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Roman

Vicki Baum – Vor Rehen wird gewarnt

CN dieses Buch: Tod, Sterben, Krankheit, Feuer, Mordversuch
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[…] Übrigens ist niemand ganz normal, und was heißt das überhaupt: normal sein? Normalität ist ein willkürlicher Begriff, und wir wissen weniger davon als über die Entfernung zwischen den Planeten oder die Abweichung der Lichtstrahlen. Normalität lässt sich nicht abmessen, weil sie nichts Absolutes ist, sondern nur eine Konvention.

Gute Zitate über den (von mir verhassten) Begriff Normalität finden sich an den überraschendsten Stellen. In diesem Zitat sticht für mich hervor, dass Normalität nichts Absolutes ist. Was als normal verstanden wird, hat sich über die Zeit immer wieder verändert. Es geht hier nur darum, was als Mehrheitsmeinung oder Mehrheitshandlung in der Gesellschaft angesehen wird.

Davon lässt sich schon überleiten zu dem, was ich an diesem Roman so erstaunlich finde: Obwohl die Erstveröffentlichung bereits über 70 Jahre zurück liegt (1951), fühlt sich der Roman erstaunlich aktuell an. Obwohl es an Rollenklischees der beschriebenen Epoche nicht mangelt, werden diese nicht ausgeschlachtet, sondern auf einer subtilen Ebene zwischen den Zeilen in Frage gestellt. Schon allein die Hauptfigur Ann Ambros, die vor keiner hinterhältigen Aktion zurückscheut, um ihre persönlichen Ziele zu verfolgen, ist ein sehr spezieller Frauentyp, der mit den Konventionen (der sogenannten Normalität) der damaligen Zeit bricht. Neben ihr stechen auch andere Frauenfiguren deutlich heraus: Stieftochter Joy, die sich schließlich durch einen gewalttätigen Kraftakt aus ihrer verzweifelten Lage zu befreien versucht oder Pianistin Mausi, die ihr Leben der Kunst widmet und sich mit Ann verbündet, um ihrerseits ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Wieder mal ein Buch, das mir über einen Literatur-Geocache zugeflogen ist. (Ausnahmsweise erlaube ich mir hier, den auch zu verlinken, weil der Titel des Geocaches ohnehin schon den Titel des Buches verrät.) Das Final liegt innerhalb des Wiener Zentralfriedhofs, auf dessen Besuch ich mich schon seit Längerem wieder freue.


Blick in die Ausstellung Hot Questions. Cold Storage. Links eine rote Wand, auf der Texte und Bilder zu sehen sind, mittig sind die hinteren Bereiche der Ausstellung in Blautönen zu sehen, rechts ein orangefarbenes Regal mit verschiedenen Architekturmodellen in Glaskästen

Als wir letztens für die Ausstellung Serious Fun. Architektur und Spiele im Architekturzentrum Wien waren, haben wir uns dann auch noch die neue Schausammlung Hot Questions. Cold Storage. angesehen. Die farbliche Gestaltung und die inhaltliche Einteilung in sieben Fragen hat mich sehr an die Aufmachung der Foodprints-Ausstellung im Technischen Museum Wien erinnert. Vielleicht ist das gerade ein Trend in der Ausstellungslandschaft?

Ausstellungsraum, links eine Art Tunnel aus blauen und violetten Wänden, in die Wand ist eine Wasserinstallation mit sichtbaren Blasen eingebaut, rechts Blick in die hinteren Bereiche der Ausstellung

Die „heißen Fragen“ aus dem Titel der Ausstellung bewegen sich in den Bereichen „Wie entsteht Architektur?“, „Wie wollen wir leben?“ und „Wer macht Stadt?“. Diesen Fragen wird nicht „linear und enzyklopädisch, sondern fragmentarisch mit Lücken und Brüchen“ nachgegangen. Die Sammlung will damit Zukunftsszenarien in den Vordergrund rücken und anhand der Fülle von Wissensbeständen im Depot Lösungsansätze aufzeigen.

