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English Roman

Sang Young Park – Love in the Big City

CN: Alkoholmissbrauch, Schwangerschaftsabbruch, Homophobie, Krankheit (Krebs, HIV), Tod eines Elternteils, Gewalt Suizidversuch, sexuelle Handlungen


Each of us is a universe and, as part of the large universe, we live and move and have relations with each other isn’t that fascinating?

Der Autor erzählt aus dem Leben homosexueller Männer in Seoul. Auch wenn Homosexualität in Südkorea mit Einschränkungen legal ist, spielen Diskriminierung und Ausgrenzung eine große Rolle. Eine Szene existiert, in der sich Männer vernetzen und doch haben manche homosexuelle Männer auf der Straße Angst, als solche erkannt zu werden.

These words came up to my mouth, but I couldn’t let them out. I had a feeling that they would kill what we had in an instant, that such words would only drive us further apart.

Im Verlauf des zweiten Teils (von vier) kämpfte ich kontinuierlich mit der Frage, ob das jetzt dieselbe Erzählperson ist wie im ersten Teil. Am Ende des zweiten Teils hatte ich diese Frage immer noch nicht gelöst und verlor die Geduld. Der Verlagstext bestätigt, dass es sich um dieselbe Person handeln soll. In den Acknowledgements am Ende schreibt der Autor jedoch „Young, who narrates the four stories in this book, is simultaneously the same person and different people“. So betrachtet hatte ich mich dann doch wiederum nicht getäuscht und meine Verwirrung war angebracht. Insofern lassen sich die vier Teile als episodische Beschreibungen von queerem Leben in Südkorea begreifen.

Richtig erraten hatte ich dann endlich auch, dass der Begriff hyung etwas wie Bruder meint, wobei dabei im Slang dann eher Bro gemeint sein dürfte.

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English Roman

Patricia Highsmith – Carol

CN dieses Buch: –
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She had seen just now what she had only sensed before, that the whole world was ready to be their enemy, and suddenly what she and Carol had together seemed no longer love or anything happy but a monster between them, with each of them caught in a fist.

Dieses Buch wurde auf Lithub immer wieder erwähnt als eines der ersten, die eine lesbische Liebesgeschichte erzählen, die nicht in einem Drama und Einsamkeit endet. Die Erstveröffentlichung 1952 erfolgte unter dem Titel The Price of Salt und unter dem Pseudonym Claire Morgan. Die damals bereits bekannte Krimiautorin Patricia Highsmith musste erst den Verlag wechseln, um dieses Buch überhaupt veröffentlichen zu können. Im Nachwort erzählt sie von den vielen Briefen, die sie von Leser:innen der Paperback-Ausgabe erhalten hat. Unzählige Menschen, die sich in der Geschichte wiederfanden, die sich gesehen fühlten, vielleicht überhaupt das erste Mal in ihrem Leben.

Representation matters. What our young people see around them positively or negatively shapes their expectations for themselves and for each other. When it comes to our classrooms and schools, let’s do our part to make sure that they can see themselves and all of their peers as strong, creative, capable, happy, and connected. (Edutopia – Why Representation Matters)

Das Buch erzählt die Beziehung von Therese und Carol, die an einem vorweihnachtlichen Shopping-Tag an Thereses Arbeitsplatz ihren Ausgang nimmt. Die Anziehung zwischen den beiden wird schnell greifbar, jedoch die gesellschaftlichen Konventionen verlangsamen das Entwickeln einer Beziehung, die nach den Standards der damaligen Zeit als krank betrachtet wurde. Carols Ehemann lässt die beiden beschatten, um das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Rindy zu erhalten. Die Rolle des Kindes ist interessant: Zumeist scheint Carol es eher für ihre Pflicht zu halten, ihre Tochter zu lieben und ihr den wichtigsten Platz in ihrem Leben einzuräumen. Das wird von ihr als Mutter erwartet. Therese muss sich in diesem Zusammenhang mit der Erkenntnis auseinander setzen, dass sie für Carol niemals an erster Stelle stehen wird. Ob der Kindsvater die Tochter tatsächlich liebt oder sie in erster Linie benutzt, um seine Frau für ihr Fehlverhalten zu bestrafen, bleibt unbeantwortet.

