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Sachbuch

Leena Simon – Digitale Mündigkeit

CN: Erwähnung von (digitaler) Gewalt, Krieg, sexuellem Missbrauch (nur im Buch und auch dort keine grafischen Beschreibungen)


Dieses Buch habe ich mir direkt zur Erscheinung 2023 bei digitalcourage vorbestellt, weil ich zu dem Zeitpunkt noch dachte, dass ich es für eine Hausarbeit im Rahmen meines Bildungswissenschaftsstudiums benutzen würde. Die Kombination aus Digitalisierung, Medienkompetenz und Mündigkeit war (und ist) für mich ein extrem spannendes Thema. Ich frage mich immer wieder, warum Menschen sich nicht mehr Mühe geben, ihr digitales Umfeld besser zu verstehen (und ich kenne viele Antworten auf diese Frage). Das Studium habe ich schweren Herzens aufgegeben und daher stand das Buch seit 2023 im Regal der ungelesenen Bücher.

Der Begriff Mündigkeit allein ist ja schon in höchstem Maße erklärungsbedürftig. Während der Lektüre bin ich selbst grandios gescheitert bei dem Versuch, den Begriff einer Person zu erklären, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Das von Immanuel Kant im Rahmen der Aufklärung geprägte Konzept ist weit verbreitet (und tief in der deutschen Sprache verwurzelt) und wurde von Theodor W. Adorno im 20. Jahrhundert erneut aufgegriffen. Die Definitionen dieser Denker könnt ihr auf Wikipedia (oder in Originalquellen) nachlesen, hier lest ihr meine eigene Interpretation.

Für mich ist Mündigkeit in höchstem Maße mit Verantwortung verknüpft. Als mündige Menschen übernehmen wir Verantwortung für unser Handeln. Wir treffen Entscheidungen und übernehmen dafür die Verantwortung. Um diese Entscheidungen verantwortungsvoll treffen zu können, benötigen wir Informationen. Diese Informationen müssen wir uns selbst beschaffen, sie werden uns nicht auf dem Silbertablett serviert. Wichtig ist jedoch auch die Bewertung dieser Informationen anhand eines moralischen Systems.

Es gibt nicht die eine Art, mündig zu sein. Mündigkeit ist eine Haltungsfrage. […] Es geht darum, die eigenen Handlungen zu hinterfragen, unbequeme Fragen zu stellen und unbequeme Erkenntnisse auszuhalten. Es geht darum, sich mit den Konsequenzen des eigenen Handelns im digitalen Raum zu konfrontieren und für sie Verantwortung zu tragen. 

Am Beispiel einer paternalistischen Ampel erklärt die Autorin, warum es von zentraler Bedeutung ist, dass Menschen stets die Macht über die Technik behalten, die sie umgibt. Eine reguläre Fußgänger:innenampel, wie wir sie heute kennen, lässt sich von einem einzelnen Menschen immer trotz Rotlicht überschreiten. Eine paternalistische Ampel würde das irreguläre Überschreiten der Ampel durch eine Mauer verhindern. Kommt es nun zu einer ungeplanten Situation (ein:e Radfahrer:in stürzt auf der Straße und braucht Hilfe), kann ein Mensch die Entscheidung der Ampel nicht überstimmen, wenn er durch eine Mauer am Betreten der Straße gehindert wird. Der menschliche Verstand würde uns selbstverständlich gebieten, bei freier Straße alles zu tun, um dem gestürzten Menschen zu helfen. Wenn uns jedoch die Technik daran hindert, die uns eigentlich schützen soll, hindert sie uns daran, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und diese verantwortungsvoll umzusetzen.

Auch wenn solche Situationen nur in Ausnahmefällen vorkommen, verdeutlichen sie, warum es immer eine Möglichkeit zur Überbrückung der Technik geben muss. Es ist nicht möglich, alle Situationen vorherzusagen. Technik muss darauf eingestellt sein, dass es Ausnahmefälle gibt, in denen es notwendig ist, ihre Entscheidungen zu revidieren.

Um mündige Entscheidungen zu treffen und diese auch umzusetzen, braucht es also die Freiheit, das auch zu tun. Diese Freiheit wird in unserer heutigen Zeit zunehmend eingeschränkt. Paternalistische Technik nimmt uns etwa die Freiheit, mit welchem Programm wir unsere Daten bearbeiten wollen. Eine Datei, die in einem proprietären Format erstellt wurde, kann (oft) nicht mit anderen Programmen geöffnet oder bearbeitet werden. Auf viele Daten, die der Staat oder kommerzielle Unternehmen über uns sammeln, haben wir selbst überhaupt keinen Zugriff.

Die paternalistische Ampel ist ein extremes und gleichzeitig sehr praktisches Beispiel. Führen wir diesen Gedanken weiter, stoßen wir schnell auf die Frage, ob wir überhaupt noch versuchen würden, eigene Entscheidungen zu treffen, wenn uns die paternalistische Ampel und ihre einschränkenden Geschwister ohnehin alle Entscheidungen abnehmen. Der Aufruf zur digitalen Mündigkeit ist deshalb so notwendig, weil viele Menschen in vielen Bereichen ihre Entscheidungsfreiheit bereits aufgegeben haben. Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, sich falsch zu entscheiden, gibt es auch keine Motivation mehr, überhaupt eigene Entscheidungen zu treffen. Wie das eigene moralische oder ethische Gewissen kann auch die Mündigkeit verkümmern, wenn wir keine Möglichkeit mehr haben, unsere Entscheidungen auch umzusetzen.

Wenn es keine Möglichkeit gibt, falsch zu handeln, kann sich kein Bewusstsein über richtig und falsch entwickeln. Die bewusste Entscheidung gegen das Falsche setzt voraus, dass man überhaupt die Wahl hat, das Falsche zu tun. 

Speziell bei staatlichen Freiheitseinschränkungen wird oft argumentiert, dass sie zu unserer eigenen Sicherheit geschehen. Dies können wir aktuell anhand der Diskussionen über eine europaweite Chatkontrolle verfolgen. Im Namen der Verbrechensbekämpfung (oder -verhinderung) sollen wir einen massiven Teil unserer Privatsphäre aufgeben. Warum die Aussage, ein gesetzestreuer Mensch hätte nichts zu verbergen, falsch ist, hat die Autorin bereits 2017 in einem Digitalcourage-Artikel, der im Buch ebenfalls in leicht abgeänderter Form vorkommt, dargelegt.

Unsere Entscheidungen und Handlungen haben Konsequenzen. Das gilt auch für das unmündige Handeln. Wenn wir immer mehr Handlungsfreiheit an staatliche oder kommerzielle Organisationen abtreten, indem wir uns durch technologischen Paternalismus einschränken lassen, geben wir Stück für Stück unsere Freiheit auf, selbst verantwortungsvoll Entscheidungen zu treffen.

Digitale Mündigkeit beginnt mit der Entscheidung, Verantwortung für das eigene Handeln in der Kommunikationsgemeinschaft zu tragen. Dafür müssen Sie sich die Gefahren Ihres Handelns bewusst machen und sich ihnen mit Zuversicht stellen. Alles andere kommt mit der Zeit.

Leena Simon behandelt in ihrem umfangreichen Buch noch viele weitere Gedankenexperimente, theoretische Exkurse und Digitalthemen und lädt dazu ein, selbst aktiv zu werden und sich mit dem mündigen Handeln in der digitalen Welt auseinanderzusetzen. Konkrete Anregungen, wie wir uns unsere Entscheidungsfreiheit in der digitalisierten Welt zurückerobern können, sind jedoch dünn gesäht. Dafür gibt es jedoch andere Quellen, eine davon ist zum Beispiel Dann haben die halt meine Daten. Na und‽ von Klaudia Zotzmann-Koch. Digitalcourage liefert mit ihrer Wissensreihe kurz&mündig Überblick und Anleitungen zu aktuell (November 2025) 32 Themen.

Eine der Antworten auf meine eingangs erwähnte Frage, warum Menschen sich nicht mehr Mühe geben, ihr digitales Umfeld besser zu verstehen, ist Zeit, eine andere Komplexität. Die meisten von uns sind täglich beruflich und/oder privat mit Entscheidungen konfrontiert, die unsere digitale Mündigkeit betreffen. Eine wichtige Botschaft von Leena Simons Buch ist, dass es sich lohnt, diesen Aufwand zu betreiben. Wenn wir uns nicht eines Tages in einer Dystopie wiederfinden wollen, in der uns alle Entscheidungen durch Technik abgenommen werden, ist es sinnvoll und notwendig, jetzt darüber zu reflektieren und mit der Entscheidung für mündiges Handeln den ersten Schritt zu tun. Mit meiner kurzen Zusammenfassung konnte ich euch hoffentlich Mut machen, euch eures eigenen Verstandes zu bedienen.

Randnotiz: Als an Typographie und Layout interessierte Person ist mir an diesem Buch einiges aufgefallen, was ich in diesem Post nicht unerwähnt lassen will, aber nicht von den Inhalten ablenken soll. Äußerst positiv finde ich den Umgang mit Fußnoten, Endnoten und Quellen. Englische Zitate werden in Fußnoten übersetzt, ergänzende Informationen verlinkt. Quellen sind im Anhang umfangreich aufgelistet. Feststellen musste ich allerdings, dass die Verwendung einer serifenlosen Schrift im Fließtext das Lesen für mich manchmal erheblich erschwert hat. Witwen (alleinstehende Sätze am Anfang oder Ende einer Seite) stören mein persönliches Ästhetikempfinden. Möglicherweise wurde daran in überarbeiteten Ausgaben etwas verändert, ich habe wie oben erwähnt die Erstausgabe erworben. Den Inhalten tut dies natürlich keinen Abbruch, es war mir allerdings (für mein eigenes Archiv) wichtig, auch dazu ein paar Zeilen zu schreiben.

#12in2025: 9/12

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English Erfahrungsbericht Sachbuch

bell hooks – communion

CN: Ich möchte darauf hinweisen, dass in diesem Buch ein sehr binäres Geschlechterrollenbild vertreten wird, das 25 Jahre nach der Erscheinung nicht mehr zeitgemäß erscheint.


