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Roman

Leon de Winter – Hoffmans Hunger

Handymast im Ernstbrunner Wald, NÖ / made with Cam+

Der echte Schlaf erlöste einen auch von der eigenen Identität und vom eigenen Charakter. Nur Rudimente blieben übrig, während man schlief, ein vages Bewusstsein von einer kreatürlichen Existenz, ohne die unmöglichen Paradoxe des menschlichen Geistes. Zwanzig Jahre war er nun schon ununterbrochen bei sich selbst zu Gast, und er hatte angefangen, den Gastgeber zu hassen.

21 Jahre nach der Erstveröffentlichung in den Niederlanden wirkt dieser Roman aktueller denn je. In die Spionagewirren zur Zeit des Mauerfalls fällt die Geschichte eines Mannes, dessen Leben zu einem verstümmelten Gerüst verkommen ist, das jeden Moment zusammenbrechen kann. Er selbst kann jeden Moment zusammenbrechen. Seine Psyche hat mit dem Tod seiner Töchter unwiderruflichen Schaden genommen. Dass er mit seinem Geist und seinen Erinnerungen nicht mehr klarkommt, äußert sich zusehends auch in körperlichen Problemen. Seit Jahren kann Felix Hoffman nicht mehr schlafen. Seine Nächte verbringt er mit Spinoza und Fressattacken.

Mit Hoffmans Geschichte ist das Leben zweier weiterer Männer verknüpft. Freddie Mancini, ein übergewichtiger Amerikaner auf Europaurlaub, beobachtet durch Zufall die Entführung eines amerikanischen Agenten und wird dadurch zum Ziel des amerikanischen Geheimdienstes. Als ihn nach vielen gemeinsamen Ehejahren seine Frau verlässt, verlangt er eine überraschende Gegenleistung für seine Dienste fürs Vaterland. Sein Gegenüber ist der Agent John Marks. Er hatte vor Jahren eine Affäre mit Hoffmans Frau Marian und trauert ihr noch immer hinterher. So schließt sich ein fantastisches Dreieck an Verbindungen, das sich dem Leser erst nach und nach erschließt und so von Seite zu Seite die Geschichte verwickelter werden lässt.

Beinahe mit Genuss beschreibt Leon de Winter die Einzelheiten der Ess- und Verdauungsstörungen von Hoffman und Mancini. Mancini wird in Prag überfallen, als er spätnachts nach Essen sucht. Seine Gier und sein schwacher Körper machen ihn zum leichten Opfer sowohl für die Räuber als später auch für den gewitzten Agenten John Marks. Hoffman selbst gleicht die Leere in seinem Leben mit seinem nächtlichen Ritual aus. Der Tod seiner Tochter Esther – sie starb im Kindesalter an Leukämie – hat die Familie auseinander gerissen. Ihre Schwester Miriam kommt Jahre später um – drogensüchtig und prostituiert. Felix und seine Frau Marian sind über die Jahre zusammen geblieben, haben jedoch keinerlei Gemeinsamkeiten mehr. Sie wahren die Fassade, um den lukrativen Botschafterposten nicht zu gefährden.

Er tauchte ab unter den Platz und nahm auf einem blitzsauberen Bahnsteig die U-Bahn zum Praterstern, jenseits des Donaukanals, und wartete dort ein paar Minuten, bis sich die Tore zum Volksprater öffneten.

Es gelingt mir in diesem Fall nicht, die Genialität der Geschichte zu erläutern, ohne zuviel zu verraten. Die Lektüre lohnt sich in jedem Fall, auch wenn es zeitweise erschreckend scheint, was der menschliche Geist ertragen kann (oder manchmal auch nicht). Es entfaltet sich nicht nur ein Zeitdokument des Aufbruchs zur Zeit des Mauerfalls sondern auch ein Psychogramm, das eindrucksvoll schildert, wie Tragödien Menschen und ihre persönlichen Lebensumstände verändern.

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Sachbuch

Carol De Giere – Defying Gravity

Sibelius Monument Helsinki

“The problem with musicals”, Stephen Schwartz suggests, “is that you are only as strong as your weakest element. You can have a good show that gets sunk by one performance or an intrusive design element.“ Every artist faces form issues: a painter laments when a painting is poorly framed; an author worries that an unsuitable cover will misrepresent his or her book. For musicals, any number of things can obscure what the writers were trying to communicate: bad casting, distasteful costumes or sets, in appropriate orchestrations, or unappealing choreography.

