Categories
Erfahrungsbericht Sachbuch

Katja Kullmann – Generation Ally

CN: Andeutung sexueller Handlungen und sexueller Belästigung


Dieses Buch hat (in meinem Besitz) eine Geschichte und ich werde sie erzählen. Es begab sich kürzlich, dass ich aus aktuellem Anlass der Ansicht war, es wäre sinnvoll, meine für nächstes Jahr geplante Buch-Challenge frühzeitig zu starten. Inzwischen haben sich die Informationen wieder geändert und die Buch-Challenge des aktuellen Jahres steht wieder im Vordergrund. Nichtsdestotrotz habe ich aber nun dieses Buch, das ich vor der Existenz dieses Blogs erworben und gelesen habe, einem zweiten Blick unterzogen und muss nun wohl oder übel meine Beziehung/Meinung dazu einem Update unterziehen.

In meinen Zwanzigern war ich ein großer Fan der TV-Serien Ally McBeal und Sex and the City. Heute kann ich im Rückblick sagen, dass ich damals zutiefst orientierungslos war, konfrontiert mit dieser riesigen Palette an Entscheidungsmöglichkeiten, die einem als junge Erwachsene (mit gewissen Privilegien) offen stehen. Die Protagonist:innen der oben genannten TV-Serien waren immer etwas älter als ich (laut Katja Kullmanns Definition gehöre ich nicht zur Generation Ally, ich wurde erst nach dem von ihr festgesetzten Zeitraum geboren). Diese TV-Serien der späten 1990er-Jahre zeigten Frauen, die auf verschiedene Arten erfolgreich in ihrem Beruf waren, sie hatten aber genauso Sorgen und Unsicherheiten. Sie scheiterten an und in Beziehungen und machten trotzdem immer weiter. Ich stelle mir vor, dass ich ihre „Gesellschaft“ damals als tröstlich empfand, mich weniger allein fühlte in der „Gemeinschaft“ mit anderen Frauen, die stolpern, manchmal nicht weiter wissen und trotzdem ihren Weg gehen.

Die Autorin Katja Kullmann hat sich in den späten 1990er-Jahren Ally McBeal und ihre Epochengenoss:innen zum Aufhänger genommen, um eine Analyse (?) zu verfassen zum Thema: Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Der Zeitrahmen Heute beschreibt in dem Fall die späten 1990er-Jahre, das Buch wurde 2002 veröffentlicht. Basis ihrer Analyse sind ihre eigenen Erfahrungen, die sie als Heranwachsende in Deutschland gemacht hat. Dabei wechselt sie zwischen dem Herumwerfen von Klischees in alle möglichen Richtungen und einem Grundgejammer über Mann, Frau und Gesellschaft sowieso. Und hier füge ich nun (in der 34. Überarbeitung dieses Texts) die Grundfrage ein, die ich bis jetzt nicht abschließend beantworten konnte: Ist es eine Analyse? Ist es Satire? Will die Autorin sich beschweren über die Komplexität des heutigen (damaligen) Frauenlebens? Ruft sie dazu auf, unsere Freiheiten besser zu nutzen? Und was hat das eigentlich mit Ally McBeal zu tun?

Hier hatte er also die vergangenen Jahre überdauert, der Feminismus: in den muffigen Fachschafts-Bibliotheken, in den Gewerkschaftshäusern mit den filzigen Teppichböden.

Wo ich mich selbst (bzw. mein jüngeres Ich) wieder erkannt habe, ist Kullmanns Zugang zum Feminismus. Sie beschreibt ausführlich die Haltung, mit der ich selbst Anfang 20 durchs Leben gegangen bin: Das mit dem Feminismus und der Gleichstellung, das muss doch alles schon erledigt sein, das kann ja wirklich nicht sein, dass das heute noch ein Thema ist. Sie schreibt von bereits damals erlebten Debatten über Genderschreibweisen (vor 25 Jahren! und das geht im Jahr 2025 immer noch so!), die sie und ihre Geschlechtsgenossinnen (und auch ich damals) als „Luxusproblem“ betrachteten, die mit dem realen Leben nichts zu tun haben. Mir wurde als Kind vermittelt, dass ich alles erreichen könnte, wenn ich mich nur genügend anstrenge, dass meine Leistung etwas zählen würde. Logischerweise wollte ich keine „Quotenfrau“ sein. Wenn die Leistung stimmt, dann muss es doch auch ohne Quote gehen. Fassungslos musste ich über die Jahre das Ausmaß meiner Naivität erkennen und die Tatsache, dass von Gleichstellung eben noch lange keine Rede sein kann.

Das Problem ist: Je mehr solcher Drei-Wetter-Taft-Frauen es gibt, je öfter sie betonen, dass alles bloß eine Frage der Organisation ist, desto weniger trauen wir uns, den Mund aufzumachen. 

