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Kurzgeschichten

Martin Peichl – In einer komplizierten Beziehung mit Österreich

CN: sexueller Missbrauch, Suizidgedanken, sexuelle Handlungen, Alkoholmissbrauch


Vergangenheit ist wie ein Wasserschaden, ein Fleck an der Decke, den man im besten Fall irgendwann nicht mehr wahrnimmt.

Im Rahmen meiner persönlichen diesjährigen Geocaching-Challenge #52in2025 hatte ich mir ja vorgenommen, keine neuen Rätsel zu lösen, damit sich die Liste der gelösten Mystery-Caches auch tatsächlich mal reduzieren lässt. Von den Literatur-Caches kann ich jedoch trotzdem nicht lassen. Zum Glück kann ich vermelden, dass ich in drei Tagen die 52 geknackt haben werde! (Für in die Vergangenheit geschriebene Blog Posts wie diesen wurde übrigens das Futurum exactum erfunden …) Als erstes Stretch-Goal lege ich ein Vierteljahr drauf, es ist ja erst September. Also schauen wir mal ob wir auf 65 in 2025 kommen werden. Eventuell trägt ja dieser Literatur-Cache auch dazu bei (wenn ich ihn auch bis dato nicht abschließend lösen konnte).

Das Buch hat in mehrerer Hinsicht ein interessantes Format. Das Hardcover ist quadratisch, innen im Umschlag klebt tatsächlich ein echter Bierdeckel, auf dem nochmal der Titel steht. Inhaltlich besteht das Buch aus unzusammenhängenden Geschichten, die aber dann doch Überschneidungen der Protagonist:innen aufweisen. Prosatexte wechseln sich ab mit ungewöhnlichen Formaten wie Staffelbeschreibungen einer fiktiven TV-Krimi-Serie namens Schalko und Pichler. Besonders gelungen fand ich den Teil, der sich mit den Spielen unserer Kindheit und Jugend befasst und was wir im jeweiligen Alter daraus über die Gesellschaft lernen.

Meine Familie, denke ich beim Betrachten der Fotos, ist zusammengeschüttet aus Getränken, die man besser nicht mischen sollte, aber wir trinken alles, was uns in die Hand gedrückt wird.

Eine Grundmelancholie tränkt alle Geschichten, manche gehen jedoch tiefer als andere. Das obige Zitat stammt aus einem Text, der sich mit der komplizierten Beziehung zum eigenen Vater beschäftigt. Die auf schwarz-weiß reduzierten Fotos lassen die abgebildeten Personen nur noch erahnen. Das dient nicht nur der Anonymisierung der abgebildeten Personen, es symbolisiert auch die Undurchschaubarkeit der Vaterfigur.

Auch bricht das herkömmliche Empfinden von Zeit auseinander: in der Sperrzone sammelt sich diese scheinbar endlos an. Gleichzeitig ist Tschernobyl eine überdimensionale Zeitkapsel, in der sich nichts verändert, das Jahr 1986 in Endlosschleife.

Für den Autor und/oder seine Figuren ist Tschernobyl in gewisser Weise ein Sehnsuchtsort. In der Geisterstadt Prypjat ist die Zeit stehen geblieben, es ist ein Ort mitten in Europa, an dem sich die Natur ihren Platz zurückholt. Die Strahlung ist unsichtbar, sie rückt angesichts der besonderen Stimmung dieses Orts in den Hintergrund. Ich kann die Faszination für diesen Ort nachvollziehen, auch wenn ich niemals hinfahren würde.

[…] dass meine Vorstellung von Romantik vielleicht immer schon ein Autounfall war, will ich ihr sagen, sage ich ihr nicht.

Natürlich geht es in vielen Texten um zwischenmenschliche Beziehungen und die daraus entstehenden Komplikationen. Dazu fallen dem Autor auch unzählige Metaphern ein. Die Begegnungszone zwischen zwei Menschen vergleicht er mit einem Chemiebaukasten, der Ich-Erzähler einer Geschichte bezeichnet sich als der blinde Passagier in deinem Leben. Mir persönlich haben die weniger sentimentalen Texte besser gefallen, an originellen Sprachbildern mangelt es jedenfalls nicht, wie auch das folgende Beispiel zeigt:

[…] unsere alten Ichs, die wir wie Bücher in die Regale stellen.

Ein interessantes Werk, zu dem ich ohne den Literatur-Cache vermutlich nicht gefunden hätte.

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Bildband Essays

Barbara Lesak (Hg.) – Von der Pose zum Ausdruck. Theaterfotografie 1900–1930

CN: Es werden rassistische, antifeministische und homophobe Einstellungen der Epoche 1900–1930 thematisiert.


