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English Roman

Elif Batuman – The Idiot

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Dance songs turned out to consist of one sentence repeated over and over. For example: “I miss you, like the deserts miss the rain.” Why would a desert miss rain? Why wasn’t it ok for a desert to be a desert, why couldn’t anything just be what it was, why did it always have to be missing something?

Auch eine Woche später habe ich mir noch keine wirkliche Meinung zu diesem Buch bilden können. Das obige Zitat beschreibt in meinen Augen schön die Persönlichkeit der Protagonistin Selin. Sie geht mit offenen Augen durch ihr Freshman-Jahr am College, inskribiert sich für Fächer, von denen sie vorher noch nie gehört hat und kommt aus dem Wundern nicht mehr heraus. Nichts scheint ihr Sinn zu ergeben. Weder die Einstellungen der Unterrichtenden zu ihren Themen, noch die Inhalte ihrer Kurse. Weder die Freizeitaktivitäten ihrer Mitstudierenden noch deren komplexe Identitäten. Also lässt Selin sich treiben, nimmt an jeder noch so absurden Aktivität teil und versucht auf diesem Wege, Sinn in ihrem Alltag zu finden. Wodurch sie schließlich im zweiten Teil des Buchs in einem kleinen Dorf in Ungarn landet, wo sie englisch unterrichten soll. Dort versteht sie dann buchstäblich die Welt nicht mehr, weil Sprach- und kulturelle Barrieren die Kommunikation zusätzlich erschweren. Da Selin jedoch schon am College zumeist eher ratlos den Menschen und Ereignissen in ihrem Umfeld gegenüber stand, klingt es fast teilnahmslos, wenn sie von verlorenen Kanus, unbekannten Straßenecken und einsamen Busstationen (lauter beängstigende Situationen in meinen Augen) erzählt.

Das Ende ist so glaubwürdig wie unbefriedigend. Und passend zum Titel ist der letzte Satz vollkommen falsch. Warum das so ist, dürft ihr selbst herausfinden.

EDIT 06.01.2023: In diesem Lithub-Artikel mit Empfehlungen erklärt Tamara Gomez, was ihr an diesem Buch so gefallen hat und ich habe jetzt das Gefühl, etwas verstanden zu haben.

Batuman helped me feel compassion for my younger self that made questionable and arguably dumb decisions while trying to look intelligent and cool in front of my crush.

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Krimi Roman

Edith Kneifl – Endstation Donau

CN dieses Buch: Mord, Gewalt, sexuelle Handlungen
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Aus Gründen lese ich aktuell nur so genannte leichte Literatur. Dieser Krimi kam aber immerhin mit einem Literatur-Geocache im Gepäck, der vergleichsweise einfach zu lösen war (und den ich auch verlinken darf, weil der Titel des Buches auch der Titel des Caches ist). Am Ende fehlte mir nur eine Antwort und die konnte ich aus dem Kontext erraten und somit den Multichecker zufrieden stellen. Das Final befindet sich an einem thematisch passenden Ort, der allerseits so abseits liegt, dass er mir ein enerviertes Schnaufen entlockte.

Wenn ich mehrere Krimis hintereinander lese, fallen mir leider die Muster auf, nach denen viele dieser Krimiserien aufgebaut sind.

