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Roman Theaterstück

Michel Houellebecq – Karte und Gebiet

Noch nie hatte er etwas so Herrliches gesehen, das so reich an Emotionen und Sinn war wie diese Michelin-Karte der Departements Creuse und Haute-Vienne im Maßstab 1:150.000. Die Quintessenz der Moderne, der wissenschaftlichen und technischen Erfassung der Welt, war hier mit der Quintessenz animalischen Lebens verschmolzen. Die grafische Darstellung war komplex und schön, von absoluter Klarheit, und verwendete nur eine begrenzte Palette von Farben.

Im Jänner dieses Jahres war ich mit Freunden in der Garage X im Theaterstück „Karte und Gebiet“, das auf diesem Roman beruht. Der Vorschlag kam von Freundin K. Eigentlich hatte ich im Anschluss zeitnah das Buch lesen wollen, natürlich dauerte es dann doch wieder einige Monate. Einerseits kam immer wieder irgendein anderes Buch dazwischen, andererseits habe ich dann auch mehrere Wochen gebraucht, bis ich mit diesem Monumentalwerk durch war.

Der Kontrast war frappierend: Während auf dem Satellitenfoto nur eine Suppe aus mit verschwommenen bläulichen Flecken übersäten, mehr oder weniger einheitlichen Grüntönen zu erkennen war, zeigte die Karte ein faszinierendes Netz von Landstraßen, landschaftlich schönen Strecken, Aussichtspunkten, Wäldern, Seen und Pässen. Über den beiden Fotos stand in schwarzen Lettern der Titel der Ausstellung: „Die Karte ist interessanter als das Gebiet.“

Der Roman beschreibt das Leben des Künstlers Jed Martin. Für seinen Ausstellungskatalog braucht er ein Vorwort und sein Galerist schlägt den Autor Michel Houellebecq vor. Der Autor lässt sich also in seinem eigenen Buch auftreten. Man darf spekulieren, dass es sich um eine Kunstfigur handelt, die allgemein den Typus eines gealterten, desillusionierten Autors darstellt. Oder man versteht es als eine Persiflage der Autorenschaft im Allgemeinen.

„Jed Martin hat zwischen der mystischen Vereinigung mit der Welt und der rationalen Theologie seine Wahl getroffen. Er hat vielleicht als Erster in der westlichen Kunst seit den großen Malern der Renaissance den nächtlichen Versuchungen der Hildegard von Bingen die schwierigen, aber klaren Lehren des ,stummen Ochsen’, wie Thomas von Aquin von seinen Mitschülern an der Kölner Klosterschule genannt wurde, vorgezogen. Auch wenn diese Wahl natürlich anfechtbar ist, steht die hohe Gesinnung, die sie impliziert, außer Zweifel.…“

Das obige Zitat aus einem von Jeds Ausstellungskatalogen gibt gut wieder, wieso der Roman streckenweise schwer zu lesen ist. Seitenlang ergeht sich der reale Autor in Detailbeschreibungen von Architektur (Jeds Vater war als Architekt tätig, sein Erfolg in jungen Jahren mündete jedoch in den Bau von Standard-Ferienwohnanlagen und ein vereinsamtes Ende in einem Euthanasieressort in der Schweiz), Kunst und Schriftstellertum. Jeds Werke unterschiedlicher Gattung werden ausführlich beschrieben, gerade die Verbindung der unterschiedlichen Medien bei den Michelin-Karten oder auch bei Jeds Spätwerken wird zu einer künstlerischen Höchstleistung stilisiert.

„Auch wir sind Produkte“, fuhr er fort, „kulturelle Produkte. Auch wir sind eines Tages überholt. Dieser Prozess spielt sich auf die gleiche Weise an – nur mit dem Unterschied, dass es bei uns im Allgemeinen keine eindeutige technische oder funktionale Verbesserung gibt; nur die Forderung nach Neuheit bleibt, und zwar im Reinbestand.

Zu Beginn hat mich der Roman schon an das im Theater Erlebte erinnert, der Besuch lag inzwischen schon einige Zeit zurück, aber Jeds Entwicklung – vor allem seine Beziehung zu Olga – und das gespaltene Verhältnis zu seinem Vater waren mir in Erinnerung geblieben. Die Geschichte fühlte sich wie ein alter Freund an.

