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Roman

Terry Pratchett – Rollende Steine/Echt zauberhaft

Liebesschloss am Lendkanal, Klagenfurt

„Du musst bestimmter auftreten“, sagte der Rabe. Er hockte nun auf einem Felsen. „Das ist das Problem mit Frauen in gehobenen Berufen. Sind nicht energisch genug.“

In diesem Pratchett-Doppelpack beschäftigt sich der erste Band mit Musik und deren potentieller Wirkung auf Musiker und Menschen. Tatsächlich lautet der englische Originaltitel „Soul Music“, es erscheint daher als komische Idee, das für die deutsche Ausgabe gerade die nicht eindeutige Übersetzung vom deutlich plakativeren „Rolling Stones“ gewählt wurde.

„Siehst du denn nicht, was passiert? Die Musik veranlasst Leute, sich närrisch zu benehmen, törichte Kleidung zu tragen, unhöflich und ungehorsam zu sein. So was gehört sich einfach nicht. Außerdem … denk an das, was mit Herrn Hong geschah.“

Auch Tod und die Zauberer der Unsichtbaren Universität können sich dem Zauber der Musik nicht entziehen. Wobei Tod tatsächlich auf Selbstfindungstrip versucht, sich zu Tode zu langweilen, während seine Enkelin Susanne mit der Sense die Pflicht versehen muss. Das alles während sie versucht, die Mitglieder der „Band Mit Steinen Drin“ zu beschützen. Eine nahezu unmögliche Aufgabe. Im Zuge deren Erlebnisse schafft es Pratchett auch, sich gefinkelt über die Urheberrechtsdebatte lustig zu machen. Wie in seinen von mir hoch geschätzten Büchern zum Thema Zeit steckt auch hier mehr in der Geschichte als auf den ersten Blick zu erkennen ist.

„Rincewind ist kein Käse, verdammt und zugenäht!“ rief der Dekan, dessen Geduld nun zu Ende ging. „Er ist auch kein Joghurt oder irgendein anderes Sauermilchderivat! Rincewind ist ein verfluchtes Ärgernis! Es gibt keine größere Schande für die Zauberei! …“

Im zweiten Band muss der unfähige Zaubberer Rincewind wieder mal unfreiwillig von einem Abenteuer ins andere stolpern und wird dabei Schritt für Schritt vom deus ex machina „gerettet“. Obwohl ebenfalls spannend aufgebaut, sagen mir die Rincewind-Geschichten nicht besonders zu. Keine Ahnung, warum.

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Roman

Terezia Mora – Der einzige Mann auf dem Kontinent

Mellow Yellow Flower

Das permanente Angebundensein an den Datenstrom ist mir nicht lästig und überfordert mich keinesfalls. Wenn nichts davon da ist – das überfordert mich.

Terezia Mora zeigt uns einen Protagonisten als hin- und hergerissenen Mann. Stressiger Job, herausfordernde Freundschaften, sensible Frau, die seine Aufmerksamkeit fordernd. Sie erzählt Episoden aus der Vergangenheit, so erinnert sich der Protagonist Darius Kopp etwa in Rückblenden an einen psychischen Zusammenbruch seiner damaligen Lebensgefährten, der schließlich zu einem Heiratsantrag seinerseits führte. Sie hypersensibel, er always on und untrennbar mit der Welt verbunden – man fragt sich bald, ob das gutgehen kann?

Die Idee war brillant, verwegen, Kopps Herz schlug ein schnelleres Tempo an, er riss die Augen auf: staubige, dunkle Balken. Es kommt doch heraus. Es kommt immer alles heraus. Nein, das stimmt nicht. Manches nie … Wozu reicht mein Mut? Das ist nicht die Frage, sondern: Wie findet meine Moral das? Er schloss sanft die Augen.

