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Klassiker Roman

Bram Stoker – Dracula

Muddas Rosen made with Cam+

The dark man kept his eyes fixed on her, and when the carriage moved up Piccadilly he followed in the same direction, and hailed a hansom. Jonathan kept looking after him, and said, as if to himself …

Vampirgeschichten kennt heutzutage jeder. Schon Volksschulkinder werden durch Geschichten von kleinen Vampiren in den Mythos der Blutsauger eingeweiht, sei es nun durch Bücher oder Fernsehserien. So kommt es, dass der heutige Leser natürlich bereits alles über Vampire weiß. Zähne, Knoblauch, Kreuz, etc. Alles, was Van Helsing und seine treuen Mitstreiter erst Schritt für Schritt herausfinden müssen, weiß der heutige Leser bereits. Tatsächlich ist mir erst während der Lektüre aufgefallen, dass ich nicht weiß, wie die Geschichte ausgeht.

Die Geschichte wird aus den Tagebüchern und Briefwechseln der handelnden Personen erzählt, in der Hauptsache von Jonathan Harker, seiner Frau Mina Harker, dem bekannten Professor Van Helsing, der selbst schon Filmheld wurde (die Spezialeffekte waren durchaus beeindruckend), sowie Dr. Seward. Nachdem die von nahezu allen Beteiligten heiß geliebte Lucy Westenra ihrer seltsamen „Krankheit“ erliegt und davon schließlich nur durch einen Pflock durchs Herz erlöst werden kann, machen sich die wackeren Freunde auf die Jagd nach dem Grafen, der dieses Unglück zu verschulden hat.

With the dawn we saw the body of Szgany before us dashing away from the river with their leiter wagon. They surrounded it in a cluster, and hurried along as though beset. The snow is falling lightly and there is a strange excitement in the air. It may be our own feelings, but the depression is strange. Far off I hear the howling of wolves.

Die beteiligten Personen drücken sich dabei durchaus episch aus, auch Landschaften werden geschildert, als ob es sich um eine Synchronisierung einer Universum-Dokumentation handelte. Eine ausgesuchte Höflichkeit zieht sich durch alle Konversationen, es ist unvorstellbar, dass einer dieser edlen Herren je mal ausfällig würde. Die wenigen Konversationen mit niedrigen Menschen geraten für den Leser mit nicht-englischer Muttersprache zum Ratespiel, den diesen verleiht der Autor eine Sprache, die im geschriebenen nicht mehr viel mit Englisch gemein hat.

Wer sich die Spannung für die eigene Lektüre erhalten möchte, hört jetzt auf zu Lesen, denn es folgt zum Abschluss ein Spoilerzitat ;-) Es ist so poetisch, und daher ein wunderbares Beispiel für die romantische Sprache, die diesem Werk zugrunde liegt. Wenn die Damen und Herren sich damals wirklich so blumig ausdrückten, ist es ein Wunder, dass überhaupt Kriege geführt werden konnten, wo man doch fünf Mal so viele Worte wie nötig benutzte, um sich dann erst recht unklar auszudrücken.

I shall be glas as long as I live that even in that moment of final dissolution, there was in the face a look of peace, such as I never could have imagined might have rested there.

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Roman

Sara Gruen – Wasser für die Elefanten

Riesenrad Linnanmäki Helsinki made with Cam+

Ich sag mich nach allen Seiten um. Niemand rührte sich – alle Blicke hingen am Chapiteau. Ein paar Büschel Stroh taumelten träge über die harte Erde.

Ach, wie schön kann es sein, einfach mal nur zum Vergnügen in einem Roman zu versinken. Moment, eigentlich tue ich das doch immer beim Lesen. Aber bei diesem Buch (das ich nicht mal auf Papier sondern am iPad mit der Kindle-App gelesen hab), ist es einfach noch mal ganz anders. Ein alter Mann erinnert sich vom Bett seines Pflegeheims aus an eine wilde Geschichte seiner Jugend. War es nur eine wilde Geschichte? Oder war es der Beginn seines wirklichen Lebens?