Ein Menschenleben ist im Allgemeinen nur eine Kleinigkeit, es lässt sich in wenigen Ereignissen zusammenfassen, und diesmal hatte Jed die Verbitterung und die verlorenen Jahre, den Krebs und den Stress und auch den Selbstmord seiner Mutter wirklich begriffen.

Und doch ist mir ein Rätsel, wie ein Regisseur glauben konnte, diesen Roman auf die Bühne bringen zu können. Gerade der letzte Teil, in dem der fiktive Autor Houellebecq von einem Mörder bizarr niedergemetzelt wird, wurde auf der Bühne sehr abgehoben dargestellt. Wofür im Roman nicht mit Worten gespart wurde, musste auf der Bühne zwangsweise verkürzt präsentiert werden.

Vielleicht macht sich der reale Autor Houellebecq einfach über das ganze Kunst-Business lustig. Jed steht zwischen seinem kapitalistischen Vater und dem fiktiven Autor Houellebecq, der die Kunst (und deren Verfall) symbolisiert. Und mit dem teuren Verkauf seiner Bilder verbindet Jed schließlich beides. Und gerät deshalb in eine Identitätskrise? Im letzten Teil des Buches wird Jed zum Einsiedler, wie es der fiktive Autor in seiner Zeit in Irland ebenso war. Bleibt dem Künstler nur die Einsamkeit, um wirklich herausragende Kunst schaffen zu können? Das Bild „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“, an dem Jed scheitert und daraufhin mit dem Porträt des fiktiven Autors seine Porträtserie beendet, kann ebenso als Persiflage des „kulturellen Produkts“ an sich verstanden werden.

… die Welt war alles andere als ein Gegenstand künstlerischer Emotionen, die Welt stellte sich eindeutig als ein rationaler Bezugsrahmen ohne jede Magie und ohne besonderes Interesse dar.

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Roman

Anna Gavalda – Nur wer fällt lernt fliegen

Gibt es in Galaxien Springfluten wie im Meer oder sah nur ich sie? Tanzte die Milchstraße durch die Nacht? Eine riesige Raveparty guter Feen, die mir massenhaft Goldstaub auf den Kopf streuten, um meine Batterien wieder aufzuladen?

Wieder mal die Quelle nicht notiert … in irgendeinem Mainstream-Medium (könnte aber auch Twitter gewesen sein) hatte ich Kritisches über Anna Gavaldas neuestes Werk gelesen. Gleich in der Onlinebücherei reserviert und auch recht bald erhalten. Die Kritik kann ich teilen und dann auch wieder nicht.

Billie und Franhck liegen nach einem Sturz verletzt in einer Felsspalte. Es wird Nacht, doch Billie verzweifelt an sich selbst und beginnt, einem Stern (und damit dem Leser) ihrer beider Lebensgeschichte zu erzählen. Mich hat streckenweise schockiert, wie kalt mich Billies traurige Lebensgeschichte gelassen hat: von der Mutter verlassen, bei den Stiefeltern im Wohnwagen aufgewachsen (was man in Amerika Trailerpark nennen würde), nie genug zu essen gehabt, von sauberer Kleidung gar nicht zu sprechen. Keine Chance auf eine anständige Schulbildung, damit kaum Möglichkeiten, aus dem Elend rauszukommen. Man hat das Gefühl, man hätte das alles schon so oft gehört.

Auch das habe ich von ihm gelernt … Die heimtückische Art, mit der sich der Zweifel in völlig unerwarteten und bizarren Momenten anschleicht, vor allem bei Menschen, die viel stabiler sind als man selbst.

Franhck selbst kommt aus besserem Haus, kann sich jedoch nicht von seinem tyrannischen Vater lösen, der natürlich niemals erfahren darf, dass Franhck Männer liebt und ihm niemals Enkel schenken wird. Wegen seiner sexuellen Orientierung wird Franhck diskriminiert und terrorisiert, Billie rettet ihn aus einer gefährlichen Situation. Quintessenz: zwei Außenseiter, die sonst niemanden haben, klammern sich aneinander und meistern gemeinsam das Leben.

