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Roman

Fabio Volo – Einfach losfahren

Eibe Macro made with Cam+ & Olloclip

Etwas Außergewöhnliches, das befreit werden musste. Ich, der im Käfig Gefangene, wollte hingehen und die Leute befreien. Vielleicht war es ein Automatismus. Da ich mich nicht selbst befreien konnte, versuchte ich die anderen zu befreien, nur dass mir das geeignete Handwerkszeug dazu fehlte.

In diesem Roman beschreibt Fabio Volo den Entwicklungsprozess eines jungen Mannes, der seinen Platz im Leben sucht. Scheinbar leichtfüßig hüpft er zuerst wie ein Grashüpfer durchs Leben. Erst durch den Tod seines Freundes Federico, der sein Leben auf den Kopf gestellt und auf Reisen das Glück gefunden hatte, wacht Michele auf und entdeckt die Leere in seinem Leben.

In dieser Zeit war ich Rassist, ich hasste alle, denen es schlechthin. Nur mein Leid war echt und real, glaubte ich, während Leute mit Liebeskummer zum Beispiel nicht das Recht hatten, auch nur den dicken Zeh ins große schwarze Meer des Schmerzes zu tauchen.

Aus den Trümmern seines bisherigen Lebens bricht Michele nun aus, um die Frau kennenzulernen, die Federiges Leben verändert hat. Mehrere Monate hilft er Sophie beim Aufbau ihrer Posada und lernt dadurch ein anderes Leben kennen. Einfache Arbeit, einfaches Leben, Glück in der Natur finden, Gemeinschaft und schließlich Zufriedenheit mit sich selbst. Dabei geht Michele durch unterschiedlichste Phasen der Trauer um Federico, des Zweifelns an den eigenen Werten und an seinen Beziehungen. Einziger Wermutstropfen aus meiner Sicht ist die beinahe zu perfekte Beziehung, die Michele schließlich mit Francesca findet. In meinen Augen kann niemand ständig so ausgeglichen sein und niemals an seinem Leben oder seiner Liebe zweifeln. Aber lassen wir das Happy End einfach mal so stehen und nehmen wir mit, was uns auf unserem eigenen Weg helfen kann: Manchmal muss man aussteigen, um den Durchblick zu bekommen.

If you don’t know where you are going, any road will take you there.

Lewis Carroll (Alice’s Adventures in Wonderland)

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Roman

Paulus Hochgatterer – Caretta Caretta

Sunflower - noch nicht erblüht

„Bist du nervös?“ fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Sie fuhr in ihrem Summen fort und nickte. „Denk an die Schildkröte“, sagte ich. „Meinst du, sollen wir den anderen einen Zettel schreiben?“ Sie zuckte mit den Schultern. Üblicherweise schreibe ich keine Zettel, wenn ich weggehe, doch diesmal hatte ich die Neue dabei, und überhaupt hatte ich das Gefühl, dass das etwas anderes war als sonst.

Zu Beginn kriegt man schnell das Gefühl, man befände sich in einer österreichischen Parallelwelt zu Clockwork Orange. Bereits auf den ersten Seiten wird einem Schlafwagenschaffner die Nase gebrochen, der jugendliche Protagonist klaut anschließend einem Gangsterpärchen die Pistole und springt nach einer selbst ausgelösten Notbremsung aus dem Zug. Nach dem Rückweg (per geklautem Moped und LKW-Mitfahrgelegenheit) nach Wien stockt er seine Drogenvorräte auf und wird in seiner betreuten WG Zeuge, wie einem anderen Bewohner (s)ein Baseballschläger übergezogen wird.

Bei all dieser Brutalität bleiben die schlechten Verhältnisse, aus denen der Protagonist stammt (der Klappentext nennt ihn Dominik, ich kann mich nicht erinnern, dass der Name im Buch oft vorkam), nebenbei präsent. Toter Vater, überforderte Mutter, brutaler Stiefvater, und so weiter. Trotzdem kann man nicht recht Mitleid empfinden für Dominik, der sich in dieser Parallelwelt offenbar so problemlos zurechtfindet und durchs Leben schlägt.

