Categories
Roman

Anna Gavalda – Alles Glück kommt nie

Sprung ins kalte Wasser (c) Daniel Stricker / PIXELIO

Glück ist platt, abgeschmackt, boring, und immer auch anstrengend. Glück langweilt den Leser. Ist ein Liebestöter.

Der Griff zum Anna Gavalda-Roman hat sich bisher noch immer als Glücksgriff erwiesen. Und dieses Werk macht hier keine Ausnahme. Ich empfehle es sogar ausdrücklich als Anti-Stress-Therapie. Der spontane Effekt der Erleichterung beim Lesen auch nur weniger Seiten stellt sich zwar erst in der zweiten Hälfte der Geschichte ein, aber auch der erste Teil ist notwendig und kanns uns daran erinnern, dass unser eigenes Leben vielleicht nicht so schlecht ist, wie es uns manchmal erscheint. Gleichzeitig scheut sich die Autorin nicht, auch sich selbst auf die Schaufel zu nehmen, wie man im obigen Zitat erkennen kann. Sie erlaubt ihrem Protagonisten Charles Balanda, eine Art von Glück zu finden, zeigt aber auch deutlich, dass Glück im Alltag nicht so ist, wie es uns die Filme und Romane normalerweise zeigen.

Und sie. Sie. Sie sprach unentwegt vom Tod. Unentwegt. Um ihm zu trotzen, das Miststück fertigzumachen. Weil sie wusste, dass wir alle dran glauben müssen … Ihr Leben bestand darin, dies zu wissen, und darum musste man sich berühren, sich lieben, trinken, beißen, genießen und alles vergessen.

Wir sehen Charles Balanda hingebungsvoll scheitern. Der Tod von Anouk, einer Frau mit ganz besonderer Bedeutung für Charles wirft ihn gründlich aus der Bahn, wenn er auch äußerlich weiter zu funktionieren scheint. Ihr Tod wirft Fragen wieder auf, die Charles bisher unbeantwortet gelassen hat. Was ist aus der Freundschaft zu Alexis Le Men geworden? Warum überbringt er ihm die Todesnachricht auf diese unpersönliche Weise? Aber bevor sich Charles endlich mit der Beantwortung dieser Fragen auseinandersetzt, muss er erst in ein handfestes Burnout-Syndrom hineinfallen und vor einen Bus laufen.

Wer war diese Frau, die über eine Welt voller Phantome und Kinder herrschte, die sehr schöne Hände hatte und bei Einbruch der Dunkelheit glasklare Verse aufsagte?

Auf der Suche nach der Wahrheit über Alexis und Anouk trifft Charles auf Kate. Dann beschäftigt sich der Roman lange nur mit Kates Geschichte und ihrem Leben und hier fängt das Buch an, eine warme und aufmunternde Atmosphäre zu verbreiten, die mir nach so manchem Tag auf der Heimfahrt den Stress vergessen hat lassen. Daher der Verweis auf die Tauglichkeit als Anti-Stress-Therapie. Der vielbeschäftigte Architekt Charles lässt alles stehen und liegen, um für ein Wochenende in Kates Welt einzutauchen. Und zu bleiben.

Zu viel zu verraten, würde den Genuss verderben, und diesen Genuss kann ich nur jedem allerherzlichst empfehlen. Wer angesichts dieser Lektüre nicht glücklich oder zumindest zeitweise zufrieden auf sein eigenes Leben blicken kann, der kann sich immerhin Charles Balanda als Beispiel nehmen und erkennen, dass uns das Leben immer mehr als nur eine Chance gibt. Wir müssen sie nur erkennen und ergreifen.

Categories
Krimi Roman

Thomas Raab – Der Metzger sieht rot

Schutzgitter (c) Rainer Sturm / PIXELIO

Willibald Adrian Metzger beginnt nun eine ganz besondere Angst zuzusetzen, denn auf der Pospischill-Seite steht der Fall mit der wahrscheinlich demnächst bevorstehenden Kreuzberger-Verhaftung vor einer Lösung: Bedeutet diese Lösung den Tod seiner Danjela? Soll das die Drohung zum Ausdruck bringen?

Seine im ersten Teil der Metzgerabenteuer aufkeimende Beziehung zur kroatischen Schulwartin Danjela Djurkovic kann der Metzger in diesem Roman leider nicht sehr genießen. Die Arme wird von ausländerfeindlichen Fussballfans niedergeschlagen und verbringt den Rest des Romans im Koma, während der Metzger sich nicht nur auf die Spur der Fussballrowdies sondern auch noch auf die Suche nach dem Mörder des ausländischen Fussballtormanns begibt.