Man wird in der Liebe oft betrogen, oft verletzt und oft unglücklich, aber man liebt. Und wenn man an seinem Grab steht und sich umdreht, um einen Blick zurückzuwerfen, sagt man sich: Ich habe oft gelitten, habe mich manchmal geirrt, aber ich habe geliebt.

Ich gebe also der Kritik recht, dass die Story nicht dramatisch originell ist, wobei gerade die Rahmenhandlung für den Sturz in die Felsspalte durchaus Witz hat. Doch der wahre Wert dieser Geschichte liegt nach meiner Ansicht in der liebevollen Charakterisierung der beiden Außenseiterfiguren, die mich stellenweise an Zusammen ist man weniger allein (ein Hoffnungsschimmer für alle Lebenslagen) erinnert hat. Somit ist Nur wer fällt, lernt fliegen vielleicht nicht der beste Gavalda-Roman, eine negative Bewertung möchte ich aber auch nicht aussprechen. Jeder Leser urteile selbst.

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Roman

Natasa Dragnic – Jeden Tag, jede Stunde

Und kein Regenbogen ist in Sicht. Und keine roten Zauberschuhe. Und keine böse Hexe ist tot. Weder im Osten noch im Westen.

Well, my own fault. Da wollte ich mir für den Urlaub eine nette Liebesgeschichte raussuchen (Deja-vu, anyone?) und habe wieder etwas ganz anderes bekommen. Naja, nicht ganz anders, aber zumindest nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte …

Vor allem tut sie aber das, was sie in sich trägt, was sie erfüllt, was in jedem ihrer Atemzüge steckt. Sie muss sich nicht anstrengen, um die erwünschten Gefühle in sich zu finden, sie muss sich allerdings äußerst bemühen, sie in sich zu behalten, sie nicht alle auf einmal herauszulassen, sie unter Kontrolle zu haben und nur tropfenweise zu offenbaren.

Unter Kontrolle … wenn man diesen Roman liest, wird man feststellen, dass es manchmal nicht das Richtige ist, sich unter Kontrolle zu haben. Das Schwierige ist nur, die Momente zu erkennen, in denen es sich lohnt, den Rest der Welt zu vergessen und nur das zu tun, was einem gerade als richtig erscheint, ohne an die Konsequenzen zu denken. Wenn man diese Momente falsch wählt, kann dies zu Enttäuschung und jahrelangem Leid führen. Ein Wunder, dass doch jeden Tag Entscheidungen fürs Leben getroffen werden. Man könnte meinen, man kommt besser davon, wenn man sich die Entscheidungen erspart …

Als Dora tief in der Nacht ihres ersten großen, richtigen Erfolgs am Fenster ihres dunklen Wohnzimmers steht und die Lichter der Stadt, die ihr Zuhause ist, beobachtet, trifft sie unerwartet eine Entscheidung. Sie ist selbst überrascht. Es war ihr nicht klar, dass es etwas zu entscheiden gab, denn alles war schon entschieden.

Alles, was ich über den Inhalt des Buches sagen könnte, erscheint mir banal. Ja, es ist eine große Liebesgeschichte. Dora und Luka lernen sich als Kinder kennen und kleben fortan wie zu lange gekochte Nudeln aneinander. Doch Dora muss mit ihren Eltern nach Frankreich ziehen, Luka bleibt allein zurück und muss seine Mutter sterben sehen und seiner Schwester beim Erwachsenwerden helfen. Als sie sich nach vielen Jahren in Paris wiedertreffen, ist klar, dass es mehr als nur eine Jugendliebe ist.

Warten ist alles, was sie jetzt tun kann. Warten, dass das Leben sie wiederfindet. Das könnte allerdings eine Weile dauern, denn sie hat sich gut versteckt.

