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English Roman

Han Kang – The Vegetarian

CN dieses Buch: Vergewaltigung, sexuelle Handlungen, Geschlechtsteile, Gewalt gegen Tiere, Depression, Suizid
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It’s your body, you can treat it however you please. The only area where you’re free to do just as you like. And even that doesn’t turn out how you wanted.

Irgendwie war ich mir bis zum Ende des Buches nicht sicher, wie das jetzt zu verstehen ist. Vielleicht ist dieser breite Interpretationsspielraum, die Option, alles Mögliche zwischen den Zeilen herauszulesen, ein Grund dafür, warum dieses Buch nach seiner Erscheinung so bejubelt wurde. Der Überschwang dieses Jubels erschließt sich mir nach wie vor nicht so ganz.

Die Geschichte wird in drei Teilen aus der Sicht von drei Personen erzählt: drei Bezugspersonen der titelgebenden Vegetarierin, ihr Ehemann, ihr Schwager, ihre Schwester. Von der Protagonistin selbst hört die Leserin nur kurze Bruchstücke ihrer Träume. Diese Träume sind der Auslöser für ihre Entscheidung, kein Fleisch mehr zu essen. Diese Entscheidung führt zu einem Bruch mit dem Ehemann und einer äußerst unangenehmen Auseinandersetzung mit ihrem Vater. Da dachte ich zuerst, es ginge zwischen den Zeilen primär um die Kritik einer Gesellschaftsform, in der Ehemann und Vater einer Frau befehlen können, was sie mit ihrem Körper zu tun hat. Also ein Hinweis darauf, dass Frauen selbst über ihren Körper bestimmen können sollen, selbst wenn ihre Entscheidungen für andere Personen unverständlich sind.

There was nothing the matter. It was a fact. Everything would be fine as long as she just kept going, just carried on with her life as she always had done. In any case, there was no other way.

Im zweiten und dritten Teil fühlt sich die Protagonistin jedoch zunehmend verrückt an. Sie will sich in eine Pflanze verwandeln (darauf verweist auch das wunderbar gestaltete Cover) und sich nur noch von Licht ernähren. Für ihre verantwortungsvolle Schwester, die scheinbar in ihrer Rolle als hart arbeitende und sich selbst aufgebende Ehefrau und Mutter aufgeht, wird es zunehmend schwerer, zu akzeptieren, dass die Protagonistin sich einfach die Freiheit nimmt, aus dem gesellschaftlichen Rad auszusteigen. Eine Freiheit, die sich die Schwester wiederum selbst nicht mal zu denken traut. Eine komplexe Geschichte mit viel Interpretationsspielraum.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Lane Moore – How to Be Alone

CN dieses Buch: Erwähnung von Missbrauch, Vergewaltigung, Pädophilie, Trauma, Suizid, Übergriff
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Now, I think of my tired, overdosed little-kid self, who only wanted someone to love her, […] lying there on the floor alone in a little ball, waiting for anyone to care about her, and all I want to do is pick her up and kiss her forehead and tell her I’m so sorry I couldn’t protect her.

Dieses Buch hat mich sehr herausgefordert und beschäftigt. Es muss irgendwann während der Pandemie auf meiner Liste gelandet sein, damals konnte oder wollte ich mich aber nicht wirklich damit befassen, weil ohnehin alles schon so trist war. Als ich dann des Nachts nicht schlafen konnte (und die mitgenommenen Papierbücher nicht lesen konnte, um die andere Person nicht aufzuwecken), schien mir irgendwie der richtige Moment gekommen. Obwohl es für dieses Buch keinen richtigen Moment gibt. Oder jeder Moment der Richtige sein könnte.

