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Graphic Novel

Julie Maroh – Blau ist eine warme Farbe

CN dieses Buch: Homophobie, Krankheit, Tod, Trauer
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Als ich kürzlich in einer entlegenen Filiale der Büchereien Wien nach einem Buch suchte, das ich (vermeintlich) für einen Literatur-Geocache brauchte, landete ich wieder mal vor einem Regal mit Graphic Novels. Dieser Titel war mir sofort in Erinnerung, wenn ich auch nicht mehr sagen könnte, in welchem Zusammenhang.

Der Inhalt beschreibt eine Coming-out-Erfahrung. Die Protagonistin Clementine setzt sich gezwungenermaßen Stück für Stück mit der Tatsache auseinander, dass sie sich zu Frauen (bzw. speziell zu Emma) hingezogen fühlt. Die abwertenden Kommentare ihrer Mitschüler:innen und Eltern helfen dabei natürlich nicht: Clementine sagt sich selbst, dass sie so nicht sein darf:

Ich bin ein Mädchen, und ein Mädchen muss mit einem Jungen gehen.

Während sich die ersten zwei Drittel des Buchs Zeit lassen, die Erkenntnis und Entwicklung von Clementines und Emmas Gefühlen füreinander zu beschreiben, geht am Ende alles ganz schnell. Von Clementines 17. Geburtstag, an dem ihre Eltern sie mit Emma „erwischen“ und deshalb aus dem Haus werfen, bis zum Ende der Geschichte in einer anderen Zeitebene, sind es nur noch 24 Seiten.

Besonders gut gefällt mir, wie die Autorin die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Comic / Graphic Novel nutzt. Das zeigt sich etwa auf einer Seite, auf der die Protagonistin Clementine ein Gespräch mit ihrem Freund Valentin in der Gondel eines Riesenrads führt. Die Seite besteht aus neun Panels, in denen die beiden teilweise miteinander sprechen, teilweise schweigen. Auf jedem Panel zeigen sie unterschiedliche Gesichtsausdrücke, die allein schon den Verlauf des Gesprächs erahnen lassen, ohne den konkreten Inhalt zu kennen.

Ein anderes Beispiel ist eine Seite, die aus vier übereinander stehenden seitenbreiten Panels besteht. Im obersten Panel ist nur Clementines Gesicht auf dunklem Hintergrund mit Sternen um ihren Kopf zu sehen. Die darunter liegenden drei Panels „zoomen“ aus diesem Close-up heraus und zeigen Stück für Stück die strahlende Clementine in einer U-Bahn umgeben von scheinbar leblosen Menschen in Grau und Grau.

Die Farbgestaltung spielt eine wichtige Rolle, wie der Titel bereits erahnen lässt. Die blauen Augen und Haare von Clementines Schwarm und später Partnerin Emma dominieren den Großteil der ersten Hälfte des Buchs, die Clementine als Jugendliche zeigen. In einer späteren Zeitebene sehen wir Emma mit inzwischen blonden Haaren, hängendem Kopf, traurigen Augen und in blau-grün-gelb getönten Panels zurückblicken.

Der Autorin ist das Meisterwerk gelungen, eine an sich traurige Geschichte gleichzeitig hoffnungsvoll wirken zu lassen.

Die Liebe entflammt, schläft ein, zerbricht, zerbricht uns, lodert wieder auf … Lässt uns wieder aufleben. Die Liebe kann nicht ewig sein, aber sie verleiht uns Ewigkeit …