Interessant wird die Situation, als einer von Dominiks „Bekannten“ an Krebs zu sterben droht und seine letzten zwei Wochen mit ausreichend Schmerzmitteln und Dominik auf Urlaub verbringen will. In der neuen Mitbewohnerin, die sich für wenig mehr als ihr Schildkrötenbuch und die darin abgebildete titelgebende Caretta Caretta interessiert, sieht Dominik eine Art Schwesterersatz, und nimmt sie mit auf diese skurrile Urlaubsreise. Dass sie die Schildkröte letztendlich nur tot finden (der Schildkrötenstrand ist wegen Vandalismus von Soldaten bewacht), schweißt die beiden einsamen Jugendlichen letztendlich trotzdem noch fester zusammen. Eine Erzählung vom Leben und Sterben in einer einsamen Welt.

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Roman

Nina George – Die Mondspielerin

Sunflower made with Cam+

Komm runter vom Jammerkreuz, wir brauchen das Holz.

Marianne hat genug vom Leben. Sinnlos erscheint ihr ihre trostlose Existenz unter der Fuchtel ihres Mannes Lothar, der ihr keine Luft zum Atmen lässt. Ihr Selbstmordversuch durch einen Sprung in die Seine schlägt fehl. Trotzdem kann sie nicht in ihr altes Leben zurück. Mit einer gemalten Fliese macht sie sich auf den Weg nach Kerdruc in der Bretagne, um das Meer zu sehen und sich anschließend darin zu ertränken.

Marianne spürte plötzlich eine unendliche Furcht, vorzeitig zu sterben. Nicht satt zu werden, bevor ihr letzter Tag gekommen war. Satt vom Leben bis obenhin und über den Rand hinaus. Nie hatte sie so einen Hunger nach Leben verspürt: Ihr Herz drohte zu zerbersten vor Qual, zu viel versäumt zu haben.

Doch Kerdruc und das Meer verzaubern Marianne. Obwohl sie kein Wort Französisch oder Bretonisch spricht, stolpert sie in die Küche eines Restaurants und wird dort vom Fleck weg als Küchenhilfe engagiert. Sie lernt Menschen kennen, mit denen sie sich nur schwer verständigen kann und wird doch von allen freundlich aufgenommen. Und lernt ein neues Leben kennen. Ein Leben, das mit jedem Tag lebenswerter erscheint. Von Seite zu Seite scheint in Kerdruc die Sonne, und schließlich lernt Marianne auch den Maler der Fliese kennen und lieben. Aber nicht nur Marianne findet eine neue Liebe, auch andere Personen in Kerdruc lernen durch Mariannes Beispiel, das man sein Leben nicht vergeuden und seine Liebe niemals geheimhalten sollte.

Als er seine Geliebte beobachtete, erneuerte er ein Versprechen mit sich, das er lange vergessen hatte: nichts Triviales mehr. Alles sollte auf der Höhe der Leidenschaft, des Lebens sein; wer etwas Höheres nach dem Leben erwartete, der vergaß, dass das Leben bereits das Höchste ist. Yann hatte es vergessen, und er wollte wieder mit aller Kraft und ohne Scheu leben. Lieben. Malen. Lieben. Nichts Triviales mehr, das sein Blut ermüdete und seine Seele beleidigte.

Natürlich kommt es schließlich zum Showdown mit Mariannes Mann Lothar, der ihr nach Kerdruc folgt und sie zurückholen will. Niemand kann sein Leben einfach verlassen ohne jemanden oder etwas zurückzulassen. Aber die wesentlich wichtigere Botschaft bleibt unmissverständlich: Es ist nie zu spät, dein Leben zu ändern.

