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Sachbuch

Nelly Bly – Zehn Tage im Irrenhaus

Vergleichen Sie dies mit einem Verbrecher, dem jede Gelegenheit geboten wird, seine Unschuld zu beweisen: Wer würde nicht lieber ein Mörder sein und sein Leben aufs Spiel setzen, als für geistig krank erklärt zu werden und ohne jede Hoffnung auf Rettung zu sein?

In einem Gespräch mit D. fiel der Titel dieses Buches, von dem ich mir inzwischen nicht mehr sicher bin, dass tatsächlich dieses gemeint war. Bei der Bestellung im lokalen Buchgeschäft war mir gar nicht klar gewesen, dass dieses Werk bereits so viele Jahre auf dem Buckel hat.

Die Journalistin Nelly Bly lässt sich 1887 im Auftrag der Zeitung New York World in die Frauenpsychiatrie einweisen. Damals deckte sie mit ihrem Bericht unglaubliche Missstände auf. Heute scheint es hauptsächlich interessant, wie einfach es für sie war, sich trotz geistiger Gesundheit einweisen zu lassen. So wurden damals offenbar auch Frauen eingewiesen, die vor ihrem Aufenthalt in der Psychiatrie keine geistigen Probleme hatten, mit denen man aber einfach nicht wusste, wie ihnen zu helfen wäre. Beispielsweise die Geschichte einer Ausländerin, mit der mangels Sprachkenntnissen keine Kommunikation möglich war:

Mrs. Schanz flehte auf Deutsch darum zu erfahren, wo sie war, und bat inständig, freigelassen zu werden. Ihre Stimme war von Schluchzern durchbrochen, und sie wurde, ohne dass man sie angehört hätte, zu uns geführt.

Dass Machtpositionen (wie hier Ärzte und Schwestern Macht über die Insassen haben) immer ausgenutzt werden, wenn keine Kontrolle zu befürchten ist, haben unterschiedlichste Beispiele der Geschichte gezeigt. Gerade Irrenanstalten sind da auch immer wieder Thema gewesen. Wer sich für diese psychologischen Hintergründe interessiert, wird vermutlich in anderen Werken mehr Informationen finden, jedoch ist Nelly Blys Bericht heute noch als Buch erhältlich und allein dies kann Zeugnis darüber ablegen, dass es zum Zeitdokument geworden ist.

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Sachbuch

Chris Hadfield – Anleitung zur Schwerelosigkeit

Es begann alles mit dem Video von der ISS, in dem Astronaut Chris Hadfield den berühmten Song Space Oddity von David Bowie covert. Wie die Gitarre herumschwebt, hat verdammt viel Aufsehen erregt und Chris Hadfield weltweite Bekanntheit beschert. Daraus entwickelte sich wohl auch dieses Buch, in dem er beschreibt, welche Fähigkeiten für einen Astronauten wichtig sind und warum einem diese auch im Alltag helfen, das Leben zu meistern.

Meine markierten Zitate kann ich leider nicht mehr wiedergeben, da ich das Buch aus der Onleihe der Büchereien Wien ausgeliehen hatte. Da sich das Buch nach der Ausleihzeit von 14 Tagen selbst zerstört, hat man ab diesem Zeitpunkt nur noch Zugriff auf die eigenen Notizen, aber nicht auf die markierten Textstellen. Diesmal hatte ich vergessen, mir rechtzeitig die Zitate rauszuschreiben, daher kann ich nun nichts wiedergeben. Ohnehin möchte ich das Buch eher nochmals auf englisch lesen und vertage aus gegebenem Anlass eine genauere Beschreibung auf einen späteren Blogpost.

Am Herzen liegt mir in diesem Zusammenhang jedoch eine allgemeinere Betrachtung zur Situation auf dem ebook-Markt und auch der Onleihe. Die Büchereien Wien bieten ihren Kunden auch eine Leihmöglichkeit für „virtuelle Medien“ an, die so genannte Virtuelle Bücherei. Zur Auswahl stehen eBook, eAudio und ePaper. Dazu verwenden die Büchereien eine Bibliothekssoftware namens Onleihe, hergestellt von der Firma Divibib. Diese verwendet das DRM von Adobe. (Ob nur dieses verwendet wird, oder ob es auch andere Formate gibt, konnte ich durch längere Recherche auf den Webseiten nicht feststellen.)

Am 6. Oktober wurde von The Digital Reader eine Sicherheitslücke veröffentlicht. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Adobe Digital Editions 4 Software detaillierte Userdaten im Plaintext an Adobe Server schickt. Dies ist aus zwei Aspekten zu betrachten:

1) Ganz klar ist: diese Daten müssten verschlüsselt werden. Dass die Daten unverschlüsselt übertragen werden, kann nur ein Fehler sein. Adobe hat dies auch rasch zugegeben und Besserung gelobt. Eine direkte Quelle dafür habe ich nicht gefunden, in diesem Follow-Up-Blog-Post von The Digital Reader wird es jedoch erwähnt:

But on the plus side, at least Adobe is now promising to encrypt their spying. They’re not promising to stop it but at least now no one will be able to listen in.

Am 23. Oktober wurde die neueste Version von Adobe Digital Editions (4.0.1) veröffentlicht, Adobe behauptet zumindest in den Release Notes, dass die gesammelten Daten nun über eine HTTPS-Verbindung übertragen werden.

2) Welche Daten sammelt Adobe genau und ist das überhaupt in Ordnung? In der allgemeinen Datenschutzrichtlinie von Adobe finden sich keine Details zu den Daten, die gesammelt werden. Im Prinzip ist die Formulierung derart, dass Adobe sich offen hält, alle Daten über die Benutzer zu speichern, die irgendwie verfügbar sind:

Wir erfassen Informationen darüber, wie Sie unsere Websites und Anwendungen nutzen, einschließlich des Zeitpunkts, zu dem Sie eine Desktopproduktfunktion verwenden, die eine Online-Verbindung herstellt (wie z. B. eine Fotosynchronisierungsfunktion).

Auch beängstigend:

Um unsere Datenbanken auf dem neuesten Stand zu halten und für Sie relevante Inhalte und Erlebnisse zu bieten, können wir im Einklang mit geltendem Recht Informationen über Sie mit Informationen von öffentlichen Quellen und unseren vertrauenswürdigen Partnern verbinden. Anhand dieser Quellen können wir beispielsweise die Firmengröße und Branche unserer Firmenkunden ermitteln.

Nachdem diese ganze Geschichte bekannt wurde, hat Adobe hier nachgebessert und genauere Informationen über die gesammelten Daten zur Verfügung gestellt. Danach muss man jedoch auch mühselig suchen.

Nach dieser allgemeinen Zusammenfassung kommen jetzt meine persönlichen Erfahrungen. Nach Bekanntwerden dieser Sicherheitslücke schickte ich ein E-Mail an meine Bücherei. Ich ersuchte darum, die Nutzer der Onleihe zu informieren und bei Adobe Beschwerde einzulegen. Die Büchereien Wien antworteten mir rasch, gaben sich „gelinde gesagt – wenig erfreut über diese Entwicklung“, halten sich jedoch für nicht zuständig, da sie Adobe nicht beeinflussen könnten und verwiesen mich an den Hersteller der Onleihe – Divibib.

