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Roman

Haruki Murakami – Kafka am Strand

Misstrauische Katze

„Ich verstehe sehr gut, was du fühlst“, sagt er. „Doch darüber musst du selbst nachdenken und befinden. Niemand kann das an deiner Stelle tun. So ist es eben mit der Liebe, junger Kafka. Himmelhoch jauchzend bist du allein, zu Tode betrübt bist du auch allein. Dein Körper und dein Herz müssen es ertragen.“

Der Begleiter meines unfreiwilligen Tagesaufenthalts am Pariser Flughafen Orly. In diesen Stunden hab ich nur das erste Drittel dieses Buchs geschafft, aber danach konnte ich es beinahe nicht mehr aus der Hand legen. Verflochten sind die Geschichten des 15-jährigen Kafka Tamura und des alten Nakata. Obwohl zwischen den beiden hauptsächlich Gegensätze bestehen, verbindet sie eine seltsame  Fügung des Schicksals.

Kafka verlässt sein Zuhause, um vor seinem Vater und dem Ödipus-Fluch, den dieser ihm auferlegt hat, zu fliehen. Seine Reise nach Takamatsu ist nur die erste Station einer Entwicklung. Sein Weg führt ihn in die Komura-Gedächtnisbibliothek, wo er sich in eine Frau verliebt, die im buchstäblichen Sinn seine Mutter sein könnte. Erst langsam werden die Verbindungen enthüllt.

„Das heißt, wenn du im Wald bist, wirst du nahtlos zu einem Teil des Waldes. Wenn du im Regen stehst, wirst du Teil des Regens. Wenn es morgen ist, wirst du Teil des Morgens. Wenn du mit mir zusammen bist, wirst du ein Teil von mir. So eben. Einfach ausgedrückt.“

Mit fortschreitender Handlung gerät die Geschichte immer mehr ins Reich der Fantasie. Nakatas Kampf mit dem Katzenmörder Johnnie Walker scheint einem noch eine bizarre Episode oder ein Traum zu sein, auch, dass Nakata mit Katzen sprechen kann, wird eher als Spleen verbucht. Mit der Zeit muss der Leser jedoch erkennen, dass dies nur der Einstieg in diese andere Welt neben der Welt darstellt. Auch Nakata macht sich auf den Weg nach Takamatsu, er und Kafka treffen jedoch niemals aufeinander.

Sie sieht hinunter auf die Tasse, die sie mit beiden Händen umschlossen hält. „Nein, leider werde ich nicht mehr da sein.“ – „Aber was willst du dann, dass ich dort mache?“ – „Insbesondere eines.“ Sie hebt den Kopf und sieht mir in die Augen. „Ich will, dass du dich an mich erinnerst. Solange du dich an mich erinnerst, können mich alle anderen ruhig vergessen.“

Kafka lernt auf seinem Weg nicht nur einiges über die Liebe und Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Sein Begleiter Oshima gibt allerlei Weisheiten mit auf den Weg. Und auch Hoshino, der Nakata auf seinem Weg begleitet, erkennt seine Fehler und lässt sich zum Besseren belehren. Wie seine Erkenntnis voranschreitet, ist beinahe noch interessanter, da Nakata seine Weisheit nicht mit Worten sondern mit Taten mitteilt.

„Wir alle verlieren ständig Dinge, die uns wichtig sind“, sagt er, nachdem das Klingeln aufgehört hat. „Wichtige Gelegenheiten und nachdem das Klingeln aufgehört hat. „Wichtige Gelegenheiten und Möglichkeiten, oder unwiederbringliche Gefühle. Das mach das Leben aus. Aber in unserem Kopf – oder vielleicht sogar der Kopf selbst – ist ein kleines Zimmer, in dem diese Dinge als Erinnerungen aufbewahrt bleiben. Ein Zimmer wie unsere Bibliothek. Und um über unseren genauen geistigen Zustand auf dem Laufenden zu sein, müssen wir die Karteikarten in diesem Zimmer ständig ergänzen. Wir müssen es reinigen, lüften und das Blumenwasser wechseln. Anders ausgedrückt, man lebt auf Ewigkeit in seiner eigenen Bibliothek.“

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Kurzgeschichten Unterhaltung

Ephraim Kishon – … und die beste Ehefrau von allen

Eheringe (c) berwis/PIXELIO

Andererseits hat das handbremsenfeindliche Verhalten meiner Frau auch seine Vorteile. Sie ist dadurch leichter zu orten. Wenn ich sie zu Hause vergebens suche und wissen möchte, wo sie sich gerade befindet, brauche ich nur aufs Dach zu steigen und meine Blicke in Richtung Stadt zu lenken. Dort, wo eine kleine Rauchsäule aufsteigt, ist Frau Kishon. Eine sehr praktische Methode; allerdings keine sehr originelle, denn auch Indianer und Kardinäle verwenden Rauchzeichen.