Dabei begegnet dem Metzger so manches Ungemach, immerhin muss er auch noch die Pflanzen und den Hund der Danjela hüten. Da bleibt dem Metzger wenig Zeit sich wie üblich seiner Leidenschaft für Rotwein zu widmen und auch seine Arbeit bleibt liegen. Und wirklich bedrohlich wird die Geschichte ohnehin erst, nachdem sie eigentlich bereits vorbei ist und der Metzger sich bereits wieder sicher im neugewonnen Alltag fühlt.

Wer gefallen an dem unfreiwillig zum Krimihelden gewordenen Restaurator und an Thomas Raabs Schreibweise gefunden hat, wird auch an dieser neuen Metzger-Geschichte Gefallen finden. Empfehlung.

Categories
Reise Roman

Wolf Serno – Der Wanderchirurg

Echinacea oder Roter Sonnenhut, Heilpflanze (c) Sabine Koriath/PIXELIO

Wolf Serno schickt uns auf die Reise mit dem jungen Helden Vitus von Campodios, der aus dem Kloster auszieht, um seine wahre Identität und möglicherweise seine Familie zu finden, denn er wurde als Baby vor dem Kloster gefunden. Von seinen Mitbrüdern wurde er in der Kunst der Heilkunde unterwiesen, was ihm auf seinem weiten Weg nicht nur behilflich ist, sondern sogar ein ums andere Mal das Leben rettet.

Kaum hat Vitus das Kloster verlassen, landet er auch schon im Kerker, verraten von einem diebischen Zwerg, der später in der Geschichte noch Gelegenheit haben wird, sich zu rehabilitieren (denn wirklich böse Gestalten gibt es in dieser Geschichte eigentlich kaum). Der Kerker nimmt die Dynamik aus der Geschichte, lange Kapitel berichten nur über die Gestalten, die Vitus im Kerker kennenlernt, es dauert ewig, bis er überhaupt mal zu hören bekommt, was ihm eigentlich vorgeworfen wird. Jedoch geht auch nach seiner Befreiung nicht wirklich viel weiter. Vitus hilft bei der Olivenernte und schließt sich schließlich einer Gauklertruppe an, seinem Ziel England kommt er nur sehr langsam näher. Erst gegen Ende des Buches geht auf einmal alles ganz schnell, kaum kann Vitus mit der Hilfe seiner Schiffsgenossen das Wappen identifizieren, sitzt er schon neben seinem Großonkel und lässt sich die fragwürdige Geschichte seiner Mutter erzählen.

Was historische Romane angeht, habe ich schon einige Erfahrungen hinter mir, hier muss ich leider sagen, dass ich mich lange Kapitel wirklich gelangweilt habe. Die Erzählung plätschert ohne rechte Höhepunkte dahin und da der Leser immer schon im Voraus erahnt oder sogar weiß, dass Vitus gerade wieder mal naiv in eine Falle läuft, möchte man ihn teilweise anschreien, er möge doch endlich die Augen öffnen. Ein Roman mit der Dynamik eines Kräuterpfarrers.

Ewiges Licht, scheine in unsere Herzen,
Ewige Güte, erlöse uns von dem Bösen,
Ewige Weisheit, vertreibe das Dunkel unserer Unwissenheit,
Ewige Trauer, habe Gnade mit uns,
dass wir mit unserem Herzen, unserem Verstand, unserer Seele, unserer Kraft Dein Angesicht erkennen und dass Deine unendliche Gnade uns zu Deiner Göttlichkeit führt.
Amen.

Categories
Roman

Tony Parsons – Starting Over

Herzerl_(c)rknds/SXC

That is the worst thing about having children. You want to protect them more than you ever can. You try to endure that unendurable fact. But it is always there.

My holidays in Barcelona were blessed by great weather and we had lots of fun although I didn’t get to enough Geocaching for my taste. The days before the holiday on the contrary have been packed with work, so I hadn’t had to much time to pack my things for the trip. And the impossible happened: I forgot to take a fiction book with me, I only brought the guidebooks. So I had to buy this book near Port Olimpic and I can say that the assortment of books in a language I can truly read wasn’t that wide.

