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Roman

David Lagercrantz – Vernichtung

Im dritten Fortsetzungsteil um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist wird das Tempo noch einmal deutlich angezogen. Schon auf den ersten 50 Seiten kommt es zur Konfrontation zwischen den Schwestern Lisbeth und Camilla, die natürlich noch zu keinem Ergebnis führt, da liegen dann noch einige Seiten und Geheimnisse dazwischen.

Was mir beim Wiederlesen von Stieg Larsson aufgefallen war, konnte ich in kleinerem Ausmaß auch bei David Lagercrantz feststellen: Bezugnahme auf aktuelle Geräte, Technologien bzw. Medienereignisse verorten das Buch deutlich in seiner Zeit. In diesem Roman spielen etwa Trollfabriken und Fake News eine Rolle. Den Verweis auf Pizzagate hab ich überhaupt nur wegen Reply All verstanden. Wäre interessant, zu wissen, ob Leser*innen in einigen Jahren damit überhaupt noch etwas anfangen können. Jedenfalls hat der Autor auch hier geschickt Geschichten miteinander verwoben und eine spannende Fortsetzung geschaffen.

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English Roman

Claire-Luise Bennett – Pond

The hopelessness of everything I was trying to occupy myself with was at last glaringly crystal clear.

Irgendwie hatte ich die ganze Zeit während des Lesens das Gefühl, als ob ich nicht genau wüsste, worum es eigentlich geht. Ich fühlte mich erinnert an Leni Zumas – The Listeners und Ottessa Moshfegh – My Year of Rest and Relaxation, mit denen ich nicht wirklich viel anzufangen wusste. Möglicherweise war es die kürzliche Lektüre von Sylvia Plath – The Bell Jar, die mich dann vermuten hat lassen, dass die Protagonistin, die im Stream-of-consciousness-Stil erzählt, vermutlich an einer Depression leidet.

The large-scale changes in fact were of no interest to me at all; it was the small things that remained constant which sort of attracted me.

In diese gedankliche Richtung geschubst hat mich die ausführliche Referenz auf Marlen Haushofer – Die Wand. Neben der Einsamkeit, die die ebenfalls namenlose Erzählerin erlebt, stellt sie auch fest, dass die Kategorien, die sie bisher zur eigenen Identifikation verwendet hat, nun alle nicht mehr von Bedeutung sind. Als letzter lebendiger Mensch ist es schließlich egal, was für Rollen wir früher für uns gesehen haben.

Then it occurred to me that perhaps I’d been terrified for longer than all day, and I had rather mixed feelings upon realising that – I wasn’t much keen on the idea that I had been terrified for years, but it seemed possible. 

Gegen Ende des Buches werden die Sprünge größer, die Bezüge unwirklicher, die Erzählerin scheint den Faden zu verlieren. Gleichzeitig schleicht sich langsam die Erkenntnis ein, dass hier definitiv etwas nicht stimmt. Gepaart mit der Frage, wo das eigentlich alles hinführen soll.

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English Roman

Sylvia Plath – The Bell Jar

The big questions: how to sort out your life, how to work out what you want, how to deal with men and sex, how to be true to yourself and how to figure out what that means – those things are the same today.

Zu Beginn muss ich zugeben, dass ich über Sylvia Plath, ihr Leben oder ihren einzigen Roman The Bell Jar absolut nichts wusste. Ich wusste nicht mal, was die Wortkombination Bell Jar überhaupt bedeutet. Aus dem Buch habe ich dann erfahren, dass es sich um eine Glasglocke handelt (ich musste an jene denken, in der in Die Schöne und das Biest die Rose langsam ihre Blätter verliert). Etwas erstaunt war ich dann, als ich schon in der Einleitung von Frances McCullough aus dem Jahr 1996 las, dass dieses Buch im englischsprachigen oder amerikanischen Sprachraum als weibliches Pendant zu J. D. Salingers Fänger im Roggen gehandelt wird (… it quickly established itself as a female rite-of-passage novel, a twin to Catcher in the Rye). Beide Bücher beschäftigen sich mit dem Übergang von der jugendlichen Lebensphase in die Erwachsenenphase. Der Fänger im Roggen war eines der Bücher, an die ich mich erinnere, weil die gesamte Klasse sie im Deutschunterricht damals lesen musste. Viele andere Bücher wurden jeweils nur in der Form durchgenommen, dass ein*e Schüler*in sie lesen und dann ein Referat darüber halten musste. Neben Der Fänger im Roggen erinnere ich mich an Gernot Wolfgrubers Herrenjahre und Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf. Als „weibliches Gegengewicht“ hatten wir in meiner Erinnerung Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin.

