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English Roman

Katy Simpson Smith – The Everlasting

CN dieses Buch: Mord, Folter, selbstverletzendes Verhalten, Gewalt gegen Tiere, lebensbedrohliche Erkrankung (MS), Abtreibung

CN dieser Post: zum Abschluss ein Zitat über selbstverletzendes Verhalten, wird nochmal vorher gewarnt


The necessary experiment: determining if ostracods were not merely hardy survivalists but had evolved to prefer the bitter taste of civilization. If nature, like faith, was a human construction.

Eine Geschichte auf vier verschiedenen Zeitebenen, verbindende Elemente sind einerseits die Örtlichkeit Rom bzw. Umgebung sowie der Fischhaken, der in allen Zeitebenen eine Rolle spielt. Weiters haben alle Protagonist*innen massiv mit ihren Selbstzweifeln oder gesellschaftlichen Anforderungen zu kämpfen.

  • Der von seiner Frau entfremdete Forscher, dem die Abwesenheit von seiner Tochter die Gefühle zu rauben scheint und der schließlich mit einer erschreckenden Diagnose konfrontiert wird (Jetztzeit).
  • Die gelangweilte Ehefrau auf der Suche nach wahrer Liebe in einer Zeit und Gesellschaft, in der Ehen rein aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen geschlossen werden (16. Jh.).
  • Ein alternder Mönch, der aufgrund einer Andeutung homosexueller Zuneigung als Jugendlicher von seiner Familie ins Kloster verstoßen wurde und nun die Aufgabe hat, in der Krypta des Klosters über die verwesenden Toten zu wachen (9. Jh.).
  • Eine junge Frau, die in den Versprechen einer neuen Religion Antworten auf alle Fragen ihres Lebens findet und deshalb zur Märtyrerin wird (1. Jh.).

Because if you are not always, always yourself, you will lose the ability to breathe.

Das Buch wurde in einem Sammelpost auf Lithub (den ich mir leider nicht gespeichert habe) mit solchen Worten empfohlen, die mich dazu brachten, das Buch sofort herunterzuladen, nachdem ich gesehen hatte, dass es in Libby verfügbar war. Jetzt wüsste ich gerne, welche Worte das waren und in welcher Stimmung ich in diesem Moment war. Vielleicht hatte ich mir auch einfach etwas anderes vorgestellt. Ich weiß noch immer nicht genau, was ich von diesem Buch halten soll.

There was always time to make different decisions, or else there was never time; once she spoke, it was impossible in the tightly woven fabric of the world that she had ever not spoken.

Nach dem kommenden Trennstrich folgt ein kurzer Abschnitt mit Zitaten aus dem Buch zum Thema selbstverletzendes Verhalten.


His tears were made of sulfur. He yanked his hand back and slapped himself so hard his sight went briefly starry. The pain was on the ouside now, and felt so much better there. So much clearer. He hit himself again.

Sehr berührt haben mich diese beiden Zitate mit der Beschreibung des Gefühls bei selbstverletzendem Verhalten. Den Schmerz nach außen bringen; über einen winzigen Teil der Welt Kontrolle haben; etwas fühlen, irgendetwas fühlen, auch wenn es Schmerz ist. Mir fehlt die Vorstellungskraft, um solche Handlungen nachzuempfinden. Diese beiden Zitate haben es mir aber etwas besser erklärt.

Man versus body, the hook a tool, his one hand opening the other, wanting that red as evidence he could make a choice, that in his whirlpool life he had some measure of control, the pain a reminder he was alive and feeling was good, feeling was to be savored, not suppressed, that even hurt was better than numb.

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Krimi Roman

Bernhard Aichner – Totenhaus

CN dieses Buch: Mord, Folter, Verstümmelung, Suizid
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Es war alles zu viel. Auf die Euphorie, dass er mit ihr sprach, folgte die Ernüchterung. Blum hatte ihre eigene Geschichte, die sie in die Knie zwang und nach unten zog, da war kein Platz mehr für Mitgefühl, für das Leid der anderen. Viel zu viel alles.

