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Sachbuch

Gretchen Rubin – The Four Tendencies

2011 hatte ich bereits The Happiness Project gelesen (und irgendwann später nochmal) und damals ein gewisses Maß an Sympathie für die Autorin empfunden, die ihr Privatleben so schamlos in einem Buch über Gewohnheiten (hat jemand bessere Vorschläge für eine Übersetzung des englischen habits?) und wie man sie verändert oder beibehält ausschlachtet. Nun hat sie ihre eigenen Erkenntnisse und die Reaktionen anderer Menschen auf dieses Projekt genutzt, um daraus ein pseudowissenschaftliches personality framework zu entwerfen, das alle Menschen in 4 Kategorien einsortiert. Das Unterscheidungskriterium ist dabei, wie jeder Einzelne auf innere und äußere Erwartungen (expectations) reagiert. Hier die 4 Typen in Kürze:

Upholder: kommt mit inneren und äußeren Erwartungen problemlos klar, tut einfach, was zu tun ist, reagiert mit Unverständnis, warum andere Leute das nicht auch können.

Questioner: widersteht äußeren Erwartungen und kommt mit inneren Erwartungen gut klar, hinterfragt alles und will immer ganz genau wissen, warum etwas so gemacht werden soll, wenn das aber klar ist, schreitet der Questioner zur Tat.

Obliger: erfüllt äußere Erwartungen, hat aber Schwierigkeiten, Erwartungen an sich selbst einzuhalten, dieser Mensch braucht einen Partner zum Sport, weil er nicht in der Lage ist, für sich selbst etwas Gutes zu tun, weil er immer das Wohl seiner Mitmenschen vor sein eigenes stellt.

Rebel: widersteht allem, will sich an nichts binden, bricht Regeln, nur um sie zu brechen und kann daher sogar selbst aufgestellte Regeln nicht einhalten.

Aus dieser kurzen Beschreibung ist deutlich zu erkennen, dass es sich hier um sehr extreme Persönlichkeitstypen handelt. Natürlich gibt es Überschneidungsbereiche. Die Autorin meint, sie könne jeden Menschen eindeutig einem Typ zuordnen, mir ist das bei mir selbst nach zweimaligem Lesen der in Frage kommenden Typen nicht gelungen. Das Quiz dazu fühlt sich an wie ein Beziehungstest im Bravo. Natürlich muss die Autorin selbst vollständig überzeugt von ihrem Konzept sein, sonst hätte sie wohl kaum ein Buch darüber schreiben können. Da eine wissenschaftliche Untersuchung des Konzepts noch aussteht, bin ich weiterhin der Ansicht, dass es Menschen gibt, die sich an den Schnittpunkten der Kategorien befinden. Vielleicht verschwimmen die Tendenzen auch mit zunehmendem Alter, wenn Menschen (egal wie) gelernt haben, mit ihren persönlichen Stärken und Schwächen umzugehen.

Das Buch enthält bestimmt einige Anregungen, wie man mit sich selbst, seinem Partner oder anderen nahestehenden Menschen besser umgehen lernen kann – soweit diese sich eindeutig einer der Kategorien zuordnen lassen. Meine (hoch gesteckten) Erwartungen hat es leider nicht erfüllt.

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Krimi Roman

Volker Kutscher – Märzgefallene

„Mein Gott, Charly! Du kannst doch nicht den ganzen Tag Trübsal blasen, nur weil jetzt die Nazis regieren. Das ist doch nur Politik! Das Leben geht weiter!“

Schon am Beginn von Volker Kutschers Krimireihe im Berlin der 1920er Jahre hatte ich erwartet, dass es mit der Machtübernahme der Nazionalsozialisten richtig interessant werden würde. Gerade jetzt ist es auch wichtig, diesen Roman zu lesen und zu empfehlen. Er zeigt nämlich sehr deutlich auf, was sich viele Menschen heutzutage nicht mehr vorstellen oder erklären können: wie hat es dazu kommen können, dass die Nationalsozialisten mit all ihrer Grausamkeit so schnell an so viel Macht kamen und kaum jemand etwas dagegen unternommen hat?