Randnotiz: Ja, ich hatte immer wieder mal den Song An Old-Fashioned Love Story aus The Wild Party im Ohr.


Vor Weihnachten bin ich zufällig in der Hauptbücherei in eine interessante Ausstellung hinein gelaufen: Im Eingangsbereich hinter der zentralen Verbuchung können »Die Schönsten Bücher Österreichs, Deutschlands, der Schweiz, der Niederlande und der Ukraine« begutachtet werden (eine Initiative der typographischen gesellschaft austria (tga) – die Webseite ist auch sehenswert für Typographie-Interessierte). Dort findet sich auch die Information, die ich bei den Büchereien nicht finden konnte: Die Ausstellung ist noch bis 18. Februar 2023 zu sehen.

zwei Holztische mit darauf ausgestellten Büchern, im Hintergrund eine Wand mit BildernDetailansicht eines Tisches, auf dem Bücher ausgestellt sind, im Vordergrund zwei Titel mit rosafarbenem Coverzwei Holztische mit darauf ausgestellten Büchern, Perspektive des Fotos zwischen den Tischen stehend, die Tische entfernen sich nach hinten

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Graphic Novel

Julie Maroh – Blau ist eine warme Farbe

CN dieses Buch: Homophobie, Krankheit, Tod, Trauer
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Als ich kürzlich in einer entlegenen Filiale der Büchereien Wien nach einem Buch suchte, das ich (vermeintlich) für einen Literatur-Geocache brauchte, landete ich wieder mal vor einem Regal mit Graphic Novels. Dieser Titel war mir sofort in Erinnerung, wenn ich auch nicht mehr sagen könnte, in welchem Zusammenhang.

Der Inhalt beschreibt eine Coming-out-Erfahrung. Die Protagonistin Clementine setzt sich gezwungenermaßen Stück für Stück mit der Tatsache auseinander, dass sie sich zu Frauen (bzw. speziell zu Emma) hingezogen fühlt. Die abwertenden Kommentare ihrer Mitschüler:innen und Eltern helfen dabei natürlich nicht: Clementine sagt sich selbst, dass sie so nicht sein darf:

Ich bin ein Mädchen, und ein Mädchen muss mit einem Jungen gehen.

Während sich die ersten zwei Drittel des Buchs Zeit lassen, die Erkenntnis und Entwicklung von Clementines und Emmas Gefühlen füreinander zu beschreiben, geht am Ende alles ganz schnell. Von Clementines 17. Geburtstag, an dem ihre Eltern sie mit Emma „erwischen“ und deshalb aus dem Haus werfen, bis zum Ende der Geschichte in einer anderen Zeitebene, sind es nur noch 24 Seiten.

Besonders gut gefällt mir, wie die Autorin die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Comic / Graphic Novel nutzt. Das zeigt sich etwa auf einer Seite, auf der die Protagonistin Clementine ein Gespräch mit ihrem Freund Valentin in der Gondel eines Riesenrads führt. Die Seite besteht aus neun Panels, in denen die beiden teilweise miteinander sprechen, teilweise schweigen. Auf jedem Panel zeigen sie unterschiedliche Gesichtsausdrücke, die allein schon den Verlauf des Gesprächs erahnen lassen, ohne den konkreten Inhalt zu kennen.

Ein anderes Beispiel ist eine Seite, die aus vier übereinander stehenden seitenbreiten Panels besteht. Im obersten Panel ist nur Clementines Gesicht auf dunklem Hintergrund mit Sternen um ihren Kopf zu sehen. Die darunter liegenden drei Panels „zoomen“ aus diesem Close-up heraus und zeigen Stück für Stück die strahlende Clementine in einer U-Bahn umgeben von scheinbar leblosen Menschen in Grau und Grau.