Meine Anfrage an diese Adresse wurde weitaus weniger freundlich beantwortet. Zuerst wurde ich auf diese Information vom 15. Oktober verwiesen. Ich widersprach in meinem Antwortmail der folgenden Aussage:

Zu den gesammelten Daten gehören demnach Benutzer-ID, App-ID, IP-Adresse, Metadaten des jeweiligen E-Books, Datum des Kaufs/Downloads, Dauer der Lesesitzung und den Lesefortschritt und zuletzt gelesene Seiten. Dass ADE gewisse Daten speichert, ist notwendig. Denn nur so kann Adobe die Nutzung des E-Books wirksam kontrollieren.

Ginge es nur um das DRM, würde eine ID des Buches sowie des Users ausreichen. Außerdem: wenn ältere Versionen der Adobe Digital Editions diese Daten nicht übertragen, wie können sie dann notwendig sein?

Weiters forderte ich die Divibib GmbH auf, als Kunde auf Adobe einzuwirken, den Nutzern alternative Möglichkeiten anzubieten und Adobe das Monopol zu entziehen. Darauf erhielt ich im Prinzip keine Antwort. Im nächsten Mail verwies man mich auf ältere ADE Versionen mit dem Hinweis: „hier wurden entsprechende Vorwürfe nicht bekannt.“ Hat man jedoch die aktuellste Version des ADE installiert, gibt es keine Möglichkeit, auf eine ältere Version umzusteigen, da Adobe jeweils nur die aktuellste Version des Programmes zum Download stellt.

Weiters verwies man mich an meine Heimatbibliothek und das Onleihe Userforum. Die SSL-Config dieses Forums ist das Negativbeispiel schlechthin. Auf meinen diesbezüglichen Hinweis erhielt ich bloß die Antwort, es würden alle Datenschutzbestimmungen eingehalten. Da es sich um eine deutsche Firma handelt, ist hier wohl deutsches Datenschutzgesetz anzuwenden. Falls sich jemand hiermit auskennt / auseinandersetzen will, würde ich mich freuen.

Meine weiteren Fragen wurden schlicht ignoriert bzw. mit dem Bescheid „diese Informationen liegen uns nicht vor“ abgewiegelt. In ihren eigenen Datenschutzbestimmungen (nur als PDF erhältlich!) hält sich die Divibib GmbH übrigens auch aus allem heraus und wälzt die Verantwortung auf die User ab.

§ 4 Technische Voraussetzungen
Um die „Onleihe“ nutzen zu können, müssen Sie als Bibliotheksnutzer über eine geeignete Hardware und Online-Technologie verfügen und sich auf eigene Kosten und Gefahr Zugang zu elektronischen Diensten und Medien, insbesondere zum Internet, verschaffen. Sie müssen diese Hardware und Online-Technologie den sich verändernden technischen Standards im Internet und der „Onleihe“ auf eigene Kosten anpassen.

Da ich die Adobe Digital Editions App nicht verwende, bin ich nicht akut betroffen. Ich nutze die Onleihe App am iPad und lese die Bücher im Bluefire Reader. Auch von dieser Stelle gibt es ein Statement, Bluefire behauptet, keine Daten zu sammeln. Trotzdem hat mich der gesamte Ablauf dieser Angelegenheit dermaßen angewidert, dass ich überlege, wieder vollständig auf Papier umzusteigen. Adobe selbst verweist auf seine Datenschutzbestimmungen und kommt vergleichsweise einfach davon. Alle untergeordneten Unternehmen fühlen sich nicht zuständig und verweisen auf Adobe. Adobe hat bereits Userdaten verloren.

Der Umgang der Divibib GmbH mir gegenüber in dieser Angelegenheit war unhöflich und nicht hilfreich. Zu behaupten, man wolle gern weiterhelfen, reicht nicht aus, wenn gleichzeitig alle gestellten Fragen ignoriert werden und lediglich nicht passende Textbausteine als Antwort gegeben werden.

Persönlich muss ich mir jetzt die Frage stellen, wie privat meine Lesegewohnheiten eigentlich sind, da ich hier ohnehin sehr genau beschreibe, was ich lese. Meine Meinung über die unterschiedlichen Bücher gibt vermutlich mehr über mich preis, als ich mir vorstellen möchte. Trotzdem möchte ich nicht, dass Adobe diese Daten sammelt und mit anderen öffentlichen Informationen über mich verknüpft (siehe Zitat aus der Datenschutzrichtlinie oben). Fürs Erste werde ich keine Bücher mehr aus der Onleihe ausleihen und mich bei Gelegenheit wieder mal nach Alternativen umsehen.

Nachtrag: Thematisch passender Galgenhumor der Büchereien Wien auf Twitter zu Halloween:

Ich gehe als Adobe Kopierschutz. Schickt mir also schon mal eure Daten. #mediengrusel

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Reise Sachbuch

Katrin Zita – Die Kunst, allein zu reisen

In irgendeinem Medium war mir dieses Buch entgegen geflogen und ich erinnere mich noch, dass mich der Titel so angesprochen hat, dass ich es sofort kaufen wollte (ohne auf die Paperback-Ausgabe zu warten). In meiner lokalen Buchhandlung konnte ich es nach ein paar Tagen abholen. Hätte ich den Untertitel nicht nur überflogen, sondern auch interpretiert, wäre mir wahrscheinlich vorher klar gewesen, dass es sich um ein Coaching-Buch handelt. Ich hab’s ja nicht so mit Selbsthilfe-Literatur. Kürzlich hatte ich ein Buch zum Thema Entscheidungen treffen in der Buchhandlung liegen gelassen (aber immerhin fotografiert, um es wieder zu finden).

Sich selbst wahrzunehmen bedeutet, die eigenen Gefühle zu spüren. Es gilt einzuordnen, was uns froh stimmt und erfüllt, und auch was uns ärgert, nervt oder wütend macht. Diese Wahrnehmung führt zu einer weiteren Erkenntnis, nämlich zur Chance der Beobachtung, welche automatisch ablaufenden Denkmuster diese Gefühle in uns auslösen.

Obwohl mich der Schreibstil der Autorin an Schokomousse erinnert, konnte ich dann doch einige Anregungen mitnehmen. Mein Vorurteil gegenüber Coaching und Lebensberatung wurde zwar stückchenweise bestätigt, aber bei einem Buchpreis von ca. 20€ fürs Hardcover habe ich mich zumindest nicht in Unkosten gestürzt. Ob es die richtige Entscheidung für mich war, mein ohnehin grüblerisches Leben auch noch mit Fragen nach dem richtigen Reisen zu belasten, kann ich nachträglich nicht beantworten.

Die Frau darf alles, sogar Erfolg haben, aber sobald sie selbst die wichtigste Person in ihrem Leben ist, werden Missfallen, böse Worte und offener Hass entgegengebracht. Dies ist gespeist aus Neid, Schmerz und Erkenntnis über das aus der Hand gegebene eigene Leben.