Sein fragiles berufliches Gerüst wird erschüttert von einer unterwarteten Barzahlung eines Kunden. Niemand außer ihm weiß von dem Geld. Sein Arbeitgeber schuldet wiederum Darius Kopp jede Menge Geld für Spesen und Versicherungszahlungen. Was soll mit dem Bargeld im Karton geschehen? Niemand muss davon erfahren. Aber Darius Kopp hat Skrupel. Und versucht trotz allem, das Richtige zu tun. Was immer das auch sein mag.

Er rannte ins Café hinein, Selbstbedienung, er rannte an den Tischen vorbei, direkt an die Theke, wie ist er auf den Barhocker gekommen, keine Erinnerung, auf einmal saß er drauf. Er keuchte, nicht vor Anstrengung, sondern vor Erleichterung darüber, dass er diesen Hafen gefunden hatte. Essen, Trinken, Internet.

Hier fühlt sich der gemeine Nerd/Geek leicht solidarisch, wobei ich von mir selbst behaupten möchte, dass ich so hysterisch selten in ein WLAN-Café gestürmt bin. Doch in einer fremden Stadt kann das Internet schon Heimat sein, wo es keine andere Heimat gibt. Für Darius Kopp scheint es ein Zufluchtsort zu sein, auch wenn ihn dort weder Erleuchtung noch Erleichterung seiner schwierigen Entscheidungen erwarten.

Er hätte gern einen Lachanfall bekommen, einen hysterischen Lachanfall, dass er hätte taumeln und sich krümmen müssen und aufpassen, dass er nicht wieder in die Kartonwand geriet, aber es gelang ihm nicht.

Während Darius Kopp mit seiner Familie und seinen anderen arbeits- und partnerschaftlichen Sorgen beschäftigt ist, hat der Leser das Geld der Armenier im Karton längst vergessen. Ein kluger Schachzug, denn gleich der Kartonwand stürzt auch Darius Kopps Leben Stück für Stück ein. Verfolgen Sie den Zusammenbruch eines Lebens und was am Ende wirklich wichtig ist. Gespalten.

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Roman

Michelle Raven – Vertraute Gefahr

Bluemchen

Nur langsam ließ die Panik nach und sie konnte wieder atmen. Wenn sie nicht wollte, dass sich die Ereignisse wiederholten, musste sie vorsichtiger sein. Vor allem durfte ihr niemand mehr so nahe kommen. Noch einmal würde sie eine solche Qual nicht durchstehen. Nicht in der Lage, sich mit ihren Gefühlen und Erinnerungen auseinanderzusetzen, warf Autmn Shane ein gequältes Lächeln zu und flüchtete zur Essensausgabe.

Oh, Amazon, was verschenkst du für fürchterliche Schnulzenromane zu Weihnachten? Ah, ein Opfer, eine Frau, welch Überraschung. Oh, ein Held, ein Mann, jetzt bin ich aber überrascht. Sofort ineinander verliebt, sie hält sich zurück, weil schlechte Erfahrungen, muss ich mehr sagen? Doch, eines muss ich noch sagen: in Amerika dürfte das Werk wegen der saftigen aber ebenfalls völlig vorhersehbaren Sexszenen unter Pornografie abgelegt werden …

So ab 80% wartete ich nur noch darauf, wann jetzt endlich der böse Ex daherkommt, der das Opfer entführt, damit sie der Held dann im letzten Moment retten kann. Banaler geht’s echt nicht. Und dann auch noch dieser Name – Autumn … Falls Amazon nächstes Jahr wieder Kindle-Bücher zu Weihnachten verschenkt, werd ich nicht mehr alles runterladen, nur weil’s gratis ist. Jetzt liegt’s in meiner Kindle-Bibliothek und verspottet mich … Entbehrlich.

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Roman

Kathrin Gerlof – Alle Zeit

Osterschnee

Es ist erstaunlich, dass ich in diesem Buch keine Zitate gefunden habe, die ich als charakteristisch für die Geschichte empfinde. Andererseits kann man es auch so interpretieren, dass ich so in die Geschichte gezogen wurde, dass ich darauf einfach nicht mehr geachtet habe.

