich davon auch nicht lossagen. Das gebrochene Bein kann ich für die notwendige Zeit schonen, Krücken benutzen, meine Gedanken und meinen Geist anderweitig beschäftigen. Bei psychischen Erkrankungen geht das kaum. Die Krankheit ist in den Gedanken, sie betrifft die eigene Persönlichkeit viel direkter als zum Beispiel ein gebrochenes Bein. (Ich hatte noch nie ein gebrochenes Bein, ich bitte um Verzeihung, falls dieser Vergleich die Realität eines gebrochenen Beins verharmlost.)

Actually, depression can be exacerbated by things being all right externally, because the gulf between what you are feeling and what you are expected to feel becomes larger.

Von außen betrachtet, scheint der psychisch erkrankten Person nichts zu fehlen. Gerade wenn es aber keinen sichtbaren Auslöser gibt (wie zum Beispiel ein Verlust in der Familie oder eine andere Art von Krise), kann sich die betroffene Person erst recht in eine Abwärts-Spirale begeben. „Es geht mir doch eigentlich gut. Mein Leben ist ausgezeichnet. Warum bin ich trotzdem nicht glücklich?“

In einem späteren Absatz kommt in diesem Zusammenhang auch der Begriff meta-worry ins Spiel: Wir sorgen uns oft um irgend etwas, um die Zukunft, um unsere Familie, um die möglichen Nebenwirkungen einer Impfung (um mal ein aktuelles Beispiel heranzuziehen). Was bei Menschen mit Angststörungen und/oder Depressionen jedoch auch noch dazu kommen kann, ist die Sorge aufgrund der Sorge. „Jetzt mache ich mir schon wieder Sorgen, ich sollte mir keine Sorgen machen, …“, also Sorge aufgrund der Sorge ergibt Meta-Sorge.

Das Ende des Buchs fokussiert dann auf die Erkenntnisse, die der Autor durch die Bewältigung seiner Krankheit gewinnen konnte. Manche davon können möglicherweise hilfreich sein für Menschen, die selbst gerade unter einer psychischen Erkrankung leiden. Die folgenden drei Zitate möchte ich für sich selbst sprechen lassen:

[Depression] is not you. It is simply something that happens to you. And something that can often be eased by talking. Words. Comfort. Support.

Don’t worry about the time you lose to despair. The time you will have afterwards has just doubled its value. 

[Depression] may be a dark cloud passing across the sky, but – if that is the metaphor – you are the sky. You were there before it. And the cloud can’t exist without the sky, but the sky can exist without the cloud.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Maggie O’Farrell – Ich bin, ich bin, ich bin

CN dieses Buch: Tod, Sterben, lebensbedrohliche Krankheit, chronische Krankheit, Gewalt (Überfall)
CN dieser Post: Tod, Krankheit


Die Menschen, von denen wir lernen, nehmen einen besonderen Platz in unserer Erinnerung ein. Ich war keine zehn Minuten Mutter, als der Mann zu mir kam, aber er lehrte mich mit einer einzigen kleinen Geste das fast Wichtigste am Elternsein: Zugewandtheit, Intuition, Berührung, und dass man oft nicht einmal Worte braucht.

Die Autorin reflektiert über den Verlauf ihres Lebens anhand von gefährlichen Begegnungen (der Untertitel im englischen Original: 17 Brushes with Death). Irritierend fand ich dabei, dass die einzelnen Kapitel nicht chronologisch sortiert sind. Mit einer Jahreszahl überschrieben lassen sie sich natürlich einordnen, ich musste jedoch immer mal überlegen, wie alt die Autorin denn nun zum Zeitpunkt dieses Kapitels gewesen sein mag.

Besonders berührt bzw. empört hat mich die Beschreibung der Geburt des ersten Kindes der Autorin. Durch die Nachwirkungen ihrer Erkrankung an Enzephalitis als Kind weiß sie schon vorab, dass eine natürliche Geburt sie und das Kind in Lebensgefahr bringen wird. Der zuständige Gynäkologe tut ihre Bedenken ab und wirft ihr auch noch vor, sich einen Kaiserschnitt erschleichen zu wollen, um es sich selbst leichter zu machen. Die Geburt endet schließlich mit einem Notkaiserschnitt.