In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass ich kein guter Reisegefährte bin. Ich will alles nach meinem Willen haben, möchte aber nach Möglichkeit, dass meine Reisebegleitung das für mich möglich macht. Schließlich will ich mich im Urlaub entspannen. Das hat natürlich meistens nicht besonders gut geklappt. Dazu kommen dann oft noch die unterschiedlichen Wünsche des jeweiligen Reisegefährten und fertig ist die Katastrophe (und dazu kam es tatsächlich mehrmals mit unterschiedlichen Reisebegleitern). Wenn ich alleine unterwegs bin, hab ich zwar das Problem, alle Entscheidungen selbst treffen und auch ausbaden zu müssen, aber immerhin kann ich dann die Teile, die ich beeinflussen kann, so haben, wie ich es möchte. Von Reisen außerhalb Europas habe ich mich allerdings aus diesem Grund verabschiedet (und mir auch gleich als Ersatz für den abgelaufenen Pass nur einen Personalausweis ausstellen lassen).

Wer klug handelt, reist um die Welt und bereist dabei sich selbst. Denn man lernt mit dem Älterwerden immer besser, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Die Weiterführung dieser Fähigkeit zeigt sich im Austausch mit anderen: Wer bei sich selbst ein gutes Gefühlsmanagement geschaffen hat, ist weitaus klarer und einfühlsamer im Umgang mit anderen.

Je fremder die Umgebung, umso größer werden die Unannehmlichkeiten, mit denen man möglicherweise konfrontiert wird. Für viele Annehmlichkeiten fehlt dann oft das Budget. Erst kürzlich habe ich mir überlegt, ob vielleicht eine Lebenskrise in meinem Leben bisher gefehlt hat und mir daher entsprechende Bewältigungsmechanismen fehlen. Was wiederum der Grund dafür sein könnte, dass mich Kleinigkeiten in einer schlechten Mondphase schon mal aus der Bahn werfen können. Andererseits kann sich niemand auf eine Lebenskrise vorbereiten, weil man nie weiß, wann sie einen erwischt und auf welche Art und Weise das eigene Leben auf den Kopf gestellt wird.

Vielleicht hätte ich das Buch doch besser digital gekauft, um es auf Reisen wieder lesen zu können. Eine Empfehlung kann ich nicht aussprechen, ich glaube, man muss schon eine Affinität für genau dieses Thema oder diese Literatur haben. Für mich war es nicht ganz erwartungsgemäß, aber trotzdem interessant. Und es fühlt sich etwas wie eine Hausübung an. Einige Punkt konnte ich bereits abhaken, andere sind noch offen.

RANDNOTIZ: Während ich das schreibe, höre ich endlich das neue Yellowcard-Album Lift A Sail. Monatelang wurde der Countdown auf den 7. Oktober als Release-Termin runtergezählt. Als ich dann zur Mittagszeit des 7. Oktober das Album laden wollte: Im österreichischen iTunes-Store erst am 10. Oktober verfügbar. Was soll das? Ich hatte vor Wochen vorbestellt, ich kann mir keinen Grund vorstellen, weshalb die Band oder die Plattenfirma einen gleichzeitigen Release auf der ganzen Welt nicht wollen sollten (weniger treue Gemüter hätten wohl längst anderswo runtergeladen). Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass es Apple nicht möglich ist, ein Album auf der ganzen Welt gleichzeitig (von mir aus über 24 Stunden / Zeitzonen verteilt) zur Verfügung zu stellen. Auf meinen diesbezüglichen Frustrations-Tweet bekam ich leider keine Reaktion.

Abgesehen von dieser Vorgeschichte: das Album ist großartig. Southern Air kam für mich nicht an die Großartigkeit von When you’re through thinking, say yes heran, obwohl Here I Am Alive, Always Summer und Telescope absolute Highlights sind. Transmission Home ist eine wunderbare Gänsehaut-Nummer und passte aus anderen Gründen (dazu mehr in einem späteren Post) gerade gut in meine Stimmungslage.

Da die Frühlingstournee Yellowcard zwar nach Europa, aber nicht nach Österreich führt, steht wohl eine Konzertreise an. Diese werde ich höchstwahrscheinlich allein absolvieren. Kopenhagen klingt echt gut.

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Sachbuch

Adele Faber, Elaine Mazlish – How to talk so teens will listen & listen so teens will talk

Mein Patenkind ist inzwischen zu einem jugendlichen Mädchen herangewachsen, ein junger Teenager, aber doch nicht mehr ganz Kind. Das spüren die Eltern, aber auch ich im Gespräch mit ihr immer wieder daran, dass sie sich einerseits viele Gedanken macht und sich die Themen in den letzten Monaten deutlich verschoben haben. Daraus folgt aber auch, dass sie alles in Frage stellt, speziell die Regeln, die ihre Eltern für sie aufstellen. Wie geht man mit einem Kind in diesem Alter um?

Im ersten Kapitel habe ich einiges wiedergefunden, was ich bereits aus dem Vorgängerbuch How to talk, so kids will listen … kannte. Speziell das Zuhören anstatt Kommentieren habe ich bereits mit Erfolg angewandte (und zwar bei Weitem nicht nur bei Kindern, es funktioniert bei Erwachsenen auch ganz hervorragend). Es ist nicht so leicht, wir haben uns angewöhnt, die Gefühle von anderen in Beziehung zu unseren eigenen zu setzen und uns vorzustellen, wie wir uns in dieser Situation fühlen würden. Das funktioniert bei Erwachsenen, die Probleme austauschen, meist ganz gut, weil beide Seiten wissen, dass genau das passiert. Bei Jugendlichen fühlt man sich als Erwachsener schnell überlegen, man glaubt, man „weiß es besser“, man nimmt die Gefühle der jugendlichen Person nicht ernst (weil man natürlich selber weiß, dass das erste „miteinander-gehen“ mit einer interessanten Person zumeist von langfristiger Bedeutung ist). Doch gerade dieses nicht-ernst-nehmen führt bei Jugendlichen dazu, dass sie den Eltern (oder anderen Bezugspersonen) gar nichts mehr erzählen wollen. So banal das klingt: Die Gefühle der anderen Person sollte man in jedem Fall akzeptieren, auch wenn sie einem selbst lächerlich erscheinen mögen.

So weit so gut. Weitere Tips und Beispiele lassen mich dann eher kopfschüttelnd zurück. Obwohl ich selbst nicht Mutter bin, kenne ich viele Geschichten aus der Realität und weiß daher, dass es ganz ohne Bestrafungen nicht geht. Die vorgeschlagenen Alternativmethoden:

  • State your feelings.
  • State your expectations.
  • Show how to make amends.
  • Offer a choice.
  • Take action.

In den erklärten Beispielen läuft es dann am Ende dann doch wieder auf Strafe hinaus. Am Ende Fußballverbot.

