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Nicolas Mahler – Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie

CN: Krankheit, Tod


Wer hier regelmäßig mitliest, stellt vielleicht eine Häufung von Büchern fest, die mit einem Literatur-Geocache zu tun haben. Das liegt primär daran, dass diese Liste von mir gerade besser gepflegt wird als meine anderen Listen. Ich bin nicht nur eine Listen-Cacherin, sondern auch eine Listenleserin …

Den Autor Nicolas Mahler hatte ich bei diesem Literatur-Rätsel schnell gefunden, bis ich das richtige Buch hatte, dauerte es jedoch ein bißchen (siehe Kunsttheorie versus Frau Goldgruber). Rückblickend betrachtet hätte das eigentlich nicht sein müssen, aber manchmal braucht es eben Umwege.

Das Buch beschreibt mittels Zitaten, Zeichnungen und verbindender Textpassagen den Lebensweg des Autors Thomas Bernhard, im Buch stets „Der Dichter“ genannt. Der Untertitel „Die unkorrekte Biografie“ weist bereits darauf hin, dass hier nicht alles so ernst zu nehmen ist. Erschienen mir zuerst die insgesamt 99 Zeichnungen als großer Aufwand, so sehe ich jetzt nach der Lektüre eher die Auswahl der Episoden und deren Verflechtung zu einem Gesamtbild der Person als bemerkenswert. Das Buch enthält neben einer Sammlung an Quellenangaben auch eine Aufzählung von „Fehlerquellen“, in denen Nicolas Mahler penibel auflistet, wo er sich künstlerische Freiheiten erlaubt bzw. Fakten im Sinne der Erzählung verdichtet hat.

Eine Zeichnung zeigt etwa Thomas Bernhard mit dem damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann beim „Brainstorming in [einem] rustikalen Innenstadtlokal[en]“ über jeweils einem Teller Leberknödelsuppe. Aus den Grantlereien des Autors soll das Skandalstück Heldenplatz entstanden sein.

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English Roman

Andrew Sean Greer – Less

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen, Krankheit, Alter
CN dieser Post: –


Ein wunderbares Buch. Der titelgebende homosexuelle Schriftsteller Arthur Less steht kurz vor seinem 50. Geburtstag. Sein neuestes Buchprojekt wird von seinem Agenten abgelehnt. Sein ehemaliger Partner Freddy lädt zur Hochzeit ein. Anstatt in ein tiefes Loch zu fallen, entscheidet sich Arthur zu einem radikalen Schritt: er plant eine ausgedehnte Reise, die ihn zu verschiedenen literarischen Events auf der ganzen Welt führen wird. Beginnend mit einem Interview mit einem berühmten Science-Fiction-Autor in New York, über ein ausschließlich in Spanisch (Arthur spricht nur Englisch und ein eher wackliges Deutsch) abgehaltenes Literaturfestival in Mexico über einen Kurs an einer Berliner Universität zu einer Preisverleihung in Italien. Ein Zwischenstop in Paris führt zu einer ungewöhnlichen Bekanntschaft auf einer Dinner Party, ein plötzlich frei gewordener Platz auf einer Reise mit alten Freunden lockt Arthur nach Marokko. Das Schreib-Retreat in Indien erweist sich als Überraschung in jeder Hinsicht. Die letzte Station der Reise ist Japan, wo Arthur Less die Kunst des Kaiseki-Menüs kennenlernen soll, um darüber einen Artikel zu schreiben.

Während dieser Reise wird in Rückblenden aus Arthurs Leben erzählt. Das Altern und Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlichen Alters sind ein immer wieder kehrendes Thema. Wie sehen uns die Menschen, die mit uns altern? Immer wieder passiert es Arthur, dass er einen Menschen aus seiner Vergangenheit nicht erkennt, weil dieser Mensch in den letzten Jahren gealtert ist. Wie bringen wir den Menschen, der wir geworden sind, in Einklang mit der Erinnerung an den jungen Menschen, der wir mal waren?

Was nach einem traurigen Midlife-Crisis-Roman klingt, wird jedoch durch Witz und jede Menge Schwierigkeiten zu einem großen Spaß. Arthur Less stolpert durch seine Reise, manchmal in einem durch Schlafmittel ausgelösten Wachtraum durch den Flughafen Frankfurt, manchmal betrunken durch Berliner Bars (dieser Abend endet damit, dass Arthur die Tür seiner gerade erst bezogenen Wohnung nicht aufbekommt und durchs Küchenfenster reinklettern muss). Sein geliebter blauer Anzug fällt in Indien einem streunenden Hund zum Opfer, natürlich verschwindet sein Gepäck und ohne Verletzungen lässt sich so eine Reise natürlich auch nicht bewältigen. Doch trotz aller Schwierigkeiten und Zweifel reist Arthur weiter und weiter, bis er schließlich an seinem Ausgangspunkt angelangt ist. Allerdings auf eine rein geografische Weise, weil in jeder anderen Sicht hat ihn seine Reise entscheidend verändert. Große Empfehlung. 

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Roman

Rachel Cusk – Outline

Der Wunsch nach Freiheit und Bewegung trieb mich an, als würde ich an einem Faden vorn an meiner Brust gezogen. Ich kannte den Impuls nur zu gut; inzwischen hatte ich gelernt, dass es sich, anders als ursprünglich gedacht, nicht um den Ruf der weiten Welt handelte. Es war einfach nur der Wunsch, meinem eigenen Leben zu entkommen. Der Faden führte nirgendwohin, außer vielleicht in die grenzenlose Ödnis der Anonymität.

Gestern Abend als ich diesen Roman zu Ende gelesen hatte, war ich kurzfristig echt sauer. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, meine ich, das literarische Konstrukt entziffert zu haben, das dazu geführt haben mag, dass mich dieser Standard-Artikel auf das Buch neugierig machte.

Die Erzählerin des Romans reist nach Athen, um einen Kurs für Schriftsteller zu geben. Der Leser erlebt sie im Gespräch mit Unbekannten, Freunden, die sie in Athen trifft und ihren Schülern, die alle Teile ihres Lebens preisgeben, während wir von der Erzählerin nahezu nichts erfahren. Einzelne Bruchstücke muss man finden und festhalten: sie hat (oder hatte?) Ehemann und Familie, ihre Kreditberaterin ruft an, um ihr die Erhöhung des Kreditrahmens zu verweigern.

Beim zweiten Lesen enthält das letzte Kapitel einige Hinweise. Keine Spoiler von meiner Seite. Der oben zitierte Artikel gibt mehr Preis, als ich es hier tun werde. Auf dem Klappentext wird TheGuardian zitiert: „Einer der sonderbarsten, originellsten und aufregendsten Romane seit Langem.“. Sonderbar definitiv, originell lasse ich auch gelten. Aufregend fand ich im ärgerlichen Sinne jedoch nur das Ende. Aber vielleicht ist das der Cliffhanger als Auftakt für die geplante Trilogie.