Erwartungsgemäß sind viele Architekturmodelle zu sehen. Ein großer Teil stellt Stadtarchitektur dar, also zB Gemeindebauten und Stadtteile, die bewusst umgestaltet wurden, um den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Gefallen haben mir aber auch die aus Lego gebauten Modelle von den Prachtbauten der Wiener Ringstraße (zB Parlament und Staatsoper). Besonderen Spaß hatte ich am Holzmodell einer Sommertheaterbühne, die dicht in einen Stadtteil hinein gebaut ist. Ich hatte sie sofort erkannt als die Bühne des Sommertheaters in Haag.

Besonders interessant fand ich auch den Vergleich von Bodenprofilen von Walter Fitz. In zwei nebeneinander stehenden Glaskästen kann versiegelter Stadtboden mit einem landwirtschaftlichen Bodenprofil verglichen werden, der Unterschied ist enorm. Diese Visualisierung des immer wieder in den Medien zu hörenden Begriffs Bodenversiegelung fand ich sehr einleuchtend. Ausstellungsdisplay in einer Nische mit halbkreisförmigem Fenster darüber, vor einem roten Vorhang ist ein Architekturmodell eines Wiener Gasometers und daneben ein Vergleich von Bodenprofilen zu sehenIm hinteren Bereich der Ausstellung wird von der Vergangenheit in die Zukunft geblickt. Mit einem Rückblick auf die durch das Jahr 1968 eingeleitete Umweltdebatte und die darauf basierend entstandenen Utopien wird übergeleitet zu Innovationen, die uns heute im Bezug auf die Klimakrise beschäftigen. Ein bewegtes Exponat stellt dabei das Objekt Splitterwerk von Mark Blaschitz, Edith Hemmrich und Josef Roschitz dar:

In vertikalen Sonnenkonversionslamellen aus Glas, die mit wässrigem Nährmedium gefüllt sind, entsteht in der SolarLeaf-Lamelle aus CO2 und Sonnenlicht Algen-Biomasse; gleichzeitig wird ein solarthermischer Effekt erzielt, da die Sonnenstrahlung das wässrige Medium erwärmt. Beide Energieträger werden über ein Kreislaufsystem in die Technikzentrale des Gebäudes geleitet und dort über einen Wärmetauscher bzw. einen Algenabscheider entnommen.

Projekt Splitterwerk, Sonnenkonversionslamellen aus Glas, darin eine grün gefärbte Flüssigkeit, in regelmäßigen Abständen steigen aus dem unteren Bereich Luftblasen nach oben aufEin hellblau gestalteter Bereich ganz hinten im Raum beschäftigt sich mit Architektur im Bildungsbereich. Die Anerkennung der Kindheit als autonomer Lebensabschnitt im ausgehenden 18. Jahrhundert erforderte die Entwicklung von spezifischen Räumen in Bautypologien wie Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Waisenhäusern. In architektonischen Veränderungen drückten sich auch soziale Öffnungsprozesse aus. Gerade in der Gestaltung von öffentlichen Gebäuden wie Schulen wurden immer wieder Innovationsschübe und gesellschaftliche Entwicklungen deutlich. Dies wird in mehreren Displays, die sich mit Schularchitektur beschäftigen, nachvollzogen.

Unten das Modell eines Schulgebäudes, darüber Schwarz-Weiß-Fotos von Schulgebäuden aus unterschiedlichen Epochen an einer hellblau gefärbten Wand

Das Fragmentarische der Ausstellung war mir bereits beim Durchgehen aufgefallen, meine Begleitung und ich waren uns jedoch beide nicht sicher, welche Funktion im Rahmen der Wissensvermittlung diese Ausstellung von einzelnen Aspekten ohne sichtbaren Zusammenhang erfüllen soll. Generell haben mir aber beide Ausstellungen im Architekturzentrum Wien trotz einiger Kritikpunkte gut gefallen. Den Sinn-Hintergrund des Objekts auf dem abschließenden Foto habe ich leider nicht notiert, der Grenzstein hat mir einfach gefallen.