In gewohnt zynischer und (selbst-)ironischer Art beschreibt Kishon das Zusammenleben mit seiner Sarah – der besten Ehefrau von allen. Nicht nur ihr Tick bei der Auswahl der Kleider bzw. dem Styling für eine rauschende Silvesterparty können von etwa jedem Mann und jeder Frau nachvollzogen werden. 

Hübsche Episoden aus dem Eheleben, schnell gelesen und immer wieder etwas für zwischendurch. Wer sich an Alltagssatiren erfreuen kann, ist mit Kishon immer auf der sicheren Seite.

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Roman

Antoine de Saint-Exupéry – Wind, Sand und Sterne

Wüste

Sollte ich unter meinen Erinnerungen die namhaft machen, die ihren kräftigen Geschmack behalten haben, sollte ich die Summe der Stunden ziehen, die in meinem Leben zählen, so finde ich gewiß nur solche, die mir kein Vermögen der Welt je verschafft hätte … Das Wiedererleben der Erde nach einem schweren Flug, die Bäume, die Blumen, die Frauen, deren Lächeln wie neugefärbt durch das Leben, das uns mit dem Morgen neu geschenkt wurde, dieses Allerlei von kleinen Dingen, die unser Lohn sind, auch sie lassen sich nicht für Geld erwerben.

Antoine de Saint-Exupéry ist vor allem für „Der kleine Prinz“ bekannt. In Wind, Sand und Sterne beschreibt er auf ganz andere Art und Weise die Lebensweisheit, die er als Flieger erlernt hat. Die Klarheit seiner Geschichten, die Einfachheit seiner Sicht auf die Welt wird im harten Licht der Wüste oder der Finsternis der Nacht beim einsamen Flug noch deutlicher.

Auf welch winziger Bühne rollt das große Spiel des menschlichen Hasses, der menschlichen Freundschaften und Freuden ab! Woher haben die Menscen ihren Blick auf die Ewigkeit, wo sie doch vom Zufall auf eine noch warme Lava geworfen sind und schon vom andringenden Sand und Schnee bedroht werden? Ihre Kultur ist nur eine dünne Vergoldung, die ein Vulkanausbruch zerreißt, ein neues Meer wegwäscht, ein Sandsturm begräbt.

Schwierige Wetterverhältnisse und die ständige Gefahr, in die sich die Flieger begeben, schärfen den Blick auf das Wesentliche. Der Kollege Guillaumet muss in den Bergen notlanden und wird tagelang vermisst. Durch Schnee und Eis kämpft er sich ins Leben zurück. Diese Episode erinnerte mich stark an Christoph Ransmayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, eine interessante Anekdote, da ich gerade Ransmayrs „Die letzte Welt“ zu lesen begonnen habe. Obwohl das Sterben in dieser Situation der einfachere Weg gewesen wäre, hält der Gedanke an die Menschen, die zuhause warten, den einsamen Flieger aufrecht und gibt ihm die Kraft, den unmöglichen Weg zurück in die Zivilisation durchzustehen.

Ich bin glücklich in meinem Beruf. Der Vorortezug bedeutet mir zehnmal mehr Tod als das Sterben hier. Eigentlich haben wir doch ein prächtiges Leben.

Dann stürzt Exupéry selbst in der Wüste ab. Das Wissen über die verräterischen Luftspiegelungen in der Wüste hilft ihm nicht mehr nachdem der Wasservorrat lange zur Neige gegangen ist und keine Rettung in Sicht. Die Seen und Oasen, die ihm die Luftspiegelungen vorgaukeln, kann er noch mit dem Verstand erfassen, jedoch sieht er schließlich rettende Araber auf Kamelen, die sich beim Näherkommen genauso in Luft auflösen. Aber auch hier gelingt die Rettung. Klarer könnte man nicht beschreiben, wie sich das Leben eines Menschen reduziert auf das Wesentliche. „Wind, Sand und Sterne“ ist bei weitem nicht so zugänglich wie „Der kleine Prinz“, ist aber trotzdem eine Empfehlung für alle, die sich mit philosophischen Fragen und dem Sinn des Lebens auseinandersetzen möchten. Eis und Sand schärfen auch beim Leser den Blick für das Wesentliche.

