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Erfahrungsbericht Sachbuch

Oliver Sacks – Zeit des Erwachens

Wir müssen sogar noch weiter gehen: Wenn nämlich unsere Patienten Erlebnissen unterworfen sind, die so eigentümlich sind wie die Bewegungen ihrer Träger – und wir haben Grund, dies anzunehmen –, dann benötigen sie viel Hilfe, eine sorgfältige und geduldige Zusammenarbeit, um das beinahe Unsagbare sagen und das beinahe nicht Vermittelbare mitteilen zu können. Wir müssen Mutentdecker sein im unwirtlichen Reich des vom Parkinsonismus Befallen-Seins, in diesem Land jenseits der Grenzen der normalen Erfahrung.

Dieses Buch wurde mir vom lieben Freund A. geschenkt (er hat ausgemistet und mich gefragt, ob ich Interesse hätte). Warum ich es haben wollte, weiß ich ganz ehrlich nicht mehr. Schon bei der Einleitung kamen mir heftigste Bedenken. Aber wegen des kürzlich erlittenen Fehlschlags (#nonmention) wollte ich nicht gleich das Buch ins Korn werfen.

Der Neurologe Oliver Sacks arbeitete zuerst am Mount Zion Hospital in San Francisco. Kurz nach der Übernahme der Professur für Neurologie am Albert Einstein College of Medicine in New York entdeckte er in einem Hospital für chronisch Kranke eine Gruppe von Postenzephalitikern, deren Krankheitsverlauf und Therapiegeschichte schließlich die Grundlage für dieses Buch bildeten. Es folgen ein paar Grundlagen, die ich mir selbst erst aneignen musste (es ist immer wieder faszinierend, was man über eine Krankheit zu wissen glaubt, obwohl man eigentlich gar nichts weiß).

Der Begriff Parkinson-Syndrom ist ein Überbegriff für Erkrankungen mit den Leitsymptomen Rigor (Muskelstarre), Bradykinese (verlangsamte Bewegungen) bis zu Akinesie (Bewegungslosigkeit), Tremor (Muskelzittern) und posturale Instabilität (Haltungsinstabilität). Bekannt ist im Allgemeinen Morbus Parkinson als idiopathische Erkrankung (ohne bekannte genetische oder äußere Auslöser). Es gibt jedoch auch andere Formen des Parkinson-Syndroms, die etwa durch andere Krankheiten ausgelöst werden können (sekundäre Syndrome) oder im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen (atypische Syndrome) auftreten.

Ein Spezialfall ist hier die Encephalitis lethargica, an der die meisten von Oliver Sacks Patienten erkrankt waren. Es handelt sich hierbei um eine Gehirnentzündung, die Krankheit trat zwischen 1917 und 1927 epidemisch auf, danach sind nur noch Einzelfälle dokumentiert. Während der akuten Krankheitsphase leiden die Patienten an Lethargie und unkontrollierbaren Schlafanfällen. Die Folgeerkrankungen ähneln oft den Parkinson-Symptomen und wurden daher auch in dieses Gebiet eingeordnet.

Lediglich ein Bereich – und nur dieser – blieb gewöhnlich von der gewaltigen Krankheit verschont: die „höheren geistigen Fähigkeiten“ wie Intelligenz, Vorstellungskraft, Urteilsfähigkeit und Humor. So konnten die Patienten, selbst in extremen Grenzsituationen, ihren Zustand bei völliger geistiger Klarheit erleben; sie behielten die Fähigkeit, sich zu erinnern, Vergleiche anzustellen, zu differenzieren und Zeugnis über ihr einzigartiges Schicksal abzulegen.

Oliver Sacks dokumentierte nun in seinem Buch die Behandlung der Patienten mit L-Dopa, einer Vorstufe des Neurotransmitters Dopamin (heutzutage oft das Glückshormon genannt). Das Parkinson-Syndrom ist unter anderem durch einen Mangel an Dopamin gekennzeichnet, wie der Pharmakologe Oleh Hornykiewicz in Wien und der Neurologe André Barbeau in Montreal im Jahre 1960 feststellten. Anfang 1967 berichtetet George Cotzias schließlich über Behandlungserfolge bei Parkinson-Patienten durch L-Dopa. Zwei Jahre später war der Preis für das neue „Wundermedikament“ gefallen, sodass Oliver Sacks es auch an seinen Patienten in Mount Carmel anwenden konnte.