Most women search for love hoping to find recognition of our value.

Ich habe das Gefühl, ich müsste ein Referat über dieses Buch schreiben, weil ich so lange gebraucht habe, um es zu lesen und so viele Notizen gemacht habe. Beim ersten Versuch habe ich irgendwann in der Mitte aufgehört, weil ich mich so aufgeregt habe, zu lesen, dass wir Frauen nie echte Liebe finden werden können, so lange wir uns nicht selbst lieben. Das hat in mir einen derartigen Widerwillen ausgelöst. Es ist genau genommen das Umgekehrte zu dem, was das Buch eigentlich vertritt und ich konnte die konkrete Stelle auch beim zweiten Mal lesen nicht mehr finden. Für mich war diese (vermeintliche) Aussage ein rotes Tuch. Wenn du erst … fünf Kilo abgenommen hast / bei irgendeinem wichtigen Thema mitreden kannst / programmieren gelernt hast / … dich selbst liebst, DANN WIRST DU ES WERT SEIN, GELIEBT ZU WERDEN. Da werde ich wirklich krawutisch. Und das Buch sagt das auch eigentlich nicht, wie ich bei einem zweiten Leseversuch mit ausführlichen Notizen nun dokumentieren konnte.

Love is the foundation on which we build the house of our dreams. It’s a house with many rooms. Relationships are part of the house, but they are not everything and never could be. The key is balance.

Aus meinen vielen Notizen will sich kein Referat Text ergeben, ich zähle daher hier ein paar Kernpunkte auf:

  • Patriarchat. Führt dazu, dass Frauen sich von Anfang an wertlos fühlen und denken, dass sie sich Liebe erst „verdienen“ müssten. Dass Frauen sich um andere Menschen kümmern, ist nicht „von Natur aus“ gegeben, sondern gesellschaftlich anerzogen.
  • Feminismus. Vieles hat sich geändert und trotzdem sind Frauen nach wie vor weder gleich gestellt noch wirklich frei. Zuerst die sexuelle Befreiung (finden Männer toll, solang es dazu führt, dass Frauen verfügbar und offen für alles sind, aber nicht, wenn es darum geht, dass Frauen wirklich über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen, indem sie zum Beispiel auch Nein sagen), dann der Arbeitsplatz (Frauen gehen arbeiten und kümmern sich trotzdem noch um Haushalt und Kinder). Emotional hat sich sowieso nichts geändert, für Gefühle sind nach wie vor Frauen zuständig, Männer reden über sowas nicht.
  • Kulturell gesehen ist Liebe Frauensache. Die Beziehungsratgeber der 1990er (Männer sind vom Mars usw.) haben es klar gemacht: Wenn Frauen bessere Beziehungen wollen, dann müssen sie selbst dafür sorgen. Indem sie die Emotionen der Männer hinnehmen und managen, sie aber nicht damit belästigen. Frauen sind dafür zuständig, dass eine Beziehung „funktioniert“.
  • Body Shaming. Fängt meistens in der Familie an und zwar durch die weiblichen Familienmitglieder. Hier schließt sich der Kreis zu meinem oben genannten Widerwillen: Es geht darum, den eigenen Körper zu akzeptieren, was uns eigentlich von Familie und Gesellschaft systematisch abtrainiert wird. Solange wir glauben, dass wir erst dann „liebenswert“ („worthy of love“) sind, wenn wir körperliche Standards erfüllen, werden wir immer nach einem unerreichbaren Ideal streben, anstatt uns mit den wirklich wichtigen Themen zu befassen.
  • Weibliche Solidarität. Es ist einfacher, auf andere Frauen loszugehen, anstatt sich gegen das gesellschaftlich verankerte Patriarchat aufzulehnen. Den Erfolg einer anderen Frau zu feiern widerspricht der Grunderzählung („fairy tale logic“), mit der wir aufgewachsen sind: Dass nur eine einzige Frau gewählt werden kann.

Midlife for many of us has been the fabulous moment of pause where we begin to contemplate the true meaning of love in our lives. […] This is often the time in a woman’s life when she begins to seriously evaluate and critique the values that have shaped her life.

Das Buch ist geprägt davon, dass sich die Autorin nun selbst in der „Mitte des Lebens“ befindet. Sie reflektiert, sie will ihre eigenen Erkenntnisse an die jüngeren Frauengenerationen weitergeben. Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit, aber vielleicht können wir ihn beschleunigen, wenn wir auf den Erkenntnissen älterer Frauengenerationen aufbauen. Wir müssen unsere Kinder nicht in die Rosa-Hellblau-Falle laufen lassen und ihnen vermitteln, dass nur Mädchen weinen oder über Gefühle reden dürfen. Wir können unseren eigenen Umgang mit Medienidealen hinterfragen, damit unsere Töchter, Nichten, Enkelinnen nicht bis zur Menopause brauchen, bis sie ihren eigenen Körper so akzeptieren können, wie er ist. Dann klappt das vielleicht auch endlich mal: Smash the patriarchy by redefining love!

#12in2025: 7/12

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Bildband Sachbuch

Rainer Metzger (Hg.) – Wien um 1900

CN: Suizid Erwähnung (nur im Buch)


Aus Recherchegründen (mein Hinterkopf bastelt weiter an einem Geocache-Rätsel, das ich gern schon längst fertig hätte) hatte ich mir gleich drei Bücher zum Thema Jugendstil aus der Bücherei geholt, die dann ewig als Stapel auf meinem Kreativtisch herumgelegen sind. Immerhin dieses eine habe ich jetzt noch gelesen, bevor die Frist der Verlängerungen endgültig abläuft.

Das Wien um 1900 findet vielfach statt in einer solchen Interferenz von Zeitschichten, in denen die verschiedenen Epochen geradezu sedimentiert scheinen.

Genau kann ich noch nicht festlegen, warum mich gerade diese Epoche so interessiert, aber ein paar Hinweise haben sich inzwischen angehäuft:

  • Bestätigen konnte ich hier wiederum, dass mir die Kunst der damaligen Zeit einfach optisch gefällt. Otto Wagners Kirche am Steinhof ist eine Pracht, daran erinnerte ich mich erst kürzlich wieder, weil mein lieber Freund M. nun in Hietzing wohnt und von seinem Balkon im dritten Stock tatsächlich die Kuppel der Kirche sehen kann.

Ihre Reform1 sollte nicht nur eine dringend nötige Erneuerung des Kunstbegriffs in die Wege leiten, sondern die Einheit von Kunst und Leben an sich.

  • Die Einheit von Kunst und Leben an sich. Für die Künstler der Wiener Secession (ja, damals leider nur Männer) war es wichtig, dass sich die Künste zu einem Gesamtbild vereinten. Auf die gewünschte Erneuerung des Kunstbegriffs verweist auch der Titel der Zeitschrift Ver Sacrum (Heiliger Frühling), die von der Wiener Secession herausgegeben wurde. Malerei, Architektur und Plastik sollten als Gesamtkunstwerk zusammenarbeiten.

„Wir kennen keine Unterscheidung zwischen ‘hoher Kunst’ und ‘Kleinkunst’, zwischen Kunst für die Reichen und Kunst für die Armen. Kunst ist Allgemeingut“, ist im Editorial der ersten Ausgabe von Ver Sacrum zu lesen, […].

  • Eine Demokratisierung der Kunst zeichnete sich ab. Was zuvor dem Adel vorbehalten war, wurde nun auch dem Bürgertum zugänglich.
  • Nicht zuletzt habe ich gelernt, das die Begrifflichkeit der „fröhlichen Apokalypse“ aus dem Buch Hofmannsthal und seine Zeit stammt, das Hermann Broch (1886–1951) verfasste. Es beschreibt die Weltuntergangsstimmung des Liberalismus und der Moderne, die dann in weiterer Folge in den ersten Weltkrieg führte. Ich kannte den Begriff als Titel aus dem Musical Elisabeth, in dem eine frühere Epoche abgehandelt wird. Dabei sitzen Männer im Kaffeehaus, lesen aus der Zeitung vor und langweilen sich. Auf der Bühne wurde das damals dynamisch dargestellt: die Kaffeehaustische befanden sich in Autodrom-Wagen, es sah aus, als würden die Darsteller diese Wägelchen durch Drehen an den Tischen lenken. Bei jüngerem Publikum (Theater der Jugend-Abo) rief das reproduzierbar Erheiterung hervor.
  • Eine interessante Herleitung fand ich am Ende des Essays Böser Dinge hübsche Formel von Herausgeber Rainer Metzger. Er beschreibt die Sehnsucht der Secessionszeit nach dem Gesamtkunstwerk, das aber trotzdem noch individualistische Züge haben durfte. Nach dem 1. Weltkrieg folgte die Zeit der Masse, es entsteht ein kollektiver Wille, wie Sigmund Freud diagnostiziert:

Es ist die Masse. Damit sie funktioniert, sagt Freud, muss an eine Instanz delegiert werden, durch die eine Art kollektiver Wille entsteht. Die Masse wird das Schlüsselwort, das Schlüsselphänomen für die kommende Epoche. Derjenige, der den kollektiven Willen auf eine Weise in seine Bahnen lenken wird, die bis dahin unvorstellbar war, ist seinerseits ein Produkt des Wien um 1900.

Mit dieser Epoche bin ich noch nicht fertig. Ich habe den Bildband über Antoni Gaudí neben mir liegen, der mich schon seit Jahrzehnten begleitet. Gerade erst habe ich auf LitHub einen Artikel über Ernst Haeckel und seine Kunstformen der Natur gelesen, die vielen Künstler:innen als Inspiration dienten. Bin gespannt, was ich demnächst alles aus der Bücherei nach Hause trage (und hoffe, dass ich diesmal auch mehr davon lesen werde).

