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Roman

Richard Powers – Das Echo der Erinnerung

Kanadakranich (c) Miroslaw/PIXELIO

Für Japaner erfüllt sich ein Wunsch, wenn sie tausend Papierkraniche falten. Sadako Sasaki, zwölf Jahre alt und ein Opfer der „Atombombenkrankheit“, schaffte 644. Kinder von überall auf der Welt schicken ihr Tausende, Jahr für Jahr. Kraniche tragen die Seele ins Paradies. Kranichbilder stehen in den Fenstern der Trauerhäuser, und Schmuckstücke in Kranichgestalt begleiten die Toten. Die Kraniche sind Seelen, die einst Menschen waren und vielleicht wieder Menschen werden, nach vielen Leben.

Richard Powers ist ein Geschichtenerzähler ersten Ranges. Bereits der Vorgänger „Der Klang der Zeit“ beeindruckte Kritiker und Leser. Mich jedoch hat „Das Echo der Erinnerung“ noch nachhaltiger berührt.

Karins Bruder Mark erleidet einen Unfall, sein Wagen kommt von der Straße ab, erst nach mehreren Stunden kann er von der Polizei befreit werden. Lange ist unsicher, ob er überleben wird. Als er schließlich zu sich kommt, hält er seine Schwester für eine Schauspielerin. Für Karin wird dadurch der Genesungsprozess zu einem Spießrutenlauf. Obwohl sich Marks Zustand zu bessern scheint, leidet Karin immer mehr darunter, dass er zwar andere Personen erkennt, jedoch auch sein Haus und seinen Hund für blasse Kopien hält. Schließlich wendet sich Karin an den berühmten Neurowissenschaftler Gerald Weber, der sich auch bereit erklärt, Mark zu besuchen. Jedoch verfolgt er dabei seine eigenen Motive. Sein drittes Buch bleibt hinter den Erfolgen der Vorgänger zurück. In der Beschreibung von Weber und seiner Frau Sylvie ist mir jedoch eine bestimmte Passage aufgefallen, die mich an eine Zeile aus dem Song „Both Ways“ von Quietdrive erinnert hat: „I think I’ve found the perfect way to grow old“. In weiterer Folge zeigt sich, dass auch Webers scheinbar perfekte Ehe ins Wanken gerät, aber diese Passage kann einen trotzdem glauben lassen, dass es möglich ist:

Wenn man einmal von der absurden Puderdose absah, die tat, als sei sie ein Telefon, hätten sie ebenso gut wieder im College sein können, wo sie bis spät in die Nacht über ihre Erfahrungen geredet hatten, lange nachdem die Sperrstunde jeden von ihnen in ihre getrennten Wohnheime gescheucht hatte. Er hatte sich am Telefon in Sylvie verliebt. Immer, wenn er auf Reisen war, erinnerte er sich daran. Sie verfielen in ihren Rhythmus, redeten, wie sie fast jeden Abend ihres Lebens geredet hatten, ein Dritteljahrhundert lang.

Weber kann Mark nicht helfen, er lässt Karin mit dem Rat zu einer Verhaltenstherapie zurück. Sein eigenes Leben gerät zusehends auseinander. Auch Karin wird zwischen ihrem ehemaligen Freund Karsh, Daniel, der früher Marks Freund war und nun mit Karin zusammen ist, und ihrem Bruder Mark aufgerieben. Als Nebenhandlung entsteht außerdem noch ein spannender Wirtschaftskrimi über die in der Gegend verbreiteten Kraniche, die einem Touristenzentrum weichen soll. Karsh kämpft dafür, Daniel dagegen. Karin vergräbt sich weiter in die Psyche ihres Bruders und ignoriert ihr eigenes Leben.

Das Bewusstsein erzählt eine Geschichte, und diese Geschichte ist in sich geschlossen, zusammenhängend und stabil. Wenn diese Geschichte abbricht, schreibt das Bewusstsein sie neu. Jede revidierte Fassung erhebt den Anspruch, das Original zu sein. Und so sind wir oft die Letzten, die es erfahren, wenn Krankheit oder Unfall uns zerstören.