Die Farbgestaltung spielt eine wichtige Rolle, wie der Titel bereits erahnen lässt. Die blauen Augen und Haare von Clementines Schwarm und später Partnerin Emma dominieren den Großteil der ersten Hälfte des Buchs, die Clementine als Jugendliche zeigen. In einer späteren Zeitebene sehen wir Emma mit inzwischen blonden Haaren, hängendem Kopf, traurigen Augen und in blau-grün-gelb getönten Panels zurückblicken.

Der Autorin ist das Meisterwerk gelungen, eine an sich traurige Geschichte gleichzeitig hoffnungsvoll wirken zu lassen.

Die Liebe entflammt, schläft ein, zerbricht, zerbricht uns, lodert wieder auf … Lässt uns wieder aufleben. Die Liebe kann nicht ewig sein, aber sie verleiht uns Ewigkeit …

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Roman

Kurto Wendt – Sie sprechen mit Jean Améry, was kann ich für Sie tun?

CN dieses Buch: Vandalismus
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Auf eben dieses Mittelstück war auch die städtische Hauptbücherei gesetzt worden. Wie ein großes Schlachtschiff der Intellektualität, an der Grenze zwischen bürgerlicher Innenstadt und proletarischer Vorstadt, nicht als Ausschluss, sondern als Vermittlung, so wurde sie wahrgenommen. Auch wenn der sinnliche Eindruck der Ecke klarmachte, dass das Bücherschiff von beiden Seiten nur geduldet war, weil es die Verkehrshölle nicht behinderte.

Der rebellische Frank schlägt sich von einem Gelegenheitsjob zum nächsten durch, hat ein freundschaftliches Verhältnis zu seiner AMS-Beraterin, eine Vorliebe für selbst organisierten Vandalismus verbunden mit einem ausgeprägten moralischen Gewissen. Seine Abneigung gegenüber dem aktuellen aufgebrummten Job im Callcenter eines österreichischen Netzbetreibers legt er um in einen kreativen Umgang mit den Kund:innen, der ihm schließlich zum Sprung in die Platin-Abteilung verhilft. Seine Konversation mit der verehrten Frau Kammersängerin ist ein absolutes Highlight. Dass in der Geschichte eigentlich nicht viel passiert, ist dabei absolute Nebensache. Wie im obigen Zitat angedeutet, beschreibt der Autor mit viel Detailverliebtheit verschiedene Orte in Wien. Auf das im Buch oft besuchte Lokal in Ottakring bin ich schon sehr gespannt.

Randnotiz: Beim Lesen dieses Buchs musste ich sehr an eine bestimmte Person aus meiner Vergangenheit denken. Aus Gründen sind wir nicht mehr in Kontakt, daher kann ich das Buch nicht weiter reichen.

Randnotiz 2: Erst nach dem Posten habe ich bemerkt, dass dies der 900. veröffentlichte Post in diesem Blog ist! 900 Bücher in nicht ganz 15 Jahren.

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Roman

Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen

CN dieses Buch: Tod eines Kindes während des Geburtsvorgangs (graphische Beschreibung), Sterben, Tod, Suizidversuch, Suizid,  Fehlgeburt, Krebs, Krieg
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Ein nach Österreich zugewanderter Finne hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von Literatur-Geocaches finnischsprachigen Autor:innen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Nach Finnisches Feuer ist dieses Buch das Zweite, auf das ich durch diese Geocache-Serie gestoßen bin.

Zu Beginn haben mich die verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven etwas verwirrt, aber mit zunehmendem Fortgang der Geschichte wird das besser. Es fügen sich mit den unterschiedlichen Perspektiven auf bestimmte Ereignisse Erkenntnisse zusammen. Erzählt wird die Geschichte einer finnischen Familie mit nicht-traditionellem Familienmodell über insgesamt 100 Jahre. Während Hebamme Maria mit ihrer ledig geborenen Tochter Lahja erstaunlich gut zurecht kommt angesichts der Ungewöhnlichkeit dieser Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts, leidet Lahja selbst als erwachsene Frau unter der zunehmenden Entfremdung von ihrem Ehemann Onni, dem wiederum seine homosexuellen Neigungen, die in dieser Epoche kriminalisiert und als Krankheit betrachtet wurden, schwer zu schaffen machen. Die Blindheit der gemeinsamen Tochter Helena wird als schwerer Schicksalsschlag wahr genommen, das Mädchen erkämpft sich jedoch Stück für Stück mehr Unabhängigkeit.