Schon oft habe ich erlebt, dass Musicals nicht so richtig berühren, wenn man sie nicht auf der Bühne sieht, sondern nur (oder zuerst) auf CD erlebt. Manchmal berühren sie nicht mal von der Bühne aus (wie es mir beispielsweise bei The Woman in White erging). Bei Wicked aber war es für mich Liebe auf den ersten Ton, wenn man so will. Es war das erste Musical, dessen Aufnahme ich aus dem iTunes Store kaufte, wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich zuvor Defying Gravity bei einem Soloabend von Maya Hakvoort gehört. So richtig erfassen konnte ich Wicked dann erst im Londoner Apollo Victoria Theatre, ein herrlicher Nachmittag (es war eine 14:30 Vorstellung).

Carol de Gieres Biographie beschäftigt sich nicht nur, aber schwerpunktmäßig mit der Entstehung von Wicked, gleichzeitig ein positiver wie negativer Effekt des Buches. Einerseits freut sich der Wicked-Fan, die verschiedenen Entwicklungsstadien des Musicals nachvollziehen zu können, andererseits kann man von einer ausgewogenen Berichterstattung eben nicht sprechen. Es fasziniert, wo Stephen Schwartz noch überall mitgewirkt hat, ich wusste beispielsweise nicht, dass unterem anderem die Songs zu The Prince of Egypt inklusive dem großartigen When You Believe auch von Stephen Schwartz stammen.

Beim Lesen stellt man fest, dass hier eine großartige Kombination aus Fan-Tum und dokumentarischen Fähigkeiten der Autorin vorliegt. Dass sie Stephen Schwartz offensichtlich zugeneigt ist, tut der Biographie keinen Abbruch, eine kritische Auseinandersetzung will der Wicked-Fan ohnehin nicht lesen und wer sollte sonst zu diesem Buch greifen? Es gelingt der Autorin, zu vermitteln, wie tief Stephen Schwartz im kreativen Arbeiten verwurzelt ist, sie zeigt manche Tricks seiner Arbeit auf, sie hat extra das Element Creativity Notes entwickelt, um seinen Arbeitsprozess zu erläutern und anderen Kreativschaffenden seine Tipps zu übermitteln.

Das Buch bietet einen guten Überblick über das Musicalschaffen von Stephen Schwartz, seine Beiträge auf dem Gebiet der Filmmusik werden ebenfalls erwähnt, allerdings im Vergleich zur detaillierten Analyse der Musicals eher nur gestreift. Gerade die Entwicklung von Wicked, dessen scheinbar endlose Folge von Revisionen wird detailliert erläutert. Ein (ent-)spannend zu lesendes Werk, von dem andere Kreativschaffende zweifellos ebenfalls profitieren können.

There were things that I knew right away. I knew how it was going to begin, I knew how it was going to end, I knew who Elphaba was, and I knew why – on some strange level – this was autobiographical even though it was about a green girl in Oz. Stephen Schwartz

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Roman

T. C. Boyle – Drop City

21 Kahlenberg Straßenbahnmuseum Wien / made with Cam+

There was a murmur from the crowd. All her senses were alive. She didn’t feel faint or nervous or sag, but just eager – eager and vigorous, ready to get on with the rest of her life. She’d waited twenty-seven years and there was no going back now.

Auf den ersten Blick entfaltet sich hier ein Kontrastprogramm. In Kalifornien im Drop City Camp praktiziert eine Hippie-Gruppe freie Liebe, distanziert sich von den Autoritäten, sucht Freiheit durch ein „Zurück zur Natur“. Im Gegensatz dazu sucht Pamela in Alaska einen Mann, mit dem sie abseits von der Zivilisation leben will. In ihren Augen geht die Gesellschaft in die falsche Richtung, sie macht sich Sorgen, um die sittenlose Gesellschaft in den Städten und sieht einen Untergang der Zivilisation in der Zukunft. Star in ihrer Hippie-Einstellung und Pamela in ihrer Suche nach Natur und Einsamkeit – ihre Denkmuster ähneln sich, aber sie leben ihre Vorstellungen vollkommen unterschiedlich aus.

He wasn’t thinking of the meat or even the hide as he eased back on the throttle and reached for the rifle. It was the claws he wanted.

