Categories
English Erfahrungsbericht Memoir

Abi Morgan – This Is Not A Pity Memoir

CN dieses Buch: Krankheit, Koma, Suizid, Krebs, Alkoholmissbrauch
(Anmerkung: Ereignisse der letzten Jahre wie die Covid19-Pandemie oder die Ermordung von George Floyd werden im letzten Teil des Buchs erwähnt)
CN dieser Post: –


But we are not all right, we are so far from all right. We are this broken family.

Es ist bedrückend, was Menschen alles zustoßen kann. Und beeindruckend, wie sie trotzdem weiter machen. Die Autorin führt die Leser:innen durch Jahre voller Ungewissheit. Sie lässt uns teilhaben an den Momenten der Hoffnung, an denen sie sich festklammert, spart aber auch die Momente der Verzweiflung nicht aus, in denen sie nicht mehr weiter weiß und aufgeben als eine reale Alternative erscheint.

And I am reminded that alongside the ghost of you, the ghost of us, there is the ghost of our past life.

Das Buch beschreibt Jahre, in denen sich für diese Familie Krise an Krise reiht. Und dabei sind die letzten Jahre nur eine Randnotiz. Erfüllt ist es jedoch auch von der Dankbarkeit für all die Unterstützung, die sie durch Familie und Freunde erfahren hat. Für all die Menschen, die uns ein wenig Last abnehmen, wenn wir sie nicht mehr allein tragen können. Unfassbar traurig und unfassbar hoffnungsvoll. 

Categories
English Fantasy Roman

Tamsyn Muir – Gideon The Ninth

CN dieses Buch: Gewalt, Tod, Mord
CN dieser Post: –


“Too many words,” said Gideon confidentially. “How about these: One flesh, one end, bitch.”

The Ninth House necromancer flushed nearly black. Gideon tilted her head up and caught her gaze: “Say it, loser.”

“One flesh – one end,” Harrow repeated fumblingly, and then could say no more.

Wenn ich doch nur noch wüsste, wie es dieses Buch auf meine ToRead-Bookmark-Liste in der Libby-App geschafft hat …  Generell halte ich ja Genres (und die Art und Weise, wie sie oft verwendet werden, um Bücher in Literatur und Unterhaltung zu spalten) eher für unnötig. Aber um diesem Buch gerecht zu werden, muss ich erwähnen, dass die Geschichte wohl zu einem Genre zu zählen ist, das für mich völlig neu ist: Necromancer Fantasy.

Eine komplette Fantasiewelt, in der zu Beginn viele Wörter für mich keinen Sinn ergeben (manche übrigens auch am Ende noch nicht ganz). Neun Häuser, die alle einem unsterblichen Oberhaupt zu dienen haben. Ein Wettbewerb, in dem aus jedem Haus jeweils ein Necromancer und ihr:sein Kavalier als Team antreten, um die gehobene Position des Lyctors zu erreichen. Fein gezeichnete Charaktere (so viele davon, dass ich teilweise den Überblick über die Personen aus den verschiedenen Häusern verloren habe). Eine detailliert beschriebene Fantasiewelt, die ich mir trotzdem nur sehr mangelhaft ausmalen konnte. Ein Zusammenwachsen von Personen, die von Beginn an wie Feuer und Wasser wirken. Selten habe ich eine so überzeugende Umsetzung des klassischen Tropus „sie hassen sich/sie lieben sich“ gelesen. Einfach großartig. 

Und das Coverbild ist auch spektakulär. Großartige Arbeit von Tommy Arnold für Tor Books.

Categories
English Roman

Miriam Toews – Fight Night

CN dieses Buch: Suizidgedanken, psychische Krankheit, sexuelle Handlungen, Geburt, Tod
CN dieser Post: –


Fighting is so hard and yet we’re never supposed to stop!

Manche Bücher sind unbeschreiblich und dieses zählt zu dieser Kategorie. Die Zutaten Roadmovie, sprunghafte Protagonist:innen, tiefgehende Emotionen, Absurdität und Stream of consciousness-Stil vermischen sich zu einem Cocktail, der bei jedem Schluck einen anderen Geschmack zu haben scheint.

It’s not even written down, I said. It’s not real! Things don’t have to be written down to be real, said Grandma.