Das, worauf es im Leben am meisten ankommt, können wir nicht vorausberechnen. Die schönste Freude erlebt man immer da, wo man sie am wenigsten erwartet hat. Diese Sternstunden aber lassen eine so tiefe Sehnsucht im Herzen zurück, daß manche Menschen Heimweh nach ihren trübsten Zeiten fühlen, wenn diesen ihre Freuden entsprossen sind.

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Roman

Guillaume Musso – Ein Engel im Winter

Nach langen Wochen habe ich es endlich geschafft, alle alten Blogeinträge von last.fm ins neue WordPress zu übertragen und auch wenn die Zeit zum Lesen in letzter Zeit knapp war, hat sich einiges an Material angesammelt. 

Ein Engel im Winter habe ich von meiner Schwester zu Weihnachten bekommen, sie hat es von meiner Amazon Wunschliste herausgepickt, wo ich schon gar nicht mehr wusste, dass ich mir das gewünscht hatte. Es war auf jeden Fall ein Glücksgriff, ein ausnehmend mitreißender Roman über das Leben, den Tod und die Liebe.

“Und was war am Ende des Tunnels?”
“Ich kann es nicht in Worte fassen.”
“Bitte, versuch es.”
Das Kind fuhr also fort. Seine Stimme wurde immer leiser. “Eine Art weißes Licht – stark und mild zugleich.”
“Erzähl weiter.”
“Ich wusste, dass ich sterben würde. Ich wollte auf das Licht zugehen, aber da war so etwas Ähnliches wie eine Tür, die mich daran hinderte.”

 Der Protagonist Nathan Del Amico wäre als Kind beinahe in einem Teich ertrunken und hat dabei eine Nahtoderfahrung erlebt, der er sich im Erwachsenenalter erneut stellen muss. Er ist geschieden und liebt sein Kind über alles, da seine Frau ans andere Ende von Amerika gezogen ist, kann er seine Tochter jedoch nicht so oft sehen. Warum seine Ehe auseinander gegangen ist, weiß er selbst nicht mehr. 

Dass er um seine Frau kämpfen muss, wird ihm erst durch einen Boten klar. Erst nach einiger Zeit erkennt er in dem Arzt, der ihn auf seltsame Weise belästigt, den Arzt, der ihm damals das Leben gerettet hat. 

Sie hielt den Ring mit aller Kraft fest und rezitierte in Gedanken wie eine Beschwörung:
Stark wie der Tod ist die Liebe.
Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen,
auch Ströme schwemmen sie nicht weg. 

Eine sich langsam aber stetig entwickelnde Geschichte steuert auf ein dramatisches Ende zu. Wunderbar aufgebaut und mit der Botschaft, die man sich immer wieder vergegenwärtigen sollte: Man weiß nie, wann der Tod zu einem kommt, daher sollte man jeden Tag leben, und seinen Lieben diese Liebe immer wieder zeigen.

 

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Roman

Ake Edwardson – Der Jukebox-Mann

Einige der schönsten Bücher habe ich aus der Mängelexemplare-Wühlkiste gekramt. „Der Jukebox-Mann“ ist auch so ein Mängelexemplar. Dass es tatsächlich auch ein schöner Roman mit einem überraschend guten Ende ist, erschließt sich aber erst, wenn man sich in die Geschichte eingelesen hat. (Wiederhole ich mich?)

Die Frau im Kiosk hatte ein Gesicht, an das er sich erinnern würde, wenn er sie einmal wiedersähe. Es war gleichzeitig blass und dunkel. Sie war eine Fremde für ihn, und er dachte, sie müsste aus einem anderen Land im Süden kommen. Jetzt verkaufte sie hier Würstchen. Auf dem Marktplatz waren keine Autos und vor dem Kiosk keine Kunden. Deswegen wirkte es sonderbar, dass sie noch geöffnet hatte. Wenn sie überhaupt geöffnet hatte. Vielleicht hatte sie geschlossen und war nur noch nicht gegangen. Aber die Glasluke war offen.

Johnny lebt in seiner eigenen Welt, sein Beruf ist das Aufstellen und Warten von Jukeboxen. Er kommt viel herum und kennt viele Leute, kann jedoch keine näheren Beziehungen zulassen. Erst nach und nach besiegt er die Dämonen seiner Vergangenheit. Als er endlich den richtigen Schritt auf der Suche nach seinem Bruder und damit in seine eigene Zukunft macht, kann er sich auch eingestehen, welche Menschen ihm wirklich wichtig sind.

Weniger halte ich das Buch für ein „Road-Movie“, wie auf dem Klappendeckel angekündigt (möglicherweise hat das meine Entscheidung für den Kauf des Buches beeinflusst, da ich Road-Movies mag) sondern mehr für einen Entwicklungsroman im modernen Umfeld.