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Roman

Natasa Dragnic – Jeden Tag, jede Stunde

Und kein Regenbogen ist in Sicht. Und keine roten Zauberschuhe. Und keine böse Hexe ist tot. Weder im Osten noch im Westen.

Well, my own fault. Da wollte ich mir für den Urlaub eine nette Liebesgeschichte raussuchen (Deja-vu, anyone?) und habe wieder etwas ganz anderes bekommen. Naja, nicht ganz anders, aber zumindest nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte …

Vor allem tut sie aber das, was sie in sich trägt, was sie erfüllt, was in jedem ihrer Atemzüge steckt. Sie muss sich nicht anstrengen, um die erwünschten Gefühle in sich zu finden, sie muss sich allerdings äußerst bemühen, sie in sich zu behalten, sie nicht alle auf einmal herauszulassen, sie unter Kontrolle zu haben und nur tropfenweise zu offenbaren.

Unter Kontrolle … wenn man diesen Roman liest, wird man feststellen, dass es manchmal nicht das Richtige ist, sich unter Kontrolle zu haben. Das Schwierige ist nur, die Momente zu erkennen, in denen es sich lohnt, den Rest der Welt zu vergessen und nur das zu tun, was einem gerade als richtig erscheint, ohne an die Konsequenzen zu denken. Wenn man diese Momente falsch wählt, kann dies zu Enttäuschung und jahrelangem Leid führen. Ein Wunder, dass doch jeden Tag Entscheidungen fürs Leben getroffen werden. Man könnte meinen, man kommt besser davon, wenn man sich die Entscheidungen erspart …

Als Dora tief in der Nacht ihres ersten großen, richtigen Erfolgs am Fenster ihres dunklen Wohnzimmers steht und die Lichter der Stadt, die ihr Zuhause ist, beobachtet, trifft sie unerwartet eine Entscheidung. Sie ist selbst überrascht. Es war ihr nicht klar, dass es etwas zu entscheiden gab, denn alles war schon entschieden.

Alles, was ich über den Inhalt des Buches sagen könnte, erscheint mir banal. Ja, es ist eine große Liebesgeschichte. Dora und Luka lernen sich als Kinder kennen und kleben fortan wie zu lange gekochte Nudeln aneinander. Doch Dora muss mit ihren Eltern nach Frankreich ziehen, Luka bleibt allein zurück und muss seine Mutter sterben sehen und seiner Schwester beim Erwachsenwerden helfen. Als sie sich nach vielen Jahren in Paris wiedertreffen, ist klar, dass es mehr als nur eine Jugendliebe ist.

Warten ist alles, was sie jetzt tun kann. Warten, dass das Leben sie wiederfindet. Das könnte allerdings eine Weile dauern, denn sie hat sich gut versteckt.

Jede Trennung fühlt sich für Dora und Luka wie das Ende des Lebens an. Doch Luka heiratet aus Verantwortungsgefühl eine andere Frau. Nichts, was man nicht bereits tausend Mal gehört oder gelesen hätte. Doch gerade hier erscheint es wieder wie ein einziger großer Fehler. Natürlich werden beide nicht glücklich. Luka verleugnet seine Gefühle für Dora aus Pflichtgefühl, kann jedoch nicht voll für seine Familie da sein und ertränkt seinen Kummer in Alkohol.

Luka kann die Verachtung, die er sich selbst gegenüber spürt, nicht verstecken. Dora hält ihn fest. Sie ist erschüttert, kann nichts sagen. Ein Leben, das mit aller Kraft versucht, sich zu vernichten. Dora ist nach Schreien zumute. So viel Verleugnung und Verschwendung und Selbstbestrafung – und ohne jeden Grund.

Das Happyend bleibt aus. Im Urlaub bin ich übrigens nicht dazu gekommen. Harry Hole hielt mich 3 Tage lang in Atem, den Rest des Urlaubs habe ich mit E.L. Doctorow und leichter Magazinkost verbracht. Weit und breit kein Happy End in Sicht. Eventuell muss ich doch wieder mal auf Susan Elizabeth Phillips zurückgreifen, um mein Bedürfnis nach Liebesschund zu befriedigen … scheint mehr als nur eine Phase zu sein …

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Krimi Roman

Jo Nesbo – Kakerlaken

Das hat er mir selber gesagt. Dass er das Risiko hast, dass er nicht spielt, wenn er sich nicht sicher ist, zu gewinnen.