Der Titel Fight Night ist eigentlich nicht ganz logisch, denn hier wird das tägliche Leben als Kampf beschrieben. Jeder einzelne Tag als neuer Kampf gegen die Welt, gegen die anderen und manchmal sogar gegen sich selbst. Kämpfen, durchhalten und weitermachen. Nur so funktioniert das Leben. (Zumindest in diesem Buch.)

And she felt peace inside herself somewhere. She knew it was there, peace from God, she just didn’t know exactly where. Like her will and important papers. She knows they’re somewhere in the house, but where?


Jahresrückblick 2022:

  • Bücher: 70 (52 fiction/18 non-fiction), Highlights/Empfehlungen:
  • Reisen: Weihnachtsurlaub 2021/22 in Sizilien, Freundinnenbesuch in Großbritannien (einmalig verschoben wegen eigener Covid-Erkrankung), Gruppenwochenende in Kärnten, Gruppenwochenende im Waldviertel, Familien-Strandurlaub in Lignano, Berlin im November, Weihnachtsurlaub 2022/23 in Spanien
  • Covid: 1 Impfung (3/3), 1 Erkrankung, noch 1 Impfung (4/4)
  • Musik: Takida, The 1975
Categories
English Roman

Patricia Highsmith – Carol

CN dieses Buch: –
CN dieser Post: –


She had seen just now what she had only sensed before, that the whole world was ready to be their enemy, and suddenly what she and Carol had together seemed no longer love or anything happy but a monster between them, with each of them caught in a fist.

Dieses Buch wurde auf Lithub immer wieder erwähnt als eines der ersten, die eine lesbische Liebesgeschichte erzählen, die nicht in einem Drama und Einsamkeit endet. Die Erstveröffentlichung 1952 erfolgte unter dem Titel The Price of Salt und unter dem Pseudonym Claire Morgan. Die damals bereits bekannte Krimiautorin Patricia Highsmith musste erst den Verlag wechseln, um dieses Buch überhaupt veröffentlichen zu können. Im Nachwort erzählt sie von den vielen Briefen, die sie von Leser:innen der Paperback-Ausgabe erhalten hat. Unzählige Menschen, die sich in der Geschichte wiederfanden, die sich gesehen fühlten, vielleicht überhaupt das erste Mal in ihrem Leben.

Representation matters. What our young people see around them positively or negatively shapes their expectations for themselves and for each other. When it comes to our classrooms and schools, let’s do our part to make sure that they can see themselves and all of their peers as strong, creative, capable, happy, and connected. (Edutopia – Why Representation Matters)

Das Buch erzählt die Beziehung von Therese und Carol, die an einem vorweihnachtlichen Shopping-Tag an Thereses Arbeitsplatz ihren Ausgang nimmt. Die Anziehung zwischen den beiden wird schnell greifbar, jedoch die gesellschaftlichen Konventionen verlangsamen das Entwickeln einer Beziehung, die nach den Standards der damaligen Zeit als krank betrachtet wurde. Carols Ehemann lässt die beiden beschatten, um das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Rindy zu erhalten. Die Rolle des Kindes ist interessant: Zumeist scheint Carol es eher für ihre Pflicht zu halten, ihre Tochter zu lieben und ihr den wichtigsten Platz in ihrem Leben einzuräumen. Das wird von ihr als Mutter erwartet. Therese muss sich in diesem Zusammenhang mit der Erkenntnis auseinander setzen, dass sie für Carol niemals an erster Stelle stehen wird. Ob der Kindsvater die Tochter tatsächlich liebt oder sie in erster Linie benutzt, um seine Frau für ihr Fehlverhalten zu bestrafen, bleibt unbeantwortet.

Randnotiz: Ja, ich hatte immer wieder mal den Song An Old-Fashioned Love Story aus The Wild Party im Ohr.