Als Kind dem Tod so nah gewesen zu sein und dann das Leben neu geschenkt zu bekommen hat mich viele Jahre lang verwegen gemacht, nonchalant gegenüber dem Risiko, geradezu tollkühn. […] Das lag nicht etwa daran, dass mein Leben für mich keinen Wert gehabt hätte, im Gegenteil, ich wollte um jeden Preis alles mitnehmen, was es zu bieten hatte.

Natürlich habe ich beim Lesen über meine eigenen Erfahrungen nachgedacht. Und dabei festgestellt, dass ich dem Tod vermutlich noch nie so nah gewesen bin. Gleichzeitig ist mir wiederum aufgefallen, dass ich einfach nicht so risikofreudig bin. Seit diesem einen Fallschirmsprung (der mir ein schmerzhaftes Trommelfellhämatom einbrachte) habe ich allen Extremsportarten entsagt. Noch immer habe ich Europa nicht verlassen, war daher auch noch nie in „gefährlichen Gegenden“. (Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass Wien-Favoriten keine gefährliche Gegend ist, auch wenn manche Menschen das anders sehen.) Vermutlich habe ich einfach ein anderes Risikobewusstsein bzw. plane gern für alle möglichen Eventualitäten voraus. Trotzdem oder gerade deshalb lese ich vermutlich gerne die Erzählungen von risikofreudigeren Frauen, die in ihrem Leben andere Wege gehen (zuletzt: Torre DeRoche – Love with a Chance of Drowning).

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Erfahrungsbericht Ratgeber

Lars Amend – Why not?

CN dieses Buch: Suizid, Depression
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Eine langjährige Freundin hat mir dieses Buch empfohlen. Das war auch der Grund, warum ich nicht nach dem ersten Kapitel aufgehört habe, zu lesen. Es ist nicht so, dass mich die Inhalte generell nicht interessiert hätten. Es ist eher so, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte das alles schon mal gehört, gelesen oder selbst geschrieben. Und das in einem Schreibstil, der mir wesentlich mehr zusagt als der von Lars Amend. (Auf seiner Webseite bezeichnet er sich als „Lifestyle Coach, Motivator und Bestsellerautor“. Das alleine hätte mich abgehalten, hätte ich das vorab recherchiert …).

Ändere deinen Blickwinkel und du änderst alles.

Das Buch ist also eine Ansammlung aus Zitaten und Lebensweisheiten, die in der Theorie immer recht schön klingen, in der praktischen Anwendung aber oft darauf hinauslaufen, dass wir einfach selbst schuld sind, wenn unser Leben nicht so verläuft, wie wir uns das wünschen. Mit dieser Position habe ich schon seit Längerem meine Schwierigkeiten. Es haben einfach nicht alle Menschen ähnliche Möglichkeiten, ihr Leben zu verändern. Finanzielle und soziale Hintergründe können hier einen großen Unterschied machen. Somit finde ich es falsch, zu behaupten, jeder Mensch könne sein Leben transformieren, indem er einfach durchhält und seine Perspektive verändert.

Noch ein paar Beispiele gefällig? (Originalzitate in „Anführungszeichen“, andere Formulierungen von mir gekürzt)

  • Stell dich deiner Angst, sonst hält sie dich gefangen.
  • „Stell in Zeiten des Zweifels nicht gleich alles infrage, sondern hab Vertrauen.“
  • Wenn du eine Veränderung in deinem Leben willst, dann kannst du nicht dasselbe tun, was du bisher getan hast. (Oder: Die Veränderung kommt nicht von allein.)
  • „Ändere deine Gedanken und du änderst deine Welt!“
  • Nichts ist für immer. Alles ändert sich. Everything in life is only for now.
  • „Wenn es schwer wird, halte durch. Auch wenn es aussichtslos scheint, gehe langsam, aber gehe weiter. Aufgeben ist keine Option. Niemals.“
  • Das Erfolgsrezept: Unerschütterlicher Glaube daran, dass es möglich ist, auch die schwierigsten Ziele zu erreichen. Tägliches Training ist das beste Rezept gegen Selbstzweifel. Dankbarkeit für jeden Schritt der Reise, auch für die Rückschläge und Misserfolge.
  • „Du kannst deine Vergangenheit nicht mehr ändern. Du lebst dort nicht mehr. […] Aber deine Zukunft kannst du beeinflussen. Hier und jetzt. In der Gegenwart.“
  • „Die Wahrheit ist: Nicht du leidest, sondern dein Gehirn spielt ein Programm ab, das dich leiden lässt.“ Diese Behauptung halte ich für etwas gewagt. Ich stelle nicht in Frage, dass sich durch eine andere Weltsicht das eigene Leiden lindern lässt. In bestimmten Situationen wird es jedoch den optimistischsten Menschen nicht gelingen, das Gehirnprogramm des Leidens abzustellen. Und ich halte das auch nicht für sinnvoll.
  • „Negative Glaubenssätze hindern uns daran, unseren Träumen zu folgen, sie bremsen uns aus und halten uns klein. Sie nehmen uns den Mut und rauben uns die Kraft und den Willen, Neues zu entdecken.“
  • „Was andere über dich denken, ist bedeutungslos. Ihre Urteile über dich sind bedeutungslos. Was du über dich denkst, bedeutet hingegen die Welt – einfach alles! Es ist DEIN LEBEN, es sind DEINE TRÄUME.“
  • „Fehlschläge sind deswegen so unglaublich wichtig, weil sie dir wertvolle Erkenntnisse und Einsichten liefern, wie etwas nicht funktioniert, wie man etwas verbessern oder ein Problem nachhaltig lösen kann. […] Einen Fehler zu machen bedeutet nicht, dass man etwas nicht gut kann.“ Allerhöchstens, dass du etwas noch nicht gut kannst.