Die Autorin erzählt von einer Art des Allein-Seins, die ich persönlich noch nie erlebt habe, ich kenne jedoch zumindest zwei Personen, die da relativ nahe dran sind. Diese persönliche Verbindung hat mir ihren Bericht auch sehr nahe gebracht. Gleichzeitig habe ich in ihrer Beschreibung von verschiedenen ungünstigen Beziehungsmustern auch Verhaltensweisen von mir selbst gesehen. Die Liste der Zitate, die ich aus diesem Buch aufgeschrieben habe, ist selbst schon fast ein Essayfragment. Damit dieser Post nicht zu persönlich wird, werde ich im Aufzählungsstil ein paar Beispiele anbringen:

  • Wenn wir als Kinder nicht ausreichend geliebt werden, dann werden wir irgendwann denken, dass wir selbst das Problem sind. Wir werden nicht darauf kommen, dass es einfach falsch ist, wie uns andere Menschen behandeln. Wir werden denken, dass wir es nicht Wert sind und daher nicht anders verdient haben. Und dieses Gefühl kann sich dann in alle weiteren persönlichen Beziehungen des Lebens weiterziehen.
  • In einer Passage vergleicht sie den Samstagabend mit einem wöchentlichen Silvester. Gerade an diesem Abend solltest du Spaß haben, eine Party feiern, Freunde haben, …

[…] and when it’s anything less, you just feel like you’re six thousand miles away from your best life, and fun, and normalcy.

  • Nicht vergessen möchte ich die vielen popkulturellen Referenzen, speziell gefreut habe ich mich über die Erwähnung des Films Practical Magic, den ich damals auch sehr gern hatte. (Wollten wir nicht alle irgendwann Hexen sein?)
  • Attachment theory (Bindungstheorie). Irgendwo muss ich das eigentlich schon mal gehört oder gelesen haben, aber in diesem Kontext hat mich dieses Konzept einfach sehr erwischt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gerade darüber nachdachte, ob ich mein Fernstudium fortsetzen soll, dass mich diese wissenschaftliche Betrachtung so angesprochen hat. Es wäre doch schön, wenn sich unsere Beziehungsverhaltensmuster durch Wissenschaft erklären ließen? Oder?
  • Menschen, die schlechte Ratschläge erteilen. Ugh.

Telling people who actively want to find love that they should stop wanting to find love so they can find love is like telling a depressed person they can be happy only once they don’t want to be happy. What the shit is that? It makes zero sense. 

  • Was ich in der Vergangenheit viel gemacht habe (und vermutlich immer noch mache): So sein, wie ich glaube, dass ich gut zu einer bestimmten Gruppe dazu passe. Mich anpassen. Die richtige Sprache lernen. Tatsächlich führt das aber nicht dazu, dass uns Menschen so mögen, wie wir tatsächlich sind.

But stop telling people that they need to actively change who they are in order to find love. Because even if you do find love that way, changing yourself to find it means your partner may not have fallen for the real you anyway. 


Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat aus einem anderen Buch einschieben, dass ich gerade auf die Liste gesetzt habe, weil es einfach so schön dazu passt:

“Allowing myself to be exactly who I’ve always been, not feigning interest in video games or zombie shows,” Hough writes, “means I end up with the sort of friends I once fantasized of having: people who read books, people who’ve been other places, people who tell the truth, people on the edges who’ve never fit in and were way ahead of me in accepting that, but I never noticed them because I was trying so desperately to be normal.” (Lauren Hough, Leaving Isn’t the Hardest Thing: Essays)


Während des Leseprozesses stellt sich irgendwann die Frage: wird sich die Autorin selbst retten können? Wird sie am Ende aussteigen können aus diesem Teufelskreis, der in ihrer Kindheit begonnen hat? Die Antwort bleibt offen, denn ihr Leben ist noch nicht vorbei. Sie beschreibt jedoch viele Strategien, die ihr selbst weitergeholfen haben. Besonders berührend dabei die Geschichte, wie sehr ihr Hund ihr Leben verändert. (Das müsst ihr selbst lesen, ich kann es nicht zusammenfassen, das würde der Bedeutung nicht gerecht.)

Subconsciously, I thought if I couldn’t find the person I’d been waiting my whole life for, I’d be that person for other people. […] Being alone is not a life sentence. I know it feels like it at the time, but I promise you, you will not be alone for the rest of your life […] Being alone is sometimes incredibly painful. Feel how painful it is, know that feeling will pass, and you’ll feel great again.