Ende November letzten Jahres besuchte ich mit dem Fotografen eine Fotoausstellung in der Galerie Westlicht (Bericht hier unter der Buchbesprechung). Der Fotograf musste sich natürlich auch die vielen Fotobildbände im Shop der Galerie ansehen. Also blätterte ich auch kurz durch die Bücher und dann fiel mir dieses in die Hände. Es handelt sich um einen Begleitband zur Ausstellung „Von der Pose zum Ausdruck. Theaterfotografie von 1900 bis 1930“ des Österreichischen Theatermuseums. Das Buch versammelt also Fotografien, die in dieser Ausstellung zu sehen waren und kombiniert sie mit Texten, die verschiedene Aspekte von Theater und Fotografie behandeln.

Es werden unterschiedliche Entwicklungsstufen der Fotografie behandelt, die mit ihren technischen Gegebenheiten die Möglichkeiten der fotografischen Aufnahmen prägten. Während frühe Theateraufnahmen ausschließlich im Atelier gestellt wurden (die Darsteller:innen durften sich nicht bewegen), konnten mit fortschreitender technologischer Entwicklung (inkl. besserer Beleuchtung der Theaterräume) auch tatsächliche Szenenbilder aufgenommen werden. Dabei fand ich interessant, dass die Fortschritte laut einem Text von Gerald Pfiffl zumeist aus der Riege der leidenschaftlichen Amateurfotograf:innen stammten:

Technische und bildmäßige Innovationen gingen immer von Amateuren und ihren Vereinen aus, denen vor allem der technische Fortschritt wichtig war. […] Das Gros der Berufsfotografen war dem konstant guten Bildergebnis verpflichtet. Sie konnten es sich nicht leisten, sich auf Experimente mit neuen Methoden einzulassen.

Im selben Text thematisiert Gerald Pfiffl auch eine Kontroverse bezüglich der Gestaltung von Theateraufnahmen aus dem Jahr 1926. Während der Amateurfotograf Hans Böhm sein System der Aufnahme von Szenenbildern mit Authentizität verteidigte, wurde er von Maximilian Kartitschnigg intensiv kritisiert. Kartitschnigg vertrat eine Position, die dem Fotografen einen wesentlichen gestalterischen Anteil an einer Fotografie zusprach. Er wollte das Licht für eine Aufnahme neu einrichten und überflüssige oder störende Elemente aus der Komposition entfernen. Ohne diese persönliche Einflussnahme wären die entstandenen Fotografien rein „technisch“ und nicht „künstlerisch“.

In dieser Phase der umfassenden Orientierungslosigkeit, geprägt von der Krise nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs, die gleichermaßen alte Werte und Wertesysteme ungültig macht, werden zugleich Möglichkeiten und Räume eröffnet, in Frage gestellt und Alternativen geschaffen.

Sehr interessant fand ich einen Textbeitrag von Julia Danielczyk, in dem es um „Problemstücke der zwanziger Jahre“ geht. Als problematische Themen werden hier unter anderem Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch, die sich verändernde Rolle der Frau und die Nutzung so genannter Schauobjekte angesprochen. Als Schauobjekte versteht die Autorin hier schwarze Statist:innen, während die weiße Hauptdarstellerin schwarz angemalt wird, um als – in der damaligen Diktion – „Halbblut-Negerin“ aufzutreten.

An diesem Text gefällt mir auch sehr gut, wie die Autorin aus den Bildern herausliest. Aus der Pose zweier Darsteller:innen liest sie zum Beispiel einen eindeutigen „Verweis auf eine außergewöhnlich gefährliche Macht dieser Unbekannten, inszeniert eine dämonische Stimmung“. Diese Art der Bildbeschreibung versuche ich selbst in meinem Alternativtexten umzusetzen und auch in Bilderzählungen, wenn ich etwas aus Urheberrechtsgründen nicht zeigen darf.

Julia Danielczyk thematisiert in ihrem Text auch die weiter oben beschriebene Unterscheidung zwischen Kunst und Technik und schlägt sich dabei auf die Seite von Maximilian Kartitschnigg. Für sie ist es ein besonderer Wert, wenn Fotos nicht nur als Dokumente der tatsächlich stattgefunden habenden Vorstellung dienen:

Das bedeutet die Reflexion der Wirkung des Bildes bei der Konzeption, so dass das Arrangement der Personen nicht dem zufälligen Moment eines Theaterabends unterlag, sondern gezielt für den Augenblick der Aufnahme eingerichtet wurde. Und genau hier tritt eine Duplizierung ein: Ziel ist die Inszenierung des Ausdrucks, die Zurschaustellung der großen, theatralischen Geste, die Abbildung, das Festhalten eines Zeitgefühls. Die Bilder verfügen über eine eigenständige Aussagekraft, über die Dokumentation einer Inszenierung hinaus. Sie stellen selbst gezielt inszenierte Posen dar.

Dazu bietet auch ein Text von Herausgeberin Barbara Lesak noch eine Verbindung an. Hier befasst sie sich mit Theaterexpressionismus und magischem Realismus in Berlin, einer Epoche, die nur von 1917 bis etwa 1924 dauerte, für die Theaterfotografie jedoch einen bedeutenden Fortschritt darstellte:

Die fotografische Abbildung und das Bildhafte der expressionistischen Szene standen in engster Beziehung zueinander. Fast schien es, als wäre die expressionistische Bildsprache nur dafür entworfen, um speziell ins fotografische Medium umgesetzt zu werden. In kongenialer Weise bedingten sie einander: Der Fotograf war konfrontiert mit einer ganz und gar künstlichen Welt, wie sie außerhalb der Theatermauern nicht vorzufinden war, und konnte daher exklusive und ungewöhnliche Bilder machen, während im Gegenzug dazu die expressionistische Scheinwelt in der fotografischen Abbildung an Realität und Glaubwürdigkeit gewann.