Jede Trennung fühlt sich für Dora und Luka wie das Ende des Lebens an. Doch Luka heiratet aus Verantwortungsgefühl eine andere Frau. Nichts, was man nicht bereits tausend Mal gehört oder gelesen hätte. Doch gerade hier erscheint es wieder wie ein einziger großer Fehler. Natürlich werden beide nicht glücklich. Luka verleugnet seine Gefühle für Dora aus Pflichtgefühl, kann jedoch nicht voll für seine Familie da sein und ertränkt seinen Kummer in Alkohol.

Luka kann die Verachtung, die er sich selbst gegenüber spürt, nicht verstecken. Dora hält ihn fest. Sie ist erschüttert, kann nichts sagen. Ein Leben, das mit aller Kraft versucht, sich zu vernichten. Dora ist nach Schreien zumute. So viel Verleugnung und Verschwendung und Selbstbestrafung – und ohne jeden Grund.

Das Happyend bleibt aus. Im Urlaub bin ich übrigens nicht dazu gekommen. Harry Hole hielt mich 3 Tage lang in Atem, den Rest des Urlaubs habe ich mit E.L. Doctorow und leichter Magazinkost verbracht. Weit und breit kein Happy End in Sicht. Eventuell muss ich doch wieder mal auf Susan Elizabeth Phillips zurückgreifen, um mein Bedürfnis nach Liebesschund zu befriedigen … scheint mehr als nur eine Phase zu sein …

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Roman

Alex Capus – Léon und Louise

Melly in der Lammach

Ich liebe Dich und bin in großer Sorge um Dich, mein Léon, das habe ich noch gar nicht gesagt; hoffentlich, hoffentlich tun Dir die Nazis nichts an. Pass auf Dich und die Deinen auf und halt Dich von allen Gefahren fern, sei vorsichtig und so glücklich als möglich, spiel nicht den Helden und bleib gesund und vergiss mich nicht!

Eine Liebesgeschichte zu Zeiten des zweiten Weltkriegs. Erst kürzlich auf meiner Liste gelandet, das Taschenbuch ist gerade erschienen, ich habe stattdessen das Kindle-Buch gekauft. Beim Lesen fiel mir zum ersten Mal eine überraschende Häufung von Weltkriegsgeschichten auf. Nur in meiner Lesewelt oder zeichnet sich da ein allgemeiner Trend ab? Die meisten meiner Bücher sind ja nicht frisch erschienen, also vielleicht doch eine unbewusste Wahl …

Dieser schlingende, grunzende Moloch musste die ganze Zeit in der strengen Wärterin gewartet haben, die Yvonne während der Kriegsjahre gewesen war; diese Wächterin wiederum hatte zuvor in der lasziven Diva gesteckt, jene in der zerquälten Ehefrau und diese schließlich in der koketten Braut; Léon fragte sich, mit welchen Metamorphosen ihn diese Frau in Zukunft noch überraschen würde.

Zwei Frauen gibt es in Léons Leben. Louise hat er bereits als junger Mann kennengelernt, doch gerade als die beiden sich näherkommen, werden sie durch den Krieg auseinandergerissen. Jeder hält den anderen für tot, falsche Auskünfte machen jede Hoffnung zunichte. Erst Jahre später laufen sie sich in Paris zufällig über den Weg und sind beide überrascht, den anderen am Leben zu finden. Doch Léon ist inzwischen verheiratet mit Yvonne, einer starken Frau, die er auf eine andere Art liebt. Das Leben reißt Léon und Louise auseinander und führt sie doch wieder zusammen, auch wenn sie nicht zusammen leben können. Eine Geschichte über eine Liebe, die Jahre, Kriege und Einsamkeit überdauert. Eine Geschichte, die Hoffnung macht.

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Roman

Amanda Stehrs – Schweine züchten in Nazareth

Pflanze Silhouette made with CAM+

Letzte Woche saß ich im Zug (ich lebe in Flugzeugen oder in Zügen, in denen ich neue Stücke schreibe, derentwegen ich wieder Flugzeuge und Züge nehmen muss). Da waren zwei ausgelassene Kinder, die sich ein Sandwich geteilt haben. Das jüngere Kind versuchte das Stück des Bruders aufzuessen, der mit seiner Gabel lauerte und so tat, als würde er nicht zögern, den anderen aufzuspießen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie die beiden gelacht haben. David an seine Schwester Annabelle

Briefromane fand ich schon immer attraktiv. Es sind überschaubare Häppchen, man kann die Lektüre jederzeit unterbrechen. Hier schreibt sich eine zerrüttete Familie wild durcheinander Briefe und E-Mails. Daraus ergeben sich Geschehnisse, die jede einzelne Person in aller Deutlichkeit charakterisieren.