Obwohl man das Buch nicht als Krimi bezeichnen kann, ist es dieser Spannungsfaden, der einen nicht mehr loslässt und schließlich beide Erzählebenen auflöst. Kein Happy End. Fragen bleiben offen. Ich könnte mir kein besseres Ende vorstellen.

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Sachbuch

Douglas R. Hofstadter – Gödel, Escher, Bach

Fraktal (c) Eva Kaliwoda/PIXELIO

Vielleicht versuchen Kunstwerke mehr als irgend etwas sonst, ihren Stil zu erkennen zu geben. Wenn man in diesem Falle jemals einen Stil bis in seine tiefsten Tiefen ergründet hätte, könnte man ohne die Werke in diesem Stil auskommen. „Stil“, „äußere Botschaft“, „Entschlüsselungstechnik“ – alles verschiedene Arten, die gleichen Grundgedanken auszudrücken.

Dieses Buch wurde mir bereits vor Jahren von einem Studienkollegen (an dieser Stelle schöne Grüße an Rüdiger in Berlin) empfohlen, der mir von der spannenden Verknüpfung der unterschiedlichen Fachgebiete vorgeschwärmt hat, die Douglas Hofstadter in seinem Buch miteinander verknüpft. Wie man anhand der vergangenen Blogposts sehen kann, hab ich nicht nur lange gebraucht, bis ich überhaupt damit angefangen habe, sondern auch das Lesen hat sehr lange gedauert, da man schon einige Konzentration aufwenden muss, um Hofstadters Argumentation zu verfolgen.

Jedes Kapitel wird mit einem Dialog eingeleitet, der den Inhalt des folgenden Kapitels auf amüsante Weise vorwegnimmt. Im letzten dieser Dialoge tritt sogar der Autor selbst auf und erklärt, dass jeder dieser Dialoge an einer Fuge von Bach angelehnt ist. In den Dialogen werden wie in den Kapiteln die Disziplinen der titelgebenden Persönlichkeiten Kurt Gödel, M.C. Escher und Johann Sebastian Bach auf spannende Weise miteinander verknüpft. Es ist immer wieder überraschend, wie Hofstadter eine Zeichnung von Escher in einem Musikstück von Bach wieder erkennt. Als übergreifendes Element werden die Zahlentheorien des großen Mathematikers Gödel benutzt. Allein schon der Aufbau des Buches kann als geniales Meisterstück gelten.

Bei den zahlentheoretischen Beispielen bin ich nicht immer vollständig mitgekommen, hätte ich mich damit intensiver beschäftigt, hätte es wohl noch ein weiteres Jahr gedauert, das Buch zu Ende zu lesen. Besonders beeindruckt hat mich jedoch ein Kapitel im letzten Drittel des Buchs, in dem Hofstadter den Versuch beschreibt, einem Programm das Bilden von Sätzen und sogar Haikus einzuprogrammieren.

Eine andere Frage bei der Repräsentierung von Wissen ist die nach der Modularität. Wie leicht ist es, neues Wissen einzugeben? Wie leicht ist es, altes Wissen zu revidieren? Wie „modular“ sind Bücher? Es kommt ganz darauf an. … Die Methode, die ich anwandte, war die, jedes Wort – Hauptwort, Verbum, Präposition usw. – verschiedenen „semantischen Dimensionen“ zuzuordnen. So war jedes Wort ein Element der verschiedenen Klassen; dann gab es auch Superklassen – Klassen von Klassen (man erinnere sich an den Ausspruch Ulams). … Die Auswahl von Wörtern war nunmehr semantisch beschränkt, weil verlangt wurde, dass die verschiedenen Teile des zu konstruierenden Satzes übereinstimmen sollten.

Mit dieser semantischen Ordnung von Wörtern gelang es, dass das Programm Sätze ausspuckte, die in einer Gruppe von anderen Sätzen nicht als Computerwerke erkennbar waren. In diesem Fall hat also das Programm den Turing-Test bestanden, wenn auch die Ergebnisse teilweise etwas seltsam waren. Anhand dieser Grammatik untersucht Hofstadter auch die Grammatik der Musik, etwas das zuerst als Widerspruch anmuten mag, von ihm aber schlüssig erklärt wird.