Während der Lektüre fragte ich mich dann natürlich, warum The Bell Jar damals nicht in unserem Literaturkanon vorkam. Ich habe seit meiner Kindheit extrem gern gelesen und auch schwierigere Werke, die eigentlich nicht meiner Altersklasse entsprachen, konnten mich im Allgemeinen nicht erschrecken. Mit Elfriede Jelinek wusste ich jedoch nichts anzufangen. Und The Bell Jar erschien mir jetzt als wesentlich sinnvollere Alternative für mich und meine damaligen Altersgenossen. (Wobei ich immer noch lieber The Giver vorschlagen würde …)

I could have called down and asked for a breakfast tray in my room, I guess, but then I would have to tip the person who brought it up and I never knew how much to tip.

Was Sylvia Plath in The Bell Jar meisterhaft gelingt, ist die Darstellung der das ganze Leben umfassenden und erdrückenden Unsicherheit, die uns auf der Suche nach uns selbst zurückhält und manchmal sogar erstickt. Ihre Schilderung der Protagonistin Esther in ihrem Zustand der Orientierungslosigkeit, Verzweiflung und Depression hat mich tief beeindruckt. Dass ihre Beschreibung der Depression auf ihren eigenen Erfahrungen beruht, macht die Geschichte noch umso mehr glaubhafter. Das obige Zitat stammt aus dem Beginn des Romans, wo Esther noch scheinbar in die Gesellschaft passt und ihren Weg irgendwie vor sich sieht. Doch selbst da zeigt sich ihre Unsicherheit, ihr Versuch, in die Gesellschaft zu passen und nicht negativ aufzufallen, schon in kleinen Gesten, die sie von den anderen Mädchen in ihrer Gesellschaft abheben.

The trouble was, I hated the idea of serving men in any way. I wanted to dictate my own thrilling letters.

Gleichzeitig findet sich in diesem Roman etwas deutlich Feministisches; unter anderem die Frage, warum das sexuelle Verhalten von Frauen und Männern mit zweierlei Maß gemessen wird. Das wird auch ausführlich erläutert in diesem Lithub-Artikel über eine neu erschienene Biographie über die Autorin. Auch Kritik über ihre Verwendung von rassistischen Begriffen findet dort ihren Platz, wobei ich denke, dass ihre Verwendung von bestimmten Begrifflichkeiten auch in ihrem zeitlichen Kontext gesehen werden muss. Das soll keine Entschuldigung sein, aber ich kann einfach nicht einsehen, warum wir Astrid Lindgren verurteilen sollten, weil Pippi Langstrumpf 1945 keinen Südseekönig, sondern einen Begriff, den wir heute nicht mehr nennen wollen/sollen, zum Vater hatte. Es ist wichtig, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen und sie nicht zu ignorieren, es kann aber in meinen Augen kein Grund sein, um das gesamte Werk einer Autorin zu verdammen.

Lange Rede, kurzer Sinn: The Bell Jar beschreibt eine junge Frau, die auf der Suche ist und daran beinahe zerbricht. Auf der Suche nach dem richtigen Lebensweg, auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach Verständnis, auf der Suche danach, wahrgenommen zu werden, so wie sie ist. Ich wünschte wirklich, ich hätte das in meiner Jugendzeit lesen dürfen.

To the person in the bell jar, blank and stopped as a dead baby, the world itself is the bad dream.

A bad dream.

I remembered everything.