Wir haben noch nie wirklich miteinander reden können. Bei dir weiß ich nicht, wie das geht. Schon als du klein warst, hast du mir Angst eingejagt. Monique über ihre Tochter Annabelle

Es ist irgendwie seltsam, dass die Personen hier in den Briefen alles gerade heraus schreiben, was man normalerweise sorgfältig zwischen den Zeilen versteckt. Weil man einerseits hofft, dass der Empfänger sowieso blind versteht, was man denkt und fühlt und andererseits darauf wartet, dass der andere zuerst seine Gefühle offenbart.

Wenn das reale Leben seine Geschichte überholt, ist David verloren. Er setzt Geschichten oben drauf. Eine Sandburg bauen, um die Welle ungeschehen zu machen. Ohne daran zu denken, dass die nächste kommen wird. Annabelle über ihren Bruder David

Zeitweise wird es dann zu poetisch, um noch glaubwürdig zu sein. Wenn die Sandburgen in den Wellen aus der Feder des Schriftstellers kämen, würde man als Leser vermutlich überbordende Fantasie als Charaktereigenschaft identifizieren. Bei der flatterhaften Schwester, die verzweifelt nach Liebe sucht, scheint es mehr ein kitschiges Luftschloss zu sein.

Ich will frei sein, befreit von dir, von Papa und Annabelle. Ich nehme an, es ist nicht möglich. Ihr seid meine Gefangene und ich bin euer. Wir sind eine Familie. Eine Familie, die sich schreibt, die sich nicht berührt, die keine Kochgerüche in der Küche des anderen einatmet, aber dennoch eine Familie. David an seine sterbende Mutter

Vater Harry lebt entgegen der jüdischen Gesetze in Israel und züchtet dort Schweine. Er kann die Homosexualität seines Sohnes nicht akzeptieren und hat daher den Kontakt zu diesem abgebrochen. Tochter / Schwester Annabelle sucht nach einem Fixplatz in dieser Welt und bleibt letztlich ohne Mann an der Seite ihrer sterbenden Mutter zurück. Die sprachlose Mutter Monique, der die Zeit schließlich davonläuft. Leseempfehlung.

NOTE: Es hat sich wiederum eine neue Quelle erschlossen. Bei den Büchereien Wien kann man jetzt auch ebooks ausleihen. Das Angebot ist bis dato nicht überragend, aber auch nicht zu verachten, ich habe auf Anhieb drei (aktuelle) Bücher gefunden. Das hier besprochene war sofort verfügbar, ein weiteres habe ich vorbestellt und wenige Tage später bekommen. Die Jahreskarte kostet 22 Euro (Ermäßigungen natürlich für Schüler, Studenten und andere Begünstigte), für iPhone und iPad gibt es ein Ausleih-App, zum Lesen benötigt man dann den Bluefire Reader, der mit dem verwendeten Adobe DRM umgehen kann. Die Experience ist nicht zu bejubeln, aber auch nicht zu beweinen, das Umblättern im Bluefire Reader ist nicht ganz so soft wie bei Kindle App oder iBooks, aber ok. Im weiteren Sinne des Einsparens von Papier werde ich mich auch dieses Angebots weiter bedienen. Wenn ich dort nur drei Bücher im Jahr ausleihe (die ich sonst kaufen würde), hat sich der Jahresbeitrag schon gelohnt.

