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Roman

Selja Ahava – Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

CN dieses Buch: Andeutung sexueller Handlungen, Demenz, Sterben, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Demenz


Jemand schlich ihr hinterher, leise und unabweislich, und aß Stücke ihres Gedächtnisses auf. Wo Stücke fehlten, wurden Steine hineingestopft, und dann wurden die Löcher zugenäht. Darum kollerte und klapperte es in ihr, sie fühlte sich ausgehöhlt.

Dieses Buch habe ich in der Reihe finnische Literatur-Geocaches gefunden. Interessant ist bei diesen Büchern immer, dass ich vorher absolut keine Ahnung habe, was mich eigentlich erwartet. Bisher (Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen, Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer) war es immer interessant und auch irgendwie besonders.

Das zeichnet auch dieses Buch aus. Da ich die ersten drei Antworten für den Literatur-Geocache gleich mal überlesen habe (bei diesen Literatur-Geocaches passiert mir das häufiger, weil die Formulierungen so gewählt sind, dass sich nicht einfach nach den Antworten suchen lässt), durfte ich auch den Beginn zum Abschluss nochmal lesen, was einige Klarheit in die Geschichte gebracht hat.

Protagonistin Anna erzählt aus ihrem Leben, vom Leben mit ihrem Mann Antti auf der Insel, vom Leben nach seinem unerwarteten Unfalltod, von der Einsamkeit und Trauer, von der Demenz, die schließlich Stück für Stück ihr Gedächtnis und ihre Erinnerungen auffrisst. Die Demenz wird nicht nur aus der Perspektive der betroffenen Person erzählt, sie wird auch in der Sprunghaftigkeit der Episoden, dem Wechsel zwischen Erinnerung und (scheinbarer) Gegenwart verdeutlicht. Was zu Beginn des Buches verwirrend wirkt, löst sich gegen Ende auf: gerade diese Verwirrung ist es, die in der Struktur des Textes zum Ausdruck kommen soll. Somit lässt die Autorin die Leser:in selbst erleben, wie sich die Verwirrung und der Verlust des eigenen Lebens anfühlen können.

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Roman

Jacquelyn Mitchard – The Good Son

CN dieses Buch: Drogenmissbrauch, Tod, Totschlag, Suizid, Suizidgedanken, Gewalt
CN dieser Post: Drogenmissbrauch, Totschlag, Tod, Gewalt


No part of this process was easy, no part was going the way I had hoped it would. But I had no choice.

Dieses Buch beginnt an dem Tag, als Theas Sohn Stefan aus dem Gefängnis entlassen wird. Er wurde für schuldig befunden, seine Freundin Belinda unter Einfluss von Drogen erschlagen zu haben. Die Anklage lautete auf Totschlag, Stefan war vor diesem Vorfall unbescholten und hat sich in seiner Zeit im Gefängnis mehr als vorbildlich verhalten. Als er nach etwas mehr als zwei Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wird, beginnt für ihn und seine Familie eine Zeit, die sich als noch schwerer erweist als die Zeit, die er tatsächlich im Gefängnis verbracht hat.

In Rückblenden wird erzählt, was zu der aktuellen Situation geführt hat. In Gesprächen wird die Beziehung zwischen Stefan und Belinda beleuchtet, es wird hinterfragt, was zu dieser Gewalttat geführt haben kann (so ungerechtfertigt sie natürlich ist) und Stück für Stück enthüllt, welche Gefühle die einzelnen beteiligten Personen in diesem Drama erleben und verarbeiten müssen.

Before today, was it because deep down, despite my stance to the contrary, I was ashamed of my son? Yes. A part of me resented the way his wrongdoing had muddied up my security, my serenity, my own space on earth. And now, the door to our front porch suddenly looked like the portal to hell.

