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Roman

Harper Lee – Wer die Nachtigall stört …

Makro Pflanze, made with Olloclip and CAM+

„Seht ihr, das ist der Unterschied zwischen Amerika und Deutschland“, fuhr Miss Gates fort. „Wir sind eine Demokratie, und Deutschland ist eine Diktatur. Dik-ta-tur“, wiederholte sie. „Hier bei uns wird niemand verfolgt. So etwas tun nur Leute mit Vorurteilen. Mit Vor-ur-tei-len“, artikulierte sie sorgfältig. „Es gibt keine besseren Menschen als die Juden, und warum Hitler das nicht einsieht, ist mir ein Rätsel.

Eigentlich wollte ich das im englischen Original lesen, dann fiel mir jedoch zufällig eine deutsche Ausgabe entgegen, also wurde es die. Die Sprache ist nicht übermäßig schwierig, wahrscheinlich hätte ich auf englisch auch alles verstanden, aber es sind schon so manche leisen Zwischentöne, die man möglicherweise verpasst, wenn man in der Sprache nicht 100%ig fit ist.

Erzählt wird die Geschichte eines Prozesses gegen einen Schwarzen in den amerikanischen Südstaaten. Es ist eine Zwischenzeit. Die Sklaverei wurde abgeschafft, aber noch längst haben Schwarze nicht dieselben Rechte wie Weiße. Sie haben ihre eigene Kirche, sind bei den Weißen nicht erwünscht. Erzählt wird aus der Sicht des Mädchens Scout (Jean Louise Fink), das zu Beginn ihren ersten Schultag erlebt und vom Wildfang zur jungen Frau heranwächst.

Scout und ihr Bruder Jem werden von ihrem Vater Atticus allein erzogen, die Mutter ist verstorben. Unterstützt wird er dabei von der schwarzen Haushälterin Calpurnia, die im Hause Fink als Familienmitglied gilt. Atticus vertritt eine sehr moderne Meinung, für ihn sind Schwarze gleichwertige Menschen und seine Vorstellung von Gerechtigkeit vermittelt er auch seinen Kindern. Als Anwalt vertritt er trotz zahlreicher Anfeindungen aus der weißen Bevölkerung den schwarzen Tom Jones, der der Vergewaltigung eines weißen Mädchens beschuldigt wird. Beweise gibt es nicht, letztendlich steht das Wort des schwarzen Mannes gegen das Wort des weißen Mädchens, Tom Jones wird zum Tode verurteilt.

Da kann etwas nicht stimmen, grübelte ich, während die Klasse addierte und subtrahierte. Ein Wahnsinniger und Millionen von Deutschen. Weshalb sperren sie denn nicht Hitler ein, statt sich von ihm einsperren zu lassen? Zu dieser Frage gesellte sich noch eine zweite, und ich beschloss, mit Atticus darüber zu sprechen.
Als ich ihm abends meine erste Frage stellte, blieb er mir die Antwort schuldig. Er sagte, auch er könne das nicht begreifen.
„Aber es ist doch recht, Hitler zu hassen?“
„Nein“, erwiderte er, „man darf niemanden hassen.“

Es ist bemerkenswert, wie es dem Autor gelingt, aus der Sicht eines heranwachsenden Kindes die Ungerechtigkeiten der Welt zu hinterfragen. Dies allerdings nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern vorsichtig durch Einschleichen von Zweifeln. Zurecht ein Stück Weltliteratur.

FIELD NOTE: Das Foto zeigt eines meiner ersten Experimente mit der Makro Linse des Olloclips. Ich hatte das schon länger auf der Wunschliste und jetzt endlich bestellt. Bei der Weitwinkellinse hab ich bis jetzt nicht wirklich einen Anwendungsfall gefunden, weil die iPhone-Linse ja sowieso recht weitwinklig angelegt ist. Beim Fisheye finde ich, dass es nur in speziellen Situationen brauchbare Ergebnisse bringt, da muss ich noch ein Weilchen ausprobieren. Grundsätzlich bin ich ja ein Fan von Makroaufnahmen, bei meinen ersten Experimenten zeigte sich einerseits, dass man mit der Linse fast in die Blümchen reinmuss, damit man ein scharfes Bild bekommt, andererseits erwies sich in der freien Natur der Wind als Problem, der das Motiv ständig in Bewegung hält. Grundsätzlich finde ich nach den ersten Tests noch immer, dass es ein tolles Produkt ist (wirklich schön verarbeitet und mit den Linsendeckeln und praktischem Schutzbeutelchen ein gutes Paket), wie oft es zur Anwendung kommen wird, werden die kommenden Geocaching-Ausflüge zeigen.