Die Autoritäten holen Drop City ein, Leader Norm Sender entwirft für seine Schäfchen eine traumhafte Zukunft im fernen Alaska, wo ihm sein Onkel eine Hütte vermacht hat. Zufällig die Hütte in direkter Nachbarschaft von Pamela und ihrem frisch gebackenen Ehemann Sess. Während die beiden ihr Eheleben zelebrieren, machen sich die hartgesottenen Drop-City-Anhänger auf den Weg ins ferne Alaska. Ihre Naivität droht ihnen zum Verhängnis zu werden, für den harten Winter sind die sonnenverwöhnten Hippies nicht gerüstet. Stars Freund Ronnie – die beiden kennen sich seit ihrer Jugend und sind gemeinsam in Drop City eingetroffen, doch Star hat mittlerweile in Marco ihre verwandte Seele gefunden – entdeckt nicht nur seinen Jagdinstinkt. Er kann auch dem Kommunenleben zunehmend wenig abgewinnen. Als er erstmals auf einen Bären schießt, diesen aber nur am Ohr streift, sieht man ihn bereits wie Anthony Hopkins in Legenden der Leidenschaft im tiefsten Alaska-Winter in den Armen des Grizzly-Bärs sterben. Doch es kommt anders …

And then she was going to say, And what kind are you? but in that moment it dawned on her that Pamela was just like them. She wasn’t buying into the plastic society, she wasn’t going to live the nine-to-five life in a little pink house in the suburbs and find her meat all wrapped up in plastic for her at the supermarket. She’d done that – worked in an office in downtown Anchorage – and she’d dropped out just as surely as anybody at Drop City had.

In der unwirtlichen Kälte des Alaska-Winters muss die Hippie-Kommune eine neue Art von Zusammenhalt lernen, wohingegen Pamela es schätzen lernt, mit ihrem Mann nicht völlig allein in der Wildnis zu leben und eine Freundin in Kanunähe zu wissen.

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Roman

Kurt Vonnegut – Cat’s Cradle

Regen im Wiener Prater, Regenschirme, Riesenrad, Atmosphäre

„That’s why she married him. She said his mind was tuned to the biggest music there was, the music of the stars.“ He shook his head. „Crap.“

I guess „Cat’s Cradle“ can be called an American classic. It starts as an attempt to write a strange biography about the so called father of the atomic bomb (fictional Felix Hoenikker). The narrator is on a journey to find the family and visit people who worked with him. His journey leads him to the country San Lorenzo where he not only finds a strange kind of love but also the Hoenikker family in all their strangeness.

In San Lorenzo the narrator is getting to know a religion named „Bokononism“. It’s illegal but eventually he finds out that everyone on the island follows the mysterious man named Bokonon who is chased by San Lorenzos president Papa Monzano.

While writing this I have to say that it’s worthless to describe the storyline. If you can live with strange stories that don’t care about limits imposed by sheer physics. The story introduces a lot of interesting theories about religion and politics and Bokonon’s quotes have the qualities of the wisdom of a true spiritual leader.

Peculiar travel suggestions are dancing lessons from God.

It was the first book that I read on the iPad Kindle App and the experience was satisfying. I love the „popular highlights“ functions of the Kindle App and the possibility to add my own notes and copy these. Although I had to type the quotes because it’s not possible to copy text from the book. But at least I can add my own notes right on the iPad and copy them to MarsEdit for the blog post afterwards. And of course the built-in dictionary is wonderful for reading books in a foreign language. I think I’ll try a spanish book soon.

„Everything must have a purpose?“ asked God.
„Certainly“, said man.
„Then I leave it to you to think of one for all this,“ said God. And He went away.

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English Roman Thriller

Stephen King – Cell

Mobiltelefon_(c)_Thorsten Freyer/PIXELIO

It takes only 12 pages to get that this is going to be an apocalypse in the tradition of Kings classic „The Stand“ (which I really should read again, it must be 15 years ago). Enhanced with the current fear of biological mass destruction weapons, terrorism and chaos this virus doesn’t only kill people, it makes them killing zombies. The survivors get to call what happened „The Pulse“, but they can only speculate, what happened to all the people carrying cellphones when the incident took place.

Survivors Clay and Tom met directly after the pulse occured and stay together nearly until the end. Clay worries about his wife Sharon and his son Johnny while Tom only has his cat left which he is resilient to leave alone. They take care for young Alice and at a later stage for the boy Jordan who is a computer geek and seems to understand much more about the technical implications of the pulse.