Gegenüber der Protagonistin Thea, die ihren verurteilten Sohn weiter liebt, obwohl er ihr manchmal Angst macht, steht Jill, die Mutter der ermordeten Belinda. Ihre Trauer begräbt und befeuert sie in einer fortwährenden Kampagne gegen den Mörder ihrer Tochter im Rahmen einer von ihr gegründeten Organisation, die auf Gewalt in Beziehungen aufmerksam machen soll. Stefan selbst kann sich an die Ereignisse in der Todesnacht von Belinda nicht erinnern, davor sagt er, niemals gewalttätig gegenüber ihr oder einer anderen Person gewesen zu sein, was jedoch viele nicht glauben.

Die Geschichte geht sehr in die Tiefe und beleuchtet sowohl die Gefühle der beiden Mütter, als auch die Gefühle des verurteilten Sohns, der sich das Verbrechen an seiner Freundin selbst nicht erklären kann und damit weiterleben muss, dass etwas geschehen ist, für das er verantwortlich ist und dass er nicht rückgängig machen kann. Es ist ein Lebensereignis, das nicht nur sein Leben in ein eindeutiges Vorher und Nachher spaltet. Dieses Buch erzählt von Menschen in Lebenssituationen, die wir alle niemals erleben wollen. Und hilft dabei, sich bewusst zu machen, dass nicht immer alles so eindeutig ist, wie es uns scheint.

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English Roman

Cormac McCarthy – The Road

CN dieses Buch: Gewalt, Sterben, Tod, Mord
CN dieser Post: –


Even now some part of him wished they’d never found this refuge. Some part of him always wished it to be over.

Von den Dystopien hab ich jetzt echt mal genug. In diesem Buch sind ein namenloser Mann und sein namenloser Sohn auf einer Straße unterwegs in den Süden. Eine Apokalypse unbekannter Quelle scheint das Land heimgesucht zu haben, nur wenige Menschen sind unterwegs, Lebensmittel sind knapp und schwer zu finden. Im Süden erhoffen sich die beiden Reisenden eigentlich nur wärmeres Wetter. Im Norden wird ihnen die Kälte das Leben bald unmöglich machen.

Ich musste das Buch zwischenzeitlich pausieren und dann in Sprints fertig lesen, weil ich mich nicht erinnern kann, jemals ein Buch so voller Verzweiflung und Resignation gelesen zu haben. Jeder einzelne Tag, jede einzelne Stunde, jeder einzelne Handgriff scheint für die beiden Reisenden eine einzige Qual zu sein. Wie aus obigem Zitat zu entnehmen ist, ist selbst das Entdecken eines Luftschutzkellers mit Massen an Vorräten kein wirklicher Grund zur Freude. Das Ende hab ich mir die ganze Zeit nicht vorstellen können. Und wusste dann auch nicht, was mir das Buch eigentlich sagen wollte.

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English Roman

Laura Imai Messina – The Phone Box at the Edge of the World

CN dieses Buch: Tsunami, Trauer
CN dieser Post: Tsunami, Trauer


Eine wundervolle Geschichte, die ich seit Längerem auf meiner Liste hatte. Jetzt ist das Buch in der  virtuellen OverDrive eLibrary der Büchereien Wien aufgetaucht und ich habe gleich zugegriffen.

From the window the sky seemed to spill over Mt Fuji, the clouds strangling its slopes. The train ran along the base of the mountain, the pairs of tracks snaking closer together than venturing apart again.

Das Buch erzählt vom Verlust und von der Trauer um die verlorenen Menschen, von der Hilflosigkeit, von der Depression, vom Verlust jeglicher Perspektive auf irgendeine Art von Zukunft.

She had been wrong. It isn’t just the best things that come to an end, but also the worst.

