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Kinder

Tove Jansson – Winter im Mumintal

CN: Tod eines Tieres

Mumin schloss die Augen und dachte: Wie verschieden alle doch sind.

Kinderbücher sind auf diesem Blog ja höchst selten vertreten. Hier ist der Hintergrund, wie so manche:r vielleicht bereits vermutet, ein Geocache. Also verbrachte ich etwas Zeit im Mumintal mit den interessanten Figuren, die Autorin Tove Jansson sich ausgedacht und auch in Zeichnungen illustriert hat. Mumin sollte ja eigentlich Winterschlaf halten, wacht aber zu früh auf und lernt dann die anderen Wesen kennen, die im Winter im Mumintal so herumlaufen.

Im skandinavischen Raum sind die Mumins wohl so bekannt wie hierzulande in meiner Kindheit die Barbapapas oder die Fraggles. Mir sind sie hier zum ersten Mal begegnet.

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Roman

Mikko Rimminen – Der Tag der roten Nase

CN dieses Buch: Alkoholmissbrauch, Verletzung der Nase, Unfalltod eines Jugendlichen, Trauer
CN dieser Post: –


Protagonistin Irma verschreibst sich selbst eine Zwangskur gegen ihre Einsamkeit und soziale Unsicherheit. Als vermeintliche Marktforscherin klingelt sie an fremden Türen, um in Kommunikation mit anderen Menschen zu kommen. Der Text lässt die Leser:innen direkt in ihren Kopf schauen und die Panik fühlen, die in ihr aufsteigt, ihr die Zunge lähmt und gerade in schwierigen Situationen alles (scheinbar) noch schlimmer macht. Der Großteil davon spielt sich allerdings tatsächlich nur in ihrem Kopf ab. Als Leser:in wusste ich aber bis zum Schluss nicht, dass sie sich all die negativen Reaktionen ihrer Mitmenschen eigentlich nur einbildet bzw. selbst vormacht. Tatsächlich wiederholt sich hauptsächlich die Frage „Ist mit Ihnen alles okay?“. Mehr Gedanken über ihr oft schräges Verhalten machen sich die meisten Menschen gar nicht. Eine schöne Erinnerung daran, dass wir uns über unsere persönlichen Eigenheiten nicht so viele Gedanken machen sollten. Alle anderen machen sich nämlich auch nur Gedanken über ihre eigenen Eigenheiten und nicht über unsere.


Letzten Samstag verschleppte ich den Fotografen zur Ausstellung Unseen Places im KunstHausWien (nur noch bis 19. Februar 2023). In dieser Retrospektive werden verschiedene Projekte des Fotografen Gregor Sailer gezeigt. Er beschäftigt sich schon seit Längerem mit „Architekturen, die auf politische, militärische oder wirtschaftliche Aspekte der Gegenwart verweisen“ (alles unter Anführungszeichen sind Zitate aus dem Ausstellungstext). Dafür begibt er sich an Orte, die normalerweise nicht zugänglich sind und nimmt dafür große Strapazen und immensen Aufwand in Kauf. In einem Ausstellungstisch sind auch Dokumente und Tagebuchaufzeichnungen zu sehen, die einen Einblick erlauben in die Schwierigkeiten, die mit diesen Projekten verbunden sind/waren.

Gleich neben dem Eingang und der einleitenden Erklärung der Retrospektive beginnt die Ausstellung mit dem Projekt The Potemkin Village (2015–2017). „In sieben Ländern fotografierte [Gregor Sailer] Scheinarchitekturen, Kulissenbauten und illusionistische Modelldörfer“, darunter zB rudimentäre Stadtstrukturen für militärische Übungszwecke. Diese Bilder fand ich gleichzeitig verstörend und interessant, weil sie eine halbfertige Welt zeigen. Die Architekturen sind jedoch nicht halb zerstört, wie es vielleicht in einem Kriegsgebiet wäre, sondern einfach nur halb gebaut oder überhaupt nur als Kulissen aufgestellt. Auf den detailreichen Fotos eines amerikanischen Militärübungsplatzes ist etwa ein arabisch beschriftetes Lebensmittelgeschäft, eine Moschee oder ein Brunnen zu sehen. Die vollkommene Menschenleere verleiht den Bildern eine Unwirklichkeit, ich konnte mir vorstellen, dass die Menschen hier aufgrund einer Katastrophe alle verschwunden sind. Es wirkt teilweise wie der Schauplatz eines Science-Fiction-Romans.