Considering this facts I was quite lucky. Tony Parsons is a great storyteller focusing on family life (at least in this book). The protagonist suffers a heart attack and receives a new chance to live through a heart transplantation. It seems his life is not the same, although nobody wants to understand his feelings about the unknown donor and what he might have received from him beyond the heart. His kids just started to live their own lifes and can’t be protected anymore. His wife wants him to forget about the new heart and continue the life they led before the heart attack (without the bad habits like smoking or fat food of course). All this leads to a crisis that shakes the family much more than the heart disease. Resolving the crisis takes some time, will they work it out in the end? Be sure to find some kind of a happy end.

And just for the record: Jack Kerouac is following me.

Bed made with military precision. A small bookcase with neat rows of paperbacks. I pulled one out and flicked through it. A phrase leapt out at me, stopped me in my tracks. The ragged and ecstatic joy of pure being. I looked at the cover. Blue skies. A fifties car. Two men, smiling, their faces half in shadow. On the Road by Jack Kerouac.

Categories
Roman

Rob Sheffield – Love is a mix tape

Tape(c)me, myself and I/PIXELIO

Falling in love with Renée was not the kind of thing you walk away from in one piece. I had no chance. She put a hitch in my git-along. She would wake up in the middle of the night and say things like “What if Bad Bad Leroy Brown was a girl?” or “Why don’t they have commercials for salt like they do for milk?” Then she would fall back to sleep, while I would lie awake and give thanks for this alien creature beside whom I rested.

This might be the saddest love story ever told. But it might also be the a great illusion. It’s easy to idealize a person that’s no longer with us, in fact it’s the only thing you can do.

As far as mix tapes go, “Big Star: For Renée” is totally unimaginative. It’s basically just one complete album on each side of a tape. But this is the tape that changed everything.

Everybody wants to find a love like that. Nobody wants to loose it. Just go read this love story and listen to Wavorly: A Summer’s Song.

She had more energy than anybody I’d ever met. She was in love with the world. She was warm and loud and impulsive. One day, she announced she had found the guitar of her dreams at a local junk shop. I said, “You don’t even play the guitar.”

And Don’t Stop Believing.

Categories
Reise Roman Unterhaltung

Jack Kerouac – Unterwegs

Golden Gate Bridge, San Francisco (c) yogilino/PIXELIO

Ich hatte mir stille Weihnachten auf dem Land vorgestellt, wie mir bewusst wurde, als wir das Haus wieder betraten und ich den Weihnachtsbaum und die Geschenke sah und den Truthahn im Backofen roch und die Gespräche der Verwandten hörte, aber jetzt hatte das Fieber mich wieder erwischt, und das Fieber hieß Dean Moriarty, und ich war unterwegs, war wieder unterwegs.

Roadmovies haben mich schon immer fasziniert und quasi magisch angezogen. Sal Paradise zieht mit seinem Freund Dean Moriarty durch die USA und erlebt dabei allerhand Unannehmlichkeiten. Trampen scheint damals (das Buch erschien 1957) eine vielgenutzte Form des Reisens zu sein. Und wie der Buchtitel bereits suggeriert, geht es weniger ums Ankommen oder ums Reisen von einem Punkt zum anderen, sondern schlicht um die Fahrt an sich.

„Ja“, sagte ich, „fahren wir nach Italien.“ Und so nahmen wir unser Gepäck, er, mit der gesunden Hand, seinen Koffer und ich den Rest, und stolperten zur Haltestelle der Cable-Car. Gleich darauf rollten wir den Hügel hinab und ließen von der klappernden Plattform die Füße auf den Bürgersteig baumeln, zwei zerbrochene Helden der Nacht im Westen Amerikas.

Dean Moriarty bleibt einerseits eine von Sal zu einer Art Guru hochstilisierte Witzfigur, denn er kriegt sein Leben nicht in den Griff, zeugt sowohl an der Ostküste wie an der Westküste Kinder und bricht die Herzen seiner Frauen im Eilzugtempo. Das bewundern seine Freunde natürlich, aber tatsächlich ist es wohl nicht nur für die betreffenden Frauen sondern auch für Dean selbst ein Alptraum.

Dean und Sal schlagen sich durch Amerika, erst als Mitfahrer, später mit dem eigenen Auto. Sie träumen von fernen Orten, halten es jedoch nicht lange dort aus, wenn sie mal angekommen sind. Im dritten Teil schlagen sich Sal und Dean in Mexiko herum, die Feier endet im Chaos, wie die meisten Festivitäten im Leben von Dean und Sal.