Am Beginn dieses Romans ist Hitler bereits Reichskanzler, es steht jedoch eine Wahl bevor, von der viele erwarten, dass die Nationalsozialisten dabei deutliche Verluste hinnehmen werden müssen. Der Wahlkampf wird jedoch von systematischen Erpressungs- und Einschüchterungsmaßnahmen der SA begleitet. Widerstand wird mundtot gemacht, es breitet sich eine Stimmung aus, in dem Arbeitskollegen nicht mehr über ihre politische Einstellung sprechen, weil sie Angst haben, der Kollege könnte ein Anhänger des Nationalsozialismus sein. Diese Anfänge lassen sich aktuell in Österreich beobachten. Es ist kein Zufall, wenn Innenminister Herbert Kickl in vollem Bewusstsein über die brisante Wortwahl davon spricht, Asylbewerber „konzentriert“ unterbringen zu wollen. Damit provoziert er systematisch Widerspruch und gewinnt somit einen guten Überblick über seine Gegner. Dies können er und seine Partei nun weiter nutzen, um die unliebsamen Gegenstimmen gezielt zu bekämpfen.

Die besondere Leistung in diesem Roman ist, dass es dem Autor gelingt, die unterschiedlichen Standpunkte und Reaktionen der betroffenen Personen darzulegen. Sein Kommissar Rath hat als (zumindest auf dem Papier katholischer) Kriminalpolizist nichts zu befürchten und will sich seinen Alltag nicht von Politik verderben lassen. Er gehört zu jenen, die davon überzeugt sind, dass diese Situation vorbeigehen wird und es sich nicht lohnt, sich überhaupt darüber aufzuregen. Diese Einstellung muss er jedoch bis zum Ende des Romans zumindest stückweise revidieren. Seine Verlobte Charly hingegen ist von der NSDAP, deren Politikern und Maßnahmen von Beginn an angewidert. In ihrer Abteilung wird sie damit beauftragt, jugendliche Banden zu verhören, um angebliche Kommunisten zu entlarven. Die Hitler-Verehrung ihrer Kollegin und Vorgesetzten kann Charly nicht verstehen. Sie entscheidet sich schließlich für den Ausstieg aus dem Polizeidienst, da sie für einen Staat in diesem Zustand nicht mehr arbeiten will.

Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. Weil der Staat, für den sie arbeitete, sich nach und nach in ein missgestaltetes Ungeheuer verwandelt hatte, das nur noch in wenigen Äußerlichkeiten an die deutsche Republik erinnerte, entstellt wie die vielen Kriegsversehrten, die auf Berlins Straßen bettelten.

Der tatsächliche Kriminalfall gerät unter dem Druck der politischen Veränderung in den Hintergrund. Dabei spart der Autor auch diesmal nicht mit Leichen und auch nicht mit Mördern, ohne zu spoilern kann ich nur verraten, dass die Spannung bis zum letzten Moment aufrechterhalten bleibt.

Mitnehmen lässt sich der Rat, nicht die Augen zu verschließen, wenn sich politische Veränderungen ankündigen. Es ist wichtig, dass jeder Einzelne die Augen offen hält, mit seinen Mitmenschen spricht (und damit meine ich persönlich und nicht im Internet) und menschlich fragwürdige Haltungen auch zur Diskussion stellt. Eine menschenwürdige Politik ist das Mindeste, was wir von unserer Regierung einfordern sollten.

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Memoir

Susan Faludi – In the Darkroom

Einen traditionellen Jahresrückblick wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Die Umstände haben dazu geführt, dass ich deutlich weniger Zeit zum Lesen hatte als erhofft. Eine interessante Idee musste ich jedoch verfolgen und ich kam zu einem sehr erfreulichen Ergebnis: Etwa die Hälfte aller Bücher, die ich 2017 gelesen habe, stammten aus der Bücherei Wien. Obwohl ich auch 2017 wieder einige Bücher gekauft habe (kaufen musste!), ist das Angebot so breit gefächert, dass ich auch immer wieder Empfehlungen von Lithub in der Bücherei finde. Auch das im Folgenden besprochene Werk gehört dazu.