Vor Weihnachten bin ich zufällig in der Hauptbücherei in eine interessante Ausstellung hinein gelaufen: Im Eingangsbereich hinter der zentralen Verbuchung können »Die Schönsten Bücher Österreichs, Deutschlands, der Schweiz, der Niederlande und der Ukraine« begutachtet werden (eine Initiative der typographischen gesellschaft austria (tga) – die Webseite ist auch sehenswert für Typographie-Interessierte). Dort findet sich auch die Information, die ich bei den Büchereien nicht finden konnte: Die Ausstellung ist noch bis 18. Februar 2023 zu sehen.

zwei Holztische mit darauf ausgestellten Büchern, im Hintergrund eine Wand mit BildernDetailansicht eines Tisches, auf dem Bücher ausgestellt sind, im Vordergrund zwei Titel mit rosafarbenem Coverzwei Holztische mit darauf ausgestellten Büchern, Perspektive des Fotos zwischen den Tischen stehend, die Tische entfernen sich nach hinten

Categories
English Roman

Elif Batuman – The Idiot

CN dieses Buch: –
CN dieser Post: –


Dance songs turned out to consist of one sentence repeated over and over. For example: “I miss you, like the deserts miss the rain.” Why would a desert miss rain? Why wasn’t it ok for a desert to be a desert, why couldn’t anything just be what it was, why did it always have to be missing something?

Auch eine Woche später habe ich mir noch keine wirkliche Meinung zu diesem Buch bilden können. Das obige Zitat beschreibt in meinen Augen schön die Persönlichkeit der Protagonistin Selin. Sie geht mit offenen Augen durch ihr Freshman-Jahr am College, inskribiert sich für Fächer, von denen sie vorher noch nie gehört hat und kommt aus dem Wundern nicht mehr heraus. Nichts scheint ihr Sinn zu ergeben. Weder die Einstellungen der Unterrichtenden zu ihren Themen, noch die Inhalte ihrer Kurse. Weder die Freizeitaktivitäten ihrer Mitstudierenden noch deren komplexe Identitäten. Also lässt Selin sich treiben, nimmt an jeder noch so absurden Aktivität teil und versucht auf diesem Wege, Sinn in ihrem Alltag zu finden. Wodurch sie schließlich im zweiten Teil des Buchs in einem kleinen Dorf in Ungarn landet, wo sie englisch unterrichten soll. Dort versteht sie dann buchstäblich die Welt nicht mehr, weil Sprach- und kulturelle Barrieren die Kommunikation zusätzlich erschweren. Da Selin jedoch schon am College zumeist eher ratlos den Menschen und Ereignissen in ihrem Umfeld gegenüber stand, klingt es fast teilnahmslos, wenn sie von verlorenen Kanus, unbekannten Straßenecken und einsamen Busstationen (lauter beängstigende Situationen in meinen Augen) erzählt.

Das Ende ist so glaubwürdig wie unbefriedigend. Und passend zum Titel ist der letzte Satz vollkommen falsch. Warum das so ist, dürft ihr selbst herausfinden.

EDIT 06.01.2023: In diesem Lithub-Artikel mit Empfehlungen erklärt Tamara Gomez, was ihr an diesem Buch so gefallen hat und ich habe jetzt das Gefühl, etwas verstanden zu haben.

Batuman helped me feel compassion for my younger self that made questionable and arguably dumb decisions while trying to look intelligent and cool in front of my crush.

Categories
English Roman

Antonia Angress – Sirens & Muses

CN dieses Buch: Drogenmissbrauch, sexuelle Handlungen, psychische Erkrankung, Depression, versuchte Vergewaltigung
CN dieser Post: –


Since childhood, she’d harbored the secret belief that her best work – her masterpiece – was suspended out there somewhere, waiting to channel itself through her. She searched for it with increasing impatience.

In diesem Buch erzählt die Autorin Episoden aus dem Leben von vier Menschen, die sich im Rahmen einer Kunstuniversität begegnen und deren Leben sich von dort aus in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Der erste Teil findet an der Kunstuniversität statt, wo sich die Studierenden Louisa, Karina und Preston sowie der alternde Künstler Robert kennenlernen. Noch interessanter werden die Beziehungsdynamiken jedoch im zweiten Teil, als alle vier Personen aus verschiedenen Gründen die Universität verlassen haben und sich mehr oder weniger gut in New York durchschlagen.

Ein zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Kunst und Kapitalismus. Während Louisa an die Universität geht, um ihrem künstlerischen Streben Ausdruck zu verleihen, hat Karina mit ihren Eltern, die sich in der Kunstbranche als Sammler:innen betätigen, eine vollständig andere Ausgangsposition.