Für den Urlaub musste „leichte Kost“ her. Als so leicht erwies sich der zweite Fall von Harry Hole dann jedoch gar nicht. Was mit dem Mord an einem Botschafter beginnt, erweist sich schließlich als kompliziertes Ermittlungsgeflecht im Bereich der Kinderpornografie, natürlich wieder mit einem Showdown am Ende.

In nur drei Tagen war ich durch, ich glaube, so schnell hab ich schon lang kein Buch mehr durchgelesen. Aber wozu soll Urlaub sonst da sein? Naja, wir haben immerhin auch Geocaches in drei Ländern gehoben (darunter alle 7 Caches in San Marino an einem Tag). ;-)

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Roman

A. L. Kennedy – Das blaue Buch

Doch euer jeweiliges Selbst ist verschmolzen, verwischt, verbunden. Er hat ein vereintes Begehren aus dir gemacht, ein Stück Verzweiflung, nur durchs Dasein und Existieren – mühelos.

Da liest man den Klappentext. Man meint sich an ein anderes Werk der Autorin zu erinnern (mein Blog spuckt nichts aus und auch die Titel laut Wikipedia sagen mir nichts) und erwartet sich eine Lovestory, etwas Entspannendes für zwischendurch. Und wird enttäuscht. Aber auch nicht.

Das mag dir hässlich und unangenehm vorkommen, fremd – denn du besitzt Integrität, Unehrlichkeit passt einfach nicht zu dir, wie könnte sie auch? Aber kein Mensch nimmt es immer ganz genau, ist unablässig tapfer: Du kannst dich von diesem oder jenem Rand der Wahrheit abschrecken lassen – so wie jeder.

Anstatt einer entspannenden Kreuzfahrt-Liebesgeschichte bekomme ich also ein komplexes Psychogramm inkl. Rückblick in die Kindheit zwecks Ergründung der Entstehung der Persönlichkeitszüge der beteiligten Erwachsenen. Nicht erwartungsgemäß. Bis zum Schluss bleibt unklar, wem die Geschichte im blauen Buch erzählt wird. Es scheint stets ein Außenstehender zu sein. Der in der Geschichte noch nicht vorkam. Ein Irrtum.

Ich versuche nicht bloß, von ihnen wegzukommen, weg von der Hilfe, die sie womöglich anbieten, die mir nicht wirklich helfen kann und die ich nicht ertragen kann, weil mir nicht mehr zu helfen ist, ich mich aber nur ungern daran erinnern lasse. Ich laufe nicht bloß weg, ich suche. Ich suche ihn. Idiotin.

Die Situation erweist sich als spannend. Eine kluge Idee, die beiden Verschwörer durch Zahlen miteinander kommunizieren lassen. Es erlaubt so viele Zwischentöne, so viel Interpretation. Es erschafft eine eigene Welt, die nur diesem Paar gehört. Und doch sind sie kein Paar. Gehören aber vielleicht doch zusammen. Ohne es mit Sicherheit wissen zu können.

Also nicht mehr Gedanken als nötig. Was gut ist. Eins nach dem anderen, nur über das, was wir denken müssen. Nicht über alles. Alles wäre zuviel.

Immer wieder beschleicht mich das Gefühl, dass je nach Lebenslage bestimmte Bücher „zu mir kommen“. Dass ich unwillkürlich zu einem Buch greife, das mir etwas sagt, das zur aktuellen Situation passt. Die kritische Stimme denkt natürlich anders: viel wahrscheinlicher ist es, dass man unbewusst diese Bücher auswählt oder dass man Inhalte anders interpretiert, so dass sie zur eigenen Lebenssituation passen. Im Prinzip könnte man auch das Horoskop lesen … das stellt sich jedoch selten so aufwühlend und am Ende überraschend heraus wie diese Geschichte.

Die lächerlichen, nackten, lächerlichen Dinge, die wir sagen.

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Roman Thriller

Daniel Glattauer – Ewig Dein

„Liebling, das wirst du mir nicht abgewöhnen können. Ich liebe es, dich zu überraschen. Das ist mein schönstes Hobby, das ist mittlerweile fast schon mein Lebenssinn.“ Dazu lachte er. Wenn er versuchte, selbstironisch zu werden, mochte sie ihn am meisten.