Jeder beschriebene Patient ist an sich einer Erwähnung wert, die Lebens- und Fallgeschichten sind sehr unterschiedlich. Es gelingt Oliver Sacks auf ganz erstaunliche Art, jeden Patienten als Persönlichkeit zu betrachten und auch abzubilden. Auch die Reaktionen der Patienten auf das neue Medikament und die Veränderungen, die es in ihrem Leben auslöste, sind sehr verschieden. Gerade in den abschließenden ergänzenden Kapiteln, die der Autor erst für die später veröffentlichten Ausgaben hinzufügte, zeigt sich, wie unterschiedlich die Patienten auch auf die Langzeitanwendung von L-Dopa reagierten.

In den abschließenden Reflexionen erläutert Oliver Sacks auch die Zusammenhänge zwischen Erwachen und Heimsuchung, die alle Patienten in der einen oder anderen Form erlebten. Mich erinnerte der untenstehende Absatz daran, dass Dopamin als Glückshormon bezeichnet wird und Glück und Zufriedenheit viel zu oft gleich gesetzt werden. Diese Erkenntnisse sollten uns auch klar machen, dass durch Medikamente auch keine immerwährende Glückseligkeit erreicht werden kann. Der Mensch und sein Gehirn sind komplexer als nur die Summe ihrer Einzelteile und der chemischen Reaktionen dazwischen.

Erwachen zeichnet sich durch vollständige Befriedigung aus, durch völlige Erfüllung der Bedürfnisse des Organismus. Zu diesem Zeitpunkt sagt der Patient: „Ich habe, was ich brauche, ich brauche nichts mehr, ich habe genug, alles ist gut.“ … „Es geht mir gut“ bedeutet immer „Es ist genug“ – bedeutet Befriedigung, Zufriedenheit, Erfüllung, Erleichterung. … Aber leider, leider dauert dieses Glück des „genug“ niemals an. Nach einer gewissen Zeit geht es verloren und von da an gibt es nie mehr eine zutreffende Dosierung, das „Genug“ wird durch Zuwenig und Zuviel ersetzt, der Patient kann nicht mehr im Gleichgewicht gehalten werden.

In einem weiteren Kapitel vergleicht Dr. Sacks den Zustand des Parkinsonismus mit der Chaostheorie. Die über die Jahrzehnte entstandenen technischen Möglichkeiten wie zum Beispiel genaue EEG-Aufzeichnungen der Gehirnströme bildeten die Basis für einen neuen Blick auf die Krankheit und die Wirkungen des verabreichten Medikaments. In manchen Ticks der Patienten erkannte Dr. Sacks auch eine fraktale Dimension und verweist in diesem Zusammenhang auf Mandelbrot.

Das Chaos, das zunächst allem Verständnis zu trotzen schien und das dem Intellekt die völlige Niederlage androhte, zieht uns nun an und stellt eine neue Herausforderung dar. Anfangs empfanden wir das Chaos als den Feind der Vernunft, nun dient es als Grundlage einer neuen Rationalität, einer neuen Vernunft.

Die vielen unterschiedlichen Perspektiven, die man beim Lesen des Buches von der Krankheit und dem Umgang damit kennenlernt, sind zum großen Teil der Vielseitigkeit und dem ganzheitlichen medizinischen Ansatz von Oliver Sacks zu verdanken. Trotz des hohen Informationsgehalts bleibt das Buch auch für einen Nichtmediziner verständlich. Beim Lesen lernt man nicht nur die Krankheit kennen, sondern auch die Patienten und vor allem den Autor und Forscher, der die Krankheit untersuchte und die Patienten auf ihrer Lebensreise begleitete.

Buzzfeed: ein berührender Artikel von Bill Hayes, Lebensgefährte von Oliver Sacks, über ihre Beziehung und das Leben an sich

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Erfahrungsbericht

Petra Hartlieb – Meine wundervolle Buchhandlung

Ich gestehe: in der Buchhandlung gesehen und anschließend in der Bücherei ausgeborgt. Wenn ich alle Bücher kaufen würde, die ich lese, hätte ich keinen Platz in meiner Wohnung und kein Geld mehr, um Futter für den Hund zu kaufen.