Wer sich darüber traut, wird mit einer spannenden Melange aus den unterschiedlichsten Themengebieten belohnt, unterhaltsam und lehrreich. Dieser Empfehlung hätte ich früher folgen sollen.

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Roman

Bernard Cornwell – Schwertgesang

Wikingerschiff (c) Cellblock / PIXELIO

Da verging meine Furcht. Sie wurde von einer Woge des Stolzes und des Machtgefühls weggespült. Ich bezweifelte Bjorns Botschaft nicht, denn die Götter sprechen nicht leichtfertig, und die Spinnerinnen kennen unser Schicksal. Wir Sachsen sagen „wyrd bid ful araed“, und sogar die Christen glauben an diese Wahrheit. Das Schicksal ist unausweichlich. Das Schicksal lässt sich nicht ändern. Das Schicksal herrscht über uns. Unsere Leben werden gemacht, bevor wir sie leben. Und ich sollte König von Mercien werden.

Wie es schon der Hinweis auf das Schicksal verkündet, kommt es natürlich ganz anders. Mit faulem Zauber versuchen die Dänen Uthred zum Verrat an Alfred zu bewegen, dem er seinen Schwur geleistet hat. Und im Laufe dieses Romans wird Uthred einen weiteren Schwur leisten, obwohl sein einziger Wunsch (neben dem Töten von Dänen) darin besteht, von Alfred aus seinem Schwur entlassen zu werden.

London wird erobert, immer wieder wendet sich das Blatt, kaum glaubt man, jetzt ist alles klar, ergibt sich die nächste Überraschung, die die Spinnerinnen für Uthred und seine Mitstreiter und Feinde ausgeheckt haben. Ein weiterer Roman kündigt sich an und ich hoffe in aller Ehrlichkeit, dass Cornwell noch viele Abenteuer für Uthred in Planung hat, bevor dieser seine Bebbanburg wieder erobern darf.

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Sachbuch

Garr Reynolds – Presentation Zen

Schale mit Steinen (c) motograf/PIXELIO

What I am talking about here, however, is a state of mind. You have many things on your plate, no doubt. You are busy. But „busy“ is not really the problem. Sure, there never seems to be enough time in the day to do things the way you prefer to do them, and we all face time contraints. But time constraints can also be a great motivator, bringing a sense of urgency that simulates creative thinking and the discovery of solutions to problems. The problem today, though, is not „busy“ but „busyness“.

Obwohl sich Garr Reynolds Buch natürlich hauptsächlich mit Präsentationstechnik beschäftigt, sind gerade die Teile besonders interessant, die sich mit dem Zen-Aspekt des Themas beschäftigen. Wenn man eine Präsentation vorbereitet, denkt man meist darüber nach, wie man die Arbeit selbst möglichst zeitsparend hinter sich bringen kann. Garr Reynolds argumentiert hier jedoch anders: Wir können eine Stunde unserer eigenen Zeit einsparen, aber wenn wir diese Stunde auf die Vorbereitung unserer Präsentation verwenden und diese dadurch besser wird, gewinnen alle Zuhörer Zeit, die sie nicht in einer langweiligen Präsentation verbringen müssen. Das können wir wohl alle nachvollziehen, wer hat sich nicht schon bei schlechten Slides und unlesbaren PowerPoint-Grafiken gepaart mit einem schlechten Vortrag gelangweilt?

Einfache auf das wesentliche reduzierte Grafiken, großformatige Bilder, nur wenige Schlagworte anstatt Listen und vollgeschriebene Slides sind die Rezepte von Garr Reynolds. An vielen Beispielen erklärt er sein Konzept für gelungene Präsentationsunterlagen und warum Detailinformationen in die Unterlagen gehören und nicht in die Präsentation. Als Typographie-Interessierte habe ich mich außerdem in die Fliesstext-Schrift verliebt: Trade Gothic. Wirklich elegant und sehr passend zum Thema.

