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Roman

Reif Larsen – Die Karte meiner Träume

Buntstifte_(c)_Dr. Klaus-Uwe Gerhardt/PIXELIO

Aber diese Flucht hatte immer einen Beigeschmack von Leere: ich wusste, ich ließ mich von etwas Erfundenem täuschen. Vielleicht kam es genau darauf bei der Lektüre von Romanen an – dass man die richtige Balance zwischen den Freuden der Flucht und dem Bewusstsein der Täuschung fand –, aber zur gleichen Zeit Distanz vom Wirklichen und vom Fiktiven zu wahren ist mir nie gelungen. Vielleicht musste man erwachsen sein, um diesen Drahtseilakt fertigzubringen, zu glauben und gleichzeitig nicht zu glauben.

Der junge T. S. Spivet ist kein „normales“ Kind. Er verbringt seine Kindheit mit seiner Familie auf deren Ranch in Montana. Auf der Familie liegt der Schatten des Todes von Layton, dem älteren Bruder, der durch einen Unfall mit einem Gewehr ums Leben kam. Nicht nur T. S. gibt sich die Schuld an dessen Tod, es steht im Raum, dass auch beider Vater T. S. die Schuld gibt und ihn daher weniger liebt als den verstorbenen großen Bruder. T. S. verbringt seine Zeit mit dem Kartografieren von allen Begebenheiten, die ihm in seinem jungen Leben begegnen. Sein Zimmer ist vollgestopft mit Notizbüchern, in denen er sein Leben im wahrsten Wortsinne aufzeichnet. Dazu gehören die Art und Weise, wie seine Schwester Gracie Maiskolben putzt genauso wie die Käfer, die seine Mutter sammelt. Diese arbeitet als Wissenschaftlerin, hängt aber an der Suche nach einem Käfer, dessen Existenz zu beweisen sie sich zur Lebensaufgabe gemacht hat.

Durch seinen Mentor Dr. Yorn wird T. S. für den hochdotierten Baird-Preis des Smithsonian Museum ausgewählt. Die dortigen Verantwortlichen wissen natürlich nicht, dass es sich bei dem talentierten um einen 12-jährigen Jungen handelt. T. S. macht sich ohne das Wissen seiner Eltern auf den Weg nach Washington, um seine Rede zur Verleihung des Preises zu halten. Ein großes Abenteuer, bei dem er gar nicht weiß, was er zuerst kartografieren soll. Auf der Reise begleitet ihn ein Notizbuch, das er aus dem Büro seiner Mutter entwendet hat, indem die Geschichte von Emma Osterville, einer weiblichen Pionierin der Wissenschaft verzeichnet ist.

Je mehr die Reise fortschreitet, umso mehr erfährt man über die Geschichte der Familie und die Eigenheiten der einzelnen Personen. Einzig Schwester Gracie wird keine ausreichende Charakterisierung zuteil, wäre dies ein Musical, müsste man ihre Rolle kritisch hinterfragen, man würde wohl Schwierigkeiten haben, ein Solo für sie zu schreiben, eine eher undankbare Rolle.

Auf seinem Weg nach Washington begegnen T. S. (auch die Geschichte seines ausgefallenen Namens Tecumseh Sparrow wird ausführlich dokumentiert) viele spezielle Charaktere, die ihn auf seinem Weg unterstützen oder behindern. In Washington selbst stößt er auf den Geheimbund der Megatherier, in dem überraschenderweise auch seine Mutter Mitglied ist. Doch das Buch endet mit einer überraschenden Wendung, viele Fragen bleiben offen, eine Fortsetzung läge nahezu auf der Hand. Der abenteuerlustige T. S. erkennt schließlich den Wert von Familie und Heimat. Doch diese Geschichte ist noch nicht zuende. Vielleicht ist dies auch ein Faktor, der diese Geschichte so spannend und mitreißend macht. T. S. hat sein Leben noch vor sich und die Frage, ob er dieses als angehender Wissenschaftler oder als einsames Kind auf der Ranch in Montana verbringen wird, bleibt als Spannungsfaktor stets präsent. Ein unvorhersehbarer Roman mit Überraschungen auf nahezu jeder Seite. Absolute Leseempfehlung.

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