Jacob Jankowski steht vor der Abschlussprüfung als Tierarzt an der Universität Cornell, als seine Eltern bei einem Verkehrsunfall verunglücken. Jacob wusste nichts von den Schulden, die auf dem Familienbesitz lasten. Er wirft alles hin und springt nachts auf einen Zug auf. Er landet – beim Zirkus. Seine Fähigkeiten als Tierarzt sind dort sehr gefragt, obwohl er sich zuerst mühsam durchkämpfen muss. Bald hängen die Elefantendame Rosie und der Affe Bobo an seinem Rockzipfel, doch auch die Artistin Marlena findet Gefallen an ihm. Davon möchte ich nicht zuviel verraten, denn jede vergebene Wendung, die auf der nächsten Seite wartet, würde den Lesespaß verderben …

Zu schade, dass ich dieses Buch jetzt nicht einfach meiner Mutter oder Schwester in die Hand drücken kann, denn die leben noch in der Papierwelt. Nicht, dass ich diese bereits vollständig verlassen hätte, aber dieses Buch ist so großartig, dass ich es sofort einem Menschen weiterschenken möchte. Ich fürchte, ich werde es nochmals auf toten Bäumen erwerben müssen.

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Klassiker Roman

Johann Wolfgang von Goethe – Die Wahlverwandtschaften

Rathausturm Retz Ausblick, made with Cam+

„Das Bewusstsein, mein Liebster“, entgegnete Charlotte, „ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche für den, der sie führt; und aus diesem allen tritt wenigstens soviel hervor, dass wir uns ja nicht übereilen sollen. Gönne mir noch einige Tage; entscheide nicht!“

Obwohl Goethe in diesem Roman ein allgemeingültiges Thema behandelt und das auch noch sehr modern, ist die Staubschicht unmöglich zu ignorieren. Es fühlt sich an, wie etwas, das einem die Deutschlehrerin fürs Referat aufgedrückt hat, weil man frech war. Immerhin zeigen die wechselnden Beziehungsgeschichten, dass schon damals die Liebe nicht immer fürs Leben war.

Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.
Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.

Charlotte und Eduard wissen ihre Beziehung zu schätzen, denn die beiden sind nicht direkt zusammen gekommen, sondern mussten erst abwarten, bis die Beziehung tatsächlich funktioniert. Doch als Eduards Freund – der im ganzen Verlauf der Geschichte immer nur „der Major“ genannt wird – und Charlottes Nichte Ottilie ins Leben der beiden treten, wird die gemeinsame Welt auf den Kopf gestellt. Es stellt sich heraus, das Charlotte und Eduard nicht so viel gemeinsam haben, wie sie bisher dachten und Stück für Stück scheinen die vier Personen andere Paare zu bilden. Charlotte bekommt ein Kind, wer tatsächlich dessen Vater ist, bleibt im Verlaufe des Romans stets nur angedeutet. Die junge Ottilie macht sich stets Gedanken über das Leben und bemüht sich nach bestem Gewissen, den Haushalt zu führen und Charlotte auch bei der Sorge fürs Kind zur Seite zu stehen. Erst ein schlimmer Unfall lässt Charlotte das bisherige Leben überdenken.

Doch was sag ich! Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht? Habe ich nicht selbst beide einander zu nähern gesucht?

Charlotte resigniert und will dem unglücklichen Eduard, der sich weiterhin nach Ottilie verzehrt, nicht mehr im Wege stehen. Doch beide Frauen gönnen sich das bißchen Glück nicht, das ihnen noch möglich wäre. Man könnte natürlich auch interpretieren, dass die Beteiligten für ihr sündhaftes Verhalten bestraft werden und dieser Roman uns nichts anderes sagen will, als dass die Ehe heilig ist und wer sich diesem Gesetz widersetzt, mit Strafe und Unglück zu rechnen hat. Goethe hatte angeblich im Sinn, „soziale Verhältnisse und die Konflikte derselben symbolisch gefasst darzustellen“. Das dürfte ihm gelungen sein, wenn auch eine derartige Patchwork-Familie heutzutage eher die Regel als die Ausnahme darstellt.