Petra Hartlieb erzählt in herrlich ironischem Ton von der Geschichte ihrer Buchhandlung. Ein spontan abgegebenes Angebot führt zum Zuschlag für den Kauf einer Traditionsbuchhandlung und damit zum Umzug von Hamburg nach Wien und zu einer aufregenden Reise in die Welt des Unternehmertuns. Mit viel Witz beschreibt die Autorin die täglichen neuen Herausforderungen, mit denen sie als Buchhändlerin konfrontiert wird. Auch die familiären Belastungen durch die vielen zusätzlichen Arbeitsstunden spart sie nicht aus. Urlaub ist selten, das Weihnachtsgeschäft fordert alle Energien, nicht alle Kunden schätzen die umfangreiche Beratung, die auch mal zu Wartezeiten führen kann. Trotzdem spürt man in Petra Hartliebs Geschichte in erster Linie die Liebe zum Buch und zum Buchhandel und die Überzeugung, dass die viele Arbeit nicht umsonst ist.

Buchhandlung Hartlieb, 1180 Wien

Wenn man in Wien ist, kann man sich die beschriebene Buchhandlung inklusive der Mitarbeiter sogar anschauen. Leider habe ich es zwei Wochen lang nicht geschafft, während der Betriebszeiten hinzukommen, heute ging es sich immerhin beim Sonntagsspaziergang aus. Die Schaufensterdekoration reißt mich persönlich jetzt nicht so vom Hocker. Ja, ok, die Fußballecke muss man wohl gerade haben. Aber das Donna-Leon-Schaufenster mit den Büchern aus unterschiedlichen Editionen mit unterschiedlichen Covergestaltungen schmeichelt dem organisierten Auge definitiv nicht. Eine schöne Idee ist das Schaufenster seitlich von der Tür, in dem die Mitarbeiter ihre Lieblingsbücher präsentieren – ein Zeichen für die familiäre Arbeitsatmosphäre, die im Buch beschrieben wird. Vom Geschäft konnte ich leider nicht viel sehen, weil hinter der Tür massige Buchständer den Blick verstellen. Vielleicht schaffe ich es doch, mal während der Betriebszeiten hinzukommen. Die spanische Buchhandlung ist auch in der Nähe.

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Erfahrungsbericht Erzählung

Peter Handke – Wunschloses Unglück

Selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bißchen unglücklich.

Ein Geocaching-Literatur-Rätsel stieß mich auf Peter Handke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass seinerzeit im Deutsch-Unterricht eine(r) meiner SchulkolegInnen ein Referat darüber gehalten hat, erinnern konnte ich mich jedoch nur mehr daran, dass Handke darin vom Leben seiner Mutter erzählt.

Fein säuberlich schickte sie ihm eine beglaubigte Testamentskopie per eingeschriebenem Brief, noch am selben Abend beging sie Selbstmord durch eine Überdosis Tabletten. Auf den ersten Seiten geht Peter Handke darauf ein, dass das Aufschreiben der Geschichte für ihn auch therapeutische Wirkung hat, im weiteren Verlauf schreibt er einmal auch über die Schwierigkeit, die richtigen Formulierungen zu finden, die aber die Geschichte keinesfalls verfälschen dürfen. Eine schwierige Aufgabe, wenn man über lange zurückliegende Geschehnisse schreibt, die man selbst gar nicht oder nur sehr peripher (als kleines Kind) erlebt bzw. wahrgenommen hat.

Aufwachsen in der Großfamilie auf dem Land, keine eigenen Bedürfnisse haben dürfen, keine Möglichkeiten. Dem neugierigen Mädchen wird vom Großvater der Wunsch etwas zu lernen, einfach nur irgendwas abgeschlagen, immer wieder vom Tisch gewischt. Bis sie mit 15 Jahren schließlich geht und sich im Tourismus vom Stubenmädchen aus hocharbeitet. Der Anschluss an Deutschland und bald darauf der Krieg kommt dazwischen, eine erste Liebe, eine schnelle Schwangerschaft, Heirat mit einem anderen, den sie jedoch nicht liebt (das Kind braucht einen Vater). Der Krieg trennt die Familie, erst 1948 kehrt die Mutter in ihr Heimatdorf zurück, weitere Kinder folgen. Ausscheren ist auf dem Dorf nicht gern gesehen:

Spontan zu leben – am Werktag Spazierengehen, sich ein zweites Mal verlieben, als Frau allein im Gasthaus einen Schnaps trinken–, das hieß schon, eine Art von Unwesen treiben; „spontan“ stimmte man höchstens in einen Gesang ein oder forderte einander zum Tanz auf.