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Krimi Roman

David Lagercrantz – Verfolgung

Aber diese Forscher – und allen voran ein gewisser Professor der Soziologie namens Martin Steinberg – waren der Meinung, dass wir mehr oder weniger zwangsläufig von äußeren Umständen beeinflusst würden. Ein bestimmter Muttertyp, bestimmte soziale und kulturelle Faktoren sollten mehr oder weniger automatisch einen bestimmten Menschenschlag hervorbringen. Aber so ist es nicht – bei Weitem nicht. Der Mensch ist viel komplexer.

Der Start in den zweiten Teil der Fortsetzung der Millenium-Reihe von David Lagercrantz nach Stieg Larsson ist überraschend, die Leserin findet die Protagonistin Lisbeth Salander im Gefängnis wieder. Diese Geschichte erweist sich als erstaunlich dicht, sie enthält eine Vielzahl gesellschaftlicher und sozialer Probleme und zusätzliche Protagonist*innen, die mit Lisbeths Kindheit und Jugend in Zusammenhang stehen.

Im obigen Zitat nehme ich Bezug auf ein soziologisches Experiment, dem Lisbeth, ohne es zu wissen, angehörte. Ich musste dabei darüber nachdenken, wie viel ich in meinen 6 Semestern Bildungswissenschaft über die ethischen und moralischen Schwierigkeiten mit soziologischen Experimenten gelernt habe. Es ist im Prinzip unmöglich, das Verhalten von Menschen unbeeinflusst zu beobachten: Es ist ethisch nicht vertretbar, Menschen ohne ihre Einwilligung zu beobachten. Sobald Menschen allerdings wissen, dass sie beobachtet werden, reagieren sie anders, als sie es ohne das Wissen, dass sie beobachtet werden, getan hätten. Unterschiedliche Formen von Bias wurden hierbei untersucht und definiert.

In der Gestalt der Familie Kazi wird auch ein religiöser Aspekt zum Thema; ein Bereich, der in meiner (kürzlich aufgefrischten) Erinnerung in den ersten drei (bzw. vier) Bänden keine Rolle spielte. Wobei eher die Kritik an der fundamentalistischen Auslegung des Korans durch die männlichen Familienmitglieder und die damit in Zusammenhang stehende Unterdrückung von Lisbeths Gefängnisnachbarin Faria Kazi im Vordergrund steht.

Jedenfalls handelt es sich hier um eine gelungene Fortsetzung der Reihe, die auf deutlich weniger Seiten als der vierte Band (in meinem Fall in der Onleihe-App mit angepasster Schriftgröße: Band 4: ~830, Band 5: –530) eine sehr dichte Kriminalgeschichte präsentiert, die (Achtung, es folgt ein Minispoiler) die Auflösung von Lisbeths Konfrontation mit ihrer Schwester Camilla in den 6. Band verschiebt.

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Roman

Marilynne Robinson – Gilead

I’ve often been sorry to see a night end, even while I have loved seeing the dawn come.

Dieses Buch stand lange ganz oben auf der Liste der interessanten Bücher, was hauptsächlich daran liegen dürfte, dass ich es zu dem Zeitpunkt hinzugefügt hatte, als ich das letzte Mal meine diesbezüglichen Aufzeichnungen in ein anderes System (aktuell ein Spreadsheet mit Filtermöglichkeit danach, wo die jeweiligen Bücher verfügbar sind) transferiert hatte. Das dürfte im Sommer 2016 gewesen sein.

Mir war nicht bewusst gewesen, dass es sich um eine Reihe handelt (Gilead – Home – Lila), von der aktuell gerade der vierte Band mit dem Titel Jack erschienen ist. Obwohl ich große Schwierigkeiten hatte, mich in dieses Buch wirklich hineinzuversetzen, bin ich nun trotzdem neugierig, wie daraus eine Reihe werden soll.

Another morning, thank the Lord. A good night’s sleep, and no real discomfort to speak of.