Trotz der Tatsache, dass ich mit dieser Epoche des Theaters bisher nur wenig Berührungspunkte hatte, fand ich auch einige für mich interessante Fakten:

  • Zwei Fotos aus einem Schauspiel namens „Chicago“ von M. Watkins, das tatsächlich die Grundlage für das spätere Musical ist. Sie wurden 1928 in den Wiener Kammerspielen aufgenommen und erinnerten mich sofort an das Musical. Auf dem ersten Foto ist eine der Protagonistinnen zu sehen, sie steht erhöht inmitten einer Gruppe von Männern in Anzügen, die ihr allesamt Geldscheine entgegen strecken. Darunter ein Foto aus dem Zellenblock, auf dem fünf Frauen in unterschiedlichen Positionen zu sehen sind.
  • Ein Text von Dagmar Saval beschäftigt sich mit Aspekten der Revue oder Revue-Operette. Diese in den 1920er-Jahren sehr beliebte Unterhaltungsgattung zeichnet sich unter anderem durch kreative Kostüme aus, weshalb dieser Text mit sehr interessanten Bildern illustriert ist. Darsteller:innen sind hier zum Beispiel als Parfumflakon und Lippenstift kostümiert. Spektakulär finde ich ein Bild einer Darstellerin, die als Stephansdom verkleidet ist (aus der Revue Alles aus Liebe von Karl Farkas und Ernst Marischka, Stadttheater, Wien 1927). Auf dem Kopf trägt sie den überdimensionalen Südturm des Stephansdoms, links und rechts ihrer Hüften erstreckt sich das Kirchenschiff mit dem charakteristischen Zickzack-Dachziegel-Muster. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sich diese Darstellerin noch bewegen konnte.
  • Für mich neu war auch, dass Das Weiße Rössl lange vor dem großen Film-Erfolg (1960) eine Revue-Operette (so wird es im Buch genannt) bzw. ein Singspiel (1930, Wikipedia) war und auf einem noch älteren Text (Lustspiel) von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg basiert. In Wien inszenierte Karl Farkas Das Weiße Rössl und trat in der heute noch bespielten Kabarettbühne Simpl mit seinem Schwarzen Rössl auf.
  • Im letzten Text fiel mir das (mir unbekannte) Wort Kubofuturismus ins Auge. Dazu Wikipedia:

Der Kubofuturismus ist eine Stilrichtung der Bildenden Kunst, die sich in Russland in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte. Dabei wurden Erfahrungen und Elemente des Kubismus und des Futurismus miteinander verschmolzen. Typisch für den Kubofuturismus ist die Zerlegung eines gegenständlichen Motivs in zylindrische Formelemente.

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Roman

Stefan Kutzenberger – Jokerman

CN: sexuelle Handlungen, Gewalt, Mordkomplott, Vernachlässigung eines Tiers (bis zum Tod), Sexismus


Nur wenn wir an Dylans Wort glauben, werden wir den Weg ins Licht finden. Es ist gänzlich egal, was auf dieser Welt passiert, es zählt allein die Erlösung, die auf uns wartet, wenn wir unbeirrt seinen Aussagen folgen.

Aus der Reihe: Gelesen wegen eines Literatur-Geocaches. Nach Ende der Lektüre bin ich ehrlich enttäuscht. Das hätte eine echt gute Geschichte werden können. Die Idee, dass eine Gruppe von Bob-Dylan-Anhänger:innen aus dessen Texten Befehle für das Weltgeschehen ableitet, verspricht viel Potenzial. Zu Beginn wird äußerst unterhaltsam argumentiert, mit welchen Textbestandteilen Bob Dylan etwa den Fall der Berliner Mauer oder den Erhalt des Nobelpreises für Literatur vorhergesagt haben soll. Selbst als der Protagonist (er teilt den Namen des Autors) von einem fanatischen isländischen Professor nach Washington D.C. geschickt wird, um dort mit Hillary Clinton an einem Mordkomplott gegen Donald Trump zu arbeiten, überwiegt noch der Unterhaltungsaspekt. Die Auflösung jedoch hat mich nicht überzeugt und das gilt auch für viele andere Teile der Geschichte.