Der Großteil dieser Behauptungen stimmt vermutlich bzw. stimmt für einen Großteil aller Menschen. Mir gefällt aber einfach diese Coaching-Sprache nicht. Zu viele (symbolische) Blumen und Sterne und Schmetterlinge. Für andere Menschen ist das vielleicht genau das Richtige.

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English Roman

V.E. Schwab – The Invisible Life of Addie LaRue

What she needs are stories. Stories are a way to preserve one’s self. To be remembered. And to forget. […] Books, she has found, are a way to live a thousand lives – or to find strength in a very long one.

Es gibt diese Bücher, die so gut sind, dass es nahezu unmöglich ist, darüber etwas zu schreiben. Das ist eines davon. Ich werde daher nur ein paar Zitate und Aspekte aneinanderreihen und lege jeder interessierten Leserin ans Herz, selbst zuzugreifen und sich an dieser großartigen Geschichte zu erfreuen.

You wanted to be free, says a voice in her head, but it is not hers; no, it is deeper, smoother, lined with satin and woodsmoke.

Eine Frau, die aus dem von der Gesellschaft für sie vorgesehenen Leben ausbrechen will. Sie will mehr als das karge, harte Leben, das Frauen im 18. Jahrhundert in einem ländlichen Dorf in Frankreich erwarten können. Sie will es so sehr, dass sie bereit ist, dafür alles zu geben.

Freiheit gibt es nicht geschenkt. Sie beinhaltet Fallstricke, die Addie an ihrer Entscheidung zweifeln lassen. Wie frei können wir überhaupt sein innerhalb der Grenzen, die uns Zeit und Raum auferlegen? Zumindest in Geschichten können diese Grenzen verschoben werden, jedoch auch hier nie ganz überwunden.

Nervous, like tomorrow, a word for things that have not happened yet. A word for futures, when for so long all she’s had are presents.

Erinnerungen, die wir mit anderen Personen teilen, haben die einzigartige Fähigkeit, Verbindungen zu schaffen, die nur zwischen Personen existieren, die gemeinsam Erlebtes teilen. Was bedeuten Erinnerungen, die in Kunst verewigt werden? Welche Möglichkeiten gibt es, in Erinnerung zu bleiben, wenn sich niemand an uns erinnert?


Take this, Instagram:

I remember seeing that picture and realizing that photographs weren’t real. There’s no context, just the illusion that you’re showing a snapshot of a life, but life isn’t snapshots, it’s fluid. So photos are like fictions. I loved that about them. Everyone thinks photography is truth, but it’s just a very convincing lie.


Eine Frau, die selbst angesichts unbezwingbar erscheinender Hindernisse niemals aufgibt. Die immer einen Weg findet, um von einem Tag zum Nächsten zu überleben. Die immer wieder etwas Schönes in der Welt entdeckt.

He is all restless energy, and urgent need, and there isn’t enough time, and he knows of course that there never will be. That time always ends a second before you’re ready. That life is the minutes you want minus one.

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Roman

Serhij Zhadan – Mesopotamien

Wir alle leben in dieser seltsamen Stadt, wir alle sind hier geblieben, wir alle kehren früher oder später hierher zurück. Wir leben und tragen die Liebe in uns wie eine Schuld, wie eine Erinnerung, sie vereint all unsere Erfahrungen und all unser Wissen.

