Categories
Roman

Josef Haslinger – Opernball

CN: Terrorismus, Mord, Gewalt, sexuelle Gewalt, Ermordung von Angehörigen, Suizid, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Holocaust, Konzentrationslager, Krieg, graphische Beschreibungen von Kriegsverbrechen, Rassismus


Zu diesem Buch hat mich wiederum ein Literatur-Geocache geführt. Allerdings hab ich nach den ersten 100 Seiten dann mit Sicherheit feststellen können, dass ich zwar den richtigen Autor hatte, aber das falsche Buch. Da war ich dann aber schon mittendrin in der Geschichte …

Die Content Notice von oben möchte ich nochmal ergänzen: Einige Passagen in diesem Buch haben mich sehr mitgenommen. Das passiert mir nicht oft, ich habe in meinem Arbeitsalltag auch hin und wieder mit medizinischen Fotos aus dem realen Leben zu tun und kann mir diese mit leichtem Ekel ansehen und dann wieder vergessen. Bei sehr gewalttätigen Szenen in Filmen oder Serien schaue ich lieber weg, tatsächlich sind aber die Begleitgeräusche meistens schlimmer als die Bilder. Bei Büchern hatte ich das in meiner Erinnerung nur äußerst selten, das Einzige, das mir jetzt spontan einfällt, ist A Clockwork Orange. Ganz so schlimm war es in diesem Buch nicht, aber in einigen Szenen werden sehr bildhaft Gewalttaten beschrieben, das will sich vielleicht nicht jede Leser:in zumuten.

Da das Buch schon mit den sterbenden Menschen in der Oper beginnt, ist es kein Spoiler, zu verraten, worum es in dem Buch geht: Der Opernball, ein traditionelles Wiener Ereignis mit vielen internationalen Gästen, wird Ziel eines Terrorismusanschlags mit Giftgas. Erzählt wird das Buch aus der Sicht eines Journalisten, der bei diesem Anschlag aus dem außerhalb der Oper stehenden Regiewagen hilflos zusehen muss, wie sein Sohn als Kameramann in der Oper hinter der Kamera stirbt. Seine persönliche Betroffenheit führt zum Versuch, die Hintergründe des Anschlags aufzuklären. Seine Perspektive wechselt sich ab mit der eines Polizisten, der die gewaltvollen Demonstrationen rund um die Oper vor und während des Opernballs schildert, und der des einzigen Terroristen, der den Anschlag überlebt hat. Alle diese Perspektiven enthalten grausame Details.

Der Journalist erzählt von der Vergangenheit seines Vaters, der bei der Befreiuung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen dabei war und Fotos vom unaussprechlichen Leid hütet, das er damals erlebt hat. In seiner Arbeit als Kriegsberichterstatter wurde der Journalist selbst Zeuge von unfasslicher Grausamkeit. Erschreckend dabei ist außerdem, wie kühl er von diesen Erlebnissen berichtet, wie er mehr an seine Geschichte und an die Bilder denkt, als an die Menschen, die die Opfer dieser Grausamkeit sind.

Der Polizist erzählt von den Aggressionen, die Polizisten (von Polizist:innen ist nur in Nebensätzen und abwertend die Rede) während Demonstrationseinsätzen empfinden und wie sich die Einsatzkräfte gegenseitig aufstacheln, um im Chaos nicht die Nerven zu verlieren. Dabei werden die Demonstrierenden entmenschlicht, um das gewaltvolle Vorgehen gegen sie zu rechtfertigen.

Der Terrorist (im Buch genannt: der Ingenieur) erzählt, wie es zu dem Anschlag kam. Wie sich die Gruppe bildete, wie aus zuerst harmlosen Saufgelagen Gewalttaten gegen Ausländer:innen werden, wie ein Brandanschlag geplant und durchgeführt wird. Dabei ist deutlich zu verfolgen, wie der Ingenieur, der zwar schon zu Beginn eine deutlich menschenfeindliche Einstellung zur Schau trägt, radikalisiert wird, wie er sich dem Sektenführer unterwirft, wie dessen religiöses Gehabe keinen Widerspruch duldet und sich der Ingenieur als der Auserwählte fühlt, der den anderen Mitgliedern der Gruppe vorgezogen wird.