Schließlich leidet sie unter immer stärkeren Kopfschmerzen, jeder tägliche Handgriff wird zur Qual. Sie stößt sich an Ecken und Kanten, erinnert sich an nichts mehr, verirrt sich beim Spazierengehen, verliert jedes Zeit- und Ortsgefühl. Aus heutiger Sicht würde man wohl eine akute Depression diagnostizieren, damals vermutete der Arzt einen eingeklemmten Nerv. Sie wird schließlich von einem Nervenarzt behandelt, eine Zeitlang geht es ihr besser. Doch wie es weiter vorn im Buch heißt, wusste sie wohl, dass ihre Zukunft bereits vorbei war.

Auf den letzten Seiten versammelt der Autor Erinnerungen, Anekdoten, Reflexionen, jetzt ist er nicht mehr der Erzähler, jetzt erinnert er sich an die Frau, die seine Mutter war. Ein schmerzhaftes, persönliches Buch.

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Erfahrungsbericht

Silvia Bovenschen – Sarahs Gesetz

Sarahs Leben, mein Leben, unser Leben in memoriam, in der Abfolge einzelner Ereignisse schier unendlich, aufs Ganze, ein Wimpernschlag nur.

Es handelt sich um ein sehr persönliches Buch. Meine Kategorisierung unter Erfahrungsbericht will vom Gefühl her nicht ganz passen, aber da die Autorin ihr Leben mit und die Geschichte ihrer Freundin Sarah erzählt, handelt es sich um eine wahre Geschichte. Die Erzählung in kurzen Kapiteln, Erinnerungen, wie man sie im Gespräch mal schnell erzählt, passt sehr gut zu dieser sehr persönlichen Geschichte.

Die Autorin selbst leidet seit ihrer Jugend an Multipler Sklerose. Mit zunehmendem Alter kann sie den Alltag nicht mehr allein bewältigen, der Zusammenzug mit der Freundin ist bereits geplant, muss jedoch aus gesundheitlichen Gründen früher stattfinden. Die pflegerischen Tätigkeiten, die ihre Freundin zweifellos auch übernommen hat sowie die Auswirkungen der Krankheit auf das gemeinsame Leben werden nur am Rande gestreift.

Viel mehr fokussiert die Autorin auf die Geschichte ihrer Freundin: was hat sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute ist? Die Kindheit, die früh zerbrochene Beziehung zu den Eltern, die frühe Auseinandersetzung mit Kunst, die lebenslange Beschäftigung mit künstlerischen Themen, die Erfolge und auch die gescheiterten Projekte. All diese kleinen Puzzleteile machen die Persönlichkeit der Freundin aus. Es ist keine Verherrlichung ihrer Person, sondern ein ehrliches Portrait, das auch ihre Ecken und Kanten zeigt.

Die Autorin erwähnt auch, dass sie selbst Europa niemals verlassen hat. Obwohl die Freundin oft auf Auslandsreisen ging, um neue Erfahrungen zu machen, künstlerische Inspiration zu finden, Studien zu betreiben, hat sie selbst kaum das Bedürfnis, die Welt zu bereisen. Mit dieser Lebenseinstellung kann ich inzwischen auch etwas anfangen. Die Erkenntnis, dass es nicht möglich sein wird (und unfassbar anstrengend wäre), die ganze Welt zu bereisen und gleichzeitig in der Heimat verwurzelt zu sein und ehrliche, lang andauernde Freundschaften zu pflegen, hat es mir leichter gemacht, zu akzeptieren, dass ich viele Teile der Welt nur in Fernsehdokumentationen sehen werde.

Wer in die Fremde geht, will sich bereichern, er will reicher werden, schlimmstenfalls reicher an Bodenschätzen, bestenfalls reicher an Eindrücken, an Wissen, an Erfahrung, zuweilen gibt es auch die Empfehlung, in die Fremde zu gehen, um sich selbst kennenzulernen: Alternativtourismus mit therapeutischer Effizienz.