Der Ich-Erzähler des Romans ist ein Mann am Ende seines Lebens, er fühlt das schrittweise Versagen seines Körpers und versucht, dankbar für jeden weiteren Tag zu sein, den er mit seiner deutlich jüngeren Frau und seinem Sohn verbringen kann. Er ist außerdem Priester und hadert mit sich selbst und den (negativen) Gefühlen, die er dem Sohn des Freundes (Jack) entgegenbringt. Das Geschriebene ist an den eigenen Sohn gerichtet, der diese Aufzeichnungen nach dem Tod des Vaters erhalten soll, dient aber eigentlich dem Nachsinnen über das Altern, über das Zurücklassen von Menschen, über das Gute und Böse an sich.

But are there people who are simply born evil, live evil lives, and then go to hell?

Passend zur „aktuellen Situation“ fand ich eine kurze Passage, die die Zeit der Spanischen Grippe beschreibt:

We lost so many of the young people. And we got off pretty lightly. People came to church wearing masks, if they came at all. They’d sit as far from each other as they could.

Notiert hatte ich mir das Buch übrigens aufgrund einer Empfehlung von Nick Hornby in All You Can Read. Er schreibt sinngemäß, dass die Begleitumstände, in denen wir Bücher lesen, unsere Wahrnehmung davon beeinflussen: ein Phänomen, das ich auch immer wieder an mir wahrnehme. Er schreibt über den Seelenfrieden, der sich in Gilead ausbreitet und den er zu diesem Zeitpunkt gerade dringend brauchte. Möglicherweise hätte ich mehr daraus ziehen können, hätte ich mir diese Empfehlung vorher nochmal durchgelesen und nicht die ganze Zeit darauf gewartet, dass etwas passiert. Es ist weniger eine Geschichte als eine Meditation über die Themen, die am Ende unseres Lebens noch wichtig sind und wie wir mit diesen Frieden machen können.

If you think how a thing we call a stone differs from a thing we call a dream – the degrees of unlikeness within the reality we know are very extreme, and what I wish to suggest is a much more absolute unlikeness, with which we exist, though our human circumstance creates in us a radically limited and peculiar notion of what existence is.

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Krimi Roman

David Lagercrantz – Verschwörung

Und wer weiß, vielleicht verleitete der Wunsch, anderen zu gefallen, die Menschen ja genauso oft zu Verbrechen und moralischen Grenzverletzungen wie Tücke oder Gier.

Knappe zehn Jahre ist es her, dass ich Stieg Larssons Millenium-Trilogie (Verblendung, VerdammnisVergebung) das erste Mal gelesen habe. Der Autor war leider damals bereits verstorben, er starb 2004 an den Folgen eines Herzinfarkts. Seine Buchreihe war angeblich auf zehn Bücher ausgelegt. Der Verlag Norstedts beauftragte schließlich den schwedischen Autor David Lagercrantz mit der Fortsetzung der Reihe, die allerdings nicht auf dem bereits vorliegenden Material von Stieg Larsson basiert.

„Ist es wirklich so weit gekommen, Sonja?“

„Was meinst du?“

„Dass man nichts mehr schreiben oder sagen kann, ohne das Risiko einzugehen, dass man dabei überwacht wird.“

Bevor ich mich also der Fortsetzung der Millenium-Reihe widmete, wollte ich mir die ersten drei Bücher wieder ins Gedächtnis rufen und war überrascht, wie schlecht die Romane gealtert sind. Die häufigen Verweise auf bestimmte Produkte bekannter Computerhersteller, verankern das Buch ganz deutlich am Beginn dieses Jahrtausends. Was damals frisch und spritzig wirkte, fühlt sich zehn Jahre später angestaubt an. Schlecht gealtert fand ich auch die ersten Beschreibungen der Hackerin Lisbeth Salander, die sich massiv auf ihre körperlichen Eigenschaften und die Vorurteile, die oft auf Äußerlichkeiten basieren, konzentrieren. Aus heutiger Sicht erscheint mir diese anfängliche Darstellung dieser komplexen Persönlichkeit nahezu frauenfeindlich.