Man hat natürlich die Kritiken gelesen über Daniel Glattauers „Stalking-Roman“. Nach den E-Mail-Briefromanen Gut gegen Nordwind
und Alle sieben Wellen legt Daniel Glattauer eine düstere Geschichte nach. Die Hauptfigur Judith ist eine kühle Person, eigenständig, seltsam gefühllos wirkt sie von Anfang an. Umso erstaunlicher ist es dann, im ersten Teil des Buchs zu beobachten, wie sie alle Anzeichen klassischer weiblicher Manipulationsanfälligkeit zeigt. Doch das greift zu weit …

Judith lernt Hannes kennen. Sie hält ihn zuerst für uninteressant. Doch Hannes hängt sich so hartnäckig an Judith, dass diese sich schließlich an seine Nettigkeiten und Aufmerksamkeiten gewöhnt. Auch wenn er ihr stückweise zu sehr klammert, gefällt ihr natürlich seine Hingabe und Bewunderung. Doch natürlich wird es ihr zu eng und sie versucht, einen Schlussstrich zu ziehen. Womit das Psychospielchen erst beginnt …

Bei Daniel Glattauer habe ich erneut das Gefühl, er spielt nicht mit seinen Figuren, sondern mit der Psyche des Lesers. Zuerst wundert man sich, dass Judith diese enge Beziehung zum klammernden Hannes überhaupt zulässt. Wer würde sich drei Wochen lang täglich mit jemandem treffen, den man gerade erst kennengelernt hat? So nett kann er gar nicht sein. Als Hannes sich dann zum Schein zurückzieht, kann Judith nicht anders, als sich zu fragen, ob seine Gefühle nun erloschen sind, und geht ihm wiederum ein Stück entgegen.

Das Ende erinnert in seiner Überraschung an The Sixth Sense. Und lässt den Leser trotzdem oder gerade deshalb mit einem flauen Gefühl im Magen zurück.

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Roman

Barbara Frischmuth – Woher wir kommen

Die Realität ist immer das, was gerade ist. Realität kann nur der Augenblick, in dem du gerade lebst, sein.

In der Onlinebücherei der Büchereien Wien sind oft die aktuellen Bücher eher verfügbar als ältere Werke. Barbara Frischmuths Familienroman ist im vergangenen Sommer erschienen und nach wie vor nur als Hard Cover oder mit 17,99 € für Kindle schon eher teures eBook erhältlich.

Ich möchte behaupten, der Kauf würde sich auch zu diesem Preis lohnen. Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt die Autorin die Geschichte von drei Frauen einer Familie, die jede für sich mit dem Verlust eines Mannes klarkommen müssen. Die Künstlerin Ada hat ihren Partner und damit einen wichtigen Teil ihrer Inspiration verloren.

War es das? Dass sie sich noch immer nicht ganz sicher war, wofür sie stand, unverwechselbar stand? Warum sonst dieses spontane Interesse an den Kritzeleien?

Adas Vater und damit der Mann ihrer Mutter Martha ist vor vielen Jahren mit seinem Freund Vedat im Ararat-Gebirge verschwunden. Martha und Lalle können nicht loslassen, treffen sich jährlich, um die Geschichte neu zu erleben. Kein Grab, das sie besuchen können, die ewige Ungewissheit, was mit den geliebten Männern geschehen ist.

Das bedeutet, dass das Erlöschen der Erinnerung, das Verschwinden im Schacht der Zeit sich höchstens ein wenig verzögert.

Auch Tante Lilofee, noch eine Generation zuvor, hatte den Verlust eines Mannes zu akzeptieren. Sie versteckte einen Deserteur im Wald, wurde schließlich entdeckt und verraten. Auch sie kann nie sicher sein, was mit ihrem Geliebten geschehen ist. Das Verhältnis zum Vater wird nie wieder dasselbe sein.

Du sollst sehen, dass du Teil der Welt bist und dadurch Einfluss auf sie hast. Üb ihn aus. Zeig uns, was wir sehen sollen.

Wie die drei Frauen weiterleben, wird schnörkellos, aber mitfühlend erzählt. Adas erwachende Liebe zu Jugendfreund Jonas, gebremst durch dessen drei Kinder und die verstorbene Frau, dominiert und setzt schließlich den hoffnungsvollen Schlusspunkt.