„Nobody should have answered it“, Clay said. „We all would have been better off.“
„Ah, but who can resist a ringing phone“, Tom asked. „And there goes your ballgame.“
„Thus spake fuckin Zarathustra“, Clay said. Alice laughed until she cried.

In the end Clay finds his son Johnny. He didn’t get the original pulse but got into the conversion measures at a later stage. In the end Clay has to take the most difficult decision of his life.

A story about how humans react in difficult situations, how you can get together with people formerly unknown and stick with them in times of horror and fear. Stephen King himself doesn’t carry a cellphone.

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Roman

Reif Larsen – Die Karte meiner Träume

Buntstifte_(c)_Dr. Klaus-Uwe Gerhardt/PIXELIO

Aber diese Flucht hatte immer einen Beigeschmack von Leere: ich wusste, ich ließ mich von etwas Erfundenem täuschen. Vielleicht kam es genau darauf bei der Lektüre von Romanen an – dass man die richtige Balance zwischen den Freuden der Flucht und dem Bewusstsein der Täuschung fand –, aber zur gleichen Zeit Distanz vom Wirklichen und vom Fiktiven zu wahren ist mir nie gelungen. Vielleicht musste man erwachsen sein, um diesen Drahtseilakt fertigzubringen, zu glauben und gleichzeitig nicht zu glauben.

Der junge T. S. Spivet ist kein „normales“ Kind. Er verbringt seine Kindheit mit seiner Familie auf deren Ranch in Montana. Auf der Familie liegt der Schatten des Todes von Layton, dem älteren Bruder, der durch einen Unfall mit einem Gewehr ums Leben kam. Nicht nur T. S. gibt sich die Schuld an dessen Tod, es steht im Raum, dass auch beider Vater T. S. die Schuld gibt und ihn daher weniger liebt als den verstorbenen großen Bruder. T. S. verbringt seine Zeit mit dem Kartografieren von allen Begebenheiten, die ihm in seinem jungen Leben begegnen. Sein Zimmer ist vollgestopft mit Notizbüchern, in denen er sein Leben im wahrsten Wortsinne aufzeichnet. Dazu gehören die Art und Weise, wie seine Schwester Gracie Maiskolben putzt genauso wie die Käfer, die seine Mutter sammelt. Diese arbeitet als Wissenschaftlerin, hängt aber an der Suche nach einem Käfer, dessen Existenz zu beweisen sie sich zur Lebensaufgabe gemacht hat.

Durch seinen Mentor Dr. Yorn wird T. S. für den hochdotierten Baird-Preis des Smithsonian Museum ausgewählt. Die dortigen Verantwortlichen wissen natürlich nicht, dass es sich bei dem talentierten um einen 12-jährigen Jungen handelt. T. S. macht sich ohne das Wissen seiner Eltern auf den Weg nach Washington, um seine Rede zur Verleihung des Preises zu halten. Ein großes Abenteuer, bei dem er gar nicht weiß, was er zuerst kartografieren soll. Auf der Reise begleitet ihn ein Notizbuch, das er aus dem Büro seiner Mutter entwendet hat, indem die Geschichte von Emma Osterville, einer weiblichen Pionierin der Wissenschaft verzeichnet ist.

Je mehr die Reise fortschreitet, umso mehr erfährt man über die Geschichte der Familie und die Eigenheiten der einzelnen Personen. Einzig Schwester Gracie wird keine ausreichende Charakterisierung zuteil, wäre dies ein Musical, müsste man ihre Rolle kritisch hinterfragen, man würde wohl Schwierigkeiten haben, ein Solo für sie zu schreiben, eine eher undankbare Rolle.

Auf seinem Weg nach Washington begegnen T. S. (auch die Geschichte seines ausgefallenen Namens Tecumseh Sparrow wird ausführlich dokumentiert) viele spezielle Charaktere, die ihn auf seinem Weg unterstützen oder behindern. In Washington selbst stößt er auf den Geheimbund der Megatherier, in dem überraschenderweise auch seine Mutter Mitglied ist. Doch das Buch endet mit einer überraschenden Wendung, viele Fragen bleiben offen, eine Fortsetzung läge nahezu auf der Hand. Der abenteuerlustige T. S. erkennt schließlich den Wert von Familie und Heimat. Doch diese Geschichte ist noch nicht zuende. Vielleicht ist dies auch ein Faktor, der diese Geschichte so spannend und mitreißend macht. T. S. hat sein Leben noch vor sich und die Frage, ob er dieses als angehender Wissenschaftler oder als einsames Kind auf der Ranch in Montana verbringen wird, bleibt als Spannungsfaktor stets präsent. Ein unvorhersehbarer Roman mit Überraschungen auf nahezu jeder Seite. Absolute Leseempfehlung.