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Roman

Marjana Gaponenko – Das letzte Rennen

CN dieses Buch: Verstümmelung (durch Unfall), Behinderung, Suizid, Demenz
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„[…] hier auf Erden haben wir unsere menschlichen Möglichkeiten erschöpft. Mit bloßer Vermehrung wird das Leben auch keinen tieferen Sinn bekommen, meine Liebe, täusche dich nicht. Es wird nicht besser.“

Irgendwie weiß ich nach wie vor nicht so ganz, was ich mit dieser Geschichte anfangen soll. Der Ich-Erzähler Kaspar, ein junger Mann aus gutem Hause mit finanziellem Background, lässt sich durchs Leben treiben und findet weder Sinn noch Motivation, irgendwas Ernsthaftes mit sich und seinem Leben anzufangen. Seine Bekanntschaften mit Frauen spielen sich auf der Ebene absurder romantischer Verknalltheit ab. Der Plan, am Pferdehof des Vaters ein Reittherapiezentrum für Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen aufzubauen, bekommt akut eine andere Bedeutung, als Kaspar bei einem Unfall mit der Pferdekutsche beide Arme verliert.

Aber was wollte sie damit wirklich sagen? Die Menschheit habe ihre Möglichkeiten erschöpft? Was ist mit meinen Möglichkeiten? Was ist mit mir?

Die Angst, dass der demenzkranke Vater sein Vermögen einer jungen, rumänischen Krankenschwester vererben könnte, die den Vater seit dem Kutschenunfall begleitet, wirkt sich ebenfalls ungünstig auf die Motivation aus. Der Unfall und die Veränderung seines Lebens danach macht ihm jedoch bewusst, welche Möglichkeiten er in seinem Leben vor dem Unfall nicht genützt zu haben scheint. Und welche ihm gleichzeitig immer noch offen stehen.

 

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English Roman

Marilynne Robinson – Lila

CN dieses Buch: Gewalt (mit einem Messer und angedeuteter Todesfolge)
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And somehow she found her way to the one man on earth who didn’t see it. Or maybe he saw it the way he did because he had read that parable, or poem, or whatever it was.

Im dritten Teil von Marilynne Robinsons Gilead-Serie erfährt die Leserin die Vorgeschichte von Lila, die in den ersten beiden Büchern als Frau von Reverend John Ames eher eine Nebenrolle spielt. Bisher wurde sie als stille, bedachte, freundliche Frau beschrieben. Ein niedriger Bildungsgrad, aufgrunddessen sie sich aus den religiösen Diskussionen zwischen Ames und Boughton heraushält, wurde nur angedeutet. In diesem Buch wird nun beschrieben, wie Lilas Leben verlief, bevor sie in Gilead auf den Reverend traf und mit ihm ein neues Leben begann.

“But if God really has all that power, why does He let children get treated so bad? Because they are sometimes. That’s true.”

Auch in diesem Buch werden viele religiöse Themen angeschnitten. Einerseits traut sich Lila kaum, Dinge zu fragen, weil sie sich zu dumm fühlt, andererseits interessiert sie sich für den Glauben des Mannes, in den sie sich verliebt hat. Sie versucht, die Welt und das Leben auf eine Weise zu verstehen, die ihr bisher aufgrund ihrer Herkunft verschlossen war. Und natürlich stellt sie sich auch die Frage, wie dieser allmächtige Gott es zulassen kann, dass Kinder hungern, schlecht behandelt werden, so viel Leid ertragen müssen. Wie auch in vielen anderen Werken fehlt auch hier eine auch nur halbwegs hilfreiche Erklärung. Der Reverend vertröstet Lila mit einem Gedicht auf ein späteres Gespräch, um sie nicht mit den Antworten abzuspeisen, die er üblicherweise anderen Menschen gibt, die ihm in ihrem Leid diese Frage stellen.

[…] Robinson is saying that O’Connor writes beautifully even though her imagination is appalling. But how can we judge a writer’s imagination except by way of her writing? If the writing is beautiful, how can the imagination be otherwise? What does Robinson really mean?

Das obige Zitat stammt aus dem kürzlich veröffentlichten Lithub-Artikel On the Case for Meanness in Fiction von Brock Clark. Der Text vergleicht die Notwendigkeit bzw. die Sinnhaftigkeit von kindness im Leben sowie im Schreibprozess von Autor*innen. Er zitiert dabei eine Kontroverse zwischen Marilynne Robinson und Flannery O’Connor, die eher die Meinung vertritt, dass compassion für schreibende Menschen vollkommen überbewertet ist. Der Text argumentiert unter anderem damit, dass ein auf kindness und compassion basierendes Schreiben (wie es Marilynne Robinson praktiziert), gleichzeitig ein langweiliges Schreiben ist (und daher in langweiligen Geschichten resultiert). Nach der Lektüre von Gilead war ich ja unter anderem überrascht, dass in dem Buch kaum etwas passiert. In dieser Wahrnehmung hat mich der oben zitierte Artikel bestätigt, er ist daher eine interessante Ergänzung zur Lektüre von Marilynne Robinson.