  1. Anm.: Gemeint ist die von der Wiener Secession durch deren Gründung vorgenommene Reform. Die beteiligten Künstler spalteten sich von ihrer Standesvertretung ab und gründeten ihre eigene Vereinigung Bildender Künstler Österreichs. ↩︎
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Erfahrungsbericht Sachbuch

Katja Kullmann – Generation Ally

CN: Andeutung sexueller Handlungen und sexueller Belästigung


Dieses Buch hat (in meinem Besitz) eine Geschichte und ich werde sie erzählen. Es begab sich kürzlich, dass ich aus aktuellem Anlass der Ansicht war, es wäre sinnvoll, meine für nächstes Jahr geplante Buch-Challenge frühzeitig zu starten. Inzwischen haben sich die Informationen wieder geändert und die Buch-Challenge des aktuellen Jahres steht wieder im Vordergrund. Nichtsdestotrotz habe ich aber nun dieses Buch, das ich vor der Existenz dieses Blogs erworben und gelesen habe, einem zweiten Blick unterzogen und muss nun wohl oder übel meine Beziehung/Meinung dazu einem Update unterziehen.

In meinen Zwanzigern war ich ein großer Fan der TV-Serien Ally McBeal und Sex and the City. Heute kann ich im Rückblick sagen, dass ich damals zutiefst orientierungslos war, konfrontiert mit dieser riesigen Palette an Entscheidungsmöglichkeiten, die einem als junge Erwachsene (mit gewissen Privilegien) offen stehen. Die Protagonist:innen der oben genannten TV-Serien waren immer etwas älter als ich (laut Katja Kullmanns Definition gehöre ich nicht zur Generation Ally, ich wurde erst nach dem von ihr festgesetzten Zeitraum geboren). Diese TV-Serien der späten 1990er-Jahre zeigten Frauen, die auf verschiedene Arten erfolgreich in ihrem Beruf waren, sie hatten aber genauso Sorgen und Unsicherheiten. Sie scheiterten an und in Beziehungen und machten trotzdem immer weiter. Ich stelle mir vor, dass ich ihre „Gesellschaft“ damals als tröstlich empfand, mich weniger allein fühlte in der „Gemeinschaft“ mit anderen Frauen, die stolpern, manchmal nicht weiter wissen und trotzdem ihren Weg gehen.

Die Autorin Katja Kullmann hat sich in den späten 1990er-Jahren Ally McBeal und ihre Epochengenoss:innen zum Aufhänger genommen, um eine Analyse (?) zu verfassen zum Thema: Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Der Zeitrahmen Heute beschreibt in dem Fall die späten 1990er-Jahre, das Buch wurde 2002 veröffentlicht. Basis ihrer Analyse sind ihre eigenen Erfahrungen, die sie als Heranwachsende in Deutschland gemacht hat. Dabei wechselt sie zwischen dem Herumwerfen von Klischees in alle möglichen Richtungen und einem Grundgejammer über Mann, Frau und Gesellschaft sowieso. Und hier füge ich nun (in der 34. Überarbeitung dieses Texts) die Grundfrage ein, die ich bis jetzt nicht abschließend beantworten konnte: Ist es eine Analyse? Ist es Satire? Will die Autorin sich beschweren über die Komplexität des heutigen (damaligen) Frauenlebens? Ruft sie dazu auf, unsere Freiheiten besser zu nutzen? Und was hat das eigentlich mit Ally McBeal zu tun?

Hier hatte er also die vergangenen Jahre überdauert, der Feminismus: in den muffigen Fachschafts-Bibliotheken, in den Gewerkschaftshäusern mit den filzigen Teppichböden.

Wo ich mich selbst (bzw. mein jüngeres Ich) wieder erkannt habe, ist Kullmanns Zugang zum Feminismus. Sie beschreibt ausführlich die Haltung, mit der ich selbst Anfang 20 durchs Leben gegangen bin: Das mit dem Feminismus und der Gleichstellung, das muss doch alles schon erledigt sein, das kann ja wirklich nicht sein, dass das heute noch ein Thema ist. Sie schreibt von bereits damals erlebten Debatten über Genderschreibweisen (vor 25 Jahren! und das geht im Jahr 2025 immer noch so!), die sie und ihre Geschlechtsgenossinnen (und auch ich damals) als „Luxusproblem“ betrachteten, die mit dem realen Leben nichts zu tun haben. Mir wurde als Kind vermittelt, dass ich alles erreichen könnte, wenn ich mich nur genügend anstrenge, dass meine Leistung etwas zählen würde. Logischerweise wollte ich keine „Quotenfrau“ sein. Wenn die Leistung stimmt, dann muss es doch auch ohne Quote gehen. Fassungslos musste ich über die Jahre das Ausmaß meiner Naivität erkennen und die Tatsache, dass von Gleichstellung eben noch lange keine Rede sein kann.

Das Problem ist: Je mehr solcher Drei-Wetter-Taft-Frauen es gibt, je öfter sie betonen, dass alles bloß eine Frage der Organisation ist, desto weniger trauen wir uns, den Mund aufzumachen. 

Das obige Zitat beschreibt ein Phänomen, das mir ebenso wohl bekannt ist (ich habe viele Jahre lang „Frauenmagazine“ konsumiert): Superwoman, die alles unter einen Hut bringt. Immer top gepflegt und stilvoll gestylt, erfolgreich im Job, geliebte Mutter von mindestens zwei Kindern, glücklich verheiratet mit einem ebenfalls erfolgreichen Cis-Hetero-Mann. Werden erfolgreiche Frauen heute gefragt, wie sie das schaffen, geben sie (meistens) zu, dass sie eine Haushaltshilfe oder Kinderbetreuung (bezahlt oder familiär) haben, das war jedoch lange nicht der Standard. Lange Jahre wurde vermittelt, dass wir tatsächlich alles haben können, wenn wir es uns nur richtig organisieren. Die Formulierung war schon immer missverständlich. Wir haben heute mehr Wahlmöglichkeiten als früher, das heißt aber nicht, dass wir alles zur selben Zeit haben können. Inzwischen möchte ich jedes Mal laut schreien, wenn davon die Rede ist, dass ein Mann seine Partnerin „im Haushalt und bei der Kinderbetreuung unterstützt“. Als ob das allein Sache der Frau wäre, die dankbar sein muss, wenn der Mann sich gnadenhalber herablässt, etwas beizutragen …

Ein weiterer Punkt, bei dem ich zustimmend nicken muss, ist das Lachen über frauenfeindliche Witze. Wie die Autorin zurecht feststellt, haben wir mitgelacht, wenn prominente Männer „tief in die frauenfeindliche Kalauerkiste griffen“. Warum auch nicht, wir fühlten uns ja nicht mitgemeint, wir hatten die weiblichen Klischees, die da verlacht wurden, ja sowieso längst hinter uns gelassen. Es gibt Momente, in denen ich mir diese Zeit zurückwünsche. Es war einfacher, mitzulachen ohne nachzudenken. Heute überlege ich mir in so einer Situation immer, ob es sich lohnt, jetzt den Mund aufzumachen.

Das knallpinke Cover mit einer türkisblauen Handtasche darauf, suggeriert ein „Frauenbuch“, obwohl die Autorin laut eigener Angabe noch nie eines gelesen haben will. Die den einzelnen Kapiteln, die Themen wie Karriere, Mutterschaft und Partnerschaft behandeln, vorangestellten Zitate aus Ally McBeal weisen bereits auf etwas hin, das ich durch meine rosarote Retrobrille nicht sehen konnte: Die Autorin hasst Ally McBeal. Sie benutzt diese TV-Figur rein als Aufhänger, um ihren Text an die Frau zu bringen. Was bleibt, ist ein Text, der als Rechercheobjekt für die Geschlechterrollenbilder der Jahrtausendwende dienen mag. Menschen, die in Kullmanns Generation Ally (Geburtsjahrgänge 1965–1975) aufgewachsen sind, mögen nostalgische Gefühle erleben anhand der vielen popkulturellen Referenzen.

Einen Ansatz derAufklärung darüber, was dieser Text eigentlich sein will, liefert übrigens Katja Kullmanns Vorwort zum „Generation Ally Lifestyle-Guide“ von Birgit Hamm (das türkisgrüne Cover zeigt einen pinken Puschelpantoffel mit Absatz):

Florian Illies lieferte 1998 mit Generation Golf das Poesiealbum zur Ära, »aus Raider wurde Twix, sonst änderte sich nix«, hieß es darin. 2002 erschien Generation Ally, quasi als Fortschreibung der Generation Golf über die neunziger Jahre bis ins Heute – diesmal aus weiblicher Sicht und mit dem bitteren Fazit, dass es insbesondere die jungen Frauen gar nicht so weit gebracht haben, wie geheimhin angenommen.

EDIT 4. November 2025: Aus Krankheitsgründen hab ich dann doch den „Generation Ally Lifestyle-Guide“ von Birgit Hamm auch noch gelesen. Hier ist wenigstens von Anfang an klar, worauf die Leser:in sich einlässt: Ein A bis Z über das Leben in den 1990ern. Mir Buffalo Boots, Rucola und Tamagotchi.

Was wir fast vergessen hätten, was uns peinlich ist und was wir heute immer noch lieben.

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English Sachbuch

Janetta Rebold Benton – How To Understand Art

CN: Es wird von den Lebenserfahrungen verschiedener Künstler:innen berichtet, dazu gehören auch (chronische) Krankheiten, Gewalt und Suizid. Im Blog Post kommen diese Themen aber nicht weiter vor.


Dieses Buch habe ich 2022 bei meinem letzten Besuch in London gekauft, im Museumsshop des National Maritime Museum. Gerne hätte ich das Museum auch besucht, aber das Wetter war einfach zu schön und es gab zu viel zu sehen. Mit Kunst habe ich mich also vor drei Jahren schon befasst und spezifisch hatte mich offenbar die Frage im Titel dieses Buchs beschäftigt. Ich hatte schon einmal begonnen, es zu lesen, dann allerdings gemerkt, dass ich nichts mitnehmen konnte. Dann stand es eine Zeitlang im Regal, bis ich es nun in meinen Alltag und auf Reisen mitnahm und mir in meinem Notizbuch viele Zitate und Erkenntnisse aufgeschrieben habe.