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Roman

Paulus Hochgatterer – Caretta Caretta

Sunflower - noch nicht erblüht

„Bist du nervös?“ fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Sie fuhr in ihrem Summen fort und nickte. „Denk an die Schildkröte“, sagte ich. „Meinst du, sollen wir den anderen einen Zettel schreiben?“ Sie zuckte mit den Schultern. Üblicherweise schreibe ich keine Zettel, wenn ich weggehe, doch diesmal hatte ich die Neue dabei, und überhaupt hatte ich das Gefühl, dass das etwas anderes war als sonst.

Zu Beginn kriegt man schnell das Gefühl, man befände sich in einer österreichischen Parallelwelt zu Clockwork Orange. Bereits auf den ersten Seiten wird einem Schlafwagenschaffner die Nase gebrochen, der jugendliche Protagonist klaut anschließend einem Gangsterpärchen die Pistole und springt nach einer selbst ausgelösten Notbremsung aus dem Zug. Nach dem Rückweg (per geklautem Moped und LKW-Mitfahrgelegenheit) nach Wien stockt er seine Drogenvorräte auf und wird in seiner betreuten WG Zeuge, wie einem anderen Bewohner (s)ein Baseballschläger übergezogen wird.

Bei all dieser Brutalität bleiben die schlechten Verhältnisse, aus denen der Protagonist stammt (der Klappentext nennt ihn Dominik, ich kann mich nicht erinnern, dass der Name im Buch oft vorkam), nebenbei präsent. Toter Vater, überforderte Mutter, brutaler Stiefvater, und so weiter. Trotzdem kann man nicht recht Mitleid empfinden für Dominik, der sich in dieser Parallelwelt offenbar so problemlos zurechtfindet und durchs Leben schlägt.

Interessant wird die Situation, als einer von Dominiks „Bekannten“ an Krebs zu sterben droht und seine letzten zwei Wochen mit ausreichend Schmerzmitteln und Dominik auf Urlaub verbringen will. In der neuen Mitbewohnerin, die sich für wenig mehr als ihr Schildkrötenbuch und die darin abgebildete titelgebende Caretta Caretta interessiert, sieht Dominik eine Art Schwesterersatz, und nimmt sie mit auf diese skurrile Urlaubsreise. Dass sie die Schildkröte letztendlich nur tot finden (der Schildkrötenstrand ist wegen Vandalismus von Soldaten bewacht), schweißt die beiden einsamen Jugendlichen letztendlich trotzdem noch fester zusammen. Eine Erzählung vom Leben und Sterben in einer einsamen Welt.

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Kindle Roman

C.J. Box – Nowhere to Run

Feldrand in der Abendsonne in Spillern

Camish said, “Why the hell should we pay for things we don’t want and don’t get? Why should the government take our money and our property and give it to other people? What the hell kind of place has this become?”

Der Wildhüter Joe Pickett stößt auf der Suche nach einem toten Elch auf die Gebrüder Grim, zwei raue Gesellen, die im Wald ihr Unwesen treiben und Joe nicht nur seines Satellitentelefons berauben, sondern ihn nur schwer verletzt entkommen lassen. Nach einigen Wirren (gesucht wird auch nach Diane Shober, einer Läuferin, die vor ein paar Jahren im selben Gebiet verschwand) macht sich Joe mit seinem Freund Nate auf die Jagd nach den Brüdern. Diese geht zwar überraschend, aber trotzdem mit einigermaßen erwartetem Ergebnis aus.

