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English Erfahrungsbericht Reise

Alice Morrison – Walking With Nomads

  1. 1.000 Books in the Fridge!
  2. Heutige Buchbesprechung.
  3. Bericht zur Ausstellung „Deaf Journey“ im Volkskundemuseum Wien.

Screenshotausschnitt einer Webseite, Text Published (1,000)

Das ist der tausendste veröffentlichte Post auf diesem Blog! Seit dem 26. November 2007 habe ich also mehr als 1.000 Bücher gelesen (nicht alle wurden hier veröffentlicht, es sind aber kaum mehr als 10 Bücher, die ich aus persönlichen Gründen nicht öffentlich dokumentiert habe). 1.000 Bücher in 17 Jahren, das fühlt sich für mich gleichzeitig viel und wenig an. Erinnert mich an den Moment, als mir als Kind klar wurde, dass ich niemals alle Bücher in unserer damaligen kleinen Stadtbücherei lesen werde können. Heute wird noch sehr viel mehr veröffentlicht, durch eBooks, Audio-Books (nicht mein Medium, aber für viele Menschen sehr wichtig) und Self-Publishing können Bücher veröffentlicht werden, für die es sonst keinen Markt gäbe. Diesen Nischen möchte ich in den nächsten 1.000 Posts auch mehr Aufmerksamkeit schenken. Es werden weiterhin viele Krimis vorkommen, weil ich die zur Entspannung und Unterhaltung einfach gern lese. Memoirs (Geschichten aus dem echten Leben, von realen Personen, Blicke in andere Lebenswelten) haben mich in den letzten Jahren auch sehr interessiert (wie sich an der heutigen Buchbesprechung auch zeigt). Ich möchte aber auch in mir bislang verborgene Ecken vordringen.

Meine Mutter erzählt gerne, dass sie sich sehr gefreut hat, als ich endlich in die Schule gehen durfte, weil sie mir immer so viel vorlesen musste. Da war sie froh, als ich dann selbst lesen lernte. (Vor-)Lesen hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, es ist mein längstes und wichtigstes Hobby. Das Lesen erlaubt mir, über den Tellerrand meiner eigenen kleinen Welt zu schauen, es gibt mir Anregungen über andere Lebensentwürfe und -modelle, es lässt mich aber auch aus meiner eigenen Welt aussteigen, wenn die gerade nicht so freundlich zu mir ist. Hoffentlich werde ich darauf niemals verzichten müssen.


I feel better for knowing I am not suffering alone. The thing is, though, on this kind of adventure, you have to keep going. You have to keep walking no matter how you feel or what the circumstances are. […] It is an endless, excruciating lesson in patience.

Beim letzten Besuch im Lieblingsbuchgeschäft in Berlin habe ich in einer Ecke ein Regal entdeckt, das vielleicht neu ist oder mir vorher noch nie aufgefallen war. Daraus fischte ich dieses ganz besondere Buch: ein Travel Memoir, das in drei Expeditionen durch Marokko führt. Die Autorin Alice Morrison begibt sich mit drei Guides und sechs Kamelen auf monatelange Wanderungen durch die unterschiedlichen Landschaften von Marokko.

Das obige Zitat drückt ziemlich gut aus, wie sich die Vorstellung einer solchen Expedition für mich anfühlt. Tägliches Gehen von 20 und mehr Kilometern, in extremer Hitze, tägliches Ein- und Auspacken der gesamten Ausrüstung, eingeschränkter Zugang zu frischem Wasser und großteils keinerlei Zugang zu Hygieneeinrichtungen: bleiben wir ehrlich, so eine Reise würde ich niemals machen wollen.

Umso bereichernder finde ich es, darüber zu lesen, das andere Menschen solche Erfahrungen machen. Wie bei so ziemlich jeder Reise sind die oben erwähnten Strapazen natürlich nur die Negativ-Seite. Auf der Positiv-Seite berichtet Alice Morrison von der Kameradschaft, die sie innerhalb ihrer Karawane erlebt, vom herzlichen Willkommen, das sie nahezu überall erwartet, von den atemberaubenden Landschaften, die sie durchwandert und den aufregenden Entdeckungen, die sie in der wenig besiedelten Gegend macht. Als sie kurz vor dem Ende ihrer dritten Expedition selbst Dinosaurier-Spuren entdeckt, ist sie eins mit sich und der Natur:

The drop below me is sheer and there are buzzards overhead. The world is a perfect place. I am here on this mountain, searching for these messages from the past, etched into nature, and I take time to just enjoy the excitement and wonder that I feel. The tiredness and discomforts fade away […]. None of it matters; what matters is to do what you can where you are and to fully live the great moments, like these ones, that come along in every life.

Selbst die ganze Welt zu bereisen, ist den wenigsten Menschen möglich und aufgrund der aktuellen Klimakrise auch nichts mehr, was angestrebt werden kann. Durch Bücher um die ganze Welt zu reisen ist da nicht nur bequemer und günstiger, sondern auch besser für die Umwelt. So wird’s hier weitergehen, danke an alle, die bis hierher gelesen haben.


Im Volkskundemuseum Wien ist noch bis inkl. Sonntag, 29. September 2024, die Ausstellung „Deaf Journey“ zu sehen. Im Rahmen der dritten Hacktours hat eine Gruppe an interessierten Menschen die Ausstellung am 15. September besucht. Durch die Ausstellung wurden wir geführt von Kurationsperson Oliver Suchanek (es/es, they/them). Die Führung wurde in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) abgehalten und durch Dolmetschung (finanziert durch Spenden und unterstützt durch den C3W) in österreichische Lautsprache übersetzt. Die Ausstellung ist ein Projekt des Vereins Gebärdenverse, der sich seit 2o23 „für die Verbindung der hörenden und der gehörlosen Community“ einsetzt.