Man kann der Liebe nicht sagen: Komm, und bleib für immer. Man kann sie nur begrüßen, wenn sie kommt, wie der Sommer, wie der Herbst, und wenn die Zeit um ist und sie geht, dann geht sie.

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Sachbuch

Scott Belsky – Making Ideas Happen

My First Himbeere

… the key realization should be that everything in life is a project, and every project must be broken down into Action Steps, References and Backburner Items. It’s that simple.

Für mich war dies ein an sich richtiges und hilfreiches Buch zur falschen Zeit. Die Zeiten, da ich mich intensiv mit dem Managen von Projekten und den dazu notwendigen organisatorischen Elementen auseinandergesetzt habe, ist schon lange vorbei. Dazu soll gesagt sein, dass ich prinzipiell noch immer dem „Getting Things Done“ (GTD)-Prinzip von David Allen anhänge. Dabei benutze ich das Programm Things am Mac und am iPhone, wobei es mir am iPhone hauptsächlich als mobiler Notizzettel dient. Ich hänge noch immer am WiFi-Sync, weil ich mich mit Clouds im Allgemeinen noch nicht recht angefreundet habe. Ich schweife ab …

Im Bereich dieses Management-Themas konnte mir also Scott Belsky nichts wirklich Neues berichten, er verweist selbst auf David Allen. Weiters setzt er sich mit der Frage auseinander, wie Teams zusammengesetzt sein sollten, welche Persönlichkeiten es in erfolgreichen Firmen gibt und wie diese zusammenpassen. Dabei hat er mir immerhin eine ziemlich genau passende Schublade für mich selbst geliefert:

Doers don’t imagine as much because they are obsessively focused on the logistics of execution. Doers get frustrated when, while brainstorming, there is no consideration for implementation. Doers often love new ideas, but their tendency is to immerse themselves in the next steps needed to truly actualize an idea. While Dreamers will quickly fall in love with an idea, Doers will start with doubt and chip away at the idea unteil they love it (or, often, discount it). As Doers break an idea down, they become action-oriented organizers and valuable stewards. An idea can only become a reality once it is broken down into organized, actionable elements. If a brillant and sexy idea seems intangible or unrealistic, Doers will become skeptical and appropriately deterred.

Ich musste lächeln. Ich hasste Brainstorming von Anfang an. Ich war schon in der Schule eine von denen, die beim Brainstorming herumnervte, „warum sollen wir das aufschreiben, es gibt sowieso keine Dinosaurier in Korneuburg …“. Und heute finde ich mich auch oft als Spielverderberin wieder, die zu einem unverbesserlichen Dreamer ständig sagt, „aber da musst du zuerst …“ oder „das wird aber schwierig, wenn du nicht …“ oder „da müsstest du aber …“. Während die anderen träumen, habe ich immer schon die Umsetzbarkeit im Auge (bzw. Gehirn). Das Wissen darum hilft leider nur bedingt, man kann halt schlecht raus aus seiner Schublade.

Wer Motivation sucht, Tipps, um seine Projekte zu managen und viele Beispiele, wie erfolgreiche Firmenchefs Projekte leiten und ihre Teams zusammenstellen, ist bei Scott Belsky jedenfalls nicht falsch. Sein Behance-Network ist für Kreative aus der ganzen Welt jedenfalls eine interessante Anlaufstelle und ein Quell der Inspiration. Motivierend.

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Roman

Erlend Loe – Die Tage müssen anders werden, die Nächte auch

Helsinki Lutheran Cathedral

Ich setze mich auf eine Bank und schaue mir die Liste genau an. Lange. Eine ehrliche Liste ist das. Ich bin zufrieden mit ihr. Vielleicht gibt es so ein Ding, vielleicht auch nicht. Nicht so wichtig. Wichtig ist die Liste. Die ist eine Entdeckung für mich. Sie ist wertvoll.