Und es erzählt von der Heilung, von den winzigen Momenten, wo uns klar wird, dass das Leben doch weiter geht, dass wir weiterleben dürfen, ohne die Menschen zu vergessen, die wir verloren haben. Sie werden immer Teil unseres Lebens bleiben, auch wenn wir neue Menschen in unser Leben lassen, die nicht Teil des gemeinsamen vergangenen Lebens waren. Es erzählt von den kleinen Schritten, die tagtäglich unseren Weg bestimmen. Dass wir geliebt werden unabhängig davon wie hübsch oder ordentlich wir sind.

Ultimately, that was what he wished for everyone who came there – that each person would find a place where they could tend to their pain and heal their wounds. That place would be different for each one of them.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Joan Didion – The Year of Magical Thinking

Yet I had always at some level apprehended, because I was born fearful, that some events in life would remain beyond my ability to control or manage them. Some events would just happen. This was one of those events. You sit down to dinner and life as you know it ends.

Die Autorin beschreibt in diesem Buch ihren Trauerprozess, das Jahr ihres Lebens nach dem überraschenden Tod ihres Ehemanns John. Während sie zu Beginn geradezu analytisch den Abend beschreibt, an dem er zuhause beim Abendessen einen Herzinfarkt erleidet, von den rasch eintreffenden Rettungskräften nicht reanimiert werden kann und im Krankenhaus schließlich für tot erklärt wird, geht sie in den weiteren Kapiteln deutlich intensiver auf ihren eigenen Gefühlsprozess ein. Auch darin zeigt sich schon, dass Trauer in verschiedenen Phasen abläuft. (Auf die 5 Phasen des Trauerns nach Elisabeth Kübler-Ross will ich hier nicht eingehen, wer sie noch nicht kennt, kann das an anderer Stelle nachlesen.) Der Titel des Buches spielt auch darauf an, dass die Autorin, wie sie selbst sagt, noch Monate danach trotz des Wissens, dass ihr Mann tot ist, irgendwie auf seine Rückkehr wartet.

That I was only now beginning the process of mourning did not occur to me.
Until now I had been able only to grieve, not mourn. Grief was passive. Grief happened. Mourning, the act of dealing with grief, required attention.

Die beiden Begriffe grief und mourn habe ich gerade im Wörterbuch nachgeschlagen. Zu übersetzen ist beides mit dem Wort Trauer bzw. trauern, aber es zeigt sich auch im Deutschen, dass das Nomen grief/Trauer eher einen Zustand, eine Emotion darstellt, die uns ergreift und die wir passiv erleben. Das Verb to mourn/trauern drückt hingegen eine Tätigkeit aus, die aktive Beschäftigung mit dem Verlust der geliebten Person.

Nor can we know ahead of the fact (and here lies the heart of the difference between grief as we imagine it and grief as it is) the unending absence that follows, the void, the very opposite of meaning, the relentless succession of moments during which we will confront the experience of meaninglessness itself.

Trauer, wie wir sie uns vorstellen, so lange sie uns nicht betrifft, ist nicht dasselbe wie Trauer, wenn sie uns dann tatsächlich ergreift. Die Autorin beschreibt wortreich, wie die Abwesenheit ihres Mannes sie in ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit abgleiten lässt, wie die Kleinigkeiten des Alltags plötzlich bedeutungslos werden durch die Nicht-mehr-Vorhandenheit der geliebten Person.

We built fires even on summer evenings, because the fog came in. Fires said we were home, we had drawn the circle, we were safe through the night.

Das obige Zitat habe ich notiert, weil es für mich so ein bekanntes Gefühl beschreibt. Eine Freundin empfindet Ähnliches, wenn am Abend alle ihre Kinder in ihren Betten liegen und sie sich eine Kerze anzündet und die Stille genießt. Mir geht es so, wenn der Hund neben mir auf der Couch leise schnarcht. Es ist ein Sicherheitsgefühl in unserer eigenen kleinen Welt, das uns in diesem Moment von allen Gefahren der Welt abzuschirmen scheint. Und das trotzdem von einem auf den anderen Moment gestört werden kann. Das ist es, was die Autorin im ersten Zitat ganz oben meint (das sich im Verlauf des Buches immer wieder wiederholt, weil es den zentralen Moment illustriert): You sit down to dinner and life as you know it ends.