Die Sprache ist einfach, Alltagssprache sozusagen, Kathrin Gerlof erzählt eine Geschichte, wie sie die Familiengeschichte der Nachbarin sein könnte. Vier Frauen sind Protagonistin dieser Geschichte, sie repräsentieren 4 Generationen einer Familie. Die Älteste, Klara, lebt vereinsamt im Altenheim und verfällt zusehends der Demenz. Die jüngste, Juli, ist soeben selbst im zarten Teenageralter Mutter geworden und sucht nach der Urgroßmutter, die ihr tatsächlich so nah ist. Die beiden dazwischen, Julis Mutter Elisa sowie deren Mutter Henriette, sind kürzlich bei einem Autounfall verstorben. Doch auch ihre Geschichte wird in einer Rückblende erzählt. So entfaltet sich ein Familienpanorama, das Platz für unterschiedlichste Blickwinkel auf das Leben bietet. Nebenschauplätze sind die Krebserkrankung der Kellnerin, die im Park das Verbindungsglied zwischen Juli und Klara sein könnte, sowie die späte Liebe von Klara und Aaron, die sich aus dem Altenheim davonstehlen, um ein bißchen Glück zu erleben. Man fühlt mit allen beschriebenen Personen mit, Antagonisten fehlen vollkommen (sieht man von einer unfreundlichen Pflegerin im Altenheim ab), und doch ist die Geschichte reich an Konflikten unter den beschriebenen Frauen. Eine Meisterleistung, diese tief im Leben verwurzelte Geschichte, die den Blick öffnet für die Perspektiven der unterschiedlichen Generationen. Leseempfehlung.

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Krimi Roman

Arne Dahl – Böses Blut

Metall

Sie zogen alle vier ihre Waffen. Ihre Kiefer waren angespannt, sie hielten den Atem an. Sie fürchteten mehr um das Wohl ihrer Seelen als um das ihrer Körper. Sie waren auf dem Weg in die Höhle des Löwen. Welch grobe Verzerrungen menschlichen Lebens würden ihnen dort drinnen begegnen?

Wieder ein Serienmörder-Krimi aus der Reihe „Amazons Weihnachtsgeschenke an die Kindle User“. Obwohl die Foltermethode des hier gejagten Kentuckymörders ähnlich brutal ist wie alles, was Jo Nesbo seinen Harry Hole in Leopard erleben ließ, lässt Arne Dahls Geschichte den Leser erstaunlich kalt. Er beschreibt zwischendurch immer wieder die Lebensumstände der ermittelnden Kommissare, was ihnen eigentlich Leben einhauchen sollte. Fühlt man sich Personen nicht eher verbunden, wenn man ihre Lebensumstände kennt? Wenn man weiß, dass sie Partner und/oder Kinder haben oder hatten, wie sie leben und was sie fühlen? Eigentlich sollte es so sein, aber mich konnten die Geschichten nicht erreichen. Einzig das Duo „Jalm und Halm“ (wie die Amerikaner sagen) gewinnt durch die gemeinsame Vorgeschichte etwas an Profil.

Zwei Lungenentzündungen kamen durch die Luft gesegelt und suchten ihre rechtmäßigen Besitzer.

Hin und wieder blitzt in all dem trostlosen Ermittlungschaos ein bißchen staubtrockener Humor auf. Das tröstet allerdings nicht darüber hinweg, dass die Ermittler den Fall schließlich nicht zufriedenstellend lösen.

Sie hatten nicht richtig hingesehen, dachte Nyberg. Es waren nicht zwei Lungenentzündungen gewesen, die durch die Luft gesegelt kamen und ihre rechtmäßigen Besitzer suchen, sondern zwei Gehirnerschütterungen.

Offen bleibt die Frage, ob man ein Flipchart sauberwischen kann? Ist das ein Übersetzungsfehler oder heißen Whiteboards in Schweden Flipcharts?