Das obige Zitat beschreibt ein Phänomen, das mir ebenso wohl bekannt ist (ich habe viele Jahre lang „Frauenmagazine“ konsumiert): Superwoman, die alles unter einen Hut bringt. Immer top gepflegt und stilvoll gestylt, erfolgreich im Job, geliebte Mutter von mindestens zwei Kindern, glücklich verheiratet mit einem ebenfalls erfolgreichen Cis-Hetero-Mann. Werden erfolgreiche Frauen heute gefragt, wie sie das schaffen, geben sie (meistens) zu, dass sie eine Haushaltshilfe oder Kinderbetreuung (bezahlt oder familiär) haben, das war jedoch lange nicht der Standard. Lange Jahre wurde vermittelt, dass wir tatsächlich alles haben können, wenn wir es uns nur richtig organisieren. Die Formulierung war schon immer missverständlich. Wir haben heute mehr Wahlmöglichkeiten als früher, das heißt aber nicht, dass wir alles zur selben Zeit haben können. Inzwischen möchte ich jedes Mal laut schreien, wenn davon die Rede ist, dass ein Mann seine Partnerin „im Haushalt und bei der Kinderbetreuung unterstützt“. Als ob das allein Sache der Frau wäre, die dankbar sein muss, wenn der Mann sich gnadenhalber herablässt, etwas beizutragen …

Ein weiterer Punkt, bei dem ich zustimmend nicken muss, ist das Lachen über frauenfeindliche Witze. Wie die Autorin zurecht feststellt, haben wir mitgelacht, wenn prominente Männer „tief in die frauenfeindliche Kalauerkiste griffen“. Warum auch nicht, wir fühlten uns ja nicht mitgemeint, wir hatten die weiblichen Klischees, die da verlacht wurden, ja sowieso längst hinter uns gelassen. Es gibt Momente, in denen ich mir diese Zeit zurückwünsche. Es war einfacher, mitzulachen ohne nachzudenken. Heute überlege ich mir in so einer Situation immer, ob es sich lohnt, jetzt den Mund aufzumachen.

Das knallpinke Cover mit einer türkisblauen Handtasche darauf, suggeriert ein „Frauenbuch“, obwohl die Autorin laut eigener Angabe noch nie eines gelesen haben will. Die den einzelnen Kapiteln, die Themen wie Karriere, Mutterschaft und Partnerschaft behandeln, vorangestellten Zitate aus Ally McBeal weisen bereits auf etwas hin, das ich durch meine rosarote Retrobrille nicht sehen konnte: Die Autorin hasst Ally McBeal. Sie benutzt diese TV-Figur rein als Aufhänger, um ihren Text an die Frau zu bringen. Was bleibt, ist ein Text, der als Rechercheobjekt für die Geschlechterrollenbilder der Jahrtausendwende dienen mag. Menschen, die in Kullmanns Generation Ally (Geburtsjahrgänge 1965–1975) aufgewachsen sind, mögen nostalgische Gefühle erleben anhand der vielen popkulturellen Referenzen.

Einen Ansatz derAufklärung darüber, was dieser Text eigentlich sein will, liefert übrigens Katja Kullmanns Vorwort zum „Generation Ally Lifestyle-Guide“ von Birgit Hamm (das türkisgrüne Cover zeigt einen pinken Puschelpantoffel mit Absatz):

Florian Illies lieferte 1998 mit Generation Golf das Poesiealbum zur Ära, »aus Raider wurde Twix, sonst änderte sich nix«, hieß es darin. 2002 erschien Generation Ally, quasi als Fortschreibung der Generation Golf über die neunziger Jahre bis ins Heute – diesmal aus weiblicher Sicht und mit dem bitteren Fazit, dass es insbesondere die jungen Frauen gar nicht so weit gebracht haben, wie geheimhin angenommen.

Categories
English Essays Memoir

Lena Dunham – Not That Kind of Girl

CN: Gaslighting, Misogynie, sexuelle Handlungen, Diät, OCD, Depression, Anxiety, Erwähnung von Suizid, Vergewaltigung


But I am a girl with a keen interest in having it all, and what follows are hopeful dispatches from the frontlines of that struggle.

Eines der Bücher, die sich am Längsten auf meiner Merkliste in der Libby-App befinden, habe ich nun mal gelesen. Da weiß ich dann schon nicht mehr, warum es überhaupt auf dieser Liste steht (in der Libby-App kann ich mir dazu leider keine Anmerkungen machen; in der anderen Liste, die ich nur unregelmäßig pflege, weil sie eh viel zu lang ist, habe ich dazu auch nichts gefunden). Ich vermute den Lila Podcast als Anknüpfungspunkt, da wurde die Autorin in mehreren Episoden erwähnt.

Der Untertitel „a young woman tells you what she’s ‘learned’“ deutet auf einen Lernprozess hin. Es handelt sich jedoch um einen impliziten Lernprozess, beinahe mehr einen Sozialisationsprozess, in dem die Autorin gelernt hat, wie die Gesellschaft mit jungen Frauen wie ihr umgeht.

„You can’t please everyone,“ my grandmother always said.
Yes, you can, I thought. If you just work hard enough.