I realized today for the first time that my memory of this day a year ago is a memory that does not involve John.

Nach einem Jahr hat sich schließlich die Perspektive verändert. Die Autorin ist nahezu unzufrieden mit der Distanz, die sie zum gemeinsamen Leben mit ihrem verstorbenen Mann entwickelt hat. Und doch lässt sich ein Weiterleben vermutlich anders nicht bewerkstelligen.

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English Erfahrungsbericht

Paul Kalanithi – When Breath Becomes Air

What makes life meaningful enough to go on living?

Erstmals habe ich ein Buch gelesen, das im 3 Books Podcast von Neil Pasricha erwähnt wurde. Allerdings erst, nachdem ich auch das Gespräch mit Lucy Kalanithi, der Witwe des Autors, im Podcast von Kate Bowler Everything happens gehört habe. Und dann kam noch ein bißchen Zufall hinzu.

Im ersten Teil des Buchs reflektiert der Autor über seine Entscheidung, Neurochirurg zu werden. Sein Studium der Literatur führte ihn eher zu mehr Fragen als Antworten und sein Streben, „to understand how the brain could give rise to an organism capable of finding meaning in the world“ ließ sich aus Büchern nicht erfüllen. Fragen nach der Bedeutung, nach dem, was unser Leben lebenswert macht, treiben ihn schließlich zum Medizinstudium und bis an den Punkt, an dem er selbst eine Krebsdiagnose erhält.

It would mean setting aside literature. But it would allow me a chance to find answers that are not in books, to find a different sort of sublime, to forge relationships with the suffering, and to keep following the questions of what makes human life meaningful, even in the face of death and decay.

Im zweiten Teil gehen seine Reflexionen noch deutlich tiefer. Er versucht Antworten darauf zu geben, wie sich unser Leben durch die Diagnose einer unheilbaren Krankheit verändert. Er wägt ab: Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass ich noch 6 Monate, 1 Jahr oder 10 Jahre zu leben hätte? Die Antworten auf diese Fragen fallen sehr unterschiedlich aus. Was ist noch wichtig, wenn wir wissen, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt? Der zweite Teil enthält auch eine in meinen Augen sehr ausgefeilte Argumentation, warum sich der Glaube an Gott und der Glaube an Wissenschaft nicht gegenseitig ausschließen. Das folgende Zitat gibt nur den Schluss wieder, die Herleitung ist jedoch in meinen Augen das eigentliche Meisterstück.

It is to say, though, that if you believe that science provides no basis for God, then you are almost obligated to conclude that science provides no basis for meaning and, therefore, life itself doesn’t have any.

Das letzte Kapitel ist von Lucy Kalanithi geschrieben und erzählt von Pauls letzten Tagen und ihrer Erinnerung an ihn und wie er durch das Buch und in der gemeinsamen Tochter und den Erinnerungen der Menschen weiterlebt. Sie beschreibt, dass seine Krankheit tragisch war, aber sein Leben selbst keine Tragödie. Sie erzählt von seinem Versuch, weiterzuleben, nicht auf der Suche nach einer unwahrscheinlichen Heilung, sondern auf der Suche nach einem Leben, dass immer noch Raum für bedeutungsvolle Momente bietet.

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English Roman

Rory Powers – Wilder Girls

Sometimes if I close my eye, I forget what’s changed. And Raxter isn’t a rush of gunpowder and hunger anymore. It’s boredom, an idleness burrowing deep.

Während einer globalen Pandemie ein Buch zu lesen, in dem eine Gruppe von Mädchen und Frauen wegen einer mysteriösen Krankheit auf einer Insel in Quarantäne um ihr Leben kämpft, mag bei manchen ein eher ungutes Gefühl auslösen. Für mich kam dieses Gefühl aber eigentlich erst am Ende des Buchs, wozu ich leider nicht mehr schreiben kann, ohne den Spaß am Lesen zu verderben.