Das nächste Kapitel gibt Ratschläge, wie man gemeinsam an Problemlösungen arbeiten kann. Klingt in der Theorie alles ganz praktisch, aber ich kann mir gut vorstellen, dass in der Praxis bei allen Beteiligten die Emotionen hochgehen. Allein schon der Punkt „invite your teenager to brainstorm with you“. Ich höre es direkt in meinem Kopf: „Ist ja dein Problem, für mich ist eh alles super.“ Nehmen wir einen kurzen Moment an, es kommt zu einem gemeinsamen Brainstorming und man einigt sich mit dem Teenager auf einen Plan. Was, wenn dieser nicht eingehalten wird? Auch das kenne ich aus dem eigenen Leben: man vereinbart ein Verhalten, dieses wird nicht eingehalten, man muss Konsequenzen ziehen. Teenager leben im Moment und vergessen oft, was ihr Verhalten gerade jetzt später für Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Besonders spannend fand ich dann das Kapitel, in dem die Jugendlichen zu Wort kamen. Das Buch beschreibt ein experimentelles Workshop-Programm, das die Autorinnen in einer Schule mit betroffenen Eltern durchführten. An einem späteren Abend setzten die Autorinnen sich nur mit den Jugendlichen zusammen, um ihre Perspektive zu sehen und zu hören, was ihnen wichtig ist. Dabei musste es natürlich auch um Gruppenzwang gehen und darum, was man tut oder nicht tun sollte, nur weil die anderen es auch machen. Ein Thema, das jeder Erwachsene aus der Praxis kennt und sich vorstellen kann.

I was touched by what the kids were saying. Their friends were so important to them that some of them were willing to give up part of themselves in order to be part of the group. And yet they all knew, on some level, what gave meaning to a mutually satisfying friendship.

Auch ich hatte letztens den Eindruck, dass mein Patenkind prinzipiell weiß, was richtig ist. Aber ich muss zugeben, dass ich manchmal Zweifel habe, ob sie ihre Prinzipien auch gegen den Gruppenzwang durchsetzen würde, wenn sie befürchten müsste, damit allein dazustehen.

Die meisten Kinder wissen in den Situationen, die ihnen im Alltag begegnen, was richtig und falsch ist. Es ist falsch, einen Rollstuhlfahrer auszulachen. Es ist falsch, ein anderes Kind zu hänseln, weil es rote Haare hat oder dicker oder dünner als der Durchschnitt ist. Es ist falsch, ein anderes Kind wegen irgendwelchen Äußerlichkeiten abzukanzeln. Aber es ist sehr schwierig, eine Meinung auch nur kundzutun, wenn man bereits weiß, dass man sich damit in einer Gruppe exponiert. Sich gegen die Gruppe zu stellen ist das Schwierige. Diesbezüglich bin ich mir noch unschlüssig, wie wir das unseren Kindern vorleben können (weil ich überzeugt bin, dass Vorleben als Erziehungsmethode am besten funktioniert). Kinder brauchen Orientierung und die bekommen sie von ihren Bezugspersonen. Aber nicht jede Situation ergibt sich im Alltag. Ich bin heute noch vorsichtig, eine konträre Meinung in einer größeren Gruppe laut zu äußern, weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, dass man damit nicht nur die Stimmung empfindlich zerstören sondern sich auch zur Zielscheibe machen kann. Und gerade eine Zielscheibe möchte kein Jugendlicher sein. Das wiederum sollten sich auch die Eltern merken: das Kind nicht zur Zielscheibe der eigenen (unerfüllbaren) Wertvorstellungen zu machen.

But fortunately, silence is not our only option. If ever we find ourselves becoming annoyed or angry with anyone in the family, we need to stop, take a breath, and ask ourselves one crucial question: How can I express my honest feelings in a way that will make it possible for the other person to hear me and even consider what I have to say?

Kommunikation kann nur beidseitig funktionieren und deshalb sollten natürlich auch die Kinder lernen, dass gegenseitiges Beschuldigen, Schimpfen, sich Vorwürfe machen keine gute Strategie ist. Aber wie sollen sie das lernen, wenn sie genau das von ihren Eltern immer wieder erleben? (siehe oben: Vorleben) Die Autorinnen raten dazu, die eigenen Gefühle zu beschreiben, anstatt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Nicht einfach, vor allem, wenn man nicht gewohnt ist, Gefühle zu beschreiben. Umso wichtiger wäre es, dass wir das unseren Kindern beibringen, damit sie später in der Lage sind, sich in Worten auszudrücken und nicht herumzubrüllen oder möglicherweise aggressiv mit Tellern zu werfen.

Auch wenn ich so meine Zweifel habe, wie sich die einzelnen Methoden tatsächlich in der Praxis bewähren können, habe ich doch für mich einige interessante Anregungen aus diesem Buch beziehen können. Und sei es nur, dass ich selbst nach einem harten Arbeitstag gleich mal klarstelle, dass ich grumpy bin und heute keine Diskussionen mehr führen will. Das kann auch im Umgang mit dem Partner durchaus mal von Vorteil sein. ;-)

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English Sachbuch

Robert Bringhurst – The Elements of Typographic Style

Space in typography is like time in music. It is infinitely divisible, but a few proportional intervals can be much more useful than a limitless choice of arbitrary quantities.

Meine Mutter hat mich mit diesem Buch im Hof sitzen gesehen und meinte nach einem kurzen Blick: „Das ist ja gar kein Vergnügen, das ist ja Arbeit.“ Sie hatte Recht und Unrecht. Natürlich kann kein Chef von mir verlangen, dass ich Typografiebücher lese und ich hab’s mir selber ausgesucht, also Vergnügen. Aber dann auch wieder Arbeit. Weil so viele Dinge, von denen ich weiß, dass sie im Magazinlayout gang und gäbe sind, von Robert Bringhurst entwertet und widerlegt wurden. Am Anfang hab ich befürchtet, ich könnte nach der Lektüre meinen täglichen Job nicht mehr machen. Hab dann die Dosis reduziert und mir Zeit gelassen, damit das Wissen auch einsinken kann. Und dann ist es auch noch amüsant geschrieben mit treffenden Metaphern und Witzen.

Etwa schreibt er in den Schriftmustern zur Alcuin:

As such, it does not have and does not need a sloped companion face. There is instead an extensive range of weights with text figures and small caps. This is everything required for setting excellent text. The face should not be used where editorial inflexibility demands the use of roman and italic.

Eine brillante Umschreibung dafür, dass der Chef in alles reinregiert, und italic verlangt, obwohl es absolut unpassend ist. Bei den Schriftmustern hab ich so einiges gefunden, was ich noch nicht kannte, hauptsächlich klassische Schriften, die sich für Fließtexte eignen und sich über lange Jahre bewährt haben. Es müssen nicht immer Garamond und Futura sein. Auch einige Tipps zur Verwendung von Klammern als Korrekturmarker, die mir bisher nicht bekannt waren:

In the editing of classical texts, angle brackets are used to mark editorial additions while braces mark the editor’s deletions.

Also ich kann meinen Job noch machen. Für den interessierten Typografie-Enthusiasten hat dieses Werk so einiges zu bieten und ich werde sicher noch oft auf meine Notizen zurückgreifen und davon profitieren. Wird auf jeden Fall in meine Fachliteratur-Bibliothek aufgenommen. Also doch Arbeit ;-)

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Sachbuch

Dirk Lenzen – Jeder Hund kann gehorchen lernen

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Der Hund schließt sich dem Zweibeiner an, der ihm als Ranghöchster imponiert. Auf der anderen Seite wird er jedem „rangniedrigeren“ Zweibeiner sofort die Beute streitig machen und sich danach wichtigeren Dingen zuwenden. Das ist seine Natur. Er testet in jedem Moment seine Rudel-Position und nutzt sie für sich.