Und dann verfolgt mich das Buch auch noch:

“The only people for me are the mad ones, the ones who…“ – A conversation on cool

Categories
Roman Unterhaltung

Ildefonso Falcones – Die Kathedrale des Meeres

Fisch(c)TiM-Caspary/PIXELIO

Während sie so sprachen, wurde es Nacht, eine sternenklare, laue Mittelmeernacht. Eine Weile saßen die drei still da und genossen die Ruhe und den Frieden in dem kleinen Gärtchen hinter Hasdai Crescas Haus. Schließlich wurden sie zum Essen gerufen, und zum ersten Mal, seit er bei diesen Juden lebte, sah Arnau in ihnen Menschen wie seinesgleichen, mit einem anderen Glauben, aber so gut und so mildtätig, wie es die frommsten Christen nur sein konnten. An diesem Abend aß er gemeinsam mit Hasdai und sprach, bedient von den Frauen des Hauses, ohne Bedenken den Genüssen der jüdischen Küche zu.

Das Buch erzählt die Geschichte von Arnau Estanyol, der bereits als Kind mit seinem Vater die Besitzungen seines Vaters verlassen muss. Als freier Bürger, aber arm, wächst er in Barcelona auf und arbeitet sich langsam als Bastaix in der Zunft hoch. Arnau erweist sich immer wieder als gerechter Mensch, der keine religiösen Vorurteile pflegt und stets das Beste in den Menschen sieht. So sehr im dies zur Ehre gereicht und ihm den Respekt der Bürger Barcelonas einträgt, seine früheren Verwandten und Bekannten verfolgen ihn rachsüchtig und bringen ihn schließlich vor die spanische Inquisition.

Ein spannend geschriebener historischer Roman, die perfekte Urlaubslektüre, wenn man gleichzeitig mit den Füßen in einem See baumeln kann. Oder abends im Hof sitzt bei einem kühlen Getränk.

Categories
Roman

Clemens J. Setz – Söhne und Planeten

Tropfen(c)Ilona Martin/PIXELIO

Wie alle Schriftsteller, die in der Gesellschaft von Frauen aufgezogen worden sind und die ihre Sexualität aus Lust und Notwendigkeit in ihr Werk integrieren, habe ich eine Art von selbstverständlicher Obsession für weibliche Verhaltensweisen, Körper, Beziehungen und Eigenschaften. Wahrscheinlich ist nichts weniger überraschend als diese Feststellung, denn jeder kann ja nur über die Dinge schreiben, die er am besten kennt.

Ich kann mich noch erinnern, dieses Buch auf die Wunschliste gesetzt zu haben aufgrund einer euphorischen Rezension in einer großen österreichischen Tageszeitung. Das Werk wurde als kreativ erzähltes Romanwerk beworben und bejubelt. Tatsächlich scheint es eher eines dieser Werke zu sein, dass die Buchkritiker schon allein deshalb bejubeln, weil sie sich nicht die Zeit nehmen, das Gewirr an episodenhaften Erzählungen tatsächlich zu hinterfragen.

Du sitzt im Bus und denkst nichts Böses, auch nichts Besonderes, schon gar nichts Poetisches. Plötzlich aber hebt hinter dir eine Frau ihr Mobiltelefon ab, seufzt und buchstabiert den geheimnisvollen Wortkomplex „Serotonin Reuptake Inhibitor“. Gleichzeitig fällt dein Blick durch das tropfenverschmierte Fenster auf einen Spielplatz, wo ein erwachsener Mann in kurzen Radlerhosen auf einer Schaukel sitzt und sich hin und her wiegt.

Viele der erzählten Begebenheiten sind poetisch beschrieben und lenken den Blick auf die Kleinigkeiten des Alltags, die man oft aus Hektik übersieht. Aber das große Ganze will sich von allein nicht entwickeln, die Teile passen einfach nicht zusammen.

Categories
Krimi Roman

Thomas Raab – Der Metzger muss nachsitzen

Wein(c)Marko Greitschus/PIXELIO

Nun liegt es in der Natur der Raucher, schon allein wegen ihrer alles anderen als reinlichen Sucht, dass sie leicht schmuddelige Räumlichkeiten einem gepflegten Büro vorziehen. Logisch, dass der Metzger nun mutterseelenallein in diesem sterilen Zimmer hockt.