Über den Titel und ob er zur Geschichte passt, denke ich immer noch nach. Einerseits kreuzen sich immer wieder die Wege der Familienmitglieder im gemeinsam bewohnten großen Haus. Andererseits verlaufen doch viele der beschriebenen Lebensabschnitte einfach parallel, ohne sich zu kreuzen. Aber daraus lässt sich wohl kein Titel ableiten. Für den Cache fehlen mir übrigens noch drei Antworten, die ich überlesen habe. Also werde ich noch weiter Zeit mit diesem Werk verbringen dürfen.

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English Roman

Andrew Sean Greer – Less

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen, Krankheit, Alter
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Ein wunderbares Buch. Der titelgebende homosexuelle Schriftsteller Arthur Less steht kurz vor seinem 50. Geburtstag. Sein neuestes Buchprojekt wird von seinem Agenten abgelehnt. Sein ehemaliger Partner Freddy lädt zur Hochzeit ein. Anstatt in ein tiefes Loch zu fallen, entscheidet sich Arthur zu einem radikalen Schritt: er plant eine ausgedehnte Reise, die ihn zu verschiedenen literarischen Events auf der ganzen Welt führen wird. Beginnend mit einem Interview mit einem berühmten Science-Fiction-Autor in New York, über ein ausschließlich in Spanisch (Arthur spricht nur Englisch und ein eher wackliges Deutsch) abgehaltenes Literaturfestival in Mexico über einen Kurs an einer Berliner Universität zu einer Preisverleihung in Italien. Ein Zwischenstop in Paris führt zu einer ungewöhnlichen Bekanntschaft auf einer Dinner Party, ein plötzlich frei gewordener Platz auf einer Reise mit alten Freunden lockt Arthur nach Marokko. Das Schreib-Retreat in Indien erweist sich als Überraschung in jeder Hinsicht. Die letzte Station der Reise ist Japan, wo Arthur Less die Kunst des Kaiseki-Menüs kennenlernen soll, um darüber einen Artikel zu schreiben.

Während dieser Reise wird in Rückblenden aus Arthurs Leben erzählt. Das Altern und Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlichen Alters sind ein immer wieder kehrendes Thema. Wie sehen uns die Menschen, die mit uns altern? Immer wieder passiert es Arthur, dass er einen Menschen aus seiner Vergangenheit nicht erkennt, weil dieser Mensch in den letzten Jahren gealtert ist. Wie bringen wir den Menschen, der wir geworden sind, in Einklang mit der Erinnerung an den jungen Menschen, der wir mal waren?

Was nach einem traurigen Midlife-Crisis-Roman klingt, wird jedoch durch Witz und jede Menge Schwierigkeiten zu einem großen Spaß. Arthur Less stolpert durch seine Reise, manchmal in einem durch Schlafmittel ausgelösten Wachtraum durch den Flughafen Frankfurt, manchmal betrunken durch Berliner Bars (dieser Abend endet damit, dass Arthur die Tür seiner gerade erst bezogenen Wohnung nicht aufbekommt und durchs Küchenfenster reinklettern muss). Sein geliebter blauer Anzug fällt in Indien einem streunenden Hund zum Opfer, natürlich verschwindet sein Gepäck und ohne Verletzungen lässt sich so eine Reise natürlich auch nicht bewältigen. Doch trotz aller Schwierigkeiten und Zweifel reist Arthur weiter und weiter, bis er schließlich an seinem Ausgangspunkt angelangt ist. Allerdings auf eine rein geografische Weise, weil in jeder anderen Sicht hat ihn seine Reise entscheidend verändert. Große Empfehlung. 

