Categories
Roman

Shalom Auslander – Eine Vorhaut klagt an

Solewasserbehälter BadHall

Ich blickte auf Avrumis leeren Stuhl. Avrumi war ein pummeliger Junge mit schwerer Kieferfehlstellung und üblem Mundgeruch, aber jetzt hatte ich plötzlich großen Respekt vor ihm. Ich überlegte, was er wohl getan hatte, um den Tod seines Vaters zu verursachen. Was es auch war, es musste ziemlich schlimm gewesen sein.

Schon nach den ersten Seiten drängt sich die Frage auf: warum betrachten vom Glauben (im strengen Sinn verstanden) abgefallene Juden ihre Religion mit soviel mehr Humor als „Abtrünnige“ anderer Religionen? Ist der schwarze Humor genauso tief verwurzelt wie die strengen Traditionen, oder entwickelt er sich durch die koschere Ernährung? Oder muss ich mich wirklich mal mit diesem David Safier (Jesus liebt mich) beschäftigen, der ja angelich ganz lustig schreiben soll? Und hat das überhaupt etwas mit Religion zu tun?

Der Autor betrachtet seine Kindheit und seine Entwicklung zu einem eigenverantwortlichen Menschen, der sich tagtäglich mit seiner Religion auseinandersetzt, aus einem äußerst amüsanten und schonungslosen Blickwinkel. Allein die Beschreibung kreativer Streitvermeidungstechniken wie spontaner Comedy-Einlagen oder das routinierte Umstoßen von Gläsern, die er sich angewöhnt hat, um den Vater von irgendeinem Ärger abzulenken, unterhält bestens.

Bin ich der Nächste? Meine Lehrer sagten mir, es sei eine Sünde – zu bestrafen mit dem Tod von oben –, wenn ein Jude das jüdische Volk beschäme, was, wie ich fürchte, diese Geschichten tun. Doch ich atme tief durch und rufe mir in Erinnerung, dass es Aaron Spelling ganz gut geht, und wenn er das jüdische Volk nicht beschämt, dann weiß ich auch nicht.

Von Eltern und Lehrern aufgestellte Regeln werden von Jugendlichen immer in Frage gestellt, welcher Religion sie sich nun auch (mehr oder weniger) zugehörig fühlen. Doch unser Autor/der Ich-Erzähler stellt sich auch ständig die Frage, wie Gott ihn für die begangenen Regelverletzungen und Missetaten bestrafen wird. Typisch Gott. Wer wird sterben müssen, um diese Sünde zu sühnen? Eine gute Woche ist vergangen, welche ausgleichenden Negativereignisse sind nun zu erwarten? Doch schließlich scheint eine Befreiung aus der Denkspirale nicht nur möglich sondern lebensnotwendig.