Blick in den Ausstellungsraum, links eine Collage aus 4x5 Bildern aus der Serie The Potemkin Village, hinten ein wandfüllender Blick in einen U-Bahn-Schacht aus der Reihe Subspace

Das Projekt Closed Cities (2009–2012) ermöglicht Einblicke in spektakuläre Orte:

  • Mirny, Jakutien, Russland. „Stadt am Rande eines gigantischen Tagebaulochs, sämtliche Gebäude auf Pfählen im Permafrost errichtet“. Das beeindruckende Foto zeigt einen verschneiten Krater, in dem nach Diamanten geschürft wird. Am Horizont dahinter ist schemenhaft durch den Nebel die Stadt zu erkennen.
  • Die Flüchtlingsstädte Dakhla, Escuela 27 Febrero, Rabouni und Smara, West-Sahara. Etwa 200.000 Menschen leben in dieser „lebensfeindlichsten Region der Sahara“. Ohne Hilfe von außen wären diese Städte nicht überlebensfähig. Die Bilder zeigen die Leere der Wüste, ein einsames Fußballtor unter der sengenden Sonne.
  • Chuquicamata, Atacama, Chile. Größte Tagebaumine der Welt. 2008 wurden 35.000 Einwohner:innen wegen „untragbarer Lebensbedingungen“ zwangsumgesiedelt. „Die Stadt verschwindet unter Abräumhalden. Umliegende Landschaft auf Jahrzehnte verseucht aufgrund jahrelanger Entsorgung hochgiftiger Abwässer direkt in die Wüste.“ Für die Arbeiter:innen wurde zB. ein Stadion errichtet, das leer im heißen Wüstenstand glüht.
  • Ras Laffan, Katar, Mittlerer Osten. Etwa 100.000 Einwohner (ausschließlich Männer) arbeiten in dieser Siedlung am größten Gasfeld der Erde (persischer Golf). Die Bilder zeigen gespenstische rot beleuchtete Konstruktionen aus Rohren und Tanks. Ein optisch harter Kontrast zu den oben beschriebenen Orten und Bildern, die sich durch Helligkeit und Weite auszeichnen.
  • Nordelta, Argentinien. Einen wahren Kontrastpunkt zu den obigen Örtlichkeiten bildet die Gated Town Nordelta in Argentinien im Norden von Buenos Aires. Hier leben reiche Menschen in einer künstlich geschaffenen Umgebung.

Verlassene Orte sind jedoch nicht nur in entlegenen Gegenden zu finden. Auch Österreich hat so manchen Lost Place zu entdecken. Im Projekt The Box (2014–2015) fotografierte Gregor Sailer in einem Stollen eines ehemaligen Bergwerks in Schwaz (Tirol). Im Zweiten Weltkrieg wurde hier von Zwangsarbeiter:innen das weltweit erste Kampfflugzeug mit Stahltriebwerkstechnologie produziert. „Die so genannte Messerschmitthalle liegt heute ohne jegliche Infrastruktur in absoluter Dunkelheit.“ Um hier überhaupt fotografieren zu können, musste ein spezielles Beleuchtungskonzept entwickelt werden. Das Ergebnis sind großformatige, dunkle Schwarz-Weiß-Fotos, die in ihrer kalten, harten Klarheit erahnen lassen, welchen unmenschlichen Bedingungen die Zwangsarbeiter:innen damals ausgesetzt gewesen sein müssen.