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English Roman

Celeste Ng – Little Fires Everywhere

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen
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Sometimes just when you think everything’s gone, you find a way.

Mir fehlen beinahe die Worte, um die Großartigkeit dieses Romans zu beschreiben. Ich fühlte mich erinnert an Liane Moriartys Big Little Lies, das ich auch euphorisch gefeiert habe. Die Geschichte beinhaltet so viele Zwischentöne, behandelt so viele Themen und verwebt sie in ein beeindruckendes Spannungsgeflecht. Die Charaktere sind so fein gezeichnet, dass ich mich abwechselnd mit unterschiedlichen Protagonist*innen identifiziert habe, je nach der Situation, mit der sie gerade konfrontiert waren. Die Geschichte werde ich keinesfalls erzählen, da müsst ihr das Buch schon selbst lesen, ich möchte aber unbedingt einige Aspekte hervorheben, die hier thematisiert werden.

After all, were they not smarter, wiser, more thoughtful and forethoughtful, the wealthiest, the most enlightened? Was ist not their duty to enlighten others? Didn’t the elite have a responsibility to share their well-being with those less fortunate?

Die Familien, die hier miteinander interagieren, entstammen unterschiedlichen sozialen Milieus. Vielschichtige Emotionen prägen die Begegnungen: Die finanziell gut gestellten Richardsons bemitleiden die finanziell weniger stabile Familie, fühlen sich überlegen und gleichzeitig verpflichtet, zu helfen und zu teilen. Mia legt jedoch schlicht mehr Wert auf das, was für sie wichtig ist: ihre Tochter und ihre Kunst. Ein riesiges Haus und jede Menge Besitztümer haben für sie einfach nicht denselben Wert wie die Zeit, die sie ihrer Kunst widmen kann.

Anything had the potential to transform, and this, to her, seemed the true meaning of art.

Mias Kunstwerke spielen eine große Rolle in der Entfaltung der Geschichte. Das Foto aus der Kunstausstellung führt schließlich auf die Spur ihrer Vergangenheit. Die Autorin lässt ihren Blick auf die Welt durchscheinen, die Perspektive der Künstlerin, die alles einer näheren Betrachtung für würdig hält, die genauer hinschaut, die die nicht offensichtlich sichtbaren Teile aufdeckt, die nicht an der Oberfläche bleibt. Im das Buch abschließenden Interview erklärt Celeste Ng, warum gerade die Fotografie sie persönlich interessiert:

Photography is particularly interesting to me because it’s often seen as objective – after all, the camera captures what it sees – but it’s also inherently subjective: so much depends on the framing of the photograph, deciding what gets included and what gets left out, how it’s shown.

Irgendwann hatte ich mal darüber geschrieben, welche interessanten Verbindungen sich oft finden lassen zwischen Büchern, die wir in knappem Abstand voneinander lesen. Ich hatte mich gefragt, ob diese Verbindungen zufällig zustande kommen bzw. ob wir sie überhaupt nur sehen, weil wir die Bücher in diesem Zusammenhang lesen oder ob wir die Bücher gerade deshalb unbewusst auswählen, weil sie uns Zusammenhänge aufzeigen. Bei diesem Zitat musste ich an Change Agent denken, wo die Frage, wo wir unterschiedlich urteilen, wenn wir selbst betroffen sind, ebenfalls gestellt wurde:

Yet when personally affected by the issues, even idealists often end up making selfish choices with far-reaching effects. […] Where do we follow the rules, and where do we justify breaking theam?