Aber seinen wichtigsten Tipp sollte tatsächlich jeder berücksichtigen, den er funktioniert auch, wenn man Technik-bedingt komplett ohne Präsentationsunterlagen auskommen muss: Be in the moment. Wenn die Präsentation stattfindet, ist alles andere gerade nebensächlich, es gibt nur den Sprecher und das Publikum. Und genau das ist wohl auch der Zen-Aspekt, den wir im Leben immer berücksichtigen sollten.

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Kurzgeschichten Satire

Ephraim Kishon – Drehn Sie sich um, Frau Lot!

Pinsel mit Farbe (c) BirgitH / PIXELIO

In Israel gilt das Schlangestehen als notwendiges Übel, in England als Lebensform. Wir Israeli haben keinen größeren Ehrgeiz, als das Schlangestehen zu umgehen (auch unser Vorvater Jakob erhielt den väterlichen Segen außer der Reihe). Und wir bewundern die Engländer, die an den Autobushaltestellen ruhig, geduldig und gewissenhaft Schlange stehen und erst dann zu stoßen und zu drängen beginnen, wenn der Bus anhält.

Kishon ist wahrlich ein Meister der Satire, auch wenn das natürlich eine abgedroschene Formulierung ist. Bereits 1961 wurde die Erstausgabe dieser Sammlung von Kurzgeschichten veröffentlicht und wenn man sie liest, kann man beinahe nicht glauben, dass sie schon fast 50 Jahre auf dem Buckel haben. Kishon gelingt es, nicht nur seine Landsleute „auf die Schaufel zu nehmen“, sondern auch die Eigenheiten anderer Völker (wie im obigen Zitat die Freude der Engländer am „queueing“) liebevoll und amüsant zu portraitieren.

In Bath Jam befindet sich eine Irrenanstalt, und es ist keine geringe Leistung, dort Aufnahme zu finden. Wenn anderswo ein Mensch plötzlich zu gackern beginnt, nimmt man an, dass er den Verstand verloren hat. In Israel nimmt man an, dass er ein Neueinwanderer aus der südlichen Mandschurei ist, der sich in seiner Muttersprache zu verständigen sucht. … Ein Wahnsinniger muss schon etwas wirklich Erstklassiges bieten, um in Israel aufzufallen.

Dieser Hang zum Irren kommt auch in vielen der Geschichten zum Vorschein, etwa, wenn erzählt wird, wie der Ich-Erzähler (Bezug nimmt Kishon immer auf sich selbst) beim Versuch, eine Auskunft auf einem Amt zu erhalten, dieses übernimmt, indem er sich als der fehlende Beamte ausgibt und daraus in wenigen Monaten ein beachtliches Bauprojekt entsteht. So skurril diese Geschichten sein mögen, so amüsant und kurzweilig versüßen sie so manche Zugfahrt.

Angeblich spricht der Präsident der Vereinigten Staaten im Schlaf nur noch jiddisch – vorausgesetzt, dass wir ihn überhaupt schlafen lassen. Denn Amerika ist das erste und hauptsächliche Opfer unserer Aggression. Man mag das bedauern, sollte sich aber nicht darüber täuschen, dass die Amerikaner selbst an ihrer prekären Lage schuld sind.

Damit nimmt Kishon auch das bis heute gespannte Verhältnis der Amerikaner zu Israel aufs Korn und zeigt damit eine Weitsicht, die mit den Jahren immer deutlicher zu Tage tritt und damit seine Geschichten zeitlos spannend macht.

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Krimi Roman

Neil Olson – Ikone

Sonnenuntergang in Griechenland (c) Gustav Kemetmüller/PIXELIO

„Wir bewegen uns im Kreis. Diese Debatte erinnert mich allmählich an eine grundsätzlichere Streitfrage. Ein Mann der Vernunft verlangt Beweise, wenn er glauben soll. Ein Mann Gottes hält vielleicht ebenfalls viel von der Vernunft, aber er weiß, dass er damit nur bis zu einem gewissen Punkt kommt, dass er irgendwann den Sprung ins Unbekannte wagen muss. Er denkt mit dem Verstand, bis er dieses unaussprechliche Geheimnis erreicht. Dann denkt er mit dem Herzen, traut sich noch einen Schritt weiter voraus oder zieht sich zurück. Sie sind ein Mann der Vernunft. Gut. Aber sagen Sie mir, als Sie vor diesem Heiligenbild standen, als Sie das Holz berührten, haben Sie da nicht eine besondere Kraft gespürt? Sagen Sie die Wahrheit.“