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Roman

John Irving – Gottes Werk und Teufels Beitrag

Blüten am Herrensee in Litschau

Und mit dieser Entdeckung – dass ein Fötus bereits mit acht Wochen einen Gesichtsausdruck hat – fühlte sich Homer Wells in Gegenwart dessen, was andere eine Seele nennen.

John Irving ist seit Langem ein Garant für gut durchdachte Erzählungen, Lebensgeschichten, die ohne platte Moral auskommen und ein Thema nicht mit dem Holzhammer, sondern durch Geschichten, Erlebnisse, menschliche Reaktionen erklären. Da der Roman schon 1985 erschienen ist, könnte man annehmen, dass er Staub ansetzt, doch das genaue Gegenteil ist der Fall.

Die Geschichte beginnt mit der Jugend von Dr. Larch, seiner Vorgeschichte, wie er im Waisenhaus St. Clouds landet und wie seine Einstellung zum Thema Abtreibung zustande kommt. Er fühlt sich schuldig am Tod einer Frau, der er die Operation verweigert hat, diese Entscheidung beschäftigt ihn für sein gesamtes weiteres Leben. Ein Waisenjunge namens Homer Wells wird schließlich zum Ziehsohn Dr. Lachs, er wird nicht adoptiert (trotz vergeblicher Versuche) und soll sich schließlich „nützlich machen“. Als Lehrling und Assistent unterstützt er Dr. Larch bei Geburten als auch Abtreibungen. Bis er zu erkennen meint, dass die ungeborenen Kinder eine Seele haben.

Homers Schicksal reist schließlich im weißen Cadillac nach St. Clouds. Candy und Wally sind wegen einer Abtreibung gekommen und laden Homer ein, sie auf ihre Apfelplantagen zu begleiten (vorerst für den Sommer), doch Homer bleibt und verändert damit nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern natürlich das von Candy, Wally und seiner Jugendfreundin aus St. Clous, Melony. Bis Homer nach St. Clous zurückkehrt, vergeht ein halbes Leben. Letztendlich erkennt Homer auf vollkommen unaufgeregte Weise, dass er Dr. Larch unrecht getan hat und seine eigene Einstellung nicht uneingeschränkt gültig ist. Ein zeitloses Meisterwerk.

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Sachbuch

David McCandless – Information is Beautiful

Wiesenblümchen

Wenn ich mich recht erinnere, eine Empfehlung aus dem Boagworld-Podcast, ein Hardcover, das ich von Amazon UK importieren musste, doch ich muss sagen, die Investition hat sich gelohnt. Es übersteigt bei Weitem meine Vorstellungskraft, wie unfassbar viele Arbeitsstunden in die Recherche und das Design dieser Grafiksammlung geflossen sein müssen. David Mc Candless hat Fakten aus vielen verschiedenen Bereichen gesammelt und diese dann grafisch dargestellt. Beispielsweise welche Aromen (Kräuter, Beilagen) passen zu welchen Fischsorten, die Entwicklung der Rockmusik (Rock Genre-ology), eine Zeitlinie der populärsten Internet-Viral-Videos, die meist debattierten Wikipedia-Seiten … ich glaube, dieser kleine Ausschnitt gibt schon ganz gut wieder, welche Bandbreite an Fakten hier dargestellt wird und nicht nur die Fakten auch die grafische Darstellung verblüfft immer wieder. Ich fürchte, bei der nächsten Balkengrafik (nach dem Urlaub) werde ich weinen müssen. Inspiration für Grafiker, Redakteure und alle Interessierten.

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Roman

Nina George – Die Mondspielerin

Sunflower made with Cam+

Komm runter vom Jammerkreuz, wir brauchen das Holz.

Marianne hat genug vom Leben. Sinnlos erscheint ihr ihre trostlose Existenz unter der Fuchtel ihres Mannes Lothar, der ihr keine Luft zum Atmen lässt. Ihr Selbstmordversuch durch einen Sprung in die Seine schlägt fehl. Trotzdem kann sie nicht in ihr altes Leben zurück. Mit einer gemalten Fliese macht sie sich auf den Weg nach Kerdruc in der Bretagne, um das Meer zu sehen und sich anschließend darin zu ertränken.