Der Roman ist im Jahr 1995 erschienen, das ist aber (abgesehen von der Abwesenheit von Smartphones) kaum spürbar. All dieser Hass ist in unserer Gesellschaft heute genau so präsent wie damals. Gerade deshalb ist dieses Buch vielleicht aktueller, als ich es mir wünschen würde.

Categories
Roman

Kathleen Tessaro – The Debutante

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen, Tod eines Elternteils, Tod einer Ehefrau
CN dieser Post: –


  • Bei der Auflösung eines Herrenhauses an der englischen Küste wird ein Schuhkarton entdeckt, der scheinbar unzusammenhängende Erinnerungsstücke enthält: ein paar silberne Schuhe, das Foto eines Matrosen, ein teures Armband. Die Zusammenhänge werden erst zum Schluss vollständig klar.
  • Jede Beziehung in diesem Buch ist irgendwie um das Element Betrug gebaut. Jede Person betrügt entweder oder wurde betrogen. So viele verschiedene Formen von Betrug zu sammeln, ist auch schon mal eine Leistung.
  • Die Erzählweise mit den zwischen gestellten Briefen aus der früheren Zeitetappe ist clever gelöst, manchmal weiß die Leserin so mehr als die suchenden Protagonist*innen, manches ergibt aber auch erst später Sinn.
  • Das Buch hab ich vor Jahren aus einem Bücher-Geocache genommen, inzwischen stand es ganz am Ende des Regals der ungelesenen Bücher. Eigentlich schade, dass ich es solang dort behalten habe, es hat mich gut unterhalten.
Categories
English Jugend Roman

Genzaburo Yoshino – How Do You Live?

CN dieses Buch: Tod eines Elternteils, Mobbing, Armut
CN dieser Post: –


We have the power to decide on our own who we will be. Therefore, we will make mistakes. However –
We have the power to decide on our own who we will be. Therefore, we can also recover from mistakes.

Der Fotograf hatte ein Lokal für das Mittagessen vorgeschlagen, drei Türen weiter befand sich der English Book Store Love Story of Berlin, den Rest könnt ihr euch dazu denken, oder? Schweren Herzens habe ich mich entschlossen, nur ein Buch zu kaufen (ja, ok, das andere, das in der engeren Auswahl war, hab ich dann woanders gekauft, dazu später mehr …). Dieses war in einer Ecke in Szene gesetzt und mit einer speziellen Empfehlung des Personals versehen. Dazu noch der Titel und das wunderschöne Cover und ich konnte nur zugreifen.

Buchgeschäft, Schild mit dem Namen „Love Story of Berlin – English Book Store“, neben der Tür ein Schild mit dem Text „The answers you get from literature depend on the questions you pose“, im Vordergrund ein Buch mit dem Titel „How do you live?“ von Genzaburo Yoshino

Das Buch erzählt aus der Perspektive eines männlichen Teenagers, der sich mit philosophischen Fragen um das Funktionieren der Gesellschaft und ihrer (Un-)Gerechtigkeiten auseinandersetzt. Im Austausch mit seinem Onkel zeigt Copper stets eine erstaunliche Weitsicht für sein Alter, er scheitert jedoch immer wieder an der Umsetzung seiner Ideale in seinem Alltagsleben.

Copper had an odd feeling. The watching self, the self being watched, and furthermore the self becoming conscious of all this, the self observing itself by itself, from afar, all those various selves overlapped in his heart, and suddenly he began to feel dizzy.