Was nach diesem Zitat wie eine religiöse Story klingt, ist in erster Linie ein ganz fantastischer Kriminalroman. In zwei Zeitebenen findet in Griechenland und New York eine Jagd auf die „Ikone“ – ein Bild der Gottesmutter Maria – statt. Drei Generationen einer griechischen Familie sind hinter dem Kunstwerk her.

Im Mittelpunkt steht Matthew, der jüngste Spross der Familie, der durch seine Arbeit als Experte für byzantinische Kunst mit Ana zusammenkommt, die die Ikone soeben von ihrem verstorbenen Großvater geerbt hat. Sie möchte das Bild verkaufen, die Interessenten reißen sich gerade darum. Doch als sie das Bild abgegeben hat, geht der Ärger erst richtig los. Das Bild verschwindet und alle Beteiligten sind auf der Suche danach, gerade Matthew und Ana, die kaum Details der Geschichte der Ikone kennen, geraten ins Kreuzfeuer der verbissen Suchenden. Stück für Stück wird die Geschichte aufgedeckt, der Spannungsbogen bleibt konstant erhalten. Eine spannende Kriminalgeschichte für alle Freunde dieses Genres.

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Roman

Robert Menasse – Don Juan de la Mancha

Kerzen (c)Carsten Grunwald/pixelio.de

Wie Professor Poppe in die Reihen der Studenten blickte – ich sah, dass er nichts mehr sah, nur noch eine Gesichterwand, eine Menschenmauer. Er konnte nicht wissen, ob jetzt nicht der Nächste aufsteht, und dann wieder einer. Ja, er hatte Angst.

Dass dieses Buch direkt nach Elementarteilchen am Stapel lag, scheint eine Ironie des Schicksals zu sein. Denn wieder geht es um einen Mann, der keine Liebe empfindet, stets bleiben seine Gefühle ein wankelmütiges Strohfeuer, das sich einer Frau nach der anderen zuwendet. Dabei ist er nicht ganz so unglücklich wie Bruno in Elementarteilchen, aber doch so neben sich, dass er für seine Therapeutin einen schriftlichen Blick in die Vergangenheit wagt.

Dieses Werk liegt nun als Roman vor uns. Die Kündigung stürzt den Protagonisten in diese Depression, die schließlich zu einer intensiven Selbstreflexion führt.

Der Rasen meines Gartens verdorrte. In den Zeitungen und Fernsehnachrichten sprach man von einem Jahrhundertsommer. Ich hatte schon viele Jahrhunderte in Form von Jahrhundertsommern und Jahrhundertfrösten, Jahrhundertstürmen, Jahrhundertgewittern und Jahrhundertüberschwemmungen erlebt, und genauso fühlte ich mich, eine jahrhundertealte Schildkröte, ebenso behindert wie geschützt von einem schweren Panzer.

Bezeichnend für das Dilemma seines Lebens ist eine Geschichte aus der Anfangszeit seiner Tätigkeit in der Leben-Redaktion. Die skurrile Horoskopschreiberin berechnet aus seinen Geburtsdaten sein persönliches Horoskop, findet dort jedoch keine eindeutigen Angaben: „Bist du Grähnzfall.“ Nicht das eine, aber auch noch nicht das andere. So pendelt er in seinem Leben herum, auf der Suche, aber ohne zu wissen, wonach. Und doch gelangt er im Rahmen seiner Selbstreflexion zu Erkenntnissen über das Leben.

Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Na und? Das Schwierigste ist ohnehin der vierte, fünfte, hundertste Blick.