Marianne spürte plötzlich eine unendliche Furcht, vorzeitig zu sterben. Nicht satt zu werden, bevor ihr letzter Tag gekommen war. Satt vom Leben bis obenhin und über den Rand hinaus. Nie hatte sie so einen Hunger nach Leben verspürt: Ihr Herz drohte zu zerbersten vor Qual, zu viel versäumt zu haben.

Doch Kerdruc und das Meer verzaubern Marianne. Obwohl sie kein Wort Französisch oder Bretonisch spricht, stolpert sie in die Küche eines Restaurants und wird dort vom Fleck weg als Küchenhilfe engagiert. Sie lernt Menschen kennen, mit denen sie sich nur schwer verständigen kann und wird doch von allen freundlich aufgenommen. Und lernt ein neues Leben kennen. Ein Leben, das mit jedem Tag lebenswerter erscheint. Von Seite zu Seite scheint in Kerdruc die Sonne, und schließlich lernt Marianne auch den Maler der Fliese kennen und lieben. Aber nicht nur Marianne findet eine neue Liebe, auch andere Personen in Kerdruc lernen durch Mariannes Beispiel, das man sein Leben nicht vergeuden und seine Liebe niemals geheimhalten sollte.

Als er seine Geliebte beobachtete, erneuerte er ein Versprechen mit sich, das er lange vergessen hatte: nichts Triviales mehr. Alles sollte auf der Höhe der Leidenschaft, des Lebens sein; wer etwas Höheres nach dem Leben erwartete, der vergaß, dass das Leben bereits das Höchste ist. Yann hatte es vergessen, und er wollte wieder mit aller Kraft und ohne Scheu leben. Lieben. Malen. Lieben. Nichts Triviales mehr, das sein Blut ermüdete und seine Seele beleidigte.

Natürlich kommt es schließlich zum Showdown mit Mariannes Mann Lothar, der ihr nach Kerdruc folgt und sie zurückholen will. Niemand kann sein Leben einfach verlassen ohne jemanden oder etwas zurückzulassen. Aber die wesentlich wichtigere Botschaft bleibt unmissverständlich: Es ist nie zu spät, dein Leben zu ändern.

Man kann der Liebe nicht sagen: Komm, und bleib für immer. Man kann sie nur begrüßen, wenn sie kommt, wie der Sommer, wie der Herbst, und wenn die Zeit um ist und sie geht, dann geht sie.

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Roman

Dirk Stermann – Sechs Österreicher unter den ersten Fünf

Sonnenuntergang in Simonsfeld

“Danke, aber des kummt zu spät. Bei mir hülft ka Besserungsanstalt. Da is Hopfen und Malz verlorn. Gemma, Bambi.”
Der Hund bellte, und Wanda zog mit Bambi und den beiden von ihr gezähmten Polizisten ab.

Der treffende Untertitel „Roman einer Entpiefkenisierung“ trifft eigentlich den Namen auf den Kopf. Der aus dem Ruhrgebiet zugereiste Dirk Stermann kam zweifellos in Wien in die allermöglichsten und unmöglichsten Situationen, diese bringt er nun überspitzt in einem Roman zum Ausdruck. Seine absurd-komischen Figuren lassen stets die Frage offen, wieviel davon ist fiktiv, wieviel davon vielleicht tatsächlich passiert? Ein nationalistischer Exildeutscher, Spiegeltrinker in diversen Wiener Absturzlokalen, ein toter irischer Wolfshund (oder so ähnlich) und als Krönung die Neuauflage des Cordoba-Klassikers. Die Episoden sind mit viel Wiener Lokalkolorit gewürzt und treiben dem Leser so manche Lachträne ins Auge. Damit dürfte sich das Werk sowohl für Exilpiefke als auch für Österreicher eignen, wenngleich Zweitere vermutlich mehr zu Lachen, Erstere vermutlich mehr Erkenntnisgewinn zu verbuchen haben werden. Amüsant.