Grenzstein auf einer Steinplattform mit der Aufschrift „Grenzzone – In Stein gemeißelt“

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Bildband

Agnes Husslein-Arco und Alexander Klee (Hrsg.) – Klimt und die Ringstraße

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Der Augensinn musste folglich den Tastsinn ersetzen, womit dem Auge verstärkt die Rolle eines Vermittlers von Sinnlichkeit zukam. „Alles ansehen, nichts anfassen!“, so beschreibt Walter Benjamin die Präsentationen der Weltausstellungen, darunter auch die in Wien 1873.

Hin und wieder stelle ich nicht nur was in den offenen Bücherschrank hinein, sondern nehme auch etwas heraus. Dieser Bildband zu einer Ausstellung des Belvedere über die Malerei und andere künstlerische Schöpfungen der Ringstraßenzeit weckte in mir wieder mal dieses latente Annäherungsinteresse an die Kunst. Außerdem erschien es mir quasi wie ein Museumsbesuch von zuhause. Und vielleicht ist die Konsumation von Kunst in Form von Buchstaben und Bildern in einem Buch von zuhause aus sowieso das Richtige für mich.

Essays von verschiedenen Autor*innen befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten dieser Zeit (etwa 1850 bis zum ersten Weltkrieg), wie zum Beispiel den Dekorationen von Palais, den Skulpturen und Gebäuden an der Wiener Ringstraße oder dem Aufstieg der Gebrüder Thonet, deren Sessel Nr. 14 weltweite Bekanntheit erreicht hat. Der Essay über die Gebrüder Thonat wurde von Gert Selle verfasst, der es sich nicht verkneifen konnte, jede Erwähnung des Wortes Sessel unter Anführungszeichen zu setzen, selbst nachdem er darauf hingewiesen hatte, dass dies die österreichische Bezeichnung für einen Stuhl wäre. Beispiele aus privaten Sammlungen wie zum Beispiel der Porzellansammlung von Karl Mayer oder die Silbersammlung von Bloch-Bauer/Pick runden die Ausstellung ab. Für mich war dieser Ausflug auf jeden Fall eine interessante Abwechslung.

Das einzige andere Buch dieser Art, das ich besitze, ist ein Bildband über die Architektur Antoni Gaudis, die ich über das Musical, das heute leider vollständig in der Versenkung verschwunden ist, kennengelernt habe. Die österreichische Erstaufführung 2014 in Linz habe ich damals besucht, leider war die Produktion eine absolute Katastrophe.

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Roman

Evelyn Schlag – Architektur einer Liebe

Noch ein Buch, das ich speziell für die Reading Challenge ausgewählt habe: A book written by an author with your same initials. Der Einfachheit halber habe ich mich auf der Wikipedia durch die Liste österreichischer Autoren geklickt und mal geschaut, was die so geschrieben haben. Nachdem ich einige in Frage kommende Autoren ausgeschlossen hatte (Gedichte sind einfach nicht so meins und halbwegs modern durfte es schon auch sein), stieß ich auf Evelyn Schlag. Der Titel war schon mal interessant, weil Architektur und Liebe in meiner Vorstellung eigentlich eher gegensätzlich sind. Mit Architektur verbinde ich ein Gefühl von Kälte, von harten Linien, das Zeichnen auf dem Reißbrett. Im Gegensatz dazu stellt man sich unter Liebe im Allgemeinen etwas Flauschiges vor, ein wärmendes Gefühl, das einem Sicherheit gibt. Selbstverständlich haben beide Begriffe auch jeweils eine andere Seite, wie mir dieser Roman in Bezug auf die Architektur auch klar machte. Architektur kann genauso etwas Lebendiges, Organisches sein, sie wirkt sich massiv auf die Gefühle aus, die Menschen an einem bestimmten Ort empfinden. Genauso hat wiederum die Liebe auch eine dunkle Seite, Verlassenwerden, die geliebten Menschen vermissen, Unsicherheit und viele weitere Facetten.