Im letzten Teil des Buches hat die Autorin Texte versammelt, die sie für Ausstellungskataloge der Künstlerin Sarah Schumann verfasst hat. Diese haben mir wieder mal eindeutig klar gemacht, dass ich von Kunst absolut gar nichts verstehe. In einem Text über die Porträts ihrer Freundin schreibt sie etwa:

Aber diese visuelle Wahrhaftigkeit ist nicht justiert. Sie markiert in ihrem Wechsel zwischen überscharfer Kontur und Schemenhaftigkeit unsere heiklen Versuche, einen Menschen in seiner Einzigartigkeit zu vergegenwärtigen, immer changierend zwischen innerer Gewissheit und unfassbarer Flüchtigkeit.

Natürlich ist mir die Bedeutung der einzelnen Worte klar, aber die Zusammensetzung will für mich selbst beim Betrachten eines Bildes der Künstlerin absolut keinen Sinn ergeben. Muss man Kunst erst studieren oder sich zumindest lebenslang damit beschäftigen, um einen Zugang dazu finden zu können? Wird man mit einem künstlerischen Mindset geboren oder lernt Mensch das im Laufe seiner Kindheit und Jugend bzw. eigentlich seines ganzen Lebens? Kann man Künstler werden oder wird man als Künstler geboren?

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Erfahrungsbericht Sachbuch

Khaled Al-Berry – Life is more beautiful than paradise

Wenn über den Islam gesprochen wird, wissen die wenigsten Menschen, was diese Religion eigentlich ausmacht, wo sie herkommt und wie die Gläubigen leben. Ich weiß selbst beschämend wenig darüber. Wenn es dann um fundamentalistischen Islam geht, um die Menschen, die für ihre Religion in einen Glaubenskrieg ziehen, dann hört das Verständnis zumeist total auf. In unserer Gesellschaft liegt das vermutlich auch zu einem großen Teil daran, dass viele gläubige Katholiken es eigentlich nur auf dem Papier sind. Sein Leben an religiösen Vorschriften ausrichten, die über 2.000 Jahre alt sind? Für die Einhaltung von Vorschriften kämpfen, die einem das Alltagsleben erschweren, die einem Chancen zunichte machen, die darüber entscheiden können, ob man einen Job bekommt, oder nicht? Das kennt man im heutigen Katholizismus nicht mehr. Dass noch vor 1.000 Jahren die christlichen Glaubensritter auf Kreuzzüge auszogen, um die „einzig wahre“ Religion zu verbreiten, wird zumeist auch vergessen.

Dieses Buch erzählt nun also die Geschichte eines fundamentalistischen Islam-Gläubigen. Khaled Al-Berry schloss sich in jugendlichem Alter Anfang der 90er-Jahre einer Extremistengruppe an, die den fundamentalistischen Islam vertritt. Die Jama’a Islamiya formierte sich an ägyptischen Universitäten als Organisation militanter Studenten mit dem Ziel, die ägyptische Regierung zu stürzen und durch einen Islamischen Staat (auch islamische Republik, nicht zu verwechseln mit der heute bekannten Organisation Islamischer Staat) zu ersetzen.

Eine der interessantesten Stellen des Buches beschreibt den schleichenden Eintritt in die fundamentalistische Religion. Khaled Al-Berry erzählt, wie aus den Diskussionsgruppen, in denen er mit Gleichgesinnten Auslegungen des Korans und anderer islamischer Schriften diskutierte, schließlich politische Dimensionen entsprangen. Zuerst geht es nur um die Einhaltung der Vorschriften durch jeden für sich selbst. Dann geht es um die Einhaltung der Vorschriften durch alle anderen Gläubigen. Dann geht es um den Staat und dass dieser keinesfalls von Ungläubigen geleitet werden darf.

When anyone takes his first steps in the Jama’a, he cannot tell where the path begins or at what point he will find himself fully committed; everything flows seamlessly. The study circles do not discuss how to confront society, or how the state should be governed. They discuss what is forbidden and what is permitted, they discuss prayer, the rules governing fasten, the rules governing how to look at a woman and listen to music, the limits to be placed on the exposure of the body, the acts that render ritual ablutions void and those that require the ritual purification of the whole body, the proprieties to be observed when bathing and when eating.