Auch der österreichische Autor Thomas Raab hat einen sympathischen Krimihelden geschaffen, der allerdings im Vergleich zu Volker Kutschers Kommissar Gereon Rath so eigentlich gar nichts mit Verbrechen zu tun hat. Willibald Adrian Metzger ist Restaurator, militanter Nichtraucher und Weinliebhaber. Dem Wein spricht er schon mal ausgiebig zu und stolpert dann per Zufall über die Leiche eines ehemaligen Schulkollegen. Wäre nicht die Leiche verschwunden, als er mit dem Polizisten Pospischill – ebenfalls ein ehemaliger Schulkamerad – wiederkommt, würde das den Metzger nicht besonders betrüben.

Im Laufe dieses Romans muss der Metzger den sicheren Hafen seiner Werkstatt verlassen, um dem Geheimnis des Todes seiner Schulkollegen auf den Grund zu gehen. Dabei trifft er auf viele ihm wohlgesinnte Menschen und söhnt sich im Rahmen eines Klassentreffens mit den Schulkollegen aus, die ihm damals so zugesetzt haben. Den der ermordete Dobermann hat dem Metzger damals so manche Gemeinheit zugefügt. Rund um den toten verschwundenen Dobermann entwickelt sich ein kompliziertes Geflecht aus Geheimnissen, das der Metzger Stück um Stück aufdeckt, wobei er sich natürlich selbst zusehends in Gefahr bringt. Schließlich wird der militante Nichtraucher Metzger gerettet – durch eine Zigarre.

Ein großartiger Krimi, ganz in der Tradition von Wolf Haas, sprachlich deutlich österreichisch, mit Betonung auf die Eigenheiten unserer Gesellschaft, mit freundlichem, spitzbübischem Blick auf das Leben in diesem Land. Zugreifen!

Categories
Krimi Roman

Volker Kutscher – Der nasse Fisch

Berlin, Alexanderplatz(c)Jim Pfeffer/PIXELIO.jpg

„Mein erster Einsatz als Betonarbeiter“, meinte Schwartz, als er ab den Obduktionstisch trat.
„Das glaube ich, Leichen in Beton sind eher selten, nicht wahr?“ Rath hoffte, dass Schwartz ihm die Nervosität nicht anmerkte, mit der er hier hereinspaziert war.
„Darauf würde ich nicht wetten, mein Freund“, entgegnete Schwartz. „In Berlin wird viel gebaut. Und so manchem Toten gönnt man kein ordentliches Grab.“

Dass Kriminalkommissat Gereon Rath den Toten selbst auf dem Gewissen hat, weiß der Pathologe natürlich nicht und dieses Geheimnis muss Rath auch noch lange allein mit sich herumtragen. Wegen eines Schusswechsels mit Todesfolge wurde er auf Betreiben seines Vaters von Köln nach Berlin versetzt – zur Sitte, wo ihm nach Ansicht seines Vaters nichts zustoßen kann. Rath mischt sich jedoch schnell in die Mordermittlungen ein, mit dem Ziel die Abteilung Sitte alsbald zu verlassen. Dadurch gefährdet er nicht nur die aufkeimende Beziehung zur Stenotypistin Charlotte Ritter, sondern gerät auch in einen Bandenkrieg, der sich schließlich als Korruptionsskandal entpuppt.

Rath las die Akte in seinem Büro, in dem ihn heute nicht einmal Erika Voss störte. Die beiden Russen waren an jenem Tag in eine Schlägerei mit Kommunisten geraten. Und dabei hatten sie etwas zu gründlich zugelangt. Einer der Roten saß seitdem im Rollstuhl, dem anderen hatte man einen Arm amputieren müssen. Selenskij und Fallin hatten zugegeben, an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, aber bestritten, an den schlimmen Verletzungen Schuld zu tragen, und waren daher mit einem milden Urteil davongekommen. Kein Wunder, dass Böhm die Akte wieder weggestellt hatte.

Raths Karriere in der Mordkommission beginnt mit den Ermittlungen in einem Fall, den er sehr genau kennt: Er selbst ist der Mörder. Im Zuge der Vertuschungsaktion (schließlich will er den Fall möglichst schnell zu den „nassen Fischen“ – den ungelösten Fällen – stellen) stellt er nicht nur fest, dass die unwahrscheinlichsten Personen für die jeweilige Gegenseite tätig sind. Auch an weiteren Leichen wird nicht gespart, höchst langsam entwirrt sich das Gespinn an Fäden, das das Netz dieses Krimis bildet. Die stets bedrohlich im Hintergrund schwirrende politische Situation im Berlin des Jahres 1929 gibt dem Krimi eine zusätzliche Würze. Zum Glück hat Volker Kutscher seinen Kommissar Rath noch in weitere Ermittlungen verwickelt.