„Dass heißt also, im selben Moment, in dem wir eine solche Superintelligenz erschaffen, verlieren wir die Kontrolle darüber.“ 

„Es besteht das Risiko, dass alles, was wir über unsere Welt wissen, seine Gültigkeit verliert, und das könnte das Ende unserer menschlichen Existenz bedeuten.“

„Machen Sie Scherze?“

David Lagercrantz setzt sich natürlich der Gefahr aus, die beliebten Protagonist*innen Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist in andere Richtungen laufen zu lassen, als Stieg Larsson das ursprünglich vorgesehen hatte. Andererseits werden wir nie erfahren, welche Zukunft Stieg Larsson erfunden hätte und beim Lesen dieses 4. Teils der Millenium-Trilogie war ich dann schon eher froh, noch mehr Zeit mit den bekannten Figuren verbringen zu können.

Die Themen Hacking, Überwachung und Korruption stehen weiterhin im Vordergrund, dazu kommt eine Beschäftigung mit den unterschiedlichen Formen von Autismus, die für Menschen, die sich intensiver mit diesem Thema auskennen, sicher sehr oberflächlich ausfällt. Trotzdem finde ich es nicht schlecht, dafür auf diese Weise Bewusstsein zu schaffen. Ein weiteres Thema, das wiederum diese Bücher in ihre Zeit einbetten dürfte, ist die Forschung bezüglich Künstlicher Intelligenz (Automatisierung intelligenten Verhaltens und maschinelles Lernen), die gerade sehr in Mode ist. In zehn Jahren werden uns diese Anfänge der Künstlichen Intelligenz möglicherweise ebenso veraltet vorkommen wie ICQ, das irgendwo in den ersten drei Teilen der Millenium-Reihe erwähnt wird. Auch die philosophische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von künstlicher Intelligenz bleibt an der Oberfläche, kann aber hoffentlich bei Leser*innen eine weitere Beschäftigung mit dem Thema anregen.

Während die ersten drei Bände Lisbeths Verhältnis zu ihrem Vater und ihre schwierige Kindheit auflösten, wage ich zu prognostizieren, dass sich die Bände 4 bis 6 mit der abtrünnigen Schwester Camilla befassen werden. Zum Glück kann ich alle drei hintereinander lesen ;-)

Vielleicht hat er sein Lebenswerk wirklich zerstört. Vielleicht hat er erst am Ende seine ganze Widersprüchlichkeit offenbart und ist zu einem wahren Menschen geworden, im besten Sinne des Wortes.

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English Roman

Pamela Erens – Eleven Hours

Dieses kurze Werk dreht sich um zwei Frauen: Lore, die in dieser Nacht ihr Kind zur Welt bringen wird und Franckline, die als Krankenschwester auf der Entbindungsstation arbeitet und Lore während ihres Geburtsprozesses begleitet. Während Lore ihre Wehen durchmacht (die unterschiedlichen Schmerzen und Gefühle, die dabei aufkommen, werden ausführlich beschrieben), erfährt die Leserin auch Hintergrundgeschichten über beide. Franckline ist selbst schwanger und hat große Angst, ihr Baby zu verlieren, da sie bereits eine Fehlgeburt erlebt hat. Lore denkt an den Kindsvater, den sie wegen einer Dreiecksgeschichte mit ihrer Freundin Julia aus ihrem und dem Leben des Kindes verbannt hat. Wobei das Problem eigentlich nicht die Dreiecksgeschichte zu sein scheint, denn Lore liebt(e) Julia ja auch, sondern die Heimlichkeit, der Betrug, den Lore nun beiden geliebten Menschen nicht verzeihen kann. Die Schmerzen des Geburtsprozesses lassen sie an ihrer Entscheidung zweifeln, dem Kind als alleiniges Elternteil genügen zu können.

Das Aufschneiden des Rings, den Lore sich selbst gekauft hat, und der nun ihrem geschwollenen Finger die Blutzufuhr abschnürt, steht symbolisch für einen Abschied von ihrem früheren Leben. Sie wird ab jetzt nicht mehr dieselbe Lore sein, die sie war, sie wird ab jetzt Mutter sein und damit für immer an ihr Kind gebunden. Eine Bindung, die sich nicht so einfach zerstören lässt wie die Beziehung zum Kindsvater und ihrer Freundin.