Es ist knapp über fünf Jahre her, dass ich den ersten Roman über die Bestatterin und Mörderin Blum gelesen habe. Warum ich jetzt gerade zu diesem dicksten Buch auf dem Regal gegriffen habe, kann ich auch nicht recht sagen. Es fällt mir gerade schwer, aus den ganzen Optionen (das Regal der ungelesenen Bücher, die Wishlist in Libby, die Wishlist in Onleihe, die Tabelle, in der ich mir interessante Bücher notiere) etwas auszuwählen, das ich gerade wirklich lesen möchte. Möglicherweise ist nach über einem Jahr Pandemie der Moment gekommen, an dem ich tatsächlich genug gelesen habe. Wobei der Mai halt bisher wetterbedingt auch einfach sehr lese-intensiv war …

Die rachsüchtige Blum zeigt in diesem zweiten Roman andere Seiten. Sie verfolgt einen zufällig entdeckten Hinweis auf ihre Vergangenheit und gerät damit in eine ganz andere Familiengeschichte, die nicht die ihre ist, jedoch bei näherer Betrachtung um nichts besser. Sie lässt sich von ihren Gefühlen leiten, bis zu dem Punkt, wo nichts mehr zusammenpassen will. Sie steht vor dem Abgrund und will nur noch ihre Kinder retten. In diesem Buch erschien mir ihre Gewalt mehr als Notwehr und weniger als Rache, wobei das natürlich nicht in allen Situationen stimmt. Das Bild der mörderischen Protagonistin wird jedenfalls differenzierter. Es ist nicht bloß eine Fortsetzung mit einer neuen Mordgeschichte, es ist ein vertiefter Einblick.

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Krimi Roman

Simone Buchholz – Blaue Nacht

CN dieses Buch: Mord, Drogensucht
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Ein ungewöhnlicher Krimi. Eine Staatsanwältin ermittelt (interessante Perspektive) gegen die unbekannten Täter sowie über das unbekannte und schweigsame Opfer. Ein Kommissar in Pension, ein Kommissar im Dienst. Vermeintlich oder tatsächlich geläuterte Verbrecher. Unmengen von Alkohol. Ein scheinbar unbefriedigendes Ergebnis. Ein buchstäblicher Knalleffekt am Ende.

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Jugend Roman

Chloë Rayban – Cyber Love

CN dieses Buch: Andeutungen sexueller Handlungen
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Achtung! Kann Spuren von CYBER enthalten!

Manchmal enthalten diese Telefonzellen, in denen Bücher getauscht werden können, auch echt spezielle Stücke. In dieser Bücherzelle stieß ich zuerst auf „Das Computerbuch für Frauen“ (ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert mit sehr interessanten Screenshots) und schließlich auf diesen Cyber-Roman. Das Cover zeigt einen psychedelischen Hintergrund, eine Tastatur, einen Ausschnitt aus Die Geburt der Venus von Botticelli (die Scham ist zusätzlich durch ein @-Zeichen verdeckt), eine Tastatur, ein suchendes Gesicht mit großen Ohrringen und eine bunte Blume, die an ein bestimmtes Zeitalter erinnern soll. Falls das noch nicht gereicht haben sollte, überzeugte mich der Klappentext. Der letzte Satz daraus:

Eine verrückte Zeitreise und eine chaotische Liebesgeschichte im Zeichen des Internet. (sic!)

Zeitreisen via Internet also. Klischees ohne Ende. Fragwürdige Rollenbilder. Gezwungene Jugend- und Internetsprache (inkl. Akronymverzeichnis am Ende). Was ist ein Cyberer? Verschwörungstheorien.