Die Geschichte spielt Ende der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, einer Zeit, in der Pager gerade erst modern wurden und Menschen nicht in ständigem Kontakt waren und unter anderem durch Zettelnachrichten Verabredungen trafen. Das ermöglicht unter anderem eine Auseinandersetzung mit der in den letzten Jahrzehnten weit verbreiteten Aussage, dass Hautfarbe bzw. ethnische Herkunft keine Rolle spiele. Viele Menschen behaupteten damals (und manche behaupten es noch), sie würden keine Unterschiede sehen, womit sie vermutlich meinen, sie selbst würden alle Menschen gleich behandeln unabhängig von ihrer Hautfarbe und ethnischen Herkunft. Tatsächlich führt das Ignorieren dieser Unterschiede aber eher zum Ignorieren der Ungerechtigkeiten, die auch heute immer wieder zu Tage treten (siehe #BlackLivesMatter).

Now we’re starting to be aware of the problems with not “seeing race”: ignoring race means ignoring longstanding problems and history, as well as ignoring important aspects of a person’s identy.

Nicht zuletzt enthält die Geschichte auch eine feministische Komponente. Einerseits sind alle beteiligten Frauenfiguren auf ihre Art emanzipiert. Gleichzeitig verkörpert aber Mrs. Richardson den Typ, der sich an die Regeln hält, während Mia sich die Freiheit herausnimmt, ihr Leben nach ihren eigenen Regeln zu gestalten. Dieses Zitat verdeutlicht diesen Konflikt, der oft dazu führt, dass Frauen sich gegenseitig verurteilen, anstatt sich zu unterstützen (get back in line):

You can’t just do what you want, she thought. Why should Mia get to, when no one else did?

Nicht umsonst wurde diese Geschichte als Serie verfilmt. Wirklich aufmerksam wurde ich auf das Buch jedoch durch den Podcast Unlocking Us von Brené Brown, die dieser Geschichte gleich zwei Episoden gewidmet hat: Ein Interview mit der Autorin Celeste Ng sowie ein Gespräch mit den Hauptdarstellerinnen der Serie Reese Witherspoon und Kerry Washington. Sowohl für das Buch als auch für den Podcast möchte ich eine herzliche Empfehlung aussprechen.

All her life, she had learned that passion, like fire, was a dangerous thing. It so easily went out of control.

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English Jugend Roman

Lois Lowry – Son

CN dieses Buch: Verstümmelung, Krankheit, Sterben
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Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber das Buch hat meine Erwartungen erfüllt und nicht erfüllt. Einerseits werden Menschen zusammengeführt, von denen ich es nicht mehr erwartet hätte und andererseits blieb die zentrale Frage, die am Ende von The Giver offen bleibt (was in der Gemeinschaft passiert, nachdem Jonas sie verlassen hat), ungeklärt. Ob da noch eine Fortsetzung irgendwo lauert? Ich würde jedenfalls gern wissen, was mit dieser Gemeinschaft passiert ist, nachdem all diese Erinnerungen auf die angepassten Menschen in ihrem Alltagstrott losgelassen wurden.

Das Ende dieses Buchs war mir dann ein bißchen zu sehr Hollywood. Dank eines lieben Freundes bin ich nun im Besitz der Film-Version von The Giver und obwohl ich Schlimmes befürchte, plagt mich doch die Neugierde, was die Filmindustrie aus dieser Geschichte gemacht hat.

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English Roman

Liz Moore – The Unseen World

CN dieses Buch: Demenz
CN dieser Post: Demenz


Dieses Buch verflechtet so viele Aspekte, dass ich nicht recht weiß, wo ich anfangen soll, um zu beschreiben, wie großartig diese Geschichte ist. In unterschiedlichen Zeitebenen erfahren wir die Geschichte von Ada (benannt nach der britischen Mathematikerin Ada Lovelace) und David. Ada wächst in einem alternativen, aber sehr förderlichen Familienumfeld mit ihrem Vater David und dessen Arbeitskolleg*innen auf. In ihrem Teenageralter zerbricht diese heile Welt, als Davids Erkrankung an Alzheimer offensichtlich wird. Ada geht zum ersten Mal in ihrem Leben in eine öffentliche Schule und wird konfrontiert mit dem, was David und sie selbst von ihrer Altersgruppe unterscheidet. Das große Thema der Zugehörigkeit (belonging) und der Ausschließlichkeit verschiedener Gruppen wird auf einer Ebene behandelt, die über übliche Identitätsfindungsprozesse im Teenageralter hinausgeht.