Schon allein die Hoffnung würde sie wild im Herzen und klar im Kopf halten.

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Roman

Astrid Rosenfeld – Adams Erbe

„Adam, wie könnte mich das langweilen? Das sind die Momente, die zählen. Davon hat man immer nur eine Handvoll.“

Was wie eine scheinbar harmlose Familiengeschichte beginnt, entpuppt sich langsam als Blick auf die Schrecken der Nazizeit. Doch Hauptthema ist stets die Liebe. Wir lernen erst Edward Cohen kennen, seine Mutter, seine Großmutter Lara, die uns später in der Rückblende als resolute junge Frau begegnen wird. Ein faszinierender Kunstgriff, den Menschen, den man schon als Großmutter kennt, plötzlich als jungen Menschen beschrieben zu sehen. Diese Großmutter Lara erkennt in Edward stets die Ähnlichkeit zu seinem Großonkel Adam, dessen Schicksal Großvater Moses niemals verwinden konnte. Edward wächst im Schatten dieser Ähnlichkeit auf, doch niemand erzählt Edward die Geschichte dieses Adam. Nach dem Tod der Großmutter findet Edward ein Buch, das Licht auf Adams Geschichte wirft.

Hitler war die Sphinx unter unseren Nazis. Seine schwammigen Gesichtszüge schienen sich jeder Deutung zu entziehen. Wir hatten mittlerweile zumindest eine Theorie über den Führer aufgestellt. Wir waren uns sicher, dass er heimlich trank, obwohl immer behauptet wurde, dass er wie ein Asket lebte.

Auch Adam hat eine resolute Großmutter, Edda, die ihm nicht nur beibringt, in den Gesichtern der Leute zu lesen, um so festzustellen, ob man ihnen vertrauen kann. Nein, Edda ist Adams Hauptbezugsperson, denn seine Mutter weint stets um die toten Männer, erst Adams Vater, der gebrochen aus dem Krieg zurückgekehrt ist, dann den Doktor, der sie verlässt, bevor die Schrecken der Nazizeit tatsächlich beginnen. Edda ist es auch, die Adam schließlich die Flucht nach Polen ermöglicht. Denn Adam sucht Anna, in die er verliebt ist und die nach Polen deportiert wurde. Seine Familie hingegen plant die Emigration nach London.

Wie nimmt man Abschied von einer Dame mit Blau-schwarzen Haaren, die einen die Freiheit gelehrt hat? Wie sagt man adieu zu einer Frau in rotem Samt, die einen blutrünstigen Tyrannen in einen komischen Säufer verwandeln kann?

Adams Geschichte führt ihn nach Polen, wo er als Rosenzüchter seine jüdische Herkunft verbergen muss. Die Suche nach Anna bleibt vorerst erfolglos. Doch Adams gesamtes Leben ist nur von der Suche nach Anna beherrscht. Obwohl er sie schon so lange nicht mehr gesehen hat, bleibt Annas Leben sein einziges Ziel. Immer wieder muss er von seiner Liebe erzählen, den ein anderes Leben kennt er nicht. Zuletzt führt ihn die Suche nach Anna ins Warschauer Ghetto, ein Schicksal, dessen Ende man sich denken kann. Der Autorin gelingt es dabei, so eindrückliche Bilder zu schaffen. Das Findelkind Herakles hat noch nie in seinem Leben eine echte Blume gesehen und will Adam nicht glauben, dass Blumen nicht aus Papier sind. „Du bist verrückt.“ Er kennt nur die Realität des Ghettos und wird zeit seines Lebens die Wunder der Welt niemals sehen.

Auch wenn Adams Geschichte zu keinem Happy End führt, so führen doch die letzten leuchtenden Seiten die Liebesgeschichte zu einem versöhnlichen Ende. Denn Adam hat sein Leben der Liebe gewidmet. Und auch wenn er es nicht weiß, hat er auf seine Art alles richtig gemacht.