Er runzelte die Stirn und fuhr fort: »Wenn du raufgeladen bist, dann kannst du einfach rumsurfen. In der Datei bist du nur eine Information, genau wie alles andere. Zeit und Raum bedeuten nichts mehr. Du könntest auf ewig immer im Internet surfen.«

Mit dem Thema Zeitreise beschäftigt sich auch die Netflix-Serie Dark, deren Ende ich kürzlich konsumieren durfte. Ich war ja da schon unzufrieden mit der Tatsache, dass eine Zeitschleife derart konstruiert werden kann, dass eine Person gleichzeitig die Mutter und die Tochter von einer anderen Person sein kann. Dieses Buch setzt dem allerdings die Krone auf: Die Tochter reist (versehentlich) in die Vergangenheit und findet sich dann in der Situation wieder, ein Aufklärungsgespräch (inkl. dem anschließenden Kauf von Kondomen) mit ihrer eigenen Mutter zu führen.

»Diese Leute behaupten allen Ernstes Folgendes: Alles, was wir sind, was uns zusammenhält, wie etwa Gedächtnis und Motivation, sogar unsere Körperzellen wären einfach nur eine Ansammlung von Daten. […] Wenn sie einmal eingegeben wurden, sind sie nicht mehr in unserer Zeit oder unserem Raum.«

Großen Spaß hatte ich schließlich mit meiner persönlichen Zeitreise. Die Protagonistin landet in einem Kapitel am Londoner Sloane Square. Dort stand bereits im Jahr 1956 das Royal Court Theatre, in dem 1973 die Uraufführung der Rocky Horror Show stattfand. Bei meiner ersten London-Reise im Jahr 1998 bestand ich darauf, diesem Theater einen Besuch abzustatten. Wie auf dem untenstehenden Foto zu sehen ist, war leider die komplette Fassade hinter einem Baugerüst versteckt. Hinweisen möchte ich jedoch auf das unauffällige Toilet-Schild am linken Rand im unteren Drittel, das mir offenbar beim Fotografieren nicht aufgefallen war.

Sloane Square 1998
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English Roman

Rachel Kushner – The Mars Room

CN dieses Buch: Mord, Gewalt, Stalking, sexuelle Handlungen, Suizid, Drogenmissbrauch
CN dieser Post: Erwähnung von Stalking


Prison was a place where you had to be strong to get through each day. […] To stay sane, that was the thing. To stay sane you formed a version of yourself you could believe in. 

In letzter Zeit passiert es mir immer wieder, dass ich ein Buch von meiner Bookmark-Liste in der Libby-App auswähle, weil es gerade verfügbar ist, ohne dass ich mich noch erinnern könnte, warum ich es überhaupt auf die Liste gesetzt habe oder worum es in dem Buch überhaupt geht. Der Titel dieses Buchs The Mars Room deutet nämlich kaum darauf hin, dass sich die Geschichte zu großen Teilen im Frauengefängnis abspielt.

Schon der erste Absatz zieht die Leserin direkt in die Geschichte hinein und stellt sowohl die Protagonistin Romy Hall, als auch ihren Status als Insassin eines Frauengefängnisses sowie ihren aktuellen Aufenthaltsort in einem Überstellungstruck in wenigen Sätzen klar. In den weiteren Kapiteln wird teilweise aus Romys Perspektive erzählt, aber auch andere Personen kommen zu Wort. Besonders bedrückend ist dabei die Perspektive durch die Augen und den Geist Kurt Kennedys, die kurz vor Ende auflöst, weswegen Romy überhaupt im Gefängnis gelandet ist.

I have no plans at all. The thing is you keep existing whether you have a plan to do so or not, until you don’t exist, and then your plans are meaningless. But not having plans doesn’t mean I don’t have regrets.

Thematisiert werden auch die speziellen Schwierigkeiten von transsexuellen Personen im Gefängnissystem. Dort gibt es kein diverses Geschlecht, es gibt nur weiblich und männlich. Menschen, die sich in diesen binären Kategorien nicht wiederfinden, sind gerade im Gefängnissystem unvorstellbaren Anfeindungen und Gefahren ausgesetzt. Als Parallele in der realen Welt lassen sich die Erlebnisse von Whistleblowerin Chelsea Manning erwähnen.