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Roman

Michel Houellebecq – Elementarteilchen

Fluss (c)Ronny Senst / PIXELIO

Seine Weltanschauung, die von den christlichen Kategorien der Erlösung und der Gnade weit entfernt war und nicht einmal den Begriff der Freiheit und der Vergebung kannte, bekam dadurch etwas Mechanisches, Unerbittliches. Wenn die Ausgangsbedingungen erst einmal gegeben sind, dachte er, und die Parameter für das Netz der ersten Interaktionen aufgestellt sind, entwickeln sich die Ereignisse in einem desillusionierten, leeren Raum; ihre Determinierung ist unabwendbar. Was geschehen war, musste geschehen, anders konnte es nicht sein; niemand konnte dafür verantwortlich gemacht werden. (Michel)

„Elementarteilchen“ erzählt die Geschichte der Brüder Bruno und Michel. Beginnend mit der Kindheit, die sie getrennt voneinander verleben, über die intensive Phase der Jugend bis zum Scheitern beider, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, zeichnet Houelebecq die Lebenswege der Brüder mit feiner Klinge und so vielen Hintergründen, das man sie oft gar nicht alle erfassen kann.

Bruno wächst vom gequälten Außenseiter zu einem Mann heran, der sich nach Liebe sehnt und doch nicht lieben kann. Dieses unerfüllte Bedürfnis versucht er mit sexuellen Eskapaden zu kompensieren, dadurch scheitert seine Ehe und auch die Beziehung zu seinem Sohn kann er nie auf eine familiäre Ebene heben.

Auch Michel wächst als Außenseiter auf, er vergräbt sich schon in jungen Jahren in das Lernen und die Wissenschaft und steht so stets neben der Gesellschaft, die er heimlich verachtet. Nach dem Verlust seiner Jugendliebe Annabelle bleibt er allein und findet sie erst nach Jahren der Trennung wieder.

Um die Reproduktion zu ermöglichen, trennen sich die beiden Stränge, aus denen das DNA-Molekül besteht, ehe jeder für sich komplementäre Nukleotide anzieht. Der Moment der Trennung ist ein heikler Augenblick, da unmittelbar danach unkontrollierbare, zumeist schädliche Mutationen entstehen können.

Ausflüge in die Welt der Wissenschaft, die Michel beschäftigt, erläutern zwischenmenschliche Beziehungen und bilden Metaphern für das Zusammenleben und die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Hier spielen sich die Zwischentöne ab, die den Roman wie die Grafik eines Aktienkurses im Zick-Zack durchziehen.

Sowohl Bruno als auch Michel scheitern an einer späten „Liebe“ – beide können nicht lieben, verlieren die Frauen jedoch durch Unfall bzw. Krankheit. Erst zu Ende ihrer Leben scheinen sich die Schicksale der Brüder zu vereinen, obwohl sie sich nach dem Tod ihrer Mutter nie mehr wiedersehen. Das Gesellschaftsbild, das Houellebecq zeichnet, zeigt einen ironischen Blickwinkel, der sich nicht vor Ecken und Kanten scheut und manchmal auch weh tut. Ein Roman, der definitiv über die reine Beziehungsebene hinausgeht und viel Stoff für Analysen und Diskussionen liefert.

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Krimi Roman

Henning Mankell – Der Mann, der lächelte

Schiffbruch (c) Dietmar-Meinert/PIXELIO

Da draußen im Nebel hatte er einsehen müssen, dass es Menschen gab, die vor keiner Form der Gewalt zurückschreckten, die nicht zögerten, Hinrichtungen vorzunehmen, wenn es ihren Zielen diente.

Viele haben mir gesagt, dass sie mit meiner Bewertung von „Die weiße Löwin“ nicht einverstanden sind, es sei sogar der beste Wallander überhaupt. Jetzt kann ich das etwas besser verstehen, denn „Der Mann, der lächelte“ kommt an den Vorgängerroman in keinster Weise heran.

Viel in diesem Roman bezieht sich zurück auf die vorhergehende Geschichte, Wallander kämpft mit seinen Dämonen, auch oder vor allem nachdem er sich entschieden hat, in den Polizeidienst zurückzukehren. Sein Privatleben ist noch immer geprägt von der Erinnerung an Baiba Liepa aus „Hunde von Riga“. Es gibt beinahe nichts neben seiner Arbeit. Auch sein Vater erscheint nur in einer kleinen Episode über die „Seidenritter“, zum aufgeschobenen Anruf bei seiner Tochter Linda kommt es gar nicht.