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Roman

Robert Seethaler – Die weiteren Aussichten

Blitz(c)canadakick/SXC

Nur insgesamt zwei Mal hat er das frühe Aufstehen und den Tankstellendienstbeginn versäumt. Einmal war er krank. Und einmal war er verliebt. Aber das ist ja meistens dasselbe.

Zwei Anläufe habe ich für dieses Buch gebraucht, die Umstände des ersten Starts waren denkbar ungeeignet, als „Unterwegs“-Buch eignet es sich auch nicht, dazu ist das Lesen dieser Art Gedankenschreibweise einfach zu mühsam. Auch das ist wieder so ein Buch, das ich nur zur Hand genommen habe, weil es in irgendeiner Rezension hochjubiliert wurde. Aber in diesem Fall kann ich zumindest verstehen, was den Rezensenten zu dieser Jubelarie gebracht hat, wenn ich dessen Meinung auch nicht unbedingt teile.

Das Buch erzählt eine große Veränderung im Leben eines jungen Mannes namens Herbert. Dass Herbert geistig etwas zurückgeblieben ist, versteht man erst im Verlauf der Geschichte, die einfach gehaltene Sprache, die Herberts Blick auf die Welt widerspiegelt, lässt es aber bereits erahnen. Er leidet außerdem an Epilepsie und ist dadurch ein natürlicher Außenseiter in einer Dorfgemeinschaft, die alles Fremde ablehnt. Als eine Frau auf einem blauen Fahrrad vorbeifährt, wirft Herbert sein bisheriges Leben über Bord und sich selbst ohne Zögern in das Leben dieser Frau. Am großen Schlachtsaufest kommt es zum ersten Showdown. Die Beschreibung der Stimmung auf solchen Dorffesten könnte nicht besser getroffen sein.

Und sowas wissen die Leute natürlich zu schätzen. Da brodelt und quirlt es jetzt auf der Tanzfläche. Da fallen einige Hemmungen. Wenn man sich nämlich dem David Hasselhoff erst einmal hingegeben hat, kann einem überhaupt nichts mehr peinlich sein.

Herbert schleppt seine Hilde natürlich mit nach Hause, die Mutter ist – natürlich – nicht einverstanden, für ihren Buben ist natürlich nichts gut genug, schon gar nicht eine dicke Frau mit ausländischen Wurzeln. Doch die Mutter ist krank. Die Ereignisse überschlagen sich, Herberts Aggressionen führen zu einem Roadmovie, das an Action und Tempo ohne Weiteres mit Thelma & Louise oder Knockin’ on Heaven’s Door mithalten kann.

Skurrile Figuren begegnen Herbert, Hilde und dem Goldfisch Georg auf ihrem Weg. Gerade der wie ein Einsiedler lebende Karl Sprnadl dient dem Autor als Werkzeug, um unerwartet auch noch eine saftige Kritik an den österreichischen Medienmachern anzubringen:

Karl Sprnadl hasst das Fernsehen. Das Fernsehen ist nach Karl Sprnadls Meinung der größte Dreck auf Gottes Erden. Noch nie ist irgendetwas Brauchbares oder Gescheites im Fernsehen gewesen. Und wahrscheinlich wird auch nie irgendetwas Brauchbares oder Gescheites kommen. Weil die Fernsehmacher allesamt verbrunzte Vollidioten sind.

Und auch der Bürgermeister und die örtliche Polizei geben kein gutes Bild ab. Für das „nicht normale“ Paar Herbert und Hilde ist in dieser Dorfgemeinschaft letztendlich kein Platz. Ein Manifest für mehr Toleranz und gegen Hass und Aggression. Ein Roman, der sich aufgrund seiner originellen Erzählform und des behandelten Themas in dieselbe Schublade wie Felix Mitterers Kein Platz für Idioten einsortieren lassen muss.