Die Krankheit verläuft in Schüben und lässt die Mädchen mit körperlichen Veränderungen (ein zugeschwollenes Auge, eine zweite Wirbelsäule, Hautveränderungen) zurück. Auch Tiere und Pflanzen sind betroffen, eine „Wildheit“ scheint von allem Infizierten Besitz zu ergreifen.

Die Mädchen klammern sich an ihre Erinnerungen, an die wenigen Momente, in denen sie (nie genug) zu essen haben und die Gemeinschaft, die sie trotz aller Entbehrungen zusammenhält. Schon als Hetty zum ersten Mal auf die Suche nach Byatt geht, frage ich mich, was sie denn wohl tun wollen, wenn Hetty Byatt findet. Eine Flucht von der Insel erscheint aussichtslos, ein Überleben außerhalb der vor den Tieren schützenden Mauern der Schule ebenso. Die Autorin lässt ihre drei Protagonistinnen Fehler machen, aber auch auf unterschiedliche Art über sich hinaus wachsen.

Die Geschichte endet mit der quälenden Unsicherheit der Zukunft, die wir alle in den letzten Monaten schmerzlich kennengelernt haben.

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Roman

Jeanette Winterson – Frankissstein

Progress is a series of accidents, of mistakes made in a hurry, of unforeseen consequences.

In diesem Buch fließen mehrere Zeitebenen ineinander, die die Frage nach dem Ursprung des Lebens und gleichzeitig dem Leben nach dem Tod aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Dieses Ineinanderfließen spiegelt schon der Titel wider, in dem der bekannte Name Frankenstein durch einen Kiss unterbrochen und gleichzeitig verknüpft wird.

Frankenstein was a vision of how life might by created – the first non-human intelligence.

Eine Zeitebene folgt der Autorin Mary Shelley und ihren Gedanken, die zur Erfindung von Dr. Frankenstein und seinem Monster führten. Die historisch bekannten Fakten scheinen im Buch richtig wiedergegeben, im Vordergrund stehen jedoch die Fragen, die auch im Buch Frankenstein behandelt werden: was ist Leben? Die Kreatur, das von Victor Frankenstein erschaffene Monster, ist das Leben? Wenn es Leben ist, dann drängt sich als nächste Frage eine Wertigkeit in den Vordergrund: ist das Leben dieses Monsters gleich viel wert wie das Leben eines Menschen?

In weiterer Folge wird die Frage auch mit der Art und Weise verbunden, wie Menschen traditionell Leben erschaffen: Mary verliert mehrere Kinder an diverse Krankheiten und auch daraus lässt sich die Frage konstruieren, ob Menschen überhaupt Leben erschaffen sollten, wenn doch der Tod immer schon programmiert ist.

Only the human mind can accomplish the leap of thought that is a leap of genius.

Auf einer heutigen Zeitebene folgen wir Ry auf eine Konferenz, auf der die Zukunft der künstlichen Intelligenz und Robotik im Vordergrund steht. Es folgt eine (möglicherweise zu ausführliche) Erörterung des Themas Sexroboter. Die Frage, ob Roboter ein Bewusstsein haben könnten oder sollten, stellt sich bei den Gefährtinnen, die Hersteller Ron hier anpreist, (vorerst) kaum: sie sprechen 200 Worte und sind als moderne Sklavinnen programmiert. Aber wie wird es sich auf unsere Gesellschaft auswirken, wenn wir die Gesellschaft von servilen Robotern der anderer Menschen vorziehen? Werden gesellschaftliche Umgangsformen überholt, weil Roboter keinen Wert darauf legen? Werden ganze Wirtschaftszweige unnötig und stattdessen neue entstehen?