Schriftzug, in schwarzer Farbe auf eine Wand über einer Tür gemalt: „Identität – die Kunst sich selbst zu verstehen“

Der Untertitel „Der Weg zur Identität“ spannt einen Bogen über die Werke der sieben beteiligten Künstler:innen. Damit soll jedoch nicht eine gehörlose Identität suggeriert werden. Jede der beteiligten Personen hat ihre eigene Reise absolviert, um dort anzukommen, wo sie sich jetzt befindet. Die Reise ist damit auch nicht zu Ende, sie ist ein Prozess, in dem sich immer wieder neue Wege auftun.

Thematisiert werden unterschiedlichste Diskriminierungserfahrungen, mit denen gehörlose Menschen im Alltag immer wieder konfrontiert sind (Audismus). Künstlerin Cecilia Göbl (sie/ihr, she/her) thematisiert diese in ihren Acrylbildern zum Beispiel mit häufigen Vorurteilen, die gehörlose Menschen von Aktivitäten (wie zum Beispiel dem Autofahren) ausschließen. Auf einem anderen Bild zeigt sie, wie Gebärdensprache nicht nur Menschen verbindet. Selbst Kleinkinder, die (noch) nicht sprechen können, sind in der Lage, einfache Gebärden zu erlernen und sich so auszudrücken. Auch Hunde verstehen Handzeichen/Gebärden. Mit ihren Bildern möchte Cecilia Göbl auch zeigen, dass die Gebärdensprache nicht nur ein Hilfsmittel ist, sie erlaubt eine unmögliche Ausdrucksvielfalt. Ein Zitat von ihr aus dem Ausstellungskatalog:

Mit Gebärdensprache kann ich offen ausdrucken und aus Seele gebärden. Einfach mal ich zu sein.

Mir gefällt besonders ihr Bild „Be Unique“. Es zeigt zwei glückliche gebärdende Menschen, gemalt in Rot-Gelb-Orange-Tönen in einer Menge an grau-schwarzen Menschen, die allesamt keine Gesichtszüge haben.

ein Bild an der Wand zeigt zwei glückliche gebärdende Menschen, gemalt in Rot-Gelb-Orange-Tönen in einer Menge an grau-schwarzen Menschen, die allesamt keine Gesichtszüge haben

Ein zentrales Werk in der Ausstellung von Künstler Marko Lalic (er/ihm, he/him) ist ein zweiteiliges Bild, das die unterschiedlichen Facetten der hörenden und der gehörlosen Welt thematisiert. Seine hörende Welt ist von Stress, Unverständnis und misslungener Konversation geprägt, während in seiner gehörlosen Welt Menschen Ruhe haben und sich besser konzentrieren können, weil sie nicht von den vielen Alltagsgeräuschen abgelenkt und überfordert werden. Ein Detail des Bilds zeigt die Silhouette einer Person, die einem Hund gegenübersteht und diesem die Gebärde für das Wort „Sitz(en)“ zeigt.zwei Bilder an der Wand, auf dem linken ist zentral eine Person zu sehen, die sich die Ohren zuhält, darum kleinere Szenen, die allesamt stressig und unangenehm wirken, auf dem rechten Bild ist in der Mitte eine Person zu sehen, die offensichtlich entspannt ist, rundherum Szenen aus dem gehörlosen LebenTerezia Pristacova (sie/ihr, she/her) erweitert die Ausstellung um Videoinhalte. Als schwerhörige Person kann sie „Musik genießen und starke emotionale Bindung zu Musik aufbauen“. In ihren Kunstwerken verbindet sie Tanz mit Gebärdensprache.

Für Franz Steinbrecher (er/ihm, he/him) war die Ankunft „in einer neuen Welt ohne Sprachbarrieren (ÖGS) […] ein neuer Zugang zu Wissen“ nach einem „langen steinigen Weg mit vielen Missverständnisse und Verwirrungen, Einbahnen sowie Abhängigkeiten vom Umfeld.“ Kurationsperson Oliver Suchanek erklärte uns, dass das von Franz Steinbrecher gestaltete Wandbild in der aktuellen Ausstellung eine Fortsetzung eines Bildes darstellt, das er für eine frühere Ausstellung (Deaf Gain) gestaltet hat. Auf dem aktuellen Wandbild ist ein Astronaut im Sprung zu sehen, der zwischen zwei Hälften einer zerbrechenden Welt seine Arme nach dem großen, lebendigeren Teil ausstreckt. Dort fliegen Schmetterlinge, bunte Hände zeigen Gebärden, es weht die Flagge der Gehörlosen (Deaf flag). Sein Bild drückt seinen Wunsch aus, sich von der hörenden Welt mehr und mehr zu lösen, um sich in der gehörlosen Welt richtig entfalten zu können.

Wandbild, ein Astronaut im Sprung, der zwischen zwei Hälften einer zerbrechenden Welt seine Arme nach dem großen, lebendigeren Teil ausstreckt

Lily Emmalie Marek (sie/ihr, she/her) nimmt in ihren Werken Bezug auf die oben angesprochene „gehörlose Identität“. Sie ermöglicht den gehörlosen und schwerhörigen Menschen ein Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl. Gleichzeitig ist aber jede Identität anders zusammen gesetzt und die Individualität der einzelnen Personen geht nicht verloren. Auf einem Tisch sind Bilder ausgelegt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Person zeigen. Die Besucher:innen können nun versuchen, die Bilder in eine Reihenfolge zu bringen und danach überprüfen, ob sie mit der von der Künstlerin vorgesehenen Reihenfolge überein stimmen.