Weitere Informationen: Jugendbuchtipps.deBüchervielfaltSchau ins Blau

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Roman

Joey Goebel – Heartland

Wolkenkratzer(c)siepmannH/PIXELIO

Dass er in dem möblierten Häuschen hinter dem Herrenhaus seiner Eltern wohnte, rief Blue Gene eine Fernsehserie über schwer gestörte Kalifornier in Erinnerung. Ihm hatte die die Serie gefallen. Im Zentrum er Handlung stand ein Typ aus dem Armeleuteviertel, der irgendwie mit einer Reihe reicher Leute zusammenleben musste. Er beschloss aber, sie sich nicht noch mal anzusehen, weil sie zu sehr einer Soap glich und die Musik irgendwie schwul klang.
(Eine herrliche Charakterisierung der bekannten Serie OC California mit Ben McKenzie in der Hauptrolle und dem Titelsong „California“ von Phantom Planet)

Wieder einmal hat sich der Griff zu Joey Goebel als richtig erwiesen, er entfaltet seine amerikanische Familiengeschichte diesmal im gespaltenen Umfeld von Wrestling und Politik. Auch in diesem Roman zeigt er sein großes Talent für Personencharakterisierung, jede einzelne Figur in diesem Werk ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und in ihren Entscheidungen nachvollziehbar. Besonders deutlich zeigt sich dies naturgemäß bei der Hauptfigur Blue Gene, aber auch bei seiner späteren Flamme Jackie, die zu ihren Überzeugungen steht und damit letztlich sogar auf der widerlichen Politbühne eine gute Figur macht.

Auf Profi-Wrestling war Blue Gene seit seiner Kindheit versessen, und daran hatte sich nie etwas geändert. Er und Mitchell Gibson hatten irgendwann begonnen, sich gemeinsam sonntags morgens Wrestling in der Glotze anzusehen, damals in den glorreichen Tagen von Hulk Hogan und „Macho Man“ Randy Savage. Ihn faszinierte die Vorstellung, dass zwei Männer vorgaben, einander töten zu wollen, aber später im Umkleideraum darüber lachten, sich gegenseitig zu ihren guten Leistungen gratulierten und anschließend zusammen ein Bier trinken gingen.

Bis auf Seite 644 entspinnt sich ein Hin und Her zwischen Blue Gene und seiner Familie. Erst geht die Initiative von den Eltern aus, um Blue Gene hinzuzuholen, damit er seinen Bruder John beim Wahlkampf unterstützt. In weiterer Folge ergreift Blue Gene aufgrund der vielen Enthüllungen über seine Familie, mit denen er konfrontiert wird, selbst die Initiative und bringt sein Geld unter die Leute. Sein gemeinnütziges Projekt wird nicht nur von Jackie, die Blue Gene zu erobern hofft, begeistert aufgenommen, sondern auch von den vielen anderen Menschen, denen Blue Gene mit seinem Projekt Arbeit gibt. Doch wie so oft in der Politik, wird Blue Genes Projekt schließlich vom politischen Gegner seines Bruders zum Negativen verkehrt und muss letztendlich geschlossen werden (woran Blue Genes Vater Henry nicht unschuldig ist).

Jackie überredet Blue Gene eine Gegenbewegung auf die Beine zu stellen, sie selbst wird schließlich die Kandidatin und erreicht eine große Menschenmenge. Als sie John in einem Fernsehinterview bloß stellt, kommt es zum Äußersten. Es zeigt sich, wie weit Menschen bereit sind, zu gehen, wenn es um den Erwerb oder den Erhalt ihrer Macht geht. Als er keinen Ausweg mehr sieht, wirft John alle moralischen Bedenken über Bord und gibt den Auftrag, Jackie zu ermorden. Und das auch noch mit den Worten „Gott verlang das von Ihnen.“ Wäre dieser Mordversuch erfolgreich, hätte John Mapother bereits auf dem Weg in den Kongress mehrere Existenzen zerstört.