Die Entscheidung, welches Buch ich denn nun als Nächstes hernehme, hängt sehr von der Tagesverfassung, der Tageszeit und diversen anderen Faktoren ab. In diesem Fall hatte ich dieses Buch aufgrund einer Liste, die überraschenderweise erst vier Jahre alt ist (gefühlt hätte ich eher mit 14 Jahren gerechnet …), auf meiner Wishlist in der Onleihe. Den Ausschlag gab jedoch die 5-Sterne-Bewertung. Irgendwie bin ich eben auch nicht immun gegenüber der Meinung anderer Menschen.

Von oben konnten wir die ganze Stadt sehen, in den Höfen konnten wir spüren, dass unter uns die Steine lagen, auf denen alles gebaut war. Im Sommer erhitzten sie sich, und uns wurde warm, im Winter waren sie durch und durch gefroren, und wir erkälteten uns.

Der erste Teil ist überschrieben mit dem Titel Geschichten und Biographien. Erst beim vierten Kapitel wurde mir klar, dass es sich um eine Art Episodenroman handelt.

Exkurs: Beim Korrekturlesen stelle ich fest, dass Wikipedia unter einem Episodenroman etwas ganz anderes versteht als ich. Hier wird von einem Roman gesprochen, der für die Haupthandlung verzichtbare und leicht aus dem Zusammenhang lösbare Intrigen oder Episoden enthält. Ich hatte den Begriff eher verwendet für sich teilweise überschneidende Geschichten, die im gleichen Umfeld spielen, wo es teilweise unklar ist, ob es sich um Kurzgeschichten mit Verbindungen zwischen den einzelnen Protagonist*innen handelt oder doch um einen Roman mit wechselnden Protagonist*innen. Im Zweifel entscheidet wohl die Selbstbetitelung durch die Autorin*den Autor oder den Verlag. In diesem Fall steht Roman auf dem Umschlag. Andere Beispiele, die mir einfallen, sind etwa Julia Phillips – Disappearing Earth oder Lilian Faschinger – Wiener Passion.

Alles beginnt mit einem Begräbnis und endet mit einer Geburtstagsfeier. Bei beiden Events werden die Verbindungen der einzelnen Personen zueinander erläutert, ich musste jedoch einmal zurücklesen, weil ich mir nicht alle einzelnen Geschichten gemerkt hatte.

Uns bringt die Schwäche um, die wir in uns tragen und deren wir uns nicht entledigen wollen. Sie frisst uns von innen auf wie ein Virus, sie hindert uns daran, die richtigen Entscheidungen zu treffen, die uns vertrauten Menschen festzuhalten, sie macht uns zu Verdammten, obwohl wir in Wirklichkeit nicht verdammt sind.

Die einzelnen Geschichten kreisen um Verwandtschaften, Lebenspläne bzw. die Abwesenheit von Lebensplänen, Unsicherheiten, Ausbrüche und Weggabelungen. Entscheidungen für oder gegen Beziehungen wechseln sich ab mit Fragen nach dem Sinn des Lebens an sich und der Frage, ob es irgendwo noch etwas anderes gibt.

Die Sonne geht morgens im Osten auf, hinter dem Markt,
jeder Verlust hat seinen Grund.
Nirgends solche Stille wie über deinem Haus,
nirgends solch ein Mond wie in deinem Rücken.

Im zweiten Teil, der mit dem Titel Erläuterungen und Verallgemeinerungen überschrieben ist, reihen sich unzusammenhängende Absätze aneinander, die den poetischen Schreibstil, der sich schon in den Geschichten und Biographien abzeichnete, noch steigern. Während ich dem Ende entgegenlese, frage ich mich, wo das nun hinführen soll, und werde angenehm positiv überrascht. Die letzten Sätze passen zu dem übergreifenden Thema, das sich in all diesen Geschichten abzeichnet: das Warten und die Sehnsucht. Nach etwas anderem, nach einer Person, nach einem besseren Leben.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Glennon Doyle – Untamed

How much of this was my idea? Do I truly want any of this, or is this what I was conditioned to want? Which of my beliefs are of my own creation and which were programmed into me?