Die Autorin Janetta Rebold Benton ist Kunsthistorikerin und beginnt mit einer Abgrenzung der in diesem Buch behandelten Kunst: Sie befasst sich mit den visual arts (bildnerische Kunst?) mit einem Fokus auf Gemälde und Skulptur und nimmt sich zum Ziel, die Fundamente zu analysieren, die allen Arten der bildnerischen Kunst zugrundeliegen. Dazu zählt sie ästhetische Prinzipien und Stile sowie Materialien und Techniken. Das Buch soll die Leser:in anleiten, einen Referenzrahmen zu entwickeln, der es ermöglicht, die in bildnerischer Kunst ohne Worte transportierten Konzepte zu verstehen. Der Kontext des jeweiligen Kunstwerks – die Epoche, die Lebensumstände des Künstlers/der Künstlerin, die vielfältigen Einflüsse, die das jeweilige Leben prägen – ist dabei essentiell, um die künstlerisch verarbeiteten Themen zu verstehen.

But is his Bull’s Head in a museum because it is art, because it is clever, or because it is by Picasso?

Wie viele andere bin auch ich schon vor Kunstwerken gestanden (oder habe sie in Medien gesehen), bei denen ich mir dachte: Das könnte ich aber auch und warum ist das Kunst und wer entscheidet überhaupt, was Kunst ist und was nicht? Dennoch sind meine Berührungspunkte mit Kunst in meinem Leben immer noch kaum mehr als ein Eintauchen des kleinen Zehs ins weite Meer. Meine eigene grafische Arbeit, die ich sowohl als Erwerbsarbeit als auch in ehrenamtlicher Form ausübe, habe ich immer ganz klar als Handwerk und nicht als Kunst bezeichnet und empfunden. Meine Werke hatten immer eine Funktion, die über purer Ästhetik oder kreativer Expression steht. Ich habe auch mit Künstler:innen zusammengearbeitet, deren kreative Expression im Widerspruch zu meinem persönlichen Empfinden von Ästhetik und/oder Funktionalität standen. Auf manche dieser Konflikte Meinungsverschiedenheiten blicke ich heute mit Interesse zurück.

Der Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk widmet auch die Autorin einige Gedanken. Laut ihren Angaben wurde das Konzept fine art im Europa des 18. Jahrhunderts definiert. Dabei wird auf eine hohe ästhetische Qualität wertgelegt. Angewandte Kunst (applied arts) wird mehr mit dem Erschaffen und Dekorieren von funktionellen Objekten in Verbindung gebracht.

In European academic traditions, fine art (or, fine arts) is made primarily for aesthetics or creative expression, distinguishing it from popular artdecorative art or applied art, which also either serve some practical function (such as pottery or most metalwork) or is generally of limited artistic quality in order to appeal to the masses. (Wikipedia)

Eine anderer Zugang zur Definition von Kunst betrifft die Intention, die hinter einem (Kunst-)Werk steht:

If the person who created the work did not consider it art, can it nevertheless legitimately be proclaimed to be art by curators and critics at a later date?

Spoiler: Diese und viele andere Fragen bleiben im Großen und Ganzen unbeantwortet, weil es wohl auch keine einfachen Antworten darauf gibt. Für mich bleibt die Erkenntnis, dass sich Kunst einfach nicht bis ins kleinste Detail erklären lässt. Müssen Kunstwerke schön sein? Sind sie mehr oder bessere Kunst, wenn sie bei der Betrachter:in starke Emotionen auslösen? Soll ein Kunstwerk der Betrachter:in alles sagen, alles klar und deutlich zeigen oder versteht die betrachtende Person mehr davon, wenn sie sich tatsächlich mit dem Werk intensiver befassen und auseinandersetzen muss? Dazu gibt es auch ein Zitat von Edgar Degas, das mir in einem anderen Umfeld während der Lektüre dieses Buchs über den Weg gelaufen ist (The Socratic Method analysiert dieses Zitat von einem philosophischen Standpunkt her, ich könnte diesen Text immer wieder lesen):

Art is not what you see, but what you make others see.

Schon relativ zu Beginn des Buchs war mir aufgefallen, dass klassische Kunst schon gehörig eurozentristisch bzw. westlich daher kommt. Später im Buch betont die Autorin konkret, dass Menschen „open-minded“ an die Werke herangehen und sich auch mit unbekannten Kulturen, Zeiten und Ideen einlassen sollen. In diesem Zusammenhang erklärt sie auch, dass die Bewertung von „craft“ oder „folk art“ als weniger wertvoll eine rein westliche Einstellung ist, die in den Kulturen, auf die diese Bewertung angewandt wird, unbekannt ist. Auch wenn der Fokus der in diesem Buch gezeigten und erläuterten Kunstwerke auf den Werken europäischer Männer liegt, wird zumindest versucht, den Blick zu öffnen und auch weniger bekannten Kulturen einen Raum zu geben.

Im Anschluss folgen noch ein paar Zitate, die ich für mich selbst hier zum Nachschlagen aufheben möchte (jedes Zitat stammt aus dem Buch):

  • “[…] art is not a science.” (Seite 38)
  • Renaissance: “Now believing that artistic inspiration was divine in origin, society regarded artists as favoured by God and thus different from other people.” (Seite 24)
  • Tradition vs. innovation: “Is ist possible to create art according to rules and theories, […]?” (Seite 27)
  • Basic elements of visual art: colour, line, texture, light, space, composition (made up of balance, proportion, unity), emotion (Seite 38)
  • “If line pleased the mind, while colour pleased the eye, was the purpose of painting to educate and elevate our intellect or to provide visual pleasure?” (Seite 43)
  • Mosaic: “The mosaicist varied the size of the tesserae, using smaller pieces for the faces then for the background.” (Seite 72)
  • “The term decorative arts refers to items that have both aesthetic beauty and practical purpose. Included are enamel work, stained glass, tapestry, ceramics, jewelry and furniture.” (Seite 85)
  • “The French term for still live is nature morte, literally ‘dead nature’” (Seite 107)
  • Pop Art does not oppose or criticize. Instead, Pop Art encourages the viewer to look at ordinary things with fresh eyes.” (Seite 160)

Über abstrakte Kunst:

  • “[…] abstract art has no connection to the visible world” (Seite 62)
  • “The viewer’s role in interpreting non-representational art is personal and cerebral, for without definite clues from the artist, each individual’s understanding of the artwork will vary. The viewer must make an effort to arrive at an interpretation and may therefore get more out of participating in the process than by being a passive, unquestioning observer.” (Seite 122)
  • “Abstract art appeals to our emotions, memories and experiences – what is deeply moving for one person may be meaningless to another.” (Seite 122)

In meiner Leseliste habe ich übrigens auch ein Buch mit dem Titel How To Enjoy Art, das ich bisher immer vor mir her geschoben hatte, weil ich ja zuerst die Kunst verstehen müsste (dachte ich). Außerdem habe ich gerade einen neuen Versuch gestartet, mehr Kreativität (und vielleicht sogar Kunst?) in meinen Alltag zu bringen. Es ist also gut möglich, dass es hier bald mehr Erkenntnisse Gedanken über Kunst zu lesen gibt.

#12in2025: 5/12

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Sachbuch

Thomas Birus – Was macht die Tiefkühlpizza knusprig?

CN: Essen aller Art, Industrie, Kapitalismus


Dieses Buch hab ich vor einigen Jahren bei einem sommerlichen Besuch im nordwestlichen Niederösterreich bei einem Flohmarkt aufgegriffen. Der Titel hat mich einfach gepackt (vielleicht war ich auch hungrig …). Der Untertitel „Die wundersamen Zutaten der modernen Küche“ gibt einen deutlichen Hinweis auf die Inhalte des Buchs, was sich jedoch erst Seite für Seite erschließt.

Ernährungsinformationen aus einem 26 Jahre alten Buch (Veröffentlichung der Erstausgabe 1999) sind sowieso nur mit Vorsicht zu genießen.1 Erschwerend kommt für mich hinzu, dass der Autor zwar oft nationale oder internationale Organisationen (zB Deutsche Gesellschaft für Ernährung oder die von WHO und FAO gegründete Codex Alimentarius Commission), Medien (zB Handelsblatt), Gesetzestexte (zB das deutsche Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz [LMBG], heute Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch) oder Personen aus Handel und Industrie direkt oder indirekt zitiert, nachprüfbare Quellenangaben jedoch weitläufig fehlen. Genau genommen fehlen sie nicht direkt, es gibt ein Quellenverzeichnis im Anhang, nur ist leider nicht nachvollziehbar, welche Informationen welcher Quelle zuzuordnen sind.

Das Buch spart nicht mit Kapitalismuskritik und lässt auch an den regulatorischen Vorschriften der Europäischen Union und den Aktivitäten der Lobbyist:innen kein gutes Haar. Allerdings bleibt unausgesprochen, dass die im Buch gegebenen Ernährungsempfehlungen selbst für Menschen, die in „Wohlstandsländern“ leben, oft gar nicht umsetzbar sind. Das zeigt sich schon daran, dass an einer Stelle empfohlen wird, den Konsum von tierischem Eiweiß auf ein bis zwei Mal die Woche zu beschränken; an anderer Stelle wird angegeben, dass es sinnvoll sei, zwei Mal die Woche Seefisch zu essen, um den Jodbedarf zu decken. Dass Menschen in armen Binnenländern wohl kaum zwei Mal die Woche Seefisch essen können, wird nicht thematisiert.

Herzlich lachen musste ich bei diesem Zitat, wo es darum geht, dass der Import eines Johannisbeerlikörs verboten werden sollte, weil er zu wenig (!) Alkoholgehalt hatte. Es gewann jedoch die Argumentation einer großen Lebensmittelkette, die mit der „Wahlfreiheit des Verbrauchers“ argumentierte (ausführlich bei Wikipedia unter Cassis-de-Dijon-Entscheidung):

Der Europäische Gerichtshof in Den Haag folgte dieser Auffassung und verwies darauf, dass alkoholärmere Spirituosen tendenziell besser für die Volksgesundheit seien. Genießer könnten nun ein Originalprodukt mit weniger Alkoholgehalt zu sich nehmen.