Sie erzählt in thematisch gruppierten Essays von ihren Erfahrungen hinsichtlich Liebe, Freundschaft, Sex und Arbeit, von ihrem Umgang mit dem eigenen Körper und wie dieser Umgang massiv von den von außen auf junge Frauen einprasselnden Erwartungen beeinflusst wurde. Sie spart nicht mit peinlichen Situationen, von denen wir vermutlich als junge Menschen mit wenig Erfahrung alle einige erlebt haben dürften. Sie beschreibt die Situationen, die sie erlebt hat, wie zum Beispiel den Polizisten, der ihr nahelegt, dass sie doch nicht so nett zu dem Mann sein hätte sollen, der ihr nun nachstellt und sie bedroht. Kaum ein (anti-)feministisches Klischee wird ausgelassen, die Kritik bleibt jedoch zumeist zwischen den Zeilen stehen. Sie nimmt ihre eigenen (früheren) Annahmen über die Gesellschaft aufs Korn, ohne sie konkret zu widerlegen. Dadurch bleibt das Buch unterhaltsam, ohne zu sehr auf die Zehen zu treten. (Obwohl es laut Wikipedia doch einigen Menschen auf die Zehen getreten ist.)

I was a working woman. I deserved kisses. I deserved to be treated like a piece of meat but also respected for my intellect.

Vielleicht hätte ich mir etwas anderes erwartet? Erwartungshaltungen sind ja immer problematisch. Mehr Kritik, mehr Hilfestellungen für junge Frauen, mehr Anregungen für gesellschaftlichen Fortschritt, der die geschlechtlichen Ungleichheiten verringert?

Dazu ist das Buch aber nicht angetreten. Der Untertitel sagt es deutlich: eine junge Frau erzählt uns, was sie gelernt hat. Es kann nicht auch noch ihre Aufgabe sein, uns zu erklären, wie wir die Gesellschaft zu verbessern haben.

Categories
English Roman

Bernadine Evaristo – Girl, Woman, Other

CN dieses Buch: Drogenmissbrauch, Suizid, Rassismus, Misogynie, Krankheit, Vergewaltigung, Gewalt, Mord, Diskriminierung, Depression
CN dieser Post: –


Yazz knows full well that Amma will always be anything but normal, and as she’s in her fifties, she’s not old yet, although try telling that to a nineteen-year-old; in any case, ageing is nothing to be ashamed of

Seit ich dieses Buch fertig gelesen habe (was schon einige Tage her ist), fühle ich mich nicht in der Lage, einen Text zu verfassen, der dieser Ansammlung von weiblichen Lebenserfahrungen und Lebensentwürfen auch nur ansatzweise gerecht werden könnte. Mir gefällt das Episodenhafte an dieser Erzählform, die jeweils ein Kapitel aus der Perspektive einer Person erzählt. Jeweils drei Kapitel befassen sich mit Personen, die unmittelbar miteinander in Verbindung stehen (zB Frauen in Familienverhältnissen wie Mutter und Tochter wie im obigen Zitat angedeutet wird). Letztendlich führt Ammas Theaterstück als übergeordneter roter Faden dazu, dass die Verbindungen zwischen allen Protagonist:innen mit den unterschiedlichen Lebensverhältnissen deutlich werden. Trotz aller Unterschiede existiert diese Verbindung.

Es wäre unfair, einzelne Geschichten hervorzuheben aus dieser Bandbreite an unterschiedlichen Perspektiven. Es werden Frauenleben in unterschiedlichsten Beziehungsformen beschrieben, der Zeitraum im Blick erstreckt sich über mehrere Generationen. Dadurch kann auch die gesellschaftliche Entwicklung im Verlauf des letzten Jahrhunderts aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden.

Winsome likes the fact that Rachel is curious enough to know who her grandmother was before she was a mother, when she was a person in her own right, as she described it
except she never has been, first she was a daughter, then a wife and mother, and now also a grandmother and great-grandmother.

Die Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität wird speziell im Rahmen einer Geschichte thematisiert, die auch die Notwendigkeit der Geschlechtsidentität prinzipiell in Frage stellt. Gerade diese Protagonist:in stattet die Autorin mit einem „gewöhnlichen“ Familienhintergrund aus. Sie beschreibt die schwierige Erfahrung, Fragen zu stellen in einem Forum, in dem schon die Benutzung bestimmter Formulierungen zu einem Ausschluss führen kann („people won’t tolerate ignorance on here“). Sie beschreibt den langen Lernweg, der notwendig ist, um sich von den erlernten Stereotypen und Rollenbildern zu lösen und an einen Ort zu gelangen, wo Menschen einfach Menschen sein dürfen. Und gleichzeitig wird aber auch eine Protagonist:in gezeigt, die aufgrund ihres Alters Schwierigkeiten damit hat, zu verstehen, in welchen Formen sich die Welt verändert hat („you’re expecting too much of me to even begin to understand what you’re going on about“). Gleichzeitig akzeptiert sie jedoch ihr Familienmitglied so, wie es ist. Selbst wenn wir nicht alles verstehen oder nachvollziehen können, können wir Menschen so akzeptieren und sein lassen, wie sie es wollen, ohne sie dafür zu kritisieren.