Auf einem Tisch sind Bilder ausgelegt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Person zeigen. Die Bilder zeigen jeweils den Kopf einer Person, mit zusätzlichen Symbolen oder Schriftzügen. Auf einem Bild ist der Mund der Person mit zwei Pflastern kreuzweise verklebt, auf einem anderen Bild steht im Bereich des Gesichts „You are your home“

Gabriel Manasch (er/ihm, he/him) arbeitet für seine Kunstwerke mit unterschiedlichen Materialien. Auffällig ist etwa eine Skulptur, die mittels 3D-Drucker entstanden ist. Sie verbindet die Gebärden für die Worte Schmetterling und Schildkröte. Die Skulptur verweist darauf, dass dies oft die ersten Gebärden sind, die Personen sich merken, wie uns Oliver Suchanek erzählt. Beide Tiere werden teilweise auch von der Gehörlosen-Community als Symbole verwendet. Für Gabriel Manasch ist Gebärdensprache auch ein Ausdruck der Kultur und Gemeinschaft der Gehörlosen-Community. Zwei wiederkehrende Motive in den Werken in der Ausstellung sind (gebärdende) Hände und der Baum als Symbol für Wachstum. Ein Bild von Marko Lalic zeigt eine Hand, aus deren Fingern ein Baum wächst.

eine 3D-gedruckte Skulptur aus grünem Filament, es sind vier Hände, die die Gebärden für Schildkröte und Schmetterling zeigen

Oliver Suchanek (es/es, they/them) hat sich in seinen Werken für diese Ausstellung damit befasst, wie die Gebärdensprache für es eine andere Ausdrucksmöglichkeit ermöglicht. Es thematisiert aber auch, wie das audistische Verhalten der Mehrheitsgesellschaft bei gehörlosen Menschen zu einem Deaf Burnout führen kann. Oliver erzählte uns, wie viel Energie die Anpassung an die hörende Welt im Alltag kostet. zwei Bilder an der Band, oben eine Person, deren Hände zu brennen scheinen, in der Mitte in gelber Farbe auf schwarzem Grund der Text „DEAF BURNOUT“, darunter ein Bild, in der die Silhouette einer Person unter einem Wald aus Wurzeln steht, eine Hand ist nach oben gestreckt und scheint wie ein Licht die Dunkelheit zu erhellenEinen wichtigen Brückenschlag versucht die Ausstellung auch in Richtung anderer marginalisierter Gruppen. Die in der Ausstellung gezeigten Bilder stehen teilweise auch als taktile Version aus dem 3D-Drucker zum Anfassen bereit. Dies soll auch blinden Besucher:innen ermöglichen, die Bilder zu erfahren.

zwei Bilder nebeneinander, beide zeigen eine Person, die das Wort Licht(er) gebärdet, links als Bild, rechts als 3D-gedruckte taktile Version zum Anfassen

Die Ausstellung „Deaf Journey“ ist im Volkskundemuseum Wien noch bis inkl. Sonntag, 29. September 2024, zu sehen. Es gibt noch zwei Termine für Führungen mit Dolmetsch in Deutsch:

  • 23.9. 18 Uhr: Führungsangebot mit Dolmetsch in Deutsch
  • 29.9. 14 Uhr Führungsangebot mit Dolmetsch in Deutsch

Die Ausstellung bietet verschiedene Perspektiven auf die Entwicklung einer gehörlosen Identität und zeigt viele Schwierigkeiten auf, mit denen gehörlose und schwerhörige Menschen im Alltag konfrontiert sind. Ein Besuch mit Führung ist sehr zu empfehlen.

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Erfahrungsbericht Memoir Reise

Peter Mayle – Mein Jahr in der Provence

CN dieses Buch: Gewalt gegen Tiere (Jagd, Entweidung, Stopfleber), Alkoholmissbrauch
CN dieser Post: Erwähnung von Alkohol


Auf meiner letzten Reise fischte ich dieses äußerlich deutlich gealterte Buch aus einem offenen Bücherschrank. Heute würde es in die Kategorie Travel Memoir fallen, ob das damals wohl schon ein Genre war? Der britische Autor Peter Mayle beschreibt den Verlauf eines Jahres in der französischen Provence, wo er sich als Zugezogener mit seiner Frau mit den Eigenheiten der lokalen Bevölkerung und der Tourist:innen auseinandersetzt.

Man kann diese Sommerprovenzalen nicht übersehen. Sie haben saubere Schuhe und die Haut von Menschen, die selten an der frischen Luft sind; sie haben grellbunte, neue Einkaufstaschen und makellose Autos. Durch die Straßen von Lacoste und Ménerbes und Bonnieux treiben sie in der Trance von Menschen auf Besichtigungstour und beäugen die Dorfbewohner, als wären die ebenfalls rare rustikale Sehenswürdigkeiten.

Es wird viel und gut gegessen, Wein und Pastis fließen in Strömen. Handwerker kommen dann, wenn es ihnen passt und werden nie zeitgerecht mit der Arbeit fertig. Besonders lustig fand ich den Abschnitt, der ein Ziegenrennen in einer nahe gelegenen Ortschaft beschreibt. Dabei stellt sich schnell heraus, dass Ziegen ihren eigenen Kopf haben und sich nicht gern vor einen Karren spannen lassen, den sie zur Belustigung der Menge möglichst schnell ins Ziel bringen sollen.

Das Buch hat mich auf meiner Reise bis nach Hause begleitet, ich hatte einfach kaum Zeit zum Lesen. Jetzt werde ich es in den nächsten Bücherschrank stellen und wieder auf die Reise schicken.

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Erfahrungsbericht Reise Sachbuch

Maria Kapeller – Lovely Planet

CN dieses Buch: –
CN dieser Post: –


„Jene aber, die so gereist werden, fahren nur an vielem Neuen vorbei und nicht ins Neue hinein, alles Sonderbare und Persönliche eines Landes muss ihnen notwendig entgehen, solange sie geführt werden und nicht der wahre Gott der Wanderer, der Zufall, ihre Schritte lenkt.“ (Stefan Zweig)

Die Journalistin und Autorin Maria Kapeller versammelt in diesem Buch Recherchen zu verschiedenen Reisethemen. Sie ruft zu einem langsameren Reisen auf, leitet her, warum es so wichtig ist, Flüge zu vermeiden („Die An- und Abreise […] bilden mit rund 80 Prozent den größten Brocken an CO2-Ausstoß während einer Reise“) und untersucht den Reisetrieb der Menschen; also, was uns überhaupt dazu treibt, unbekannte Orte erkunden zu wollen.