Interessant fand ich etwa die (formulierte) Unterscheidung zwischen natürlichen, naturidentischen und künstlichen Aromen:

Natürliche Aromastoffe werden durch physikalische (Destillation, Extraktion) oder enzymatische bzw. mikrobiologische Verfahren (Fermentation) produziert. Ausgangsstoffe müssen vom Menschen verzehrbare Waren sein.

Naturidentische Aromastoffe hingegen werden durch chemische Verfahren gewonnen. Sie sind von der Formel her identisch mit ihren natürlichen Vorläufern. […]

[Bei künstlichen Aromastoffen] handelt [es] sich um Substanzen, welche eine Geschmacksverbesserung bewirken, die aber nicht Bestandteil von Lebensmitteln sind.

Manche Informationen sind natürlich offensichtlich überholt (das Kapitel über Gentechnik habe ich übersprungen, da habe ich neuere und bessere Informationen aus anderen Quellen), andere zeigen, dass sich die Welt nicht so schnell verändert, wie wir oft denken oder fühlen. Monsanto hat schon in den 1990er-Jahren versprochen angekündigt, durch genmodifiziertes Saatgut den Herbizid-Verbrauch des bis heute umstrittenen Glyphosats zu reduzieren. Ein Verbot innerhalb der EU wurde jedoch bis heute nicht umgesetzt.

Natürlich erscheint uns das vermehrte Auftauchen des Begriffes »natürlich« ein wenig übernatürlich. Aber das liegt natürlicherweise wohl in der Natur der Sache. Die Umschreibung »traditionelles Produkt«, hergestellt »mit modernen Mitteln«, ist jedenfalls ein brillanter dialektischer Kunst- (bzw. Natur-)griff.

Achtung Spoiler: Im nächsten Absatz folgt die Auflösung der Titelfrage.

Also was macht die Tiefkühlpizza knusprig?2

Backmittel sorgen für die jahrein, jahraus gleichmäßige Teigherstellung. Emulgator-Backmittel aus Lecithin, Mono- und Diglyceriden, Glycolipide, Phospholipide oder Diacetylweinsäureester machen die Pizza tiefkühlsicher und mikrowellenbereit. […] Die Pizzasauce erhält ihre kälte- und hitzestabile, sämige Konsistenz durch modifizierte Stärke.

#12in2025: 4/12

  1. Leider kann ich nicht versprechen, mir weitere Plattitüden zu verkneifen. ↩︎
  2. Der Autor gibt übrigens im abschließenden Satz zur Tiefkühlpizza zu, dass sie ihm trotz Kenntnis der vielen Ergänzungsstoffe trotzdem schmeckt. ↩︎
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Bildband Reise Sachbuch

Adolf Stiller (Hrsg.) – Bahnhöfe. Stationen in Europa.

CN: –

(Gefahr der Ansteckung mit Reisefieber ;-)


Im Ringturm in Wien war bis vor Kurzem eine Architekturausstellung zum Thema Bahnhöfe zu sehen. Anlass war die Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie in England, die vor „ziemlich genau 200 Jahren“ (lt. Klappentext) stattfand (und damit das „Geburtsjahr“ mit dem sponsornden Versicherungsunternehmen teilt). Zur Ausstellung gibt es einen Katalog in Buchform, ich wollte alles nochmal genau nachlesen und konnte nicht widerstehen …

Blick in den Ausstellungsraum, der Eingangsbereich ist von einer Holzkonstruktion überspannt, die wie ein Tunnel wirkt, weiter hinten im Raum hängen Tafeln von der Decke, an einer Wand hängt eine alte Eisenbahnkarte
Eingangsbereich der Ausstellung im Erdgeschoss des Ringturms

Glaskasten mit drei aufgeschlagenen Büchern und einem gelben Buchumschlag, in den Büchern sind großformatige Architekturfotos zu sehen
Schaukasten mit Büchern zum Thema Bahnhöfe

Das Buch zeigt dem Untertitel gemäß „Stationen in Europa“. Ein großer Schwerpunkt widmet sich etwa der Metropole Paris, die gleich mit sechs Bahnhöfen vertreten ist (von denen einer heute als Museum genutzt wird – das Musée d’Orsay). Den Weg zwischen den nahegelegenen Bahnhöfen Gare du Nord (hier fahren etwa die Eurostar-Züge Richtung Norden ab) und Gare de l’Est (wo unter anderem die Nachtzüge von und nach Wien ankommen und abfahren) habe ich selbst schon mehr als einmal zurückgelegt.

im Inneren der Bahnhofshalle des Pariser Bahnhofs Gare de l'Est, die Bogenkonstruktion des Hallendachs dominiert den oberen Teil des Bilds, von der Decke hängen zwei Bilder, darunter sind drei Anzeigetafeln für Ankunft und Abfahrt von Zügen zu sehen
Gare de l’Est: „[Die] große querliegende Halle am Kopfende der Bahnsteige [wurde] weithin als Beispiel für die funktionelle Anlage von Bahnhöfen kopiert.“

die Eingangshalle des Pariser Bahnhofs Gare de l'Est, drei geöffnete Türen zwischen Säulen, hinter dem Bahnhofsgebäude leuchten Wolken im Morgenlicht
Gare de l’Est: Der orangefarbene Riesen-Blumentopf ist auch auf der Abbildung im Buch zu sehen, meine beiden Fotos hier wurden im Mai 2023 aufgenommen.

Aber nicht nur die Pariser Bahnhöfe haben in mir Erinnerungen geweckt. Ich war beim Besuch der Ausstellung überrascht, dass ich einige der erwähnten Bahnhöfe quer durch Europa sofort zuordnen konnte.

Ausstellungsansicht, ein Transparent zeigt drei Fotos des Bahnhofs Gent-Sint-Pieters, oben ragt über einem Glasvordach ein altmodischer Turm auf, auf den beiden unteren Bildern Innenansichten der Bahnhofshalle
Gent-Sint-Pieters: Das historische Bahnhofsgebäude mit dem markanten Turm steht unter Denkmalschutz und wird seit 1996 umfassend renoviert.

Bahnsteig, eine Metallstütze hält das Dach über dem Bahnsteig, die Seitenflächen sind verglast, Teile der Glasflächen sind pink, die Bahnsteigbeschriftung ebenfalls in pink
Gent-Sint-Pieters: Bei meinem Besuch im Mai 2023 waren die Bahnsteige bereits mit modernen, bunten Glaskonstruktionen ausgestattet, die zu den Bahnsteigen führende Halle darunter war eine unübersichtliche Baustelle.

Bahnhof London St. Pancras, durch das verglaste Dach scheint die Abendsonne, am Ende des Kopfbahnhofs hängt eine große Uhr, darunter ein Schrift rosafarbener Neonschriftzug, der für das Musical „Dirty Dancing“ wirbt, Text: „I want the time of my life“
London St. Pancras (Mai 2023): „Mit seiner 74,15 Meter frei gespannten, 210 Meter langen und 31 Meter hohen, in gotisierender Spitzbogenform gestalteten Halle stellt dieser Bahnhof heute noch alle europäischen Bahnhöfe in den Schatten.“

Bahnhofsvorplatz in Venedig, im Vordergrund eine dreiarmige Laterne mit zwei Mülleimern daneben, dahinter die Marmorfassade des Bahnhofs
Venezia Santa Luzia (August 2022): „Die lang gestreckte, weit offene Fassade mit dem charakteristischen Vordach zeichnet sich durch die sensible Verwendung verschiedenfarbiger Marmorarten aus, deren Oberflächen die hohe Kunst der venezianischen Steinbearbeitung zeigen.“

Ein Fokus der Ausstellung (und des Buchs) liegt auf den Bahnhöfen der ehemaligen Donaumonarchie. Es ist auch eine große Übersichtskarte über „Österreich-Ungarn’s Eisenbahnen“ zu sehen. Die Karte stammt aus dem Jahr 1910 und war damals bereits in der 79. Auflage erschienen.

Detailaufnahme der Ecke einer Übersichtskarte, links oben steht: 1910, Prochaska's Neue Ausgabe, Österreich-Ungarn's Eisenbahnen, Neunundsiebzigste Auflage“, darunter eine Legende, die die Zeichen für unterschiedliche Bahngleise und verschieden große Ortschaften erklärt. Der Maßstab der Karte ist mit 1:1.250.000 angegeben.

von der Decke hängende Transparente zeigen die kommunistisch anmutenden Bahnhöfe in der heutigen Republik Tschechien
Tafel mit Informationen und Bildern zu den Bahnhöfen Pardubice, Cheb, Teplice und Klatovy

langgezogenes Bahnhofsgebäude aus rotbraunem Material mit hohen Fensterfronten, links an der Wand hängt eine dekorative Bahnhofsuhr, im Vordergrund die Metallstatue eines Mannes in Militäruniform mit vor der Brust verschränkten Armen
Bahnhof Pardubice mit der Statue von Jan Perner, Juli 2024

zwischen zwei Bahnsteigen sind zwei Gleise zu sehen, auf einem steht ein blauer Zug, zwischen den Bahnsteigdächern blauer, leicht bewölkter Himmel, die Gleise ziehen von rechts unten nach links oben durchs Bild, das Bild wirkt so dynamisch, obwohl nichts wirklich in Bewegung ist
Brno hlavní nádraží, Juni 2023

Spannend fand ich die verschiedenen „Bauformen“, die für die porträtierten Bahnhöfe angegeben wurden. Leider ist die Klassifikation nicht ordentlich abgerenzt. Wikipedia unterscheidet Bahnhöfe nach verschiedenen Kriterien, die im Buch unter dem Überbegriff „Bauform“ miteinander vermischt werden. Die Unterscheidung nach Grundrissform ist vermutlich vielen Leser:innen bekannt:

  • Kopfbahnhof (alle hereinführenden Gleise enden im Bahnhof, die Züge können nur mit einem Fahrtrichtungswechsel den Bahnhof wieder verlassen)
  • Durchgangsbahnhof (die Hauptgleise verlaufen durch den Bahnhof, der Bahnhof kann von beiden Seiten angefahren und wieder verlassen werden)

Im Buch werden unter dem Label „Bauform“ noch folgende andere Begrifflichkeiten verwendet:

Durch die Weitung der Gleisanlagen kommt es gleichsam zu einer Insel, in deren Mitte das Bahnhofsgebäude steht.