Der Protagonist Stefan Kutzenberger stolpert durch die Geschichte, philosophiert immer wieder über das eigene Leben und die (Fehl-)Entscheidungen, die ihn dorthin geführt haben, wo er sich nun befindet. Dieses Philosophieren bringt ihn möglicherweise zur letztendlich moralisch richtigen (?) Entscheidung, kann aber zumindest die aus meiner Sicht völlig unnötigen Ereignisse wie den Tod des Kalbs oder die Episode im Bettkasten nicht ausgleichen. Dieser planlose Stefan Kutzenberger hat mehr schlechtes Gewissen, weil er einem Hotelpagen mangels (US-$-)Bargeld kein Trinkgeld geben kann, als wegen des verhungerten Kalbs. Dass er dann auf einmal entdeckt, dass von seiner Hand kein Mensch sterben darf, ist für mich nicht ausreichend nachvollziehbar.

Die Anhänger:innen der Bob-Dylan-Gesellschaft halten Kutzenberger für „auserwählt“ aufgrund von Fakten, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen eine herrliche Verschwörungstheorie einen mehr oder weniger überzeugendenVerschwörungsmythos ergeben. Von dieser satirischen Grundidee hätte ich gerne mehr gelesen und dafür weniger männliches Phantasieren über die Bedeutung des eigenen Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Nichtsdestotrotz empfinde ich tiefes Mitleid mit dem Autor: Die aktuelle zweite Amtszeit Donald Trumps muss sich mit diesem Buch im eigenen Portfolio noch viel schlimmer anfühlen, als sie es ohnehin schon ist.

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Roman

David Schalko – Schwere Knochen

CN: Das Buch spielt im kriminellen Milieu, neben Gewalt, Mord, Prostitution, sexuellen Handlungen sind auch noch andere Elemente enthalten, die ihr vielleicht nicht lesen wollt. Mir persönlich hat besonders das Kapitel im Konzentrationslager Unbehagen bereitet. Dieses Buch ist keine leichte Kost, überlegt euch gut, ob ihr euch das „antun“ wollt.


Der Wessely dachte zuerst darüber nach, ob es sich tatsächlich um eine Gretchenfrage handelte. Wollte der Krutzler seinen Glauben infrage stellen? Oder wusste er einfach nicht, was eine Gretchenfrage war?

Also es ist leider so, dass ich das Buch nicht besonders mochte und mich daher überwinden muss, diesen Text zu schreiben. Dieses Buch habe ich gelesen, weil es vehement empfohlen wurde. Bevor ich es dann begonnen hab, habe ich auch noch nachgeschaut, ob es da nicht vielleicht einen Literatur-Geocache dazu gibt. Ohne den hätte ich es vielleicht nicht weiter gelesen …

Versteht mich nicht falsch, es ist kein schlechtes Buch. Es erzählt die Entwicklung einer Bande von Kriminellen über einen langen Zeitraum, das zweite Kapitel spielt im Konzentrationslager und hat mich so richtig runter gezogen. Es geht darum, was der Krieg und die persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit mit Menschen gemacht haben, wie sich diese verändert haben, wie sie abgestumpft sind und Gewalt, Mord und Totschlag auf einmal „gewohnt“ sind, keine große Sache mehr sind, sondern „Alltag“.

Gut geschrieben, auch wenn der Schreibstil mit indirekter Rede bei jedem Dialog für Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, eher schwierig sein dürfte. Viel Wiener Lokalkolorit (siehe Zitat unten). Und trotzdem hat mich dieses Buch sehr unzufrieden zurück gelassen.

Da man aber die Kunst des Wegsehens in Wien immer dann beherrschte, wenn das Hinsehen nach Umständen roch, wurde die kurze Irritation gleich wieder vergessen.

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Roman

Heimito von Doderer – Die  Strudlhofstiege

CN: Krieg, Alkoholismus, Suizid, sexuelle Handlungen (aber nur sehr zahm angedeutet), Tod durch Unfall, Prostitution, rassistische Bezeichnungen der damaligen Zeit (Z-, N-)


An die Strudlhofstiege zum Beispiel. Das ist eine ganz geheimnisvolle Stelle. Wie sich diese Stiegen hinabsenken, wie aus einer neuen Stadt und ihren Reizen in eine alte und ihren Reiz! Eine Brücke zwischen zwei Reichen.

Noch nicht mal ein Jahr ist es sehr, seit ich mich durch Die Wasserfälle von Slunj gequält gekämpft habe und schon bin ich wieder bei Heimito von Doderer gelandet. Der Grund ist natürlich wieder ein Geocache (da das Buch genannt wird, ist das kein Spoiler) … Diesmal hätte ich das Buch wirklich weglegen können, die gesuchten Antworten finden sich alle ziemlich zu Beginn. Nur dann hat mich irgendwie doch die langsam fortschreitende Geschichte interessiert. Es dauert lange, aber letztendlich passiert dem Leutnant/Major Melzer dann doch etwas und irgendwann sogar etwas Gutes …

Nun hatte aber unser Major aus seiner Jugend keinerlei Übung mitbekommen im regelmäßig wiederkehrenden Bezwingen alkoholischer Quantitäten.