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Erfahrungsbericht Memoir

Oliver Sacks – On The Move. Mein Leben

CN dieses Buch: Krankheit, Wachkoma, Sterben
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Vor einigen Jahren hatte ich bereits ein Buch von Oliver Sacks gelesen, das sich mit seiner Arbeit mit Wachkomapatienten beschäftigt. Es gelingt ihm dabei, komplizierte Krankheitsverläufe und Patientengeschichten auch für nicht medizinisch ausgebildete Leser:innen zugänglich zu machen. In seiner Autobiografie erzählt er, wie er zur Medizin, bzw. spezifischer zur Neurologie und zum Schreiben gekommen ist, wie ihn seine Familie beeinflusst hat, aber auch von vielen Persönlichkeiten, mit denen er im Rahmen seiner wissenschaftlichen Karriere zusammen gearbeitet hat.

Die deutsche Übersetzung erschien mir nicht so gelungen. Wobei ich mich immer wieder frage, ob das tatsächlich an einer schlechten Übersetzung liegt, oder ob mir der Plauderton, in dem der Autor seine Lebensgeschichte Revue passieren lässt, im englischen Original vielleicht gar nicht negativ aufgefallen wäre.

Nichtsdestotrotz bietet das Buch umfassende Einblicke in das Leben eines forschenden Neurologen, spart aber auch seine privaten Erfahrungen als (mehr oder weniger offen) homosexueller Mann nicht aus. Vielleicht hat mich auch die intensiv positive Grundstimmung irritiert, mit dem Oliver Sacks an seine Lebensgeschichte heran geht. Auch erlebte Rückschläge betrachtet er im Allgemeinen als Lerngelegenheiten. Eine Perspektive, die sich vermutlich erst mit steigendem Alter einnehmen lässt.

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Roman Thriller

Patricia Highsmith – Der talentierte Mr. Ripley

CN dieses Buch: Mord
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Sie waren keine Freunde. Sie kannten sich nicht. Darin sah Tom die entsetzliche Wahrheit, sie galt für alle Zeiten, für alle Menschen, die er künftig noch träfe: jeder hat vor ihm gestanden, wird vor ihm stehen, und er wird immer und immer wieder wissen, dass er sie niemals kennt, und das schlimmste ist, dass er immer eine Zeitlang die Illusion haben wird, er kennte sie, er und sie seien völlig im Einklang miteinander und eins.

Ein Klassiker des Thriller-Genres, den ich mir aus dem offenen Bücherschrank mitgenommen habe. Ich fand es sehr beeindruckend, wie detailliert die psychische Verwirrung des Protagonisten Tom Ripley dargestellt wird. Das beginnt mit dem Gefühl, keinen Menschen jemals kennen zu können (siehe Zitat oben) und steigert sich dann in Hass auf Dickie und Marge, die scheinbar seinem Glück im Wege stehen.

Tom schwitzte, ihm war heiß unter seinen Kleidern, aber auf der Stirn war es kalter Schweiß. Er hatte Angst, aber nicht vor dem Wasser, es war Dickie, vor dem er Angst hatte. Er wusste, er würde es tun, er würde sich jetzt nicht mehr zurückhalten, vielleicht konnte er sich nicht mehr zurückhalten, und er wusste, es könnte vielleicht schiefgehen.

Eindringlich beschrieben sind auch die Gefühlszustände, die zum ersten Mord führen. Der Zweite ist dann lediglich eine Konsequenz unglücklicher Umstände. Die Tom jedoch kaum Sorgen bereitet. Die ihm bekannten Personen, die ebenfalls von diesen Morden betroffen sind, hält er klinisch auf Abstand. Schuldgefühle sind keine vorhanden.

Hätte er doch nur seine Besichtigungen alle allein gemacht, dachte Tom, hätte er es doch nur nicht so eilig gehabt und wäre nicht so gierig gewesen, hätte er doch nur nicht das Verhältnis zwischen Dickie und Marge so dämlich falsch beurteilt, oder hätte er doch einfach gewartet, bis sie sich aus freien Stücken getrennt hätten – dann wäre nichts von all dem passiert, und er hätte sein Leben lang mit Dickie zusammenbleiben können, hätte reisen und leben und sein Leben genießen können bis ans Ende seiner Tage. 