Randnotiz: Zum Thema Roboter und freier Wille kann ich die Serie Westworld sehr empfehlen. Es sei allerdings die Warnung ausgesprochen, dass es einige wirklich sehr brutale Szenen gibt.

If data is the input and the rest is processing, then humans aren’t so special after all. 

Auf der oben genannten Konferenz spricht auch der Wissenschaftler Victor Stein, der in einem geheimen Labor in einem ehemals militärischen Komplex in Tunneln unter der Stadt Manchester daran arbeitet, das menschliche Bewusstsein zu konservieren. Die Idee der Kryokonservierung ist nicht neu, die erste Konservierung wurde vor über 50 Jahren durchgeführt. Bis jetzt ist jedoch unklar, wie das Bewusstsein nach dem Auftauen wiederbelebt werden kann. Victor Stein argumentiert als Wissenschaftler gegen die Notwendigkeit eines Körpers an sich. Wenn das Bewusstsein vom Erhalt eines Körpers, vom Befriedigen der elementaren Bedürfnisse befreit wäre, wären dann nicht größere geistige Leistungen möglich? Wie würde das Leben für ein derartiges körperloses Bewusstsein aussehen? Oder sich anfühlen? Unser Bewusstsein ist an das Gefühl der Körperlichkeit gewöhnt. Müssten wir ein Körperlichkeitsgefühl künstlich erzeugen, damit das Bewusstsein die Körperlosigkeit überhaupt aushält? Stein transportiert ein mechanistisches Welt- und Menschenbild, Emotionen und Motivationen sind ihm im behavioristischen Sinne egal.

That’s not what I meant. I meant that we are freaks according to the behaviour of the world.

Als Transmann stellt Ry (Ry als Abkürzung von Mary) ein menschliches Brückenglied dar. Einerseits finde ich es sehr begrüßenswert, eine Transperson als Charakter im Buch zu haben, andererseits bin ich unsicher, ob die Darstellung der mit dem Trans-sein verbundenen Gefühle authentisch sein kann. Die sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Ry und Victor Stein hat für mich einen Unterton, ein Gefühl, als ob Ry in seiner Transheit objektiviert würde. Vielleicht ist das aber auch ein überzogener Anspruch, die Authentizität der Darstellung einer erfundenen Person überhaupt beurteilen zu wollen.

He will steal life from the gods. At what cost?

Ethische oder religiöse Bedenken schweben auf einer Metaebene durch das ganze Buch. Was sollen Menschen tun dürfen, wo werden Grenzen gesetzt und wo müssen/dürfen/sollen sie durchbrochen werden? Technikfolgenabschätzung als Bremse der Wissenschaft, welchen Wert hat Fortschritt an sich?

Das Buch wirft auf eine sehr unterschwellige Art mehr Fragen auf als es Antworten gibt. In den Dialogen zeichnet sich deutlich ab, dass die Autorin intensiv recherchiert hat und durch ihre Charaktere verschiedene Perspektiven zum Thema sprechen lässt.

Schließen möchte ich mit dem folgenden Zitat, weil es in so starkem Kontrast steht zum Gotteskonzept, das Octavia E. Butler in Parable of the Sower und Parable of the Talents zum Leben erweckt. Ist Gott tatsächlich unveränderlich oder Veränderung? Ist beides gleichzeitig möglich?

Everything changes, said Claire. I change. You change. God changes not.

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Roman

J. K. Rowling – Harry Potter and the Half-Blood Prince

It is the unknown we fear when we look upon death and darkness, nothing more.