But although she was indeed grateful to have it, this token that indicated in some fundamental way that she belonged among her peers, she also sensed the loss of something. Her father’s difference. Her own.

Davids Krankheit verändert Adas Leben auch in einem anderen Bereich. Er hinterlässt ein Rätsel über seine Vergangenheit und seine Identität, das Ada fundamental an sich selbst zweifeln lässt. Gerade im schwierigen Teenageralter muss Ada zwischen mehreren Welten navigieren und ihre eigene bekannte Identität hinterfragen.

[…] she often felt as if there was something fundamentally incorrect about her, as if she were caught between two worlds, a citizen of neither.

Neben dieser Persönlichkeits- und Familienebene behandelt das Buch viele interessante Aspekte aus dem Bereich künstliche Intelligenz. Das Sprachlernprogramm ELIXIR spielt eine wesentliche Rolle in der Enthüllung von Davids Geheimnissen. Aber auch die fundamentale Frage danach, was ein selbstlernendes Computersystem eigentlich vom Menschen unterscheidet, wird gestellt. Diese philosophischen Fragen um künstliche Intelligenz und virtuelle Realität bleiben aber immer eingebettet in Adas Erleben, sie überlagern nicht die menschlichen Fragen sondern erweitern sie auf eine Art und Weise, die charakteristisch dafür ist, wie Computer unser Leben ergänzen können.

Virtual reality, she thought, was the unseen world. Or had the capacity to be. In fact, it could be said that all computer systems were such: universes that operated outside the realm of human experience, planets that spun continuously in some unseeable alternate stratosphere, present but undiscovered.

Das Ende überrascht auf mehreren Ebenen. Die Auflösung habe ich in keinster Weise kommen sehen (ich hoffte natürlich auf eine Lösung des Rätsels und wurde nicht enttäuscht), sie geht sogar noch einen Schritt weiter. Ein großartiger Roman.


Jahresrückblick

Insgesamt habe ich in diesem Jahr 80 Blog Posts verfasst. Das ist deutlich mehr als der Schnitt von etwa einem Buch pro Woche der vergangenen Jahre. Aufgrund der aktuellen Situation kombiniert mit einigen Veränderungen in meinem persönlichen Umfeld hatte ich deutlich mehr Zeit und vielleicht auch Bedarf an Realitätsflucht. Zusätzlich zu diesen 80 neuen Büchern habe ich auch noch 16 Bücher als Re-Reads zu verzeichnen. Womit fast eine Verdoppelung der normalen Zahlen erreicht ist.

Schon beim Blick auf den Januar wird mir klar, dass es kaum möglich sein wird, die Favoriten einzugrenzen. Octavia E. Butlers Parable of the Sower und Parable of the Talents sind jedoch auf jeden Fall dabei. Im April beschloss ich, dass jetzt die Zeit für Harry Potter gekommen wäre. Im Sommer folgte Ransom Riggs Serie um die Peculiar Children. Im Herbst habe ich schließlich mit Game of Thrones begonnen.

Im Bereich Romane möchte ich uneingeschränkte Empfehlungen aussprechen für V.E. Schwab – The Invisible Life of Addie LaRue und Madeline Miller – Circe. Im Non-Fiction-Bereich haben mich persönlich Reshma Saujani – Brave, not perfect und Paul Kalanithi – When Breath Becomes Air am meisten berührt. Auf die letzte Nennung bin ich durch den 3 Books Podcast von Neil Pasricha gestoßen, den ich noch immer sehr gerne höre.

Wie geht’s weiter?

Das wüssten wir wohl alle gerne. Zumindest in den nächsten drei noch eher kühleren Monaten gehe ich davon aus, dass die Lesefrequenz weiter hoch bleiben wird. Sobald es wärmer wird, hoffe ich auf mehr und ausgedehntere Outdoor-Aktivitäten. Beim Durchscrollen der Bücher des Jahres 2020 ist mir auch eine deutliche Tendenz zu Romanen aufgefallen, Fachliteratur bzw. anspruchsvolle Non-Fiction kam kaum vor. Dafür war vielleicht auch einfach die Konzentration nicht da, ich hoffe, dass sich das demnächst wieder einpendelt. Das Einpendeln generell scheint die Hoffnung für dieses Jahr zu sein. Zurück zur Normalität ist mir allein schon von der Begrifflichkeit zuwider und scheint mir auch nicht der richtige Weg zu sein. Jedoch einpendeln von Tag zu Tag, Nachjustieren von Woche zu Woche, Anpassen von Monat zu Monat, das scheint mir ein möglicher Pfad durch diese schwierige Zeit zu sein.