Die Distanziertheit der japanischen Gesellschaft ist mir auch in diesem Buch wieder sehr deutlich bewusst geworden (zuvor zB auch in Strange Weather in Tokyo). Copper und seine aufgeklärten Freund:innen fühlen sich nicht wie reale Jugendliche an, das gelingt nur bei den antagonistischen Bully-Figuren, die wirken sehr überzeugend. Das sagt uns vermutlich, dass sich die Bully-Figuren in den Jahrzehnten (!), die seit der Veröffentlichung dieses Buchs vergangen sind, nicht wesentlich verändert haben. Bruno Navasky, der das Buch ins Englische übersetzt hat, erklärt in seinem Nachwort auch den Hintergrund, vor dem diese Geschichte entstanden ist. Erstmals veröffentlicht 1937 in einem autoritären Umfeld, in dem Kritik an der japanischen Regierung per Gesetz verboten wurde, enthält das Buch deutliche Aufrufe, selbst zu denken und sich für seine Mitmenschen einzusetzen:

[…] it also contains many lessons, and a quiet but powerful message on the value of thinking for oneself and standing up for others during troubled times.

Categories
Roman

Felix Mitterer – Keiner von uns

CN dieses Buch: Gewalt, Mord, sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung, Verstümmelung, Folter, Rassismus, Prostitution
CN dieser Post: –


Die obige Liste an Content Notices klingt schlimmer als bei Game of Thrones … Tatsächlich enthält das Buch einige sehr üble Details, ist aber im Großen und Ganzen kaum schlimmer als die Folge einer Krimiserie, wie sie oft schon am Nachmittag im Privatfernsehen zu sehen ist. Nach diesem relativierenden Hinweis nun zum Autor.

Felix Mitterer wird im Allgemeinen als modernes österreichisches Literatur-Nationalgut behandelt. Bereits in meiner frühen Schulzeit lernte ich sein Kinderbuch Superhenne Hanna kennen, in späteren Schuljahren begegneten mir immer wieder seine Theaterstücke wie zum Beispiel Kein Platz für Idioten oder In der Löwengrube. Dass er 2020 seinen ersten Roman veröffentlicht hat, wurde mir jedoch erst durch einen Literatur-Geocache nahe gebracht.

Die Geschichte ist eine Fiktionalisierung des Lebens von Angelo Soliman, seiner Frau Clara und seiner Tochter Josephine. Viele historische Details scheinen korrekt (etwa der Todestag von Wolfang Amadeus Mozart und seine Bestattung in einem Massengrab), die Einblicke in die Gefühlswelten der Protagonist:innen und die Verbindungen zum Kaiserhaus sind genau so offensichtlich Fiktion. Mit Gusto zeichnet der Autor etwa die historisch dokumentierte flapsige Persönlichkeit des berühmten Komponisten nach. Er erfindet auch eine sehr gut in seinen Roman passende Entstehungsgeschichte für das von Mozart unvollendete Requiem, das auch heute noch Stoff für Diskussionen und Mythen bildet.

Mitterer versucht, seine Frauenfiguren stärker darzustellen, als es die damalige Zeit zugelassen hätte (ein Problem, das mich kürzlich auch schon in einem anderen Roman gestört hat). Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die meisten Charaktere eindeutig gut oder böse dargestellt werden. Der grausame Professor, die warmherzige Hure, der treue Krüppel, die kämpferische Tochter … all diesen Figuren fehlt es an Tiefe. Der Ausbruch aus dem Narrenturm zeigt deutliche Züge des Deus-ex-machina-Prinzips.

Trotz dieser Kritikpunkte habe ich den Roman großteils gern gelesen und mich auch an den Details aus dieser historischen Epoche erfreut. Nicht unerwähnt lassen möchte ich natürlich auch die gesellschaftskritische Komponente, die in nahezu allen Werken von Felix Mitterer tonangebend ist, und auch hier schon im Titel des Werks anklingt. Irgendwie würde mich sehr interessieren, was meine ehemalige Deutsch-Professorin zu diesem Werk zu sagen hätte.