Bisher hatte ich mich tatsächlich aus dem ganzen Harry-Potter-Universum so sehr rausgehalten, dass ich tatsächlich überrascht war vom Ende des sechsten Teils. Oberflächlich „passiert“ in diesem Band weniger als in den anderen Teilen. In vielen Rückblenden wird Voldemorts Vorgeschichte erzählt, wie er zu dem geworden ist, wer (oder was) er ist. Gleichzeitig wird der Weg bis zum prophezeiten Kampf auf Leben und Tod zwischen Harry und Voldemort grob vorgezeichnet. Das Buch endet mit einer dramatischen Enthüllung und unvorhersehbaren Verlusten.

Isolation Tag 41. 23. April 2020

Selbst mit besten Absichten kann es passieren, dass wir durch unbedachtes Handeln oder Sprechen Menschen verletzen oder triggern. Wenn wir aber nicht handlungsunfähig herumsitzen wollen, lässt sich das Risiko nicht vermeiden. Was wäre die Alternative? Einfach nichts tun kann potentiell sogar noch mehr Menschen verletzen. 

Die gute Absicht macht eine negative Erfahrung für die andere Person nicht ungeschehen. Für die Person, die die Verletzung erlebt, ist es auf den ersten Blick irrelevant, ob es mit guter oder böser Absicht geschehen ist. Die Verletzung ist da und tut weh. 

Schlimme Dinge passieren. Ich kann nicht den persönlichen Hintergrund von allen Menschen, mit denen ich kommuniziere und interagiere, kennen. Selbst wenn ich den persönlichen Hintergrund kenne, kann ich Trigger oder Missverständnisse nicht in allen Fällen vermeiden. Das wäre nur möglich, wenn die Kommunikation eingestellt würde. Was auch keine Lösung ist.

Für mich persönlich machen die guten Absichten einen riesigen Unterschied. Wenn eine Person versucht, eine Situation für sich selbst und für andere zu verbessern, und dabei nicht alle möglichen Faktoren in Betracht gezogen hat, ist das nur menschlich. Unbedachtes Handeln kann natürlich zu Problemen führen. Ewig nachzudenken und nie zu einer Lösung zu kommen, die alle negativen Ausgangsmöglichkeiten bereits im Vorhinein ausschließt, ist aber auch kein gangbarer Weg. Auf der Basis einer unvollständigen Informationslage eine Entscheidung zu treffen und zu handeln, führt üblicherweise eher zu einer Verbesserung der Situation, als auf immer exaktere Informationen zu warten.

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Erfahrungsbericht Memoir

Nora McInerney – No Happy Endings

Diesen Post habe ich lange nicht schreiben können, weil es mir schwer fällt, alles zu erklären, was daran besonders und wertvoll ist. Weil ich diesen Post aber schreiben möchte, gibt es nach einer kurzen Anmerkung zum Inhalt nur eine Aufzählung der wichtigsten Punkte mit den dazugehörigen Zitaten.

Die Autorin erzählt in diesem Buch von ihren Lebenserfahrungen mit dem, was landläufig als Schicksalsschläge bezeichnet wird. Die Kurzfassung: Innerhalb sehr kurzer Zeit stirbt ihr Ehemann an einem Hirntumor, sie erleidet eine Fehlgeburt und ihr Vater stirbt. Wie sie damit umgeht und was sie in dieser Zeit empfindet, lässt sich nicht in Kurzfassung beschreiben, ich kann nur jedem, der sich mit Trauerbewältigung befassen möchte (und irgendwann werden wir alle an einen Punkt kommen, an dem wir das müssen), dieses Buch ans Herz legen. Weil es nicht nur von den traurigen Zeiten und den Momenten erzählt, in denen wir nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll, sondern auch davon, dass das Leben trotzdem weitergeht. Sie gibt Impulse zu vielen weiteren Lebensbereichen, diese folgen nun in kurzen Anmerkungen.

I have always had the gift of knowing what other people should do, and the charming habit of either giving them my unsolicited point of view or being irrationally upset with them for not living up to my unspoken expectations.