Preston wiederum sieht sich als gesellschaftskritischer Internetaktivist, der die Kunst als Mittel zum Zweck nutzt, um auf Missstände (eine wichtige Rolle spielt hier die sich 2011 rasch verbreitende Occupy-Bewegung) aufmerksam zu machen. Preston macht in meinen Augen die interessanteste Entwicklung durch, weil er letzten Endes einen Weg findet, wie er gleichzeitig seinen Lebensunterhalt verdienen und seiner Kritik am kapitalistisch orientierten Kunstmarkt Ausdruck verleihen kann.

In der Position des alternden Künstlers, dessen Erfolgsperiode weit hinter ihm liegt, kämpft sich Robert durch seinen Alltag als Universitätsprofessor. Er hadert intensiv mit den Veränderungen in der Kunstwelt, mit den jüngeren Künstler:innen, die scheinbar ohne Talent und ausschließlich am finanziellen Erfolg interessiert nach oben streben. Seine Geschichte beinhaltet auch die seines berühmtesten Gemäldes: ein Portrait seines an HIV erkrankten und sterbenden Freundes. Hier entfaltet sich ein anderer Konflikt: Kann es unter bestimmten Umständen (und welche wären das?) gerechtfertigt sein, das Leiden einer Person zu nutzen, um Aufmerksamkeit auf eine Problemlage (in diesem Fall die sich in den 1980er-Jahren ausbreitende AIDS-Krise) zu lenken? Oder ist der Schutz der Privatsphäre der Betroffenen und Angehörigen jedenfalls der Vorrang zu geben? Daraus ergibt sich eine Frage nach den Grenzen der Kunst: Was soll Kunst eigentlich dürfen und was vielleicht nicht?

Diese vier sehr verschiedenen Persönlichkeiten bringen unterschiedliche Perspektiven auf das künstlerische Streben an sich sowie auf den Konflikt zwischen Kunst und Kapitalismus mit. In persönlichen Gesprächen und manchmal auch öffentlichen Debatten werden Fragen thematisiert, die weder hier noch anderswo letztgültig beantwortet werden können. Eine literarische Auseinandersetzung mit der Kunst und ihrer Freiheit in einem gesellschaftskritischen Rahmen.

Randnotiz: Das folgende Zitat ist für mich besonders wichtig. Das hat andere Zusammenhänge als jene, in denen das Zitat im Roman vorkommt (das Recht, nach künstlerischem/finanziellem Erfolg zu streben), ich möchte jedenfalls nicht darauf verzichten.

You’re allowed to want things. You’re allowed to want things that other people don’t think you should want.

Categories
English Krimi Roman

Louise Penny – Glass Houses

CN dieses Buch: Mord, Drogenmissbrauch, Schwangerschaftsabbruch, Holocaust
CN dieser Post: –


He saw the worst of humanity. But he also saw the best. And she was relieved to see that the decency remained. Stronger, even, than the pain. Stronger than ever. 

Weil ich in letzter Zeit nicht so wirklich Lust zum Lesen hatte, habe ich mir schließlich den nächsten Gamache gegönnt. Nach Three Pines verreise ich so gerne, dass mich nichts aufhalten kann.

In diesem Buch geht es sehr um das Thema „Gewissen“ bzw. darum, das Richtige zu tun. Einerseits ist dies ein wichtiges Thema beim aufzuklärenden Mord, andererseits aber auch bei dem in einer späteren Zeitebene stattfindenden Prozess zu ebendiesem Mord, der jedoch mit einem wesentlich größeren Verbrechen in Verbindung steht. Was sind wir bereit, zu tun, um einer größeren Sache zu dienen? Was sind bereit, aufzugeben oder zurückzulassen, wenn davon der Erfolg einer Operation oder die Karriere der Mitstreitenden abhängt? Und zu welchen falschen Handlungen kann uns unser Gewissen treiben, während wir eigentlich denken, das Richtige zu tun?

Chief Superintendent Gamache had just set their ship aflame. There was no going back now.

