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Felix Mitterer – Keiner von uns

CN dieses Buch: Gewalt, Mord, sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung, Verstümmelung, Folter, Rassismus, Prostitution
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Die obige Liste an Content Notices klingt schlimmer als bei Game of Thrones … Tatsächlich enthält das Buch einige sehr üble Details, ist aber im Großen und Ganzen kaum schlimmer als die Folge einer Krimiserie, wie sie oft schon am Nachmittag im Privatfernsehen zu sehen ist. Nach diesem relativierenden Hinweis nun zum Autor.

Felix Mitterer wird im Allgemeinen als modernes österreichisches Literatur-Nationalgut behandelt. Bereits in meiner frühen Schulzeit lernte ich sein Kinderbuch Superhenne Hanna kennen, in späteren Schuljahren begegneten mir immer wieder seine Theaterstücke wie zum Beispiel Kein Platz für Idioten oder In der Löwengrube. Dass er 2020 seinen ersten Roman veröffentlicht hat, wurde mir jedoch erst durch einen Literatur-Geocache nahe gebracht.

Die Geschichte ist eine Fiktionalisierung des Lebens von Angelo Soliman, seiner Frau Clara und seiner Tochter Josephine. Viele historische Details scheinen korrekt (etwa der Todestag von Wolfang Amadeus Mozart und seine Bestattung in einem Massengrab), die Einblicke in die Gefühlswelten der Protagonist:innen und die Verbindungen zum Kaiserhaus sind genau so offensichtlich Fiktion. Mit Gusto zeichnet der Autor etwa die historisch dokumentierte flapsige Persönlichkeit des berühmten Komponisten nach. Er erfindet auch eine sehr gut in seinen Roman passende Entstehungsgeschichte für das von Mozart unvollendete Requiem, das auch heute noch Stoff für Diskussionen und Mythen bildet.

Mitterer versucht, seine Frauenfiguren stärker darzustellen, als es die damalige Zeit zugelassen hätte (ein Problem, das mich kürzlich auch schon in einem anderen Roman gestört hat). Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die meisten Charaktere eindeutig gut oder böse dargestellt werden. Der grausame Professor, die warmherzige Hure, der treue Krüppel, die kämpferische Tochter … all diesen Figuren fehlt es an Tiefe. Der Ausbruch aus dem Narrenturm zeigt deutliche Züge des Deus-ex-machina-Prinzips.

Trotz dieser Kritikpunkte habe ich den Roman großteils gern gelesen und mich auch an den Details aus dieser historischen Epoche erfreut. Nicht unerwähnt lassen möchte ich natürlich auch die gesellschaftskritische Komponente, die in nahezu allen Werken von Felix Mitterer tonangebend ist, und auch hier schon im Titel des Werks anklingt. Irgendwie würde mich sehr interessieren, was meine ehemalige Deutsch-Professorin zu diesem Werk zu sagen hätte.

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Christoph Ransmayr – Cox oder Der Lauf der Zeit

CN dieses Buch: Tod, Sterben, Folter
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Mit Christoph Ransmayr habe ich damals 2007 (!) dieses Blog begonnen. Also damals noch nicht exakt dieses, sondern anfangs auf Last.fm, später wurden diese ersten Aufzeichnungen dann in ein WordPress Blog integriert, das seitdem regelmäßig aktualisiert wird.

Aber alles in ihm stand jedesmal und immer wieder still, wenn die unerfüllbare Sehnsucht nach seinen Liebsten ihn in einen Zustand leerer Traurigkeit verstieß, in dem er nicht mehr denken, sich auch nicht mehr erinnern, sondern nur noch erschöpft einschlafen konnte, um sich, von wirren Träumen gleichermaßen gelähmt und gejagt, auf die vergebliche Suche nach den Orten seines Heimwehs zu machen.

Dazu passt irgendwie auch das Thema von diesem Roman. Es geht im Großen und Ganzen um die Zeit an sich. Darum, wie sie uns manchmal scheinbar schneller oder langsamer vergeht. Wie wir sie messen können und ob wir mit unserer Lebenszeit auch gleichzeitig unsere Lebensqualität messen können. Hauptprotagonisten sind dabei der um seine verstorbene Tochter Abigail trauernde Uhrmacher Cox sowie der Kaiser von China. Als Gott gleicher Herrscher über „eigentlich eh alles“ sammelt der Kaiser Uhren, um damit letztlich auch noch die Zeit kontrollieren zu können. Cox erfindet dabei verschiedene ausgefallene Uhrwerke. Das Meisterwerk soll schließlich das sagenumwobene Perpetuum mobile sein (oder eine möglichst exakte Annäherung): eine Uhr, die ihre Energie allein aus der Veränderung des Luftdrucks bezieht. Wartungsfrei soll sie ihre Erbauer überleben, was als Sieg über die Zeit an sich gewertet wird. Aber letztendlich wird sich herausstellen, was wir ohnehin alle schon wissen: Nicht mal der Kaiser von China kann die Zeit anhalten.