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Roman

Nora Roberts – Der verborgene Stern

Zweige

Zudem war es erregend, zu wissen, dass sie sich an keinen Kuss vor diesem erinnern konnte. Dass er der einzige Mann in ihrem Kopf und in ihrem Herzen war, der sie auf diese Weise berührte. Er war der erste, der sie zum Zittern brachte, sein Name war der erste, den sie wisperte, während sie von einer Welle des Begehrens ergriffen wurde.

Hach, Frauenromane. Warum ist das immer so ein Thema, dass es wichtig ist, ob ein Mann der Erste ist? Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, erweist sich die betreffende Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat, dann auch noch tatsächlich als unberührt …

Er hatte eine sehr genaue Vorstellung von Recht und Unrecht. Es gab die Guten und die Bösen, es gab Gesetz und Verbrechen. Und doch war er nicht so schlicht gestrickt, dass er nicht auch die Graustufen erkannte und zu würdien wusste. Doch es gab gewisse Grenzen, die er niemals überschritten hätte. Zudem besaß er einen scharfen Verstand, der höchstens hin und wieder kleine Abstecher in bunte Fantasiewelten machte.

Hach, was für ein strahlender Held. Bei etwa 97% dann die entscheidende Erkenntnis. Das ist der erste Teil einer Trilogie. Warum sollte Amazon auch irgendwas anderes verschenken, als Dinge, die noch mehr Teile haben? Siehe der achte Harry Hole. Ob ich für die Fortsetzung von diesem Schinken allerdings Geld ausgeben möchte, muss ich noch mit mir selbst ausfechten. Immerhin ist die gute Bailey jetzt keine Jungfrau mehr. Mal sehen, ob ich diese damit nicht abgeschlossene Trilogie nicht irgendwie verdrängen kann.

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Roman

Ildefonso Falcones – Die Pfeiler des Glaubens

Mezquita (c) Daniel Vattay SXC

Sein ganzes Leben war immer gleich verlaufen, dachte er, während eine Dame in einem blauen Kleid auf ihn einsprach. Sein ganzes Leben lang war er dem Streit zwischen Christen und Muslimen machtlos ausgeliefert gewesen.

Nach Die Kathedrale des Meeres zögerte ich natürlich nicht lange, als mir bei den Neuerscheinungen in der virtuellen Bibliothek der Büchereien Wien zufällig dieser neue Roman von Ildefonso Falcones ins Auge stach. Die anfängliche Befürchtung, dass ich diesen Wälzer möglicherweise nicht in den vorgesehenen zwei Wochen Ausleihzeit schaffen würde, hat sich leider bewahrheitet. So musste ich das Buch mit einer Pause dazwischen zwei Mal ausleihen. Noch dazu musste ich jetzt feststellen, dass ich zwar meine Notizen im Bluefire Reader noch abrufen kann, allerdings nicht die gesamten Markierungen, die ich im Text vorgenommen hatte. Denn dieser ist eben schon abgelaufen …

Der Protagonist Hernando ibn Hamid verbringt sein Leben zwischen den Religionen. Der Islam wird in Spanien verboten, die Neuchristen müssen vorgeben, zum Christentum konvertiert zu sein und können ihren wahren Glauben nur heimlich leben und an ihre Kinder weitergeben. Hernando pendelt hier sein Leben lang zwischen den Extremen. Mit dem Alfaqui Hamid hält er den wahren Glauben am Leben, schließlich unterwirft er sich dessen Rat christlicher als jeder Christ zu sein, was ihm letztendlich allerdings die Verachtung der Islam-Gemeinde einbringt, die nicht glauben wollen, dass er noch immer Anhänger des wahren Glaubens ist. Sogar Hernandos Mutter Aisha verliert den Glauben an ihn, als sie ihn während einer Büßerprozession das Kreuz tragen sieht.