Im November 2017 habe ich Glennon Doyles Memoir Love Warrior gelesen und mich damals eher nur peripher mit ihren Erfahrungen identifiziert. Das ist bei ihrem neuen Buch Untamed deutlich anders gewesen. Das mag jetzt daran liegen, dass sie selbst (und ihre Lebensgestaltung) sich in der Zeit zwischen den Büchern sehr verändert haben, könnte aber auch damit zu tun haben, dass ich mich in dieser Zeit verändert habe. Vermutlich eine Kombination aus beidem.

What matters is not what is real, but what I can convince others is real. What matters is not how I feel inside, but how I appear to feel on the outside.

Auch in diesem Buch setzt sie sich damit auseinander, wie Frauen mit den Erwartungen umgehen, die von außen an sie herangetragen werden oder wie sie schreibt, die „in uns hineinprogrammiert werden“. Als Kinder wachsen wir auf und erleben die Welt und nehmen das, was wir dort erleben, als die Norm an, als das, wie die Welt ist. Wir kennen nur diese Wahrnehmung und nehmen daher an, dass die Welt für alle so ist, wie sie uns gerade erscheint. Wir sehen Frauen und Männer bestimmte Rollen ausüben, wir sehen ein bestimmtes dominantes Familienbild und nehmen an, dass das Leben so zu sein hat.

All of those differing opinions meant that I quite literally could not please everyone. That was a relief. When a woman finally learns that pleasing the world is impossible, she becomes free to learn how to please herself.

Wie ich schon im letzten Blog Post zu Brave, not perfect schrieb, ist es als Frau und speziell als Mutter unmöglich, alle Erwartungen zu erfüllen. Das kann eine Belastung sein, die uns Tag für Tag runterzieht, wir könnten es aber auch als Befreiuung betrachten. Wenn es den richtigen Weg nicht gibt, können wir genauso gut auf uns selbst hören und den für uns richtigen Weg finden.

I have to search for and depend upon the voice of inner wisdom instead of voices of outer approval. This saves me from living someone else’s life.

Für mich stellt sich auch oft die Frage, was denn jetzt die richtige Entscheidung, die richtige Handlung, der richtige Weg ist. Bei großen Entscheidungen habe ich dabei meistens auf meine innere Stimme gehört, bei kleineren (alltäglichen) Entscheidungen neige ich dazu, mich an gesellschaftlichen Normen zu orientieren. Bis zu einem gewissen Grad halte ich das auch für sinnvoll und notwendig, wir können nicht bei jeder alltäglichen Entscheidung das Rad neu erfinden. Normen helfen uns, uns in der Welt zurecht zu finden und nicht aus jeder Kleinigkeit eine existenzielle Lebensentscheidung zu machen. Schwierig ist es nur, den Punkt zu finden, wo Normen uns mehr schaden, als sie uns helfen. Und dann dort eine Grenze zu setzen und sich für das zu entscheiden, was für uns selbst richtig ist.

The norms were created by somebody, and each of us is somebody. We can make our own normal. We can throw out all the rules and write our own. […] We can stop asking what the world wants from us and instead ask ourselves what we want for our world.

Die Autorin bezieht sich dabei auf das Gestalten ihrer neuen Familie. Wie die Leserin aus Love Warrior bereits weiß, ist die Ehe mit Craig mit Schwierigkeiten und Missverständnissen gepflastert. Erst die Scheidung führt dazu, dass die beiden gemeinsam Eltern sein können, ohne Lebenspartner im romantischen Sinn sein zu müssen und dies eröffnet beiden die Möglichkeit, ihr eigenes Leben so zu gestalten, wie es sich richtig anfühlt, ohne das Gegenüber damit zurückzuhalten.

Freedom is not being for or against an ideal, but creating your own existence from scratch.

Selbstverständlich ist für Kinder die Scheidung der Eltern schwer zu verarbeiten. Wenn aber beide Elternteile daran arbeiten, es für die Kinder verständlicher und erträglicher zu machen, dann ist eine Scheidung die bessere Lösung als eine unglückliche Ehe.

Brave does not mean feeling afraid and doing it anyway. Brave means living from the inside out. Brave means, in every uncertain moment, turning inward, feeling for the Knowing, and speaking it out loud.