Dieser Roman verbindet zwei Architekten durch den Zufall miteinander. Vittoria Monti besucht St. Petersburg, da sie auf die Teilnahme am Wettbewerb für den Bau eines neuen Theaters hofft, Wolf Lewinter wegen eines Auftrags, ein Restaurant zu gestalten. In ihrer Architekturkarriere stehen sie auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen. Sie treffen sich zufällig in der Eremitage und teilen einen perfekten Moment, bevor sie auseinandergehen, ohne einander angesprochen zu haben. Einige Wochen später erkennt Wolf die unbekannte Frau aus dem Museum auf dem Podium eines Architektursymposiums in Philadelphia wider, diesmal will er sie nicht gehen lassen.

Die Perspektive wechselt immer wieder, wir lernen Torias Welt kennen, ihre Familie, die ein dunkles Geheimnis birgt. Wolf wiederum lebt als Teilzeitvater mit seinem elfjährigen Sohn Christoph und zweifelt schnell sowohl an seiner Karriere als auch an der Möglichkeit, mit der berühmten Architektin Vittoria Monti eine langfristige Fernbeziehung aufrecht erhalten zu können.

Einen Überraschungsauftritt hat der russische Dichter Joseph Brodsky:

„War der Westen Athen, so war Petersburg im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts Alexandria.“

Überraschend deshalb, weil er mir erst kürzlich schon in Skippy stirbt begegnet war. Und dieses Zitat passt hier einfach perfekt als Schlusssatz:

Ein gewisser Brodsky hat einmal gesagt: Wenn es denn einen Ersatz für die Liebe gibt, dann ist es die Erinnerung.

Reading Challenge: A book written by an author with your same initials
(Nach etwas mehr als 7 Monaten des Jahres habe ich die Hälfte geschafft. So ein bißchen Wettkampfgeist ist ja schon dabei … noch 5 Monate Zeit, um aufzuholen.)

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Roman Theaterstück

Michel Houellebecq – Karte und Gebiet

Noch nie hatte er etwas so Herrliches gesehen, das so reich an Emotionen und Sinn war wie diese Michelin-Karte der Departements Creuse und Haute-Vienne im Maßstab 1:150.000. Die Quintessenz der Moderne, der wissenschaftlichen und technischen Erfassung der Welt, war hier mit der Quintessenz animalischen Lebens verschmolzen. Die grafische Darstellung war komplex und schön, von absoluter Klarheit, und verwendete nur eine begrenzte Palette von Farben.

Im Jänner dieses Jahres war ich mit Freunden in der Garage X im Theaterstück „Karte und Gebiet“, das auf diesem Roman beruht. Der Vorschlag kam von Freundin K. Eigentlich hatte ich im Anschluss zeitnah das Buch lesen wollen, natürlich dauerte es dann doch wieder einige Monate. Einerseits kam immer wieder irgendein anderes Buch dazwischen, andererseits habe ich dann auch mehrere Wochen gebraucht, bis ich mit diesem Monumentalwerk durch war.

Der Kontrast war frappierend: Während auf dem Satellitenfoto nur eine Suppe aus mit verschwommenen bläulichen Flecken übersäten, mehr oder weniger einheitlichen Grüntönen zu erkennen war, zeigte die Karte ein faszinierendes Netz von Landstraßen, landschaftlich schönen Strecken, Aussichtspunkten, Wäldern, Seen und Pässen. Über den beiden Fotos stand in schwarzen Lettern der Titel der Ausstellung: „Die Karte ist interessanter als das Gebiet.“

Der Roman beschreibt das Leben des Künstlers Jed Martin. Für seinen Ausstellungskatalog braucht er ein Vorwort und sein Galerist schlägt den Autor Michel Houellebecq vor. Der Autor lässt sich also in seinem eigenen Buch auftreten. Man darf spekulieren, dass es sich um eine Kunstfigur handelt, die allgemein den Typus eines gealterten, desillusionierten Autors darstellt. Oder man versteht es als eine Persiflage der Autorenschaft im Allgemeinen.