Categories
English Erfahrungsbericht Essays

Jeanette Winterson – Art Objects. Essays on Ecstasy and Effrontery

CN dieses Buch: Erwähnung von suizidalen Gedanken und Suizid, Andeutung von sexuellen Handlungen
CN dieser Post: –


Dieses Buch habe ich bei Shakespeare and Sons in Berlin gefunden. Die Kombination der Autorinnenschaft von Jeanette Winterson (ich habe von ihr bereits Why Be Happy When You Could Be Normal? und Frankisstein gelesen) und des Buchtitels hat mich sofort zugreifen lassen. Später musste ich feststellen, dass mich das Lesen dieser Texte ganz schön herausforderte. Insgesamt drei Anläufe hat es gebraucht, bis ich einmal bis zum Ende gekommen bin und einen weiteren Durchgang bis ich auch tatsächlich in der Lage war, etwas darüber zu schreiben.

Im ersten Text leitet sie her, wie sie begonnen hat, sich mit visueller Kunst zu beschäftigen. Als Autorin waren ihr Worte, Sätze und Geschichten nicht fremd, mit Bildern jedoch wusste sie nichts anzufangen. Dieses Fehlen der Auseinandersetzung mit visueller Kunst bildet den Ausgangspunkt für ein Hinterfragen der Kunst an sich, der Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Arten von Kunst, dem Unterschied zwischen Kunst und Medien, den Voraussetzungen für das Entstehen von Kunst und vielen anderen Fragen rund um dieses Thema …

Struggling against the limitations we place upon our minds is our own imaginative capacity, a recognition of an inner life often at odds with the external figurings we spend so much energy supporting. When we let ourselves respond to poetry, to music, to pictures, we are clearing a space where new stories can root, in effect we are clearing a space for new stories about ourselves.

Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem, was in entsprechenden Kreisen als literarischer Kanon (Kanon der Literatur auf Wikipedia) bezeichnet wird: Werke und Autor:innen, die scheinbar außerhalb jeden Zweifels stehen, deren künstlerischer Wert unbestritten ist; ein edler Kreis, in den nur die scheinbar Besten aufgenommen werden. Selbstverständlich war dies lange ein Kreis, der ausschließlich männlichen Personen vorbehalten war. Virginia Woolf argumentierte dahingehend, dass Frauen ihre Kreativität mehr ausleben könnten, wenn sie zumindest einen Teil der Privilegien genießen würden, die in dieser Epoche männlichen Personen vorbehalten waren:

Hox is a racing word: it means to hamstring a horse not so brutally that she can’t walk but cleverly so that she can’t run. Society hoxes women and pretends that God, Nature or the genepool designed them lame.

Ein Text befasst sich mit Büchern als Sammlerstücke. Signierte Erstausgaben nehmen hier einen besonderen Stellenwert ein, den ich nicht ganz nachvollziehen kann. Die Argumentation, ein antikes Buch kaufen zu wollen, damit es nicht im Glaskasten einer Ausstellung landet, ist mir ebenfalls unverständlich. Mir haben die Glaskästen voller Bücher im abgedunkelten und temperierten Untergeschoss der British Library sehr gefallen.

Blick in den Ausstellungsraum der Sir John Ritblat Gallery, gedämpftes Licht, schwarze Kästen, die mir Glas verkleidet sind, in diesen befinden sich wertvolle alte Bücher
Blick in den Ausstellungsraum der Sir John Ritblat Gallery in der British Library in London

Never lie. Never say that something has moved you if you are still in the same place. You can pick up a book but a book can throw you across the room. A book can move you from a comfortable armchair to a rocky place where the sea is. A book can separate you from your husband, your wife, your children, all that you are. It can heal you out of a lifetime of pain. Books are kinetic, and like all huge forces, need to be handled with care.

Als sich als lesbisch identifizierende Autorin kritisiert Jeanette Winterson auch die Tatsache, dass sexuelle Orientierungen in Bewertungen von künstlerischen Werken herangezogen werden. Sinngemäß schreibt sie: warum werde ich als lesbische Autorin wahr genommen? Warum nicht als Lesbe, die schreibt? Sie kritisiert dabei die Wertigkeit, die dem (zugewiesenen) Geschlecht und der sexuellen Orientierung beigemessen wird. Denn eigentlich sollte die Kunst unabhängig von diesen Attributen gesehen und bewertet werden.

Die wichtigste Aussage für mich in diesem Buch ist folgender Komplex:

Art is the realisation of complex emotion. […] Complex emotion often follows some major event in our lives; sex, falling in love, birth, death, are the commonest and in each of these potencies are strong taboos. The striking loneliness of the individual when confronted with these large happenings that we all share, is a loneliness of displacement. […] Art offers the challenge we desire but also the shape we need when our own world seems most shapeless. The formal beauty of art is threat and relief to the formless neutrality of unrealised life.

Für mich ergibt sich daraus einerseits, dass künstlerische Werke oft aus lebensverändernden Zuständen entstehen. Gleichzeitig kann uns die Rezeption von künstlerischen Werken aber auch helfen, diese lebensverändernden Zustände anzunehmen. Kunst kann uns herausfordern, kann uns Erfahrungen aufzeigen, die wir selbst nicht gemacht haben oder nicht machen können. Sie kann unsere Perspektiven erweitern und uns aber auch Trost spenden in den Momenten, in denen wir uns zutiefst allein fühlen. Sie kann uns zeigen, dass andere Menschen Ähnliches erlebt oder gefühlt haben; sie kann uns aber auch Einblicke ermöglichen in Lebensbereiche, die uns aus dem einen oder anderen Grund immer verschlossen bleiben werden.