Randnotiz: Beim titelgebenden Mars Room handelt es sich um einen Strip Club. Romy beschreibt ihre männlichen Kunden als wandelnde Brieftaschen, die es möglichst effizient auszunehmen gilt. Eine andere Perspektive auf die Arbeit in einem (realen) Strip Club liefert diese Folge des Podcasts Death, Sex & Money, in der eine Tänzerin erklärt, dass sie ihre Arbeit hauptsächlich als therapeutisch begreift. Ein interessanter Einblick in eine Art Parallelwelt, die viele von uns vermutlich nur aus der verzerrten Darstellung in den Medien kennen.

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English Roman

Jojo Moyes – The Giver of Stars

CN dieses Buch: Mord, Gewalt gegen Frauen und Tiere
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Nach der nicht so angenehmen Begegnung mit dem Butt suchte ich Lesestoff mit Wohlfühlgarantie. Jojo Moyes schien mir da als sicherste Option auf meiner ganzen Liste. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Margery behaved, Alice realized with a jolt, like a man.
This was such an extraordinary thought that she found herself studying the other woman at a distance, trying to work out how she had come to his astonishing state of liberation.

Diese Geschichte porträtiert einige starke Frauen, die sich im ruralen Kentucky im Jahr 1937 Stück für Stück ihre Freiheit von den herrschenden gesellschaftlichen Konventionen erkämpfen. Ihre Waffen sind Bücher, Gesang und weiblicher Zusammenhalt. Und der Glaube daran, dass es immer einen Ausweg gibt.

‘There is always a way out of a situation. Might be ugly. Might leave you feeling like the earth has gone and shifted under your feet. But you are never trapped, Alice. You hear me? There is always a way around.’

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Roman

Anja Kampmann – Wie hoch die Wasser steigen

CN dieses Buch: Tod, sexuelle Handlungen
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Mit jedem Kapitel ist es mir schwerer gefallen, dieses Buch weiter zu lesen. Die Traurigkeit und die Einsamkeit und manchmal auch die Ausweglosigkeit triefen so dermaßen aus dem Text, dass es für mich beinahe nicht zu ertragen war. Ein richtiges Buch zur falschen Zeit.

Randnotiz: Alena Dillon schreibt in diesem Essay auf Lithub über ihre Schwierigkeiten, in ihrem Buch The Happiest Girl in the World über das Leben in der Welt der Sportgymnastik die schwierigen Themen wie körperliche Übergriffe anzusprechen (bzw. anzuschreiben). Der Text ist im Ganzen sehr interessant, besonders hervorzuheben finde ich allerdings die Argumentation, die sie schließlich dazu bewogen hat, diese Geschehnisse näher zu beschreiben:

Intentionally omitting the topic was, if not downright cowardly, blanching and inaccurate, not to mention a disservice, since readers in our culture could benefit from confronting this material while maintaining the distance of fiction.

Wenn wir uns auf Romanebene mit einem Thema beschäftigen, dann kann es gleichzeitig wahr und nicht wahr sein. Ein Roman kann uns heranführen an Themen, die uns „in der realen Welt“ so unvorstellbar und unerträglich erscheinen, dass wir uns nicht damit auseinandersetzen wollen. Als Beispiele dafür möchte ich unter anderem Octavia E. Butler und Nnedi Okorafor nennen.

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English Roman

Elizabeth Strout – Olive, Again

CN dieses Buch: Suizid, Sterben
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People either didn’t know how they felt about something or they chose never to say how they really felt about something. And this is why he missed Olive Kitteridge.

Da mir das erste Buch mit Geschichten um Olive Kitteridge so gut gefallen hat, und gerade auch wirklich eine Zeit für diese Art von Lektüre ist, habe ich mir gleich das zweite Buch ausgeliehen. Und bin jetzt schon traurig, dass es vermutlich kein weiteres Buch mehr mit ihr geben wird.