Geprägt ist Hernandos Leben natürlich von den Frauen in seinem Leben: seine Mutter Aisha, seine erste Frau Fatima, die von ihm vor der Sklaverei gerettete Christin Isabel und schließlich seine zweite Frau Rafaela. Stets lenken sie aus dem Hintergrund seine Schritte und Entscheidungen. Wie so oft im Leben steht hinter jedem Mann oft sogar mehr als eine starke Frau. Das dürfte auch als Botschaft zum Mitnehmen gelten: Wahre Liebe überwindet selbst religiöse Auffassungsunterschiede.

Auch die Mezquita existierte nicht mehr als solche, war jetzt eine christliche Kathedrale, aber es hieß, man könne noch die Arabesken und den gewaltigen maurischen Säulenwald in der alten Gebethalle mit den doppelten Hufeisenbögen sehen, die sie zu einem so einzigartigen Bauwerk machten.

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Krimi Roman

Donna Leon – In Sachen Signora Brunetti

Sonne im Winterwald

Ach, welch beruhigende Normalität entfaltet sich in Donna Leons Venedig. Selbst bei einem einigermaßen originellen, wenn auch wenig spannenden Kriminalfall, selbst wenn Brunettis Frau wenn schon nicht betroffen, doch zumindest involviert sein könnte … selbst dann plätschert Brunetti ruhig und entspannt vor sich hin. Eine Erholung sozusagen …

Brunettis Frau Paola ist eine sehr moralische Frau mit starken Wertvorstellungen. Die Kirche ist ihr ein Dorn im Auge, wie man in mehreren der Krimis lesen kann. In diesem Fall wendet sich ihr Ärger gegen ein Reisebüro, das Reisen nach Thailand anbietet – ein Deckmantel für Kinderprostitution. Die Reisen anzubieten ist in Italien keine Straftat, was in Thailand geschieht, bleibt in Thailand. Was genau Paola bezwecken will, indem sie dem Reisebüro die Scheibe einwirft, bleibt im Unklaren. Die Medienaufmerksamkeit hätte sich doch wohl auch ohne diese Straftat auf diese Ungerechtigkeit lenken lassen? Im Gegensatz zur Lösung des Kriminalfalls gibt es für diesen Konflikt zwischen dem Ehepaar keine Lösung. Wie real, aber leider auch langweilig. Wieder mal. Aber schnell vorbei. Und erholsam. Irgendwie.

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Krimi Roman Thriller

Jo Nesbo – Leopard

Eis am Senningbach

Volltreffer. Natürlich. So banal war der Mensch. Wir glauben, weil wir glauben wollen. An Götter, weil uns das die Angst vor dem Tod nimmt. An die Liebe, weil sie das Leben schöner macht. An das, was verheiratete Männer sagen, weil es das ist, was verheiratete Männer sagen.

Jo Nesbo wurde mir von den Krimispezialisten schon lange ans Herz gelegt, allerdings habe ich sowieso eine ziemlich hohe Krimi-Quote in meiner Buchzusammenstellung, daher wollte ich vorerst mal in eine andere Richtung gehen. Amazon machte dann mit seiner Gratis-Kindle-Buch-Aktion zu Weihnachten diesem Vorsatz ein Ende. Darunter war unter anderem „Leopard“ – wie ich erst nach der Lektüre mitbekam, bereits Harry Holes achter Fall und „der härteste Nesbo“. Eigentlich kein Einsteigermaterial.

Wie zu erwarten (wegen der Empfehlung der Krimispezialisten, die Donna Leon und ihren Brunetti wegen der Weichspülermentalität verachten) ist der Protagonist eine kaputte Existenz, geplagt von Süchten und Dämonen. Nur sein kranker Vater bewegt Harry dazu, aus seinem Exil zurückzukehren. Den Fall will er eigentlich gar nicht bearbeiten, erst verschiedenste Umstände reißen das Ruder mehrmals herum.