Einen wichtigen Punkt bildet dabei auch die Rechtfertigung des Tötens, denn natürlich enthält auch der Koran eine Vorschrift, die das Töten anderer Menschen untersagt. Leider enthält er auch Passagen, die in die eine oder die andere Richtung interpretierbar sind. Fundamentalistische Gruppen verstehen es, diese Passagen so auszuwerten, dass im Kampf gegen Ungläubige und um den einzig wahren Glauben zu verteidigen, jedes Mittel erlaubt ist, wie es auch die Jama’a Islamiya in ihrem Motto verfolgte:

Fight them on until there is no more Tumult, and there prevail justice and faith in Allah; but if they cease, Let there be no hostility except to those who practise oppression.

Khaled Al-Berry erklärt in diesem Zusammenhang auch den Unterschied zwischen Töten (zu verstehen im Sinne einer Exekution als Strafe für falsches Verhalten) und Kämpfen (im Sinne eines Krieges oder eines Aufruhrs gegen das bestehende Regime):

To put the matter in a contemporary context, killing resembled the carrying out of a judicial sentence of execution, whereas fighting was an armed uprising against the ruling regime, or a war with another state’s regime.

Während eines Aufruhrs an der Universität wird der Autor verhaftet. Aus dem Buch geht nicht hervor, dass er irgendeine Form der kriegerischen oder gewalttätigen Handlung begangen hätte, er gehörte schlicht einer politischen Gruppierung an, die sich gegen das bestehende Regime auflehnte und daher von der Regierung niedergeschlagen werden sollte. Dieser Teil des Buches beschreibt Verhörmethoden, mangelnde Gerichtsverfahren, Folter in weitaus mehr Details, als ich jemals wissen wollte. Auf eine ungewisse Zeit in einem Security Camp (einer nicht näher beschriebenen militärischen Einrichtung) folgt eine ebenso ungewisse Zeit im Gefängnis – ohne Hoffnung auf Entlassung.

But the experience itself is different. Prison is a cage in which a person who has complete power imprisons another who has no protection and deprives him of the sight of the sun, of walking in the open air, of going to the toilet, or of seeing friends. … Prison likewise deprives one of his control over time and place.

Die Zeit im Gefängnis hat Khaled Al-Berry nicht von seinen religiösen Vorstellungen geheilt oder befreit, sie jedoch massiv verändert. Er beschreibt deutlich schamvoll, wie sehr ihn die schließlich wiedererlangte Freiheit verändert. Auch den titelgebenden Punkt, an dem er feststellte, dass das Leben auf dieser Erde schöner ist, mehr wert ist, als das Leben nach dem Tod im Paradies. Er verfolgt keine politischen Ziele mehr, versucht unter dem Radar zu fliegen, sein Studium abzuschließen und nicht aufzufallen. Er bleibt gläubig, lässt aber Stück für Stück von seinen radikalen Ansichten ab. Im letzten Absatz des Buches bezeichnet er sich selbst als a young man raised on illusions. Das dürfte wohl auf viele Glaubenskrieger zutreffen.

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Erfahrungsbericht

Katia Mann – Meine ungeschriebenen Memoiren

Statt frei zu erfinden, stützte Thomas Mann sich am liebsten auf Wirklichkeit. Er fand lieber, als dass er erfand, Schauplätze, Grundzüge von Personen und vieles mehr. Er eignete sich das Gegebene an, durchdrang es auf seine Weise, beseelte es, wie er es nannte, mit seinem Künstlertum.

Ganz ehrlich, zu diesem Buch hätte ich sicher nicht gegriffen, hätte nicht die Reading Challenge nach Memoiren verlangt. Kürzlich war ich im Carla Nord, um ein paar übrig gebliebene Sachen zu spenden und wollte dort „einen kurzen Blick“ in die Bücherabteilung werfen. Genau. Stellt sich raus, die Bücherabteilung ist in so einer Art Container, der an die große Lagerhalle dran gebaut ist. Zwischen den Regalen fließt das Sonnenlicht durch den Raum und Reihe um Reihe stehen dort Bücher aller Kategorien. Es hat länger gedauert. Und ich habe nur die Romane und die englischen Bücher durchgeschaut, die anderen Kategorien nur im Vorbeigehen gestreift.