This is a hell of a world we live in. […]
Such a simple statement, but it was completely true.

Zu beschreiben, warum diese Geschichten so beruhigend auf mich wirken, ist mir schon beim ersten Buch nicht gut gelungen. Jetzt, wo sich die Leserin mit der Sprödigkeit und dem Unverständnis von Olive für bestimmte Lebenshaltungen und Werte akklimatisiert hat, kommt allerdings noch mehr zum Tragen, was sie eigentlich auszeichnet. Sie kann die wahre Traurigkeit in den Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, wahrnehmen und bestätigen. Gleichzeitig ist ihr aber vollkommen unklar, was mit der Beziehung zu ihrem eigenen Sohn und seiner Familie nicht stimmt.

For a long time, Olive sat on the bed; she was just looking through the glass at the dark field. It seemed to her she had never before completely understood how far apart human experience was.

Am meisten berührt hat mich die Geschichte mit der Poetin Andrea. Olive führt mit ihr im Diner ein spontanes Gespräch über die Einsamkeit, hauptsächlich über Andreas einsames Leben aufgrund ihrer relativen Berühmtheit. Andrea veröffentlicht später ein Gedicht, das Olive zwar nicht beim Namen nennt, aber so deutlich beschreibt, dass es eindeutig ist, wer gemeint ist. In dem Gedicht schreibt Andrea Olive die gesamte Einsamkeit zu. In der Reflexion über dieses Gespräch (aus der auch das obige Zitat stammt) scheint Olive erst wirklich klar zu werden, wie unterschiedlich menschliche Empfindungen und Wahrnehmungen sein können. Sie lernt aus diesem Gespräch. In vieler Hinsicht steht Olive fest zu ihrer Meinung und lässt diese auch durch nichts und niemanden erschüttern. Aber dort, wo es um tief gehende menschliche Emotionen geht, dort kann sie und dort können wir alle immer noch etwas lernen.

You all know who you are. If you just look at yourself and listen to yourself, you know exactly who you are. And don’t forget it.

In einer anderen Geschichte erzählt eine ehemalige Schülerin von Olive, wie ihnen die Lehrerin Mrs. Kitteridge damals den Rat gegeben hat, nur auf sich selbst zu hören. Wir wissen bereits, wer wir sind, wir müssen uns nur die Zeit nehmen, auf uns selbst zu hören und uns nicht ablenken lassen von den Erwartungen der Gesellschaft oder dem, was andere Menschen für oder von uns wollen. Ein wunderbarer Rat für junge Menschen, aber auch für ältere Semester, die sich ihres Weges nicht mehr sicher sind.

Brené Brown schließt ihren Podcast Unlocking Us meistens (immer?) mit diesem Satz:

Stay awkward, brave and kind.

Genau das sehe ich in Olive Kitteridge. Genau das würde ich mir wünschen, in mir selbst und in anderen Menschen zu sehen.

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Roman

Günter Grass – Der Butt

CN dieses Buch: Mord, sexuelle Handlungen, Sodomie, Vergewaltigung, Kannibalismus, Geschlechtsorgane
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Vasco erzählt von einem feministischen Tribunal, das in Berlin stattfinde, doch auch überregional Schlagzeilen mache. Es werde dort symbolträchtig gegen einen gefangenen Steinbutt verhandelt. Der Butt verkörpere das männliche Herrschaftsprinzip.

In meiner Schulzeit bin ich natürlich mit Die Blechtrommel in Berührung gekommen. Hätte ich jedoch ein zweites Werk von Günter Grass nennen sollen, wäre mir vermutlich keines eingefallen. Auf den Fisch bin ich durch ein Geocaching-Rätsel gestoßen. Und bin nun immer noch ratlos, was dieses Buch eigentlich aussagen will.