Und doch ist Mankell wieder ein spannender Krimi gelungen, man muss ihn nur von einer anderen Seite betrachten. Was zuerst wie ein Wirtschaftskrimi aussieht – zwei ermordete Anwälte, die mit der Beratung eines Wirtschaftsimperiums beschäftigt waren –, nimmt in weiterer Folge eine unerwartete Wendung. Diese kündigt sich zwar schon an, wird aber erst auf den letzten Seiten zur Gewissheit. Dort erreicht die Spannung wie gewohnt ihren Höhepunkt.

Wir müssen uns fragen: Warum gerade er? Wir müssen in alle geheimen Räume schauen, wir müssen uns in sein Gehirn einschleichen, nicht nur in seine Brieftasche. Wir müssen mit elf Sekretärinnen reden, ohne dass er etwas merkt. Denn wenn er etwas merkt, wird ein Sturm durch sein Imperium fegen, der alle Türen auf einmal zuschlägt.

Die Spurensuche in diesem Imperium gestaltet sich schwierig und langwierig, lange scheint es keine Fortschritte zu geben. So bleibt die Geschichte nicht ohne Längen. Rückblickend betrachtet bin ich mit „Die weiße Löwin“ wohl aufgrund einer überhöhten Erwartungshaltung zu hart ins Gericht gegangen. Trotzdem werde ich die zwei weiteren Wallander-Bänder, die „on the shelf“ stehen, nicht links liegen lassen. Der Winter wird sicher wieder lang.

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Roman

Francois Lelord – Hector und die Geheimnisse der Liebe

Kastanienherz (c) Monika Tugcu / PIXELIO

„Liebe“, sagte er, „ist eine Verrücktheit des Blutes, in welche die Vernunft einwilligt. Dieser Ausspruch ist leider nicht von mir. Gewiß verschafft uns die Liebe unsere größten Freuden, und das Wort ist noch schwach gewählt, man könnte sogar sagen, unsere allerhöchsten Ekstasen … Diese Bewegung auf den anderen zu, dieser Augenblick, in dem unser Traum Wirklichkeit wird, dieser begnadete Zustand, in dem man endlich an etwas anderes denkt als an das eigene Ich, diese Vereinigung der Körper, die uns – wenigstens für Augenblicke – unsterblich macht, …“

Der nicht mehr ganz junge Psychiater Hector muss sich in dieser Geschichte mit den Irren und Wirren der Liebe auseinandersetzen. Erst wird er auf die Suche nach einem etwas verrückten Professor geschickt, der versucht, dem Geheimnis der Liebe auf chemischem Wege auf die Spur zu kommen. Mit Tieren macht er unterschiedliche Erfolge, jedoch sind die Ergebnisse der mit Placebos „behandelten“ Menschen eigentlich interessanter.

Hector muss die Trennung von seiner Freundin Clara verarbeiten. Dass sie eine Affäre hat, erfährt er erst, nachdem er selbst im Schmerz der Trennung Trost bei einer anderen Frau gesucht hat. Hector stellt sich Fragen nach den unterschiedlichen Gefühlen, die Liebe in Menschen auslösen kann und muss dabei leider feststellen, dass die Liebe auch für viele schlechte Gefühle verantwortlich ist.

Und so bleibt Ihnen jener Trostgedanke, den Sie hegen und pflegen: die ganze Geschichte mit dem geliebten Wesen hat Sie stärker und gelassener gemacht, und am Ende schaffen Sie es sogar, an den Wert dieser teuer erkauften Gelassenheit zu glauben – bis zu dem Augenblick, wo ein gewisser Ort, eine Melodie, ein Duft …

Von einem Happy End kann man an dieser Stelle nicht sprechen, doch Hector findet auch das Positive an der Liebe. Francois Lelord hat es geschafft, viele Facetten des Gefühls auszuloten und doch bleibt die große Ungewissheit erhalten, die auch unser Leben prägt. Keine großen Erkenntnisse, aber die muss ohnehin jeder selbst erleben.