Nicht eingestandene Homosexualität ist ebenfalls ein zentrales Motiv. Tom möchte gleichzeitig (wie) Dickie sein bzw. Dickies Leben führen, als auch Dickies Partner sein und sein Leben mit ihm zu verbringen. Beides wird im Verlauf der Geschichte mehr oder weniger unmöglich. Wobei das offene Ende auch andere Interpretationen zulässt.

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English Essays Sachbuch

Olivia Laing – The Trip to Echo Spring

CN dieses Buch: Alkoholismus, Sucht, Suizid
CN dieser Post: Alkoholismus


Olivia Laing habe ich in einem meiner liebsten Buchgeschäfte (Shakespeare and Sons in Berlin) entdeckt, es war ein reiner Spontankauf: The Lonely City. Mit ihrem Roman Crudo konnte ich nicht so viel anfangen, aber ihre Non-Fiction-Texte sind in meinen Augen unschlagbar. Es scheint, egal, mit welchem Thema sie sich befasst, sie findet die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Aspekten und betrachtet die beteiligten Personen mit Empathie, Verständnis und Mitgefühl, jedoch ohne die sprichwörtliche rosarote Brille.

Controlling the imagination is one thing, but what if as well as telling yourself soothing stories you found a substance, a magical substance, that could do it for you, providing what you might call mechanical relief from the mechanical oppressions of modern life? This is the practice Petros Levounis termed self-medication: the use of alcohol to blot out feelings that are otherwise unbearable.

In diesem Buch untersucht sie die Verbindungen zwischen Alkoholkonsum und dem Schreiben anhand der Lebensgeschichten von sechs Schriftstellern, die zu unterschiedlichen Zeiten zwischen 1896 und 1988 gelebt haben. Teilweise ergeben sich dabei natürlich Überschneidungen und Bekanntschaften. Besonders interessant finde ich, dass sich die Autorin den beschriebenen Personen im Rahmen eines Road Trips nähert, der sie auf Umwegen durch die USA führt. Sie besucht dabei Orte, die für die verschiedenen Autoren (ja, leider ausschließlich Männer) von besonderer Bedeutung waren. Zwischen dem tiefen Eintauchen in die Leben und Lebenswerke der Schriftsteller erzählt sie daher auch von ihren Erlebnissen und Begegnungen, von Menschen und Gesprächen, von Beobachtungen und Gefühlen, die ihre Reise prägen. Ein literarischer Road Trip sozusagen. Was Besseres kann es für mich eigentlich kaum geben.

The overwhelming infantile wail of that need need need, too urgent even for punctuation. If you carry that sense of starvation – for love, for nourishment, for security – with you into adulthood, what do you do? You feed it, I suppose, with whatever you can find to stave off the awful, annihilating sense of dismemberment, disintegration, of being torn apart, of losing the integrity of the self.

Auch ein psychologischer Anteil kommt nicht zu kurz. Aus den Biographien und Korrespondenzen der Schriftsteller versucht sie, die Motivationen und Voraussetzungen zu ergründen, die zum Alkoholmissbrauch und schließlich lebensbedrohlichem Alkoholismus führen. Dabei spielen nicht nur genetische Faktoren eine Rolle, sondern auch die soziale Entwicklung im Verlauf der Kindheit. Sie zitiert etwa eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Ergebnissen eines Trauma-Scores und der späteren Wahrscheinlichkeit eines Suchtverhaltens nachweist (Vincent J. Felitti: The Origins of Addiction: Evidence from the  Adverse Childhood Experiences Study).

Later, she [Deborah Kerr in der Rolle der Hannah in The Night of the Iguana] delivers one of the most beautiful lines in all Williams’s work: ‘Nothing human disgusts me unless it’s unkind.’ So much of him is in that statement: tolerant, non-judgmental, determined to drag out into the light all the shameful clutter of psychopathology our species has evolved.