Mit dem ausladenden Schreibstil des Autors und den wiederkehrenden Zeitsprüngen muss sich die Leser:in halt anfreunden, das Gleiche gilt für die latente Frauenfeindlichkeit (vielen Damen wird Intelligenz gleich völlig abgesprochen, die wenigen Damen, die als intelligent bezeichnet werden, werden als Ausnahme hervorgehoben). Erfreut habe ich mich hingegen an den Beschreibungen der titelgebenden Strudlhofstiege, dem ausführlich beschriebenen Nachtzugsystem (zB der „Schlafwagenzug zwischen Belgrad und Budapest“) und den Wiener Beschimpfungen der beschriebenen Epoche (zwischen den Weltkriegen):

[…] dieser aufgeweichten Semmel, dieser Nocken, diesem gewässerten Schusterlaberl […]

Herzlich gelacht habe ich dann über den Teil, wo erläutert wurde, dass dem allseits geschätzten Rittmeister etwas passiert ist, „[…] was einem in Wien unter gar keinen wie immer gearteten Umständen passieren darf, […]: Eulenfeld hatte sich mit der Hausmeisterin zerstritten.“ Für eine Empfehlung reicht das Positive nicht, dafür ist das Buch einfach zu ewig lang im Verhältnis zu dem, was passiert. Aber immerhin ist jetzt ein weiterer Mystery-Cache gelöst.

Randnotiz: Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, die ungelesenen Bücher auf meinem Regal zu reduzieren (und die Liste der gelösten Mystery-Geocaches, aber das ist ein anderes Thema …). Viele stehen da schon seit EWIG und wenn ich sie nicht mehr lesen will, kann ich sie genauso gut los werden. Der Plan: Ich nehme mir pro Monat eines vor. Sollte ich es nicht schaffen (wollen), darf ich es abbrechen und im Bücherschrank entsorgen. Wir bleiben gespannt, wie sich das weiter entwickelt.

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Bildband Reise Sachbuch

Adolf Stiller (Hrsg.) – Bahnhöfe. Stationen in Europa.

CN: –

(Gefahr der Ansteckung mit Reisefieber ;-)


Im Ringturm in Wien war bis vor Kurzem eine Architekturausstellung zum Thema Bahnhöfe zu sehen. Anlass war die Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie in England, die vor „ziemlich genau 200 Jahren“ (lt. Klappentext) stattfand (und damit das „Geburtsjahr“ mit dem sponsornden Versicherungsunternehmen teilt). Zur Ausstellung gibt es einen Katalog in Buchform, ich wollte alles nochmal genau nachlesen und konnte nicht widerstehen …

Blick in den Ausstellungsraum, der Eingangsbereich ist von einer Holzkonstruktion überspannt, die wie ein Tunnel wirkt, weiter hinten im Raum hängen Tafeln von der Decke, an einer Wand hängt eine alte Eisenbahnkarte
Eingangsbereich der Ausstellung im Erdgeschoss des Ringturms

Glaskasten mit drei aufgeschlagenen Büchern und einem gelben Buchumschlag, in den Büchern sind großformatige Architekturfotos zu sehen
Schaukasten mit Büchern zum Thema Bahnhöfe

Das Buch zeigt dem Untertitel gemäß „Stationen in Europa“. Ein großer Schwerpunkt widmet sich etwa der Metropole Paris, die gleich mit sechs Bahnhöfen vertreten ist (von denen einer heute als Museum genutzt wird – das Musée d’Orsay). Den Weg zwischen den nahegelegenen Bahnhöfen Gare du Nord (hier fahren etwa die Eurostar-Züge Richtung Norden ab) und Gare de l’Est (wo unter anderem die Nachtzüge von und nach Wien ankommen und abfahren) habe ich selbst schon mehr als einmal zurückgelegt.

im Inneren der Bahnhofshalle des Pariser Bahnhofs Gare de l'Est, die Bogenkonstruktion des Hallendachs dominiert den oberen Teil des Bilds, von der Decke hängen zwei Bilder, darunter sind drei Anzeigetafeln für Ankunft und Abfahrt von Zügen zu sehen
Gare de l’Est: „[Die] große querliegende Halle am Kopfende der Bahnsteige [wurde] weithin als Beispiel für die funktionelle Anlage von Bahnhöfen kopiert.“

die Eingangshalle des Pariser Bahnhofs Gare de l'Est, drei geöffnete Türen zwischen Säulen, hinter dem Bahnhofsgebäude leuchten Wolken im Morgenlicht
Gare de l’Est: Der orangefarbene Riesen-Blumentopf ist auch auf der Abbildung im Buch zu sehen, meine beiden Fotos hier wurden im Mai 2023 aufgenommen.

Aber nicht nur die Pariser Bahnhöfe haben in mir Erinnerungen geweckt. Ich war beim Besuch der Ausstellung überrascht, dass ich einige der erwähnten Bahnhöfe quer durch Europa sofort zuordnen konnte.

Ausstellungsansicht, ein Transparent zeigt drei Fotos des Bahnhofs Gent-Sint-Pieters, oben ragt über einem Glasvordach ein altmodischer Turm auf, auf den beiden unteren Bildern Innenansichten der Bahnhofshalle
Gent-Sint-Pieters: Das historische Bahnhofsgebäude mit dem markanten Turm steht unter Denkmalschutz und wird seit 1996 umfassend renoviert.