Blick in den Ausstellungsraum, die Wände sind blau verkleidet, darauf sind helle Bilder zu sehen, zentral im Raum steht eine einzelne Bank auf dem Holzboden

Das aktuellste Projekt ist The Polar Silkroad (2017–2022). Aus dieser Serie stammt auch das Titelfoto der Ausstellung, das mich auf dem Plakat in seinen Bann gezogen hat. Es zeigt eine militärische Station der Norwegian Armed Forces, Andøya, Norway. Das Gebäude verschwindet beinahe im Nebel, links davon ist ein Berggipfel zu erahnen. Zentraler Blickfang ist eine Art runder Spiegel in der Mitte des Bildes, die gelbliche Färbung sticht aus dem ansonsten weiß-grau-blau (je nach Entwicklung und Lichteinfall, das Bild in der Ausstellung ist deutlich weißer als das auf dem Plakat) gehaltenen Bild deutlich heraus.

Auch ein zweites Bild aus dieser Serie hat mich sehr beeindruckt. Es zeigt die Royal-Air-Force-Basis in Fylingdales in Großbritannien. Im Vordergrund ist von Rauhreif bedecktes Gras zu sehen, dahinter erscheint ein beleuchteter Zaun aus dem Nebel, der das Bild prägt. Erst bei längerer Betrachtung werden die Kanten des Gebäudes im Nebel erkennbar. Ein scheinbar langweiliges Bild, das aber viel in sich birgt. Dieses Bild ist auf der Webseite leider nicht enthalten, daher kann ich es nicht extra verlinken.

Bilder aus den einzelnen Projekten sind auf der Webseite von Gregor Sailer zu sehen, ich habe sie jeweils beim Projekttitel extra verlinkt.

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Roman

Selja Ahava – Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

CN dieses Buch: Andeutung sexueller Handlungen, Demenz, Sterben, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Demenz


Jemand schlich ihr hinterher, leise und unabweislich, und aß Stücke ihres Gedächtnisses auf. Wo Stücke fehlten, wurden Steine hineingestopft, und dann wurden die Löcher zugenäht. Darum kollerte und klapperte es in ihr, sie fühlte sich ausgehöhlt.

Dieses Buch habe ich in der Reihe finnische Literatur-Geocaches gefunden. Interessant ist bei diesen Büchern immer, dass ich vorher absolut keine Ahnung habe, was mich eigentlich erwartet. Bisher (Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen, Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer) war es immer interessant und auch irgendwie besonders.

Das zeichnet auch dieses Buch aus. Da ich die ersten drei Antworten für den Literatur-Geocache gleich mal überlesen habe (bei diesen Literatur-Geocaches passiert mir das häufiger, weil die Formulierungen so gewählt sind, dass sich nicht einfach nach den Antworten suchen lässt), durfte ich auch den Beginn zum Abschluss nochmal lesen, was einige Klarheit in die Geschichte gebracht hat.

Protagonistin Anna erzählt aus ihrem Leben, vom Leben mit ihrem Mann Antti auf der Insel, vom Leben nach seinem unerwarteten Unfalltod, von der Einsamkeit und Trauer, von der Demenz, die schließlich Stück für Stück ihr Gedächtnis und ihre Erinnerungen auffrisst. Die Demenz wird nicht nur aus der Perspektive der betroffenen Person erzählt, sie wird auch in der Sprunghaftigkeit der Episoden, dem Wechsel zwischen Erinnerung und (scheinbarer) Gegenwart verdeutlicht. Was zu Beginn des Buches verwirrend wirkt, löst sich gegen Ende auf: gerade diese Verwirrung ist es, die in der Struktur des Textes zum Ausdruck kommen soll. Somit lässt die Autorin die Leser:in selbst erleben, wie sich die Verwirrung und der Verlust des eigenen Lebens anfühlen können.

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English Roman

Ragnar Jonasson – The Girl Who Died

CN dieses Buch: Mord, Selbstmord, Tod, Depression
CN dieser Post: Tod


But the only option was to confront her fears, confront these horrible nightmares, by going downstairs to the dining room and reassuring herself once and for all that there was nobody there.