Erwartungen, wie wir denken, dass wir in bestimmten Situationen reagieren oder generell handeln sollten. Diese Erwartungen können von außen an uns herangetragen werden, oft sind es aber auch wir selbst, die diese Erwartungen an uns stellen. Wir gönnen uns keine Pause, weil wir denken, dass wir noch mehr tun könnten, wir setzen uns selbst unter Druck, wenn wir den (erfundenen) Erwartungen nicht gerecht werden.

Here’s a newsflash, my male friends. “Smile” is not a way to actually cheer a person up. It’s a way to tell them “please adjust your face to my preferences.” And it isn’t expected of men the way it is of women.

Speziell aus dem Umgang mit Trauer erwachsen Erwartungen, mit denen wir vorher nicht konfrontiert waren und die uns zwangsläufig in diesen schwierigen Momenten überfordern.

You don’t need to be this person’s everything because they already have a rich, full life outside of you.

Niemand sollte ALLES für eine andere Person sein oder sein müssen. Diese Erwartungshaltung kann eine Beziehung bis zum Zerbrechen belasten.

Because you’ll realize that having a relationship doesn’t mean sacrificing everything you enjoy at the altar of love.

Eine Beziehung ist nicht unser ganzes Leben. Beziehungen enden und das Leben geht weiter.

Of course people are shocked that Matthew can handle the fact that I love another man while I also love him. We’re used to people having loved before, we aren’t used to the idea that those loves could coexist, that they could happen at the same time.

Warum fällt es unserer Gesellschaft so schwer, zu akzeptieren, dass Menschen gleichzeitig mehr als eine Person lieben können? Wenn Menschen Kinder bekommen, hören sie doch auch nicht auf, die Menschen, die bisher in ihrem Leben wichtig waren, zu lieben. Und wir hören auch nicht auf, eine verstorbene Person zu lieben.

For a long time, love felt like something that I had to earn, that could be taken from me at any time for bad behaviour.

Liebe sollte nicht verdient werden müssen. Jeder Mensch sollte für sich selbst geliebt werden, ohne erst etwas dafür tun zu müssen.

Don’t confuse love with time, or attention, or anything else that can be quantified.

Liebe ist kein Topf voller Essen, der irgendwann zu Ende geht und dann ist für die Nachkommenden nichts mehr übrig. Liebe ist nicht messbar in mit der anderen Person verbrachter Zeit oder der Aufmerksamkeit, die der anderen Person entgegengebracht wird. Zeit ist endlich, Liebe ist unendlich.

I wasn’t seeing something new, I was seeing something that was always there, but that I’d been able to ignore because it didn’t affect me directly.

Oft verhindern unsere eigenen Privilegien, dass wir strukturelle Probleme erkennen können. Diese Erkenntnis habe ich selbst in den letzten Jahren immer wieder gemacht und Nora McInerney bringt dies hier so eindeutig auf den Punkt, wie ich es bisher nirgendwo sonst gelesen habe.

[The world] will be changed by what we teach this next generation of kids.

Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit. Die Welt, die Gesellschaft, alles, was sich langfristig verändern soll, kann nur dadurch verändert werden, was wir unseren Kindern über die Welt erzählen und welche Perspektive wir ihnen dadurch auf die Umstände in unserer Gesellschaft mitgeben.

Things change when people care enough to change them, and people can change, when they care to.

Dinge verändern sich nicht von allein, nur Menschen verändern Dinge. Dinge verändern sich nur dann, wenn Menschen sich ausreichend Mühe geben, um tatsächlich etwas zu verändern. Veränderung ist anstrengend und manchmal schmerzhaft für die einzelne Person. Wir müssen Geduld haben, denn Veränderung braucht Zeit.

Just the idea of having someone openly dislike me or my work held me back.

Diese Beschreibung trifft auf mich nach wie vor zu. Wenn wir uns aber verstecken und unsere Ideen und Werke bei uns behalten, damit sie niemand kritisieren kann, dann verstecken wir auch uns selbst vor der Welt.