Ich hätte viele Leben haben können, aber dankenswerterweise habe ich dieses meine. Es ist nicht selbstverständlich, eine Krankenversicherung, ein Dach über dem Kopf und sauberes Trinkwasser zu haben. Auch die Erkenntnis, dass Menschen trotz materiellem Mangel zufrieden und lebensfroh sein können, haben viele Reisende schon gemacht. Wer die Fähigkeit hat, dankbar zu sein, führt ein glücklicheres Leben.

Reisen, das nicht nur auf möglichst Social-Media-taugliche Fotos ausgerichtet ist, kann dazu führen, dass sowohl die Reisenden als auch deren Umfeld und die bereisten Gebiete von den Effekten des Reisens profitieren. Maria Kapeller führt aus, wie das In-Kontakt-Kommen mit fremden Menschen und Kulturen die Wahrnehmung der Reisenden von der Welt verändern können. Allerdings nur wenn diese das auch zulassen und sich nicht von rein gewinnorientierten Pauschalreisenanbieter:innen durch exotische Gebiete karren lassen. Ein langsameres Reisen, das sich nicht am Abhaken einer Bucket List orientiert, sondern ein tatsächliches In-Kontakt-Kommen ermöglicht, kann dazu führen, dass sich unser Weltbild verändert und wir mit neuen Ideen und neuer Energie zum Verbesssern der Welt nach Hause kommen.

Die These hinter diesem Gedankenspiel: Wer genauer hinschaut, wird demnach automatisch Teil eines Veränderungsprozesses auf dieser Welt, weil das Hinschauen zum Umdenken und Handeln führt.

Die Autorin lässt aber auch nicht unhinterfragt, ob es nicht möglich wäre, die erwünschten Effekte auch ohne oder mit verträglicheren Formen des Reisens zu erreichen. Oft ist es nur das temporäre Aussteigen aus dem eigenen Alltag, das erlebe ich bei mir selbst immer wieder. Weg aus dem eigenen Umfeld zu sein, die Kleinigkeiten im eigenen Leben, die endlich mal Aufmerksamkeit benötigten, zurücktreten zu lassen und mehr in der Gegenwart zu leben und den Augenblick zu genießen. Das ginge jedoch genauso gut im Waldviertel wie in einem weit entfernten Ausland.

Der springende Punkt dabei ist aber nicht das Reisen an sich. Man muss nicht zwingend in ein Flugzeug steigen oder weit wegfahren, um sich zu erholen. Ausschlaggebend ist, sich aus dem Alltag und seinem Umfeld herauszunehmen.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass mich die Bekehrung der Autorin von einer reiselustigen Flugmeilensammlerin zu einer Aktivistin für langsamen und nachhaltigen Tourismus mit einem etwas seltsamen Beigeschmack zurück gelassen hat. Es fühlt sich widersprüchlich an, wenn gerade ein Mensch, der in seinem Leben nach den eigenen im Buch angegebenen Maßstäben schon viel mehr CO2 verursacht hat, als in einem Leben zur Verfügung stünde, dann dazu aufruft, sein eigenes Flugverhalten zu hinterfragen. Natürlich ist niemand perfekt und wir können nicht nur, sondern wir müssen sogar unsere Meinungen und Einstellungen ändern, um die Klimakatastrophe noch irgendwie abmildern zu können. Nur scheint mir auch dieser Aufruf wieder an die Menschen gerichtet, die weniger ausrichten können. Das Flugverhalten von einzelnen Bürger:innen wird die Klimakatastrophe nicht verhindern, wenn reiche Menschen weiterhin mit Privatflugzeugen durch die Gegend jetten und dafür nichtmal entsprechende Steuern zahlen müssen.

Alle Steuerbegünstigungen für Flüge / Flugzeuge / Flughäfen müssen umgehend aufgehoben werden und stattdessen in die Bahninfrastruktur investiert werden. So lange ein Flug einfacher zu buchen und billiger ist als eine Zugverbindung, werden die Menschen sich nicht für die Eisenbahn entscheiden. Flüge müssen entsprechend ihrer Umweltschädlichkeit bepreist und im Gegenzug der öffentliche Verkehr gefördert werden. Das mag (und soll ja auch!) dazu führen, dass sich Menschen weniger Flüge leisten können. Es führt aber auch dazu, dass Menschen in ihrem Alltag eine bessere Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln erhalten und ihren täglichen (!) Verkehrsmittelmix hin zu einer umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Situation verändern können. Denn was wir täglich tun, hat mehr Bedeutungs- und Veränderungskraft als das, was wir hin und wieder mal tun.

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Kurzgeschichten Reise

Roger Willemsen – Die Enden der Welt

Wie auch schon beim Atlas der entlegenen Inseln überkommt mich beim Lesen von Roger Willemsens Reiseerlebnissen stückchenweise das Fernweh. Er beschreibt nicht nur die Orte selbst, er beschreibt Gefühle, wie etwa sehr deutlich in diesem Abschnitt über die kleine Stadt Isafjördur im äußersten Nordwesten Islands:

Nachts schlagen nur noch die Leinen gegen die Fahnenmasten. Das war der Anfang: Ein Geräusch im Kopf, eine korrespondierende Stimmung. Von dem Wunsch beflügelt, das zu hören, bin ich losgeeist. Meine Sehenswürdigkeit war ein Geräusch, aufgelöst in einem Wind mit Schneegeschmack.