Obwohl es also oberflächlich um den Geburtsprozess geht, stehen daneben auch die Beziehungsthemen, die zu komplizierten Verhältnissen führen und die Ängste und Zweifel, die Frauen am Rande der Mutterschaft plagen.

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Roman

Gertraud Klemm – Aberland

Warum wir nicht Papas Geld nehmen? Schon das Kindergartenkind hat ein Gespür für die Heilsversprechen konservativer Familienpolitik, […]

Dieses Buch erzählt abwechselnd aus den Leben von Franziska und Elisabeth, (es folgt ein kleiner Spoiler), wie sich Stück für Stück herausstellt, ist Elisabeth Franziskas Mutter. Beide reflektieren über ihr Leben, mit ihren Kindern, mit ihren Ehepartnern, über die Rollen von Frauen, die sich zwischen den Generationen leider nur sehr marginal verändert haben.

[…] sie hat kein schlechtes Gewissen mehr, immerhin ist sie Mutter, sie wird sicher bald schwanger und dann hat sie noch neun Monate, streng genommen ist sie in der Endphase ihrer Doktorarbeit, Mutter, und Veganerin ist sie jetzt auch noch, und burnoutgefährdet; irgendwo muss man Abstriche machen.

Franziska ringt mit ihrem Leben. Dem Sohn zuliebe hat sie ihre Dissertation unterbrochen; die Frage, warum Mama überhaupt arbeiten muss, wo doch Papa ohnehin Geld hat, ist einem Dreijährigen kaum zu erklären. Franziskas Ehemann wünscht sich (mindestens) ein zweites Kind, während Franziska nur aufatmet, dass Manuel endlich „aus dem Gröbsten raus ist“.

Franziska, das Gegenteil. Immer schon eine kleine Erwachsene, mit ihrer schlechten Laune und dem Verantwortungsgefühl für die ganze Welt. Als Kind schon mit der Furche zwischen den Augenbrauen, mit den strengen Gesetzen, die zu befolgen sie sich zwang.

Franziska fühlt sich offensichtlich von den unzähligen an sie gerichteten Erwartungen unterdrückt, Elisabeth hingegen urteilt, dass Franziska sich immer schon an von ihr selbst aufgelegte Regeln hielt. Vielleicht kann beides nebeneinander Richtigkeit haben, denn auch der Widerstand gegen gesellschaftlich auferlegte Normen kostet Kraft. Aus einer sicheren Position heraus ist es oft einfacher, sich den Normen anzupassen, als gegen sie zu kämpfen.

Etwas von ihr musste übrig bleiben, für die Zeit danach, wenn Manuel groß ist, dann ist sie Mitte fünfzig, was ist dann, welche Bedeutung hat sie dann, […]

Zwischen ihrer Dissertation, dem Haushalt, der Ehe, dem Kind sucht Franziska nach dem, was von ihr selbst eigentlich übrig bleibt. Der ständige Vergleich mit den anderen scheinbar perfekten Müttern tut sein Übriges, um das Wohlbefinden zu beeinträchtigen. 

[…] wie machen die das, die beruflich erfolgreichen Mütter, die ihr Recht auf Bildung eingelöst und sich trotzdem nicht der Fortpflanzung verweigert haben, wie sieht es bei denen zu Hause aus, stapeln sich da der Dreck und die Rechnungen?

Diese Aufzählung von weiblichen Klischees könnte lustig sein, wenn sie nicht so viel Wahrheit beinhalten würde. Für eine Satire fehlt jedoch der Biss, das Leben der beiden Frauen plätschert zwischen Gesellschaft und Familie dahin. Die Gewöhnlichkeit trieft zwischen den Zeilen durch.