Woher dieses Buch auf meine Liste kam, weiß ich absolut nicht mehr. Erzählt wird auf zwei Ebenen, die sich am Ende zusammenfügen. Die mit ihrem Leben in Reykjavik unzufriedene Una bewirbt sich für einen Lehrauftrag „am Ende der Welt“ – einen winzigen Fischerdorf an der Küste. Erst vor Ort erfährt sie, dass sie nur zwei Schülerinnen zu unterrichten haben wird.

Von den Einheimischen, die eine eingeschworene Gemeinschaft bilden, wird sie unterschiedlich aufgenommen. Auf Umwegen erfährt sie schließlich, dass in ihrer Mansardenwohnung vor vielen Jahren ein Kind gestorben ist, das als Geist herumspuken soll. Erst nach dieser Enthüllung machen einige nächtliche Erlebnisse für Una Sinn. Überschattet wird diese Geschichte jedoch durch den sehr realen Tod einer von Unas Schülerinnen während des Weihnachtskonzerts.

Der Schauplatz am Ende der Welt, die interessant gezeichneten Charaktere und das Zusammenfügen der beiden parallelen Geschichten gegen Ende sind die Pluspunkte dieses Romans. Irgendwie blieb bei mir am Ende dann aber doch eher ein bitterer Nachgeschmack.

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English Krimi Roman

Louise Penny – Bury Your Dead

CN dieses Buch: Mord, Gewalt, Terrorismus
CN dieser Post: –


That was often the equation, give up the few to save the many. From a distance it seemed so simple, so clear. And yet, from a distance you might see the big picture, but not the whole picture, you missed the details. Not everything was seen, from a distance.

Im sechsten Buch um Inspektor Armand Gamache, sein Team und die Bewohner:innen des versteckten Örtchens Three Pines gelingt es der Autorin gleich drei Kriminalfälle auf einmal aufzurollen. Im Rückblick erzählt wird der Fall, der dazu geführt hat, dass sowohl Inspektor Gamache als auch sein Stellvertreter Beauvoir gezwungenermaßen eine Auszeit nehmen, um sich zu erholen. Auf diesen Fall bezieht sich das obige Zitat. Was oft von Weitem so eindeutig aussieht, wird komplizierter, wenn wir näher hinschauen.

Doesn’t mean I don’t love Canada. I do. Who couldn’t love a country that allows such diversity of thought, of expression? But I want my own country.

Beide können oder wollen jedoch das Ermitteln nicht lassen und lösen während dieser Auszeit ihren jeweils eigenen Fall. Armand Gamache ist dabei in Québec mit dem Mord an einem Fanatiker konfrontiert, der auf der Suche nach dem Grab des Gründervaters der Stadt, Samuel de Champlain, war. Dieser Fall bietet jede Menge Möglichkeiten, um Einblicke in das komplizierte Verhältnis zwischen französischen und angloamerikanischen Einwohner:innen in der Gegend zu nehmen. Das obige Zitat habe ich deshalb herausgeschrieben, weil es mir etwas klar gemacht hat, was ich bisher in allen Separatismusbewegungen nie verstanden habe. Diese Menschen fühlen sich dem Land, in dem sie leben, nicht zugehörig. Sie fühlen sich heimatlos, so lange sie nicht in dem Staat leben können, der scheinbar ihnen „gehört“. Ich hatte immer die Vermutung, dass ich mit Nationalismus und Nationalstolz deshalb nichts anfangen konnte, weil mir das Konzept, stolz auf etwas zu sein, das ich geschenkt bekommen habe (meine Herkunft aus Österreich und die damit verbundenen Privilegien), immer fremd war. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich mich hier zuhause fühlen kann. Es ist kompliziert.

Yes it was a tragedy, it was terrible, but it happened to them, not you. You’re alive. This is what you’ve been handed, nothing’s going to change that. You have to let it go.