Categories
Roman

Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer

CN dieses Buch: Mord, Sucht, sexuelle Handlungen, Geschlechtsteile
CN dieser Post: –


Auf dieses Buch bin ich mittels eines Literatur-Geocaches gestoßen und es war wirklich eine Entdeckung. Als ich beim Recherchieren über die Autorin Johanna Sinisalo las, das sie mit Finnish Weird eine eigene Literaturgattung geschaffen haben soll, war ich gleichzeitig gespannt, was mich da erwarten würde und in Befürchtung, ich würde nichts davon verstehen.

Die Geschichte beginnt schon mit einem Knalleffekt, es bleibt also kein Zweifel daran, dass dieses Buch in einer anderen Welt spielt. Und gleichzeitig ist es eine europäische Welt, in der Finnland sich als Wohlfahrtsstaat mit einer Art Kastensystem von den so genannten Hedonistenstaaten und Verfallsdemokratien abgrenzt. Alkohol, Tabak und andere Genussmittel sind verboten. Unter anderem wird auch Capsaicin, also Chili in unterschiedlichen Aggregatzuständen (frisch, Mehl, eingelegt im Glas, etc.) als Droge illegal angebaut und gehandelt.

Ein weiteres gesellschaftskritisches Element ist die Einteilung der Menschen in jene, die sich fortpflanzen dürfen und jene, die dafür laut den Regeln der Gesellschaft nicht „geeignet“ sind. Spätestens im Alter von zwei Jahren werden Kinder von einer Kommission geprüft, um ihr „endgültiges Geschlecht“ festzulegen. Ein Betrug bei dieser Prüfung ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Gesellschaftsordnung.

Das Buch wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Hauptperson ist Vanna/Vera (sie wird im ganzen Buch abwechselnd mit beiden Namen bezeichnet, denn Vera ist ihr Geburtsname, den sie als festgelegte Femifrau Eloi nicht mehr benutzen darf, weil der Buchstabe R in Namen den männlichen Maskos vorbehalten ist). Sie schreibt zu Beginn Briefe an ihre verlorene Schwester Manna/Mira, deren Schicksal ungewiss ist. Vanna/Veras Partner Jare trägt ebenfalls seine Perspektive in verschiedenen Szenen bei. Unterbrochen werden diese persönlichen Erzählungen von Werbetexten, Geschichten aus Zeitschriften oder Auszügen aus (vermeintlich) wissenschaftlichen Abhandlungen, in denen dann über die Erziehung und Zucht des weiblichen Teils der Bevölkerung referiert wird. Gerade diese Zwischentexte zeichnen ein sehr deutliches Bild von dieser Gesellschaft, in der den Menschen sehr unterschiedliche Werte zugeschrieben werden und in der sie mit den mit ihrem Geschlecht verbundenen Rollen gefangen sind.

Irgendwie verfolgen mich die Dystopien gerade. Ein wesentlicher Auslöser für die Wahl dieses Buchs war auch, dass ich gerade ein anderes begonnen habe, dass mich so dermaßen runterzieht, dass ich es buchstäblich nicht weiterlesen wollte. Dafür brauche ich wohl mehr Zeit und etwas Abwechslung dazwischen. Ich habe es aber noch nicht aufgegeben.

Categories
English Roman

Han Kang – The Vegetarian

CN dieses Buch: Vergewaltigung, sexuelle Handlungen, Geschlechtsteile, Gewalt gegen Tiere, Depression, Suizid
CN dieser Post: –


It’s your body, you can treat it however you please. The only area where you’re free to do just as you like. And even that doesn’t turn out how you wanted.

Irgendwie war ich mir bis zum Ende des Buches nicht sicher, wie das jetzt zu verstehen ist. Vielleicht ist dieser breite Interpretationsspielraum, die Option, alles Mögliche zwischen den Zeilen herauszulesen, ein Grund dafür, warum dieses Buch nach seiner Erscheinung so bejubelt wurde. Der Überschwang dieses Jubels erschließt sich mir nach wie vor nicht so ganz.