Leider sind die Ungenauigkeiten bei den Klassifikationen nicht der einzige Kritikpunkt. Die Bilder sind im Buch durchgehend zu dunkel abgedruckt (in der Fachsprache: die Bilder saufen ab). Auf nahezu allen Bildern, wo Bahnhöfe von innen zu sehen sind, sind  auch bei genauerem Hinsehen keine Details zu erkennen.

Auf der positiven Seite möchte ich die schöne Gestaltung des Umschlags erwähnen, der Titel ist in Goldschrift aufgeprägt, darunter ist die schematische Ansicht einer Bahnhofshalle in dunkler Farbe auf dem anthrazitfarbenen Buchdeckel aufgeprägt. Die unterschiedlichen Materialien geben dem Buch ein sehr wertiges Gefühl.

In den Texten, die hauptsächlich sachlich die architektonischen Highlights oder die historischen Hintergründe der Bahnhöfe erläutern, verstecken sich hier und da augenzwinkernde Bemerkungen wie diese zu fehlenden Einkaufsmöglichkeiten im Bahnhof Ostrava-Vitkovice:

Entsprechend des in den damaligen kommunistischen Ländern gültigen Wirtschaftskonzeptes der 5-Jahrespläne, die privatem Konsum keinen Stellenwert einräumten, waren auch keine Geschäftsflächen vorgesehen, was eine Nüchternheit erzeugte, nach der man sich heute vielerorts sehnt.

Zum Abschluss habe ich auch noch einige architektonische Fachbegriffe mitgenommen:

Da die Ausstellung neben den Tafeln mit den Informationen zu den Bahnhöfen nur wenige Elemente (Schaukästen mit Büchern und Ansichtskarten, einen kurzen Film zu Stuttgart 21) enthielt, stellt das Buch eine ausführliche Dokumentation der Ausstellung dar. Ich fand darin außerdem reichlich Inspiration für zukünftige Reisepläne!

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Bildband Sachbuch

Ernst Lauermann, Wolfgang Maresch – Seinerzeit in Stockerau

CN: Weltkrieg, Holocaust, Antisemitismus


Das zweite Buch über meine Heimatstadt (über das erste habe ich hier geschrieben) ist aus einer Facebook-Gruppe entstanden, die während der Lockdowns in der Corona-Pandemie gegründet worden war. Es beinhaltet Bilder und Geschichten aus den Jahren 1930 bis 1990, eine Zeitspanne, die sich am Ende schon mit meiner Lebenszeit überschneidet. Dementsprechend kann ich mich tatsächlich an manche der erwähnten verblichenen Gaststätten oder Geschäfte noch erinnern (zB an die Spielwarenhandlung Falk, die zu Weihnachten immer eine Modelleisenbahn im Schaufenster hatte, die durch Knopfdruck von außen gestartet werden konnte). Etwas traurig bin ich immer noch, dass die Bäckerei / Greißlerei Schwarz, in der ich als Schulkind oft meine Jause gekauft bekam, nicht erwähnt ist.

Bestätigt fand ich meine Vermutung aus dem ersten Post, dass die Bahnlinie von Wien Richtung Nordwesten lange in Stockerau endete. Wikipedia weiß, dass ab 27. Mai 1979 die Strecke bis Hollabrunn befahren wurde. Davor endete die S3-Strecke in Stockerau.

Köstlich amüsiert habe ich mich schon beim ersten Durchblättern des Buchs über die abgedruckte Speisekarte des Gasthofs „Zum Goldenen Schwan“. Darauf wird zum Beispiel die Speise „Garniertes Ei o.Schinkenrolle“ um 7 Schilling angeboten. Schinkenrolle habe ich als Kind nach dem Hallenbadbesuch im Hallenbadrestaurant gern gegessen. Das teuerste Gericht auf der überschaubaren Karte ist „1/2 Backhuhn m. gem. Salat“ um 30 Schilling. Erstaunt hat mich, dass auf dieser Speisekarte aus den 1970er-Jahren bereits „Thunfisch garniert“ angeboten wird. Neben den Mehlspeisen ist das einzige vegetarische Gericht auf der Karte „Champignons gebacken m. Sauce Tartar“ um 19 Schilling – ganz schön teuer im Vergleich zum „Rindsgulyas“ um 14 Schilling (dabei sind allerdings keine Beilagen verzeichnet).

Mit den Stockerauer Festspielen verbindet mich eine eigene Geschichte. Im Rahmen eines Schulprojekts führte ich gemeinsam mit zwei Freundinnen an einem Abend eine Befragung der Gäste der Stockerauer Festspiele durch. Das war vermutlich das erste Mal in meinem Leben, das ich auf einer Bühne stand und in ein Mikrofon sprechen sollte. Die Ergebnisse der Befragung waren jedoch ein Erfolg und wir wurden auch ausgezeichnet benotet für unseren Einsatz. (In diesem Jahr wurde übrigens „The King & I“ unter der Intendanz von Alfons Haider gespielt.) Aus dem Buch habe ich erfahren, dass die Stockerauer Festspiele 1964 unter Otto Kroneder mit der Aufführung von „Jeanne oder Die Lerche“ erstmals dokumentiert sind.

im Vordergrund ein reich mit Gold verzierter Mann in einem roten Gewand mit kurzen Hosen, im Hintergrund hält eine Dame in einem ausladenden weißen Kleid ein offenes Buch vor sich
Szenenfoto aus „The King & I“, im Vordergrund Alfons Haider als König von Siam, dahinter liest die Darstellerin der Anna aus einem Buch vor

Mehr Trivia:

  • Erwähnt wird im Buch auch ein Auftritt von Drahdiwaberl und Falco am 19. Dezember 1981 in der Diskothek der Familie Gehnal. Auf dem dazugehörigen Plakat wird ein „Super – Show – Spektakel der Gruppe Dradiwaberl mit Falko“ (sic!) angekündigt. Vermerkt ist mit einem Stern außerdem „* Der Kommissar“.
  • Neu war mir auch, dass der Brunnen neben dem Rathaus im Jahr 1953 als Erinnerung an den alten Stockerauer Hafen errichtet wurde. Den Brunnen habe ich mir vorher noch nie genauer angesehen, ich hätte nicht sagen können, was für eine Figur da drauf steht.

Brunnen vor dem Rathaus, auf einem Steinsockel steht eine Person mit Umhang im Bug eines Bootes, der Bug ist von steinernen Wellen umkranzt
Donaubrunnen oder Schifferbrunnen, 1953 zur Erinnerung an den alten Stockerauer Donauhafen errichtet

  • „In Stockerau gibt es 60 registrierte Sportvereine.“
  • Die Texte, die in diesem Buch recht ausführlich sind und auch viele Zeitzeug:innen-Berichte enthalten, zeichnen sich stellenweise durch eine äußerst blumige Sprache aus:

Der Abriss [des alten Bahnhofsgebäudes] und der darauffolgende Neubau können als Werk von Kulturhunnen und Asphaltbarbaren bezeichnet werden.

  • In eine weitere Runde ging die Recherche zur ersten Ampel in Stockerau. In diesem Buch wird nämlich erzählt, dass am 3. September 1960 die erste Verkehrsampel am „Scharfen Eck“ in Betrieb genommen wurde. Das stellt einen Kontrast dar zu den Informationen, die ich im Rahmen meines Textes zum ersten Stockerau-Buch zum Kreisverkehr am Wimmer-Eck recherchiert hatte. Als dieser nämlich 2020 die dortige Ampel ersetzte, hieß es in vielen Artikeln, das wäre die älteste Ampelregelung Niederösterreichs gewesen. Belege für das eine oder andere konnte ich nach wie vor nicht auftreiben. Vielleicht finde ich in diesem Zuge noch heraus, wie so ein Stadtarchiv funktioniert …
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Bildband Sachbuch

Maria-Andrea Riedler – Das alte Stockerau

CN: –


Kürzlich habe ich selbst einen Geocache versteckt und veröffentlicht, es soll der Start einer neuen Reihe werden. Im Zuge dessen kommt es hier erstmals zu einer umgekehrten Verknüpfung meiner beiden Hobbies Lesen und Geocaching: Ich habe mir Bücher ausgeliehen, um für zukünftige Geocaches meiner Reihe zu recherchieren. Dabei verschlug es mich in eine Abteilung der Hauptbücherei, deren Existenz mir nicht mal bewusst war: es gibt Abteilungen mit Büchern zu allen Bundesländern Österreichs und in der Abteilung zu Niederösterreich fand ich neben vielen Büchern über die Wachau und andere bekannte Gegenden tatsächlich auch zwei Bücher über meine Heimatstadt Stockerau. Mit dem ersten befassen wir uns in diesem Post.

das Konvikt in Stockerau, ein gelbes Haus mit weißen Verzierungen, rechts halten zwei Hände ein Buch ins Bild, auf dem dasselbe Gebäude zu sehen ist
Das Konvikt in Stockerau, zwischen 1894 und 1896 als Schülerheim errichtet, heute als Internatsgebäude für die Berufsschule für KFZ-Technik genutzt.

Das Buch besteht hauptsächlich aus alten Stadtansichten, die damals als Ansichtskarten produziert wurden. Jedes Bild ist mit einem kurzen Text versehen, am Anfang des Buchs befindet sich ein Geleitwort des zum Zeitpunkt der Erscheinung (2016) amtierenden Bürgermeisters Helmut Laab und eine Chronik mit wichtigen Daten der Stadt. Das Geleitwort möchte ich deshalb erwähnen, weil ich durch weiterführende Recherche eine bei mir seit ewig falsch abgespeicherte Information korrigieren konnte: Der Stockerauer Kirchturm ist tatsächlich der höchste von Niederösterreich (Platz 9 in der Liste der höchsten Sakralgebäude Österreichs, ich hatte immer gedacht, es wäre der Zweithöchste) und Mariazell liegt in der Steiermark.