Auf der einen Seite muss man die Geschichten einzeln aber jeweils an einem Stück lesen, um die Atmosphäre richtig spüren zu können. Auf der anderen Seite zieht sich ein Thema durch alle Geschichten durch: die Einsamkeit des Reisenden und die Gemeinschaft mit zufällig Mitreisenden. Obwohl man an die meisten beschriebenen Ort eher nicht reisen möchte, ist es das Gefühl des Unterwegs-seins, des Unbekannten, das gleichzeitig anziehend und abstoßend, erhebend und beängstigend wirkt.

Das Ende der Welt, wurde mir gerade bewusst, das ist auch das eigene Zuhause, von einem bestimmten Standpunkt der Fremde aus betrachtet, und weil es so ist, sind diese entlegenen Stätten, die Enden, keine Tore, durch die man aus der Welt hinausgelangt. Aber manchmal sieht es genau so aus, dachte ich, und reiste am nächsten Tag ab, ohne noch einmal im Postamt gewesen zu sein.

Eine rückblickend gruselige Episode ereignete sich bei einem Trip nach Mandalay in Indien. Ein Wahrsager bescheinigt dem Autor: „Älter als achtzig Jahre werden? Nein, das ist leider unmöglich für Sie.“ Roger Willemsen starb im Februar 2016 im Alter von 60 Jahren an Krebs.

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Erfahrungsbericht Reise

Sergio Bambaren – Die blaue Grotte

Diese Seiten werden dir die Kraft geben, das Leben zu leben, das Du gewählt hast, und sie werden Dir das Gefühl geben, dass ich immer bei Dir bin, egal, wo Du bist, und egal, wo ich nun bald sein werde.

Sergio Bambaren (2010 hatte ich Ein Strand für meine Träume gelesen) beschreibt in diesem Band seine Erlebnisse auf einer Lesereise durch Europa. Parallel erzählt er die Lebensgeschichte des Heiligen Franz von Assisi. Die Kurzfassung: Franz von Assisi entstammte einer reichen Familie, entschied sich jedoch, sein Leben wie Jesus Christus in Armut zu verbringen, er wanderte als Prediger durch Italien und fühlte sich der Natur verbunden. Ich erinnere mich an eine Dokumentation über sein Leben, die ich vor vielen Jahren im Religionsunterricht gesehen habe: Brother Sun and Sister Moon. Der Titelsong dröhnt mir heute noch in den Ohren.

Denn ich weiß nun, dass wir immer dorthin gelangen, wo wir hinmüssen, wenn wir uns von den Fesseln des „normalen“ Lebens befreien und unseren eigenen Weg gehen. In meinem Fall habe ich eben auf die Stimme meines Herzens gehört und bin weitergefahren.

Der Autor beschreibt seine Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen auf seiner Reise. Da er im überlaufenen Assisi nicht die erhoffte Ruhe findet, landet er nahe Capri in einem Hotel, das zufällig in einem Gebäude eingerichtet ist, in dem im 13. Jahrhundert von Franz von Assisi ein Kloster gegründet wurde. Auf seiner Reise lernt er viele Menschen kennen, manche geplant, manche zufällig, wie etwa einen Obdachlosen, der ihm (ungewollt, man könnte beinahe sagen: zufällig) eine neue Perspektive vermittelt.

Zu viel denken ist wie billiger Fusel – es tötet die Gehirnzellen. Daher: leben und leben lassen. Und seinen eigenen Weg gehen.

Während des Lesens schwankte ich ständig zwischen dem Gefühl, sofort selbst auf Reisen gehen zu wollen (in letzter Zeit wieder ein häufiger Begleiter) und dem Gedanken, dass diese übertriebene, zur Schau gestellte glückselige Spiritualität einfach nicht wahr sein kann. Mit etwas Abstand betrachtet ist es wahrscheinlich so ähnlich wie mit der Facebook Timeline. In der Facebook (oder Twitter oder Whatsapp oder Instagram …) Timeline zeigen die Benutzer nur die Teile ihres Lebens, die schön sind: das gute Essen, der neue Kugelgrill, das neue Motorrad, den schönen Radausflug. Was man als Leser / Freund / Beobachter nicht sieht, sind die vielen normalen Momente dazwischen, die das Leben wirklich ausmachen. Auch Sergio Bambaren wird auf seiner Reise nicht nur spirituelle Erfahrungen und schöne Begegnungen erlebt haben, sondern auch die Langeweile beim Warten auf den Flug, den Ärger über rücksichtslose Menschen, vielleicht sogar Heimweh oder den kurzfristigen Wunsch, diese Reise niemals angetreten zu haben.

Trotzdem schadet es nicht, sich selbst immer wieder daran zu erinnern, dass es wichtig ist, die schönen Momente im Leben nicht nur zu genießen, sondern sie auch zu erkennen. Damit meine ich nicht die oben erwähnten Highlights, die wir ins Internet hinausschreien, sondern die kleinen Momente des Alltags: den Hund streicheln, Kaffee trinken, die Kinder lachen sehen, Müsli mit frischen Erdbeeren essen. Manche schaffen es vielleicht sogar, das Gras wachsen zu hören. ;-)

Reading Challenge: A book with a colour in the title

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Reise Sachbuch

Katrin Zita – Die Kunst, allein zu reisen

In irgendeinem Medium war mir dieses Buch entgegen geflogen und ich erinnere mich noch, dass mich der Titel so angesprochen hat, dass ich es sofort kaufen wollte (ohne auf die Paperback-Ausgabe zu warten). In meiner lokalen Buchhandlung konnte ich es nach ein paar Tagen abholen. Hätte ich den Untertitel nicht nur überflogen, sondern auch interpretiert, wäre mir wahrscheinlich vorher klar gewesen, dass es sich um ein Coaching-Buch handelt. Ich hab’s ja nicht so mit Selbsthilfe-Literatur. Kürzlich hatte ich ein Buch zum Thema Entscheidungen treffen in der Buchhandlung liegen gelassen (aber immerhin fotografiert, um es wieder zu finden).