Der Leopoldsapfel, eine von Jo Nesbo selbst erfundene Folterwaffe, ist bei weitem nicht das Grausamste an diesem Roman. Harry Hole selbst fügt sich im Kampf um sein Leben unfassbare Schmerzen zu, die Beschreibung seiner Verletzungen jagt mehr als nur eine Gänsehaut über den Rücken. Dagegen ist der Wahn des Mörders eine Kleinigkeit. Um den Spaß nicht zu verderben, möchte ich über den Inhalt Schweigen walten lassen. Wer sich mit diesem düsteren Weltbild anfreunden kann, wo Polizisten wie Verbrecher gleichsam hauptsächlich schlechte Eigenschaften haben, der wird an Jo Nesbo sicher seine Freude haben. Es ist ein brillant geschriebener Krimi, packend erzählt, mir fällt nichts ein, was einen Vergleich rechtfertigen würde. Trotzdem brauche ich jetzt zum Ausgleich eine Runde Scheibenwelt.

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Klassiker Roman

Nathaniel Hawthorne – Der scharlachrote Buchstabe

Wintersonne

Ich habe die Schwäche, Leute, die nicht gerade besonders unangenehm sind, gewöhnlich ganz gut leiden zu können. Ich sehe zuerst immer die guten Seiten meines Gegenübers, wenn solche da sind, und beurteile den Menschen danach. Weil die meisten dieser alten Zollbeamten gute Seiten hatten und weil die väterliche und beschützende Stellung, die ich ihnen gegenüber einnahm, freundschaftlichen Regungen zuträglich war, mochte ich sie bald alle gern.

Hier haben wir wieder mal einen Autor, der im Plauderton erst seine eigene berufliche Lage schildert, um schließlich mit einer Geschichte aufzuwarten, die von Schmerzen und Sünde nur so trieft. Jahrelanges Leiden und Büßen ereilt den Sünder, dessen Sünde offenbar wird. Vergebung war damals nicht so das Hauptthema.

Einmal trat dieser merkwürdige, unheimliche Ausdruck in Pearls Augen, als Hester gerade, wie es Mütter gern tun, ihr eigenes Spiegelbild darin suchte. Plötzlich war es ihr – denn einsame Frauen, die ein Kummer drückt, werden oft von unerklärlichen Wahnvorstellungen heimgesucht –, als sehe sie in dem kleinen schwarzen Spiegel nicht ihr eigenes verkleinertes Abbild, sondern ein fremdes Gesicht.

Kurzgefasst: Die Sünderin Hester Prynne wird an den Pranger gestellt, sie hat ein Kind geboren, will nicht sagen von wem, ihr Mann ist verschollen. Für ihr Leben wird sie mit dem scharlachroten A gekennzeichnet, dass sie fortan immer an ihrer Brust zu tragen hat. In einer einsamen Hütte zieht sie das Kind auf, ein Mädchen, das ihr Ein und Alles ist. Erst nach vielen Jahren enthüllt der Autor die Vaterschaft, gerade als sich für die an der Sünde Beteiligten ein Ausweg zu bieten scheint, greift das Schicksal ein und vereitelt die Pläne der Liebenden.

Es wäre der Betrachtung und Untersuchung wert, ob Haß und Liebe nicht im Grunde dasselbe sind. Beide können sich nur bei einem hohen Grad von Vertrautheit und Herzenskenntnis voll entfalten; im Haß und in der Liebe ist ein jeder in seinem triebhaften und geistigen Leben auf den anderen angewiesen, und der leidenschaftlich Liebende wie der nicht weniger leidenschaftlich Hassende bleiben verzweifelt und elend zurück, wenn ihnen ihr Gegenüber entzogen wird.

Wikipedia nennt das Buch „eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur“. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Ich kann mir diese Geschichte sehr gut dramatisiert vorstellen, als Film oder als Musical, da es soviel Interpretationsspielraum zulässt. Die Gefahr durch den Arzt Chillingworth erschien mir beim Lesen der Geschichte nicht so plastisch, eine Bedrohung nicht greifbar. Eine Musicalfassung gibt es laut Wikipedia nicht, das wäre doch vielleicht mal ein spannendes Projekt für Frank Wildhorn und seine großen Balladen? Dann würde vielleicht auch ich die tieferen Töne dieser Geschichte verstehen.