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Roman

Franziska Stalmann – Champagner und Kamillentee

Champagner (c) mocbog/SXC

„Sie heißt ,Bleib gesund’“, sagte ich und rang mich dazu durch, schonungslos die Wahrheit zu sagen. „Es ist eines von diesen komischen Blättchen, die man in der Apotheke mitnehmen kann. Aber sie zahlen mir tausend Mark im Monat, und ich kann schreiben, was ich will, wenn es nur spannend ist, und sie haben immerhin eine Auflage von einer Million. Und ich lerne sehr viel dabei“, fügte ich hinzu, in der Hoffnung, Elisabeth würde die Vorteile gegen die Unseriosität abwiegen und mich nicht allzu sehr verachten.

Viel mehr Spezielles oder Erwähnungswertes gibt es leider zu diesem Roman nicht zu sagen. Diese Beschreibung des neuen Arbeitgebers der Protagonistin Ines erinnert mich persönlich an einen vergangenen Arbeitgeber, weshalb ich dieser Sichtweise etwas abgewinnen kann. Das mag jedoch auf die wenigsten zutreffen, daher ist dies wohl ein Frauenroman wie so viele andere.

Eine fest in ihrem gemütlichen Leben stehende Frau wird aus der Bahn geworfen, von ihrem Mann verlassen und muss ihr Leben neu ordnen. Sie landet letztendlich ganz unten und muss sich von dort wieder aufrappeln. Zuerst geht alles schief, dann wendet sich das Blatt und das Schicksal scheint sich („endlich!“ will man ausrufen) auf ihre Seite zu schlagen. Jeder Schritt, den sie vorher nach unten getan hat, klettert sie in weiterer Folge wieder hinauf. Bis zum großen Herzschlagfinale, das ihr Leben wiederum aus der Bahn wirft. Wieder mal ein Beispiel für die sommerliche Strandlektüre.

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Fantasy Roman

Terry Pratchett – Total verhext

Windrad HDR

Sie meinten, eigentlich gäbe es gar keine Realität, über die man mehr herausfinden könnte, und das mit der permanenten Unwirklichkeit sei sehr aufregend. Und wußten Sie, dass überall kleine Universen existieren, die wir nur nicht sehen können, weil sie in sich selbst gekrümmt sind? Übrigens, gefällt Ihnen dieses T-Shirt?

Hach, wieder mal ein Ausflug in die heile Welt der Scheibenwelt. Erstmals hatte ich hier einen Roman aus dem Hexenuniversum, der sich auf die humorvollste Weise mit dem Thema Märchen beschäftigt. Tiere nehmen menschliche Gestalt an, wenn man sie nur intensiv genug glauben lässt, sie wären etwas anderes als ihre Gestalt ihnen vermittelt. Kater werden so zu Zorro-Gestalten und Hexen zu Prinzessinnen.

Wie wir es von Pratchett kennen, nimmt die Geschichte allerlei spaßige Wendungen und Umwege, bevor überhaupt klar wird, worauf es hinausläuft. Oma Wetterwachs gelingt schließlich der Sieg gegen ihre Schwester Lily Wetterwachs, die sich einen Spaß daraus macht, im Märchenuniversum herumzupfuschen und die Geschichten zu neuen Kombinationen zu verweben. Ebenso bleiben immer Fragen offen, die Platz für eigene Interpretation lassen.

Unter dem Tisch hockte Greebo und leckte sich die Pfoten ab. Manchmal rülpste er leise.
Vampire stehen von den Toten auf. Sie kehren aus Gräbern und Grüften zurück, aber nicht aus dem Magen eines Katers.

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Krimi Roman

Donna Leon – Venezianische Scharade

Neustiftgasse 05:18 (Cam+, So Emo)

Padovani öffnete fast augenblicklich und streckte Brunetti die Hand entgegen. Sein Händedruck war fest und warm, er zog Brunetti ins Haus. „Komm aus der Hitze. Ich muss verrückt sein, jetzt nach Rom zurückzufahren, aber wenigstens hat meine Wohnung dort eine Klimaanlage.“

Commissario Brunetti ist diesmal auf der Suche nach dem Mörder eines Transvestiten und begibt sich zu diesem Zwecke selbst ins Rotlichtmilieu. Aber nicht nur die Untiefen des venezianischen Prosituiertenmilieu bergen Hinweise, schließlich landen die Ermittlungen eher in hohen Finanzkreisen. Brunettis Familie urlaubt einstweilen in den kühleren Bergen. Soviel zudem. Ein typischer Brunetti?