Dieses Buch wurde mir von einer nahestehenden Person als „absolutes Lieblingsbuch“ präsentiert, da gerät man natürlich in den Verdacht, eine positivere Wertung abzugeben. Allerdings wurde mir schnell klar, wieso die nahestehende Person sich in diesem Buch offenbar wiederfindet. Der Ich-Erzähler befindet sich in einer unzufriedenstellenden Situation, in der er sich nicht in der Lage sieht, weiterzuleben. Obwohl er keine gröberen Katastrophen erlebt hat, er hat Familie, Freunde, Studium und leidet keine Not, ist er mit seinem Leben unzufrieden und wünscht sich Veränderung. Und wer kann wohl von sich behaupten, dass er noch nie in dieser Situation war?

Auf einmal könnte ich die großen Zusammenhänge überblicken. Alles mögliche durchschauen. Schlüsse ziehen über die Welt und die Menschen. Ich wäre zu Selbstbeherrschung fähig und dazu, aus anderen das Beste herauszuholen, lauter so Zeug. Dann würde der Meister zu mir sagen, jetzt hätte er mir nichts mehr beizubringen, und dann würde er mir etwas schenken.

Er sucht nach dem Überblick, nach dem Wissen, wie das Leben funktioniert, nach einer Freundin. Zur Entspannung wirft er einen Ball gegen eine Wand oder hämmert auf einem Hämmerbrett. Was sich als entspannender erweist, als man sich vorstellen kann. Mich macht allein die Vorstellung von dem Hämmergeräusch irre. Von der Nutzlosigkeit dieser Tätigkeit ganz zu schweigen. Aber in manchen Situationen ist es wohl notwendig, sich mit Nutzlosem abzulenken, um sich nicht von der Größe des Universums erdrücken zu lassen.

Ein Brief an einen Autor, der sich mit dem Thema Zeit beschäftigt, bleibt unbeantwortet. Gerade berühmte Wissenschaftler haben keine Zeit (!), sich mit solchen Fragen zu beschäftigen geschweige denn Briefe zu beantworten. Anhand des Empire State Buildings, auf dessen Spitze die Zeit aufgrund der Erdrotation schneller (oder war es langsamer?) vergeht als unten, stellt der Protagonist schließlich fest, dass es eigentlich keine Zeit gibt. Aus irgendeinem Grund macht ihn diese Erkenntnis unheimlich glücklich und befreit ihn von allen Zwängen, denen er sich bisher ausgesetzt sah. Aber macht das überhaupt einen Unterschied?

Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit habe ich das Gefühl, dass alles passieren darf. Heute bin ich aufgewacht und habe gedacht, alles darf passieren, die Dinge kommen einfach auf mich zu, und sie sind gut.

Auch ein weiteres Prinzip im Sinne der Selbstfindung kommt hier zur Anwendung: Die gewohnte Umgebung verlassen. Die Reise zu seinem Bruder nach New York eröffnet dem Protagonisten so manche neue Erkenntnisse. Reisen bildet nicht nur, es lässt einen die Welt schlicht aus anderen Perspektiven sehen. Und so kommt man manchmal auch darauf, was im Leben eigentlich wirklich wichtig ist.

Komisch, dass ich erst nach Amerika reisen musste, um darauf zu kommen.

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Roman

Paulo Coelho – Der Sieger bleibt allein

Thirty Seconds to Mars, 26. November 2011, Stadthalle Wien

In der wirklichen Welt aber sind die Mächtigen gerade dabei, ihre E-Mails zu checken, sich darüber zu beklagen, dass die Partys hier in Cannes alle immer gleich sind, dass die Freundin ihres Konkurrenten kostbareren Schmuck getragen hat als ihre eigene und dass dessen Jacht viel prächtiger ist als ihre, und sie fragen sich, wie das nur möglich ist.