Categories
Graphic Novel

Liv Strömquist – Der Ursprung der Welt

CN dieses Buch: Geschlechtsorgane, sexuelle Handlungen, Genitalverstümmelung
CN dieser Post: –


Eine spezielle Empfehlung führte mich zu dieser als Comic erzählten Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans. Liv Strömquist setzt sich damit auseinander, wie in verschiedenen Epochen dem weiblichen Geschlechtsorgan zu viel oder zu wenig oder die falsche Aufmerksamkeit geschenkt wurde, kritisiert dabei Machtstrukturen der jeweiligen Zeit und verleiht ihren Texten auch noch einen sarkastischen Schliff, der dem teilweise schwierigen Thema etwas die Schärfe nimmt. Sie nimmt die Werbebotschaften der Hersteller von Menstruationshygieneprodukten auseinander und belegt anhand von vielen historischen Darstellungen und literarischen Quellen, dass das Verstecken und Tabuisieren des weiblichen Geschlechtsorgans eine relativ moderne Erfindung ist. Eine sehr unterhaltsame Lektüre mit wichtigem Informationsgehalt.

Categories
English Roman

Honorée Fanonne Jeffers – The Love Songs of W. E. B. Du Bois

CN dieses Buch: sexuelle Gewalt gegen Frauen, Männer und Kinder (inkl. grausamer Beschreibungen von Misshandlungen), Vergewaltigung, Sklaverei, Tod, Krankheit, Rassismus, Drogenmissbrauch
CN dieser Post: Sklaverei, Rassismus


Dieser Generationenroman erzählt die Geschichte mehrerer miteinander verwobener Familien im südamerikanischen Georgia. Die Familienlinie beginnt bei den später vertriebenen Ureinwohnern des Creek-Clans, führt durch die Zeit der Kolonisierung Amerikas und der damit verbundenen Massenversklavung bis in die moderne Zeit, in der schwarze Frauen immer noch um ihren Platz an einer Universität kämpfen müssen. Das Buch wechselt zwischen zwei Zeitebenen, die jeweils mehrere Jahrzehnte umspannen. Erst gegen Ende des Romans als Ailey, die Hauptperson der späteren Zeitebene, im Rahmen ihrer Dissertation über die Herkunft ihrer Familie forscht, greifen die beiden Zeitebenen schließlich ineinander.

Die Autorin schreckt nicht zurück vor grausamen Wahrheiten. Im Nachwort erklärt sie, dass sie einen fiktionalen historischen Roman geschrieben hat, den sie aber auch explizit als black feminist novel bezeichnet. Sie kritisiert nicht nur die offensichtlich schändliche Behandlung von schwarzen, versklavten Menschen durch ihre „Eigentümer“, sondern auch die Handlungen von weißen Mitmenschen lange nach der Abschaffung der Sklaverei. Wie zum Beispiel in diesem Absatz, indem klar wird, warum der Ansatz vieler weißer Menschen, keine Farbe sehen zu wollen, nicht nur falsch sondern auch sehr schädlich ist:

Belle knew then, even if Diane didn’t suffer from a medical condition, she truly didn’t care what race somebody was. Instead of pleasing Belle, this discovery made her furious, […]. Her outraged exhalations, as she considered that Diane was a white woman who could walk through the world and stay blessedly unaware of the color line.

Oder dieser Absatz, in der Aileys schwarzer Freund Scooter sie auffordert, seiner weißen Ehefrau beim Verständnis der Rassenproblematik zu helfen (was Ailey vollkommen berechtigt ablehnt):

I know she doesn’t always get, you know, the race stuff, but she’s trying. And maybe you can help her with that. Teach her.

Der titelgebende W. E. B. Du Bois ist mit einem Zitat am Beginn jedes Kapitels der modernen Zeitebene vertreten. Außerdem taucht er in Geschichten auf der Bildfläche auf, die Onkel Root seiner Großnichte Ailey erzählt. Der reale W. E. B. Du Bois wurde als erste schwarze Person in Harvard promoviert und war Gründungsmitglied der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), einer noch heute existierenden Institution der antirassistischen Bürgerrechtsbewegung. In Diskussionen zwischen den Generationen wird er dem Bürgerrechtler Booker T. Washington gegenüber gestellt, der hinsichtlich der Rassenproblematik einen eher langsamen Fortschritt forderte.

Für mich war in diesem Buch sehr vieles neu. Als Österreicherin war ich in meiner Schulzeit mit amerikanischer Geschichte nur sehr wenig beschäftigt, unser Fokus lag da deutlich auf dem Zweiten Weltkrieg und dem Marshall-Plan. Eine Einordnung dieses Buchs traue ich mir daher auch nicht zu. Als Einstieg in diese Zeit der amerikanischen Geschichte bietet es jedoch unterschiedlichste Facetten und Blickwinkel. Dafür muss sich die Leser:in aber auch Zeit nehmen, die gebundene Ausgabe umfasst 816 Seiten. Nicht unerwähnt lassen möchte ich diese kulinarische Spezialität, von der ich vorher noch nie gehört hatte: Southerners’ All-Time Favorite Snack Calls For a Bag of Peanuts and Bottle of Coca-Cola.