Vermutlich kann keiner beurteilen, ob er selbst ein guter Rudelführer ist. Der Hund kann es uns ja nicht sagen. Rückblickend nach einem Jahr mit Hund kann ich allerdings etwas darüber reflektieren, wie es bei uns gelaufen ist. Natürlich kann ich nicht sagen, ich wäre fertig mit der Hundeerziehung. Denn mein Hund ist weder gut erzogen, noch bin ich eindeutig ihr Rudelführer. Aber immerhin haben wir uns zusammengelebt. Und ich mich ein Stück damit abgefunden, dass unsere dominante Hündin vermutlich ihr Leben lang versuchen wird, die Rudelführung an sich zu reißen. Und der „rangniedrigere“ Zweibeiner liegt ihr sowieso zu Füßen …

Der Leckerchensegen stachelt den Beutetrieb und das Konkurrenzverhalten derHunde an, sodass es in der Folge zu schweren Beißereien kommen kann. Und zwei streitende Konkurrenten wird man kaum auseinanderbringen, indem man ihnen noch mehr Leckerchen hinwirft.

Am Anfang hab ich mir viele gute Tipps geben lassen, die meisten beinhalteten die Gabe von Belohnung, nachdem der Hund etwas richtig gemacht hatte. Das brachte mich in meinem ungeduldigen Wesen und meiner Naivität schnell zum Ausruf: „Aber wie soll ich ihr denn was geben, wenn sie nie was richtig macht?“ Dass mir damals selbst nicht klar war, was eigentlich richtig und sinnvoll wäre, muss ich heute rückblickend zugeben. Dass die Belohnungsbestechung bei unserem Hund nicht die richtige Erziehungsmethode ist, weiß ich jedoch auch (und nicht nur, weil mir dieses Buch dies bestätigt und erläutert hat).

Der Grund dafür liegt im Sozialverhalten der Menschen: Wir wollen andere durch Liebe und Freundlichkeit überzeugen und an uns binden – und nur wenn es nicht anders geht durch Zurechtweisung. Aber: Der Hund ist kein Mensch und versteht das natürliche Sozialverhalten seiner Art deutlich besser.

Immerhin bekam ich also hier bestätigt, dass Hundeerziehung auch ohne ständiges Füttern und das Herumtragen von Extrawurstwürfeln in allen Jackentaschen möglich sein muss. Inzwischen fühlt sich unser kleines Biest auch so an mich gebunden, dass sie auf Ruf zu mir kommt, ohne das Wissen, gleich gefüttert zu werden. Auch erleichternd: der Hinweis, dass es den perfekt erzogenen Hund nicht gibt:

Entscheidend ist dabei nur, dass Ihr Hund an der locker durchhängenden Leine läuft und nicht zieht. Und dass er beim Freilauf auf „Komm!“ und „Hier!“ hört, und zwar so gut, dass Sie ihn in acht von zehn Situationen (zum Beispiel Kaninchen, andere Hunde, gefährliche Straße) abrufen können. 100 Prozent schafft kaum ein Hund.

Dass es auf den Tonfall ankommt, war mir schnell klar. Unsere kleine Herzensbrecherin weiß genau, welche Menschen ihr wohlgesonnen sind und erkennt den „Ja, so ein lieber Hund“-Tonfall sofort und mit 100% Zuverlässigkeit. Sie reagiert gut auf Pfiffe, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, und nimmt Befehle nur dann wahr, wenn sie auch im Befehlston ausgesprochen werden.

Hunde können sich zwar einfache Wörter merken und sie mit etwas verknüpfen, aber sie achten zugleich sehr genau darauf, wie man sie ausspricht. So würde der Hund ein tiefes, scharfes, knappes und lautes „Fein!“ vollkommen entgegengesetzt auffassen, während ein erfreutes, sanftes und lang gezogenes „Aus!“ oder „Pfui!“ eher positiv ankäme. Will sagen: Wer richtig betont, erzieht besser und schneller.

Lenzens alternative Hundeerziehungsmethode per Leinenruck klingt verlockend, konnte ich jedoch mit unserer Hündin, die an Geschirr und Flexileine bereits gewöhnt ist, bisher nicht erfolgreich praktizieren. Ein kurzer Versuch mit beiden Leinen im Gepäck und Wechsel erwies sich als äußerst umpraktikabel. Im Stadtverkehr geht sie inzwischen ziemlich brav an der kurzen Leine, doch sie ist gewohnt, bei jeder Grünfläche etwas mehr Auslauf zu bekommen und ich wüsste nicht, warum sie den nicht kriegen sollte. Wir wollen unseren Hund ja beschäftigt halten und ihr Gelegenheit geben, die Welt zu erkunden. Das geht mit der Flexileine natürlich besser.

Sie klopfen Ihrem Hund per Leinenruck „auf die Schulter“, holen ihn von der Ablenkung weg und gewinnen seine Aufmerksamkeit. Das funktioniert nur dann optimal, wenn die Leine mit einem Halsband verbunden ist. Ist sie dagegen in ein Geschirr eingehakt, kommt das durch die Bewegung im Handgelenk ausgelöste Leinensignal beim Hund nur sehr abgeschwächt bzw. überhaupt nicht an. Er ist somit nur bedingt erziehbar und wird sich oft noch stärker in das Geschirr hängen.

Auch wenn mir nahestehende Menschen immer wieder sagen, dass der Hund nach einem Jahr total geprägt ist auf seine Hauptbezugsperson und man sich natürlich sehr geschmeichelt fühlt von diesem Gedanken, finde ich es angenehmer, zu wissen, dass der Hund auch mal eine Woche Urlaub bei anderen Bezugspersonen versteht ohne dass die Hund-Halter-Beziehung Schaden nimmt oder der Hund „beleidigt“ ist. Natürlich erwische ich mich aber auch immer noch dabei, dem Hund menschliche Gefühle und Regungen anzudichten. Ausgeprägte Mimik und Körpersprache des Tiers verleiten einfach zur Interpretation.

Natürlich ist es wichtig, dass wir ein inniges und von Vertrauen geprägtes Verhältnis zu unserem Hund haben. Aber so wichtig, dass unser Hund nicht mal ein paar Tage oder Wochen ohne uns auskommen kann, sind wir nicht – auch wenn uns dieser Glaube ein wohliges Gefühl gibt. Dieses Gefühl ist aber zugleich eitel und egoistisch, weil dahinter der Gedanke steht: „Ich bin für meinen Hund unersetzlich.“

Inzwischen beobachte ich meinen Hund intensiv im Kontakt mit anderen Hunden. Mir war lange nicht klar, warum sie sich bei manchen komplett entspannt und bei anderen total durchgeknallt benommen hat. Bald konnte ich beobachten, dass sie mit übermütigen Welpen nicht klarkommt, das Herumgespringe und Geprassel taugt ihr nicht. Dass sie aber auch andere Hunde, die sie zuerst neugierig und freundlich beschnuppert, dann plötzlich anknurrt, konnte ich nicht so schnell zuordnen. Auch dafür hat Lenzen eine passende Erklärung:

Irrtum Nr. 21: „Meine Hündin ist eine Zicke.“
Falsch! Die Eigenschaften, die wir Menschen einer „Zicke“ zuschreiben (launisch, selbstverliebt, arrogant etc.) lassen sich unmöglich auf die Hundewelt übertragen. „Zickiges“ Verhalten bei Hündinnen ist vielmehr als Dominanz- oder Abwehrreaktion auf einen anderen Hund zu erklären, der bei Geruchskontrolle und Co. zu forsch und zu schnell Kontakt aufnimmt.
Dabei können Hündinnen genauso wenig „zickig“ sein wie trotzig oder eifersüchtig. Was bei Begegnungen mit vierbeinigen „Zicken“ tatsächlich passiert, ist Folgendes: Wenn sich ein Hund einer dominanten Hündin nach dem Motto „Hallo, hier bin ich! Wer bist du denn?“ forsch nähert und sie beschnüffeln will, kann es sein, dass ihr das zu weit geht. Also zeigt sie Zähne, um zu signalisieren: „Lass das, ich will das nicht, du kommst mir zu schnell zu nahe!“ Und wenn der oder die andere daraufhin nicht ablässt, schnappt die dominante Hündin eben kurz zu, um sich (artgerecht) Respekt zu verschaffen. Die gleiche Reaktion könnte auch eine Hündin zeigen, die eher unterwürfig ist. In diesem Fall wäre das Zähnezeigen und Schnappe allerdings keine Dominanzgeste, sondern eine Abwehrhaltung, weil die Hündin vielleicht selten andere Hunde trifft und deshalb etwas mehr Zeit braucht, um Kontakt aufzunehmen.

Mit dem Jagdtrieb müssen wir uns wohl offiziell abfinden:

In meiner Hundeschule erlebe ich immer wieder, dass Halter ihre Weimaraner und Co. ins Training bringen, um ihnen „den Jagdtrieb abzugewöhnen“. Doch das ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn „Jagdtrieb abgewöhnen“ funktioniert nicht. Wenn diese rassespezifischen Eigenschaften nicht artgerecht „genutzt“ werden, geht der Hund – je nachdem, wie stark der Trieb ausfällt – eben allein jagen.

Einzige Erlaubnis für Belohnungstraining (ich wehre mich gegen den Begriff „Leckerchen“): wenn der Hund Kunststücke machen soll:

Wenn ein Hund sich unterordnen soll, ist die gleichzeitige Gabe eines Leckerchens (=das Überlassen von „Beute“) kontraproduktiv. Andererseits werden Hunde, die sich gerade unterordnen bzw. unterwerfen, niemals durch einen Ring springen oder ein anderes Kunststück vorführen. Kunststücke macht ein Hund nur, wenn wir ihn begeistern können. Leckerchen sind in solchen Fällen als notwendiger Motivationskick erlaubt. Lediglich die gewünschte Aktion wird durch Gabe eines Leckerchens plus lobende Stimmlage positiv bestärkt.

Für mich ein großer (aber wichtiger) Rückschlag: die von unserem Hund heiß geliebten Zerrspiele um das Fetzi verstärken ihr dominantes Verhalten. Machen wir nach wie vor. Aber die Beute gehört am Ende nicht dem Hund …

Ganz wichtig: Auch wenn das Zerrspiel für Filmhund Gysmo in diesem Fall Sinn macht, sollte es im normalen Alltag für einen Familienhund tabu sein. Ein Hund, der an etwas zerrt – sei es ein Apportierseil oder Herrchens Schal – baut automatisch Aggressionen auf. Und wenn der Hund gar ein Zerrspiel mit Herrchen oder Frauchen gewinnt, wird er sich im Alltag verstärkt dominant verhalten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir sicher Glück haben mit unserer alltagskompatiblen Hündin. Viele Probleme, die ich von anderen Hundehaltern im Laufe der Zeit erzählt bekommen habe, traten bei uns gar nicht auf. Unser Hund liebt das Auto und steigt in jede Straßenbahn und jeden Aufzug ein. Sie bleibt problemlos allein zu Hause und hält es auch im Büro mal einige Stunden aus. Sie kommt mit größeren Kindern problemlos klar (auch da hört sie schließlich „so ein lieber Hund!“ und nimmt sofort die Wedel-Streichel-Haltung ein) und scheint nach wiederholtem Kontakt mit dem Krabbelkind einer Freundin auch langsam zu kapieren, dass sie der Kleinen lieber aus dem Weg gehen sollte. Da ich mich selbst ständig zwischen Selbstbeherrschung und Lockerlassen entscheide, trifft das auch auf meinen Umgang mit dem Hund zu. Komplett und streng durchorganisiert wird unser Leben nie sein (wer will das schon?). Aber hoffentlich weiter so, dass auch die dominante Hündin ihren Platz kennt.

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Sachbuch

Hans-Ulrich Grimm – Die Ernährungsfalle

Ich geb’s ja zu: ursprünglich hatte mich der reißerische Titel Die Suppe lügt (gelesen irgendwo auf Twitter) auf Hans-Ulrich Grimm gebracht. Dann hatte ich versucht, das Buch gebraucht zu erwerben, was sich als Ding der Unmöglichkeit herausstellte: Amazon-Gebrauchthändler versenden oft nicht nach Österreich bzw. behaupten, sie würden es tun, man scheitert dann jedoch am Einkaufswagen. Keine Ahnung, ob Amazon so absichtlich den Gebrauchtverkauf sabotiert oder ob da die Händler bei den Einstellungen was falsch machen. Dann hatte ich es auch auf rebuy.de versucht, doch die Versandkosten nach Österreich sind (bzw. waren zu diesem Zeitpunkt, hab’s jetzt nicht nochmal überprüft) dermaßen astronomisch, dass der Neukauf auf Amazon wiederum deutlich günstiger wär. ebay detto.

Nächster Versuch also in der Onlinebücherei und dort gab’s zwar die lügende Suppe nicht, aber immerhin ein Ernährungslexikon vom selben Autor, dass ich mir die letzten Tage intensiv reingezogen hab. Und ganz ehrlich, inzwischen verstehe ich meine Freundin, die sich seit Jahren vegan ernährt, deutlich besser. Wenn man so liest, dass die meisten Milchkühe kein Gras zu fressen bekommen, sondern kaum artgerechtes Kraftfutter und niemals die Sonne sehen, dann wird man bei den normalerweise gezeigten Fotos von Almweiden mit glücklichen Kühen doch leicht zynisch. Und bekommt Lust auf Waldviertler Biomilch. Und hofft, dass diese Kühe wirklich glücklich sind …

Kraftfutter geben die Bauern ihren Kühen, damit diese mehr Milch liefern. Das erscheint individuell sinnvoll, hat aber für Kühe und Konsumenten vor allem Nachteile, zuletzt auch für die Bauern. Da es ohnehin zu viel Milch gibt, wird noch mehr Überschuss produziert, sodass die Preise weiter fallen. Überdies wird die Milch schlechter, sie enthält weniger wertvolle Inhaltsstoffe, zugleich breiten sich durch die artwidrige Fütterung weltweit gefährliche Bakterien aus. Doch beim Futter fürs Vieh kommt es in erster Linie auf den Preis und die Leistung an. Daher bekommen die Kühe statt Heu oder Gras, wie es artgerecht wäre, Kraftfutter mit Getreide. Das senkt den Gehalt an wertvollen Fetten, etwa vom Typ CLA oder auch den Omega-3-Fetten. Die Getreide-Kraftfutter-Mischungen begünstigen auch die Verbreitung von sogenannten EHEC-Bakterien, etwa vom Typ E.coli 0157:H7.