Es fällt mir einigermaßen schwer, zu präzisieren, warum dies kein typischer Coelho-Roman ist. Eine Bewertung, ob das nun gut oder schlecht ist, bleibt sowieso jedem selbst überlassen. Es scheinen die plakativen Botschaften zu fehlen. Wobei plakativ sowieso das falsche Wort sein dürfte, da Paulo Coelho seine Botschaften im Allgemeinen in Geschichten verpackt, aus denen sie dann wiederum als Diamanten herausstrahlen. Hier fehlt zwar nicht die Botschaft, jedoch ist sie weniger deutlich erkennbar, es besteht deutlich mehr Interpretationsspielraum.

Schauplatz ist das Filmfestival in Cannes, die Welt der Celebrities, der Schönen und Reichen. Mehrmals wird betont, dass die Filme unwichtig sind, dass es darum geht, zu sehen und gesehen zu werden sowie die richtigen Hände zu schütteln. Im Verlauf der Geschichte vermischen sich Gesellschaftsschichten: die „nicht mehr ganz junge“ (25) Schauspielerin Gabriela etwa, die von Casting zu Casting hetzt und hofft, in Cannes endlich das große Los gezogen zu haben. Das hat sie zwar nicht in dem Sinne, in dem sie sich das vorstellt, doch letztendlich liegen Verlieren und Gewinnen oft sehr nahe beisammen. Gabriela gehört zu denen, die es schaffen wollen, die sich abrackern, die trotz aller Enttäuschungen daran glauben, es schaffen zu können. Gleichzeitig weiß sie nichts über die wahre Welt der Schönen und Reichen. Geschäfte werden ganz nah unter der Oberfläche gemacht, der so begehrte rote Teppich ist eine unzureichende Tarnung für die Geldmengen, für Macht und Einfluss, um die es eigentlich geht.

Zur Gesellschaft derer, die es geschafft haben, gehören Ewa und Hamid, beide im Modebusiness erfolgreich, verheiratet und scheinbar ein Traumpaar. Ihnen auf den Fersen ist Ewas Exmann Igor, der als „Racheengel“ schließlich nicht nur das Schicksal dieses Dreiecksgespanns entscheidend beeinflusst. Ein ungewöhnlicher Blickwinkel ist wiederum ein bekanntes Merkmal der Coelho-Romane, dem der Autor auch hier treu bleibt. Mit seinen Betrachtungen zum Thema Burn-Out, dem Spannungsfeld Arbeit–Leben sowie der Frage, was für den Einzelnen wirklich wichtig ist, entspricht dieser Roman durchaus dem Zeitgeist. Die geruhsame Erzählweise, die selbst die spannenden Momente verlangsamt, spricht somit eine ganz eigene Sprache.

Er hatte begriffen, dass im Gegensatz zu dem, was die Menschen dachten, die totale Macht totale Versklavung bedeutete. Wer so weit kommt, will nie mehr zurück. Es gibt immer einen neuen Konkurrenten, der entweder überzeugt oder ausgeschaltet werden muss.

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Roman

James Frey – Strahlend schöner Morgen

Kleine Fruechte in Madrid

Irgendwann wird man es herausfinden, das weiß sie, und sie weiß auch, dass danach in ihrem Leben nichts mehr so sein wird wie zuvor.

Zu Anfang gestaltet sich diese Sammlung von „Lebensgeschichten“ etwas sperrig. In jedem Kapitel lernt man neue Personen kennen, manche von ihnen wird der Leser wiedersehen, andere nicht. Unterbrochen sind die Kapitel jeweils von Fakten zur Geschichte Los Angeles, wie sich aus einer kleinen Siedlung der gigantische Moloch entwickelt hat, der Los Angeles heute ist. Stück für Stück verfolgt der Leser die Geschichten von Dylan und Maddie, dem Obdachlosen Old Man Joe, dem Filmstar Amberton und nicht zuletzt der aufmunternden Liebesgeschichte von Esparanza, die sich von einem verschüchterten Mädchen ohne Selbstbewusstsein zu einer starken Frau entwickelt.