„Jed Martin hat zwischen der mystischen Vereinigung mit der Welt und der rationalen Theologie seine Wahl getroffen. Er hat vielleicht als Erster in der westlichen Kunst seit den großen Malern der Renaissance den nächtlichen Versuchungen der Hildegard von Bingen die schwierigen, aber klaren Lehren des ,stummen Ochsen’, wie Thomas von Aquin von seinen Mitschülern an der Kölner Klosterschule genannt wurde, vorgezogen. Auch wenn diese Wahl natürlich anfechtbar ist, steht die hohe Gesinnung, die sie impliziert, außer Zweifel.…“

Das obige Zitat aus einem von Jeds Ausstellungskatalogen gibt gut wieder, wieso der Roman streckenweise schwer zu lesen ist. Seitenlang ergeht sich der reale Autor in Detailbeschreibungen von Architektur (Jeds Vater war als Architekt tätig, sein Erfolg in jungen Jahren mündete jedoch in den Bau von Standard-Ferienwohnanlagen und ein vereinsamtes Ende in einem Euthanasieressort in der Schweiz), Kunst und Schriftstellertum. Jeds Werke unterschiedlicher Gattung werden ausführlich beschrieben, gerade die Verbindung der unterschiedlichen Medien bei den Michelin-Karten oder auch bei Jeds Spätwerken wird zu einer künstlerischen Höchstleistung stilisiert.

„Auch wir sind Produkte“, fuhr er fort, „kulturelle Produkte. Auch wir sind eines Tages überholt. Dieser Prozess spielt sich auf die gleiche Weise an – nur mit dem Unterschied, dass es bei uns im Allgemeinen keine eindeutige technische oder funktionale Verbesserung gibt; nur die Forderung nach Neuheit bleibt, und zwar im Reinbestand.

Zu Beginn hat mich der Roman schon an das im Theater Erlebte erinnert, der Besuch lag inzwischen schon einige Zeit zurück, aber Jeds Entwicklung – vor allem seine Beziehung zu Olga – und das gespaltene Verhältnis zu seinem Vater waren mir in Erinnerung geblieben. Die Geschichte fühlte sich wie ein alter Freund an.

Ein Menschenleben ist im Allgemeinen nur eine Kleinigkeit, es lässt sich in wenigen Ereignissen zusammenfassen, und diesmal hatte Jed die Verbitterung und die verlorenen Jahre, den Krebs und den Stress und auch den Selbstmord seiner Mutter wirklich begriffen.

Und doch ist mir ein Rätsel, wie ein Regisseur glauben konnte, diesen Roman auf die Bühne bringen zu können. Gerade der letzte Teil, in dem der fiktive Autor Houellebecq von einem Mörder bizarr niedergemetzelt wird, wurde auf der Bühne sehr abgehoben dargestellt. Wofür im Roman nicht mit Worten gespart wurde, musste auf der Bühne zwangsweise verkürzt präsentiert werden.

Vielleicht macht sich der reale Autor Houellebecq einfach über das ganze Kunst-Business lustig. Jed steht zwischen seinem kapitalistischen Vater und dem fiktiven Autor Houellebecq, der die Kunst (und deren Verfall) symbolisiert. Und mit dem teuren Verkauf seiner Bilder verbindet Jed schließlich beides. Und gerät deshalb in eine Identitätskrise? Im letzten Teil des Buches wird Jed zum Einsiedler, wie es der fiktive Autor in seiner Zeit in Irland ebenso war. Bleibt dem Künstler nur die Einsamkeit, um wirklich herausragende Kunst schaffen zu können? Das Bild „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“, an dem Jed scheitert und daraufhin mit dem Porträt des fiktiven Autors seine Porträtserie beendet, kann ebenso als Persiflage des „kulturellen Produkts“ an sich verstanden werden.

… die Welt war alles andere als ein Gegenstand künstlerischer Emotionen, die Welt stellte sich eindeutig als ein rationaler Bezugsrahmen ohne jede Magie und ohne besonderes Interesse dar.

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Roman

T.C. Boyle – Die Frauen

Olgivanna erkannte die Mopsnase, das feste Kinn, den zusammengekniffenen, unersättlichen Mund und den überdimensionalen Turban, der ihr über die Augenbrauen gerutscht war – und dann die Augen selbst, schreckhaft geweitet, als würde sie schon ihr Leben lang wieder und wieder mit einer Nadel gestochen.