Die Geschichte wird in drei Teilen aus der Sicht von drei Personen erzählt: drei Bezugspersonen der titelgebenden Vegetarierin, ihr Ehemann, ihr Schwager, ihre Schwester. Von der Protagonistin selbst hört die Leserin nur kurze Bruchstücke ihrer Träume. Diese Träume sind der Auslöser für ihre Entscheidung, kein Fleisch mehr zu essen. Diese Entscheidung führt zu einem Bruch mit dem Ehemann und einer äußerst unangenehmen Auseinandersetzung mit ihrem Vater. Da dachte ich zuerst, es ginge zwischen den Zeilen primär um die Kritik einer Gesellschaftsform, in der Ehemann und Vater einer Frau befehlen können, was sie mit ihrem Körper zu tun hat. Also ein Hinweis darauf, dass Frauen selbst über ihren Körper bestimmen können sollen, selbst wenn ihre Entscheidungen für andere Personen unverständlich sind.

There was nothing the matter. It was a fact. Everything would be fine as long as she just kept going, just carried on with her life as she always had done. In any case, there was no other way.

Im zweiten und dritten Teil fühlt sich die Protagonistin jedoch zunehmend verrückt an. Sie will sich in eine Pflanze verwandeln (darauf verweist auch das wunderbar gestaltete Cover) und sich nur noch von Licht ernähren. Für ihre verantwortungsvolle Schwester, die scheinbar in ihrer Rolle als hart arbeitende und sich selbst aufgebende Ehefrau und Mutter aufgeht, wird es zunehmend schwerer, zu akzeptieren, dass die Protagonistin sich einfach die Freiheit nimmt, aus dem gesellschaftlichen Rad auszusteigen. Eine Freiheit, die sich die Schwester wiederum selbst nicht mal zu denken traut. Eine komplexe Geschichte mit viel Interpretationsspielraum.

Categories
English Jugend Roman

Lois Lowry – Son

CN dieses Buch: Verstümmelung, Krankheit, Sterben
CN dieser Post: –


Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber das Buch hat meine Erwartungen erfüllt und nicht erfüllt. Einerseits werden Menschen zusammengeführt, von denen ich es nicht mehr erwartet hätte und andererseits blieb die zentrale Frage, die am Ende von The Giver offen bleibt (was in der Gemeinschaft passiert, nachdem Jonas sie verlassen hat), ungeklärt. Ob da noch eine Fortsetzung irgendwo lauert? Ich würde jedenfalls gern wissen, was mit dieser Gemeinschaft passiert ist, nachdem all diese Erinnerungen auf die angepassten Menschen in ihrem Alltagstrott losgelassen wurden.

Das Ende dieses Buchs war mir dann ein bißchen zu sehr Hollywood. Dank eines lieben Freundes bin ich nun im Besitz der Film-Version von The Giver und obwohl ich Schlimmes befürchte, plagt mich doch die Neugierde, was die Filmindustrie aus dieser Geschichte gemacht hat.

Categories
English Jugend Roman

Lois Lowry – Messenger

CN dieses Buch: Sterben, Tod
CN dieser Post: Covid19, Verweise auf aktuelle Ereignisse (nur im letzten Absatz)


The Museum held the remains of a broken sled in a glass case, and the inscription explained that it had been Leader’s arrival vehicle.

Es wird ohne Spoiler nicht gehen, aber ich verspreche, nur in einer Weise zu spoilern, die mich nicht davon abgehalten hätte, die Serie weiterzulesen. Die Frage, die ich mir nach Gathering Blue gestellt hatte, hat sich aufgelöst: Ja, die Welten hängen zeitlich und räumlich zusammen. Das dritte Buch der Serie verknüpft die beiden vorhergehenden miteinander und führt Personen zusammen.