Natürlich hatten wir im Deutschunterricht irgendwann die Buddenbrooks besprochen und vermutlich auch den Zauberberg. Trotzdem verbinde ich nichts mit Thomas Mann, seine Familiengeschichte war mir deshalb völlig neu. Katia Mann beschreibt in Gesprächen (aufgezeichnet von Elisabeth Plessen und Katias und Thomas Sohn Michael) ihre Lebenszeit, ihre Beziehung zu Thomas Mann (zumeist wird er mit vollem Namen genannt, nur an wenigen Stellen nennt sie ihn Tommy) und zu ihren Kindern. Interessant fand ich speziell die Passagen, wo es um die politischen Verflechtungen diverser historischer Zeitgenossen ging. Ihre Charakterisierungen von Persönlichkeiten aus der Kunst sprühen vor Witz (etwa die wenig charmante aber ausgefeilte Beschreibung von Alma Mahler-Werfel). Sie beschreibt eine Parallelgesellschaft unter den Emigranten, in der neben freundschaftlichen Gefühlen oft Neid und Missgunst stehen. Ein Zeitdokument.

Reading Challenge: A memoir

NOTE: Das ist übrigens der Moment, wo ich mir eingestehen muss, dass sich das dieses Jahr nicht mehr ausgehen wird. Interessant, dass es mir gerade in diesem Jahr nicht gelungen ist, den Schnitt von einem Buch pro Woche aufrecht zu erhalten. War in diesem Jahr noch weniger Zeit als im Jahr davor? Wo kommt die ganze Zeit hin?

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Erfahrungsbericht Reise

Sergio Bambaren – Die blaue Grotte

Diese Seiten werden dir die Kraft geben, das Leben zu leben, das Du gewählt hast, und sie werden Dir das Gefühl geben, dass ich immer bei Dir bin, egal, wo Du bist, und egal, wo ich nun bald sein werde.

Sergio Bambaren (2010 hatte ich Ein Strand für meine Träume gelesen) beschreibt in diesem Band seine Erlebnisse auf einer Lesereise durch Europa. Parallel erzählt er die Lebensgeschichte des Heiligen Franz von Assisi. Die Kurzfassung: Franz von Assisi entstammte einer reichen Familie, entschied sich jedoch, sein Leben wie Jesus Christus in Armut zu verbringen, er wanderte als Prediger durch Italien und fühlte sich der Natur verbunden. Ich erinnere mich an eine Dokumentation über sein Leben, die ich vor vielen Jahren im Religionsunterricht gesehen habe: Brother Sun and Sister Moon. Der Titelsong dröhnt mir heute noch in den Ohren.

Denn ich weiß nun, dass wir immer dorthin gelangen, wo wir hinmüssen, wenn wir uns von den Fesseln des „normalen“ Lebens befreien und unseren eigenen Weg gehen. In meinem Fall habe ich eben auf die Stimme meines Herzens gehört und bin weitergefahren.

Der Autor beschreibt seine Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen auf seiner Reise. Da er im überlaufenen Assisi nicht die erhoffte Ruhe findet, landet er nahe Capri in einem Hotel, das zufällig in einem Gebäude eingerichtet ist, in dem im 13. Jahrhundert von Franz von Assisi ein Kloster gegründet wurde. Auf seiner Reise lernt er viele Menschen kennen, manche geplant, manche zufällig, wie etwa einen Obdachlosen, der ihm (ungewollt, man könnte beinahe sagen: zufällig) eine neue Perspektive vermittelt.

Zu viel denken ist wie billiger Fusel – es tötet die Gehirnzellen. Daher: leben und leben lassen. Und seinen eigenen Weg gehen.

Während des Lesens schwankte ich ständig zwischen dem Gefühl, sofort selbst auf Reisen gehen zu wollen (in letzter Zeit wieder ein häufiger Begleiter) und dem Gedanken, dass diese übertriebene, zur Schau gestellte glückselige Spiritualität einfach nicht wahr sein kann. Mit etwas Abstand betrachtet ist es wahrscheinlich so ähnlich wie mit der Facebook Timeline. In der Facebook (oder Twitter oder Whatsapp oder Instagram …) Timeline zeigen die Benutzer nur die Teile ihres Lebens, die schön sind: das gute Essen, der neue Kugelgrill, das neue Motorrad, den schönen Radausflug. Was man als Leser / Freund / Beobachter nicht sieht, sind die vielen normalen Momente dazwischen, die das Leben wirklich ausmachen. Auch Sergio Bambaren wird auf seiner Reise nicht nur spirituelle Erfahrungen und schöne Begegnungen erlebt haben, sondern auch die Langeweile beim Warten auf den Flug, den Ärger über rücksichtslose Menschen, vielleicht sogar Heimweh oder den kurzfristigen Wunsch, diese Reise niemals angetreten zu haben.