In diesem Buch habe ich außerdem die Bedeutung der Redewendung „Burn The Ships“ gelernt. Dahinter steht heute metaphorisch das Eliminieren aller anderen Optionen, sodass es nur noch einen einzigen Weg (nach vorn) gibt. Louis Penny führt im Buch diese Aussage auf den spanischen Eroberer Hernán Cortés zurück, der nach der Landung in Mexiko seine Schiffe verbrennen ließ, um sich und seiner Besatzung keinen Rückweg offen zu lassen.

Die Schiffe ließ er zerstören, nachdem Segel, Anker, Kompasse und alle weiteren beweglichen Teile an Land geschafft worden waren. So nahm er sich und seinen Leuten bewusst die Möglichkeit zur Rückkehr. (Wikipedia)

In diesem Medium-Artikel wird die Nutzung dieses Ausspruchs als Motivationsmethode erklärt. Auch interessant. Vielleicht gerade für Menschen wie mich, die gerne alle Optionen durchdenken, bevor sie handeln.

Categories
English Roman

Bernadine Evaristo – Girl, Woman, Other

CN dieses Buch: Drogenmissbrauch, Suizid, Rassismus, Misogynie, Krankheit, Vergewaltigung, Gewalt, Mord, Diskriminierung, Depression
CN dieser Post: –


Yazz knows full well that Amma will always be anything but normal, and as she’s in her fifties, she’s not old yet, although try telling that to a nineteen-year-old; in any case, ageing is nothing to be ashamed of

Seit ich dieses Buch fertig gelesen habe (was schon einige Tage her ist), fühle ich mich nicht in der Lage, einen Text zu verfassen, der dieser Ansammlung von weiblichen Lebenserfahrungen und Lebensentwürfen auch nur ansatzweise gerecht werden könnte. Mir gefällt das Episodenhafte an dieser Erzählform, die jeweils ein Kapitel aus der Perspektive einer Person erzählt. Jeweils drei Kapitel befassen sich mit Personen, die unmittelbar miteinander in Verbindung stehen (zB Frauen in Familienverhältnissen wie Mutter und Tochter wie im obigen Zitat angedeutet wird). Letztendlich führt Ammas Theaterstück als übergeordneter roter Faden dazu, dass die Verbindungen zwischen allen Protagonist:innen mit den unterschiedlichen Lebensverhältnissen deutlich werden. Trotz aller Unterschiede existiert diese Verbindung.

Es wäre unfair, einzelne Geschichten hervorzuheben aus dieser Bandbreite an unterschiedlichen Perspektiven. Es werden Frauenleben in unterschiedlichsten Beziehungsformen beschrieben, der Zeitraum im Blick erstreckt sich über mehrere Generationen. Dadurch kann auch die gesellschaftliche Entwicklung im Verlauf des letzten Jahrhunderts aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden.

Winsome likes the fact that Rachel is curious enough to know who her grandmother was before she was a mother, when she was a person in her own right, as she described it
except she never has been, first she was a daughter, then a wife and mother, and now also a grandmother and great-grandmother.

Die Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität wird speziell im Rahmen einer Geschichte thematisiert, die auch die Notwendigkeit der Geschlechtsidentität prinzipiell in Frage stellt. Gerade diese Protagonist:in stattet die Autorin mit einem „gewöhnlichen“ Familienhintergrund aus. Sie beschreibt die schwierige Erfahrung, Fragen zu stellen in einem Forum, in dem schon die Benutzung bestimmter Formulierungen zu einem Ausschluss führen kann („people won’t tolerate ignorance on here“). Sie beschreibt den langen Lernweg, der notwendig ist, um sich von den erlernten Stereotypen und Rollenbildern zu lösen und an einen Ort zu gelangen, wo Menschen einfach Menschen sein dürfen. Und gleichzeitig wird aber auch eine Protagonist:in gezeigt, die aufgrund ihres Alters Schwierigkeiten damit hat, zu verstehen, in welchen Formen sich die Welt verändert hat („you’re expecting too much of me to even begin to understand what you’re going on about“). Gleichzeitig akzeptiert sie jedoch ihr Familienmitglied so, wie es ist. Selbst wenn wir nicht alles verstehen oder nachvollziehen können, können wir Menschen so akzeptieren und sein lassen, wie sie es wollen, ohne sie dafür zu kritisieren.