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English Krimi Roman

Louise Penny – A Fatal Grace

CN dieses Buch: Mord
CN dieser Post: Mord


It starts with our beliefs, and our beliefs come from our parents, and if we have a sick parent we have sick beliefs and it infects everything we think and do.

Der erste Teil der Reihe hat mir ja sehr gut gefallen. Jetzt überlege ich, wieviel Abstand ich zwischen den einzelnen Romanen lassen sollte, damit sich nicht zu schnell ein Gewohnheitseffekt einstellt.

Tatsächlich ist die Gefahr aber eher gering, denn in diesem Buch ist die Aufdeckung des Mörders*der Mörderin noch komplexer als im ersten Teil. Genauso der Mord selbst. Verbindungen werden Stück für Stück aufgedeckt und es ergeben sich viele überraschende Wendungen.

Was die Geschichte auch noch zusätzlich interessant macht, ist der interne Spionagefall im Team der Ermittler*innen. Die Hinweise auf einen Fall, der sich VOR dem ersten Roman abgespielt hat, jedoch Folgen hat, die sich auf das aktuelle Team auswirken, lassen eine längerfristige Hintergrundgeschichte erahnen, die sich wie in einer TV-Serie über mehrere Staffeln Romane lang entwickelt.

Ein weiteres interessantes Detail: Auch oder gerade die oberflächlich negativ gezeichneten Personen erhalten eine Hintergrundgeschichte und Gefühle, die ihre Handlungen zwar nicht verzeihlich machen, aber zumindest in den Bereich des Nachvollziehbaren rücken. Eine besondere Kunst, die die Autorin hoffentlich in den weiteren Romanen noch weiter perfektioniert.

Finally, someone cared for her. […] The thought had warmed her and sent her off to sleep wrapped in the promise of belonging, of finally taking a seat in the living room.

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English Science Fiction

Ursula K. Le Guin – The Left Hand of Darkness

CN dieses Buch: Folter, Verhör, Drogen, Tod, Hunger, Geschlechtsteile
CN dieser Post: –


Out entire pattern of sociosexual interaction is nonexistent here. […] This is almost impossible for our imagination to accept.

Was mich am meisten fasziniert an diesem Buch, ist, dass es bereits 1969 veröffentlicht wurde. Die Autorin hat dabei eine Weitsicht bewiesen, wie sie mir bisher selten begegnet ist. Sie beschreibt einen Planeten, auf dem alle Menschen den Großteil der Zeit mehr oder weniger asexuell sind. Nur für wenige Tage jedes Monat nehmen sie ein Geschlecht an und dies kann jedes Monat ein anderes sein. Die gesellschaftliche Konsequenz daraus: traditionell etablierte Geschlechterbilder und -rollen existieren nicht. Die Zeugung, Geburt und Aufzucht von Kindern wird von allen Personen gleichermaßen übernommen. Jede*r Erwachsene kann zugleich Vater und Mutter sein.

Burden and privilege are shared out pretty equally; everybody has the same risk to run or choice to make. 

Partnerschaften sind daher tendenziell sehr fluktuierend. Die traditionelle monogame Ehe ist vorhanden in der Form, dass Menschen sich dazu verpflichten können, nur mit einem Partner sexuell aktiv zu sein. Dies wird aber als altertümliche Instanz beschrieben und hat keine rechtlichen oder gesellschaftlichen Konsequenzen.

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und beinhaltet auch alte Sagen oder Kalender, die die erzählte Welt plastischer machen. Der Protagonist Genly Ai ist als Botschafter einer Assoziation von Welten auf dem Planeten Winter angekommen. Der Name ist Programm: es ist eine kalte Welt, die viele verschiedene Worte für Schnee kennt, in der die lokale Bevölkerung an das unwirtliche Wetter angepasst ist. Genly Ai soll die lokalen Machthaber davon überzeugen, sich der Vereinigung von Welten anzuschließen. Diese Position bringt schließlich nicht nur ihn sondern auch seinen Unterstützer Estraven in große Gefahr.