Trotzdem schadet es nicht, sich selbst immer wieder daran zu erinnern, dass es wichtig ist, die schönen Momente im Leben nicht nur zu genießen, sondern sie auch zu erkennen. Damit meine ich nicht die oben erwähnten Highlights, die wir ins Internet hinausschreien, sondern die kleinen Momente des Alltags: den Hund streicheln, Kaffee trinken, die Kinder lachen sehen, Müsli mit frischen Erdbeeren essen. Manche schaffen es vielleicht sogar, das Gras wachsen zu hören. ;-)

Reading Challenge: A book with a colour in the title

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English Erfahrungsbericht Sachbuch

Gretchen Rubin – The Happiness Project

Herbstblaetter(c)jamie84/SXC

Be happier. We all want to be more happy but what do you do to achieve that? Gretchen Rubin took an analytical approach and tried to identify areas in her life where happiness improvement might be possible. She starts her year of happiness by decluttering her life. So the first chapter didn’t have much news for me. There’s not that much clutter in my life and I’m used to ask myself, if I really need that. I seldom keep items of clothing that I don’t wear (anymore) and I don’t buy items that I can only wear “on a special occasion”. Of course it’s fine to see that I don’t struggle with a topic that so many people consider a problem.

February tackles the subject of marriage which is currently not a topic for me either. But the thought of accepting your partner or friends with all their problems and bad characteristics made me think. You can and should do that with your partner (wife or husband) and of course your children, but one cannot do that with every person you have to deal with in real life. I tried to accept my clients and the aspects of their personality that sometimes fall on my nerve. But it’s just not possible to accept it if you get treated unfair. You cannot accept everything that people throw on you, sometimes you need not only „fight right“ but also fight for your right. You can’t do that by always being friendly. This won’t work in real life. Others won’t play by your lovely happiness rules. Sometimes you will have to show your teeth.

He didn’t want to spend hours pumping up my self-confidence. He was never going to play the role of a female writing partner and it wasn’t realistic to expect him to do it.

This might be a worthy fact for life: No man wants to do that. Men want to have a female partner that already has self-confidence and isn’t addicted on getting compliments all the time. Gretchen Rubin accepts the fact that it’s important for her to get praise for the things she does for her family. „Earning gold stars“ is an interesting term and it also shows that not only children can be baited into doing things but adults are also very much interested in praise for their work and life. I guess it should be easier to praise yourself sometimes.

It makes me sad for two reasons. First, it makes me sad to realize my limitations. The world offers so much! – so much beauty, so much fun, and i am unable to appreciate most of it. But it also makes me sad because, in many ways, I wish I were different. … But it doesn’t matter what I wish I were like. I am Gretchen.

This part really made me think. I compare myself and my life with other people far to often. Many people my age already have marriage, house, children. But it doesn’t matter that I don’t have that because I have a job I love and the freedom to explore life my own way.

Gretchen Rubin also mentions that she will never be an astronaut. I never wanted to be an astronaut but this is comparable with my frustration when I found out that I will never be able to read all books in the world or find all geocaches in the world (not even all in Vienna will be possible). You can do anything you want but you can’t do everything. I will someway be able to find that one mystery cache I’m struggling with and I will someday find that GCQRZK (which is kind of a Nemesis for me). I realized that I always loved the thought of being styled in an extravagant way but I was never feeling comfortable when I was wearing extravagant clothes or makeup. This is just not myself. I’m wearing jeans and black shirts all year and that’s how I’m feeling well.

It’s definitely a good idea to start thinking about happiness and explore ways to find more happiness in your everyday-life. Happiness won’t come to you, you have to make yourself feel better.

Weitere Informationen:
The Happiness Project – Blogfem.com