Sich selbst wahrzunehmen bedeutet, die eigenen Gefühle zu spüren. Es gilt einzuordnen, was uns froh stimmt und erfüllt, und auch was uns ärgert, nervt oder wütend macht. Diese Wahrnehmung führt zu einer weiteren Erkenntnis, nämlich zur Chance der Beobachtung, welche automatisch ablaufenden Denkmuster diese Gefühle in uns auslösen.

Obwohl mich der Schreibstil der Autorin an Schokomousse erinnert, konnte ich dann doch einige Anregungen mitnehmen. Mein Vorurteil gegenüber Coaching und Lebensberatung wurde zwar stückchenweise bestätigt, aber bei einem Buchpreis von ca. 20€ fürs Hardcover habe ich mich zumindest nicht in Unkosten gestürzt. Ob es die richtige Entscheidung für mich war, mein ohnehin grüblerisches Leben auch noch mit Fragen nach dem richtigen Reisen zu belasten, kann ich nachträglich nicht beantworten.

Die Frau darf alles, sogar Erfolg haben, aber sobald sie selbst die wichtigste Person in ihrem Leben ist, werden Missfallen, böse Worte und offener Hass entgegengebracht. Dies ist gespeist aus Neid, Schmerz und Erkenntnis über das aus der Hand gegebene eigene Leben.

In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass ich kein guter Reisegefährte bin. Ich will alles nach meinem Willen haben, möchte aber nach Möglichkeit, dass meine Reisebegleitung das für mich möglich macht. Schließlich will ich mich im Urlaub entspannen. Das hat natürlich meistens nicht besonders gut geklappt. Dazu kommen dann oft noch die unterschiedlichen Wünsche des jeweiligen Reisegefährten und fertig ist die Katastrophe (und dazu kam es tatsächlich mehrmals mit unterschiedlichen Reisebegleitern). Wenn ich alleine unterwegs bin, hab ich zwar das Problem, alle Entscheidungen selbst treffen und auch ausbaden zu müssen, aber immerhin kann ich dann die Teile, die ich beeinflussen kann, so haben, wie ich es möchte. Von Reisen außerhalb Europas habe ich mich allerdings aus diesem Grund verabschiedet (und mir auch gleich als Ersatz für den abgelaufenen Pass nur einen Personalausweis ausstellen lassen).

Wer klug handelt, reist um die Welt und bereist dabei sich selbst. Denn man lernt mit dem Älterwerden immer besser, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Die Weiterführung dieser Fähigkeit zeigt sich im Austausch mit anderen: Wer bei sich selbst ein gutes Gefühlsmanagement geschaffen hat, ist weitaus klarer und einfühlsamer im Umgang mit anderen.

Je fremder die Umgebung, umso größer werden die Unannehmlichkeiten, mit denen man möglicherweise konfrontiert wird. Für viele Annehmlichkeiten fehlt dann oft das Budget. Erst kürzlich habe ich mir überlegt, ob vielleicht eine Lebenskrise in meinem Leben bisher gefehlt hat und mir daher entsprechende Bewältigungsmechanismen fehlen. Was wiederum der Grund dafür sein könnte, dass mich Kleinigkeiten in einer schlechten Mondphase schon mal aus der Bahn werfen können. Andererseits kann sich niemand auf eine Lebenskrise vorbereiten, weil man nie weiß, wann sie einen erwischt und auf welche Art und Weise das eigene Leben auf den Kopf gestellt wird.

Vielleicht hätte ich das Buch doch besser digital gekauft, um es auf Reisen wieder lesen zu können. Eine Empfehlung kann ich nicht aussprechen, ich glaube, man muss schon eine Affinität für genau dieses Thema oder diese Literatur haben. Für mich war es nicht ganz erwartungsgemäß, aber trotzdem interessant. Und es fühlt sich etwas wie eine Hausübung an. Einige Punkt konnte ich bereits abhaken, andere sind noch offen.

RANDNOTIZ: Während ich das schreibe, höre ich endlich das neue Yellowcard-Album Lift A Sail. Monatelang wurde der Countdown auf den 7. Oktober als Release-Termin runtergezählt. Als ich dann zur Mittagszeit des 7. Oktober das Album laden wollte: Im österreichischen iTunes-Store erst am 10. Oktober verfügbar. Was soll das? Ich hatte vor Wochen vorbestellt, ich kann mir keinen Grund vorstellen, weshalb die Band oder die Plattenfirma einen gleichzeitigen Release auf der ganzen Welt nicht wollen sollten (weniger treue Gemüter hätten wohl längst anderswo runtergeladen). Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass es Apple nicht möglich ist, ein Album auf der ganzen Welt gleichzeitig (von mir aus über 24 Stunden / Zeitzonen verteilt) zur Verfügung zu stellen. Auf meinen diesbezüglichen Frustrations-Tweet bekam ich leider keine Reaktion.

Abgesehen von dieser Vorgeschichte: das Album ist großartig. Southern Air kam für mich nicht an die Großartigkeit von When you’re through thinking, say yes heran, obwohl Here I Am Alive, Always Summer und Telescope absolute Highlights sind. Transmission Home ist eine wunderbare Gänsehaut-Nummer und passte aus anderen Gründen (dazu mehr in einem späteren Post) gerade gut in meine Stimmungslage.

Da die Frühlingstournee Yellowcard zwar nach Europa, aber nicht nach Österreich führt, steht wohl eine Konzertreise an. Diese werde ich höchstwahrscheinlich allein absolvieren. Kopenhagen klingt echt gut.