Categories
English Essays

Rebecca Solnit – A Field Guide to Getting Lost

CN dieses Buch: Drogenmissbrauch, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Hund, Abschied


In Benjamin’s terms, to be lost is to be fully present, and to be fully present is to be capable of being in uncertainty and mystery. And one does not get lost but loses oneself, with the implication that it is a conscious choice, a chosen surrender, a psychic state achievable through geography.

Essays von Rebecca Solnit gehen irgendwie immer tiefer als die anderer Autor:innen. Der Titel dieses Buches wirft alleine schon Fragen auf: Was ist gemeint mit getting lost / verloren gehen / verschwinden / sich verlieren? Warum ist eine Anleitung nötig, um diesen Zustand der Verlorenheit zu erreichen? Warum ist dieser Zustand überhaupt erstrebenswert? Diesen Fragen widmet sich unter anderem der erste Essay, aus dem das obige und untenstehende Zitat stammen. Nach Walter Benjamin ist der Zustand der Verlorenheit auch ein Zustand der vollständigen Präsenz, für den sich der Mensch auch bewusst entscheiden muss. Diese Beschreibung macht deutlich, dass der hier gemeinte Zustand der Verlorenheit keine realen Erfahrungen wie das Sich-Verlaufen in einer unbekannten Gegend meint. Gemeint ist hingegen ein Geisteszustand, der nur durch bewusstes Sich-Verlieren herbeigerufen werden kann. Der Definition dieses Zustands folgt die Frage, wie wir ihn erreichen können, um in diesem Zustand dann die Möglichkeit zu neuen Erkenntnissen zu finden.

The question then is how to get lost. Never to get lost is not to live, not to know how to get lost brings you to destruction, and somewhere in the terra incognita in between lies a life of discovery.

Die weiteren Essays befassen sich mit verschiedenen Themen, die diesem Zustand verwandt sind.

  • Der Verlust der eigenen Identität in anderen Kulturen, worunter Menschen leiden, die einen Wechsel zwischen Kulturen (zumeist unfreiwillig) absolviert haben und wie diese Veränderungen eine Distanz schaffen gleichzeitig zur Herkunftskultur, aber auch zur neuen Lebenswelt.
  • Das Bedürfnis von Nähe und Distanz, das sich bei den meisten Menschen im Verlauf der Lebensspanne verändert (Kinder brauchen viel Nähe, ältere Menschen mehr Distanz).

The blue of distance comes with time, with the discovery of melancholy, of loss, the texture of longing, of the complexity of the terrain we traverse, and with the years of travel.

  • Viele andere Künstler:innen werden zitiert, etwa Yves Klein, der sich in seinem künstlerischen Schaffen so intensiv mit der Farbe Blau befasst hat, dass er schließlich den von ihm erschaffenen Blauton unter dem Namen Namen International Klein Blue (IKB, =PB29, =CI 77007) patentieren ließ. Blau beschreibt Solnit als Farbe, die das Immaterielle und Entfernte symbolisiert und damit immer eine Distanz zwischen Künstler:in und Betrachter:in herstellt.

Andere Essays befassen sich mit dem Gefühl der Freiheit, den weißen, unerforschten Flecken auf Landkarten (terra incognita) oder der Bedeutung von Gebäuden (und wie sie manchmal zu lost places werden). Im Großen und Ganzen will die Autorin jedoch den Leser:innnen Mut machen, sich auch auf unbekanntes Terrain zu begeben, die eigenen Grenzen zu überschreiten und Risiken einzugehen. Weil wir auch verlieren, wenn wir nichts tun.

But fear of making mistakes can itself become a huge mistake, one that prevents you from living, for life is risky and anything less is already loss.


Hund Melly steht im Abendlicht auf einem Feldweg

Wir verabschieden uns von unserem geliebten Flauschmonster Melly. Nach Monaten der Krankheit wurde unsere Prinzessin am 20. September 2022 von ihrem Leiden erlöst. Unsere  wird immer in unseren Herzen bleiben.