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Krimi Roman

Enric Balasch – Sagrada

Erneut nahm der Architekt die Fotos und Zeichnungen zur Hand und betrachtete sie aufmerksam, wobei er bisweilen lächelnd den Kopf schüttelte, als riefen sie angenehme Erinnerungen in ihm wach. Von Zeit zu Zeit unterbrach er sich, um einen Schluck Kaffee zu trinken. Nach einer Weile hatte er die Bilder in mehrere Häufchen sortiert, von denen er schließlich eins Munárriz hinschob.

An diesem Punkt der Geschichte hatte ich den Gedanken „wenn das jetzt der Da Vinci Code wäre, dann wäre dieser Architekt der Böse und würde sich dann an die Fersen des Inspektors heften“. Jetzt kann man sagen, ich lag falsch oder der Autor hat aufgepasst, nicht zu nahe am Da Vinci Code anzustreifen … Der Feind ist hier ein geheimnisvoller radikaler Orden von Hund und Hahn. Er tritt kaum in Erscheinung, auch der Leser sieht ihn beinahe nur in der Funktion des Toten, der Munárriz und seine Geliebte Mabel (wozu diese blöde Trennungsgeschichte am Rande, sind wir hier in einem Fortsetzungsroman?) auf die Spur des Orden bringt.

„Ich meine wirkliche Geheimbünde, solche, von denen niemand je gehört hat und die im Verborgenen eine unvorstellbare Macht ausüben.“

Diese Fantasie von den alleegeheimsten Geheimbünden hat wohl Autoren rund um den Erdball jahrelange Freude beschert. Hier hat es allerdings nicht zur wirklichen Spannung ausgereicht. Bei einem einzelnen Showdown, der sich auf einer von 388 Seiten abspielt, kann man von einem Thriller wohl auch eher nicht sprechen. Ein Kriminalfall, ja. Aber die Ermittlungen spielen sich hauptsächlich in langatmigen Gesprächen ab, in denen sich der Inspektor über mehr oder weniger bewiesene historische und architektonische Fakten belehren lässt.

Zu allem Überfluss kommt das unbefriedigende Ende: Dass sich der Inspektor damit zufrieden gibt, dass der Mordfall, mit dem alles begann, nicht aufgeklärt wird und die Kirche alles unter sich ausmacht und unter den Tisch kehrt (klingt hier ein Funken Kritik an?), hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Leider blieb dieser Mystery-Thriller im Ambiente der von mir hoch geschätzten Kirche in Barcelona hinter den Erwartungen zurück.

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Roman

Julya Rabinowich – Die Erdfresserin

Andererseits erzählt er mir manchmal, wenn wir uns abends sehen, dass es ein tatsächliches Gefühl von Reinigung ist, ein geradezu buddhistisches Feeling, Feeling hat er gesagt, und ich habe an Taschentücher und WC-Steine denken müssen, an Kondome.

Am Anfang versteckt sich die triste Situation der Protagonistin noch in scheinbar witzigen Vergleichen (siehe obiges Zitat) und zynischen Betrachtungen ihrer Lebensweise. Daraus wird jedoch schnell ein wachsender Hass auf die Menschen, auf die Verpflichtungen, auf das Leben an sich.

Von weitem erkenne ich bereits ihr Fenster, die zur Seite gezogenen grünen Stoffbahnen, ihre nackten Körper in Bewegung, und weiß, dass ich gleich töten könnte, morden, reißen wie eine mittelalterliche Bestie, faule Eier hinüberwerfen, Leos gebrauchte Klobürste wie einen Morgenstern hinterher.

Diana prostituiert sich in Wien, um ihre Familie in der Heimat (Russland? Rumänien?) zu ernähren. Ihren Sohn musste sie bei Mutter und Schwester zurücklassen, sie allein ist verantwortlich für das Beschaffen von Geld, das das Familienhaus heizt und den Sohn, sowie Mutter und Schwester ernährt. Ich muss eine Lösung finden, für alle, ich muss herausfinden, wie es weitergeht. In Wien gerät sie in eine Beziehung mit Leo, einem alternden Polizisten, der schließlich stirbt. Sein Tod wirft Diana endgültig aus der Bahn, sie landet in der Nervenklinik.