  1. Zuerst stellt sich immer die Frage, ob die Protagonist:in selbst mit Polizeiarbeit zu tun hat oder nur zufällig in Kriminalfälle stolpert (in diesem Fall Zweiteres, wirkt oft unglaubhaft bei wiederholtem Auftreten).
  2. Dann spielt die Persönlichkeit dieser Protagonist:in natürlich eine große Rolle: Ist sie rebellisch, unkonventionell und will sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben? Oder ist sie eher bedacht, vorsichtig und nähert sich der Lösung auf intellektuelle Weise durch das Kombinieren von Hinweisen an? (in diesem Fall Ersteres, wirkt oft sympathischer, kann aber in Kombination mit dem Hineinstolpern in Kriminalfälle [siehe Punkt 1] den Effekt des „Oida, wie dumm kann ein Mensch sein?“ auslösen).
  3. Viele sympathische Krimis würzen mit Elementen, die nicht traditionell zum Krimigenre gezählt werden: Lokalkolorit, kulinarische Ergüsse, interessante Fakten über die Orte, an denen sich die Ereignisse abspielen (in diesem Fall alles davon: die Wiener Kleinganoven treffen sich am Mexikoplatz und auch andere Wiener Schauplätze dürfen mitspielen, die Protagonist:in darf sehr teuren Kaviar verkosten, die einzelnen Schauplätze der Donaukreuzfahrt werden ausführlich beschrieben inkl. den problematischen Themen der Regionen [Wilderei, Umweltverschmutzung, Armut]).

Wenn ich jetzt noch mehr Krimis lese, fallen mir vermutlich auch noch mehr Parallelen auf. Einen hab ich noch hier liegen, der auch eine Geocache-Verbindung hat. Spätestens danach muss ich mich wieder anderen Themen zuwenden, damit mir die Krimis nicht langfristig zum Hals heraushängen.

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Memoir

Susan Faludi – In the Darkroom

Einen traditionellen Jahresrückblick wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Die Umstände haben dazu geführt, dass ich deutlich weniger Zeit zum Lesen hatte als erhofft. Eine interessante Idee musste ich jedoch verfolgen und ich kam zu einem sehr erfreulichen Ergebnis: Etwa die Hälfte aller Bücher, die ich 2017 gelesen habe, stammten aus der Bücherei Wien. Obwohl ich auch 2017 wieder einige Bücher gekauft habe (kaufen musste!), ist das Angebot so breit gefächert, dass ich auch immer wieder Empfehlungen von Lithub in der Bücherei finde. Auch das im Folgenden besprochene Werk gehört dazu.

„People can’t survive without categories. Even people on the fringes need categories, so they can be on the fringes. You have to have an identity.“

Dieses Buch hat sich als eine große Herausforderung erwiesen. Auf einer Ebene erzählt die Autorin die Lebensgeschichte ihres Vaters. Auf einer anderen Ebene erzählt sie jedoch, wie sie ihren seit ihrer Kindheit abwesenden Vater kennenlernt. Sie lernt jedoch nicht nur ihren Vater kennen, sondern eine neue Person, die ihr Vater geworden ist. Er hat eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen und lebt nun als Frau. Als ob diese Konstellation nicht schon genug für ein einziges Leben wäre, entstammt diese Person auch noch einer jüdischen Familie, hat im 2. Weltkrieg in Ungarn überlebt und sich danach in Dänemark, Brasilien und Amerika ein neues Leben aufgebaut. Und hat Jahrezehnte später ihre Familie verlassen und ist in ihre ungarische Heimat zurückgekehrt. Dass es der Autorin gelungen ist, all diese Facetten in ein Bild zu fassen, ist allein schon eine Meisterleistung.

„Identity is“–she deliberated–„it’s what society accepts for you. You have to behave in a way that people accept, otherwise you have enemies. That’s what I do – and I have no problems.“

Die Erzählung wechselt von persönlichen Momenten wie etwa intimen Kindheitserinnerungen zu Rückblicken in die Zeit des 2. Weltkriegs. Der Vater soll seine Eltern vor der Deportation ins KZ bewahrt haben. Die Autorin forscht nach entfernten Verwandten und findet neue Perspektiven auf die Erzählungen ihres Vaters, aber oft auch die Bestätigung seiner Geschichten, an denen sie zweifelt. Das ist nicht der Vater, den sie in Erinnerung hat. Sie beschreibt einen Kennenlernprozess, wie er nur möglich ist, wenn sich zwei Menschen tatsächlich aufeinander einlassen. Ein Aufeinandereinlassen, dass dem Vater erst möglich ist, da er nun als Frau lebt.