Categories
English Roman

Liane Moriarty – The Husband’s Secret

CN dieses Buch: Mord, (Unfall-)Tod eines Kindes, sexuelle Handlungen, Trauer
CN dieser Post: –


Sometimes there was the pure, primal pain of grief; and other times there was anger, the frantic desire to claw and hit and kill; and sometimes, like right now, there was just this ordinary, dull sensation, settling itself softly, suffocatingly over her like a heavy fog.

Bisher hatte ich mit Liane Moriarty (Big Little Lies, Nine Perfect Strangers) eigentlich immer große Freude. Mit diesem Buch war ich allerdings eher unzufrieden. Warum das so ist, kann ich ohne Spoiler nicht erklären, wer das also nicht lesen will, scrollt gerne ein paar Absätze runter bis zum Ausstellungsbericht.

Das titelgebende Geheimnis ist die Frage nach dem Mörder einer jungen Frau. Verdächtig sind gleich mehrere Personen, die Ermittlung wurde längst eingestellt. Die Mutter der ermordeten Janie trauert verständlicherweise nach wie vor um sie, während das Leben an der Schule, an der sie arbeitet, naturgemäß weiter geht. Einzelne Verdachtsmomente lenken in verschiedene Richtungen. Die Enthüllung führt dazu, dass eine grundsolide Vorstadtmutter ihre Vorstellung der eigenen Gutartigkeit hinterfragen muss. Wozu sind wir bereit, wenn es um das Wohl unserer eigenen Familie geht? Was sind die Fragen, die wir uns stellen, wenn unser Leben auf den Kopf gestellt wird und wir nicht mehr ignorieren können, dass wir unwissentlich mit einer Lüge gelebt haben?

Was mich vor allem gestört hat, war die Auflösung. Durch die schwerwiegende Verletzung des eigenen Kindes scheint der Schuldige ausreichend gestraft zu sein, um selbst der Mutter der ermordeten Tochter eine Art Gerechtigkeitsgefühl zu verschaffen. Dieser ganze Zusammenhang fühlt sich für mich wie eine Art schicksalhaftes „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ an. Die Familie des Schuldigen hat bezahlt, womit seine Schuld implizit als gesühnt wahrgenommen wird. Mit dieser Art Auflösung fühle ich mich in keinster Weise wohl.


Eingangsbereich der Ausstellung Serious Fun, Überblick, links ein Holzhaus in Spielplatzgröße, rechts eine weiße Wand in der von hinten beleuchtete Screenshots zu sehen sind

Die Ausstellung Serious Fun. Architektur und Spiele im Architekturzentrum Wien hatte ich mir irgendwann im Frühjahr vorgemerkt und dann ging der Sommer vorbei und auf einmal waren auch hier die letzten Tage angebrochen (die Ausstellung war bis 5. September zu sehen).

Die Ausstellung „Serious Fun“ zeigt und hinterfragt Architekturspiele. Sie lädt zum Staunen, Spielen und Nachdenken ein.

Eingangsbereich der Ausstellung Serious Fun, Detailaufnahme, im Vordergrund ein Brettspiel, bei dem auf quadratischen Karten auf dem Tisch Türme in unterschiedlichen Farben und Größen aufgebaut sind

Die Ausstellung betrachtet das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Im Eingangsbereich werden die Besucher:innen von einer Sammlung an Brettspielen begrüßt, die sich mit Architektur befassen bzw. deren Spielprinzip in irgendeiner Form auf Architektur beruht. Kunstobjekte stellen die Bedeutung der Architektur von Puppenhäusern infrage oder bauen ein rein akustisches Haus, das die unterschiedlichen Zimmer durch Geräusche definiert.

Andere Architekturspiele sind nicht nur zum Spaß gedacht, sondern dienen auch zur Planung bzw. Simulation von Entwicklungen in der Stadtplanung, zB das Schul-Visionenspiel der Hans Sauer Stiftung. Andere Displays erzählen von Projekten, in denen Architekturspiele wie zB das weltweit sehr erfolgreiche Minecraft benutzt werden, um realen Raum mit den Bewohner:innen umzugestalten.