Und das ist nur eine der vielen Fragen, die man sich bei der Lektüre stellen wird. Einige Beispiele: wie kann das physikalisch möglich sein, 6 Kilo Äpfel direkt in 6 Kilo Saft zu verwandeln? Da muss doch Zauber oder Teufelei im Spiel sein:

Besonders beliebt ist der Apfel als Saft. Die Säfte werden indessen nicht mehr unbedingt in handwerklichen Mostereien erzeugt. Heute kommen bei der Apfelsaftherstellung Enzyme zum Einsatz, weil sie die Saftausbeute aus den Äpfeln erheblich erhöhen können. Brauchte man bislang neun Kilo Äpfel, um sechs Liter Saft zu pressen, reichen heutzutage schon sechs Kilo – bei Zugabe des Enzyms „Pectinex Smash“ von der dänischen Forma Novozymes. Nach Firmenangaben ist es dank Pectinex Smash gelungen, eine „Ausbeute von über 100%“ zu erreichen.

Dass man sich (und seinen Kindern) nichts Gutes tut, wenn man Softdrinks durch pure Fruchtsäfte ersetzt, war mir klar (ich trinke sowas immer nur mit Wasser gemischt 1/3 Saft, 2/3 Wasser). Dass man damit jedoch sogar das Wachstum behindert, finde ich ziemlich schockierend:

Wer seinen Kindern statt Cola oder Fanta solche Fruchtsäfte gibt, tut ihnen nicht unbedingt etwas Gutes. Nach einer Untersuchung unter zwei- bis fünfjährigen Kindern, die in der Zeitschrift Pediatrics veröffentlicht wurde, können Fruchtsäfte zu Mangelernährung führen. Denn diese enthalten zu viel Zucker und sättigen die Kinder so sehr, dass sie keinen Appetit mehr auf das fürs Wachstum Nötige haben. Die Zweijährigen, die viel von diesen Fruchtsäften tranken, waren infolgedessen um 2,8 Zentimeter kleiner als andere Gleichaltrige, die fünfjährigen Saftfans um 4,6 Zentimeter.

So manche Größenordnung kann einem die Tränen in die Augen treiben:

Für die Nahrungsmittelindustrie haben die Aromen zweifellos Vorteile: Die Dinge werden billiger. Ein Kilo Vanillepulver aus der echten Pflanze kostet etwa 2000 Euro, eine gleich wirksame Menge synthetischen Vanillegeschmacks zur zehn Euro.

Gerade in Österreich glaubt trotz des aktuellen Pferdefleischskandals der Großteil der Konsumenten an Kontrollen und gesicherte Herkunft. Dass bei Zusatzstoffen nicht so strenge Regeln gelten, ist beängstigend:

So beschloss deshalb das Expertenkomitee: „Der Schutz der allgemeinen Gesundheit ist unmöglich, wenn Hersteller neue Substanzen verwenden dürfen, bevor ausreichende Untersuchungen ihre Zuträglichkeit für diesen Gebrauch erwiesen haben.“ Von diesem Prinzip wurde indessen bei vielen Substanzen abgewichen, etwa den Aromen und Enzymen, die ohne Gesundheitsprüfung eingesetzt werden.

„Natürliches Aroma“ wird oft aus Sägespänen hergestellt und gaukelt etwa den Konsumenten von Erdbeerjoghurt den entsprechenden Ursprung vor:

Im Anhang 1 zum Codex Alimentarius Band XIV heißt es unter der Überschrift „Allgemeine Anforderungen an natürlich Aromastoffe“: „Natürliche Aromen oder natürliche Aromastoffe“ seien Substanzen, die auf „physikalischem, mikrobiologischem oder enzymatischem“ Wege aus Materialien „pflanzlichen oder tierischen Ursprungs gewonnen werden. Der Verwendung von Sägespänen fürs Erdbeeraroma – oder auch, was ebenfalls gebräuchlich ist, Fischresten fürs Geflügelaroma – steht damit nichts im Wege. Bäume und Meeresgetier sind schließlich unzweifelhaft Bestandteile der Natur.

Zum Fruchtjoghurt, das ich seit Längerem verschmähe:

Für industrielle Milchprodukte, wie Joghurt oder Eiscreme, sind echte Früchte untauglich, aufgrund ihrer natürlichen Konsistenz und ihrer Verderblichkeit. Sie werden daher ersetzt durch Fruchtzubereitungen. Allein in Deutschland werden jährlich über 500.000 Tonnen produziert. Fruchtzubereitungen enthalten neben Früchten allerlei Zusatzstoffe, die für Geschmack und Haltbarkeit sorgen. In der Fruchtzubereitung muss der Mindestfruchtanteil nur bei 30 Prozent liegen, im fertigen Produkt bei lediglich 3,5 bis 6 Prozent.

Bei diesen Zahlen kann ich nur hoffen, dass sie nicht eins zu eins auf Österreich umlegbar sind:

In Deutschland werden bis zu 70 Prozent des Gemüses und fast 90 Prozent des Obstes importiert.

Ich hätte ja gern mal die Zeit und die Nerven, so richtig zu recherchieren, was in einem Produkt wirklich drin ist, wie es etwa Katharina Seiser auf ihrem Blog Esskultur mit der Schwedenbombe gemacht hat. Aber wenn man Hans-Ulrich Grimm so liest, merkt man schnell, dass man etwa bei den Produkten einer großen Firma wie Nestlé damit sowieso nicht weit käme (selbst, wenn die freiwillig Auskünfte herausrücken würden). Eigentlich kann man nur hoffen, dass das eine faule Ausrede ist und sie eben nichts sagen wollen:

Der Food-Multi Nestlé jedenfalls hat keinen Überblick über die von ihm eingesetzten Aromen. Der Konzern beziehe sie, so Nestlé auf Anfrage, von Lieferanten und habe daher selbst keine genaue Kenntnis. Es handele sich um „komplizierte Rezepturen, die von den Aromen-Lieferanten aus Wettbewerbsgründen nicht im Detail bekannt gegeben werden.“

Da ich im Allgemeinen nicht zum Fanatismus neige, habe ich auch jetzt nicht vor, meine Ernährung komplett auf Selbstgezüchtetes umzustellen. Im Prinzip halten sich sowohl Fast-Food als auch Convenience-Produkte bei mir in Grenzen und ich war schon immer der Meinung, dass man nicht fett und krank wird, wenn man nur einmal pro Monat bei McDonalds ist. Bisher hat das bei mir gut geklappt, aber es schadet sicher nicht, wenn man mal ein bißchen öfter darauf schaut, was in den Produkten wirklich drin ist. Im Moment befürchte ich, dass ich beim nächsten Müslikauf vermutlich länger suchen werde, um eins mit möglichst wenig Zucker und anderen fragwürdigen Zusatzstoffen finden zu können. Wenn jeder ein bißchen mehr auf sich selbst schauen und sich auch die Mühe machen würde, sich mehr um Lebensmittel und deren Herkunft zu kümmern, würde das sicher nicht schaden.