Bahnsteig, eine Metallstütze hält das Dach über dem Bahnsteig, die Seitenflächen sind verglast, Teile der Glasflächen sind pink, die Bahnsteigbeschriftung ebenfalls in pink
Gent-Sint-Pieters: Bei meinem Besuch im Mai 2023 waren die Bahnsteige bereits mit modernen, bunten Glaskonstruktionen ausgestattet, die zu den Bahnsteigen führende Halle darunter war eine unübersichtliche Baustelle.

Bahnhof London St. Pancras, durch das verglaste Dach scheint die Abendsonne, am Ende des Kopfbahnhofs hängt eine große Uhr, darunter ein Schrift rosafarbener Neonschriftzug, der für das Musical „Dirty Dancing“ wirbt, Text: „I want the time of my life“
London St. Pancras (Mai 2023): „Mit seiner 74,15 Meter frei gespannten, 210 Meter langen und 31 Meter hohen, in gotisierender Spitzbogenform gestalteten Halle stellt dieser Bahnhof heute noch alle europäischen Bahnhöfe in den Schatten.“

Bahnhofsvorplatz in Venedig, im Vordergrund eine dreiarmige Laterne mit zwei Mülleimern daneben, dahinter die Marmorfassade des Bahnhofs
Venezia Santa Luzia (August 2022): „Die lang gestreckte, weit offene Fassade mit dem charakteristischen Vordach zeichnet sich durch die sensible Verwendung verschiedenfarbiger Marmorarten aus, deren Oberflächen die hohe Kunst der venezianischen Steinbearbeitung zeigen.“

Ein Fokus der Ausstellung (und des Buchs) liegt auf den Bahnhöfen der ehemaligen Donaumonarchie. Es ist auch eine große Übersichtskarte über „Österreich-Ungarn’s Eisenbahnen“ zu sehen. Die Karte stammt aus dem Jahr 1910 und war damals bereits in der 79. Auflage erschienen.

Detailaufnahme der Ecke einer Übersichtskarte, links oben steht: 1910, Prochaska's Neue Ausgabe, Österreich-Ungarn's Eisenbahnen, Neunundsiebzigste Auflage“, darunter eine Legende, die die Zeichen für unterschiedliche Bahngleise und verschieden große Ortschaften erklärt. Der Maßstab der Karte ist mit 1:1.250.000 angegeben.

von der Decke hängende Transparente zeigen die kommunistisch anmutenden Bahnhöfe in der heutigen Republik Tschechien
Tafel mit Informationen und Bildern zu den Bahnhöfen Pardubice, Cheb, Teplice und Klatovy

langgezogenes Bahnhofsgebäude aus rotbraunem Material mit hohen Fensterfronten, links an der Wand hängt eine dekorative Bahnhofsuhr, im Vordergrund die Metallstatue eines Mannes in Militäruniform mit vor der Brust verschränkten Armen
Bahnhof Pardubice mit der Statue von Jan Perner, Juli 2024

zwischen zwei Bahnsteigen sind zwei Gleise zu sehen, auf einem steht ein blauer Zug, zwischen den Bahnsteigdächern blauer, leicht bewölkter Himmel, die Gleise ziehen von rechts unten nach links oben durchs Bild, das Bild wirkt so dynamisch, obwohl nichts wirklich in Bewegung ist
Brno hlavní nádraží, Juni 2023

Spannend fand ich die verschiedenen „Bauformen“, die für die porträtierten Bahnhöfe angegeben wurden. Leider ist die Klassifikation nicht ordentlich abgerenzt. Wikipedia unterscheidet Bahnhöfe nach verschiedenen Kriterien, die im Buch unter dem Überbegriff „Bauform“ miteinander vermischt werden. Die Unterscheidung nach Grundrissform ist vermutlich vielen Leser:innen bekannt:

  • Kopfbahnhof (alle hereinführenden Gleise enden im Bahnhof, die Züge können nur mit einem Fahrtrichtungswechsel den Bahnhof wieder verlassen)
  • Durchgangsbahnhof (die Hauptgleise verlaufen durch den Bahnhof, der Bahnhof kann von beiden Seiten angefahren und wieder verlassen werden)

Im Buch werden unter dem Label „Bauform“ noch folgende andere Begrifflichkeiten verwendet:

Durch die Weitung der Gleisanlagen kommt es gleichsam zu einer Insel, in deren Mitte das Bahnhofsgebäude steht.

Leider sind die Ungenauigkeiten bei den Klassifikationen nicht der einzige Kritikpunkt. Die Bilder sind im Buch durchgehend zu dunkel abgedruckt (in der Fachsprache: die Bilder saufen ab). Auf nahezu allen Bildern, wo Bahnhöfe von innen zu sehen sind, sind  auch bei genauerem Hinsehen keine Details zu erkennen.