Von diesem Punkt an geht alles ganz schnell. Johns Sohn Arthur wird von einem Auto angefahren und landet im Wachkoma. Am Bett des verletzten Kindes nähert sich die Familie schließlich wieder an, besonders John und Blue Gene versöhnen sich in Liebe zu dem Kind. Die Wahlkampf ist schließlich unwichtig. Auch in Amerika geht die Familie über alles.

Weitere Informationen: sf magazineselsohrenBücher-Wiki

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Reise Roman Unterhaltung

Jack Kerouac – Unterwegs

Golden Gate Bridge, San Francisco (c) yogilino/PIXELIO

Ich hatte mir stille Weihnachten auf dem Land vorgestellt, wie mir bewusst wurde, als wir das Haus wieder betraten und ich den Weihnachtsbaum und die Geschenke sah und den Truthahn im Backofen roch und die Gespräche der Verwandten hörte, aber jetzt hatte das Fieber mich wieder erwischt, und das Fieber hieß Dean Moriarty, und ich war unterwegs, war wieder unterwegs.

Roadmovies haben mich schon immer fasziniert und quasi magisch angezogen. Sal Paradise zieht mit seinem Freund Dean Moriarty durch die USA und erlebt dabei allerhand Unannehmlichkeiten. Trampen scheint damals (das Buch erschien 1957) eine vielgenutzte Form des Reisens zu sein. Und wie der Buchtitel bereits suggeriert, geht es weniger ums Ankommen oder ums Reisen von einem Punkt zum anderen, sondern schlicht um die Fahrt an sich.

„Ja“, sagte ich, „fahren wir nach Italien.“ Und so nahmen wir unser Gepäck, er, mit der gesunden Hand, seinen Koffer und ich den Rest, und stolperten zur Haltestelle der Cable-Car. Gleich darauf rollten wir den Hügel hinab und ließen von der klappernden Plattform die Füße auf den Bürgersteig baumeln, zwei zerbrochene Helden der Nacht im Westen Amerikas.

Dean Moriarty bleibt einerseits eine von Sal zu einer Art Guru hochstilisierte Witzfigur, denn er kriegt sein Leben nicht in den Griff, zeugt sowohl an der Ostküste wie an der Westküste Kinder und bricht die Herzen seiner Frauen im Eilzugtempo. Das bewundern seine Freunde natürlich, aber tatsächlich ist es wohl nicht nur für die betreffenden Frauen sondern auch für Dean selbst ein Alptraum.

Dean und Sal schlagen sich durch Amerika, erst als Mitfahrer, später mit dem eigenen Auto. Sie träumen von fernen Orten, halten es jedoch nicht lange dort aus, wenn sie mal angekommen sind. Im dritten Teil schlagen sich Sal und Dean in Mexiko herum, die Feier endet im Chaos, wie die meisten Festivitäten im Leben von Dean und Sal.

Und dann verfolgt mich das Buch auch noch:

“The only people for me are the mad ones, the ones who…“ – A conversation on cool

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Musical Sachbuch

Olaf Jubin – Entertainment in der Kritik

TimesSquare(c)TiM-Caspary/PIXELIO

„Die Erfahrung, dass ein persönlich empfundenes Schicksal mit dem Schicksal anderer Menschen übereinstimmt, hat etwas Tröstliches. Es lindert den Druck, den wir immer dann spüren, wenn wir meinen, mit unseren Erfahrungen ganz allein zu sein. Die kommunizierende Kraft des Theaters hebt das Gefühl, ein isoliertes Schicksal zu erleiden, weitgehend auf.“ (Hans Joachim Schäfer)

1.152 Seiten. Dreieinhalb Jahre. Den Großteil dieser Zeit ist dieses Werk natürlich halb gelesen irgendwo in der Wohnung herumgegammelt, weil mich die Trockenheit dieser Untersuchung teilweise wirklich körperlich niedergeschlagen hat. Als Abendlektüre vor dem Schlafengehen eignet sich eine Studie zum Thema Musicalkritiken natürlich ebensowenig als wie zur Unterhaltung an einem lauen Sommerabend. Daher habe ich wie gesagt seit März 2007 kontinuierlich an diesem Werk gelesen und für den zweiten Teil habe ich nicht mal mehr so lange gebraucht (was möglicherweise an den Tabellen der Auswertung lag, die ich mir nicht alle im Detail angesehen habe).