„Before, I was like other men“, she said. „I didn’t talk to other people. Now I can talk to anybody.“

Neben der familiären, persönlichen Ebene scheut die Autorin aber auch nicht vor der politischen Ebene zurück. Sie untersucht nicht nur die Situation der ungarischen Juden während des 2. Weltkriegs sondern analysiert auch die sich im neuen Jahrtausend entwickelnde Rechtsregierung unter Viktor Orban. Die Parallelen, die sich dabei auftun, sollten uns um die Freiheitsrechte jedes Einzelnen fürchten lassen. Es geht dabei nicht nur um Antisemitismus oder Vorurteile gegen LGBT+ Personen. Jeder ungarische Bürger ist davon betroffen und genau diese politische Richtung vertritt jetzt auch die österreichische Regierung.

„Hungary is a very normalizing society, more than others, and it’s definitely not inclusive“, she told me. „Hungary has this very tragic self view–’We are special because we are the losers of history’. And that self-pitying mentality doesn’t lend itself to being welcoming to people who are different.“

Dieses Buch ist keine einfache Lektüre, aber die intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept Identität (was macht die Identität eines Menschen aus? Religion, Geschlecht, Herkunft? welche Faktoren bestimmen eine jüdische Identität, eine weibliche, eine ungarische?) ist jeden einzelnen Buchstaben wert.

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Biografie

Johannes Thiele – Elisabeth

Achilleion, Palast der Kaiserin Elisabeth auf Korfu

„Es gibt in jeder irdischen Laufbahn einen Augenblick, wo die Seele stirbt; das braucht keineswegs zu der Zeit zu sein, wo man körperlich stirbt. … Wenn der Wunsch zu leben aufhört, befindet man sich eigentlich außerhalb des Lebens.“

Da meine Musicalleidenschaft ihren Anfang 1995 mit Elisabeth im Theater an der Wien genommen hat, habe ich schon einige Biografien der „unglücklichen Kaiserin“ gelesen. Standardwerk ist natürlich Brigitte Hamanns „Kaiserin wider Willen“, das ich schon in den 90er Jahren gelesen habe. Davon unterscheidet sich Johannes Thieles Blickwinkel ganz extrem. Seine Schreibweise gibt der Lebensgeschichte der Kaiserin einen schwärmerischen Touch und lässt es wie einen Roman wirken.

Bestes Beispiel ist da die Geschichte über den Maskenball, den die Kaiserin incognito besucht und dort mit einem jungen Mann flirtet. Während der Wahrheitsgehalt dieser Episode von den meisten Biografen angezweifelt wird, nutzt Thiele dies für ein ausschweifendes Kapitel über die romantischen Episoden der Kaiserin, die hauptsächlich in ihrer Traumwelt stattfinden und sich dann in ihren Gedichten wiederfinden.

Elisabeths Gefühle bewegen sich selten in einer geraden Linie. Meistens sind sie verworren, haltlos, unbeständig: „Das Ziel der Reise ist anziehend“, bekennt sie, „hauptsächlich, weil die Reise dazwischen liegt. Wenn ich irgendwo wäre und wüsste, dass ich niemals wieder von dort fortkommen könnte, so würde mir der Ort wie eine Hölle erscheinen, selbst wenn es das Paradies wäre. Der Gedanke, dass ich den Ort, wo ich mich aufhalte, wieder verlassen muss, rührt mich und bringt mich dahin, ihn zu lieben. Jedesmal wenn ich reise, begrabe ich so einen Traum, der allzuschnell entschwindet. Und ich seufze nach einem Neuen.“

Auf diese Stimmungen Elisabeths konzentriert sich Thiele auf langen Strecken und stellt dabei natürlich auch viele Spekulationen an. Die politischen Wirren des 19. Jahrhunderts sind natürlich auch Thema, treten aber gegenüber den persönlichen Befindlichkeiten in den Hintergrund. So bleibt diese Biografie ein Leseerlebnis gerade für Fans des Musicals, die wahrscheinlich für etwas Schwärmerei ohnehin mehr übrig haben als für die harten Fakten.