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Klassiker Roman

Denis Diderot – Jacques, der Fatalist

Pferd_(c)_Bernd-Boscolo/PIXELIO

JACQUES: „Wenn; wenn das Meer kochen würde, gäb’s viel Kochfisch, sagt man. Verdammt, Herr, eben haben sie geglaubt, ich liefe in große Gefahr, und nichts war daran; jetzt glauben Sie, Sie wären in großer Gefahr, und da ist womöglich noch weniger dran. Wir alle in diesem Haus haben einer vor dem anderen Angst; was nur beweist, dass wir allesamt Dummköpfe sind …“

So spricht der fatalistische Diener Jacques zu seinem Herrn. Jacques glaubt einzig und allein an das Schicksal, indem geschrieben steht, was geschehen wird, weshalb es auch nutzlos ist, sich großartig darum zu bemühen oder zu bekümmern. Jacques und sein Herr sind unterwegs zu einem bis zum Schluss unbekannten Ziel und erzählen sich dabei allerhand Geschichten unterbrochen wiederum durch Begegnungen mit Personen wie etwa der wackeren Wirtin, die selbst eine Geschichte beizusteuern hat.

DER HERR: „Herr Jacques, lassen Sie sich hängen, da das Schicksal es so will und Ihr Pferd es sagt; aber werden Sie nicht unverschämt: hören Sie mit Ihren dreisten Vermutungen auf und liefern Sie mir rasch die Geschichte Ihres Hauptmanns.

Nicht nur Jacques, dessen Liebesgeschichte dem geneigten Leser bis zum Schluss vorenthalten wird, hat einiges aus seinem Leben zu berichten. Als Jacques schließlich durch einen hartnäckigen Husten am Erzählen gehindert wird, kommt auch der Herr dazu, seine Geschichte zu erzählen, was letztendlich zum Ziel der Reise führt. Der Autor wendet sich immer wieder direkt an den Leser.

„Jacques“ hingegen ist ein albernes Gespinst von Begebenheiten, manche wahr, manche erfunden, anmutlos aufgeschrieben und unordentlich verstreut. – Um so besser, meinen „Jacques“ wird man desto weniger lesen. Wie Sie’s auch drehen und wenden, Sie sind im Unrecht.

Mit allerhand Referenzen auf seine Zeitgenossen amüsiert sich der Autor Diderot und führt den Leser absichtlich auf abwegige Pfade, man muss schon mitdenken, um zwischen all den verstreuten Geschichten den Anschluss zu bewahren und stets zu wissen, wer gerade die Hauptperson der aktuellen Geschichte darstellt. So bleibt die Geschichte immerhin spannend, denn der rote Faden wechselt ständig und das Schicksal zeigt den Reisenden ständig neue Wege. Ein kurzweiliger Klassiker mit hohem Dialoganteil.

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Roman

Nicolas Fargues – Nicht so schlimm

Tiger(c)streuner/PIXELIO

Ich bin nicht für die Vernunftliebe gemacht, ich ertrage keine Halbherzigkeiten, kein Mittelmaß, keine Vorsicht. Ehrlich gesagt, ertrage ich es nicht, keine Leidenschaft auszulösen, Egosache wohl. Ich bin für Beziehungen totaler Intimität gemacht, alles oder nichts, ohne Zurückhhaltung. Und dafür muss man eben einen Preis zahlen. Ich mache jedes Mal denselben Fehler, und ich stehe dazu, nichts zu machen. Ist das wirklich so schlimm? Kann man das nicht auch Liebe nennen?

Die vertrauliche Atmosphäre, in der der Ich-Erzähler von seiner Beziehung zu seiner Frau und der „anderen Frau“ erzählt, lässt das Ganze teilweise wie ein Gespräch unter Freunden wirken. Und wie bei einem guten Freund will man einschreiten, weil man den Erzähler mit offenen Augen ins Verderben laufen sieht. Es handelt sich um eine dieser Beziehungen, wo jeder andere sich denkt, warum bleibt dieser Mensch? Seine Frau Alexandrine schlägt ihn, demütigt ihn, dominiert beider Leben und lässt ihn doch nicht an sich heran. Für den nüchternen Zuschauer scheint eine Trennung die einzige Möglichkeit, beider Leben langfristig zu verbessern. Bis der Ich-Erzähler zum selben Schluss kommt, dauert es noch Monate.