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Roman

Sarah Kuttner – Mängelexemplar

Regenbogen über Großmugl Umgebung

Trotzdem bin ich ganz verliebt in mein In-Therape-Sein. Ich glaube fest an das Prinzip: Leiden für den Erfolg, bin zuversichtlich und rede viel mit Freunden, von denen sich sogar ein bis zwei als alte Hasen auf diesem Gebiet entpuppen. Wir veranstalten stundenlange Hobbypsychologentreffs.

Wer ohne Vorkenntnisse in diesen Roman startet, erwartet am Anfang eine typische Frauen-Coming-of-Age-Geschichte. Caro steckt in einer lieblosen Beziehung und weiß das auch selbst, nur fehlt ihr der Mut zur Trennung, zum Alleinsein. Beruflich läuft es auch gerade nicht so gut, eine Veränderung muss her. Als ihr schließlich die Trennung vom kaltherzigen Philipp gelingt, wird die Angst vor dem Alleinsein zu einer allgemeinen Angst inklusive Panikattacken. Der erste Weg führt zur Psychotherapie, wo sich Caro noch in ihrer Therapiebedürftigkeit gefällt und tapfer Witze über ihr angeknackstes Selbst reißt.

Kann ich nicht, will ich nicht. Ich kann akzeptieren, dass andere Menschen tatsächlich gern Pizza mit Ananas essen oder R’n’B mögen oder Drogen nehmen. Aber dass sie Freunden nicht zuhören können oder wollen, unbeirrbar pessimistisch sind und nicht bereit, zu geben, was sie nehmen, akzeptiere ich nicht. Das ist einfach falsch.

Die Analyse der Therapeutin scheint zu helfen, doch schließlich muss Caro doch zugeben, dass sie Hilfe braucht und zu ihrer Mutter ziehen. Allein kommt sie in ihrer Wohnung nicht zurecht. Ständig versucht sie, tapfer zu sein, will nicht zugeben, dass sie alleine nicht klarkommt. Schließlich verschreibt ihr ein Psychiater Antidepressiva, die gegen die Angstanfälle helfen sollen.

Aber er hat recht. Vielleicht ist das die einzige Form, etwas wirklich zu akzeptieren: nicht mehr drüber nachdenken. Sich helfen lassen und die Verantwortung abgeben. Sich mit dem Ist-Zustand abfinden. Nicht mehr kämpfen.

Ein langer Weg liegt vor Caro, es scheint ihr besser zu gehen, doch immer wieder holt die Krankheit sie ein. Ein Übergangsmann hilft ihr weiter, doch nur kurzfristig. Doch letztendlich kann erst die Erkenntnis, dass man sich mit der Krankheit abfinden, sie akzeptieren muss, den Aufbruch in ein neues Leben ermöglichen. Ein Augen öffnender Roman, der psychische Krankheiten für viele Außenstehende verständlicher machen kann.

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Roman

Gottfried Keller – Der grüne Heinrich

Yellow Flower

Aber leider setzte ich, anstatt mich der praktischeren und beliebteren Waffen meiner Genossen zu bedienen, knabenhafter- und ungalanterweise den Mädchen ihre eigene Kriegführung entgegen. Der trotzige Stoizismus, welchen ich gegen das jungfräuliche Selbstgenügen aufwandte, warf mich um so schneller in eine einsame und gefährliche Stellung, als ich in meiner Einfalt augenblicklich selber daran glaubte und mit heftigem Ernste verfuhr.

Wenn mich die Erinnerung an den Deutschunterricht nicht trügt, handelt es sich beim grünen Heinrich um einen Klassiker der Kategorie „Entwicklungsroman“. Tatsächlich beschreibt der Roman auch Heinrichs Entwicklung vom glücklosen Schüler zum glücklosen Maler. Der erste Teil konzentriert sich auf die Jugendjahre, Heinrichs erste Verliebtheit in die Lehrertochter Anna, seine Affinität zur Landschaftsmalerei. Da Heinrichs Vater verstorben ist, lässt ihm die Mutter alle Freiheiten und ermöglicht es ihm schließlich auch, in der fremden Stadt als Maler sein Glück zu versuchen.

