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Roman

José Saramago – Alle Namen

Enten in Kaisermühlen

Der Grund ist sehr einfach, ich habe niemanden, mit dem ich sprechen kann. Sr. José betrachtete die Frau, sie betrachtete ihn, es lohnt nicht, Wörter zu verschwenden und den Ausdruck zu beschreiben, der in ihrer beider Augen lag, wichtig ist nur, dass er nach einer Weile des Schweigens sagen konnte, Ich auch nicht.

Wie dieses Buch auf meine Leseliste kam, weiß ich nicht mehr, solang stand es schon drauf. Die Schreibweise Saramagos macht dieses Buch anfangs etwas schwer zu lesen. Er benutzt wenig Satzzeichen, lange Sätze und trennt oft selbst in Dialogen die Aussagen zweier Personen nur durch Beistriche und Großbuchstaben. So muss man auch mal zurücklesen, ob man nun noch die richtige Personenverteilung im Dialog hat oder möglicherweise einen Wechsel verpasst hat. Die überlangen Sätze und fehlenden Absätze machen ein Pausieren zwischendurch außerdem schwer. Doch mit zunehmendem Eintauchen in die Geschichte wird der Schreibstil scheinbar zwingend, es gibt kaum eine Atempause in Senior Josés Suche nach der geheimnisvollen Frau.

Der arme Mann warf sich aufs Bett und fragte sich selbst, warum er nicht das tat, was der Apotheker ihm mit kaum verhohlenem Sarkasmus geraten hatte, Ich an Ihrer Stelle hätte das Problem längst gelöst, Wie, hatte Sr. José gefragt, Indem ich im Telefonbuch nachschlage, in diesen modernen Zeiten ist das der einfachste Weg, jemanden zu finden, Vielen Dank für diesen Vorschlag, …

Durch Zufall stößt Senior José auf die Karteikarte der unbekannten Frau. Dem Leser bleibt sie tatsächlich unbekannt, ihr Name wird nie genannt, auch ihre Geschichte wird nur bruchstückhaft enthüllt. So könnte man schnell entdecken, dass es um sie gar nicht geht, dass Senior José sie schließlich findet, wenn auch nicht so, wie er es sich zuerst vorgestellt hat, zerstört die Entwicklung nicht, es erscheint eine logische Folge. Denn in Wirklichkeit geht es um Senior José, seine Kontakte zur Außenwelt, die Überwindung seiner selbst, die er auf der Suche nach der unbekannten Frau Stunde um Stunde leistet. Einbruch in eine Schule, Übernachten auf dem Friedhof, Erkennen, dass seine Suche erfolgreich und doch erfolglos bleibt.

…, Es sind Millionen, murmelte er, dann denkt er an die riesige Menge Platz, die man hätte sparen können, wenn die Toten im Stehen begraben worden wären, Seite an Seite, dicht beieinander, wie ein Herr in Habachtstellung, und jeder hätte als einziges Zeichen seiner Anwesenheit dort einen Steinwürfel auf dem Kopf, auf dessen fünf sichtbaren Seiten die wichtigsten Daten aus dem Leben des Verstorbenen eingemeißelt wären, fünf Steinquadrate wie fünf Seiten, Resümee eines ganzen Buches, das nicht hatte geschrieben werden können.

Letztendlich bleibt es beim Fund der Aufgabe von Senior José: die Toten ins Leben zurückholen. Und auch das geschieht auf andere Art, als Senior José oder der Leser es sich vorher vorzustellen vermag. Inspiriert.