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Krimi Roman

Werner Kopacka, Thomas Schrems – Zuadraht

Uhr vor dramatischem Wolkengebilde im Kurpark Oberlaa

„Ich weiß. Man weiß nie. Noch ein kleiner Tipp, Herr Leimböck. Treiben Sie den Stocker nicht schon zu Beginn in die Enge. Sonst schlägt er blindlings um sich und spielt wider jede Vernunft. Er ist einer, der jederzeit zudreht, auch ohne Atout.“

Hier präsentiert sich also ein österreichischer Krimi, der nicht nur in Graz spielt, sondern auch mit tief verwurzelten österreichischen Eigenheiten. Wenn man will, kann man in diesem Werk ebenso eine Parabel auf die Neidgesellschaft, die in unserem Land ja so tief verwurzelt ist, sehen. Oder man sieht einfach nur einen spannenden Krimi mit Option auf Fortsetzungen.

Als Gegenpole stehen sich der Kriminalkommissar Leimböck und der Mörder Hofer gegenüber, dem Leser wird von Anfang an nicht vorenthalten, was den Verbrecher antreibt: Persönliche Rachegelüste haben ihn einen komplizierten Plan entwickeln lassen, der auch lange problemlos funktioniert. Beide zeichnet in ihren Gedanken ein ständiger Bezug zum Kartenspiel aus, eine Grundkenntnis der Regeln des Schnapsens ist für den Leser von Vorteil, um diese Feinheiten auch ausreichend würdigen zu können.

Eines Tages wird der mächtigste Mann der Welt Schwarzenegger heißen, davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich bin auch überzeugt davon, dass das Außergewöhnliche, das in ihm steckt, etwas mit dem Ort zu tun hat, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist. Der befindet sich nur wenige Kilometer außerhalb von Graz. Zu meinem Glück. Man könnte fast sagen, dass das Dorf Thal ein Vorort von Graz ist.

Es ließe sich auch argumentieren, dass sich hier deutlich die Spuren amerikanischer Krimiserien abzeichnen: eine „Profilerin“ aus Wien wird dem Kommissar Leimböck zur Seite gestellt, wäre dies ein Film, würde sie wohl einer der Damen aus Criminal Minds ähnlich sehen. Gleichzeitig verwässern diese Elemente nicht das österreichische Flair, es bleibt stets alles auf dem Boden der Tatsachen. Der tiefe psychologische Blick in die Motive und damit in die Seele des Mörders ergibt auf dem Papier eine ebenso spannende Wirkung wie in den erwähnten amerikanischen Serien.

Für Krimifreunde stellt dieses Werk in jedem Fall eine interessante Abwechslung dar, abseits von den bekannten Mustern eines Brunetti oder Wallander. Das Buchcover (der Paperback-Ausgabe) ist leider nicht so gelungen wie der Roman …

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Roman

Thomas Stangl – Ihre Musik

Klagenfurt

Ich erkenne nichts Eigenes in dem Zimmer, nur die ineinander übergehenden, ineinander auslaufenden Räume, der Wohnraum und das Schlafzimmer so langgezogen und leer wie der Vorraum, keine Bücher, keine Zigaretten und Aschenbecher, keine Kugelschreiber, keine Notizen; Worte und Beschreibungen, Verdopplungen und Verschiebungen halten diese Figur nicht mehr zusammen.

Dieser Schreibstil, der Gedanken abbildet: furchtbar anstrengend zu lesen, aber ganz besonders beliebt bei (selbst ernannten) Literaturkritikern. Es entfaltet sich so schnell, dass man sich irre konzentrieren muss und doch passiert fast nichts (zumindest nichts Konkretes). Vieles bleibt der Interpretation des Lesers überlassen. Die Entfaltung der Gedanken ruft zur Entfaltung der eigenen Gedanken auf.