Even in a place of sorrow, time passes. Even in a place of joy. Do not assume that either keeps life from continuing, for there are children everywhere.

Categories
Memoir

Maggie Nelson – Die Argonauten

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen, Geschlechtsteile, Pornographie, sexueller Missbrauch von Kindern, Fehlgeburt, Abtreibung, Krankheit, Sterben
CN dieser Post: –


Gerade bin ich die Liste meiner Kategorien nochmal durchgegangen und bin noch immer nicht zufrieden mit der Einordnung dieses Buchs. Schon zu Beginn des Lesens war ich mir nicht sicher, was ich eigentlich vor mir habe. Das Cover enthält nur den Titel, den Namen der Autorin, den Namen des Verlags und ein Zitat aus The Guardian. Der Einband auf der Umschlagseite 2 bestätigt schließlich, dass sich dieses Buch nicht so einfach einordnen lässt; es wird als eine Mischung aus Memoir, Theorie und Poesie beschrieben. Die Themen des Buchs sind die Beziehung der Autorin Maggie Nelson zu einer genderfluiden Person, und die Familie, die sich aus dieser Beziehung entwickelt. Diese Familie besteht aus Maggie, Harry, Harrys Sohn aus einer früheren Beziehung und Iggy, dem gemeinsamen Kind von Maggie und Harry. Diese ungewöhnliche Familienkonstellation bietet umfassenden Raum, um Geschlechterrollen zu hinterfragen, die Bedeutung der Stiefelternschaft zu erörtern oder Familienmodelle generell auf einen (queeren) Prüfstand zu stellen.

Dabei erlaubt sie sich, Fragen zu stellen, die unvermeidlich auftauchen, wenn ein Mensch eine Beziehung eingeht zu einem anderen Menschen, der sich nicht in eine binäre Geschlechtsidentität einordnet. Selbst in queeren Gemeinschaften gibt es Normen und Schubladen (wie butch oder femme); die Gefahr einer Bewertung droht nicht nur von der heteronormativen Normalgesellschaft sondern auch aus der eigenen Community, deren Einstellungen sich ebenfalls auf einem sehr breiten Spektrum verteilen. Gerade zwischen liebenden Menschen entstehen Missverständnisse bezüglich der (von innen) gefühlten und der (von außen) wahrgenommenen Identität. Wir wollen das Beste für unsere Partnerperson und stehen doch oft hilflos daneben.

Ich will einfach, dass du dich frei fühlst, sagte ich, meine Wut getarnt als Mitgefühl, mein Mitgefühl getarnt als Wut. Verstehst du es denn nicht?, schriest du zurück. Ich werde mich niemals so frei fühlen wie du, ich werde mich niemals so heimisch fühlen in der Welt, ich werde mich niemals so zu Hause fühlen in meiner eigenen Haut. So ist es einfach, und so wird es immer sein.

Gerade dieses „zu Hause fühlen im eigenen Körper“ und damit verbundene Veränderungen können wiederum der Partnerperson Angst machen. Kommt es auf eine äußere Transformation überhaupt an, wenn doch eigentlich das Innere unsere Identität ausmacht? Ja, denn Identität ist eben nicht nur das, was wir als unsere Persönlichkeit mit uns tragen. Unsere Äußerlichkeit ist ein Ausdruck dieser Identität. Vielen Menschen, die von der Gesellschaft als das gelesen werden, was sie auch tatsächlich in sich fühlen, ist überhaupt nicht bewusst, welches Privileg diese Einheit von Außenwahrnehmung und Innengefühl darstellt. Es ist keine Selbstverständlichkeit. (Dieses Thema habe ich im Blog Post zu Let’s Talk About Hard Things auch schon kurz angerissen.)

Und was, wenn du dich, nachdem du die großen äußeren Veränderungen vorgenommen hattest, immer noch unwohl in deinem Körper fühlen würdest und unwohl in der Welt? Als hätte ich nicht gewusst, dass es auf dem Gebiet von Gender unmöglich ist zu verzeichnen, wo das Innere und das Äußere beginnen und aufhören –

Ihre eigenen Erfahrungen einer queeren Partnerschaft; einer Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft; ihrer Suche nach einem Platz in der Welt ergänzt Maggie Nelson mit theoretischem Hintergrund in Form von Zitaten von bekannten Theoretiker:innen, die sich mit Fragen zu Feminismus oder Gender befasst haben. Ihre Beziehung zu ihrem Sohn und was es überhaupt bedeutet, eine gute Mutter zu sein, hinterfragt sie intensiv anhand der Schriften von Donald Winnicott, der mir bereits in Alison Bechdels Are You My Mother? begegnet ist (das Maggie Nelson auch an anderer Stelle in ihrem Werk erwähnt. Offenbar ist der deutsche Titel Wer ist hier die Mutter?, was ich sehr seltsam finde).