Andere Kapitel handeln von Personen, die wir nicht näher kennenlernen, erfolglose Schauspieler ohne Nachnamen, die sich seit Jahren in anderen Berufen ihr Geld verdienen, während sie auf den großen Durchbruch warten. Oder Soldaten im Militärkrankenhaus, die aus dem Krieg mit unterschiedlichsten Traumata zurückgekehrt sind. Ein sehr langes Kapitel widmet der Autor dem aussichtslosen Leben der Gangmitglieder und deren Familien. Zunehmend atemlos verfolgt man als Leser die Hoffnungslosigkeit, die dort herrschen muss, wo bereits 10-Jährige durch ein Gangabzeichen zu Tod, Mord und/oder Gefängnis verurteilt werden. Der Vater tot oder im Gefängnis, größere Brüder geraten auf die schiefe Bahn, kleinere Brüder eifern ihnen nach und die Statistiken zeigen den Ausstieg als absolute Ausnahme.

Joe hält sie hoch, sagt: Auf ein super Leben, das beste Leben. Er nimmt einen tiefen Schluck, schaudert.

Der Titel „Strahlend schöner Morgen“ gehört zur Geschichte des Obdachlosen Old Man Joe, der seine Tage bettelnd auf der Promenade zubringt, bis er genügend Geld für zwei Flaschen Chablis hat. Die vertrinkt er des Abends, um sich nach ein paar Stunden Schlaf am Strand den Sonnenaufgang anzusehen. Als er seinen gewohnten Trott durchbricht, um dem Mädchen Beatrice zu helfen, muss Joe lernen, dass aus guten Absichten Katastrophen werden können. Aber die Sonne geht trotzdem jeden Tag über Los Angeles auf. Und zum Schluss schließt sich sogar der Kreis, der diese faszinierende Stadt mit dem scheinbar nicht so großartigen Rest der Welt verbindet: Hier ist es möglich.

Ja, manche träumen von Scheinwerferlicht und Ruhm, doch es sind wenige im Vergleich zu jenen, die von einem Ort träumen, der sie akzeptiert, sie ernährt und zu dem erblühen lässt, was sie werden wollen, Blume oder Giftpflanze, der ihnen erlaubt zu brüllen, zu verleumden, zu beten, zu betteln, zu diskutieren, zu handeln, zu kaufen, zu verkaufen, zu stehlen, zu geben, zu nehmen und das zu sein, was immer sie sein wollen, denn hier ist es möglich, hier ist es möglich.

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Roman

Ann Patchett – Bel Canto

Gaensebluemchen

When the lights went off the accompanist kissed her.

Schon bei diesem ersten wunderbar poetischen Satz entfaltet sich ein Hauch der Stimmung, die später ein charakteristisches Element dieser Erzählung darstellen wird. Der Grund fürs Ausgehen des Lichts ist die feindliche Übernahme einer Gruppe von Terroristen, die in die Abendgesellschaft zu Ehren von Mr. Hosokawa platzen, auf der die Sopranistin Roxane Coss gerade ihren Auftritt absolviert. Die Geiselnahme wird sich über Monate hinziehen und Menschenleben fordern. Sowohl auf Seiten der Geiseln als auch auf Seiten der Geiselnehmer.

Kato closed his eyes so that he could imagine he was home, playing his own piano. His wife was asleep. His children, two unmarried sons still living with them, were asleep. For them the notes of Kato’s playing had become like air, what they depended on and had long since stopped noticing.

In weiterer Folge entspinnt sich eine Liebeserklärung an das Leben und an all die Facetten, die das Leben so lebenswert machen. In erster Linie steht hier natürlich die Musik als verbindendes Element. Die Opfer der Geiselnahme stammen aus verschiedensten Ländern und können sich teilweise nur mit Hilfe des Dolmetschers Gen verständigen. Er vermittelt auch zwischen den Kidnappern und dem Verhandler aus der Außenwelt. Nicht nur aus diesem Grund wird Gen zur zentralen Figur in dieser Oper.