Ein zentraler Aspekt, der in Gathering Blue bereits thematisiert wurde, wird hier noch verdeutlicht: Menschen mit Behinderungen sind vollständig und perfekt, wie sie sind, sie müssen nicht geheilt werden. Konfrontiert mit der Möglichkeit, ihr verdrehtes Bein geheilt zu bekommen, lehnt Kira ab. Das Bein ist wie ihr ganzer Körper ein Teil ihrer Persönlichkeit.

In der Petition, Village gegenüber Neuankömmlingen zu verschließen, lässt sich auch die Flüchtlingskrise wiederfinden. Die Menschen, die in Sicherheit und Gemeinschaft leben, haben vergessen, dass sie selbst früher als Ausgestoßene hier aufgenommen wurden. Sie wollen ihren Reichtum nicht mehr teilen, „es ist nicht genug für alle da“, ist ihre Argumentation. „Wir haben keinen Platz für diese fremden Kinder, die nicht mal unsere Sprache sprechen, in unseren Schulen.“

Mir blutet das Herz, wenn ich an die Flüchtlingslager in Griechenland denke. Es ist ja nicht nur diese Krankheit, die unsere Gesellschaft bedroht, es war ja vorher schon so, dass immer argumentiert wurde, „wir können nicht alle retten, das Boot ist voll“, Abschreckungsmaßnahmen und so weiter. Und jetzt sehen wir auch noch, wie sich Menschen in Machtpositionen bei der Impfung vordrängen. An manchen Tagen frage ich mich schon, wo das noch alles hinführen soll. Gibt es überhaupt noch Hoffnung für unsere Gesellschaft?

He gave himself to it willingly, traded himself for all that he loved and valued, and felt free.

Categories
English Jugend Roman

Lois Lowry – Gathering Blue

CN dieses Buch: Tod, Sterben
CN dieser Post: –


Suddenly  Kira knew that although her door was unlocked, she was not really free. Her life was limited to these things and this work.

Meta: Gerade ist mir wieder aufgefallen, dass die Linsen, durch die wir unsere Buchauswahl treffen, einen großen Einfluss darauf haben, welche Bücher wir auswählen. Hin und wieder blättere ich durch die Neuerscheinungen oder die populären Bücher in der OverDrive eLibrary und da muss mir irgendwie Lois Lowry entgegen gesprungen sein. Obwohl in meiner Papierausgabe von The Giver bereits am Ende des Buches angegeben war, dass es sich um ein Quartett handelt, muss ich das übersehen haben. In der Anzeige der OverDrive eLibrary war allerdings der Vermerk #1 in Series nicht zu übersehen. Mir ist auch aufgefallen, dass ich in letzter Zeit hauptsächlich auf englisch gelesen habe. Der Komfort der OverDrive eLibrary hat mich ziemlich im Griff. Ich versuch jetzt, bewusst auch zu den Altlasten zu greifen, die schon ewig auf dem Regal der ungelesenen Bücher stehen (San Miguel war auch eins von denen).

Vorerst ist unklar, ob eine Verbindung zwischen der Welt von The Giver und der Welt in diesem Roman besteht. Kann das eine eine Vergangenheit oder Zukunft des anderen sein? Ich hoffe sehr, dass sich das in den weiteren Büchern noch auflöst … ohne eine Verbindung zwischen den Welten wäre es wohl kaum als Quartett zu bezeichnen?

Jedenfalls hat es die Leserin auch hier mit einer eher dystopischen Welt zu tun, in der „beschädigte“ Menschen kein Lebensrecht haben und in der mit Zähnen und Klauen um jeden Vorteil gekämpft wird. Die Oberen schüren Angst vor den Bestien im Wald, um die Bewohner*innen im Zaum zu halten. Frauen ist es bei Strafe verboten, lesen zu lernen. Die Geschichte dieser Gesellschaft wird allein durch einen Gesang bewahrt, den ein speziell dafür ausgebildeter Sänger einmal im Jahr bei einer großen Versammlung vorführt.