Auf der positiven Seite möchte ich die schöne Gestaltung des Umschlags erwähnen, der Titel ist in Goldschrift aufgeprägt, darunter ist die schematische Ansicht einer Bahnhofshalle in dunkler Farbe auf dem anthrazitfarbenen Buchdeckel aufgeprägt. Die unterschiedlichen Materialien geben dem Buch ein sehr wertiges Gefühl.

In den Texten, die hauptsächlich sachlich die architektonischen Highlights oder die historischen Hintergründe der Bahnhöfe erläutern, verstecken sich hier und da augenzwinkernde Bemerkungen wie diese zu fehlenden Einkaufsmöglichkeiten im Bahnhof Ostrava-Vitkovice:

Entsprechend des in den damaligen kommunistischen Ländern gültigen Wirtschaftskonzeptes der 5-Jahrespläne, die privatem Konsum keinen Stellenwert einräumten, waren auch keine Geschäftsflächen vorgesehen, was eine Nüchternheit erzeugte, nach der man sich heute vielerorts sehnt.

Zum Abschluss habe ich auch noch einige architektonische Fachbegriffe mitgenommen:

Da die Ausstellung neben den Tafeln mit den Informationen zu den Bahnhöfen nur wenige Elemente (Schaukästen mit Büchern und Ansichtskarten, einen kurzen Film zu Stuttgart 21) enthielt, stellt das Buch eine ausführliche Dokumentation der Ausstellung dar. Ich fand darin außerdem reichlich Inspiration für zukünftige Reisepläne!

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Roman

Valerie Springer – Ein paar Tage in einer fremden Stadt

CN: sexueller Missbrauch und Gewalt in der Familie, Unfalltod einer geliebten Person, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Sexismus


Er sah sein Leben, seine bisher verbrachten Jahrzehnte, plötzlich wie auf einem Computerbildschirm, aufgespalten in herunterfallende Tetris-Blöcke, die er verzweifelt und unter immer größerem Zeitdruck ineinander verschachteln musste. Wenn er es nicht schaffte, würde er verlieren. Würde er sich selbst verlieren, vollständig. Game over.

Wieder mal ein Buch aus der Kategorie Literatur-Geocache, irgendwie funktioniert meine Organisation da gerade am Besten. Das Buch erzählt auf zwei Zeitebenen vom Leben des Protagonisten Hubertus, dessen hervorstechende Eigenschaft ein absoluter Geruchssinn ist. Die Leser:in erfährt vom jugendlichen Hubertus, vom Vater gegängelt und unterdrückt, Hubertus unfähig, sich aufzulehnen, die ältere Schwester Sophia selbst Opfer des Vaters, die Mutter passiv und hauptsächlich darauf bedacht, die Fassade zu wahren („Man bewahrte Stillschweigen über die Abgründe der anderen.“). Erst die Liebe zum Lehrmädchen Lucy lässt Hubertus aufwachen und seine Haltung zum Leben hinterfragen.

Arbeit war seine Methode, um durchzuhalten. Es war dies die Methode vieler, vielleicht der meisten Menschen. Es war keine schlechte Methode, aber es gäbe auch andere.

20 Jahre später gibt Hubertus einem spontanen Impuls nach und fährt zu einem Vortrag nach Florenz. Dort lernt er Kalliope kennen, deren Geruch Hubertus an seine frühere Liebe Lucy erinnert. In Rückblenden erfährt die Leser:in von Lucys Schicksal und erlebt mit, wie Hubertus an seinen Lebensentscheidungen zu zweifeln beginnt. Er ist Geruchsforscher geworden, hat aber entschieden, im Privaten seinen Geruchsempfindungen nicht zu folgen und diese auszublenden oder sogar gezielt zu übertünchen. Dadurch hat er sich von der Welt quasi abgegrenzt, ohne dies überhaupt zu bemerken.

Die Begegnung mit Kalliope wühlt Hubertus auf und lässt ihn hinterfragen, ob er seine Kindheit und Jugend wirklich hinter sich gelassen hat. Ein Versuch, die Puzzleteile eines Lebens neu zusammenzusetzen, damit sie ein anderes Bild ergeben.

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Roman

Anni Bürkl – WinterHerzTheater

CN: –


Wenn euch gerade nach einem „Comfort Read“ mit winterlichem bzw. weihnachtlichem Thema ist, seid ihr hier gut aufgehoben. Mich hat die Lektüre äußerst erfolgreich von allem anderen Drumherum abgelenkt.

Sally und Harald bewerben sich beide für die letzte freie Rolle in einer Laientheaterproduktion von Biedermann und die Brandstifter. Während die Zusammenarbeit im Theater sperrig startet und sich Stück für Stück verbessert, geht es mit Sallys Erwerbsarbeit als Rezeptionistin in einem noblen Wiener Hotel stetig bergab. Dort trifft Sally auf originelle Menschen wie einen vermeintlichen Kaiser und muss sich mit den Vorstellungen ihrer Chefin herumschlagen, die unter anderem eine spezielle Vorstellung von Weihnachtsdekoration hat. Die Leser:in darf sich also auf amüsante Begegnungen und adventliche Wiener Weihnachtsromantik freuen.