In fate there was reward, in turning over one’s heart to God there was a magnificence that lay beyond description. At the moment one is sure all is lost, look at what is gained!

Wenn man in einer Extremsituation gefangen ist, wird plötzlich vieles unwichtig und anderes tritt in den Vordergrund. Die gefangen genommenen Menschen müssen sich mit ihrer neuen Lebenswelt arrangieren und gewinnen dabei allerhand Erkenntnisse. Natürlich erkennen sie den Wert der Familie und wie unwichtig die Arbeit ist, mit der viele von ihnen bis vor dem Ereignis soviel Zeit verbrachten. Aber auch der Wert der einfachen Dinge im Leben, die Freude an Musik, an Sonnenlicht und schließlich dem Gefühl der nackten Fußsohlen auf frischem Gras entfaltet sich Tag für Tag und Wort für Wort.

It was the interpretation of their lives in the very moment they were being lived.

Erzählt wird eine Geiselnahme, aber in Wirklichkeit geht es nur um Liebe. Verschiedene Arten von Liebe, unerwiderte Liebe, wie Liebe beginnt und vielleicht sogar wie sie endet. Aber manchmal verwandelt sich Liebe auch in etwas anderes. Liebe kann Leben zusammenhalten aber auch in Stücke schlagen.

That is larger than life. Everything is sort of worse than you can imagine and better than you can imagine.

Anschließen möchte ich hier noch eine Lobeshymne an das iPad und die Kindle App. Zu Ende gelesen habe ich dieses Buch in den heißesten Tagen des Jahres, Ende August, nachts draußen in der abkühlenden Luft ohne zusätzliches Licht, was mit dem klassischen Papierbuch so nicht möglich gewesen wäre.
Absolute Leseempfehlung. Bisher das Highlight meines Lesesommers.

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Roman

Sara Gruen – Wasser für die Elefanten

Riesenrad Linnanmäki Helsinki made with Cam+

Ich sag mich nach allen Seiten um. Niemand rührte sich – alle Blicke hingen am Chapiteau. Ein paar Büschel Stroh taumelten träge über die harte Erde.

Ach, wie schön kann es sein, einfach mal nur zum Vergnügen in einem Roman zu versinken. Moment, eigentlich tue ich das doch immer beim Lesen. Aber bei diesem Buch (das ich nicht mal auf Papier sondern am iPad mit der Kindle-App gelesen hab), ist es einfach noch mal ganz anders. Ein alter Mann erinnert sich vom Bett seines Pflegeheims aus an eine wilde Geschichte seiner Jugend. War es nur eine wilde Geschichte? Oder war es der Beginn seines wirklichen Lebens?

Jacob Jankowski steht vor der Abschlussprüfung als Tierarzt an der Universität Cornell, als seine Eltern bei einem Verkehrsunfall verunglücken. Jacob wusste nichts von den Schulden, die auf dem Familienbesitz lasten. Er wirft alles hin und springt nachts auf einen Zug auf. Er landet – beim Zirkus. Seine Fähigkeiten als Tierarzt sind dort sehr gefragt, obwohl er sich zuerst mühsam durchkämpfen muss. Bald hängen die Elefantendame Rosie und der Affe Bobo an seinem Rockzipfel, doch auch die Artistin Marlena findet Gefallen an ihm. Davon möchte ich nicht zuviel verraten, denn jede vergebene Wendung, die auf der nächsten Seite wartet, würde den Lesespaß verderben …

Zu schade, dass ich dieses Buch jetzt nicht einfach meiner Mutter oder Schwester in die Hand drücken kann, denn die leben noch in der Papierwelt. Nicht, dass ich diese bereits vollständig verlassen hätte, aber dieses Buch ist so großartig, dass ich es sofort einem Menschen weiterschenken möchte. Ich fürchte, ich werde es nochmals auf toten Bäumen erwerben müssen.