Das Buch berührt viele gesellschaftspolitische Themen, auch der Faschismus wird an verschiedenen Stellen angesprochen. Die Beschreibung des Cousins des Königs, der Estraven als ausführende Hand des Königs nachfolgt, trifft meines Erachtens sehr gut meine Vorstellung eines machthungrigen Menschen, der keine Grenzen kennt:

His cousin Tibe was another kind of fish, for his insanity had logic. Tibe knew when to act, and how to act. Only he did not know when to stop.

Auch das Konzept des Nationalismus wird kurz aber prägnant kritisiert:

What is love of one’s country; is it hate of one’s uncountry? Then it’s not a good thing.

Für eine Zusammenfassung möchte ich auf das Nachwort von Charlie Jane Anders verweisen, in dem sie sinngemäß beschreibt, dass das Buch erzählt, wie zwei Menschen versuchen, Kommunikation und Verständnis untereinander herzustellen trotz kultureller Barrieren und sexueller Stereotype.

There’s really only one question that can be answered, Genry, and we already know the answer … The only thing that makes life possible is permanent, intolerable uncertainty: not knowing what comes next.

Und zuletzt möchte ich auf dieses Zitat einfach nicht verzichten:

It is a terrible thing, this kindness that human beings do not lose. Terrible, because when we are finally naked in the dark and cold, it is all we have. We who are so rich, so full of strength, we end up with that small change. We have nothing else to give.

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Humor Roman

Isabel Bogdan – Der Pfau

Dieses Buch stand schon lange auf der Liste und beim letzten Besuch in der Bücherei Hernals habe ich es aus der Kategorie Heiteres gefischt. Das Etikett passt: gerade das Richtige für den Urlaub. Eine Gruppe von Investmentbankern reist zu einem Teambuilding-Wochenende in ein abgelegenes Tal in Schottland. Der titelgebende Pfau ist alles andere als ein freundliches Wesen, ohne zu spoilern kann ich sagen: der Pfau ist verrückt geworden. Als dann auch noch die Gans verschwindet, sind die Wogen kaum noch zu glätten. Die weiteren Umstände führen zu allerlei Verwicklungen, die beteiligten Personen haben jeweils unterschiedliche Vermutungen, die jedoch niemand laut ausspricht. Erst nach dem Lesen sind mir die feinen Details auf dem Cover ins Auge gefallen. Clever geschriebene Unterhaltung.

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Erfahrungsbericht

Marie Tièche – Mein Jahr am Nordpol

Kinnvika brachte Klarheit. Das Leben hier gefiel mir, und ich wollte zumindest die Essenz davon in mein zukünftiges Leben hinüberretten.

Wie sich wieder mal zeigt, schreibt das Leben die interessantesten Geschichten (oder auch nicht). Meine Faszination für extrem kalte Wetterbedingungen (begonnen mit Die Schrecken des Eises und der Finsternis) hat mich zu diesem Werk greifen lassen, weil ich mir eine neue weibliche Perspektive auf das Thema erhofft hatte. Erst auf den letzten Seiten stellte ich mit Sicherheit fest, dass ich einen Erfahrungsbericht vor mir hatte. Die Autorin beschreibt ihre Zeit in Kinnvika und vor allem die Rückblenden in ihr Leben davor in derart blumigen Worten, dass ich schlicht davon ausging, ein träumerisches Fantasiewerk vor mir zu haben. Doch die Forschung ihres Begleiters Hauke Trinks hat sogar ausreichend Relevanz für einen Eintrag in der deutschen Wikipedia. Die Autorin beschreibt im Detail den Entscheidungsprozess, der sie zum Umkrempeln ihres Lebens geführt hat, die Vorbereitungen auf die Reise und schließlich die täglichen Belange ihres Lebens in dieser abgeschiedenen winterlichen Einöde. Zweifellos eine prägende Erfahrung.