Eine Beschreibung des Buchs findest du auch auf der Webseite der Autorin Anni Bürkl.

Disclaimer: Ich bin mit der Autorin auf Mastodon bekannt und durfte eine Vorab-Version dieses Buchs testlesen. Es ist in keine Richtung Geld geflossen, ihr lest hier wie immer meine persönliche Meinung.

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Roman

Barbara Kadletz – Im Ruin

CN: Trauer, Verlust eines geliebten Menschen, Drogenmissbrauch, Krankheit, Krebs, sexuelle Handlungen


»Zeitpunkt«. Es war ganz einfach. Er musste bloß den Zeitpunkt finden. Den Moment, in dem er seine Leichtigkeit verloren hatte. Und wenn er den Moment dann erwischt hatte, würde sich bestimmt alles auflösen.

Letztens war ich endlich mal wieder in der Hauptbücherei. Meine Merkliste wird ständig länger, daher ging ich diesmal gleich mit 6 Büchern nach Hause. Das eine oder andere hat eventuell was mit Geocaching zu tun, diesmal sogar von zwei verschiedenen Seiten. Aber dazu mehr in einem späteren Post …

Auf dieses Buch war ich also auch durch einen Literatur-Geocache gestoßen. Ich hatte es lange auf der Merkliste, bisher war es immer entliehen. Zurecht, wie sich herausstellte, es ist ein ganz wunderbares Buch. Das titelgebende Lokal „Im Ruin“ ist für die Wirtin Katharina ein Zufluchtsort, in dem sie sich mehr zuhause fühlt als in ihrer Wohnung, wo sie hauptsächlich zum Schlafen hingeht. In ihrem Lokal verbringt sie die Zeit mit ihrer Freundin Sabina, die ebenfalls dort arbeitet, und ihren Stammgästen, zu denen sich schließlich der geheimnisvolle Ari (zuerst 19-Uhr-Mann genannt) gesellt.

In Rückblenden wird erzählt, wie Katharina das Ruin gemeinsam mit ihrem früheren Partner David gegründet hat. Sein Tod durch Lungenkrebs hat Katharina tief getroffen. Bis sie jedoch erkennt, dass sie das Ruin zu einem Mausoleum gemacht hat, in dem der Geist von David die Gegenwart verdrängt, vergeht einige Zeit.

Die vielen Anspielungen auf lokale Besonderheiten in Favoriten (wie zum Beispiel das Amalienbad oder der Böhmische Prater) verorten die Geschichte, die vielen popkulturellen Zitate aus Literatur und Musik geben einen zeitlichen Hintergrund und lockern die traurigen Momente der Geschichte auf.

Eine einfache „Lösung“, um über den Verlust eines geliebten Menschen hinwegzukommen, gibt es nicht, das macht auch dieses Buch klar. Es zeigt aber einige Wege auf, die nicht zum Ziel führen und warnt damit davor, die Gegenwart und Zukunft unter der Vergangenheit zu begraben. Während Katharina eine deutliche Entwicklung durchmacht, bleibt unklar, was sich durch die Freundschaft für Ari verändert hat. Sowohl seine Lebenskrise als auch deren Entwicklung sind deutlich schwammiger beschrieben als jene von Katharina. So bleibt auch am Ende offen, wie es für ihn weitergeht (zumindest im privaten Bereich). In diesem Sinne ist es ein Buch der Möglichkeiten. Möglichkeiten, die sich erst auftun, wenn wir die Vergangenheit vergangen sein lassen können – vergangen, nicht vergessen.

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Krimi Roman

Beate Maly – Mord auf der Donau

CN: Mord, Erwähnung von Kriegsverbrechen und Traumata aus dem 1. Weltkrieg, Vergewaltigung, Suizidgedanken


Die Ergebnisse der Nationalratswahl am 29. September 2024 haben mich tief betroffen zurück gelassen. Neben einem Nachrichten-Embargo und einem vorübergehenden Rückzug aus den sozialen Medien (also eigentlich nur Mastodon, sonst benutze ich ja nichts mehr) hatte ich auch kaum Lust, zu lesen. Gleichzeitig war mir nach etwas Eskapismus und einem Erfolgserlebnis. Also griff ich zum dritten Band von Beate Malys Reihe über die pensionierte Lehrerin Ernestine und den Apotheker Anton, die in der Zwischenkriegszeit immer wieder in Kriminalfälle stolpern. Zu diesem Buch gibt es außerdem einen Literatur-Geocache (das wäre das Erfolgserlebnis).

In diesem Buch spielt die Geschichte hauptsächlich auf einem Dampfschiff, das von Wien aus nach Budapest fährt (und wieder zurück). Um eine geplante Keksfabrik entspinnt sich, was Boulevardzeitungen heute ein Familiendrama nennen würden. Die Szegediner Fischsuppe spielt eine wichtige, wenn auch nicht entscheidende Rolle. Drei Abende später war der Fall gelöst. An den Wahlergebnissen hat sich leider nichts geändert.