Die Beziehung als Kampf, sage ich dir, bis ins Schlafzimmer. Ich glaube, dass das Ende unserer Geschichte vielleicht auch das Ergebnis eines lange verborgenen interkulturellen Konfliktes ist. Alex selbst hat mir das eines Abends mal gesagt: „Deine Geschichte mit Alice ist umso schmerzhafter für mich, als ich mir sage, dass ihr euch perfekt verstanden habt, weil ihr beide Weiße seid.“

In Italien lernt er schließlich die „andere Frau“ kennen, eine Frau, mit der er sich scheinbar blind versteht, trotz Sprachbarriere, aber mit der gleichen Hautfarbe. Der potentielle Rassenkonflikt wird nur kurz angeschnitten (siehe obiges Zitat), dieser Aspekt scheint etwas halbherzig eingeworfen, ohne dann weiter darauf einzugehen. Es würde auch nicht passen, denn der Fokus liegt in dieser Geschichte eindeutig auf den Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

Warum lassen sich Menschen in Beziehungen auf so viel Leid ein? Warum lässt sich Alice auf die Beziehung mit einem verheirateten Mann ein? Warum bleibt sie dabei, obwohl sie aus seinen Erzählungen die Probleme mit seiner Frau kennt und sehen muss, dass er nicht fähig ist, sie zu verlassen? Warum bleibt er selbst? Unser Ich-Erzähler bezeichnet sich immer wieder selbst als Feigling, man kann ihm bis zur schlussendlichen Wende nur zustimmen, wenn sich auch wider Erwarten schließlich das Happy End einstellt. Ein packendes Beziehungsportrait, das die Leidensfähigkeit der Menschen thematisiert und zeigt, dass oft eine Trennung und ein Neuanfang dem weiteren Festhalten an Beziehungen vorzuziehen ist.

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Roman

Michel Houellebecq – Elementarteilchen

Fluss (c)Ronny Senst / PIXELIO

Seine Weltanschauung, die von den christlichen Kategorien der Erlösung und der Gnade weit entfernt war und nicht einmal den Begriff der Freiheit und der Vergebung kannte, bekam dadurch etwas Mechanisches, Unerbittliches. Wenn die Ausgangsbedingungen erst einmal gegeben sind, dachte er, und die Parameter für das Netz der ersten Interaktionen aufgestellt sind, entwickeln sich die Ereignisse in einem desillusionierten, leeren Raum; ihre Determinierung ist unabwendbar. Was geschehen war, musste geschehen, anders konnte es nicht sein; niemand konnte dafür verantwortlich gemacht werden. (Michel)

„Elementarteilchen“ erzählt die Geschichte der Brüder Bruno und Michel. Beginnend mit der Kindheit, die sie getrennt voneinander verleben, über die intensive Phase der Jugend bis zum Scheitern beider, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, zeichnet Houelebecq die Lebenswege der Brüder mit feiner Klinge und so vielen Hintergründen, das man sie oft gar nicht alle erfassen kann.

Bruno wächst vom gequälten Außenseiter zu einem Mann heran, der sich nach Liebe sehnt und doch nicht lieben kann. Dieses unerfüllte Bedürfnis versucht er mit sexuellen Eskapaden zu kompensieren, dadurch scheitert seine Ehe und auch die Beziehung zu seinem Sohn kann er nie auf eine familiäre Ebene heben.

Auch Michel wächst als Außenseiter auf, er vergräbt sich schon in jungen Jahren in das Lernen und die Wissenschaft und steht so stets neben der Gesellschaft, die er heimlich verachtet. Nach dem Verlust seiner Jugendliebe Annabelle bleibt er allein und findet sie erst nach Jahren der Trennung wieder.

Um die Reproduktion zu ermöglichen, trennen sich die beiden Stränge, aus denen das DNA-Molekül besteht, ehe jeder für sich komplementäre Nukleotide anzieht. Der Moment der Trennung ist ein heikler Augenblick, da unmittelbar danach unkontrollierbare, zumeist schädliche Mutationen entstehen können.

Ausflüge in die Welt der Wissenschaft, die Michel beschäftigt, erläutern zwischenmenschliche Beziehungen und bilden Metaphern für das Zusammenleben und die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Hier spielen sich die Zwischentöne ab, die den Roman wie die Grafik eines Aktienkurses im Zick-Zack durchziehen.