Auch viele Künstler:innen kommen zu Wort, manchmal als Beispiele für queeres Leben, an anderen Stellen liefern sie Erklärungen für all die Unsicherheiten und Missverständnisse, die auftreten, wenn Menschen nach binären Kategorien eingeteilt werden. Binäre Kategorien sind überall, wie etwa auch „der Binarismus von normativ und transgressiv“, der Menschen dazu zwingen soll, Leben zu leben, „die nur eine einzige Sache sind“.

Ich lag in allem falsch – ich war in meinen eigenen Wünschen und Ängsten eingeschlossen und bin es noch immer. Ich versuche nicht, diese Verkehrtheit hier zu korrigieren. Ich versuche nur, sie offenzulegen.

Der obige Absatz folgt auf eine Reflexion, in der die Autorin ihren Blickwinkel auf Schwangerschaft bzw. schwangere Frauen und ihre Körper in ihrem eigenen Zeitverlauf nachvollzieht. Wir sehen andere Menschen immer aus unserer eigenen Lebenssituation heraus. Nicht nur unsere eigene Identität und unsere Wünsche prägen unsere Wahrnehmung von anderen Menschen, auch unsere aktuelle Lebenssituation und die Lebenserfahrungen, die wir bereits gemacht haben, beeinflussen unsere Wahrnehmung.

Für mich war die zentrale Erkenntnis (oder ein Wieder-Erkennen), dass wir niemals tatsächlich wissen können, was eine andere Person fühlt, selbst dann nicht, wenn wir dieser Person sehr nahe sind. Unsere einzige Möglichkeit, dem Verständnis näher zu kommen, ist es daher, zuzuhören. Zuzuhören, anzunehmen, dass es überhaupt ein anderes Empfinden als das Eigene geben kann und dann zu verstehen, dass jedes Empfinden einzigartig ist, selbst wenn wir Parallelen zu sehen meinen.

Categories
English Erfahrungsbericht Memoir

Anna Wiener – Uncanny Valley

CN dieses Buch: Sexismus
CN dieser Post: Erwähnung von Menstruation und Belästigung (keine grafischen Beschreibungen)


Die Autorin analysiert in diesem Buch ihre Erfahrungen als Frau in der Tech-Branche (in New York und später im Silicon Valley) und setzt sie in Bezug zur Entwicklung der Arbeitskultur in den letzten Jahrzehnten. Viele der angesprochenen Themenbereiche waren mir zumindest vage bekannt, ihr analytischer und auch selbstkritischer Blick wirft jedoch ein neues Licht auf eine Unternehmens- oder sogar Branchenkultur, die einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft prägt. Beispiele dafür, welche Auswirkungen es hat, wenn Technologie hauptsächlich von jungen, weißen, männlichen Personen entwickelt wird, gibt es inzwischen zuhauf (zB bei einer frühen Version der Apple Health App wurde schlicht darauf vergessen, Menstruationstracking einzubauen). Aber selbst dort, wo (zumindest an der Oberfläche) bewusst nach Diversität gestrebt wird, haben Personen unterschiedlichen Geschlechts nach wie vor mit verschiedenen Umständen zu kämpfen. Die Argumente gegen eine Veränderung dieser Arbeitskultur haben wir wohl alle schon in der einen oder anderen Form mal gehört: „Diversitätsinitiativen wirken diskriminierend gegenüber Männern, Männer sind eben einfach talentierter im Technikbereich, wir würden ja gerne mehr Frauen anstellen, aber es bewerben sich ja keine.“

Sexism, misogyny, and objectification did not define the workplace – but they were everywhere. Like wallwaper, like air.

Nahezu gespenstisch distanziert (passend zum Buchtitel) beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen als Mitarbeiterin verschiedener Technologieunternehmen. Es wirkt stellenweise fast so, als müsste sie sich selbst von außen betrachten, um überhaupt erklären zu können, warum sie sich so lange in dieser Lebens- und Arbeitskultur aufgehalten hat. Sie nennt bekannte Unternehmen in Form von kaum verhüllenden Decknamen: „the social network everyone hated, the search engine giant, the home-sharing platform“. Als Mitarbeiterin im Costumer Support eines Unternehmens im Bereich Business Analytics fühlt sie sich selbst manchmal als ein Stück Software:

Some days, helping men solve problems they had created for themselves, I felt like a piece of software myself, a bot: instead of being an artificial intelligence, I was an intelligent artifice, an empathetic text snippet or a warm voice, giving instructions, listening comfortingly. 

Mit entsprechenden Einblicken in die tatsächlichen Verhältnisse im Business Analytics Unternehmen verändert sich schließlich auch ihre Einstellung im Umgang mit den eigenen Daten.

But I found myself newly cautious, leery of giving away too much intimate data. God Mode had made me paranoid. It wasn’t the art of data collection itself, to which I was already resigned. What gave me pause was the people who might see it on the other end – people like me. I never knew with whom I was sharing my information.