Grundsätzlich basiert die Geschichte auf einer Verbindung mit dem Märchen Vom Fischer und seiner Frau. Darin wird des Fischers Frau Ilsebill als gierig und maßlos dargestellt, während der bescheidene Fischer von seiner Gefährtin schamlos unterdrückt wird. Günter Grass erzählt nun anhand einer Reihe von weiblichen und männlichen Figuren (die der Ich-Erzähler über die Jahrhunderte allesamt verkörpert haben will), warum sich das so genannte männliche Herrschaftsprinzip (symbolisch verkörpert durch einen vor Gericht angeklagten Steinbutt) seit so langer Zeit immer wieder durchsetzt.

Ergeben nahmen die Frauen die Fortsetzung des männlich beschlossenen Wahnsinns hin. Und selbst dort, wo es Frauen gelang, politisch Einfluss zu gewinnen, haben sie – von Madame Pompadour bis zu Golda Meir und Indira Gandhi – Politik immer nur im logischen Streckbett des männlichen Geschichtsverständnisses betrieben, also – nach meiner Definition – als Krieg fortgesetzt. Könnte das anders werden? Jemals, demnächst, überhaupt?

Im Verlauf dieser Gerichtsverhandlung, die parallel zur Schwangerschaft der Partnerin des Ich-Erzählers (ebenfalls Ilsebill genannt) über einen Zeitraum von neun Monaten verläuft, werden Untaten von weiblichen und männlichen Protagonist*innen einander gegenübergestellt und der Einfluss des Butts (also des männlichen Herrschaftsprinzips) auf die jeweiligen Persönlichkeiten diskutiert. Teilweise wird es dabei auch grausam und grausig über das Maß hinaus, das ich normalerweise in geschriebenen Worten gut tolerieren kann (siehe Content Notice oben). Daher war ich auch froh, als ich mit diesem Buch abschließen konnte. Not my cup of tea.

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English Roman

Elizabeth Strout – Olive Kitteridge

CN dieses Buch: Suizid, Sterben
CN dieser Post: –


Stupid – this assumption people have, that things should somehow be right.

Zu Beginn weißt du nicht, was du mit dieser Protagonistin anfangen sollst. Sie ist augenscheinlich kein sympathischer Mensch. Olive ist ungeduldig, direkt und verständnislos gegenüber Gejammer oder alltäglichen Sorgen. Sie erscheint harsch und spröde; die Bekannten aus der Kleinstadt fragen sich, wie ihr Mann es mit ihr aushält. (Tatsächlich hält er es nicht mit ihr aus, er akzeptiert und liebt sie einfach so, wie sie ist.)

Who, who, does not have their basket of trips? […] She thinks of Eddie Junior down there skipping stones, and she can only just remember that feeling herself, being young enough to pick up a rock, throw it out to sea with force, still young enough to do that, throw that damn stone.

Und doch ist Olive genau dann verständnisvoll, wenn ihre Mitmenschen in Notlagen sind. Dann kann sie schlicht die Situation anerkennen (so, you’re in hell). Was in solchen Situationen schon oft das Einzige ist, was wir für die Menschen, die da gerade durch müssen, tun können: anerkennen, dass sie gerade das Schlimmste erleben und mit ihnen in diesem Schmerz bleiben.

One afternoon as she was typing, her hand began to shake. When she held up her other hand, it was shaking too. She felt the way she had on the Greyhound bus that weekend Jace had told her about the blonde, when she kept thinking: This can’t be my life. And then she thought that most of her life she had been thinking: This can’t be my life.

Gleichzeitig ist das Buch eine Hymne an das Leben. Eine Aufforderung, unsere Zeit nicht zu verschwenden an Menschen, die uns nicht gut tun. Ein Aufruf, nicht aufzugeben, niemals das Leben einfach nur vorbeiziehen zu lassen, so schwer es manchmal auch sein mag.

Ich könnte noch mehr schreiben, aber das würde diesem Buch nicht gerecht. Wem das nicht reicht: The 2009 Pulitzer Prize Winner in Fiction.