„People can’t survive without categories. Even people on the fringes need categories, so they can be on the fringes. You have to have an identity.“

Dieses Buch hat sich als eine große Herausforderung erwiesen. Auf einer Ebene erzählt die Autorin die Lebensgeschichte ihres Vaters. Auf einer anderen Ebene erzählt sie jedoch, wie sie ihren seit ihrer Kindheit abwesenden Vater kennenlernt. Sie lernt jedoch nicht nur ihren Vater kennen, sondern eine neue Person, die ihr Vater geworden ist. Er hat eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen und lebt nun als Frau. Als ob diese Konstellation nicht schon genug für ein einziges Leben wäre, entstammt diese Person auch noch einer jüdischen Familie, hat im 2. Weltkrieg in Ungarn überlebt und sich danach in Dänemark, Brasilien und Amerika ein neues Leben aufgebaut. Und hat Jahrezehnte später ihre Familie verlassen und ist in ihre ungarische Heimat zurückgekehrt. Dass es der Autorin gelungen ist, all diese Facetten in ein Bild zu fassen, ist allein schon eine Meisterleistung.

„Identity is“–she deliberated–„it’s what society accepts for you. You have to behave in a way that people accept, otherwise you have enemies. That’s what I do – and I have no problems.“

Die Erzählung wechselt von persönlichen Momenten wie etwa intimen Kindheitserinnerungen zu Rückblicken in die Zeit des 2. Weltkriegs. Der Vater soll seine Eltern vor der Deportation ins KZ bewahrt haben. Die Autorin forscht nach entfernten Verwandten und findet neue Perspektiven auf die Erzählungen ihres Vaters, aber oft auch die Bestätigung seiner Geschichten, an denen sie zweifelt. Das ist nicht der Vater, den sie in Erinnerung hat. Sie beschreibt einen Kennenlernprozess, wie er nur möglich ist, wenn sich zwei Menschen tatsächlich aufeinander einlassen. Ein Aufeinandereinlassen, dass dem Vater erst möglich ist, da er nun als Frau lebt.

„Before, I was like other men“, she said. „I didn’t talk to other people. Now I can talk to anybody.“

Neben der familiären, persönlichen Ebene scheut die Autorin aber auch nicht vor der politischen Ebene zurück. Sie untersucht nicht nur die Situation der ungarischen Juden während des 2. Weltkriegs sondern analysiert auch die sich im neuen Jahrtausend entwickelnde Rechtsregierung unter Viktor Orban. Die Parallelen, die sich dabei auftun, sollten uns um die Freiheitsrechte jedes Einzelnen fürchten lassen. Es geht dabei nicht nur um Antisemitismus oder Vorurteile gegen LGBT+ Personen. Jeder ungarische Bürger ist davon betroffen und genau diese politische Richtung vertritt jetzt auch die österreichische Regierung.

„Hungary is a very normalizing society, more than others, and it’s definitely not inclusive“, she told me. „Hungary has this very tragic self view–’We are special because we are the losers of history’. And that self-pitying mentality doesn’t lend itself to being welcoming to people who are different.“

Dieses Buch ist keine einfache Lektüre, aber die intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept Identität (was macht die Identität eines Menschen aus? Religion, Geschlecht, Herkunft? welche Faktoren bestimmen eine jüdische Identität, eine weibliche, eine ungarische?) ist jeden einzelnen Buchstaben wert.

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Roman

Ashley Shelby – South Pole Station

Who needed a mirror when the only thing reflected was loss after loss?

Die Protagonistin Cooper kämpft mit dem Selbstmord ihres Bruders und ihrem Leben allgemein. Sie bewirbt sich für ein Kunststipendium für einen Aufenthalt auf der Wissenschaftsstation am Südpol. Dort findet sie ein interessantes Soziotop aus Ingenieuren, Wissenschaftlern und anderen Künstlern vor. Es entspinnt sich eine Entwicklung auf unterschiedlichen Ebenen, in Rückblenden werden auch die Geschichten erzählt, die andere Bewohner auf die Forschungsstation gebracht haben. Darin enthüllen sich die verschiedenen Motive, die Menschen haben können, um sich für ein Leben in einer derart unwirtlichen Umgebung zu entscheiden.

Der Roman ist deshalb so spannend, weil es der Autorin gelungen ist, nicht nur auf die emotionalen Entwicklungen zu fokussieren, sondern auch zu erklären, warum viele gesellschaftliche Prozesse so funktionieren, wie sie es tun. Ein Klimawandel-Skeptiker kommt ebenfalls auf die Forschungsstation und wird von allen „ernsthaften“ Wissenschaftlern gemobbt. In seiner Vorgeschichte werden dann auch die politischen Hintergründe aufgedeckt, die ihn zu dem gemacht haben, was er geworden ist: ein Wissenschaftler, der sich kaufen lässt, weil ihm keine andere Wahl mehr geblieben ist.