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Reise Roman

Karin Michalke – Rosa macht blau

Ehrlich gesagt bin ich fast ein bißchen wütend. Ewig hatte ich dieses Buch auf der Liste, weiß natürlich nicht mehr, wo es herkam, hatte es lange nicht bestellt, weil es mehr kostete als Standardtaschenbücher. Dann hab ich’s bei meiner letzten (im doppelten Wortsinn: ich bestelle jetzt in meiner lokalen Buchhandlung) Amazon-Buchbestellung draufgeworfen. Und was habe ich bekommen? Eine dumme Frau, abhängig und hilflos, die sich im Leben nicht zurechtfindet. Davon habe ich grad echt genug.

Gerade frage ich mich wieder, ob ich manchmal zu oberflächlich lese. Aber im Falle von Rosa gibt es keinen Hintergrund. Sie fällt vom Zaun und verliebt sich in Marco, der zufällig mit dem Rad vorbeifährt. Diese lächerliche Jugendverliebtheit behält Rosa bei, bis Marco schließlich die Hochzeit mit Langzeitfreundin Marion bekannt gibt. Rosa lässt sich daraufhin vom Italiener Maurizio verführen. Prinzipiell kein Fehler, tut es ihr doch gut und richtet ihr Selbstwertgefühl auf. Doch als Maurizio im Herbst zurück nach Italien fährt und sich nur mit einem schnulzigen Abschiedsbrief verabschiedet, hat die naive Rosa nichts anderes zu tun als ihm zu folgen und von einem gemeinsamen Leben und einer gemeinsamen Wäscheleine zu träumen.

Natürlich könnte man jetzt Rosas Naivität und Vorsicht gegenüber Männern schieben auf das Wissen, dass ihre Mutter vom Chef belästigt wurde. Natürlich kann es eine Rolle spielen, dass Rosa ihren Vater nicht kannte. Aber es gibt einfach keinen logischen Grund, an einer lächerlichen Jugendverliebtheit festzuhalten und so sein Leben zu verschwenden. Nein, ich versteh’ nicht, was uns die Autorin damit sagen will. Aus der Reihe „es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern“ habe ich schon deutlich inspirierte Werke gelesen (sehr zu empfehlen Nina George). Obwohl sich das Buch sehr angenehm liest und man stets auf den Knalleffekt wartet, kann ich keine Empfehlung aussprechen.

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Reise Roman

Edgar Rai – Nächsten Sommer

„Was du nicht begreifst, Bernhard, und vermutlich nie begreifen wirst, ist, dass Gefühle ihren eigenen Verstand besitzen.“

Sommerbücher müssen her. Oh, ein Roadmovie, also ein literarisches. Das nehm’ ich. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Roadmovies. Die große Freiheit, das Unterwegs-Sein, mit Freunden die Welt entdecken hat schon immer einen besonderen Reiz auf mich ausgeübt. Vermutlich schon allein deshalb, weil ich mich unterwegs nie so fühle wie die Menschen in den Büchern und Filmen … es ist mehr ein Zustand des entspannten Reisens, den ich gern mal erreichen würde. Leider bin ich auf Reisen nie entspannt. Ständig muss man Entscheidungen treffen, was man als Nächstes macht, wo man essen geht, was man essen soll, wo man überhaupt als Nächstes hingeht … das alles ohne die vertrauten Anhaltspunkte des eigenen Goldfischglases. Verstärkt wird das Ganze noch im Ausland ohne entsprechende Sprachkenntnis. Erst kürzlich in Italien erlebt … keine entspannte Reise.

Umso mehr genieße ich dann das mehr oder weniger entspannte Reisen der vier Freunde, die sich aufmachen, weil Felix von seinem Onkel dessen Haus in Südfrankreich geerbt hat. Spontan beschließen sie die Reise. Spontan stößt die spröde Lilith zu ihnen. Spontan springen sie in einem Canyon in einen Bergsee, aus dem sie dann nur mit knapper Not vom Macho Jürgen gerettet werden. Turbulent geht die Reise weiter, alle Beteiligten lernen dabei etwas über’s Leben. Felix arbeitet die schwierige Beziehung zu seinem Vater auf, das Endergebnis ist ein Schach-Showdown um das Haus.

Ein herrliches Roadmovie. Man möchte sich sofort selbst mit Freunden in einen klapprigen Bus setzen und einfach losfahren. Da es in echt sowieso nie so schön ist, wie man es sich vorher ausgemalt hat, kann man auch gleich zuhause bleiben und lieber ein gutes Buch genießen. Oder?

Love is the answer, at least
For most of the questions of my heart.

Why are we here, and where do we go,
And how come it’s so hard?

(Jack Johnson)

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Kurzgeschichten Reise

Kristian Detlev Jensen – Von japanischen Brotbüchsen

Kasper lebt in Nyborg. Er hat mir mal die Schule gezeigt, wo Saybia übte, bevor die Band von einem Tag auf den anderen ihren Durchbruch hatte. Ich habe es sofort im Ohr. Dieses Vermissen wie bei einem Abschied auf einem Bahnhof. „I stay to watch you fade away“.

Ich hatte es auch sofort im Ohr. Das vorliegende Buch ist eine Sammlung von Reisereportagen, die der Autor für ein dänisches Zugmagazin geschrieben hat, ich vermute, man kann es mit dem österreichischen VOR-Magazin vergleichen (indem ich jedoch noch nie ähnlich schöne Reportagen gefunden hätte). Ich erinnere mich noch, dass mich der Titel angesprochen hatte, dass ich damals vermutlich gerade Reiselust empfunden habe (wie sie mich oft beim Lesen von Reisereportagen überkommt). Dass dann bereits in der ersten Geschichte eine Band vorkommen würde, die auch in meiner Vergangenheit eine große Rolle spielte, die ich monatelang für mich allein hatte, weil sie nicht mal in der österreichischen Alternative-Szene ankam, konnte ich nicht erwarten. Dazu gibt es eine interessante Geschichte: Saybia (der genannte Song übrigens The Second You Sleep) traten beim Forestglade Festival in Wiesen 2003 auf. Sie waren eine der ersten Bands, die spielten, der bereits anwesende Teil der Besucher war damit beschäftigt, sich für die weiteren Acts mit Bier zu stärken. Ich stand relativ einsam in der ersten Reihe direkt vor der Band. Einer der traurigsten Gigs, die ich je erlebt habe, obwohl sie trotzdem mit Engagement spielten. Atmosphäre ist halt schon wichtig bei so einem Konzert.