Sie steht in der Mitte des Bahnsteigs, lang bevor der Zug einfährt. Ihre Haut ist durchscheinend, sie bewegt ganz leicht, wie zu einer nur für sie hörbaren Musik (da sind nur dann und wann die verschiedensprachigen Unterhaltungen um sie, unverständliche Lautsprecherdurchsagen, Möwenschreie vom Himmel her), die Hände, als würde sie die Falten eines unsichtbaren weißen Kleides vor ihren Schenkeln glätten, sie weiß jetzt, wie es ist, nicht mehr da zu sein.

Genau genommen könnte man diesen Roman auch kriminalistisch analysieren. Die Spaziergänge führen durch die Wiener Leopoldstadt und auch mal darüber hinaus. Wer die Gegend kennt, kann viele der erwähnten Plätze wieder erkennen und möglicherweise den Wegen der Protagonistin folgen.

Im Augarten sind jetzt schon die Krähen angekommen und legen jeden Abend und jeden Morgen einen dichten schwarzen Schleier und aus vielfältigen Klängen gewebte mächtige Schallteppiche über die kahl werdenden Bäume und die Kieswege, sie geht außen an der Mauer entlang und dann an immer schäbiger werdenden Läden vorbei die Taborstraße bis zum Ende hoch.

Auch ich habe einen neuen Blick gewonnen: auf den Teil des Donaukanals an der Hollandstraße, den ich so oft auf dem Weg zur Arbeit sehe. Man sollte sich wohl öfter mal hinsetzen und die Stadt und das Leben wirklich wahrnehmen anstatt nur daran vorbeizulaufen.

Die Stufen und die Zillen (wenn sie hinuntergeht, die Hollandstraße entlang und nach der Ampel die Treppe am Kanal abwärts, Schritt für Schritt, ans Geländer gestützt, schwer atmend) sehen aus wie sie vor über sechzig Jahren ausgesehen haben; als wäre nichts geschehen, sie weiß jetzt, dass nichts geschehen ist und die unberührte Welt keinen Halt bietet, die Haut der Dinge ist ohne Erinnerung wie ihre eigene Haut ohne Erinnerung ist, keine Empfindung zurückbehalten hat.

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Klassiker Roman

Benito Perez Galdos – Dona Perfecta

Himmel

Man sah nichts. Aber wer in Gedanken versunken ist, sieht alles, und Rey, dessen Augen sich in die Finsternis bohrten, sah zu, wie sich auf ihr die verworrene Landschaft seiner Missgeschicke abzuzeichnen begann. Die Dunkelheit gestattete es ihm nicht, die Blumen der Erde zu sehen und auch nicht die Sterne, die Blumen des Himmels.

Totale Vernichtung. Eine Familientragödie epischen Ausmaßes. Auf heutige Beziehungsprobleme umgelegt, macht dieses Drama schlicht einen seltsamen Eindruck. Wer kann sich heute vorstellen, sich in einen Menschen zu verlieben nur aufgrund der Optik und ein paar gesagten Nettigkeiten? Und dann diese Liebe so zu überhöhen, dass sich beide Partner ins Unglück stürzen. Es erinnert nahezu an Romeo und Julia. Nebenbei steht der Vater der unglücklichen Tochter, der hilf- und ahnungslos mitansieht, wie seine Frau die Liebe der Tochter sabotiert und diese Tochter schließlich wegen des Todes ihres Angebeteten im Irrenhaus landet. Auch für die Nebenfiguren geht die Geschichte nicht gut aus.

Gesellschaftliche Dramen sind in ihrer Intensität und Ausprägung von den zeitlichen Rahmenbedingungen abhängig und doch erkennt man die Motive wieder. Unerfüllte Liebe, die Familie ist nicht einverstanden mit dieser Liebe, Aufstand/Revolution verhindern außerdem das Liebesglück. Im Großen und Ganzen finden sich dann wahrscheinlich doch spannendere Romane zum selben Thema. Verzichtbare totale Vernichtung.

Damit sind wir am Ende. Das ist alles, was wir für den Augenblick von den Menschen sagen können, die gut erscheinen und es nicht sind.