Die Autorin erklärt auch viele Bezüge, die nicht auf der Hand liegen, ohne dabei überheblich zu wirken. Ein Wissenschaftler beschreibt Kunst als einfach: man müsse nur ein Subjekt präsentieren und dann ein Statement dazu machen. Viele selbst ernannte Künstler handhaben das vermutlich tatsächlich so und die Frage bleibt offen, woran sich dann „echte“ Kunst überhaupt noch erkennen lässt. Sie untersucht aber auch die Motive eines weiteren Forschers, der sich auf eine Theorie konzentriert, die von seinen Kollegen angezweifelt wird, jedoch auf wissenschaftliche Art und nicht auf der persönlichen Ebene, auf der dem Klimawandelskeptiker begegnet wird. Hier lässt sich auch der Unterschied zwischen Glauben und Wissen analysieren. So lange eine wissenschaftliche Theorie unbewiesen ist (also entweder bewiesen oder widerlegt), stellt sie kein Wissen dar. Kann sie deshalb wie eine religiöse Glaubensfrage behandelt werden?

„I don’t believe it“, he said. „That’s not how science works. But I find it compelling enough to devote my life to it.

Nachtrag: Eine aktuelle Podcast-Folge zum Thema Klimawandel hat Tim Pritlove beim Forschergeist veröffentlicht.

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Roman

Iris Hanika – Wie der Müll geordnet wird

Hierbei handelt es sich um ein Leseexperiment. Beim Ausleihen in der Bücherei Wien druckt der Ausleihcomputer immer völlig unnötig einen Registrierkassenbeleg aus. Manchmal findet sich dann so ein Registrierkassenbeleg von anderen Personen in einem Buch. Bisher habe ich die immer weggeworfen, diesmal auch, aber vorher habe ich mir noch eines dieser Bücher ausgeliehen.

Wie weit ist es von mir bis zum Blockwart?, fragte er sich gleich weiter, wo fängt der Faschismus an, und ist Müllaufräumen vielleicht an sich schon eine präfaschistische Tätigkeit?

Und das Ergebnis ist … zwiegespalten. Die erste Hälfte ist so langatmig, dass ich kaum Lust hatte, die wenige Zeit, die mir im Dezember zum Lesen blieb, mit diesem Buch zu verbringen. Der erste Teil erzählt aus der Sicht von Adrian, der ein übersteigertes Bedürfnis nach der Einhaltung der Mülltrennung hat und ansonsten sich bemüht, nur nichts Sinnvolles mit seinem Leben zu machen. Dieser Geisteszustand wird lang und breit erklärt, bis Adrian schließlich eine Art Tagebuch, ein orangefarbenes Heft aus dem Restmüll zieht. Es gehört eigentlich ins Altpapier, doch Adrian nimmt es mit nach Hause, um es zu lesen.

Sie wusste ja nicht, dass Adrian sowieso nicht auf Gesichter reagierte und es darum völlig egal war, welches sie gerade machte. Er sprach mechanisch weiter.

In diesem Heft materialisiert sich nun eine zweite Person, die ihre Geschichte in Bruchstücken erzählt, die von Adrians Kommentaren unterbrochen werden. Es folgt … ein Zeitsprung ins Jahr 1990, Berlin nach dem Mauerfall. Und hier wird die Geschichte plötzlich interessant. Ein paar lebendige Figuren, die tatsächlich einen Charakter und ein Ziel im Leben haben, bevölkern die Geschichte und das Chaos kommt quasi von allein. Die Verbindung wird klar, als der jüngere Adrian auftaucht. In diesem jüngeren Adrian zeigen sich deutlich autistische Züge, die das Verhalten des älteren Adrian, der die Mülltonnen durchsucht, um den Müll zu sortieren, verständlicher macht. Den Geschichten der Nebenfiguren geht es leider nicht so gut, zu viele Fragen bleiben unbeantwortet.

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Krimi Roman

Marc Elsberg – Zero

„Privatsphäre!“, lacht Vi. „Darf ich dich an deine Kollegen gestern erinnern? An flächendeckende Überwachungskameras in London und vielen anderen Landesteilen? Ganz zu schweigen von der Totalüberwachung durch die Geheimdienste? Google, Facebook und alle anderen Datensammler? Privatsphäre!“, lacht sie noch einmal, diesmal lauter.