Dabei ist anzumerken, dass auch die von Edward Snowden 2013 angestoßene „Globale Überwachungs- und Spionageaffäre“ angesprochen wird. Darauf folgte weltweit eine Auseinandersetzung mit den Folgen der anlasslosen Datensammlung und der Frage, wer eigentlich Zugriff auf welche Daten haben sollen darf.

It was revealed that lower-level employees at the NSA, including contractors, had access to the same databases and queries as their high-level superiors. Agents spied on their family members and love interests, nemeses and friends.

Inmitten dieser eher negativ beschriebenen Arbeitskultur finden sich dann kleine Lichtblicke des globalen Arbeitens mittels Videokonferenzen, die wir aufgrund der aktuellen Situation nun vermutlich auch alle kennen: „the surprise of seeing an animal emerging from under a desk“. Mit Referenzen auf populäre Debatten der Internetkultur (GamerGame), Verschwörungsmythologien (PizzaGate) und Fernsehserien (Game of Thrones-Referenz: „Is winter coming for the tech industry?“) kommt dann doch etwas Auflockerung in die insgesamt eher triste Analyse der Technologiewelt. Insgesamt ein spannender Einblick in eine Arbeitswelt, die über die Gestaltung von Technologie einen großen Einfluss auf uns alle ausübt.

Categories
English Roman

Jojo Moyes – The Giver of Stars

CN dieses Buch: Mord, Gewalt gegen Frauen und Tiere
CN dieser Post: –


Nach der nicht so angenehmen Begegnung mit dem Butt suchte ich Lesestoff mit Wohlfühlgarantie. Jojo Moyes schien mir da als sicherste Option auf meiner ganzen Liste. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Margery behaved, Alice realized with a jolt, like a man.
This was such an extraordinary thought that she found herself studying the other woman at a distance, trying to work out how she had come to his astonishing state of liberation.

Diese Geschichte porträtiert einige starke Frauen, die sich im ruralen Kentucky im Jahr 1937 Stück für Stück ihre Freiheit von den herrschenden gesellschaftlichen Konventionen erkämpfen. Ihre Waffen sind Bücher, Gesang und weiblicher Zusammenhalt. Und der Glaube daran, dass es immer einen Ausweg gibt.

‘There is always a way out of a situation. Might be ugly. Might leave you feeling like the earth has gone and shifted under your feet. But you are never trapped, Alice. You hear me? There is always a way around.’

Categories
Roman

Günter Grass – Der Butt

CN dieses Buch: Mord, sexuelle Handlungen, Sodomie, Vergewaltigung, Kannibalismus, Geschlechtsorgane
CN dieser Post: –


Vasco erzählt von einem feministischen Tribunal, das in Berlin stattfinde, doch auch überregional Schlagzeilen mache. Es werde dort symbolträchtig gegen einen gefangenen Steinbutt verhandelt. Der Butt verkörpere das männliche Herrschaftsprinzip.

In meiner Schulzeit bin ich natürlich mit Die Blechtrommel in Berührung gekommen. Hätte ich jedoch ein zweites Werk von Günter Grass nennen sollen, wäre mir vermutlich keines eingefallen. Auf den Fisch bin ich durch ein Geocaching-Rätsel gestoßen. Und bin nun immer noch ratlos, was dieses Buch eigentlich aussagen will.

Grundsätzlich basiert die Geschichte auf einer Verbindung mit dem Märchen Vom Fischer und seiner Frau. Darin wird des Fischers Frau Ilsebill als gierig und maßlos dargestellt, während der bescheidene Fischer von seiner Gefährtin schamlos unterdrückt wird. Günter Grass erzählt nun anhand einer Reihe von weiblichen und männlichen Figuren (die der Ich-Erzähler über die Jahrhunderte allesamt verkörpert haben will), warum sich das so genannte männliche Herrschaftsprinzip (symbolisch verkörpert durch einen vor Gericht angeklagten Steinbutt) seit so langer Zeit immer wieder durchsetzt.

Ergeben nahmen die Frauen die Fortsetzung des männlich beschlossenen Wahnsinns hin. Und selbst dort, wo es Frauen gelang, politisch Einfluss zu gewinnen, haben sie – von Madame Pompadour bis zu Golda Meir und Indira Gandhi – Politik immer nur im logischen Streckbett des männlichen Geschichtsverständnisses betrieben, also – nach meiner Definition – als Krieg fortgesetzt. Könnte das anders werden? Jemals, demnächst, überhaupt?

Im Verlauf dieser Gerichtsverhandlung, die parallel zur Schwangerschaft der Partnerin des Ich-Erzählers (ebenfalls Ilsebill genannt) über einen Zeitraum von neun Monaten verläuft, werden Untaten von weiblichen und männlichen Protagonist*innen einander gegenübergestellt und der Einfluss des Butts (also des männlichen Herrschaftsprinzips) auf die jeweiligen Persönlichkeiten diskutiert. Teilweise wird es dabei auch grausam und grausig über das Maß hinaus, das ich normalerweise in geschriebenen Worten gut tolerieren kann (siehe Content Notice oben). Daher war ich auch froh, als ich mit diesem Buch abschließen konnte. Not my cup of tea.