Der Plot Twist am Ende hat mich dann nur mäßig überrascht, irgendwie war der Pfad schon deutlich zu erkennen. Der Kapitelauszug des nächsten Bandes am Ende lässt hoffen, dass wir erfahren, was die Zukunft dieser Gemeinschaft bringen wird.

Categories
Roman

Gertraud Klemm – Aberland

Warum wir nicht Papas Geld nehmen? Schon das Kindergartenkind hat ein Gespür für die Heilsversprechen konservativer Familienpolitik, […]

Dieses Buch erzählt abwechselnd aus den Leben von Franziska und Elisabeth, (es folgt ein kleiner Spoiler), wie sich Stück für Stück herausstellt, ist Elisabeth Franziskas Mutter. Beide reflektieren über ihr Leben, mit ihren Kindern, mit ihren Ehepartnern, über die Rollen von Frauen, die sich zwischen den Generationen leider nur sehr marginal verändert haben.

[…] sie hat kein schlechtes Gewissen mehr, immerhin ist sie Mutter, sie wird sicher bald schwanger und dann hat sie noch neun Monate, streng genommen ist sie in der Endphase ihrer Doktorarbeit, Mutter, und Veganerin ist sie jetzt auch noch, und burnoutgefährdet; irgendwo muss man Abstriche machen.

Franziska ringt mit ihrem Leben. Dem Sohn zuliebe hat sie ihre Dissertation unterbrochen; die Frage, warum Mama überhaupt arbeiten muss, wo doch Papa ohnehin Geld hat, ist einem Dreijährigen kaum zu erklären. Franziskas Ehemann wünscht sich (mindestens) ein zweites Kind, während Franziska nur aufatmet, dass Manuel endlich „aus dem Gröbsten raus ist“.

Franziska, das Gegenteil. Immer schon eine kleine Erwachsene, mit ihrer schlechten Laune und dem Verantwortungsgefühl für die ganze Welt. Als Kind schon mit der Furche zwischen den Augenbrauen, mit den strengen Gesetzen, die zu befolgen sie sich zwang.

Franziska fühlt sich offensichtlich von den unzähligen an sie gerichteten Erwartungen unterdrückt, Elisabeth hingegen urteilt, dass Franziska sich immer schon an von ihr selbst aufgelegte Regeln hielt. Vielleicht kann beides nebeneinander Richtigkeit haben, denn auch der Widerstand gegen gesellschaftlich auferlegte Normen kostet Kraft. Aus einer sicheren Position heraus ist es oft einfacher, sich den Normen anzupassen, als gegen sie zu kämpfen.

Etwas von ihr musste übrig bleiben, für die Zeit danach, wenn Manuel groß ist, dann ist sie Mitte fünfzig, was ist dann, welche Bedeutung hat sie dann, […]

Zwischen ihrer Dissertation, dem Haushalt, der Ehe, dem Kind sucht Franziska nach dem, was von ihr selbst eigentlich übrig bleibt. Der ständige Vergleich mit den anderen scheinbar perfekten Müttern tut sein Übriges, um das Wohlbefinden zu beeinträchtigen. 

[…] wie machen die das, die beruflich erfolgreichen Mütter, die ihr Recht auf Bildung eingelöst und sich trotzdem nicht der Fortpflanzung verweigert haben, wie sieht es bei denen zu Hause aus, stapeln sich da der Dreck und die Rechnungen?

Diese Aufzählung von weiblichen Klischees könnte lustig sein, wenn sie nicht so viel Wahrheit beinhalten würde. Für eine Satire fehlt jedoch der Biss, das Leben der beiden Frauen plätschert zwischen Gesellschaft und Familie dahin. Die Gewöhnlichkeit trieft zwischen den Zeilen durch.