Olaf Jubin ist mit dem Genre Musical sichtlich innig verbunden. Jedem Kapital stellt er den Titel eines Musicalsongs zur Überschrift. Das klingt jetzt nicht so gigantisch, wenn man sich jedoch vor Augen führt, dass seine Überschriften oft bis zur siebten oder achten Ebene gehen und er in den Quellenangaben akribisch Songtitel, Stück, Komponist und Lyricist aufführt, so kann man da schon mal Anerkennung zollen.

Als ganz großen Kritikpunkt muss ich die übertriebene Wertlegung auf gender-neutrale Berufsbezeichnungen anführen. Nach meiner Meinung kann man sich auch als Frau als Journalist oder Mitarbeiter angesprochen fühlen und die Beeinträchtigung des Leseflusses stört mich hier vielmehr als eine möglicherweise fehlende weibliche Berufsbezeichnung. Die letzten 50 Seiten des Werkes wären möglicherweise weggefallen (was wiederum Papier sparte), hätte man sich solche Orgien erspart:

Wenn er/sie allerdings nicht gerade die Finanzierung eines Stückes in Angriff nimmt, reduziert selbst ein(e) etablierte(r) ProduzentIn weitestgehend seinen/ihren Mitarbeiterstab und zwar auf eine(n) GeschäftsführerIn, eine(n) Assistenten/Assistentin und eine(n) LektorIn, der/die nach potentiellen Stücken Ausschau hält.

Im ersten Band erläutert Olaf Jubin erst das Genre und dann die beiden zu untersuchenden Komponisten. Dabei stellt er allerhand interessante Überlegungen zum Thema an und wirft geradezu mit Fachwissen und Recherchen um sich.

Das Genre erzielt also Komplexität durch das Zusammenspiel seiner verschiedenen Bestandteile, von denen jeder für sich genommen – und das gilt besonders für das Buch – diese Eigenschaft nur bedingt aufweisen kann: „Simple characters in a musical book can be full and memorable because they have the richness of music, song, and dance to make them alive in performance.“

Aus meiner Erfahrung war ich eigentlich seit langem der Ansicht, dass ein Musical nicht wirklich gut werden kann, wenn die zugrunde liegende Geschichte nicht passt. Hier wird jedoch die These geäußert, dass die Charaktere erst durch das Zusammenspiel aus Tanz und Gesang Komplexität gewinnen. In weiterer Folge wird auch erläutert, dass Uneinigkeit darüber herrscht, ob Musiknummern die Handlung weitertreiben sollen. Brechen die Charaktere überleitungsfrei in Gesang aus, scheinbar ohne einen Anlass, ist das immer wieder Anlass zur Kritik und ergibt im Allgemeinen einen Bruch der Handlung. Andere Journalisten wiederum erwarten Gesang und Geschichte getrennt. Als Überbegriff wird der Begriff „book trouble“ eingeführt:

Aaron Frankel erläutert, dass darunter in erster Linie ein wie auch immer gearteter Bruch zwischen Dialogstellen und Musiknummern gemeint ist: „,Book trouble’ only means that the elements not put to music fail in craft or in imagination to match those which are. The drop from one energy level to the other shows through.“

In weiterer Folge stellt Olaf Jubin im ersten Band die zu besprechenden Komponisten Stephen Sondheim und Andrew Lloyd Webber vor und wirft einen detaillierten Blick auf deren Karriere bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Werkes (2003, heute also schon etwas angestaubt).

Der zweite Band beschäftigt sich dann mit der intensiven Untersuchung der Kritiken zu Werken von Sondheim und Lloyd Webber. Dabei widmet sich der Autor sehr detailliert den Fragen der Inhalte der Kritiken beispielsweise welche Mitwirkende genannt werden, werden diese bewertet, wie wird das Werk selbst bewertet, welchen Mitwirkenden wird die größte Wichtigkeit beigemessen und vieles mehr. Ins Auge fällt immer wieder, dass Olaf Jubin mit dem Fachwissen der deutschsprachigen Journalisten zum Thema Musical ganz und gar nicht zufrieden ist. Bemerkungen wie diese fallen öfter:

Die wenigen konkreten Gegenüberstellungen beschränken sich zudem auf lediglich vier der insgesamt 19 Sondheim-Musicals im Sample, und diese vier waren alle in Deutschland oder Österreich zu sehen, während Verweise auf Werke des amerikanischen Komponisten, die bislang nur am Broadway und/oder im West End gespielt wurden, völlig unterbleiben. Derartige Verweise würden größeres Fachwissen erfordern, als die meisten deutschsprachigen RezensentInnen mitbringen.