Be patient if you feel anger, fear, grief, or frustration. All things change.

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English Roman

Marylinne Robinson – Home

CN dieses Buch: Alkoholismus, Alter, Sterben
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Maybe she kept the bible out of sight because she was afraid that if he spoke to her that way again she would have to tell him she had no certain notion what a soul is. She supposed it was not a mind or a self. Whatever they are. She supposed it was what the Lord saw when His regard fell upon any of us. But what can we know about that?

Als ich im Oktober mit Gilead begonnen hatte, bemerkte ich erst in der Libby App, dass es sich dabei um eine Serie handelt. Je mehr ich dann gelesen hatte, umso mehr fragte ich mich, wie es hier wohl weitergehen würde. Und die Antwort darauf ist: es geht tatsächlich nicht weiter. In Home erzählt die Autorin erneut dieselbe Zeitspanne, allerdings aus einer anderen Perspektive. Es werden Details enthüllt, die den Blickwinkel aus dem ersten Roman korrigieren bzw. erweitern, speziell auf den im ersten Buch zweifelhaft dargestellten Charakter Jack. Einerseits wird einiges über seine Lebensumstände enthüllt, worüber im ersten Buch nur spekuliert wurde. Andererseits wird das zweite Buch aus der Sicht von Jacks Schwester Glory erzählt und zeigt uns so deutlich mehr davon, was im Haus der Boughtons tatsächlich vorgeht.

Did she choose to be there, in that house, in Gilead? No, she certainly did not. Her father needed looking after, and she had to be somewhere, like every other human being on earth. What an embarrasment that was, being somewhere because there was nowhere else for you to be.

Aus dem Blickwinkel von Reverend Ames in Gilead wirkt Jack wie ein Unruhestifter, der scheinbar zum Spaß religiöse Debatten vom Zaun bricht. In Home wird jedoch klar, dass Jack einfach zutiefst an sich selbst, seiner Familie und deren Glauben zweifelt und eigentlich für sich selbst einen Zugang zum Glauben sucht. Er braucht die Möglichkeit, dass ihm nicht nur sein Vater und seine Schwester seine begangenen Fehler verzeihen werden, sondern dass auch seine Seele gerettet werden kann. Er fragt, ob es Menschen gibt, die böse geboren werden und dann ein entsprechendes Leben leben und unweigerlich in der Hölle landen werden. Er fragt sich, ob er selbst so ein von Grund auf schlechter Mensch ist oder ob es für ihn noch eine Chance gibt, sein Leben zum Besseren zu verändern. Die Antwort bleibt aus.

And his head fell, and it was real regret. He was so tired of himself.

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Roman

Elizabeth Strout – Anything is Possible

We’re all just a mess, Angelina, trying as hard as we can, we love imperfectly.

Hier bin ich wieder überraschend auf einen Roman aus lose miteinander verwobenen Kurzgeschichten gestoßen, wie kürzlich bei Serhij Zhadan – Mesopotamien. Und wieder fiel es mir schwer, die komplexen Beziehungen zwischen den einzelnen Familien im Überblick zu halten, vielleicht sollte ich parallel zum Lesen immer gleich eine Grafik oder Liste aller Personen anfertigen …

Eine der Personen ist Lucy Barton, die in einem anderen Roman derselben Autorin die Hauptfigur ist. Sie hat sich aus den ärmlichen Verhältnissen ihrer Kindheit hochgearbeitet und kämpft nun gleichzeitig mit Schuldgefühlen wegen der zurückgelassenen Geschwister und dem Wunsch, ihre Herkunft so weit wie möglich hinter sich zu lassen.

Ähnlich geht es auch anderen Figuren in diesem Buch. Sie können ihre Vergangenheit nicht abstreifen. Selbst, wenn sie sich gegenüber den elterlichen Verhältnissen „hochgearbeitet“ haben, fühlen sie noch immer den „Blick nach unten“, der sie von anderen Gesellschaftsgruppen abgrenzt. Besonders deutlich thematisiert wird das im Kapitel Dottie’s Bed & Breakfast, indem sich die Arztgattin zuerst bei Dottie alles Mögliche von der Seele redet, um dann hinter ihrem Rücken über die Gastgeberin herzuziehen.