Stadtansicht von Stockerau mit zwei Kirchtürmen und einem markanten Gebäude mit Kuppel am rechten Bildrand, im Vordergrund ein Buch, das eine alte Ansicht desselben Orts zeigt, auf dem diese drei Gebäude erkennbar sind
Stockerau, Kreuzung von Hauptstraße, Stögergasse und Grafendorferstraße, heute geregelt als Kreisverkehr mit einem Brunnen in der Mitte

Der Kirchturm ist tatsächlich ein weithin sichtbares Gebäude, das viele Stadtpanoramen entscheidend prägt (damals wie heute). Die Ansicht von der Eduard-Rösch-Straße aus mit den beiden Kirchtürmen und dem markanten Gebäude, das in meiner Jugend noch das Café Wimmer war und heute einen Optikfachbetrieb beherbergt, ist heute wieder etwas näher an die Ansicht von damals gerückt. Seit 2020 regelt hier ein Kreisverkehr statt einer Ampel den Verkehr, was unter anderem deshalb interessant ist, weil es sich um die „älteste Ampelregelung Niederösterreichs“ gehandelt haben soll (eindeutige Belege dafür konnte ich nicht auftreiben).

Es gibt aber auch viele andere Gebäude, die schon mehr als 100 Jahre bestehen. Zusammen mit dem Fotografen habe ich bereits einige dieser Gebäude besucht und deren heutige Ansicht mit der im Buch dargestellten verglichen. Der Fotograf machte mich außerdem darauf aufmerksam, dass die im Buch abgebildeten Ansichtskarten großteils wohl hand-coloriert sind, also eine Schwarz-Weiß-Fotografie, auf die nachher Farbe aufgemalt wurde. Im Zuge weiterführender Recherche hat der Fotograf dann die Ansichtskarten-Datenbank der Österreichischen Nationalbibliothek gefunden, die auch Material zu Stockerau enthält.

Jahn-Turnhalle, erbaut 1884, davor halten zwei Hände ein Buch ins Bild, auf dem dasselbe Gebäude zu sehen ist
Automobilmuseum Stockerau, erbaut 1884 als Jahn-Turnhalle

Andere interessante Erkenntnisse:

alte Ansichtskarte mit einem Stadtpanorama von Stockerau mit dem Turm der Stadtpfarrkirche, im Vordergrund die Häuserzeile der Pampichlerstraße
Panorama mit Pfarrkirche, Stockerau, 275m Seehöhe, N.-O e., Pampichlerstraße Quelle: Österreichische Nationalbibliothek http://data.onb.ac.at/AKON/AK046_248

  • Stockerau hat eine Vergangenheit als Industriestadt, die Maschinenfabrik Heid war mir schon in meiner Kindheit ein Begriff. Einen Überblick über diese Industrievergangenheit bietet unter anderem der Adventure Lab Cache Industriestadt Stockerau.
  • Die heutige evangelische Pfarrkirche war zu Beginn eine Synagoge. „1938 wurde die Synagoge der evangelischen Gemeinde zur Religionsausübung zugewiesen, entsprechend umgestaltet und in Lutherkirche umbenannt.“

eckiges Kirchengebäude mit Turm in der Mitte, über dem Haupteingang ein großes Holzkreuz, links vor der Kirche steht ein Straßenschild mit dem Namen „Friedensplatz“ in mehreren Sprachen
Lutherkirche in Stockerau, erbaut ursprünglich als Synagoge

  • Auf allen Bildern von Straßen und Plätzen in der Stadt fällt eines deutlich ins Auge: keine Autos! Auf einem Bild des Sparkassaplatzes gehen kreuz und quer Menschen spazieren, eine Aufteilung in Straße/Parkplätze/Fußgänger:innenwege gibt es nicht. Dasselbe gilt für die Aufnahmen vom Rathausplatz (der heute hauptsächlich als Parkplatz genutzt wird). Nur einzelne Pferdefuhrwerke sind auf den Bildern zu sehen.

alte Postkartenansicht, Rathautplatz in Stockerau mit Dreifaltigkeitssäule, heute ist dieser Platz ein Parkplatz, damals kein einziges Auto zu sehen
Rathaus mit Dreifaltigkeitssäule, Stockerau, N.-Oe. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek http://data.onb.ac.at/AKON/AK021_121

  • Auf einem Bild ist deutlich ersichtlich, dass Stockerau 1913 einen schiffbaren Donauarm hatte. Es gab in Stockerau einen Donauhafen direkt neben dem heutigen Bahnhof! Ein Bild aus dem Jahr 1930 zeigt die heute an den Eisenbahngleisen endende Brücke (die Gleise dürften damals nicht über Stockerau hinaus geführt haben) mit einem Mauthäuschen.

Brücke mit Bögen links und rechts, die Brücke endet an Eisenbahngleisen, im Hintergrund ist der Kirchturm von Stockerau zu sehen, vorne hält eine Hand ein Buch in das Bild, in dem zwei alte Ansichten der Brücke zu sehen sind

Das zweite Buch zu Stockerau beschäftigt sich mit dem Zeitraum 1930–1960. Bin schon gespannt, ob es mich auch so lange beschäftigt wie dieses.

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Erfahrungsbericht Sachbuch

Natasha Lunn – Conversations on Love

Kürzlich Vor viel zu langer Zeit habe ich auf meinem Mastodon-Account nach Leseempfehlungen gefragt:

Ich würde gern mehr lesen:
* von Selfpublishing-Autor:innen
* über nicht-traditionelle Lebensformate/Lebensumstände (Polyamorie, queer, trans, adhd/autism, disabled)
* Memoir, real-life-stories, persönliche Erfahrungen

Die gesammelten Empfehlungen findet ihr weiter unten nach der heutigen Buchrezension.


CN: Fehlgeburt, Tod von nahestehenden Personen, Trauer


[…] love is a lifelong project, a story that we can’t skip to the end of. How lucky are we, to know we will never finish it? Because there is never a final page, only a series of beginnings.

Die Autorin unternimmt eine Reise durch die verschiedenen Formen der Liebe, die uns im Verlauf unseres Lebens begegnen (können). Sie führt Interviews mit Menschen über unterschiedliche Beziehungsformen (nicht im Polyamory oder No-Mono-Sinn, sondern einfach die unterschiedlichen Formen der Beziehungen, die wir mit anderen Menschen haben können, wie mit Eltern, Geschwistern, Partner:innen, Freund:innen, …) und untersucht dabei implizit auch die verschiedenen Rollen, die wir in diesen Beziehungen annehmen können.

We have this romantic ideal that we will find ‘The One’, a soulmate, a one and only. And in this romantic union, we believe that we are also ‘The One’ for our partner. We believe we are unique, irreplacable and indispensible.

Im Rückblick auf ihre früheren Versuche, romantische Liebe zu finden, geht die Autorin auch kritisch mit ihrem jüngeren Selbst ins Gericht. Sie hinterfragt, warum wir romantischen Beziehungen so viel mehr Wert geben als Freundschaften? In Polyamorie-Thematik kommt diese Frage üblicherweise in der Form: Warum soll ich mehrere Freundschaften haben können, aber nicht mehrere romantische Partnerschaften? Beides geht jedoch in eine ähnliche Richtung: Warum bewerten wir Freundschaften anders als romantische Partnerschaften?

Sie kommt zu dem Schluss, dass es eine Falle sein kann, romantische Liebe als die Lösung unserer Probleme zu sehen. Zu oft klammern wir uns an Illusionen, wir verlieben uns nicht in die Person, die vor uns steht, sondern in unsere Vorstellung von dieser Person. Ein anderes wiederkehrendes Thema ist der kapitalistische Druck, unter dem wir in der westlichen Welt heute täglich stehen: Die Werbung suggeriert uns, dass wir immer noch mehr, immer noch etwas Besseres haben könnten. Das kann unbewusst dazu führen, dass wir nie zufrieden sind mit dem Leben, mit der Partnerschaft, die wir jetzt gerade haben.

Im Zusammenhang mit ihrem Wunsch nach Elternschaft, der zuerst zu einer Fehlgeburt führt, gehen die späteren Kapitel des Buchs sehr in Richtung Trauer und was der Verlust von geliebten Menschen bedeuten kann. Mehrere Dinge passieren gleichzeitig oder ineinander verwoben:

  • Die Liebe für die verstorbene Person geht nicht weg.
  • Die Trauer um den Verlust der Person begleitet uns unser weiteres Leben lang.
  • Oft ist es nicht nur die Trauer um diese Person, sondern um ein Stück unserer eigenen Identität, das wir mit dieser Person verloren haben.

How do you mourn the loss of a future you never really had?

Die traurige Realität ist, dass wir niemals völlig über Trauer hinweg kommen. Wir lernen nur, damit zu leben.

Ich habe unzählige Zitate mehr aus diesem Buch heraus geschrieben. Aber ich glaube, jede:r sollte es selbst lesen, um sich das herauszuholen, was zu seinem eigenen aktuellen Leben, zur aktuellen Liebes- und Beziehungssituation passt. Wenn ihr gerade selbst mit dem (unerfüllten) Wunsch nach Elternschaft ringt, ist das vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, dann könnte euch das Buch zu nahe gehen.

Abschließend möchte ich noch einige der interviewten Personen aufzählen, viele von ihnen haben selbst Bücher veröffentlicht, die ich auch schon gelesen und beschrieben habe, alle sehr empfehlenswert:


Kürzlich Vor viel zu langer Zeit habe ich auf meinem Mastodon-Account nach Leseempfehlungen gefragt:

Ich würde gern mehr lesen:
* von Selfpublishing-Autor:innen
* über nicht-traditionelle Lebensformate/Lebensumstände (Polyamorie, queer, trans, adhd/autism, disabled)
* Memoir, real-life-stories, persönliche Erfahrungen

Und ich habe eine Flut an Empfehlungen bekommen! Ursprünglich habe ich versucht, mir jede Empfehlung zumindest oberflächlich anzusehen, um sie einordnen zu können. Da ich das aber 6 Monate danach noch immer nicht geschafft habe, veröffentliche ich hier eine vollständige Liste aller Empfehlungen, teils mit mehr oder weniger Background, je nachdem, wie es mir möglich war.