Hier kann ich natürlich nicht umhin, anzumerken, dass Olaf Jubin die Arbeitsbedingungen der deutschsprachigen MusicaljournalistInnen sichtlich nicht bekannt sind. Um Werke von Stephen Sondheim, die in Europa bisher nicht zur Aufführung kamen, zu sehen, bleibt dann wohl nur eine regelmäßige Reise nach New York, was die meisten Arbeitgeber wohl kaum finanzieren werden und vor allem für den freien Journalisten, der seine Reisen selbst finanzieren muss, nicht machbar ist. In den Tageszeitungen gibt es überdies selten Journalisten, die sich nur mit dem Thema Musical beschäftigen. Da diese auch Fachwissen zu anderen Theatergattungen besitzen müssen, kann man ihnen wohl kaum mangelndes Fachwissen in diesem speziellen Bereich zum Vorwurf machen.

Gerade für Journalisten aus diesem Bereich stellt dieses Werk trotzdem eine interessante Betrachtung der eigenen Arbeit dar. Man hinterfragt möglicherweise seine eigenen Strukturen, die sich im Laufe der Jahre der Arbeit von selbst ergeben. Ist dem Komponisten mehr Bedeutung einzuräumen als dem Textdichter? Gerade im deutschsprachigen Raum hat man es außerdem oft mit Übersetzungen zu tun, wo man sich vielleicht öfter die Mühe machen sollte, das Originallibretto intensiver mit dem deutschen Text zu vergleichen. Aus Zeitgründen ist dies leider allzu oft nicht möglich. In jedem Fall muss der Leser auf 1.152 Seiten irgend etwas finden, was ihm zur Fortbildung gereicht, man sollte sich jedoch darauf gefasst machen, bisweilen etwas Flüssigkeit zum Begießen vorrätig zu halten, damit die Trockenheit nicht allzu sehr staubt.

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Roman Unterhaltung

Lauren Weisberger – Die Partyqueen von Manhattan

Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich umgedreht habe. Es gab keinen Grund, keinen Anlass, wenn man einmal davon absieht, dass ich von einem übergeschnappten, metrosexuellen Promi auf einer Vespa entführt wurde. Trotzdem sah ich noch einmal zurück, bevor wir losdüsten. Penelope stand auf dem Bürgersteig, meinen Schal über dem starr ausgestreckten Arm. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke, dann gab Philip Gas, und weg waren wir.

Lauren Weisberger wurde in erster Linie mit ihrem Moderoman „Der Teufel trägt Prada“ und der gleichnamigen Verfilmung mit Anna Hathaway und Meryl Streep bekannt. In „Die Partyqueen von Manhattan“ bleibt sie ihrer Erfolgsstory weitgehend treu.

Heldin ist Bette, die ihren langweiligen Job bei einer Investmentfirma hinschmeißt und daraufhin auf Empfehlung ihres Onkels bei einer Eventagentur anheuert. Dort rutscht sie von einem Moment auf den anderen mitten in die mittlere High Society und hüpft von einem Fettnäpfchen ins andere. Die Bekanntschaft mit dem Frauenschwarm und begehrten Junggesellen Philip Weston bringt ihr in dieser Gesellschaft Pluspunkte. Ihre Freunde stößt sie jedoch ein ums andere Mal vor den Kopf, sogar die Verlobungsparty ihrer besten Freundin Penelope (siehe Zitat oben) verpasst sie wegen ihres neuen Jobs, der natürlich mit den ganzen Partys, auf denen sich Bette quasi beruflich herumtreiben muss, nicht immer wie Arbeit aussieht. Bei all diesen Problemen wird sie auch noch von einer Society-Journalistin verfolgt, die sich auf Bettes Kosten selbst wichtig macht.

Dass dies schließlich in einer menschlichen Katastrophe enden muss, braucht nicht extra gesagt zu werden. Auch das Bette letztendlich erkennt, was wirklich wichtig ist, haben wir bereits in Der Teufel trägt Prada gesehen. Trotz allem beherrscht Weisberger einen erfrischenden Stil, der durchaus wie die Geschichten von Suzan Elizabeth Phillips zu einem dauerhaften Erfolg im Genre der Frauenliteratur werden könnte.