Den Krimi hat Marc Elsberg nicht neu erfunden. Der Plot lässt sich herunterbrechen auf ein Unternehmen, das auf eine vermeintliche Goldgrube stößt, mit Blick auf Geld und Macht alle ethischen und rechtlichen Bedenken über Bord wirft und schließlich mit den Konsequenzen in Form einer neugierigen Journalistin konfrontiert wird, die die ganze Geschichte an die Öffentlichkeit bringen will, was wiederum den Unternehmenserfolg gefährdet. Also macht sich das Unternehmen bzw. seine Mitarbeiter noch mehr strafbar, indem es versucht, das Aufdecken seiner Fehler mit allen Mitteln zu verhindern.

Was jedoch sehr wohl neu ist, ist die Perspektive auf die gegenwärtige Überwachungsgesellschaft. Das obige Zitat verdeutlicht eindrucksvoll, dass im Moment eine Generation heranwächst, die auf Privatsphäre keinen Wert mehr legt. Überwachung ist allgegenwärtig und wir können uns ihr nicht entziehen. Was soll also Jugendliche davon abhalten, sich von einem Angebot verlocken zu lassen, dass ihnen vormacht, sie könnten selbst über ihre Daten bestimmen? Das ihnen sogar anbietet, ihre Daten zu kaufen? Tatsächlich bezahlen Milliarden von Menschen schon jetzt mit ihren Daten für Gratisdienste wie Facebook oder Google Mail. Wie würde es aber erst aussehen, wenn eines dieser Unternehmen seinen Nutzern nicht nur (relativ wertlose) Dienste zur Verfügung stellen würde, sondern ihnen tatsächlich Geld für ihre Daten zahlte?

„Du meinst, wenn ich heute keinen Grund habe, mich zu verstecken, vielleicht denke, dass ich nicht interessant genug bin, um meine Spuren verwischen zu müssen, mache ich dabei den großen Fehler, nicht an ein unbestimmtes ,Morgen’ zu denken, wo alles ganz anders aussehen kann …“, überlegt Cyn.

Dem Autor gelingt es, die aktuellen Fragen im Themenbereich Privatsphäre und Überwachung so zu erklären, dass sie auch der mit dem Thema weniger vertraute Leser nachvollziehen kann. Im Großen und Ganzen leben wir heute in einer Gesellschaft der Meinungsfreiheit, die Grenzen des Legalen und Illegalen sind klar. Können wir uns aber auch darauf verlassen, dass uns etwas, das wir heute für legal und richtig halten, nicht in 10 Jahren zur Last gelegt wird? Unternehmen haben auf Facebook heute bereits die Möglichkeit, Stellen- oder Wohnungsanzeigen nur den Personengruppen anzeigen zu lassen, die sie tatsächlich auch ansprechen möchten, eine Praktik, die diversen Diskriminierungsgesetzen widerspricht. Versicherungsunternehmen äußern vermehrt den Wunsch, den Fahrstil ihrer Kunden zu überwachen und versprechen dafür günstigere Premien. Natürlich nur für die braven Kunden, die sich auf Schritt und Tritt überwachen lassen.

Auch die politische Perspektive wird angesprochen. Mittels Microtargeting können politische Parteien auf Facebook gezielt Werbung schalten, die ihre relevanten Zielgruppen anspricht. Und sie können auch verhindern, dass andere Menschen diese Posts sehen können, selbst, wenn sie über den direkten Link verfügen. Somit stellt Facebook umfassende Möglichkeiten zur Verfügung, den Wahlkampf und damit den Ausgang einer Wahl zu manipulieren. Kann in so einem Fall von freien Wahlen gesprochen werden? Wie frei kann eine Wahl überhaupt noch sein, wenn die Wähler nur einen auf ihre eigenen Lebensumstände zugeschnittenen Teil der Wahlinformation zu sehen bekommen? Selbst eine auf traditionelle Weise durchgeführte Papierwahl wird somit schon vor dem Weg zur Wahlurne durch gezielte (Falsch-)Informationen manipuliert. Alle diese Szenarien waren bereits real, als Zero 2014 erstveröffentlicht wurde. Auch wenn die Datenbrille sich (noch) nicht durchsetzen konnte, hat die Technologie den Roman längst überholt.