Als sie sich nach Wochen wieder bei ihrer Familie meldet, ist ihre Schwester schon verzweifelt, kein Geld ist mehr da, es wird kalt im Haus, Mutter und Sohn sind krank. Diana soll alle retten. Mit all dieser Last auf ihren Schultern flieht sie aus der Klinik, sie hat das Gefühl, keine Wahl zu haben, weil es um das Leben ihres Kindes geht. Gleichzeitig ist da das fürchterlich schlechte Gewissen, die Familie im Stich gelassen zu haben. Das Gefühl, nicht alles Mögliche getan zu haben. Zu Versagen steht nicht zur Debatte. Die Verantwortung wird schließlich unerträglich.

Was habe ich hier gesucht, denke ich. Ich habe doch irgendetwas hier drinnen gesucht.

Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass Literaturpreis automatisch traurig und vermutlich auch langatmig bedeutet. Sowas sollte man nicht lesen, wenn man selbst in einer mittleren Sinnkrise steckt. Langatmig ist eigentlich das falsche Wort. Es ist nicht einfach zu lesen, viele Umstände werden nur angedeutet und nicht näher erläutert, der Leser sieht die Welt durch den sich zusehends verdichtenden Schleier, der Dianas Welt von der wirklichen Welt trennt. Es ist eine traurige Geschichte, die die Aussichtslosigkeit eines Schicksals beschreibt. Es ist traurig, daran zu denken, wie vielen Menschen es so oder noch schlimmer ergehen mag.

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Krimi Roman

Jo Nesbo – Der Fledermausmann

„Ich bin mit Zwei-Griff-Punkt aufgewachsen und einer Symphonie nie näher gekommen als mit Gruppen wie Yes oder King Crimson. Ich höre keine Musik aus dem letzten Jahrhundert, okay? Alles vor 1980 ist für mich Steinzeit.“

Die Anfangsgeschichte von Harry Hole. Im ersten Roman erklärt Jo Nesbo nicht nur, wie man den Nachnamen eigentlich ausspricht („Holy“ sagen zumindest die Australier) sondern auch wie Harry zum Alkoholiker wurde. Denn die Vorgeschichte ist vor dem ersten Roman passiert. Hier ist Harry bereits ein rehabilitierter Ermittler, der nach Australien geschickt wurde, um fürs Erste von der Bildfläche zu verschwinden und harmlos beschäftigt zu werden. Doch aus dem harmlosen Mordfall wird schnell ein Blutbad, mit dem Harry persönlich zu kämpfen hat …

Ich sitze hier in einer Bar, dachte Harry, und höre einem Transvestiten zu, der mir eine Vorlesung über australische Politik hält. Plötzlich fühlte er sich in etwa ebenso zu Hause wie Harrison Ford in der Barszene in Star Wars.

Bin schon sehr gespannt auf den nächsten Fall. Der lässt einen einfach nicht mehr los …

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Roman

Mario Vargas Llosa – Das böse Mädchen

Ich verliebte mich wie ein Mondkalb in Lily, was die romantischste Form des Verliebtseins ist – man sagte auch: sich total verknallen–, und erklärte mich ihr dreimal in jenem unvergesslichen Sommer.

Mit diesen Worten beginnt eine lebenslange Liebe für Ricardo. Das einzige Ziel des jungen Peruaners ist es, nach Frankreich auszuwandern und in Paris zu leben. Das geliebte Mädchen hingegen verlangt nach mehr: nach Geld, Glamour, Lebensart, Stil, Erfolg. Sie wird Ricardo später mangelnden Ehrgeiz vorwerfen. Und obwohl sie (vielleicht?) nach den falschen Sternen greift, hat sie recht, wenn sie ihm später sagen wird, dass sie nie mit dem zufrieden sein wird, was sie hat und immer mehr wollen wird.

Ich winkte ihr zu, und sie hob die Hand, in der sie den geblümten Sonnenschirm trug. Ich brauchte sie nur zu sehen, um zu begreifen, dass ich sie in all diesen Jahren nicht einen einzigen Augenblick vergessen hatte und dass ich genauso verliebt in sie war wie am ersten Tag.