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Roman

Robert Seethaler – Die weiteren Aussichten

Blitz(c)canadakick/SXC

Nur insgesamt zwei Mal hat er das frühe Aufstehen und den Tankstellendienstbeginn versäumt. Einmal war er krank. Und einmal war er verliebt. Aber das ist ja meistens dasselbe.

Zwei Anläufe habe ich für dieses Buch gebraucht, die Umstände des ersten Starts waren denkbar ungeeignet, als „Unterwegs“-Buch eignet es sich auch nicht, dazu ist das Lesen dieser Art Gedankenschreibweise einfach zu mühsam. Auch das ist wieder so ein Buch, das ich nur zur Hand genommen habe, weil es in irgendeiner Rezension hochjubiliert wurde. Aber in diesem Fall kann ich zumindest verstehen, was den Rezensenten zu dieser Jubelarie gebracht hat, wenn ich dessen Meinung auch nicht unbedingt teile.

Das Buch erzählt eine große Veränderung im Leben eines jungen Mannes namens Herbert. Dass Herbert geistig etwas zurückgeblieben ist, versteht man erst im Verlauf der Geschichte, die einfach gehaltene Sprache, die Herberts Blick auf die Welt widerspiegelt, lässt es aber bereits erahnen. Er leidet außerdem an Epilepsie und ist dadurch ein natürlicher Außenseiter in einer Dorfgemeinschaft, die alles Fremde ablehnt. Als eine Frau auf einem blauen Fahrrad vorbeifährt, wirft Herbert sein bisheriges Leben über Bord und sich selbst ohne Zögern in das Leben dieser Frau. Am großen Schlachtsaufest kommt es zum ersten Showdown. Die Beschreibung der Stimmung auf solchen Dorffesten könnte nicht besser getroffen sein.

Und sowas wissen die Leute natürlich zu schätzen. Da brodelt und quirlt es jetzt auf der Tanzfläche. Da fallen einige Hemmungen. Wenn man sich nämlich dem David Hasselhoff erst einmal hingegeben hat, kann einem überhaupt nichts mehr peinlich sein.

Herbert schleppt seine Hilde natürlich mit nach Hause, die Mutter ist – natürlich – nicht einverstanden, für ihren Buben ist natürlich nichts gut genug, schon gar nicht eine dicke Frau mit ausländischen Wurzeln. Doch die Mutter ist krank. Die Ereignisse überschlagen sich, Herberts Aggressionen führen zu einem Roadmovie, das an Action und Tempo ohne Weiteres mit Thelma & Louise oder Knockin’ on Heaven’s Door mithalten kann.

Skurrile Figuren begegnen Herbert, Hilde und dem Goldfisch Georg auf ihrem Weg. Gerade der wie ein Einsiedler lebende Karl Sprnadl dient dem Autor als Werkzeug, um unerwartet auch noch eine saftige Kritik an den österreichischen Medienmachern anzubringen:

Karl Sprnadl hasst das Fernsehen. Das Fernsehen ist nach Karl Sprnadls Meinung der größte Dreck auf Gottes Erden. Noch nie ist irgendetwas Brauchbares oder Gescheites im Fernsehen gewesen. Und wahrscheinlich wird auch nie irgendetwas Brauchbares oder Gescheites kommen. Weil die Fernsehmacher allesamt verbrunzte Vollidioten sind.

Und auch der Bürgermeister und die örtliche Polizei geben kein gutes Bild ab. Für das „nicht normale“ Paar Herbert und Hilde ist in dieser Dorfgemeinschaft letztendlich kein Platz. Ein Manifest für mehr Toleranz und gegen Hass und Aggression. Ein Roman, der sich aufgrund seiner originellen Erzählform und des behandelten Themas in dieselbe Schublade wie Felix Mitterers Kein Platz für Idioten einsortieren lassen muss.