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Graphic Novel

Alison Bechdel – Are You My Mother?

Das Buch hätte definitiv einen längeren Eintrag verdient, aber dazu würde es 2017 nicht mehr kommen, daher besser kurz als viel zu spät.

In ihrem ersten Buch Fun Home erzählte die Autorin von der Beziehung zu ihrem Vater, von seiner lange unterdrückten Homosexualität, die letztendlich mutmaßlich zu seinem Selbstmord führte und der Entdeckung ihrer eigenen sexuellen Identität. In dieser Fortsetzung (?) beschreibt sie großteils Träume, Therapiesitzungen und Ergebnisse ihrer psychologischen Recherchen, in denen sie sich intensiv mit dem Verhältnis zu ihrer Mutter auseinandersetzt. Sie vertiefte sich intensiv in die Schriften Donald Winnicotts, der wichtige Beiträge auf dem Gebiet der Mutter-Kind-Beziehung geleistet hat.

Immer wieder hatte ich beim Lesen das Gefühl, das ich ohne eigene vertiefte Recherche zu diesen psychologischen Themen die erzählte Geschichte nicht vollständig erfassen kann. Gleichzeitig fehlt mir aber nicht nur die Zeit, sondern auch noch die Geduld, diesen Theorien hinterherzurennen, bei der jeder zweite Link auf der Wikipedia zu einem völlig anderen Gebiet führt. Anstatt der Genrebezeichnung a comic drama könnte auch eine laienpsychologische Beziehungsanalyse auf dem Titel stehen. Vielleicht steht das tatsächlich bald auf dem Titel der deutschen Übersetzung … nein, steht es nicht. Der Titel der deutschen Übersetzung lautet übrigens Wer ist hier die Mutter? Was meines Erachtens nach eine vollkommen andere Aussage tätigt als der Originaltitel.

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Roman

Katharina Bivald – Ein Buchladen zum Verlieben

Er versuchte, sich in der allerhintersten Ladenecke zu verstecken und literarisch interessiert zu wirken. Er wusste nicht so ganz, wie man das machte, aber er versuchte es mit gerunzelter Stirn und intensivem Starren auf die Buchrücken.

Ein absolutes Wohlfühlbuch für den finsteren und kalten November. Natürlich ist das eine absurde Geschichte, natürlich ist das Ende ab einem gewissen Zeitpunkt vorhersehbar. Aber die Autorin hat sich bemüht, der Geschichte Raum zum Entfalten zu geben und die Liebe nicht völlig aus dem Nichts vom Himmel fallen zu lassen. Einige Nebenstränge sind ebenfalls vorhanden, die deutlich weniger vorhersehbar sind und für allerhand komische Momente sorgen. Viele Literaturreferenzen lassen den Buchliebhaber schmunzeln. Die Gedanken der verstorbenen Amy (kein Spoiler, das passiert quasi auf den ersten Seiten …) über das Werk des schwedischen Krimiautors Stieg Larsson etwa sind äußerst unterhaltsam.

Amüsieren kann man sich dann auch noch über die Angewohnheit deutschsprachiger Verlage, möglichst blumige Titel zu verwenden. Die schwedische Originalausgabe heißt übersetzt: „Die Leser von Broken Wheel empfehlen“. Wäre jetzt auch nicht direkt meine Wahl, klingt aber deutlich weniger nach lauem Liebesroman als der deutschsprachige Titel.

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Erfahrungsbericht

Caitlin Doughty – Fragen Sie Ihren Bestatter

Es war, als hätte ich mein Leben lang nur Zugriff auf ein beschränktes Gefühlsspektrum gehabt, als wäre ich wie eine Flipperkugel zwischen den Engen der Skala hin und her geschnellt. Bei Westwind wurde meine emotionale Bandbreite schlagartig erweitert. Ich erlebte Augenblicke der Euphorie und der Verzweiflung, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Die Autorin schafft es sehr geschickt, ihre persönlichen Erfahrungen als Mitarbeiterin im Krematorium in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem kulturellen Phänomen des Bestattungswesens zu verpacken, ohne dabei den Humor zu verlieren. Diese Form der (sachlichen) Beschäftigung mit einem bestimmten Thema anhand eigener Erfahrungen gefällt mir zunehmend besser. Caitlin Doughty hat keine Scham dabei, sich als unerfahrene Kremationsmitarbeiterin auch selbst auf die Schaufel zu nehmen, und beschreibt hingebungsvoll all ihre Zweifel an ihren eigenen Fähigkeiten und den Mechanismen der amerikanischen Bestattungskultur. Von der Kremierung Obdachloser auf Staatskosten bis zur Einbalsamierung prominenter Menschen vor der Bestattung auf einem Nobelfriedhof (in Kalifornien gibt es sowas selbstverständlich) ist alles dabei.