Es war ein Zufall, dass diese beiden Bücher (Brave, not perfect und Untamed) direkt hintereinander hier im Blog erscheinen. Auf Untamed habe ich wochenlang gewartet, in der Overdrive eLibrary der Büchereien Wien waren drei Kopien vorhanden, aber es warteten immer mehr als 10 Personen darauf. Manchmal können diese Zufälle aber auch interessante Kombinationen an Blickwinkeln hervorrufen. Wie im obigen Zitat beschrieben, geht es bei brave (die deutschen Adjektive mutig, tapfer, heldenhaft, unerschrocken passen für mich irgendwie alle nicht) nicht darum, die Angst zu überwinden. Es geht vielmehr darum, auf uns selbst zu hören und das für uns Richtige zu tun, auch wenn das nicht zwingend das sein wird, was andere erwarten. Es ist nicht brave, in einer Situation auszuharren, die uns unglücklich macht, obwohl wir auch einfach aufstehen und gehen könnten.

If you let yourself shatter and then put yourself back together, piece by piece, you wake up one day and realize that you have been completely reassembled.

Mit ihrer Geschichte macht die Autorin auch Mut, in schwierigen Situationen weiterzumachen. Auch wenn es uns manchmal so erscheint, als gäbe es keine Lösungen, als wäre alles so unendlich kaputt, dass es sich nie mehr zusammensetzen lässt, gibt es immer einen nächsten Schritt. Und aus jeder Krise können wir etwas lernen, gestärkt hervorgehen. Ich muss zugeben, dass ich mit ihrem Ansatz „dort hinhören, wo der Schmerz ist und dann herausfinden, was uns der Schmerz mitteilen will und daraus etwas Gutes machen/etwas lernen“ bisher im Alltag wenig Erfolg hatte, aber ich vermute mal, das geht nicht von einer Sekunde auf die andere. Es gibt immer einen nächsten Schritt. Manchmal sehen wir den erst nach einer Pause, aber es gibt immer einen nächsten Schritt. Nehmen wir uns die Zeit, mehr auf uns selbst zu hören und sehen wir, was dabei herauskommt.

No one can be a supporting actor in someone else’s storyline. They can pretend to, but they will always have subplots brewing inside and unfolding outside.

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Mitch Albom – The Magic Strings of Frankie Presto

Die Geschichte meiner ersten Begegnung mit Mitch Albom habe ich im Post zu The First Phone Call from Heaven vor vier Jahren erzählt. Aktuell herrscht in meinem Leben eine Stimmung vor, die nach genau dieser Medizin verlangt: Geschichten, die eine Art Sinn im Leben finden; die ein Gefühl der Möglichkeit vermitteln; die uns zeigen, dass das Leben immer weiter geht.

Erzählt wird die Lebensgeschichte von Frankie Presto, erzählt wird sie von der personifizierten Musik. Das klingt zuerst etwas seltsam, fühlt sich aber in der Geschichte derart organisch an, dass die Absurdität schnell in den Hintergrund gerät. Die Musik erzählt, wie Menschen direkt nach ihrer Geburt nach Talenten greifen, die in Form von Farben um sie herumschweben. Die Musik begleitet Frankie durch sein ganzes Leben und kann daher als Einzige von seinem kompletten Lebensweg berichten. Wie sich später herausstellt, stimmt das nicht vollständig, aber die dunkle Figur, die immer wieder beiläufig erwähnt wird, enthüllt ihre Identität erst gegen Ende des Buchs.

Frankies Lebensgeschichte nimmt immer wieder unerwartete Wendungen, der wahre Familienhintergrund wird in sehr kleinen Etappen enthüllt. Frankie lernt berühmte Musiker aus verschiedenen Dekaden kennen, reist mit Django Reinhardt nach Amerika, tritt als Vertretung von Elvis Presley auf und erlebt schließlich beim legendären Woodstock Festival 1969 eine entscheidende Wendung seines Lebens. Die titelgebenden magic strings sind sechs Stück Gitarrensaiten, die Frankie von seinen unbekannten leiblichen Eltern bekommen hat (ohne dies zu wissen) und von denen jeweils eine in entscheidenden Situationen seines Lebens blau glüht.

Die Geschichte fühlt sich teilweise selbst wie komponiert an, plätschert manchmal etwas dahin und steuert dabei aber immer schon auf den nächsten Höhepunkt zu. Die Musik als Erzählstimme erweist sich als Kunstgriff, der Mediationen über die Seltsamkeiten der Menschheit an sich erlaubt. Diese Möglichkeit hätte auch in einem mahnenden Zeigefinger enden können, wird jedoch nicht übermäßig ausgenutzt. Ein kunstvoll verwobener Roman mit musikalischem Background, Empfehlung von meiner Seite.