Da stocherte ich wieder mal in der Onlinebibliothek der Büchereien Wien um, diesmal mit den Suchkriterien „Bestleiher“ und „verfügbar“. Stieß auf diesen Roman und dachte mir, bei T.C. Boyle kann ja nichts falsch sein. Und lag richtig und auch falsch. Falsch war an dieser Stelle jedoch nur der Zusammenhang von 560 Seiten und nur zwei Wochen Leihfrist, was mich einigermaßen ins Schwitzen brachte …

„Geh doch!“ schrie sie und rannte zur Tür, in der erhobenen Hand den Teller mit dem Bries, den sautierten champignons de laforêt und der Sherrysauce, die sie persönlich zubereitet hatte. „Geh doch, du Scheißkerl!“ Und dann flog der Teller ihm hinterher und beschrieb über dem mondbeschienen Vorgarten eine tropfende Parabel, bis er auf dem Bürgersteig zerschellte und das, was darauf gewesen war, den Vögeln und Eichhörnchen und Kreaturen der Nacht zum Fraß diente.

Als Hauptfigur erwählt T.C. Boyle den amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright und dessen Frauenbeziehungen sind das Thema des Romans. Er erzählt allerdings nicht chronologisch, sondern beginnt mit Wrights dritter Frau Olgivanna. Aus ihrer Sicht können wir auch bereits einen Blick auf ihre Vorgängerin Miriam werfen. Eine Drama Queen vom Feinsten, die wir schließlich noch näher kennenlernen und so etwas besser verstehen können, was Frank an dieser morphiumsüchtigen Verrückten finden konnte.

Ihm stand der Sinn vor allem nach Harmonie, und er war entschlossen, sie diesmal herzustellen und nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben, denn er hatte die lange, zermürbende Qual ihrer Abwesenheit ertragen müssen. Wenn er sie verwöhnen musste, wenn er hier und da ein Kissen oder hin und wieder ein französisches Essen ertragen musste – na, wennschon.

Doch der wahre Höhepunkt ist schließlich die Geschichte von Mama. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Ehe lässt Frank seine erste Frau Kitty sitzen (ihre Geschichte erschien dem Autor offenbar nicht interessant genug), um mit seiner Seelenverwandten Mama ein neues Leben zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Leser bereits, dass diese Liebe in einer Katastrophe enden wird, kennt jedoch nicht die Details.

Und sie versicherte ihnen, dass er zurückkehren werde, sobald es ihm gelungen sei, sich zu bezwingen und die Schlacht zu gewinnen, die er nun heldenhaft schlagen werde, für sie und seine Kinder. Und dass, wenn er erst zurückgekehrt war – und sie glaubte tatsächlich, ganz unabhängig von der Leidenschaft des Augenblicks, an seine Rückkehr –, alles sein werde wie zuvor.

Allen Frauen, die mit Frank Lloyd Wright in Verbindung stehen, ist der Terror der Presse sicher. Die prüden Amerikaner verurteilen ihn wegen seiner Vorstellungen der Liebe, die über der Ehe steht. Sowohl Mama, als auch Miriam und Olgivanna erwarten zuerst, mit ihrer wahren Geschichte Verständnis von Presse und Bevölkerung zu ernten und werden doch nur durch den Schmutz gezogen und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein harter Preis, den sie für die Beziehung zu Frank zahlen müssen.

Die Geschichte nicht chronologisch zu erzählen erweist sich nicht nur als zufälliger Glücksgriff, sondern geradezu als eine sich aufdrängende Idee. Was könnte sich für den Schluss besser eignen als das flammende Inferno, das einen entscheidenden Wendepunkt im Leben des berühmten Architekten darstellt? Der Roman lehnt sich nur lose an die Lebensgeschichte des berühmten Architekten, zu ergründen, welche Teile nun Fakten darstellen, erscheint müßig. Wie so oft hat T.C. Boyle einen packenden Roman geschrieben, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt und das Leben an sich in allen seinen Facetten feiert.