Wenn man das Thema wirklich an sich heranlässt, dann kommt man nicht umhin, sich zu fragen, was man eigentlich über die Bestattungskultur im eigenen Land weiß. Ich selbst war als Studierende zuletzt auf einem Begräbnis, wobei ich zugeben muss, dass mir damals mehr die gesellschaftlichen Erwartungen an mich Sorge bereiteten als die Trauer um die zu Begrabende (es handelte sich um eine nahe Verwandte meines damaligen Lebensgefährten). Der grundlegende Ablauf einer traditionellen Bestattung auf einem katholischen Friedhof mit vorangehender Trauerfeier und darauf folgendem Leichenschmaus ist mir ein Begriff, jedoch fehlt mir jegliche Vorstellung davon, welche Möglichkeiten neben dieser traditionellen Variante in Österreich sonst noch möglich sind.

Tatsächlich habe ich vor einigen Monaten ein handschriftliches Testament verfasst, das dafür sorgen soll, im Falle meines plötzlichen Ablebens nicht mit mir verwandte Menschen mit einem Teil meines Erbes zu bedenken. Was mit meinem Körper dann geschehen soll, war mir jedoch damals nicht in den Sinn gekommen, und ist mir auch heute noch gleich. Wenn meine Familie sich einen Ort wünscht, an dem sie mich besuchen kann, soll sie diesen haben. Ob das nun ein Platz im Familiengrab ist oder eine Urne hinter einer Steinwand oder ein Baum, den sie auf einer Lichtung im Wald pflanzen, scheint für mich selbst keinen großen Unterschied zu machen. Diese Dinge sind wichtig für die Hinterbliebenen. Aber nicht für den Verstorbenen, der sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon an einem ganz anderen Ort befindet. Wo auch immer das dann sein mag …

Der Sinn von Kultur besteht darin, Antworten auf die großen Fragen der Menschheit zu liefern: Leben und Tod. Als jungem Mädchen hatte mir meine Kultur zwei Dinge weiszumachen versucht: zum einen, dass es für uns alle am besten ist, den Tod im Verborgenen zu halten – eine fette Lüge, wie ich während meiner Arbeit bei Westwind begriffen hatte, einem Bestattungsunternehmen, das letztlich auch nur Teil jener großen Verschwörung war, den Tod komplett unter den gesellschaftlichen Teppich zu kehren.

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Roman

Glennon Doyle Melton – Love Warrior

As I took on these roles, I kept waiting for that day when I could stop acting like a grown-up because I’d finally be one. But that day never came. My roles hung on the outside of me like costumes.

Diese Parnassus-Empfehlung ist nicht mehr ganz taufrisch und daher inzwischen auch in der Bücherei Wien angekommen. Die Lektüre hat mich zuerst etwas ratlos zurück gelassen. Viele Teile waren mir schlicht zu esoterisch (durch Yoga endlich ein Körpergefühl gefunden), manche zu hysterisch (Pornografie ist der Teufel), gleichzeitig steht es mir nicht zu, die Erfahrungen und Emotionen anderer Personen zu bewerten. Dass die Autorin ihren persönlichen Entwicklungsprozess in die Öffentlichkeit trägt, zeugt von großem Mut.

In vieler Hinsicht kann dieses Buch als Zeugnis dafür herhalten, dass ein Mensch es schaffen kann, aus einer scheinbar unlösbaren Katastrophe gestärkt hervorzugehen und daraus zu lernen. Viele Menschen dürften sich in einzelnen Situationen wiederfinden und können daraus möglicherweise etwas für den eigenen Lebensweg und den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen mitnehmen. Am Ende war auch für mich eine Erkenntnis dabei, die ich auf meine persönliche Situation anwenden konnte, wenn auch nicht ganz so plakativ wie die Tatsache, dass Yoga beim Atmen hilft.