Auch nachdem ich aufgeblickt, veränderte sie Haltung und Ausdruck nicht sofort, und erst als ihre Augen auch einen feuchtern Glanz bekamen, nahm sie sich zusammen. Das Bild dieses Augenblickes ist mir auch geblieben gleich dem stillen Glanz eines Sternes, den man einmal in ungewöhnlich klarer Luft leuchten sah und niemals vergisst.

Dort lernt Heinrich viele andere Künstler sowie diverse Frauen kennen, kann sich jedoch als Maler nicht wirklich durchsetzen. Es könnte ein wichtiger Aspekt sein, dass dieser Heinrich sich einfach nur treiben lässt. Er fühlt sich nicht wirklich verantwortlich, er tappt von einer Gelegenheit zur Nächsten ohne viel Sorgen, ohne Ziel. Als ihm schließlich das Geld ausgeht, verkauft er erst sein gesamtes Werk an einen Trödler und verdingt sich anschließend dort als Fahnenstangenmaler. Erst als er sich tatsächlich nicht mehr zu helfen weiß und sich zu Fuß auf den Weg in die Heimat macht, ist ihm schließlich das Glück hold. Dass seine Existenz als „gewöhnlicher“ Beamter endet anstatt als erfolgreicher Maler spricht eine andere Sprache. Ein äußerst zähes Werk der oben genannten Kategorie mit minimalem Erkenntnisgewinn für den Leser.

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Sachbuch

Adele Faber, Elaine Mazlish – How to talk so kids will listen & listen so kids will talk

Versailles in Minimundus, Klagenfurt, Kärnten

Doesn’t sound too hard, does it? But it is. And the hardest part is not the learning of the separate steps. With a little study that can be accomplished. The hardest part is the shift we have to make in attitude. We have to stop thinking of the child as a “problem” that needs correction. We have to give up the idea that because we’re adults we always have the right answer. We have to stop worrying that if we’re not “tough enough”, the child will take advantage of us.

Erziehungsratgeber klingen meistens besonders gscheit und bringen wenig Erfolg. Im Alltag erweisen sich gut gemeinte Ratschläge oft als wenig mehr als gut gemeint. Manche Hinweise funktionieren vielleicht einmal, doch sobald die Kids das Spiel durchschaut haben (und das werden sie langfristig wohl immer), muss man neue Strategien anwenden.

Tatsächlich fehlen mir die eigenen Kinder zum Ausprobieren der in diesem Ratgeber vorgestellten Strategien. Das Meiste klingt sehr vernünftig und die vielen Geschichten von Eltern, die selbst überrascht waren, wie gut die Strategien in der Praxis funktionieren, tun ihr Übriges. Die Schwierigkeit dürfte hauptsächlich darin liegen, sich die Tipps einzuprägen und dann die vorgeschlagenenen Kommunikationsmittel tatsächlich anzuwenden und nicht in alte Gewohnheiten zurückzufallen. Augen öffnend ist dabei ein beispielhafter Gesprächsverlauf in einem der späteren Kapitel, indem verdeutlicht wird, was eine Mutter alles falsch machen kann und wie daraufhin der Gesprächsverlauf eskaliert. Der erste Impuls ist nicht immer der Richtige, oft gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Gefühle nicht überhand nehmen zu lassen. Die Autorinnen plädieren aber auch dafür, den Kindern auch die eigenen Gefühle nicht vorzuenthalten, also auch zum Ausdruck zu bringen, wenn man sich ärgert und worüber.

Ich hinterfrage gerade meine Einstellung gegenüber Ratgeber-Büchern. Macht man sich nicht in Wirklichkeit zuviel Sorgen? Sind nicht die meisten von uns zu guten Menschen herangewachsen, auch wenn unsere Eltern nicht alles richtig gemacht haben und keine derartigen Ratgeberbücher zu Rate gezogen haben? Ist nicht oft die impulsive Reaktion einer Mutter oder eines Vaters vollkommen in Ordnung? Fühlt man sich vielleicht trotzdem weniger unsicher, wenn man die Erfahrungen anderer Eltern teilen kann? Und von deren Tipps und Erfahrungen profitieren kann? Vermutlich. Vermutlich hilfreich.