Die besprochenen Autoren waren mir teilweise bekannt (F. Scott Fitzgerald – The Great Gatsby habe ich selbst schon gelesen, A Streetcar Named Desire habe ich in der deutschen Übersetzung Endstation Sehnsucht irgendwann vor langer Zeit im Rahmen des Theaters der Jugend auf der Bühne gesehen, zu Ernest Hemingway gab es in meiner Schulzeit ein Referat über Der alte Mann und das Meer), teilweise kenne ich sie zwar namentlich, aber nicht anhand ihrer Werke (John Cheever, John Berryman, Raymond Carver).

Erläutert wird außerdem das 12-Schritte-Programm von Alcoholics Anonymous. Ich war einigermaßen überrascht, dass diese Organisation bereits 1935 gegründet wurde, sie besteht also schon so lang, dass die jüngeren der hier besprochenen Autoren bereits an Meetings teilgenommen haben. Die Erfahrungen dieser Autoren bilden somit auch einen Einblick in die frühen Jahre dieser Organisation.

Das titelgebende Echo Spring ist übrigens kein Ort im klassischen Sinn, sondern tatsächlich eine Metapher für den Schnapsschrank (im engl. Liquor Cabinet). Olivia Laing wirft in diesem Buch deutlich mehr als einen Blick auf ein schwieriges Thema, das Generationen von Frauen, Männern, Kindern und Familien betrifft. Sie analysiert Mechanismen und stellt schonungslos dar, welche Zerstörungskraft Alkoholmissbrauch und Alkoholismus entfalten können (sowohl auf den Körper der Betroffenen, als auch auf ihren Geist und ihre sozialen Beziehungen). Gleichzeitig lässt sie die Möglichkeit der Gesundung (im engl. recovery) nicht außer acht.

We’re all of us like that boy sometimes. I mean we all carry something inside us that can be rejected; that can look silver in the light. You can deny it, or try and throw it in the garbage, by all means. You can despise it so much you drink yourself halfway to death. At the end of the day, though, the only thing to do is to take a hold of yourself, to gather up the broken parts. That’s when recovery begins. That’s when the second life – the good one – starts. 

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Roman

Ocean Vuong – On Earth We’re Briefly Gorguous

Our mother tongue, then, is no mother at all – but an orphan. Our Vietnamese is a time capsule, a mark of where your education ended, ashed. Ma, to speak in our mother tongue is to speak only partially in Vietnamese, but entirely in war.

Eine schwierige Geschichte mit vielen verschiedenen Themen. Die Migrationserfahrung – die Familie ist aus dem kriegsgebeutelten Vietnam in die USA ausgewandert – ist davon nur eines, das jedoch intensiv beleuchtet wird. Die Fremdheit in der Fremde, das Gefühl, nie ganz dazugehören zu können allein schon aufgrund der Herkunft und des sozialen Status, wären allein schon genug für ein schwieriges Leben.

They say nothing lasts forever but they’re just scared it will last longer than they can love it.

Dazu kommt ein schwieriges Familienverhältnis, von Gewalt und Krankheit geprägt; das Wissen, sich auf die eigene Familie nie ganz verlassen zu können, das ein Kind im Prinzip allein dastehen lässt.

Where, under the stars, we see at last what we’ve made of each other in the light of long-dead things – and call it good.

Eine Liebe, die immer auf der Kippe steht, die geheim bleiben muss, die der Familienehre widerspricht. Der Zwang, trotzdem nach dem Glück zu streben, sei es auch noch so flüchtig.

Because the sunset, like survival, exists only on the verge of its own disappearing. To be gorgeous, you must first be seen, but to be seen allows you to be hunted.

Hätte ich nicht aus den vielen Lithub-Empfehlungen bereits gewusst, dass der Autor zuvor ein Buch mit Gedichten veröffentlicht hat, hätte ich es vermutlich trotzdem aufgrund der poetischen Sprache vermutet. Der Autor lässt uns Gefühle spüren, er beschreibt, wie sich Erfahrungen anfühlen und lässt damit die Leser*innen tief eintauchen.