Blick von oben auf eine horizontale Spielfläche, das 2D Spielbrett stellt eine Landkarte eines Gebiets dar, darauf sind Holzklötze in unterschiedlichen Größen und Farben platziert

Einige Objekte können auch von den Besucher:innen ausprobiert werden. Leider werden die Spiele kaum erklärt. Beim ersten Objekt, das ich ausprobiert habe, bin ich nach wenigen Klicks gescheitert, weil mir das User Interface auf dem Tablet nicht klar wurde. Beim zweiten Objekt (Delft Campus Game, ich finde dazu keinen sinnvollen Link) habe ich mir mehr Zeit genommen, um das Spielprinzip zu verstehen: Als Spieler:in vertrete ich eine Gruppe von Studierenden, die gegenüber anderen Gruppen (Immobilienbesitzer, lokale Unternehmen, etc.) mittels Wertungen von Entscheidungen und Platzierung eigener Assets ihre Meinungen zur Campus-Entwicklung ausdrücken soll. Als ich mir das sorgfältig überlegt hatte, musste ich feststellen, dass ich die auf der Spielfläche platzierten Spielsteine nun auf dem angeschlossenen Tablet nochmal digital eingeben müsste, um eine Auswertung meiner Entscheidungen zu sehen. Die Navigation auf dem Tablet war allerdings so klein und unhandlich, dass mir schnell die Lust darauf verging.

Screenshot aus dem Spiel Nova Alea, auf einer quadratischen 3D-Fläche wachsen Häuser unterschiedlicher Formen und Größen heraus, über einem schwebt ein rosa Würfel, dies ist sozusagen der Mauszeiger, mit dem die Spieler:innen den Spielverlauf beeinflussen

Weiters versuchte ich mich an dem Objekt Nova Alea von Paolo Pedercini. Es soll als Kritik an der Immobilienspekulation, dem Streben nach endlosem Wachstum und der Niederschlagung des Widerstands gegen diese Mechanismen verstanden werden. Als Spieler:in klicke ich auf unterschiedliche Hochhäuser, um sie zu den richtigen Zeitpunkten zu kaufen oder zu verkaufen. Auch nach einigen Minuten waren mir die Spielprinzipien nicht klar und eine Anleitung fehlte vollständig.

zwei Ansichten des Spiels Rezone, links das Spiel mit den Anleitungskarten im Vordergrund, dahinter der Monitor, der die Spielfläche digital abbildet, rechts eine Frontalansicht des Spiels mit dem Abschlussbildschirm, auf dem 3 von 6 Projekten als FAILED und weitere 3 als REZONED markiert sind

Richtig viel Zeit verbrachte ich dann mit dem Spiel Rezone. Ziel ist es, Ressourcen in Form von Blöcken in verschiedenen Stadtteilen zu verteilen, und zwar so, dass alle Stadtteile ausreichend Ressourcen erhalten, um zu florieren. Beim zweiten Versuch hatte ich immerhin kapiert, wie das Spiel funktioniert, aber auch beim dritten gelang es mir leider nicht, mehr als drei Zonen am Leben zu erhalten. Von allen Spielen, die es zum Ausprobieren gab, war dieses in meinen Augen am besten zugänglich. Meine Begleitung stellte aber auch fest, dass das Auflegen der Spieleanleitung auf die Spielanleitung die Interpretation des Kamerabildes beeinflussen kann. Außerdem war die reale Spielfläche um 90 Grad versetzt zum Bild auf dem Monitor angeordnet, was auch zusätzliche Konzentration verlangte.

Überblick über den Ausstellungsraum Serious Fun, oben mittig eine Leinwand, auf der ein brennendes Haus zu sehen ist, rechts im Vordergrund ein deutlich gealtertes Puppenhaus, dahinter sind weitere Ausstellungsstücke zu erahnenAlles in allem war die Ausstellung schon sehr interessant, obwohl ich es wirklich schade fand, dass die interaktiven Objekte nicht besser erklärt und zugänglich gemacht wurden. Mit etwas mehr Fokus auf die Nutzbarkeit der interaktiven Teile könnten hier deutlich mehr Menschen erreicht werden. Für mich war das der erste Besuch im Architekturmuseum, daher kann ich schlecht beurteilen, ob die Ausstellung vielleicht für Menschen, die mehr Architekturbackground haben, andere Aspekte bereit hält. Wenn die Ausstellung allerdings an die Gesamtbevölkerung gerichtet ist, dann wäre deutlich mehr Erklärungsaufwand sinnvoll gewesen.