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Sachbuch

Barcelona. Eine Stadt in Biographien: MERIAN porträts

Mein erster Gedanke bei der Beschriftung „Eine Stadt in Biographien“ war ja gleich „naja, das wird sicher oberflächliches Reiseführergeschwätz sein“. Aber die Erinnerung an meine einstige Liebe für das unbekannte Barcelona ließ mich dann doch zugreifen, um zumindest herauszufinden, ob mein Vorurteil berechtigt ist. Leider war es das. Hin und wieder musste ich über beinahe poetische Formulierungen wie „geistiger Humus“ schmunzeln, doch die meisten Biographien und ihre Verweise auf die dazu passenden Orte zeichnen sich leider tatsächlich durch Reiseführergeschwätz aus. Etwa zum Park Guell:

Hier speien überlebensgroße Echsen Wasser aus bunten Fliesen, laden mosaikverzierte Schlangen zum Sitzen ein und imponieren Pavillons im dorischen Stil. Es ist eine Art Disneyland des Jugendstils, heute Weltkulturerbe und beliebtes Wochenendziel der Barceloner.

Das bezweifle ich ernsthaft, dass die Einheimischen sich den Touristenauflauf antun. Da ich selbst so verrückt war, mitten in der sengenden Augusthitze den Park zu erklimmen und dann fürchterlich enttäuscht von der touristischen Ausbeutung und den Menschenmassen wieder von dannen zog, kann ich mir nicht vorstellen, dass man im Park Guell oft Einheimische findet. An den Wasserbrunnen bildeten sich ewig lange Schlangen, an denen die Touristenmütter mit ihren durstigen Kindern warteten, den Drachen kann man zweifellos wie den Tullner Nibelungenbrunnen nie ohne darauf herumkletternde Menschen sehen. Das lässt sich auch von der noch so poetischen Biographie nicht wegschreiben.

Auf Dali wirken „die Türme der Sagrada Familie sehr sinnlich, wie die Haut einer Frau“. Nach dem Tod von Gaudi schlägt er vor, die unvollendete Kathedrale so zu belassen und ihr eine gewaltige Glaskuppel überzustülpen.

Die unzähligen Künstlerbiographien nehmen immerhin manchmal Bezug aufeinander, obwohl man auch hier immer wieder das Gefühl hat, dass die Biographien von unterschiedlichen Personen geschrieben wurden, die nicht wussten, zu welchem Konglomerat sie hier beitragen. Weiters ist die Frauenquote jedenfalls traurig. Dass sich mit Montserrat Caballé und Prinzession Cristina nur 2 weibliche Persönlichkeiten mit Barcelona-Bezug gefunden haben, stimmt bedenklich. Als Reisebegleiter eingeschränkt tauglich, ansonsten verzichtbar.

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Sachbuch

Peter Morville & Louis Rosenfeld – Information Architecture for the World Wide Web

Were you expecting a single definition? Something short and sweet? A few words that succinctly capture the essence and expanse of the field of information architecture? Keep dreaming!

Auf eine Art und Weise war dieses Buch schon outdated, als ich es vor Jahren bestellte und ins Regal stellte. Wenn man sich heute die 2007 zuletzt aktualisierten Screenshots anschaut, kann man herzlich darüber schmunzeln. Doch viele der verbreiteten Weisheiten sind nach wie vor gültig und sollte sich so mancher, der im Web zu tun hat, hinter die Ohren schreiben.

Das Buch beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Aspekten von Informationsarchitekturen und geht dabei weit über die oft gehypten Begriffe Usability oder User Experience hinaus. Es beschreibt umfangreich die Wichtigkeit von funktionalen Organisations-, Labeling- und Navigationssystemen. Auch Metadaten und Suchsysteme bilden wichtige Kapitel im gesamten Kosmos.

Bis auf die letzten Kapitel (zwei tatsächlich nicht mehr ganz taufrische Beispiele aus der Praxis) habe ich alle Kapitel mit Interesse gelesen und wurde immer wieder überrascht, wie aktuell und allgemeingültig die Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Web-relevanten Themen sind. Auch wenn sich das Web täglich verändert und erneuert, ändern sich die Menschen, die es benutzen, nicht in demselben Tempo. Für einen Basisüberblick über Webarchitekturen und deren Bestandteile ist dieses Buch nach wie vor ein guter Tipp.

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Sachbuch

Klaus Raab – Wir sind online – wo seid ihr?

Tautropfen made with Olloclip and CAM+

Eines haben wir eben doch ganz unzweifelhaft gemeinsam, egal ob wir 16 oder 32 sind: dass wir zu Beginn des digitalen Zeitalters groß geworden sind und die neuen Möglichkeiten selbstverständlich zu nutzen verstehen, ohne zwangsläufig alle wahnsinnig technikaffin und immer nur erreichbar zu sein. Und dass die fortschreitende Digitalisierung für uns gleiche Bedingungen schafft, unter denen wir die Gesellschaft, in der wir leben wollen, organisieren.

Noch ein Manifest aus der und für die Netzgemeinde. Mit den aus Christian Stöckers Nerd Attack bekannten Elementen, die dann zumeist zu einer Rechtfertigung irgendeines Teils der so genannten Netzkultur führen:

– Verherrlichung der guten alten Zeit, als nicht jeder Trottel einen Computer hatte:

Man konnte Mixtapes lesen wir persönliche Briefe. Sie kündeten vom Suchen und Finden der Freundschaft und manchmal auch der Liebe. Wer Musik kopiert, hat demnach Freunde und geht früher oder später eine Bindung ein, aus der irgendwann einmal Kinder hervorgehen, die dann auch Musik kaufen

– Rechtfertigung oder zumindest Erklärungsversuch, warum die Netzgemeinde von Männern dominiert wird:

Ob Lillifee und Hartplastikmachos der Grund dafür sind, dass Frauen später geschlossen in der Küche stehen und Männer in den Krieg ziehen wollen – ich weiß nicht so recht. Vielleicht wird da der Einfluss des Rests der Gesellschaft etwas unterschätzt.

– Anglizismen und das Treiben von Schindluder mit der deutschen Sprache:

Es gibt allerdings Bedeutungsunterschiede zwischen den Anglizismen und den vermeintlichen restdeutschen Synonymen, weshalb man nun einmal sagen kann, dass „Fun“ und „Womanizer“ das deutsche nicht zurückdrängen, sondern reicher machen: Es bereitet Vergnügen, an einem lauen Sommerabend auf dem mit edlem Efeu gezierten Balkon zu sitzen, eine Schale schmackhafter gebratener Auberginen vor sich, und sich an Schopenhauers Wutreden zu laben. Fun ist es dagegen, RTL2 zu sehen. Und George Clooney ist ein Womanizer. Schürzenjäger treten bei Hansi Hinterster auf.

Offen bleibt die Frage, für wen diese Bücher eigentlich geschrieben werden. Braucht die Netzgemeinde diese Rückblicke und Analysen ihrer eigenen Geschichte und ihres eigenen Lebens. Will man den „Offline“ das Internet mittels eines Buches erklären? Das erinnert an „Internet for Dummies“ … Die heutige Jugend rebelliert nicht mehr? Kann man die Jugend nicht Jugend sein lassen … andererseits dürfte die Jugend sich für derartige Schreibwerke ohnehin nicht interessieren. Entbehrlich.