Sowohl Bruno als auch Michel scheitern an einer späten „Liebe“ – beide können nicht lieben, verlieren die Frauen jedoch durch Unfall bzw. Krankheit. Erst zu Ende ihrer Leben scheinen sich die Schicksale der Brüder zu vereinen, obwohl sie sich nach dem Tod ihrer Mutter nie mehr wiedersehen. Das Gesellschaftsbild, das Houellebecq zeichnet, zeigt einen ironischen Blickwinkel, der sich nicht vor Ecken und Kanten scheut und manchmal auch weh tut. Ein Roman, der definitiv über die reine Beziehungsebene hinausgeht und viel Stoff für Analysen und Diskussionen liefert.

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Roman Unterhaltung

Marc Levy – Bis ich dich wiedersehe

Louvre Pyramide 

„Ich liebe dich und werde nie aufhören können, dich zu lieben, ich weiß nicht, wie und warum. Ich liebe dich so, weil ich keine andere Art kenne. Wo du nicht bist, kann ich auch nicht sein.“ Jonathan drückte seine Lippen auf Claras Mund, und zum letzten Mal in seinem Leben begann sich alles um ihn herum zu drehen.

Marc Levy ist Spezialist für Liebe zwischen Zeiten und Welten und da macht auch „Bis ich dich wiedersehe“ keine Ausnahme. Jonathan und Clara meinen beide von der ersten Begegnung an, sich bereits zu kennen. Die Liebe zum russischen Maler Wladimir Radskin verbindet sie. Sein mutmaßliches letztes Bild blieb jedoch unsigniert und um seinem Freund Peter, der das Bild versteigern soll, zu helfen, versuchen die beiden, die Urheberschaft des Bildes zu beweisen. Als sich ihre Hände zum ersten Mal berühren, haben beide Visionen aus der Vergangenheit.

Langsam entrollt sich die Geschichte des Malers und damit auch die Geschichte von Clara und Jonathan sowie Jonathans Verlobter Anna und deren Familie. Eine Geschichte über mehrere Generationen hinweg.

Seinem Stil bleibt Marc Levy auch in diesem Roman treu, die Rückblenden bleiben etwas kurz und nur langsam zeigen sich die Anzeichen der hintergründigen Familiengeschichte. Dann kommt die Auflösung beinahe zu schnell. 

Ein Liebesroman, an dem man sich in dunklen einsamen Nächten das Herz wärmen kann.

 

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Roman

Anna Gavalda – Zusammen ist man weniger allein

Ein kleiner Einschub vor Weihnachten. Lange ist nichts weitergegangen an der Lesefront, aber für so einen schönen Roman schafft man es immer, sich Zeit freizuschieben (dafür stapeln sich dann die Zeitschriften am Fensterbrett).

Zuerst wusste ich gar nicht, was davon zu halten war, den Titel kannte ich von den Bestsellerlisten, ich suchte eigentlich einen Roman als Taschenbuch als Weihnachtsgeschenk und vermutete dahinter eine rührselige Liebesgeschichte. Gekauft habe ich es dann, weil der Klappentext doch einen kurzen Blick auf die skurrilen Persönlichkeiten werfen lässt und das hat mich dann doch neugierig gemacht. Als begeisterter Fan von Joey Goebels “Freaks” war das Buch für mich dann doch so eine Art Weiterführung in diese Richtung, wenn auch auf andere Art und Weise skurril.

Erst lange nach der Hälfte der Geschichte zeigt sich, dass es doch eine Liebesgeschichte ist. Von rührselig kann jedoch keine Rede sein. Wie sich die beteiligten Personen durchs Leben schlagen, kann man mit einem Lächeln auf den Lippen und manchmal Tränen in den Augen verfolgen. Das Happy End ist gut aber unaufdringlich vorbereitet, der schmale Grat zwischen “ist eh schon ewig klar” und “bricht unerwartet herein” ist hier perfekt getroffen.

Als Weihnachtsgeschenk für Freunde und Romanleser aller Art geeignet. Macht Hoffnung in dunklen Zeiten.