Einen Teil der Zuggeschichten habe ich tatsächlich im Zug gelesen (total meta), bin ja selbst öfter auf der Schiene unterwegs, obwohl in dieser Zeit gerade keine Langstreckenfahrt dabei war (meine Langstrecken beschränken sich auch meist auf Wien-Salzburg oder Wien-Klagenfurt). Der Autor schreibt so inspirierend, dass man selbst Lust bekommt, aus dem Fenster zu schauen und zu notieren, was man sieht und denkt, nur könnte man gleichzeitig nicht weiterlesen und das wäre dann auch wieder schade.

Er beschreibt auch Begegnungen im Zug, was mich sofort an die seltsame Frau erinnerte, die mich letztens im Zug nach Salzburg heimsuchte. Ich sitze eigentlich lieber im Großraumwagen, um genau diesen Zwangsgesprächen aus dem Weg zu gehen. Diesmal hatte ich jedoch eine Reservierung für ein Abteil bekommen und erfreute mich gerade an der Positivität, dass der Hund herumlaufen und sich unter der Bank verstecken kann, als diese Frau zustieg und praktisch sofort ihre ganze Lebensgeschichte ausbreitete. Sie war unterwegs zu ihrer kranken Mutter nach Italien, die wegen einer Hüftverletzung operiert werden musste und es dauerte keine 20 Minuten, da breitete sie ihre persönlichen Überlegungen zur Sterbehilfe vor mir aus …

Natürlich trifft auch hier wie bei den meisten Reisereportagen die Tatsache zu, dass die Reise im Allgemeinen beschönigt wird. Bei meiner gerade selbst absolvierten Reise (im Großen und Ganzen recht schön), traten immer wieder kleine Ärgernisse auf, die je nach Größe und Relevanz mehr oder weniger die Stimmung trüben (wir durften in Triest mit unserem Hund inkl. Maulkorb nicht im öffentlichen Bus fahren – WTF?). Solche Episoden kommen niemals in den Reisereportagen vor, es wird immer alles total schön geredet und selbst das nicht ganz so Angenehme wird beschönigt und als „Selbsterfahrung“ verkauft (siehe Klosterfasten … don’t get me started …). Andererseits machen die Reisejournalisten zweifellos nur ihren Job, sie sollen ja Reiselust verkaufen. Also darf man sich wohl nicht so mitreißen lassen. Oder man muss sich ausreichend auf die Reise vorbereiten und einen Assistenten zuhause haben, der einen bei Schwierigkeiten schnell aus der Patsche telefoniert ;-) Eine inspirierende Sammlung von Reisereportagen, die Lust darauf macht, unterwegs zu sein.

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Reise Roman

Wolf Serno – Der Wanderchirurg

Echinacea oder Roter Sonnenhut, Heilpflanze (c) Sabine Koriath/PIXELIO

Wolf Serno schickt uns auf die Reise mit dem jungen Helden Vitus von Campodios, der aus dem Kloster auszieht, um seine wahre Identität und möglicherweise seine Familie zu finden, denn er wurde als Baby vor dem Kloster gefunden. Von seinen Mitbrüdern wurde er in der Kunst der Heilkunde unterwiesen, was ihm auf seinem weiten Weg nicht nur behilflich ist, sondern sogar ein ums andere Mal das Leben rettet.

Kaum hat Vitus das Kloster verlassen, landet er auch schon im Kerker, verraten von einem diebischen Zwerg, der später in der Geschichte noch Gelegenheit haben wird, sich zu rehabilitieren (denn wirklich böse Gestalten gibt es in dieser Geschichte eigentlich kaum). Der Kerker nimmt die Dynamik aus der Geschichte, lange Kapitel berichten nur über die Gestalten, die Vitus im Kerker kennenlernt, es dauert ewig, bis er überhaupt mal zu hören bekommt, was ihm eigentlich vorgeworfen wird. Jedoch geht auch nach seiner Befreiung nicht wirklich viel weiter. Vitus hilft bei der Olivenernte und schließt sich schließlich einer Gauklertruppe an, seinem Ziel England kommt er nur sehr langsam näher. Erst gegen Ende des Buches geht auf einmal alles ganz schnell, kaum kann Vitus mit der Hilfe seiner Schiffsgenossen das Wappen identifizieren, sitzt er schon neben seinem Großonkel und lässt sich die fragwürdige Geschichte seiner Mutter erzählen.

Was historische Romane angeht, habe ich schon einige Erfahrungen hinter mir, hier muss ich leider sagen, dass ich mich lange Kapitel wirklich gelangweilt habe. Die Erzählung plätschert ohne rechte Höhepunkte dahin und da der Leser immer schon im Voraus erahnt oder sogar weiß, dass Vitus gerade wieder mal naiv in eine Falle läuft, möchte man ihn teilweise anschreien, er möge doch endlich die Augen öffnen. Ein Roman mit der Dynamik eines Kräuterpfarrers.

Ewiges Licht, scheine in unsere Herzen,
Ewige Güte, erlöse uns von dem Bösen,
Ewige Weisheit, vertreibe das Dunkel unserer Unwissenheit,
Ewige Trauer, habe Gnade mit uns,
dass wir mit unserem Herzen, unserem Verstand, unserer Seele, unserer Kraft Dein Angesicht erkennen und dass Deine unendliche Gnade uns zu Deiner Göttlichkeit führt.
Amen.