Als Rahmen gibt der Autor seiner Geschichte die Geschichte Europas, immer wieder mit Blicken nach Peru, dem Heimatland des Erzählers Ricardo. Die Jahre vergehen, Europa verändert sich, während Ricardo stets derselbe zu bleiben scheint. Es ist schwer zu beschreiben. Während man bei Freunden und Bekannten Veränderungen in ihren Einstellungen oft deutlich wahrnimmt, erkennt man sie im eigenen Leben nicht immer sofort, weil sie schleichend Einzug halten. Ähnlich ist es mit den veränderten Stimmungen von Ricardo, der sich und seiner Liebe zum bösen Mädchen treu bleibt, auch wenn er in Hippiekreise gerät …

Es war etwas Sympathisches an ihrem Pazifismus, ihrer Naturliebe, ihrem Vegetarismus, ihrer emsigen Suche nach einem spirituellen Leben, das ihrer Ablehnung der materialistischen Welt mit ihren gesellschaftlichen und sexuellen Vorurteilen Transzendenz verleihen sollte. Doch all das war anarchisch, spontan, ohne Zentrum oder Führung, selbst ohne Ideen, denn die Hippies – zumindest diejenigen, die ich näher kannte – behaupteten zwar, sie würden sich mit der Dichtung der Beatniks identifizieren – Allen Ginsberg trug auf dem Trafalgar Square vor Tausenden junger Leute seine Gedichte vor und sang und tanzte Hindu-Tänze –, aber in Wahrheit lasen sie sehr wenig oder überhaupt nicht. Ihre Lebensanschauung beruhte nicht auf Denken und Vernunft, sondern auf den Gefühlen: auf dem feeling.

Jedes Mal, wenn Ricardo erneut vom bösen Mädchen verlassen wird, jedes Mal, wenn sie sich erneut auf die Suche nach etwas anderem, etwas scheinbar Besserem begibt, schilt er sich selbst, dass er sich wieder auf sie eingelassen hat und noch, wenn er sie wiederfindet, weiß er, dass es eine Dummheit ist, sich nochmal auf sie einzulassen. Doch er ist verliebt wie ein Mondkalb. Seine Gefühle wechseln intensiv zwischen Höhen und Tiefen.

Ich lag Stunden so da, mit leerem Kopf, schlaflos, fühlte mich wie der letzte Dreck, voll stupider Einfalt, naiver Dummheit. … Selbst das Kino, die Konzerte, das Lesen, die Schallplatten waren eher Formen, die Zeit auszufüllen, als Dinge, die mich wie früher begeisterten. Auch deshalb grollte ich Kuriko. … Durch ihre Schuld waren die Freuden, die aus dem Leben etwas mehr als eine Summe routinemäßiger Verrichtungen machen, in mir erloschen. Bisweilen fühlte ich mich wie ein alter Mann.

Natürlich nimmt er sich nach einem besonders schlimmen Verrat vor, nie mehr mit ihr zu sprechen, sie endgültig aus seinem Leben zu verbannen. Natürlich scheitert er daran.

Ich besänftigte meine Schuldgefühle, indem ich mir sagte, dass dies in keinem Fall ein Rückfall wäre. Ich würde wie ein entfernter Freund mit ihr sprechen; meine Kälte wäre der beste Beweis dafür, dass ich mich wirklich von ihr befreit hatte. … Es gab keinen Grund, überrascht zu sein: es war genau das passiert, von dem du immer wusstest, dass es passieren würde.

Ich würde wirklich gerne die Geschichte aus der Sicht des Mädchens lesen. Sie selbst hat in ihrem Leben einiges mitgemacht, einiges ertragen. Nur durch den Einsatz ihres Körpers kann sie sich durchs Leben schlagen. Schließlich landet sie selbst in einer Beziehung mit einem Mann, dem sie unterlegen ist, dem sie sich sogar soweit unterwirft, dass sie damit ihre Beziehung zu Ricardo aufs Spiel setzt. Der sie schließlich psychisch krank und verletzt zurück lässt.

Jetzt, da diese Geschichte endlich abgeschlossen war.

Ricardo hat nie die Gelegenheit herauszufinden, ob ihre Liebe im Alltag Bestand haben kann, denn das böse Mädchen verlässt ihn immer wieder lange bevor er ihrer überdrüssig werden kann.

Wann weiß man, dass eine Liebe abgeschlossen ist? Kann man sich jemals sicher sein? Wenn man jemanden wirklich geliebt hat, kann die größte Verletzung ein Leben lang halten? Ist eine derart intensive Abhängigkeit die wahre Liebe? Oder ist es wahre Liebe, wenn man auch den gemeinsamen Alltag über längere Zeit aushält? Fragen ohne Antwort.