Beinahe alle Geschichten befassen sich mit irgendwelchen menschlichen Abgründen, manche Protagonist*innen sind fast unerträglich in ihrer Scheinheiligkeit oder Grausamkeit, andere wiederum erwecken hauptsächlich das Mitleid der Leserin. Genau genommen will uns die Autorin „nur“ zeigen, dass alles im Leben möglich ist.

Anything is Possible.

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Kinder

P. L. Travers – Mary Poppins

Wir sind alle aus dem gleichen Stoff gemacht, vergiß es nicht, wir aus dem Dschungel und ihr aus der Stadt. Wir bestehen aus dem gleichen Stoff – der Baum über uns, der Stein neben uns, der Vogel, das Tier, der Stern – wir alle sind eins und gehen demselben Ende entgegen.

Schon als Kind liebte ich Musicalfilme und neben Tschitti Tschitti Bäng Bäng (wo in der deutschen Übersetzung der feine Wortwitz des Namens der weiblichen Protagonistin Truly Scrumptious leider völlig verloren geht, das hab ich erst Jahre später verstanden) war Mary Poppins auch einer meiner Lieblingsfilme. Daher habe ich das Buch auch aus einem Erbe behalten, daher weiß ich auch ungefähr, dass es schon mindestens 8 Jahre im Regal der ungelesenen Bücher steht.

Beim Lesen erinnerte ich mich dann an die Musicalversion, die im Jahr 2004 in London Premiere feierte und dass in den Kritiken damals zu lesen war, dass diese Musical-Mary-Poppins deutlich düsterer und sperriger wäre als Julie Andrews im Disney-Film von 1964. Das mag von der Gesamtstimmung her näher an der Buchvorlage liegen, denn hier ist Mary Poppins keinesfalls das strenge, aber immer fröhliche Kindermädchen, sondern durchaus launisch, eitel und ungeduldig.

Die Diskrepanz fühlt sich für mich in etwa so an, wie die zwischen der Musicalversion von Wicked und der Buchvorlage Wicked von Gregory Maguire. Die wesentlichen Personen sind großteils vertreten, ihre Geschichten und Eigenschaften werden jedoch im Musical bzw. Film deutlich anders wiedergegeben oder durch Geschichten erweitert, die ein Happy End oder große szenische Auftritte erlauben. Im Buch zu Mary Poppins kommt Bert nur in einer winzigen Rolle als Streichholzmann vor, während Dick Van Dyke als Bert im Film eine wichtige Rolle bei den Ausflügen spielt, die Mary Poppins mit den Kindern unternimmt (ein romantisches Verhältnis zwischen Mary und Bert wird sehr vage angedeutet). Die Mutter von Jane und Michael (und im Buch auch der Zwillinge John und Barbara, die im Film keinen Platz finden) spielt im Buch nur eine winzige Nebenrolle, während sie im Film als kämpferische Suffragette auftritt.

We’re clearly soldiers in petticoats, and dauntless crusaders for women’s a-votes! Though we adore men individually, we agree that as a group they’re rather stupid.

Kürzlich kam in einem Podcast wieder mal das Thema auf, ob zuerst das Buch gelesen oder dann der Film geschaut werden sollte, oder jedenfalls nur das eine oder andere, weil beides zu konsumieren immer zur Enttäuschung führt. Im Hinblick auf Mary Poppins kann ich jetzt sagen, dass die Filmversion einfach derart tief in meiner Kindheit verankert ist, dass ich dem Buch nicht viel abgewinnen konnte.

Randnotiz: Kürzlich habe ich beschlossen, dass dieser Winter die richtige Zeit für A Song of Ice and Fire bzw. Game of Thrones ist. Ich fange demnächst mit dem ersten Buch an und werde mal sehen, ob ich dann auch Lust auf die Serie haben werde. Alternativen wären nämlich auch die Serie, die auf Big Little Lies basiert oder Little Fires Everywhere (wo ich ebenfalls zwischen Buch und Serie wählen kann).