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English Roman Science Fiction

John Scalzi – Redshirts

“Jenkins, listen to me,” Dahl said, leaning in, “There’s no way to hide from this. There’s no way to run from it. There’s no way to avoid fate. If the Narrative exists – and you and I know it does – then in the end we don’t have free will. Sooner or later the Narrative will come for each of us. […]”

Ohne Spoiler wird dieser Blog Post nicht funktionieren. Ich glaube zwar, dass durch ein voriges Wissen der Struktur der Geschichte der Lesespaß nicht vollkommen verdorben wird. Ich könnte mir nach dem letzten Drittel durchaus vorstellen, dass es interessant wäre, den vorderen Teil nochmal mit anderem Wissen zu lesen. Aber seid gewarnt, ich werde essenzielle Teile der Geschichte verraten müssen, um zu beschreiben, was an dieser Geschichte gut und irritierend ist. Wobei ich vorab sagen möchte, dass es sich sowohl als Unterhaltung gut lesen lässt, als auch als existenzielle Frage nach dem Wesen des Menschen und der Möglichkeit des Freien Willens.

Im ersten Teil geht alles sehr schnell, wir lernen einige Personen kennen, die gerade ihren Dienst auf dem Raumschiff Intrepid antreten. Bevor ich mir noch alle Namen gemerkt hatte, waren bereits die ersten dieser Personen auf einer Außenmission zu Tode gekommen. Wie sich später zeigt, steckt dahinter ein Muster. Während die lange gedienten Crew-Mitglieder immer wieder mit dem Leben davon kommen, kommt bei jeder Außenmission zumindest ein frisches Crew-Mitglied grausam zu Tode. Was die neuen Crew-Mitglieder misstrauisch macht. Ein mysteriöser Yeti-ähnlicher Charakter, der aus den Frachttunneln tief im Inneren des Raumschiffs auftaucht, trägt zusätzlich zur Verwirrung bei.

Es folgt die Erkenntnis, dass die handelnden Personen Nebencharaktere in einer schlechten Science-Fiction-Serie sind. Wobei unterschwellig die Frage nach dem freien Willen erörtert wird und die Frage, was eine Person überhaupt zu einer Person macht. Sind die Charaktere der Serie nun eine eigene Person, obwohl derselbe Körper in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort ein völlig anderes Leben führt?

Die Charaktere auf der Intrepid erarbeiten einen relativ absurden Plan, um mit den Produzent*innen der Serie in Kontakt zu treten, um so ihren eigenen Tod zu verhindern. Mit einem großen Knall verschwinden sie dann alle aus dem Buch, um im letzten Teil Platz zu machen für den Schreiber der Serie, der nun damit hadert, dass er nichts mehr schreiben kann, ohne sich dabei als Mörder zu fühlen. Das Ende wartet mit einer überraschenden Enthüllung auf, die für den abrupten Bruch mitten im Buch nur halbwegs entschädigt.

“Doesn’t that mess with you?” Abnett asked. “Knowing that you exist, and don’t exist, and are real and aren’t, all at the same time?”

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Roman

Bernard Cornwell – Das Königsschwert

Der große Herr Uthred! Eine gewaltige Last senkte sich auf mein Herz, als ich diese Worte hörte. Ansehen! Wir streben danach, wir schätzen es hoch, und dann wendet es sich gegen uns wie ein in die Enge getriebener Wolf.

Wieder überlebt Uthred einen König, genau genommen sogar mehrere. Der Autor lässt in diesem Roman Uthred mehr an sich zweifeln als sonst. Auch eine harsche Demütigung muss er einstecken. Und das nur, weil er wieder mal versucht, seinen Eid zu halten … Versteckt kämpfen sich Uthred und seine Begleiter*innen (tatsächlich!) durch die vom Feind besetzte Stadt. Irgendwann fliegt die Verkleidung natürlich auf. Und wieder warten wir auf ein Wunder, das den Helden aus seiner misslichen Lage rettet … vielleicht habe ich mich nur etwas gelangweilt, weil ich davor die ersten elf Bände der Reihe erneut gelesen habe. Da sind die Parallelen zwischen den einzelnen Schlachten und Situationen dann deutlicher zu sehen, als wenn jedes Buch für sich mit Abstand zu den anderen gelesen wird.