Die Genre-Zuordnungen sind von mir und beruhen nicht auf den Texten bzw. Meinungen der empfehlenden Personen (außer wenn konkret als „Zitat“ ausgewiesen). Ich hätte das gerne alles genauer gemacht, aber dann wäre dieser Post wohl nie fertig geworden … daher sind hier teilweise mehr oder weniger Infos verfügbar, gegebenenfalls werde ich später noch welche ergänzen, wenn ich mich mit den Empfehlungen näher befasst habe.

Sachbücher

Emilia RoigDas Ende der Ehe: Über dieses Buch habe ich bereits im Lila Podcast gehört (Empfehlung, ich fand die Episode interessant). Es ist ein Sachbuch und hinterfragt, wie die Institution der Ehe gesellschaftliche Strukturen tradiert und Geschlechterrollen normiert.

Leena Simon – Digitale Mündigkeit: Dieses Buch habe ich tatsächlich schon im Regal der ungelesenen Bücher stehen, weil ich letztes Jahr dachte, ich würde es für eine Hausarbeit benötigen, die ich dann aber aus Gründen nicht geschrieben habe. Das Sachbuch hinterfragt Chancen und Risiken der Digitalisierung, erklärt den bildungswissenschaftlichen Begriff der Mündigkeit und seine Bedeutung für Freiheit und Demokratie in unserem digitalisierten Zeitalter.

Tanja Kollodzieyski beschäftigt sich mit Ableismus

Durchgeschüttelt und auf den Kopf gestellt von Petra Lachinger

Hannah C. Rosenblatt

Romane (verschiedener Genres)

Self-Publishing-Autorin Anni Bürkl schreibt Krimireihen mit Schauplätzen im Ausseer Land sowie in Wien, unterhaltsame Literatur, aber auch Zeitgeschichte. Wir sind auf Mastodon miteinander bekannt, ich habe kürzlich zwei ihrer Bücher „testgelesen“. Ihre Reihe „Haus der Freundinnen“ bestehend aus drei Büchern habe ich mir auf die Leseliste gesetzt.

Self-Publishing-Autorin Nike Leonhard schreibt Fantastik: „rachsüchtige Geister, zweifelhafte Heilige, betrügerische Vampire, verärgerte Dryaden und ähnliches. Liebe und Romantik kommen vor, sind aber nur ein Aspekt von vielen“.

Maike Claußnitzer (@ardeija@literatur.social) ist als Übersetzerin tätig und schreibt selbst historische Fantasy in Form von Romanen und Geschichten. In ihrem Roman Tricontium (Leseprobe, PDF) versuchen eine Richterin, ein Hauptmann und ein Dieb die Hintergründe eines Spukgeschehens aufzuklären. Dieses Buch habe ich auf meine Wunschliste gesetzt und bin gespannt darauf.

Amalia Zeichnerin (@amalia12@mastodon.social) schreibt viktorianische Krimis, Phantastik und Romance und zeichnet Fantasylandkarten und Charakterportraits. Ihre Landkarten sind wunderschön, ihr könnt Beispiele unter diesem Link sehen. Speziell ihre Reihe „Hexen in Hamburg“ („eine Mischung aus Urban Fantasy, Cosy Mystery und magischem Realismus“) wurde mehrfach empfohlen und ich werde auf jeden Fall mal reinlesen.

Sanguen Demonis von @anna_zabini (diesen Account scheint Anna aufgegeben zu haben) klingt für mich auch sehr spannend, spielt in Wien und wird vom Verlag als Dark/Urban Fantasy LGBTQIA+ Roman beschrieben. Eine Leseprobe gibt es auf der Webseite des Verlags. 

Derselben Person gefiel auch „Knochenblumen welken nicht“ von Eleanor Bardilac (das Buch ist bei den großen Onlinehändler:innen zu finden). Aus dem Verlagstext:

Das erfrischend andersartige Fantasy-Debüt von SERAPH-Gewinnerin Eleanor Bardilac begeistert mit vielschichtigen Charakteren, einer packenden Story und einer detailreichen Götterwelt.

Die Fortsetzung „Knochenasche rottet nicht“ ist im Ohne Ohren Verlag erschienen.

Mehrmals empfohlen wurde Judith Vogt (@Atalante), speziell ihre Werke Anarchie Déco und Schildmaid. Schildmaid wird als eine „moderne Interpretation nordischer Sagen“ beschrieben und spielt in einem Wikinger-Milieu. Über Schildmaid schrieb eine andere Person:

Das hat die schönste trans Repräsentation, die ich bisher in einem Fantasytitel gelesen habe.

Anarchie Déco spielt im Berlin der 1920er-Jahre, jedoch inklusive magischer Elemente, die diese Epoche in ein anderes Licht rücken. Beides klingt für mich sehr spannend, ich verfolge auch die Serie von Volker Kutscher, die im Berlin dieser Zeit spielt, mit großem Interesse. Auf ihrer Webseite finden sich neben Romanen und Hörspielen auch Rollenspiele.

Ace in Space

So ziemlich alle meine Kriterien dürfte Romy Wächter erfüllen, sie wurde mehrmals empfohlen, in ihrem Mastodon-Profil schreibt sie:

Meine #queer.en Werke behandeln u. a. die Themen #Autismus #BDSM #Liebe #Asexualität #Polyamorie #Partnerschaftsgewalt #Depression #Psychologie #MentalHealth #Suizidalität #Feminismus

Die Trilogie klingt für mich so spannend, dass ich eigentlich sofort loslesen möchte (aber dann würde dieser Post niemals fertig … ihr wisst schon …):

Vor dem Hintergrund eines Kriminalfalls entspinnt sich mit Paranuit ein queerer Entwicklungsroman von hoher erzählerischer Dichte, in dem sich erotische, spannende und psychologische Elemente ineinanderfügen. Minutiös und dialogverliebt wird die Entstehung zwischenmenschlicher Beziehungsgeflechte abgebildet.

Lana Harper – ‘Payback’s a Witch’ und die anderen Romane der Reihe

Gennadi Ratson – Dunkel am Ende des Lichts

Ifleria-Reihe von Effie Calvin („Prinzessinnen, die Prinzessinen heiraten, Drachen und viel Fantasy-Content“)

die Bücher von Vicorva

Die Haptik der Wände von @skalabyrinth (muss ich mir unbedingt anschauen, ich war begeistert von Wenn es nicht passiert)

Maschinenmacht von E. V. Ring

Akwaeke Emezi: „Pet mit gebärdendem trans Teen als Hauptperson, The Death of Vivek Oji, Freshwater und You made a Fool of Death with your Beauty

Lieselotte Luft

Ergänzung August 2024:  skye gänseblum – Die Träume sind kaputt Eine Geschichte, in der queere Charaktere mit Neopronomen und chronischen Krankheiten im Mittelpunkt stehen und zusammen auf eine Reise durch Traumwelt und Realität gehen. Große Empfehlung!

Verschiedenes

Queer*Welten: Mastodon, Website, Verlag

Queer*Welten ist ein alle sechs Monate erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Zine, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kurzgeschichten, Gedichte, Illustrationen und Essaybeiträge zu veröffentlichen, die marginalisierte Erfahrungen und die Geschichten Marginalisierter in einem phantastischen Rahmen sichtbar zu machen.

Poetry von Justin Chin, z.B. “Gutted” (Englisch)

Eva Maria Wohlfahrter hat auf ihrem Bl0g Gespräche mit schwer traumatisierten Menschen veröffentlicht.

Kurzgeschichte „LichtTraum“ von I. L. Villiam: „Lunarpunk, möglicherweise Slice of Life“

Quellen / Listen

Libreture ist eine Sammlung von Webseiten, wo es DRM-freie Bücher, Comics oder Magazine zum Download gibt. Zuerst hat mich die Aufmachung etwas überfordert. Am ehesten hilft aber die Suche nach einem Genre weiter, wie auch ganz oben auf der Seite empfohlen wird. Mit Suchbegriffen wie „sci-fi“, „speculative fiction“ oder „cozy crime“ findet ihr hier am ehesten, was euch interessieren könnte. Ich habe mir ein paar der verlinkten Webseiten angesehen, darunter waren:

  • Silver Sprocket: „independent publisher championing socially conscious and independently produced comic books, graphic novels, and related arts.“ Im Online-Store findet ihr Comics + Zines, T-Shirts, Patches, Sticker, Music und Pins.
  • Qindrie Press: an independent comics publisher based in Edinburgh, Scotland, founded by comic creator Eve Greenwood in 2020. Die Werke gibt es jeweils als Buch oder als PDF-Download zu erwerben, wobei die PDF-Downloads sehr günstig sind. Ins Auge gestochen ist mir When I Was Me: Moments of Gender Euphoria (PDF-Download: 4 GBP).
  • Morgana Best: „writes cozy mysteries packed to the brim with compelling plots, quirky characters, and a furry friend or two“. Sie schreibt Serien, also für alle, die gerne binge-lesen, es gibt genug Material. Außerdem enthält ihre Webseite süße Tierfotos ;-)

Weiters wurde empfohlen die Buchliste: „Phantastik mit Diversität“ gepflegt von Amalia Zeichnerin von 2019–2022. Es handelt sich um ein Google Doc, in dem mittels Suchfunktion bequem nach verschiedenen Queer-Themen gesucht werden kann.

Literaturliste zu Progressiver Phantastik fürs Brecht-Haus von Judith Vogt

Und hier noch eine Quelle, die ich mir selbst vor Kurzem in die Bookmarks gespeichert habe: Möchtegern hat in ihrem Autorinnenblog über queere Buchbegegnungen beschrieben.